Die Kinder der Nacht

1

»Wir haben uns schon mal getroffen«, sagte ich zu Haber. »1988 - als Sie das Des Moines-Büro geleitet haben.«

Er strahlte und hielt mir die Hand hin. »Klar! Verdammt will ich sein! Jetzt erinnere ich mich auch, Odin.«

»Ich mag es nicht, wenn man mich Odin nennt.«

»Nein? Also gut, Mr. Gunnarsen.«

»>Mr. Gunnarsen< gefallt mir auch nicht. Sagen Sie doch ganz einfach >Gunner<.«

»Natürlich, Gunner! Das hätte ich beinahe vergessen.«

»Nein, Sie haben es nicht vergessen«, erwiderte ich. »Bei Des Moines haben Sie meinen Namen gar nicht gekannt. Sie wußten nicht einmal, daß ich existierte, weil Sie viel zu sehr damit beschäftigt waren, die Wahl unseres Klienten zu verlieren. Ich habe die Karre damals aus dem Dreck gezogen, und das werde ich jetzt auch tun.«

Das Lächeln bekam ein paar Risse, aber Haber war schon so lange bei der Firma, daß er sich von mir nicht einschüchtern ließ. »Was wollen Sie mir denn mitteilen, Gunner? Ich bin Ihnen dankbar. Glauben Sie mir, mein Junge, ich brauche Hilfe.«

»Ich bin nicht Ihr Junge. Haber, Sie waren schon damals ein fetter Kater, und Sie sind auch jetzt ein fetter Kater. Und jetzt werde ich Ihnen sagen, was ich von Ihnen will - erstens will ich eine rasche Besichtigungstour durch den Laden hier machen, zweitens will ich eine Konferenz mit den Leitern aller Abteilungen abhalten, Sie eingeschlossen - in dreißig Minuten. Also sagen Sie Ihrer Sekretärin, sie soll alle zusammentrommeln, und wir fangen jetzt mit unserer Besichtigungstour an.«

Ich war mit dem Scatjet nach Beiport geflogen und hatte eine Liste von allen Dingen gemacht, die ich erledigen wollte. Ganz oben auf der Liste stand: Erstens: Haber feuern.

Allerdings ist das meiner Erfahrung nach nicht immer das beste Mittel, um einen Brand zu löschen. Man entfernt einige Warzen, andere läßt man dahinwelken. M & B bezahlt mich nicht dafür, daß ich kosmetische Operationen an ihren Habers vornehme. Ich muß nur dafür sorgen, daß die Arbeit, die diese Habers tun müßten, irgendwie getan wird.

Als Public-Relations-Filialleiter war er eine Warze, aber als Touristenführer war er gut, obwohl er schwitzte. Er führte mich durch den ganzen Laden.

Haber hatte mehrere Räume in einer der Hauptgeschäftsstraßen gemietet - Luftvorhangtür, geschmackvolle Fenstervorhänge aus grauer Seide. Der Laden sah aus wie das beste von allen Bestattungsunternehmen, die sich in der Nachbarschaft befanden. Auf der Fensterscheibe stand in Goldlettern der Name des Schuppens: »Moultrie & Bigelow, Public Relations, Northern Lake State-Filiale, T. Wilson Haber, Filialleiter.«

»Public Relation fangen mit der Fassade des Büros an«, informierte er mich. »Die Leute können nicht übersehen, daß wir hier sind, was, Gunner?«

»Das erinnert mich an das Büro in Iowa«, sagte ich, und er stolperte über die Schwelle, obwohl gar keine da war. Damals hatten wir die Präsidentenwahlkampagne von 88 gemanagt. Haber hatte versucht, die Wahl für den Kandidaten zu gewinnen, der unsere Dienste in Anspruch genommen hatte. Wir bekamen die zwölf Wahlstimmen in letzter Minute, und das nur, weil wir Haber zur Erholung nach Nassau geschickt hatten und ich die ganze Sache in die Hand nahm. Ich glaube, Habers Frau hat damals Firmenaktien besessen.

Aber seine Belportfiliale war nicht übel - vier Befragungszellen, jede mit einer Simplex 9090 ausgestattet, eine Empfangsdame, die auch als Telefonistin fungierte und im Donatorenwarteraum saß. Nach der äußeren Erscheinung kann man ja nicht immer gehen, aber die Donatoren, die auf ihre Befragung warteten, sahen repräsentativ aus - eine gute Mischung, was Geschlecht, Alter und Lebensumstände betraf. Wenn Haber die Fähigkeit besäße, die Spreu vom Weizen zu trennen, müßte er einen umfassenden Überblick über die einzelnen Meinungen bekommen. Die Ergebnisse der Befragungen wurden im hinteren Raum integriert. Ich erkannte einen der Programmierer und nickte ihm zu - ein guter Mann, unterstützt von einer Telefax-Ausrüstung und den größeren Nachschlagewerken, der Brittanica und der Kongreßbibliothek, von Nachrichtendiensten und so weiter. Der Leiter der Integrationszentrale konnte mit Hilfe aller erforderlichen Daten eine Rede entwerfen, einen 3-V-Werbespot, eine Weltraumannonce und die Wirkung am angesprochenen Publikum testen. An der Vorderfront des Gebäudes lag ein Aufnahmestudio. Die Ausrüstung war klein und halbtragbar, aber von guter Qualität. Hier konnte man ein 3-V-Interview genausogut zusammenschneiden und herausgeben wie in den riesigen Studios des Hauptquartiers.

»Eine A-Nummer-1-Ablage, Gunner«, sagte Haber. »Ich habe sie selbst installiert.«

»Warum arbeiten Sie dann nicht damit?« fragte ich. Er zuckte zusammen. Seine Augen verengten sich und sahen jetzt etwas intelligenter aus, aber er schwieg. Er nahm meinen Ellbogen und führte mich zum Datenverarbeitungsraum.

»Ich möchte, daß Sie jemanden begrüßen«, sagte er, öffnete die Tür, ließ mich eintreten und machte sich dann aus dem Staub.

Ein großes, schlankes Mädchen sah von einer Tastatur auf. »Oh, hallo, Gunner!« sagte sie. »Wir haben uns schon lange nicht gesehen.«

»Hallo, Candace.«

Offenbar war Haber doch nicht so dumm, wie er aussah, denn er hatte was über mein Privatleben herausgefunden, bevor ich in seinem Büro aufgetaucht war. Der Rest der Liste, die ich an Bord des Scatjet aufgestellt hatte, lautete: Zweitens: Große Lüge erforderlich. Drittens: Kinderproblem untersuchen. Viertens: Vorschlag des Gegners prüfen. Fünftens: Candace Harmon heiraten?

Das war ein relativ kleiner Job, den ich für Moultrie & Bigelow erledigte, aber die Verantwortung war sehr, sehr groß. Es war wichtig, daß wir siegten. Unser Klient war die Arcturus-Konföderation.

Im Hauptquartier munkelte man, daß sie von drei oder vier anderen PR-Agenturen abgewimmelt worden waren, bevor wir ihr Angebot angenommen hatten. Niemand sagte genau, warum, aber der Grund war völlig klar. Es ging einzig und allein darum, daß es die Arcturus-Konföderation war. Es ist weder illegal noch unmoralisch, daß eine Public Relationsfirma einen ausländischen Klienten vertritt. Dabei geht es nur um die Statuten - was die meisten Leute offenbar nicht wissen, um den Smith-Macchioni-Beschluß von 71. Die Gerichte haben 1985 festgestellt, daß dieses Gesetz ebenso für »außerplanetare Ausländer« gilt wie für terrestrische. 1985 waren die Marsmumien die einzigen »intelligenten außerirdischen Wesen«. Nicht daß die Mumien jemals irgend jemanden auf der Erde beauftragt hätten, irgend etwas für sie zu erledigen. Aber es war die Rechtsabteilung von Moultry & Bigelow, die jenen Gerichtsbeschluß erwirkte - für alle Fälle. So arbeitet man eben bei M & B.

In den Augen mancher Leute nimmt jeder Public RelationsManager die Hautfarbe seiner Klienten an. Das liegt in der Natur der Sache. Dieselben Leute würden nie daran denken, einen Chirurgen anzugreifen, weil er einem Staatsfeind Nummer eins ein bösartiges Geschwür herausoperiert hat. Sie würden nicht einmal den Anwalt ächten, der den Staatsfeind verteidigt. Aber wenn man das emotionale Image eines Klienten aufbaut und wenn dieses Image den Leuten nicht gefallt, muß man als der verantwortliche PR-Mann damit rechnen, daß man selber Mißfallen erregt.

Nun, wenn wir an den Gehaltsscheck denken, den wir an jedem Monatsende von M & B bekommen, macht uns das nichts aus. M & B sind dafür bekannt, daß sie nur schwierige Kunden nehmen.

Beim Beispiel betreuen wir die einzige überlebende amerikanische Zigarettenfabrik. Ebenso die Castro-Exilregierung von Kuba, die immer noch glaubt, daß sie das Außenministerium eines Tages dazu kriegen wird, ihren Anspruch auf die Auszahlung der Wertpapiere zu unterstützen, die sie selber gedruckt hat. Aber aus zwei Gründen - weil wir uns ganz einfach die Arbeit erleichtern wollen und weil das eine bessere Doktrin ist -brüsten wir uns nicht mit unpopulären Klienten. Vor allem dann nicht, wenn die Sache schlecht läuft. Die sicherste Methode, um als PR-Firma eine schlechte Publicity zu bekommen, besteht in einem solchen Fall darin, die Öffentlichkeit wissen zu lassen, daß ein Super-PR-Team daran arbeitet.

Also war alles, was Haber in letzter Zeit gemacht hatte, falsch gewesen.

In dieser Stadt war es zu spät für Befragungszellen und MF.

Ich hatte noch fünf Minuten Zeit, bevor ich zu der Konferenz gehen mußte, und die verbrachte ich trotzdem im Befragungszellensektor. Im Empfangsraum, wo die Donatoren saßen und warteten, bis sie dran kamen, entdeckte ich ein Drei-D-Bild vom Heimatplaneten unserer Klienten. Es war ein hübsches Bild -große, stille Meere, aus denen vertikale Luftinselchen ragten.

Wütend wandte ich mich ab und ging hinaus.

Ein Laie hätte vielleicht nicht erkannt, wie viele Wege Haber gefunden hatte, um den Job zu verpatzen. Wahrscheinlich war das ganze Befragungszellenprojekt ein Fehler. Um was von Befragungszellen zu haben, muß man tiefschürfende Gespräche führen und tiefgreifende MF betreiben. Und dafür braucht man bezahlte Donatoren, eine ganze Menge. Und um die zu bekommen, braucht man eine große Befragtengruppe, aus der man sich die Rosinen rauspicken kann.

Das bedeutet, daß man Annoncen in Zeitungen aufgeben und in Funk und Fernsehen Werbung machen und für jede Person, die man engagiert, erst mal zwanzig befragen muß. Um in einer Stadt von der Größe Beiports einen befriedigenden Überblick zu bekommen, muß man etwa fünfzig Donatoren einstellen. Das heißt, daß man mit etwa tausend Leuten reden muß. Und von denen wird jeder nach Hause gehen und mit seiner Frau oder seiner Mutter oder seinen Nachbarn reden.

In einer Stadt wie Chicago oder Saskatoon macht das nichts. Wenn man eine geschickte Technik anwendet, wird der Donator niemals wissen, warum seine Meinung eigentlich erforscht wird -obwohl ein guter Reporter oder Privatdetektiv die Donatoren natürlich interviewen und aus den Sinnes-Impuls-Stimuli seine Schlüsse ziehen kann. Aber in Beiport ist es unmöglich, etwas geheimzuhalten - nicht hier, wo wir nie zuvor eine Filiale hatten, wo jede Menschenseele weiß, was wir machen, weil die Befragung zur neuen Zoneneinteilung an jedem Kaffeehaustisch Gesprächsthema Nummer eins war. Kurz gesagt, wir saßen gründlich in der Tinte.

Wie ich bereits festgestellt habe, ein Amateur hätte das alles übersehen können. Aber Haber dürfte eigentlich kein Amateur sein.

Gerade hatte ich die Trendkarteien gesehen. In weniger als zwei Wochen würde die Volksabstimmung über die Frage stattfinden, welche Privilegien man unserem Klienten bei der neuen Zoneneinteilung zugestehen sollte. Als Haber die Filiale eröffnet hatte, war der Statistik zu entnehmen gewesen, daß man sich mit vier gegen drei Stimmen zu Ungunsten unseres Klienten entscheiden würde. Jetzt, eineinhalb Monate später, hatte er den Prozentsatz auf drei zu zwei verschlechtert, und es wurde immer schlimmer.

Unser Klient würde äußerst unglücklich sein - wahrscheinlich war er bereits äußerst unglücklich, wenn es ihm gelungen war, die seltsamen terrestrischen Situationsberichte zu enträtseln, die wir ihm geschickt hatten.

Und das war ein Klient, dessen Unglück nicht unbedingt wünschenswert war. Im Vergleich dazu waren unsere anderen Kunden kleine Fische. Die Arcturus-Konföderation repräsentierte eine Kultur, die ebenso reich und mächtig war wie alle Erdenregierungen zusammen. Und da sich die Arcturer mit einem solchen Unsinn wie nationalen Regierungen und privaten Unternehmern gar nicht erst abgaben, zumindest nicht auf eine Weise, die wir verstehen könnten, war dieser eine Klient.

.so bedeutend wie eine Vereinigung aller anderen möglichen Klienten.

Die Arcturer hatten festgestellt, daß sie diesen Stützpunkt in Beiport brauchten, und nun mußten die M & B und vor allem ich, Odin Gunnarsen, dafür sorgen, daß sie ihn auch bekamen.

Natürlich war es ein Pech, daß sie vor sechs Monaten die Erde bekämpft hatten.

Im technischen Sinn war der Krieg noch gar nicht beendet. Es war nur ein Waffenstillstand, kein Friede, der die H-Bombenangriffe und Flottengefechte vorerst unterbunden hatte.

Aber wie gesagt, M & B suchten sich immer die schwierigsten Klienten aus.

Außer Haber sahen noch vier andere Konferenzteilnehmer so aus, als ob sie wüßten, was los war. Candace Harmon, der Befragungsintegrationsprogrammierer und zwei sehr junge technische Assistenten. Ich nahm am Kopfende des Konferenztisches Platz, ohne abzuwarten, wohin sich Haber setzen würde, und sagte: »Wir müssen uns beeilen, weil wir Probleme haben und demzufolge keine Zeit für Höflichkeitsfloskeln. Sie heißen Percy?« Das war der Programmierer. Er nickte. »Ihren Namen habe ich nicht verstanden.« Ich wandte mich an den nächsten Mann am Tisch. Er war der Chefkopist, ein hagerer alter Mann mit kahlrasiertem Schädel namens Tracy Spockman. Sein Assistent, einer der technischen Assistenten, die mir bereits aufgefallen waren, hieß Manny Brock, wie sich nun herausstellte.

Ich hatte leichte Jobs für die Schwachköpfe ausgesucht und die klügeren Leute für die Probleme reserviert, die mit der Zeit auftauchen würden, also fing ich mit dem Chefkopisten an. »Spockman, wir eröffnen eine arcturische Einkaufsagentur, und das werden Sie machen. Sie müßten es schaffen. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie ein Jahr lang den Duluth-Laden geleitet.«

Er sog mit ausdrucksloser Miene an seiner Pfeife. »Nun, danke, Mr. Gun-«

»Nur Gunner.«

»Nun, danke, aber als Chefkopist.«

»Darum kann sich Manny kümmern. So wie ich die Duluth-Operation in Erinnerung habe, werden Sie alles so geplant haben, daß er sofort einsteigen kann.« Das hatte er mit ziemlicher Sicherheit getan. Zumindest würde es nicht schaden, noch jemand anderem die Chance zu geben, die verfahrene Situation zu retten. Ich gab Spockman die Seite mit den »verlangten Positionen«, die ich aus einer Zeitung auf dem Seat-Flughafen gerissen und auf der Fahrt hierher mit Notizen versehen hatte, mit einer langen Liste.

»Engagieren Sie die Mädchen, deren Namen ich hier aufgeschrieben habe, mieten Sie ein Büro und verschicken Sie ein paar Briefe. Auf der Liste können Sie sehen, wie ich es haben will. Schreiben Sie alle Grundstücksmakler in der Stadt an, erkundigen Sie sich, ob sie eine Fünftausend-Morgen-Parzelle auf dem Gebiet zusammenkriegen können, das für die Arcturus-Basis vorgesehen ist. Schreiben Sie an alle großen Bauunternehmer und bitten Sie um Kostenvoranschläge. Ich glaube, es werden zusammen fünf Gebäude werden - lassen Sie sich für jedes einen einzelnen Kostenvoranschlag geben. Eines muß exoklimatisiert werden - also lassen Sie sich auch von den Klimaanlagen-, Heizungs- und Installationsunternehmen Kostenvoranschläge machen. Dann schreiben Sie an alle Lebensmittelgroßversandhäuser und fragen, ob sie daran interessiert sind, die Arcturer mit Nahrung zu versorgen. Erkundigen Sie sich in Chicago, was die Arcturer mögen. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern - ich glaube, kein Fleisch und viel Grünzeug. Jedenfalls müssen Sie das rausfinden und den Briefen die entsprechenden Informationen beifügen. Elektronikfirmen, Büromöbelfirmen, Autofirmen - das finden Sie alles auf dieser Liste. Ich möchte, daß sich morgen jeder Geschäftsmann in Beiport ausrechnet, wieviel er an einem arcturistischen Stützpunkt verdienen kann. Haben Sie das kapiert?«

»Ich glaube schon, Mr. - Gunner. Ich habe mir auch schon ein paar Gedanken gemacht. Wie steht es mit Schreibwarenhändlern, Anwälten und amtlich zugelassenen Wirtschaftsprüfern?«

»Fragen Sie nicht - handeln Sie. Und jetzt Sie da unten.«

»Henry Dane, Gunner.«

»Henry, was wissen Sie über die Klubs in Beiport? Ich meine spezialisierte Gruppen. Die Arcturer sind ganz versessen auf Schiffahrt und Segeln. Sehen Sie mal, was sie mit den Motorbootklubs und so weiter machen können. Ich habe in der Zeitung gelesen, daß am nächsten Samstag eine Blumenausstellung im Arsenal veranstaltet wird. Es ist ein bißchen knapp, aber quetschen Sie noch einen Stand mit arcturischen Pilzen rein. Wir werden die Ausstellungsstücke einfliegen lassen. Ich habe gehört, daß die Arcturer leidenschaftliche Gärtner sind. Sie lieben alle biologischen Wissenschaften - ein nettes Volk; kann sich so richtig in seine Hobbys reinsteigern.« Ich zögerte und blickte auf meine Notizen. »Hier habe ich auch was von Veteranengruppen aufgeschrieben, aber dafür habe ich kein Händchen. Wenn Ihnen irgendwas zu dem Thema einfallt, geben Sie mir Bescheid. Was ist denn los?«

Er sah mich nachdenklich an. »Es ist nur - ich möchte Candy nicht in die Quere kommen, Gunner.«

Und da mußte ich den Dingen natürlich ins Auge sehen und wandte mich an Candace Harmon. »Worum geht's denn, Schätzchen?«

»Ich glaube, Henry meint meinen arcturisch-amerikanischen Freundschaftsverein.« Es stellte sich heraus, daß dies eine von Habers stolzesten Ideen gewesen war. Das überraschte mich nicht. Nach mehreren Wochen und einer Investition von etwa dreitausend Dollar hatte der Verein einundvierzig Mitglieder. Und wie viele davon arbeiteten für M & B? »Alle - bis auf acht«, gab Candace sofort zu.

»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen«, sagte ich zu Henry Däne. »Wir lösen den arcturisch-amerikanischen Freundschaftsverein auf. Candace würde sowieso keine Zeit mehr dafür haben. Sie wird mit mir zusammenarbeiten.«

»Wunderbar, Gunner!« sagte sie. »Was soll ich denn machen?«

Es hatte mal eine Zeit gegeben, da hätte ich sie fast geheiratet, und seither hatte ich mir immer wieder gewüncht, ich hätte damals nicht den Rückzug angetreten. Candace Harmon war ein phantastisches Mädchen.

»Du wirst tun, was Gunner sagt. Mal sehen. Erstens - morgen werden fünfhundert arcturische Haustiere eintreffen. Ich habe sie noch nicht gesehen, aber sie sollen süß sein. Sie sehen wie Kätzchen aus und sind sehr widerstandsfähig. Sieh zu, wie du sie möglichst schnell unter die Leute bringst. Vielleicht wird sie eine Zoohandlung für fünf Cent pro Stück verkaufen.«

»Mein lieber Gunner!« protestierte Haber. »Allein schon die Transportkosten.«

»Klar. Haber, der Transport jedes einzelnen Tieres kostet vierzig Dollar. Gibt's noch irgendwelche Fragen dieser Art? Nein? Das ist gut. Ich möchte, daß am Ende der Woche in fünfhundert Häusern solche Tierchen rumlaufen, und wenn ich jedem, der eins bei sich aufnimmt, hundert Dollar zahlen muß.

Und jetzt zum nächsten Punkt - irgend jemand soll einen Veteranen auftreiben, möglichst behindert, vorzugsweise einen Mann, der am Bombardement des Heimatplaneten beteiligt war.«

Ich hatte noch ein Dutzend weiterer Pläne auf Lager - eine Ausstellung der arcturischen Basreliefs, die man teilweise anschauen konnte, aber hauptsächlich betasten mußte, eine 3-V-Show über Arcturus, der ganze Routinekram. Das alles würde die Lage kaum bessern, aber es würde mir erst mal weiterhelfen, bis mir klar war, wie ich die Sache angehen mußte. Dann kam ich auf den geschäftlichen Teil zu sprechen. »Wie heißt dieser Bursche, der für die Bürgermeisterwahl kandidiert - Connick?«

»Ja«, sagte Haber.

»Was wißt ihr über ihn?«

Ich wandte mich an Candace, die prompt antwortete: »Einundvierzig Jahre alt, Methodist, verheiratet, drei eigene Kinder plus ein adoptiertes von einem Kriegsopfer, kandidierte letztes Jahr für den Staatssenat und verlor die Wahl, aber in Beiport ist er gut im Rennen und opponiert gegen die Arcturer-Basis. In der Juniorenhandelskammer ist er ganz dick drin, auch bei den >Veteranen ausländischer Kriege<, und-«

»Nein«, sagte ich. »Was spricht gegen ihn?«

»Hör mal, Gunner«, erwiderte Candace langsam. »Das ist ein netter Bursche.«

»Das weiß ich, Schätzchen. Ich habe heute seinen Artikel in der Zeitung gelesen. So, und jetzt erzähl mir von seinen schwachen Stellen. Er kann sich sicher nicht leisten, daß dies oder jenes an die Öffentlichkeit kommt.«

»Es wäre nicht fair, ihn für nichts und wieder nichts zu vernichten.«

Von Fairneß wollte ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen. »Was meinst du mit >nichts und wieder nichts

»Du weißt, daß wir diesen Volksentscheid nicht gewinnen werden.«

»Schätzchen, ich habe eine Neuigkeit für dich. Das ist der größte Auftrag, den jemals irgend jemand bekommen hat, und wir werden ihn ausführen. Wir werden gewinnen. Was weißt du über Connick?«

»Nichts«, sagte sie leise. »Wirklich nichts.«

»Aber du kannst was rauskriegen.« »Natürlich«, erwiderte sie sichtlich verstört, »da gibt's wahrscheinlich.«

»Natürlich. Sieh zu, daß du's rausfindest. Heute.«

2

Aber ich verließ mich nicht ganz und gar auf die Leute, nicht einmal auf Candace. Da Connick die zentrale Figur der Opposition war, setzte ich mich in einen Firmenwagen und fuhr zu ihm.

Es war schon dunkel, eine kalte, klare Nacht, und über den Pilztürmen des Geschäftsdistrikts stieg ein Viertelmond auf. Ich betrachtete ihn fast liebevoll. Als ich dort gewesen war, hatte ich ihn gehaßt.

Als ich aus dem Auto stieg, kamen zwei Kinder in Schneeanzügen aus dem Haus, um mich zu inspizieren. »Ist euer Daddy daheim?« fragte ich.

Das eine Kind war vielleicht fünf, mit Sommersprossen und hellblauen Augen. Das andere war dunkelhaarig und braunäugig und hinkte leicht. »Daddy ist im Keller«, sagte das blauäugige. »Mummy wird Sie reinlassen, wenn Sie klingeln. Drücken Sie einfach auf den Knopf.«

»Oh, so also funktionieren diese Dinger! Danke.«

Connicks Frau entpuppte sich als attraktive, überschlanke Blondine Mitte Dreißig. Die Kinder mußten ums Haus herumgelaufen sein und Daddy alarmiert haben, denn als sie mir den Mantel abnahm, kam er bereits durch die Eingangshalle auf mich zu.

Ich schüttelte ihm die Hand. »Die Düfte aus Ihrer Küche haben mir schon klargemacht, daß das Dinner bald serviert wird. Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Mein Name ist Gunnarsen und.«

»Und Sie sind von Moultrie & Bigelow. Hier, setzen Sie sich, Mr. Gunnarsen. Sie wollen sicher wissen, ob ich mir die Sache mit dem arcturischen Stützpunkt nicht noch mal überlegen möchte. Nein, Mr. Gunnarsen, das möchte ich nicht. Aber wollen Sie nicht vor dem Dinner was mit mir trinken? Und warum bleiben Sie nicht gleich zum Dinner?«

Er war ein Original, dieser Connick. Ich mußte zugeben, daß er mich überrumpelt hatte.

»Das wäre nett - wenn's Ihnen wirklich nichts ausmacht«, sagte ich nach einer Schrecksekunde. »Sie wissen also, warum ich hier bin.«

Er goß die Drinks ein. »Nun - nicht genau, Mr. Gunnarsen. Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß ich meine Meinung ändern werde?«

»Diese Frage kann ich erst beantworten, wenn ich weiß, was Sie gegen den Stützpunkt haben.«

Er reichte mir einen Drink, dann nahm er mir gegenüber Platz und nippte nachdenklich an seinem Glas. Es war ein guter Scotch. Nach einer Weile wandte er sich um und vergewisserte sich, daß seine Kinder außer Hörweite waren, beugte sich zu mir und sagte: »Die Sache ist so, Mr. Gunnarsen. Wenn ich es könnte, würde ich jeden einzelnen Arcturer töten, auch wenn ich dafür den Tod von mehreren Millionen Erdenbürgern in Kauf nehmen müßte. Dieser Preis wäre nicht zu hoch. Ich will verhindern, daß der Stützpunkt hier errichtet wird, weil ich mit diesen mörderischen Bestien nichts zu tun haben möchte.«

»Charmant!« sagte ich und leerte mein Glas. »Wenn Sie die Einladung zum Dinner wirklich ernst gemeint haben - ich glaube, ich werde Sie beim Wort nehmen.«

Ich muß sagen, sie waren eine nette Familie. Ich habe schon mehrere Wahlkampagnen gemanagt. Connick war ein guter Kandidat, weil er ein guter Mann war. Das bewies das Benehmen seiner Kinder, und die Art, wie er sich mir gegenüber gab, war ausschlaggebend. Ich schüchterte ihn kein bißchen ein.

Natürlich war das nicht übel, von meinem Standpunkt aus betrachtet.

Während des Dinners lenkte Connick das Gespräch so, daß das Hauptthema nicht angeschnitten wurde, und das war mir nur recht. Aber als wir nach dem Essen allein waren, sagte er: »Okay. Sie können jetzt Ihren Annäherungsversuch machen, Mr. Gunnarsen. Wenn ich auch nicht weiß, warum Sie hier sind und nicht bei Tom Schlitz.«

Schlitz war sein Gegenkandidat.

»Ich nehme an, Sie wissen nichts von dieser Branche. Wozu brauche ich Schlitz? Der steht ja schon auf unserer Seite.«

»Und ich habe bereits erklärt, daß ich auf der anderen stehe. Aber das wollen Sie vermutlich ändern. Nun, wie lautet Ihr Angebot?«

Er war mir ein bißchen zu schnell. Ich tat so, als würde ich ihn nicht verstehen. »Also wirklich, Mr. Connick, ich würde Sie doch niemals beleidigen, indem ich Sie zu bestechen versuchte.«

»Das ist mir klar. Sie sind klug genug, um zu wissen, daß ich niemals Geld annehmen würde. Es geht also nicht um Geld. Was ist es denn? Wird Moultrie & Bigelow bei der Wahl für mich statt für Schlitz arbeiten? Das ist ein verdammt gutes Angebot, aber der Preis ist zu hoch. Ich werde ihn nicht bezahlen.«

»Nun, wir wären tatsächlich bereit.«

»Das dachte ich mir. Aber darauflasse ich mich nicht ein. Außerdem - glauben Sie wirklich, daß ich Hilfe brauche, um gewählt zu werden?«

Das war ein gutes Argument, wie ich gezwungenermaßen zugeben mußte. »Nein - nicht wenn auch alles andere klappt. Sie sind uns jetzt um ein paar Nasenlängen voraus, wie Ihre und unsere Hochrechnungen zeigen. Aber es wird nicht so bleiben.«

»Und damit meinen Sie, daß Sie dem alten Schlitzohr helfen wollen. Okay, dann wird eben ein Pferderennen draus.«

Ich hielt mein Glas hoch, und er füllte es nach. »Mr. Connick, ich habe Ihnen schon mal gesagt, daß Sie von dieser Branche nichts verstehen. Es ist kein Pferderennen, weil Sie gegen uns gar nicht gewinnen können.«

»Aber ich kann es Ihnen verdammt schwer machen. Jedenfalls.« Er trank nachdenklich sein Glas leer. »Jedenfalls finde ich euch Gehirnwäscher ein bißchen zu aufgebläht. Jeder weiß, wie mächtig ihr seid, und in letzter Zeit hattet ihr es gar nicht nötig, das zu demonstrieren. Ich frage mich, ob der Kaiser wirklich nackt herumläuft.«

»O nein, Mr. Connick, es ist der bestgekleidete Kaiser, den Sie je gesehen haben, mein Wort darauf.«

Er runzelte leicht die Stirn. »Das möchte ich lieber selbst herausfinden. Offen gesagt, ich glaube, die Leute haben sich bereits ihre Meinung gebildet, und die können Sie nicht mehr ändern.«

»Das müssen wir ja gar nicht«, entgegnete ich. »Wissen Sie, warum die Leute so wählen, wie sie wählen? Sie wählen nicht ihre >Gedanken<, sie wählen Geisteshaltungen und Impulse. Offengestanden, ich würde lieber mit Ihnen zusammenarbeiten als mit Schlitz. Schlitz wäre leicht zu schlagen. Er ist Jude.«

»So etwas gibt's in Beiport nicht, Mann«, sagte Connick ärgerlich.

»Sie meinen - Antisemitismus? Natürlich nicht. Aber wenn ein Kandidat Jude ist und wenn sich herausstellt, daß er vor fünfzehn Jahren einen Polizisten zu schmieren versuchte, damit der ihm keinen Strafzettel schreibt - glauben Sie mir, Mr. Connick, die Leute würden ihn nicht wählen. Das meine ich mit >Geisteshaltungen<. Ihre Wähler - nein, nicht alle, aber genügend, um die Wahl zu entscheiden - gehen in unsere Befragungszellen und lassen sich dahin und dorthin zerren. Wir brauchen ihre Meinung gar nicht zu ändern. Wir helfen ihnen nur zu entscheiden, welcher Teil ihrer Meinung zum Tragen kommen soll.« Ich ließ mein Glas wieder nachfüllen und nahm einen Schluck. Dabei merkte ich, daß ich die Wirkung des Alkohols zu spüren begann. »Nehmen wir einmal Sie, Connick«, sagte ich. »Angenommen, Sie sind ein Demokrat und Sie gehen wählen.

Wir wissen ja, wie man den Präsidenten wählt, was? Sie gehen also hin und wählen den demokratischen Kandidaten.«

»Nicht unbedingt - aber wahrscheinlich«, erwiderte Connick, nicht sonderlich beeindruckt.

»Nicht unbedingt - das ist richtig. Warum nicht unbedingt? Vielleicht, weil Sie den Burschen kennen, der für die Demokraten antritt. Oder vielleicht hat jemand, den Sie kennen, was gegen den Mann einzuwenden, weil er irgendwann mal nicht Postamtsvorsteher wurde, so wie er es gern wollte, oder weil der Kandidat im Kongreß mit den Delegierten Ihres Bekannten gestritten hat. Außerdem - Sie haben was gegen ihn, weil Sie anfangs instinktiv für ihn waren. Wie wählen Sie also? Sie wählen so, wie Sie im Augenblick des Wählens empfinden - und nicht so, wie Sie irgendwann vorher empfunden haben oder nachher empfinden werden. Das ist keine Sache des Prinzips. Es kommt nur auf den Augenblick an. Nein, wir brauchen die Meinung der Leute nicht zu ändern. Denn die meisten Leute haben nicht genug Meinung, um sie ändern zu können.«

Er stand auf, füllte geistesabwesend sein Glas nach - ich war nicht der einzige, der den Scotch zu spüren begann. »Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken«, sagte er, halb zu sich selbst.

»Oh, so übel ist das gar nicht.«

Er schüttelte den Kopf, dann riß er sich zusammen. »Danke für die Lektion. Ich wußte das nicht. Aber eins kann ich Ihnen sagen - Sie werden mich niemals dazu bringen, für die Arcturer zu stimmen - unter keinen Umständen.«

Ich grinste spöttisch. »Wie unvoreingenommen Sie doch sind! Ein großartiger Volksführer! Wie objektiv Sie alles betrachten!«

»Okay, ich bin nicht objektiv. Sie stinken.«

»Rassenvorurteile, Connick?«

»Ach, seien Sie doch kein Narr!«

»Es gibt gewisse arcturische Gerüche. Dafür können sie nichts.« »Jedenfalls will ich sie nicht in dieser Stadt haben. Niemand will das - nicht einmal Schlitz.«

»Sie würden die Arcturer gar nicht zu Gesicht bekommen Sie mögen das Erdenklima nicht, wissen Sie. Es ist zu heiß für sie, und die Luft ist zu dicht. Connick - ich wette um hundert Dollar mit Ihnen, daß Sie wenigstens ein Jahr lang keinen einzigen Arcturer sehen werden. Nicht, bevor die Basis fertig und bemannt ist. Und ich bezweifle, daß sie die Stadtbewohner nach Ablauf dieses Jahres belästigen werden. Was ist denn los?«

Er starrte mich an, als ob ich ein Idiot wäre, und das war ich vermutlich auch.

»Ich glaube«, sagte er, wieder in einem Ton, als würde er mehr zu sich selbst sprechen als zu mir, »ich habe Sie überschätzt. Sie glauben, daß Sie Gott der Allmächtige sind, und irgendwie ist es Ihnen auch gelungen, das den anderen Leuten zu suggerieren.«

»Wie meinen Sie das?«

»Unentschuldbar schlechte Personalarbeit, Mr. Gunnarsen«, sagte er und nickte weise. »Das müßte mir eigentlich gefallen. Aber es gefallt mir nicht. Es erschreckt mich. Bei all der Macht, die Sie ausüben, müßten Sie immer recht haben.«

»Spucken Sie's aus!«

»Nun, Sie werden Ihre Wette verlieren. Wußten Sie nicht, daß bereits ein Arcturer in der Stadt ist?«

3

Als ich mich wieder in den Wagen setzte, surrte das Telefon, und das Lämpchen für »aufgezeichnete Nachricht« blinkte.

»Gunner, ein Waffenstillstandteam hat die Wählerlisten gecheckt, um das Referendum zu überwachen - und jetzt paß auf: Einer von den Burschen ist ein Arcturer.«

Die Personalarbeit war also doch nicht so schlecht, nur unverzeihlich langsam. Aber das war ein schwacher Trost.

Ich rief im Hotel an und wurde mit einem Mitglied des Waffenstillstandteams verbunden - das beste, was das Hotel für mich tun konnte. Der Mann war ein Colonel und sagte: »Ja, Mr. Knafti weiß, was Sie hier machen, und hat den ausdrücklichen Wunsch geäußert, Sie nicht zu sehen. Dies ist ein Waffenstillstandteam, Mr. Gunnarsen. Wissen Sie, was das bedeutet?«

Er legte auf. Natürlich wußte ich, was das bedeutete - Hände weg! Aber ich hatte nicht gedacht, daß sie diesen Grundsatz so wörtlich nehmen würden.

Es war ein Schlag ins Kontor, egal, von welcher Seite ich es betrachtete. Weil ich mich vor Connick zum Narren gemacht hatte, wo ich doch mit dem Vorsatz hingegangen war, ihm Angst einzujagen. Weil die Arcturer tatsächlich stinken - und es ist sehr schwierig für einen PR-Mann, den Leuten ein Produkt schmackhaft zu machen, das hundert Fuß gegen den Wind wie eine verfaulte Knoblauchknolle riecht. Ich wollte nicht, daß die Wähler unsere Klienten rochen.

Und vor allem war es ein Schlag ins Kontor, weil jeder hellwache oder bornierte oder verwirrte Wähler seine Schlüsse ziehen würde. Sam, hast du schon von diesem Arcturer gehört, der uns nachspioniert? Ja, Charlie, diese verdammten Biester beschuldigen uns, daß wir die Wahl manipulieren. Genau, Sam, und soll ich dir noch was sagen? Sie stinken, Sam.

Eine halbe Stunde später bekam ich einen Anruf von Haber. »Gunner! Junge! Guter Gott! Das ist das Ende!«

»Das hört sich ja so an, als hätten Sie spitzgekriegt, daß ein Arcturer im Waffenstillstandteam ist.«

»Sie wissen es schon? Und Sie haben es mir nicht erzählt?«

Ich war nahe daran, ihn zusammenzustauchen, weil er es mir nicht gesagt hatte, aber das hätte mir nicht viel genützt. Trotzdem versuchte ich es, doch er versank wieder im Nebel seiner Ignoranz. »Ich habe nicht den leisesten Hinweis aus Chicago erhalten. Was kann ich denn dafür? Jetzt seien Sie mal fair, Gunnerboy!«

Gunnerboy war so fair, den Hörer aufzulegen.

Ich begann mich ziemlich schläfrig zu fühlen. Eine Zeitlang überlegte ich, ob ich ein Aufputschmittel schlucken sollte, aber der sanfte Schwips, den Connicks Scotch ausgelöst hatte, war recht angenehm, und außerdem war es schon spät.

Ich fuhr zum Hotel, ging in die Suite, die Candace für mich bestellt hatte, und kroch ins Bett.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis ich einschlief, aber ich nahm einen schwachen Geruch wahr. Es war dasselbe Hotel, in dem auch das Waffenstillstandteam abgestiegen war.

Ich konnte Knafti, diesen Arcturer, nicht wirklich riechen. Das bildete ich mir nur ein. Und das sagte ich mir immer vor, bis ich ins Reich der Träume hinüberglitt.

Das Telefon auf dem Nachttisch surrte, und Candaces Stimme sagte: »Wach auf und zieh dir was Anständiges an, Gunner. Ich komme hinauf.«

Mühsam setzte ich mich auf, schüttelte den Kopf und nahm Benzedrin. Wie immer machte mich das Zeug hellwach, aber zu dem üblichen Preis: daß ich das Gefühl hatte, ich hätte nicht genug geschlafen. Trotzdem schlüpfte ich in meinen Morgenmantel und war gerade im Badezimmer, um das Frühstück zu machen, als sie anklopfte. »Die Tür ist offen!« rief ich. »Willst du eine Tasse Kaffee?«

»Klar, Gunner.« Sie kam herein, blieb in der Badezimmertür stehen und sah zu, wie ich die Spritzkanne zum Kochen brachte, zwei Tassen mit heißem Wasser füllte und Pulverkaffee hineinrührte. Dann stellte ich die Spritzkanne ab.

»Orangensaft?« fragte ich. Sie nahm den Kaffee und schüttelte den Kopf. Also füllte ich nur einen Becher, trank ihn leer, warf ihn in den Abfalleimer und ging mit meiner Tasse in den anderen Raum. Das Bett hatte sich bereits selbsttätig abgezogen und war nun eine Couch. Ich setzte mich darauf und nippte an meinem Kaffee. »Also, Schätzchen, was hat Connick auf dem Kerbholz?« fragte ich.

Sie zögerte, dann öffnete sie ihre Tasche und nahm eine Fotokopie heraus. Es war die Reproduktion eines alten Stahlstichs, und darauf stand in antiker Schrift: Die Army der Vereinigten Staaten - Bekanntmachung an alle Männer - DANIEL T. CONNICK ASIN Aj-32880515 wurde heute aus dem Militärdienst der Vereinigten Staaten entlassen, zum Wohle der Regierung. Außerdem wird allen Männern mitgeteilt, daß er wegen Wehrunwürdigkeit aus der Army ausgestoßen wurde.

»Na, siehst du, Schätzchen!« sagte ich. »Das ist ja immerhin etwas.«

Candace trank ihre Kaffeetasse leer, stellte sie behutsam auf ein Fensterbrett, dann nahm sie sich eine Zigarette. Das sah ihr ähnlich. Sie machte immer eins nach dem anderen und hatte einen Sinn für Ordnung, mit dem ich mich nicht messen konnte und den ich auch nicht ertrug. Zweifellos wußte sie, was ich dachte, weil sie es zweifellos auch dachte aber in ihrer Stimme klangen keine nostalgischen Gefühle mit, als sie sagte: »Du warst gestern abend bei ihm, nicht wahr? Und du willst ihn immer noch fertigmachen?«

»Ich werde dafür sorgen, daß er eine Wahlniederlage erleidet -ja. Dafür werde ich bezahlt. Ich und noch ein paar andere Leute.«

»Nein, Gunner. Dafür werde ich nicht von M & B bezahlt, denn soviel Geld kann es gar nicht geben.«

Ich stand auf und ging zu ihr. »Willst du noch eine Tasse Kaffee? Nein? Na, ich glaube, ich will auch keine mehr. Schätzchen.«

Candace erhob sich, durchquerte das Zimmer und setzte sich auf einen Stuhl mit gerader Lehne. »Du wachst plötzlich auf, nicht wahr? Wechsle das Thema nicht! Wir sprachen gerade über.«

»Wir sprachen über einen Job, für den wir bezahlt werden. Okay, du hast einen Teil davon für mich erledigt. Du hast mir eine Information über Connick beschafft, die ich gebraucht habe.«

Ich brach ab, weil sie den Kopf schüttelte. »Ich bin mir nicht so sicher, ob ich das getan habe.«

»Wie meinst du das?«

»Nun, es steht nicht auf der Fotokopie, aber ich weiß, warum er wehrunwürdig war. Wegen >Desertion in gefährlicher Lage<. Er war mit der U.N. Space Force auf den Mond geflogen -1998.«

Ich nickte, weil ich wußte, wovon sie sprach. Connick war nicht der einzige. In diesem Jahr war die halbe Space Force zusammengebrochen. Im November. Ein gewaltiger Leoniden-Meteoritenhagel und gleichzeitig eine Sonnenfackel.

Die Kommandanten der Space Force hatten beschlossen, runterzufliegen, und die U.S. Army ersucht, jeden Soldaten, der davongerannt war und sich irgendwo verkrochen hatte, vor ein Kriegsgericht zu stellen. Die Army war bereitwillig darauf eingegangen. »Aber die meisten sind doch vom Präsidenten begnadigt worden«, sagte ich. »Er nicht?«

Candace schüttelte den Kopf. »Er hat kein Gnadengesuch eingereicht.«

»Hm. Jedenfalls steht es immer noch in den Akten.« Ich ließ das Thema fallen. »Jetzt was anderes. Was ist mit diesen Kindern?«

Sie drückte ihre Zigarette aus und sprang auf. »Ich bin bereit. Das stand ja auf deiner Liste. Also, zieh dich an.«

»Wozu?«

Sie lächelte. »Erstens, um meinen Seelenfrieden zu bewahren. Und zweitens, um das Kinderproblem zu untersuchen, wie du es ausgedrückt hast. Ich habe für dich einen Termin in der Klinik ausgemacht, in fünfundfünfzig Minuten.«

Ich muß vorausschicken, daß ich nichts über die Kinder wußte. Ich hatte nur Gerüchte gehört. Der gute Haber hatte es natürlich nicht für notwendig gehalten, mir irgend etwas zu erklären. Und Candace sagte nur: »Warte, bis wir im Krankenhaus sind, dann wirst du es selber sehen.«

Die Donnegan-Klinik bestand aus cremefarbenen Keramikziegeln, war sieben Stockwerke hoch, hatte eine Klimaanlage und Leuchtmauern und winzige Asepsislampen, die blau funkelten, wenn sich die Ventilationsröhren öffneten. Candace parkte den Wagen in einer Tiefgarage und führte mich zum Lift und dann in einen Warteraum. Sie schien sich hier sehr gut auszukennen. Nachdem sie auf ihre Uhr geblickt hatte, sagte sie mir, daß wir ein paar Minuten zu früh dran wären. Sie zeigte auf einen Orientierungsplan, ein Wandgemälde aus bunten Lichtern, das den Besuchern zeigte, wie sie zu ihrem Ziel kamen. Es zeigte auch, sehr eindrucksvoll, die Größe und Anlage der Donnegan-Klinik. Sie hatte zweiundzwanzig voll ausgestattete Operationssäle eine Organbank für Transplantationen, Röntgen- und Radiochemieabteilungen, eine Kryogenik-Zentrale, die modernste Prothesenfabrik der ganzen Welt, eine geriatrische Abteilung, zahllose Krankenzimmer.

Und was am wichtigsten war - die Klinik besaß auch eine gut ausgestattete und überfüllte pädriatische Abteilung.

»Ich dachte, Donnegan wäre von der Fürsorgeverwaltung für Kriegsteilnehmer gebaut worden«, sagte ich.

»Genau. Da kommt unser Mann.«

Ein Navy Officer trat ein und gab Candace lächelnd die Hand. »Hallo! Was für ein erfreuliches Wiedersehen! Und das muß Mr. Gunnarsen sein.«

Candace machte uns miteinander bekannt, als wir uns die Hände schüttelten. Der Bursche hieß Commander Whitling. Sie nannte ihn Tom. »Wir müssen uns beeilen«, sagte er zu ihr. »Nachdem ich mit Ihnen telefoniert hatte, wurde für elf Uhr ein Manöver für alle Mann anberaumt. Irgendwelche hohen Tiere wollen die Klinik inspizieren. Ich möchte Sie ja nicht hetzen -aber es wäre schön, wenn wir den Leuten nicht vor die Füße laufen würden. Was wir da machen, ist nämlich ein bißchen irregulär.«

»Nett von Ihnen, daß Sie das arrangiert haben«, sagte ich. »Dann wollen wir mal.«

Wir fuhren mit dem Lift in das oberste Stockwerk und betraten einen Korridor, der mit Wandgemälden von Disney und Mother Goose geschmückt war. Von einer Sonnenterrasse drangen die Klänge einer Musicbox herein. Drei Kinder, die Fangen spielten, stürmten schreiend an uns vorbei. Sie kamen recht schnell voran, wenn man bedachte, daß zwei davon auf Krücken gingen. »Was machen Sie denn hier, zum Teufel?« rief Commander Whitling mit scharfer Stimme.

Ich sah zweimal hin, aber er redete weder mit mir noch mit den Kindern, sondern mit einem Mann, der ein junges Gesicht und einen dichten schwarzen Bart hatte. Er stand hinter einem Donald Duck-Mobile und schaute ziemlich schuldbewußt drein.

»Oh, hallo, Mr. Whitling«, sagte der Mann. »Ich habe mich offenbar schon wieder verirrt, als ich zum Kiosk wollte.«

»Carhart«, sagte der Commander gefahrlich leise, »wenn ich Sie noch einmal in dieser Abteilung erwische, können Sie den Kiosk für ein ganzes Jahr vergessen.«

»Okay, Mr. Whitling.« Als der Mann salutierte und sich mit gekränkter Miene abwandte, sah ich, daß der linke Ärmel seines Bademantels leer in einer Tasche steckte.

»Ständig muß man aufpassen, daß sie nicht hier reinkommen«, sagte Whitling seufzend. »Hier sind wir also, Mr. Gunnarsen. Jetzt können Sie sich alles anschauen.«

Ich blickte mich aufmerksam um. Da waren unzählige Kinder -humpelnde Kinder, stolpernde Kinder, bleiche Kinder, müde Kinder. »Was genau sehe ich eigentlich?« fragte ich.

»Die Kinder, Mr. Gunnarsen. Die Kinder, die wir befreit haben. Die Kinder, die von den Arcturern auf dem Mars gefangengenommen wurden.«

Und da klickte es in meinem Gehirn. Ich erinnerte mich, daß die Arcturer eine Marskolonie besetzt hatten.

Interstellare Kriege werden im Schneckentempo geführt, weil es so lange dauert, von einem Stern zum anderen zu fliegen. Die Hauptschlachten unseres Krieges mit den Arcturern waren in Erdennähe geschlagen worden - auf dem Mars - und die Flottengefechte rings um den Orbit des Saturn. Trotzdem hatte es vom Überraschungsangriff auf die Marskolonie bis zur Unterzeichnung des Waffenstillstandsvertrages in Washington elf Jahre gedauert.

Ich erinnerte mich auch, daß ich eine rekonstruierte TV-Aufzeichnung von diesem Überraschungsangriff gesehen hatte. Es war an einem heißen Sommertag gewesen, um die Mittagszeit. Das Eis zerschmolz zu Wasser. Die kleine Kolonie rings um die Südlichen Quellen war der Schauplatz der Ereignisse. Aus der kleinen sinkenden Sonne tauchte ein Schiff auf.

Es war eine Rakete aus schimmerndem goldenem Metall, und sie kam herab, mit einer Gloriole aus Goldstrahlen rings um den auswärts gebogenen Bug, die wie die fleischigen Auswüchse an der Rüsselspitze eines Sternmull aussahen. Mit elektrischem Knistern landete die Rakete auf dem feinkörnigen orangegelben Sand, und die Arcturer stiegen aus.

Natürlich hatte damals noch niemand gewußt, daß es Arcturer waren. Sie hatten in einem langen, anekliptischen Orbit die Sonne umflogen, hatten das All beobachtet und studiert und sich den kleinen Marsaußenposten als Angriffsziel ausgesucht. Im Wirkungsbereich der Marsgravitation waren sie Zweibeiner. Zwei ihrer schleimigen Gliedmaßen genügten, um sie vom Boden zu erheben, mannshoch, in goldenen Luftdruckanzügen. Die Kolonisten kamen angelaufen, um sie zu begrüßen - und wurden getötet. Alle Erwachsenen.

Doch die Kinder waren nicht getötet worden - jedenfalls nicht so schnell oder leichtfertig. Einige waren überhaupt nicht getötet worden - und ein Teil dieser Kinder war jetzt in der Donnegan-Klinik.

Aber nicht alle.

Langsam begann mein kleines Gehirn zu begreifen, und ich sagte: »Das sind also die Überlebenden.«

»Die meisten, Gunner«, erwiderte Candace, die dicht neben mir stand. »Die Kinder, die so krank sind, daß sie nicht ins normale Leben zurückgeschickt werden können.«

»Und die anderen?«

»Nun, die haben keine Familien mehr. Ihre Verwandten wurden ja alle getötet. Also wurden sie hier in Beiport adoptiert. Hundertundacht - stimmt das, Tom? Vielleicht begreifst du jetzt so ungefähr, worauf du dich eingelassen hast, Gunner.«

In dieser Abteilung waren etwa hundert Kinder untergebracht. Aber ich sah sie nicht alle. Einige konnte man nicht sehen.

Whitling erzählte mir davon, aber er konnte mir den Bluttemperaturraum, in dem die kleinsten Kinder und die schlimmeren Fälle lebten, nicht zeigen. Man hatte dort eine gnotobiotische Atmosphäre erzeugt, etwas sauerstoffhaltiger und feuchter als die normale Luft. Ein verstärkter Luftdruck unterstützte den schwachen Metabolismus der Kinder, so daß sich der Sauerstoff gleichmäßig in allen Körperteilen ausbreiten konnte. Rechts von diesem Raum befanden sich die kleinen Einzelzimmer, wo die allerschlimmsten Fälle lagen. Die Ansteckenden. Die Unheilbaren. Die Unglücklichen, deren bloßes Auftauchen für die anderen schädlich wäre. Whitling war so freundlich, die Polarisatorläden zu öffnen, so daß ich mir einige der Kinder ansehen konnte, die da lagen - oder sich wanden oder steif wie Stöcke dastanden -, in permanenter Einsamkeit. Die Arcturer hatten ihre Bemühungen unter anderem auf Transplantationen gerichtet, und das Projekt mußte von einem sehr absonderlichen Geist ersonnen worden sein. Das jüngste Kind war etwa drei, das älteste achtzehn oder neunzehn.

Es war ein irritierender Anblick, und ich verzichte darauf, meine Gefühle zu kommentieren, da es ohnehin offenkundig ist, was ich gefühlt habe.

Kinder in Nöten. Natürlich, die Kinder, die man wieder ins normale Leben integriert hatte, waren nicht so schlimm dran wie diese hier. Aber ihr Anblick griff einem ans Herz. Auch ich war nicht immun dagegen. Und jedesmal, wenn ein Adoptivelternpaar oder deren Nachbarn oder Passanten, die den Kindern zufällig auf der Straße begegneten, dieses Ziehen in der Herzgegend spürten, würden sie nur einen einzigen Gedanken denken - das haben die Arcturer getan.

Denn nach dem Mord an den potentiell gefahrlichen Erwachsenen hatten sie die wehrlosen Kinder als wertvolle Forschungsobjekte in Käfige gesperrt.

Und ich hatte gehofft, ich könnte mit fünfhundert arcturischen Haustieren dagegen angehen.

Whitling führte mich durch die Abteilung, und ich hörte es seiner Stimme an, wie sehr er mein Tun verabscheute, denn er liebte diese Kinder und bemitleidete sie. »Hallo, Terry!« sagte er auf der Sonnenterrasse, beugte sich über ein Bett und streichelte das schneeweiße Haar des kleinen Patienten. Terry sah lächelnd zu ihm auf. »Er kann uns natürlich nicht hören«, sagte Whitling. »Wir haben ihm vor vier Wochen neue Gehörnerven eingepflanzt - ich habe es selbst getan. Aber sie haben nicht überlebt. Es war schon der dritte Versuch. Natürlich stellt jeder Versuch ein größeres Risiko dar als der vorangegangene -wegen der Antikörper.«

»Er sieht nicht älter aus als fünf.«

Whitling nickte.

»Aber der Angriff auf die Kolonie war doch.«

»Oh, ich verstehe, was Sie meinen«, unterbrach er mich. »Die Arcturer waren natürlich auch an der Fortpflanzung interessiert. Ellen, die uns vor zwei Wochen verließ, war erst dreizehn. Aber sie hatte sechs Kinder. Und das ist Nancy.«

Nancy war vielleicht zwölf, hatte aber den Gang und die Armbewegung einer Zweijährigen. Sie kam hereingestolpert, auf der Jagd nach einem Ball, und starrte mich voller Abneigung und Mißtrauen an. »Nancy ist einer der Fälle, die wir heilen konnten«, sagte Whitling stolz. Er sah meinen ungläubigen Blick und fügte hinzu: »Oh, das ist nicht schlimm. Sie ist auf dem Mars aufgewachsen und hat sich noch nicht an die Erdenschwerkraft gewöhnt. Sie ist nicht langsam - aber der Ball springt ihr zu schnell davon. Und hier ist Sam.«

Sam war etwa zehn und lag kichernd in seinem Bett, wo er die offenbar sehr ermüdende Turnübung machte, den Kopf von der Matratze zu heben. Eine Krankenschwester in rotweiß gestreifter Tracht zählte die Sekunden, während er mit der Brust das Kinn berührte - eins - und - zwei, eins - und - zwei. Er machte es fünfmal, dann ließ er grinsend den Kopf zurücksinken.

»Sams Zentralnervensystem ist fast verschwunden«, sagte Whitling liebevoll. »Aber wir machen Fortschritte. Die Regeneration des Nervensystems ist natürlich äußerst.« Ich hörte nicht mehr zu. Ich starrte auf Sams grinsenden Mund, auf die schwarzen, gebrochenen Zähne. »Die Auswirkung einer Diät«, erklärte Whitling, der meinem Blick auch diesmal gefolgt war.

»Okay«, sagte ich. »Ich habe genug gesehen. Ich möchte verschwinden, bevor ich noch zum Windelwechseln antreten muß. Commander Whitling, ich danke Ihnen. Wo geht's hinaus?«

4

Ich wollte nicht in Habers Büro zurückkehren. Ich hatte Angst vor dem Gespräch, das dort vielleicht stattfinden würde. Aber ich mußte mich über den Fortgang unserer Arbeit informieren, und ich mußte was essen.

Also nahm ich Candace in meine Hotelsuite mit und bestellte den Lunch beim Zimmerkellner.

Ich stand am Thermalfenster und blickte auf die Stadt hinab, während Candace das Büro anrief. Ich hörte nicht einmal zu, denn sie wußte, was ich in Erfahrung bringen wollte. Ich stand nur da und beobachtete, wie Beiport zu meinen Füßen einen langweiligen Durchschnittsmontag abwickelte. Beiport war eine Radialstadt, mit einem urbanen Zentralgewirr aus den pilzförmigen Gebäuden, die vor zwanzig Jahren beliebt gewesen waren. Auch das Hotel gehörte dazu, und von meinem Fenster aus sah ich drei andere, die mich überragten oder nur bis zu meinen Füßen reichten, rechts und links, und dahinter erhoben sich die Kathedraltürme der Wohnblöcke. Ich sah eine Schlange aus bunten Autos, die auf einer der Verkehrsstraßen langsam dahinkroch, mit den bunten Aufklebern unserer Pro-ReferendumKampagne verziert - oder mit den Aufklebern der Opposition. Aus vierhundert Fuß Höhe betrachtet, schien das keine Rolle mehr zu spielen.

»Weißt du, Schätzchen«, sagte ich, als Candace das 3-V-Telefon abschaltete, »das alles hat keinen Sinn. Ich gebe zu, daß die Kinder arm dran sind und daß das sehr traurig ist. Wer kann schon kranken Kindern widerstehen. Aber sie haben überhaupt nichts mit der Frage zu tun, ob die Arcturer draußen auf dem See eine Telemetrie- und Gemüsebaustation errichten dürfen oder nicht.«

»Bist du nicht der Mann, der mir mal erzählt hat, daß Logik überhaupt nichts mit Public Relations zu tun hat?« Candace kam zu mir ans Fenster, setzte sich aufs Sims und las mir ihre Notizen vor: »Statistikindex um einen weiteren halben Punkt gesunken. Haber besteht darauf, daß ich dir sage, dies sei als Sieg zu betrachten. Ohne die Arcturus-Katzen wären es zwei Punkte gewesen. Die Briefe an die Geschäftsleute sind abgeschickt. Chicago hat nichts dagegen, daß wir das Budget überziehen. Das wäre alles.«

Es klingelte an der Tür, und sie ging hin, um den Kellner mit unserem Lunch hereinzulassen. Ich beobachtete sie ohne Appetit, abgesehen von dem Faktor, der nichts mit unserem Menü zu tun hatte - Candace selbst. Aber ich versuchte zu essen.

Candace schien es ziemlich egal zu sein, ob ich was zu mir nahm oder nicht, denn sie tat nichts, um meinen Appetit zu fördern. Sie tat sogar etwas, das überhaupt nicht zu ihr paßte. Während des ganzen Essens redete sie unaufhörlich über ein einziges Thema - die Kinder. Ich erfuhr, daß Nina fünfzehn gewesen war, als man sie in die Donnegan-Klinik eingeliefert hatte. Sie hatte die Marsbesetzung vom Anfang bis zum Ende mitgemacht, wollte mit niemandem sprechen und schrie, wenn man ihr nicht erlaubte, sich unter ihrem Bett zu verkriechen. »Nach sechs Monaten haben sie ihr eine Puppe gegeben, und mit der hat sie schließlich gesprochen.«

»Wieso weißt du das alles?« fragte ich.

»Tom hat es mir erzählt. Und dann die keimfreien Kinder.«

Sie berichtete von den vielen Injektionen und Knochenmarktransplantationen, die erforderlich gewesen waren, um die Abwehrreaktionen in den Körpern dieser Kinder wiederherzustellen, ohne die Patienten zu töten. Und sie erzählte von den Kindern mit den zerstörten Gehörnerven und Stimmbändern. Offenbar hatten die Arcturer die Frage untersucht, ob die Menschen ohne die Fähigkeit, Wörter zu artikulieren, vernünftig denken können. Und da waren die induzierten Bluter. Die Kinder ohne Tastsinn, die Kinder mit dem Muskelschwund.

»Und das hat Tom dir alles erzählt?«

»Noch viel mehr, Gunner. Du darfst nicht vergessen, daß das die Überlebenden sind. Einige Kinder wurden absichtlich.«

»Wie lange kennst du Tom schon?«

Sie legte ihre Gabel auf den Tisch, tat Zucker in ihren Kaffee, rührte darin, dann sah sie mich über den Tassenrand hinweg an.

»Oh, seit ich hier bin. Zwei Jahre. Damals waren die Kinder noch nicht hier.«

»Vermutlich kennst du ihn sehr gut.«

»O ja.«

»Er scheint diese Kinder wirklich zu mögen. Das habe ich ihm angesehen. Und du magst sie auch.« Ich trank von meinem Kaffee, der wie verdünnte Schweineschlempe schmeckte, griff nach einer Zigarette und sagte: »Ich glaube, ich habe zu lange gewartet. Ich meine, was die Situation hier betrifft. Findest du nicht auch?«

»Ja, Gunner«, sagte sie vorsichtig. »Ich glaube, du hast den Anschluß verpaßt.«

»Ich werde dir erzählen, was ich noch denke, Schätzchen. Ich glaube, du willst mir irgendwas sagen, und es hat nicht das geringste mit Punkt vier auf dem Wahlzettel nächste Woche zu tun.«

Und sie erwiderte: »Du hast recht, Gunner. Ich werde Tom Whitling am Weihnachtstag heiraten.«

Ich schickte sie ins Büro zurück und streckte mich auf meinem Bett aus, rauchte und beobachtete, wie der Rauch von den Wandventilatoren eingesogen wurde. Es war still und friedlich, denn ich hatte dem Empfangschef mitgeteilt, daß ich bis auf weiteres keine Anrufe wünschte, und ich fühlte überhaupt nichts.

Vollkommenheit ist so selten, daß es interessant ist, eine Situation zu finden, in der man sich von Anfang bis Ende vollkommen falsch verhalten hat.

Hätte ich meine kleine Liste hervorgeholt, ich hätte alle Punkte abhaken können, so oder so. Ich hatte Haber nicht gefeuert, und das wollte ich auch gar nicht mehr, denn er hatte sich bei diesem Spezialjob nicht viel dümmer angestellt als ich. Das war durch den Lagebericht erwiesen worden. Ich hatte das Kinderproblem untersucht. Ein bißchen zu spät. Ich hatte mit Connick gesprochen, dem Oppositionsvertreter Nummer eins, und was ich über ihn erfahren hatte, würde ihm weh tun, okay. Aber ich hatte wirklich keine Ahnung, wie das unserem Job dienlich sein sollte. Und ich würde Candace Harmon ganz gewiß nicht heiraten.

Und wenn ich schon dabei bin, dachte ich, während ich mir eine neue Zigarette am Stummel der alten anzündete, da war noch ein fünfter Punkt auf der Liste. Den hatte ich auch vermasselt.

Die klassischen Beispiele der Public Relations zeigen deutlich, wie wenig Vernunft mit Meinungsforschung zu tun hat, und doch war ich in die älteste und schwachsinnigste Falle getappt, die für Flunkerer aufgestellt wird. Denken Sie doch mal an die historischen Flunkerglanzstücke: »Die Juden stachen Deutschland in den Rücken.« - »Achtundsiebzig (oder neunundfünfzig oder hundertdrei) stimmberechtigte Kommunisten im Außenministerium!« - »Ich will nach Korea!« Es genügt nicht, daß ein Thema rational ist. Es ist sogar schlecht, wenn es rational ist -falls man damit die Drüsen der Menschen in Bewegung setzen will, weil es in erster Linie neu und frisch erscheinen muß und so revolutionär einfach, daß es ein ungeheures, verwirrtes und widerwärtiges Problem mit ungeahntem, hoffnungsvollem Licht umstrahlt. Zumindest muß der Durchschnittsmensch diesen Eindruck gewinnen. Und da er viele, trübe, angsterfüllte Stunden mit der Überlegung verbracht hat, wie er angesichts eines bankrotten Deutschlands oder einer drohenden Zerrüttung oder eines sinnlosen Krieges seine Haut retten kann, wird man dieser Problematik niemals mit einer rationalen Lösung begegnen können. Weil er die rationalen Lösungen alle schon überdacht und festgestellt hat, daß sie unbrauchbar sind oder mehr kosten würden, als er zu zahlen bereit ist.

Also hätte ich mich in Beiport auf eine bunte, irrationale, ablenkende Thematik konzentrieren müssen. Auf die »große Lüge«, wenn Sie so wollen. Aber ich hatte nicht einmal eine »kleine raffinierte, versteckte Schwindelei« gefunden.

Es war interessant zu eruieren, auf wie viele Arten ich das Falsche getan hatte. Was das Allerfalscheste war - ich hatte mir Candace Harmon durch die Lappen gehen lassen. Und während ich diese Gedanken wälzte und mich selbst beinahe schon verachtete, klingelte es glücklicherweise an der Tür, und ich machte auf, und da stand dieser Bursche im Olivgrün der Space Force und sagte: »Kommen Sie mit, Mr. Gunnarsen, das Waffenstillstandteam will mit Ihnen reden.«

Für einen erstarrten Augenblick war ich wieder neunzehn Jahre alt. Ich war Raketensoldat 3/c auf dem Mond und schützte die Aristarchus-Basis vor Invasoren aus dem äußeren Universum. (Damals hatten wir das als großen Witz betrachtet. Das beweist wieder mal, wie plötzlich manche Witze an Komik verlieren können.) Dieser Bursche war ein Colonel und hieß Peyroles. Er führte mich den Korridor hinab, zu einem Privataufzug, von dessen Existenz ich bisher nichts gewußt hatte, und hinauf in die flache Kuppel des Pilzes und in eine Suite, neben der sich meine wie ein Kellerloch unterhalb einer Hundehütte in Old Levittown ausgenommen hätte. Der Gestank war überwältigend. Aber ich hatte die hastige Begrüßung durch die Spitzenoffiziere bereits hinter mich gebracht und konnte mir ein Papiertaschentuch vor die Nase halten. Der Colonel sah mich nicht einmal an.

»Setzen!« bellte der Colonel und ließ mich vor einem Kamin ohne Feuer stehen. Irgend etwas ging hier vor. Ich hörte Stimmen, die aus einem anderen Raum drangen - viele Stimmen.

».in effigie verbrannt, und bei Gott, wir werden einen wirklichen verbrennen.«

».riecht wie ein Iltis.«

».dreht mir den Magen um.«, und dieser letzte Bursche, wer immer er auch war, kam der Wahrheit verdammt nahe, wenn ich den Geruch auch wenige Minuten, nachdem ich in die Suite gekommen war, fast vergessen hatte. Seltsam, daß man sich daran gewöhnen konnte. Es war wie bei einem überreifen Käse -der erste Hauch warf einen fast um, aber die Geruchsnerven bekamen die Situation schnell in den Griff und bauten ein Verteid igungsbollwerk auf.

».okay, der Krieg ist vorbei, und wir müssen mit ihnen auskommen, aber die Heimatstadt eines Mannes.«

Was immer es auch war, das sich im Nebenraum abspielte, es ging sehr laut vonstatten. Wenn Arcturer in der Nähe waren, verlor man die Beherrschung immer ziemlich schnell, weil man durch den Gestank irritiert wurde. Die Menschen mögen keine üblen Gerüche. Üble Gerüche sind nicht schön. Sie erinnern uns an Schweiß und Exkremente, gegen die wir uns zu wappnen pflegen und die wir als reale, persönliche Fakten verdrängen. Nun erklang ein lauter, militärischer Ruf, der sofortige Ruhe befahl. Ich erkannte Colonel Peyroles' Stimme - und dann hörte ich eine andere Stimme, die merkwürdig und nicht ganz menschlich klang, obwohl sie Englisch sprach. War das der Arcturer? War das dieser Knafti? Aber man hatte mir doch gesagt, daß sie keine menschlichen Laute von sich geben könnten.

Wer immer es auch war, er bereitete der Konferenz ein Ende. Die Tür öffnete sich.

Dahinter sah ich etwa zwei Dutzend feindselige Rücken, die sich durch eine andere entfernten, und den Space Force Colonel, der auf mich zukam, begleitet von einem sehr jungen Mann in Zivilkleidung mit bleichem Engelsgesicht und Beinleiden und. Ja, es war der Arcturer. Er war der erste, den ich innerhalb einer so kleinen Gruppe und aus der Nähe sah. Er watschelte zu mir, auf fünf oder sechs seiner Kleiderbügelglieder, den atmenden Brustkasten in Gold gepanzert. Das Heuschreckengesicht mit den glänzenden schwarzen Augen starrte mich an.

Peyroles schloß die Tür, nachdem sie alle eingetreten waren. Er wandte sich zu mir und sagte: »Mr. Gunnarsen. Knafti. Timmy Brown.«

Ich hatte nicht die geringste Ahnung, ob ich etwas zum Schütteln anbieten sollte, und wenn ja, was. Aber Knafti sah mich nur ernsthaft an. Der Junge nickte.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Gentlemen«, sagte ich. »Wie Sie vielleicht wissen, wollte ich schon vorher einen Termin ausmachen, wurde aber abgewiesen. Ich nehme an, daß der Schuh nun am anderen Fuß steckt.«

Colonel Peyroles blickte mit gerunzelter Stirn zu der Tür, die er soeben geschlossen hatte. Dahinter wurde immer noch gelärmt. »Sie haben ganz recht«, sagte er zu mir. »Das war eine Versammlung eines Bürgerkomitees.«

Er brach ab, als die Tür aufflog. Ein Mann beugte sich heraus und schrie: »Peyroles! Kann dieses Ding verstehen, was weiße Menschen sprechen? Ich hoffe es. Ich hoffe, daß es hört, was ich jetzt sage. Ich werde es mit diesen meinen Händen auseinandernehmen, wenn es morgen um diese Zeit noch in Beiport ist. Und wenn mir dabei irgendein menschliches Wesen oder ein sogenanntes menschliches Wesen wie Sie in die Quere kommt, werde ich das auch auseinandernehmen!« Er schlug die Tür zu, ohne auf eine Antwort zu warten.

»Da sehen Sie, wie es ist«, sagte Peyroles verdrossen. Im Kreis seiner beherrschten Soldaten mußte er sich natürlich nicht mit solchen Ärgernissen abquälen. »Darüber wollten wir mit Ihnen sprechen.«

»Ich verstehe«, sagte ich, und ich verstand es wirklich, sogar sehr gut. Denn der Bursche, der sich aus der Tür gebeugt hatte, war der Arcturus-Basis-Bannerträger, mit dem wir gerechnet hatten, der alte - wie hatte Connick ihn genannt? -, der alte Schlitz, das Schlitzohr, der Mann, für dessen Wahl wir uns stark machten, weil wir hofften, dadurch das Referendum zu unseren Gunsten entscheiden zu können.

Nach dem Lärm zu schließen, den die Bürgerdelegation machte, lag eine Lynchjustiz in der Luft. Ich begriff nun, warum sie über ihren eigenen Schatten gesprungen waren und mich hinzugezogen hatten, bevor die Dinge völlig außer Kontrolle gerieten und in einen Mord ausarteten - falls man die Tötung eines Arcturers als Mord bezeichnen konnte.

Obwohl - wenn sie Knafti lynchten, wäre das nicht das Schlimmste, was passieren konnte. Die von Sentiments geprägte öffentliche Meinung könnte sich um hundertachtzig Grad drehen.

Ich verdrängte diesen Gedanken und kam zur Sache. »Um was geht es nun eigentlich?« fragte ich. »Vermutlich wollen Sie, daß ich was für Ihr Image tue.«

Knafti setzte sich - falls man das bei den Arcturern als setzen bezeichnen kann - auf ein Gestell, um das er seine Gliedmaßen schlang. Der bleiche Junge flüsterte ihm etwas zu, dann kam er zu mir. »Mr. Gunnarsew«, sagte er, »ich bin Knafti.« Er sprach die Vokale sehr präzise aus und betonte jedes Satzende, als ob er sein Englisch aus einem Schulbuch gelernt hätte. Es fiel mir nicht schwer, ihn zu verstehen. Zumindest verstand ich, was er sagte. Aber ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, was er meinte, und Peyroles mußte mir dabei helfen.

»Er sagt, daß er in diesem Augenblick für Knafti spricht«, erklärte der Colonel. »Er ist der Dolmetscher. Klar?«

Der Junge bewegte die Lippen - um das Getriebe in Gang zu setzen, wie es den Anschein hatte - und sagte dann: »Das stimmt, ich bin Timmy Brown, Knaftis Dolmetscher und Assistent.«

»Dann fragen Sie Knafti, was er von mir will.« Ich versuchte so zu sprechen wie er - mit einer Art Niesen statt des K's und einem unbeschreiblichen Pfeiflaut statt des f's.

Wieder bewegte Timmy Brown die Lippen und sagte: »Ich, Knafti, wünsche, daß Sie Ihre Operation in Beiport beenden -abschließen - stoppen.«

Der Arcturer zog eine paar Gliedmaßen aus seinem Schlinggestell, vollführte mehrere Schlangenbewegungen und zwitscherte wie ein Eichhörnchen. Der Junge zwitscherte zurück und sagte: »Ich, Knafti, danke Ihnen für Ihre wirkungsvolle Arbeit, möchte aber, daß Sie damit Schluß machen.«

»Damit meint er, daß Sie die ganze Sache abblasen sollen«, murmelte Colonel Peyroles.

»Führen Sie lieber einen interstellaren Krieg, Peyroles. Timmy - ich meine, Knafti, ich werde für diesen Job bezahlt. Die Arcturus-Konföderation hat uns engagiert. Ich empfange meine Befehle von Arthur S. Bigelow junior und werde sie ausführen, egal, ob das Knafti paßt oder nicht.«

Tschilpen und Gezwitscher zwischen Knafti und dem bleichen, hinkenden Jungen. Der Arcturer verließ sein Schlinggestell und watschelte zum Fenster, blickte in den Himmel und auf den Hubschrauberverkehr. Timmy Brown sagte: »Es spielt keine Rolle, wie Ihre Befehle lauten. Ich, Knafti, teile Ihnen mit, daß Ihre Arbeit schädlich ist.« Er zögerte, dann fuhr er fort und flüsterte vor sich hin: »Wir wünschen nicht, hier eine Basis auf Kosten der Wahrheit zu errichte. Und.« Er drehte sich flehentlich zu dem Arcturer um. »Und es ist offensichtlich, daß Sie versuchen, die Wahrheit zu ändern.«

Er tschilpte den Arcturer an, der seine blinden schwarzen Augen vom Fenster abwandte und auf uns zukam. Arcturer gehen nicht. Sie schleppen sich auf dem unteren Teil des Brustkastens dahin. Ihre Gliedmaßen sind elastisch und dünn, und was sie nicht zur Fortbewegung brauchen, verwenden Sie, um zu gestikulieren. Knafti benützte jetzt eine ganze Reihe seiner Gliedmaßen, als er einen Schwall von Zwitscherlauten auf den Jungen losließ.

»Sonst«, beendete Timmy Brown das Gespräch, »muß ich, Knafti, Ihnen sagen, daß wir einen neuen Krieg führen werden.«

Sobald ich in meinem Zimmer angekommen war, meldete ich mich per Fernschreiber in Chicago, um neue Befehle und eine Klärung der Dinge zu erbitten, und erhielt die Antwort, mit der ich gerechnet hatte: »Alle Aktionen stoppen. ASB-jr. wird konsultiert. Erwarten Sie Instruktionen.«

Und so wartete ich. Zwischendurch rief ich Candace im Büro an, um den neuesten Situationsbericht zu bekommen. Ich erzählte ihr von der Beinahe-Revolte in der Suite des Waffenstillstandteams und fragte sie, was das alles zu bedeuten hatte. Sie zuckte mit den Schultern. »Wir haben nur ihre Terminpläne, und darauf steht: Konferenz mit Bürgerdelegation. Aber eines der Komiteemitglieder hat eine Sekretärin, die immer mit einem Mädchen aus unserer Buchhaltungs- und Archivabteilung Mittagessen geht und.«

»Und du wirst alles rausfinden. Okay, tu das. Wie sieht's zur Zeit bei euch aus?«

Sie las mir eine Zusammenfassung der einzelnen Besprechungen und Lageberichte vor. Sie waren gemischt, aber nicht übel. Die Statistikkurve der öffentlichen Meinung stieg leicht nach oben an, zugunsten der Arcturer. Das war nicht viel, aber es war der erste Pluspunkt seit meiner Ankunft in Beiport - und doppelt verwirrend wegen der Haltung Knaftis und der Streiterei mit der Bürgerdelegation.

»Warum, Schätzchen?« fragte ich.

Candaces Gesicht auf dem Bildschirm des V-3-Telefons war ebenso verwirrt wie meines. »Wir sind noch am Schnüffeln.«

»Okay. Dann schnüffelt weiter.«

Es gab noch mehr Pluspunkte. Die Blumenausstellung hatte sich überraschend günstig auf die Meinungsbildung ausgewirkt -zumindest auf die Meinung der Leute, die hingegangen waren. Natürlich war das nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung von Beiport. Auch die Arcturuskatzen waren ein Erfolg. Dafür hatten wir Minuspunkte beim Eltern-Lehrerverein und bei Kaffeekränzchen gesammelt sowie durch Candaces inzwischen aufgelösten arcturisch-amerikanischen Freundschaftsverein.

Jetzt erst konnte ich in vollem Umfang ermessen, was uns die Kinder angetan hatten. In allen Familien-Situationsstatistiken waren die Meinungen der Interviewten wesentlich ungünstiger als zuvor, wo sie in einer nichtfamiliären Umgebung befragt worden waren - bei der Arbeit, auf der Straße oder in einem Theater.

Die Bedeutung dieser Fakten entsprach genau den Äußerungen, die ich Connick gegenüber gemacht hatte. Kein Mensch ist eine simple Existenzform. Sein Verhalten wechselt ständig - je nachdem, ob er sich nun als Familienoberhaupt betrachtet, ob er eine Cocktailparty besucht, ob er zur Arbeit geht oder ob er im Verkehrshubschrauber neben einem hübschen Mädchen sitzt. Das sind elementare Wahrheiten. Aber die Jungs von der Meinungsforschung haben ein halbes Jahrhundert gebraucht, um zu lernen, wie man sich ihrer bedient.

In diesem Fall war es ganz klar, wie man vorgehen mußte. Man mußte die familiären Elemente herunterspielen und auf Show machen. Also ordnete ich weitere Festzugswagen, Fackelparaden und eine Teenagerschönheitskonkurrenz an. Die vierzehn Picknick-Rallies, die wir geplant hatten, sagte ich ab.

Ich hielt mich nicht genau an die Anweisungen aus Chicago. Aber das spielte keine Rolle. Das alles konnte man mit einem einzigen Wort rückgängig machen. Außerdem handelt es sich nur um unbedeutende Details. Die eine große Lüge war mir immer noch nicht zugeflogen.

Ich zündete mir eine Zigarette an, dachte eine Minute lang nach und sagte dann: »Schätzchen, besorg mir ein paar repräsentative Stichproben aus den Gesprächen mit Familienoberhäuptern und mit Familien, die Marskinder adoptiert haben. Ich brauche keine Integration oder Analysen, nur die simplen Interviews, aber ohne das Bla-Bla.«

Sobald sie aus der Leitung war, meldete sich Chicago am Fernschreiber: Frage von ASB-jr.: Vorausgesetzt, Sie haben ein unbegrenztes Budget zur Verfügung und völlig freie Hand -können Sie garantieren - ich wiederhole, garantieren -, daß wir das Referendum gewinnen?

Damit hatte ich nicht gerechnet.

Trotzdem, die Frage war legitim. Ich brauchte einen Moment, um darüber nachzudenken.

Junior Bigelow hatte mir immer ziemlich freie Hand gegeben, wie er es gewöhnlich tat. Wie sonst könnte ein Störenfried arbeiten? Wenn er jetzt betonte, daß ich völlig freie Hand hatte, so tat er das nicht, weil er dachte, ich hätte ihn beim erstenmal nicht verstanden - auch nicht, weil er befürchtete, ich könnte mit Sekretärinnengehältern knausern. Er meinte in der Tat nur das eine - siegen Sie, koste es, was es wolle.

Würde ich es unter diesen Bedingungen schaffen?

Natürlich könnte ich gewinnen - vorausgesetzt, ich fand die eine große Lüge. Man kann jede Wahl gewinnen, überall -vorausgesetzt, man ist bereit, den richtigen Preis dafür zu bezahlen.

Es war nur schwierig, den Preis zu finden, den man bezahlen mußte. Es geht nicht immer nur um Geld. Manchmal ist der Preis, mit dem man bezahlt, ein menschliches Wesen, in der Rolle, die ich für Connick vorgesehen hatte. Wirf den Göttern ein Menschenopfer vor, und sie werden dein Gebet erhören.

Aber war Connick das Opfer, das sich die Götter wünschten? Würde es mir nützen, ihn zu besiegen, angesichts der Tatsache, daß sein Gegner einer der Männer war, die Knafti in der Suite des Waffenstillstandteams angeschrien hatten?

Und wenn es so war - würde mein Messer scharf genug sein, um Connicks Blut fließen zu lassen? Nun, bisher war es immer scharf genug gewesen. Und wenn Connick nicht der richtige Mann war - ich würde den richtigen Mann finden. Ja, teilte ich Chicago kurz und bündig mit.

Die Antwort kam innerhalb einer Minute, als hätte der Junior neben dem Fernschreiber gestanden, um auf meine Entscheidung zu warten - und wahrscheinlich hatte er das auch getan. Gunner, wir haben den Auftrag von der Arctuctus-Konföderation verloren. Der Verbindungsmann sagt, alles sei abgeblasen. Sie kündigen den Vertrag und deuten an, daß sie auch den Waffenstillstandsvertrag annullieren wollen. Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, daß wir sie brauchen. Die Möglichkeit, gute Resultate in Beiport zu erzielen, würde sie umstimmen. Darauf müssen wir jetzt hinarbeiten. Gunner, gewinnen Sie diese Wahl - um jeden Preis.

Danach surrte das 3-V-Telefon. Wahrscheinlich war es Candace, aber ich wollte jetzt nicht mit ihr sprechen. Ich schaltete alle Kommunikationseinheiten auf Stop und ging erst mal unter die Dusche, stellte sie auf Vollnadelspray ein und ließ das Wasser auf mich herabrauschen. Das war keine Gedankenhilfe, sondern ein Gedankenersatz. Ich wollte nicht mehr denken. Ich wollte Zeit gewinnen. Ich wollte nicht nachdenken über die Fragen:

(a) Würde der Krieg wieder ausbrechen, und wenn ja, zu wieviel Prozent wäre das meine Schuld?

(b) Was würde ich mit dem netten Mr. Connick tun?

(c) Würde sich das alles lohnen?

(d) Wie sehr würde ich mich am kommenden Weihnachtstag verabscheuen?

Ich wollte nichts weiter, als mich von duftendem, schäumendem Wasser narkotisieren zu lassen. Als meine Haut blaß und faltig auszusehen begann, obwohl ich zu keinen Schlüssen gekommen war und keine Lösung gefunden hatte, verließ ich die Dusche, zog mich wieder an und schaltete die Kommunikationseinheiten ein und ließ sie wieder surren und blinken und klingeln.

Candace kam zuerst dran. »Gunner, großer Gott, hast du gehört, was die Waffenstillstandskommission gemacht hat? Sie haben soeben eine Erklärung veröffentlicht.«

»Ich weiß. Was noch, Schätzchen?«

Braves Mädchen. Sie schaltete sofort um, ohne sich was anmerken zu lassen. »Dann war diese Versammlung der delegierten Bürger in der Suite des Waffenstillstandteams.«

»Ich war dabei. Das war schon vor der Erklärung der Waffenstillstandskommission. Weiter!«

Sie blickte auf die Papiere in ihrer Hand, zögerte und sagte dann: »Nichts Wichtiges. Oh - Gunner - dieser 3-V-Termin heute abend.« »Ja, Schätzchen?«

»Soll ich ihn absagen?«

»Nein. Natürlich werden wir die Sendezeit nicht mit dem arcturisch-amerikanischen Freundschaftsverein oder sonstwas verplempern, das wir geplant hatten. Aber wir werden die Zeit nutzen - irgendwie - ich weiß es noch nicht.«

»Aber der Junior sagte.«

»Honey«, unterbrach ich sie, »der Junior sagt alles mögliche. Hat sich irgend jemand gemeldet, der mich skalpieren wollte?«

»Nun ja, Mr. Connick. Aber ich dachte, du würdest ihn nicht sehen wollen.«

»Ich will ihn sehen. Ich will alle sehen.«

»Alle?« Das überraschte Candace. Sie vertiefte sich wieder ihre Liste. »Da wäre noch jemand vom Waffenstillstandteam.«

»Mach das ganze Team draus.«

».und Commander Whitling von.«

»Von der Klinik. Klar. Und sag ihm, er soll ein paar von den Kindern mitbringen.«

».und.« Ihre Stimme erstarb, und sie sah mich an. »Junner, machst du Witze? Du willst doch nicht wirklich alle diese Leute sehen.«

Ich lächelte, streckte die Hand aus und streichelte das Videofon. Von ihrem Blickpunkt aus würde es nun so aussehen, als hätte sich eine riesige, verschwommene Hand auf den Bildschirm gelegt, aber sie würde wissen, was ich meinte. »Du irrst dich gewaltig, Schätzchen. Ich will sie alle sehen - um so mehr Leute, desto besser, am besten alle auf einmal in einem Büro. Du darfst alles Nötige veranlassen, Schätzchen, denn ich habe jetzt zu tun.«

»Was machst du denn, Gunner?«

»Ich denke nach, warum ich alle die Leute sehen will.« Ich schaltete das 3-V-Telefon aus, ging hinaus und ließ die anderen Apparate hinter mir ins Leere surren und blinken und klingeln.

Als mir die Beine weh taten, ging ich ins Büro und verscheuchte Haber aus seinem Privatraum. Ich ließ ihn neben seinem einstigen Schreibtisch warten, während ich Candace anrief und erfuhr, daß sie alle Termine für heute abend ausgemacht hatte. Dann sagte ich zu Haber, daß er verschwinden sollte. »Und vielen Dank«, fügte ich hinzu.

Er blieb auf dem Weg zur Tür stehen.

»Wofür, Gunner?«

»Für dieses schöne Büro, in dem man so nett die Zeit totschlagen kann.« Ich wies auf die Möbel. »Als ich in Chicago die Rechnungen sah, überlegte ich, wofür Sie wohl fünfzig Tausender ausgegeben haben, und ich gebe zu, daß ich dachte, Sie hätten die Rechnungen ein bißchen frisiert. Aber ich habe mich geirrt.«

»Gunnerboy!« rief er tief gekränkt. »So was würde ich doch nie tun!«

»Ich glaube Ihnen. Warten Sie mal!« Ich dachte sekundenlang nach, dann sagte ich ihm, er sollte mir ein paar Techniker hereinschicken und verhindern, daß mich irgend jemand - ich wiederholte: irgend jemand - störte, was immer der Betreffende auch auf dem Herzen haben mochte. Ich jagte ihm ganz schöne Angst ein. Er ging hinaus, ein tief erschütterter Mann, ein bißchen wütend, ein bißchen bewundernd und vermutlich auch ein bißchen aufgeregt, weil er nun bald sehen würde, wie sich der Große Mann höchstselbst da rauslavieren würde. Der Große Mann unterhielt sich kurz mit den Technikern, dann schlief er zehn Minuten, trank die Martinis von seinem Dinnertablett und warf alles andere in den Abfalleimer.

Als ich noch fast eine Stunde bis zu den Terminen hatte, die Candace für mich vereinbart hatte, streifte ich im Büro des fetten Katers Haber umher, um herauszufinden, welche Vergnügungsmöglichkeiten es enthielt.

Da waren seine Akten. Ich blickte sie an und vergaß sie wieder. Unter diesen gehorteten Erinnerungsstücken befand sich nichts, was mich interessierte, nicht einmal, um Klatschgeschichten daraus zu machen. Da standen Bücher in einem Regal. Aber ich hatte keine Lust, die Staub-Patina abzuwischen, die sogar den Reinigungsmaschinen standgehalten hatte. Da waren seine Privatbar und die Fotosammlung in der untersten Schublade seines Schreibtisches. Es sah aus, als hätte ich langweilige Zeiten vor mir, bis sich die Leute vom 3-V-Studio meldeten und mir mitteilten, sie hätten alle gewünschten Vorbereitungen getroffen und ich könne nun den 3-V-Effekt-Monitor von meinem Schreibtisch aus fernkontrollieren. Da wußte ich, daß ich nun eine angenehme Methode gefunden hatte, die Zeit totzuschlagen. Haben Sie schon mal mit der Konsole eines 3-V-Monitors gespielt, unterstützt von einer Bibliothek, die aus Bandeffektstreifen besteht? Man kommt sich vor wie Gott der Allmächtige.

Die Maschine spielt alle Video-Bänder ab, die sie gespeichert hat. Aber sie manipuliert auch die Größe und die Perspektive oder lagert eins über das andere. Man kann also so wie ich es jetzt tat, eine Person, die man nicht mag, in eine peinliche Lage projizieren, so daß nur ein Studiotechniker die Flecken an den Stellen sehen würde, wo sich der Überlagerungstrick verrät.

Offenbar ist das eine Möglichkeit, allen Propagandaschwierigkeiten auszuweichen, da es ein Kinderspiel ist, den Zuschauern irgend etwas vorzugaukeln und dem Trugbild den Anschein von Wirklichkeit zu verleihen. Natürlich weiß jeder, daß man so was machen kann, deshalb genügt der Augenschein nicht, schon gar nicht für einen Wähler. Und das Gesetz schlägt einem so manches Schnippchen. ch hatte mir zum Beispiel überlegt, daß ich Connick in irgendeiner schrecklichen Situation zeigen könnte. Aber das würde nicht funktionieren. Egal wann ich es machte, die Gegenseite würde genug Zeit haben, den Schwindel zu brandmarken, und ein Betrug von sDlchen Ausmaßen würde in die Schlagzeilen kommen. Also benutzte ich die Maschine auf eine Weise, die mich viel mehr interessierte. Ich benutzte sie als Spielzeug.

Ich wählte die Lunarbasis Aristarchus als Hintergrund, fand ein Korps von Raketensoldaten, die ich mit langen Lunar-Schritten davonmarschieren ließ, klebte mein Gesicht auf eine der behelmten Figuren, surrte umher mit der imaginären Kamera, beobachtete R3/c Odin Gunnarsen als neunzehnjährigen Jungen, der halb wahnsinnig vor Angst war, aber seine Pflicht tat. Er war ein sehr netter Junge, dachte ich objektiv, und fragte mich, was wohl später mit ihm schiefgelaufen war. Dann gab ich es auf und suchte nach anderen Vergnügungen. Ich fand Bilder von Candace auf den Bändern und amüsierte mich eine Zeitlang damit. Ihr offenes, freundliches Gesicht verlieh den phantastischen Körpern eines halben Dutzends von 3-V-Stripperinnen eine gewisse Würde, doch dann hörte ich mit diesem kindischen Spiel auf.

Ich suchte nach wichtigeren Themen, breitete die ganze Panoplie der Himmel auf dem Bildschirm der Bandmaschine aus. Ich suchte nach der Krümmung im Hals des Großen Bären und folgte seinem Bogen über den halben Himmel, bis ich den orangegelben Arcturus gefunden hatte. Dann näherte ich mich dem Stern; die kleinen Sterne wurden immer größer und flogen an mir vorbei. Ich suchte seine sieben graugrünen Planeten und suchte Nummer fünf heraus, die wässerige Welt, auf der Knaftis Brut lebte. Und ich bat das Computergehirn im Innern der Bandmaschine, die Ereignisse des Orbit-Bombardements zu rekonstruieren, beobachtete, wie die Höllenbomben riesige Pilze aus giftigem Schaum in den arcturischen Himmel warfen, die Inselstädte mit Gezeitenwellen peitschten und im Tod ertränkten.

Dann zerstörte ich den ganzen Planeten. Ich verwandelte Arcturus in eine Nova und sah zu, wie sich die heißen Gase ausbreiteten, um den Planeten zu umarmen, wie seine Meere verdampften, wie seine Städte zu Asche wurden - und begann zu schwitzen. Ich bestellte noch einen Drink aus dem Büroautomaten und schaltete die Maschine ab, und dann merkte ich, daß das hellblaue Licht über der Tür des Haberschen Büros beharrlich blinkte. Es war Zeit. Meine Besucher waren eingetroffen.

Connick hatte seine Kinder mitgebracht, alle drei. Der Liebhaber aus der Donnegan-Klinik wurde von drei weiteren geleitet. Knafti wurde von Colonel Peyroles und Timmy Brown flankiert. »Willkommen im Spielzimmer«, sagte ich. »In diesem Jahr sind die Lynchmobs aber sehr jung.«

Sie schrien mich alle gleichzeitig an - alle außer Knafti, dessen Gezwitscher einfach nicht genug Volumen hatte, um mit der Stimmgewalt der anderen konkurrieren zu können. Ich lauschte, und als gewisse Anzeichen erkennen ließen, daß sie sich nun beruhigen würden, griff ich in die Schnapslade des fetten Katers Haber und goß mir einen steifen Drink ein. »Okay«, sagte ich. »Welcher von euch Würmern will zuerst zerplatzen?« Das brachte sie erneut auf die Palme, während ich mein Glas leerte, alle außer Candace Harmon, die nur in der Tür stand und mich ansah.

»Also gut, Connick, Sie kommen zuerst dran«, sagte ich. »Soll ich über sämtliche Nachrichtenmedien verbreiten lassen, daß Sie wegen Wehrunwürdigkeit aus der Army verstoßen wurden? Übrigens - vielleicht würden Sie gern meine Assistenzerpresserin kennenlernen. Miß Harmon da drüben hat den Schweinekram über Sie ausgegraben.«

Ihr Boyfriend schrie auf, aber Candace sah mich nur an. Ich blickte nicht zurück, sondern behielt Connick im Auge. Er blinzelte, schob die Hände in die Taschen und sagte mit bemerkenswerter Selbstbeherrschung: »Sie wissen, daß ich erst siebzehn war, als das passierte.«

»Klar. Ich weiß noch mehr. In dem Jahr nach Ihrer Entlassung hatten Sie einen Nervenzusammenbruch - Raumdepressionen, wie man das bei den Weichlingen nennt. Auf dem Mond haben wir Gelbfieber dazu gesagt.«

Er warf einen raschen Blick auf seine Kinder, auf seine eigenen und auf das adoptierte, und sagte hastig: »Sie wissen, ich hätte das Urteil aufheben lassen können.«

»Aber Sie haben es nicht getan. Der springende Punkt ist nicht, daß Sie desertiert sind, sondern daß Sie verrückt sind. Und ich würde sagen, daß Sie das immer noch sind.«

»Einen-Moment/« stotterteTimmy Brown. »Ich, Knafti, habe Sie gebeten, Ihre Operation zu beenden und.«

Aber Connick fiel ihm ins Wort. »Warum, Gunnarsen?«

»Weil ich vorhabe, diese Wahl zu gewinnen. Es ist mir egal, was es kostet - oder was es Sie kostet.«

»Aber ich, Knafti, habe Sie instruiert.« Das war Timmy Brown, der es noch einmal versuchte.

»Die Waffenstillstandskommission hat die Order erlassen.« Das war Peyroles.

»Ich weiß nicht, was schlimmer ist - Sie oder die Mistkäfer!« Und das war Candaces kleiner Freund aus der Klinik, und danach redeten sie wieder alle auf einmal. Sogar Knafti kam auf seinem goldenen Bauch zu mir gekrochen und tschilpte und wieherte, und Timmy Brown weinte doch tatsächlich, als er mir klarzumachen versuchte, daß ich einen Fehler beging, daß ich aufhören sollte. Ich müßte dem ein Ende bereiten. Das Ganze wäre gesetzeswidrig, und warum würde ich denn nicht endlich Schluß machen?

»Haltet den Mund!« schrie ich. »Alle!«

Das taten sie nicht, aber das Klangvolumen senkte sich geringfügig. Ich übertönte es: »Was kümmert es mich denn, was ihr wollt? Ich werde dafür bezahlt, meine Arbeit zu tun, und meine Arbeit besteht darin, die Leute zu einer ganz bestimmten Handlungsweise zu bringen. Also mache ich das. Vielleicht werde ich morgen dafür bezahlt, daß ich die Leute zur entgegengesetzten Handlungsweise bewege, und das werde ich auch tun. Außerdem - wer zum Teufel seid ihr eigentlich, daß ihr glaubt, mich herumkommandieren zu können? Eine Stinkmorchel wie Sie, Knafti? Ein Quacksalber wie Sie, Whitling? Oder Sie, Connick.«

»Ein Kandidat für ein öffentliches Amt«, sagte er ganz ruhig. Ich mußte zugeben, daß er wirklich eine tolle Ausstrahlung hatte. Er schrie nicht, er redete einfach über mich hinweg. »Und als solcher habe ich die Pflicht.«

Aber ich überschrie ihn trotz allem. »Kandidat! Wenn ich den Wählern erzähle, daß Sie ein Irrer sind, dann sind Sie ein Kandidat gewesen, Connick! Dann sind Sie tot! Und ich werde es den Leuten sagen, das verspreche ich Ihnen, wenn.«

Ich hatte keine Gelegenheit, den Satz zu beenden, denn jetzt stürzten sich alle drei Connick-Kinder auf mich, die beiden eigenen und das andere. Sie fegten die Papiere von Habers Schreibtisch, zerschmetterten seine Sandkristallkaraffe, aber sie sprangen mir nicht an die Kehle, was sie offensichtlich vorhatten, denn Connick und Timmy Brown zerrten sie zurück, was nicht ganz einfach war.

Ich erlaubte mir ein spöttisches Grinsen. »Und was soll das beweisen? Ihre Kinder mögen Sie, das gebe ich zu - sogar das eine vom Mars. Das Kind, das Knaftis Volk für seine Vivisektionen mißbraucht hat - an dem Knafti vielleicht selber herummanipuliert hat. Eine hübsche Vorstellung, was? Wie dieser Stinker da Babys getötet und Kinder vernichtet hat. Oder wußtet ihr nicht, daß Knafti einer von den Oberstinkern war, die das Babytötungsprojekt in die Wege geleitet haben?«

»Sie wissen nicht, was Sie tun!« kreischte Timmy Brown verzweifelt. »Knafti kann überhaupt nichts dafür!« Sein schmales Gesicht war aschfahl, die verzerrten Lippen entblößten die verfaulten Zähne. Und er weinte.

Wenn man ein einziges Molekül erhitzt, wird es wie ein Kater in die Luft gehen, dessen Schwanz in Flammen steht, aber man kann nicht sagen, wohin es fliegen wird. Wenn man ein Dutzend Moleküle erhitzt, werden sie in alle Richtungen fliegen, aber man weiß immer noch nicht, welche Richtungen das sein werden. Wenn man ein paar Billionen erhitzt, und das entspräche ungefähr der Menge verdünnten Gases vom Volumen eines Fingerhuts, würde man wissen, wohin sie fliegen. Die breiten sich aus. Eine Massenaktion. Man kann nicht sagen, was ein einzelnes Molekül anrichten wird. Nennen Sie es den freien Willen des Moleküls, wenn Sie wollen. Aber Massen gehorchen den Massengesetzen, Massen aller Arten, auch kleine Massen wie die wachsende Truppe, die mir jetzt in Habers Büro gegenübertrat. Ich ließ sie schreien, und das ganze Geschrei galt mir. Sogar Candace runzelte die Stirn, und ihre Augen verdunkelten sich, und ihre Lippen bewegten sich, obwohl sie mich immer noch beobachtete.

Connick machte dem Gebrüll ein Ende. »Jetzt hört mir mal alle zu! Wir wollen das klären!«

Er stand da, ein Kind an jeder Hand, und das dritte, das jüngste, stand aktionsunfähig zwischen ihm und der Tür. Er sah mich mit einem solchen Ekel an, daß ich es fast körperlich spüren konnte - und es gefiel mir nicht, wenn ich auch damit gerechnet hatte. »Es ist wahr«, sagte er. »Sammy ist ein Marskind. Vielleicht hat mich das veranlaßt, Dinge zu denken, die ich nicht denken sollte. Er ist jetzt mein Kind - und wenn ich daran denke, daß diese stinkenden Insekten an ihm herumge-schnipselt haben.«

Er brach ab und wandte sich an Knafti. »Doch jetzt habe ich etwas begriffen. Ein Mensch, der so etwas tun würde, wäre ein Monstrum, und ich würde ihm mit meinen bloßen Händen das Herz aus dem Leib reißen. Aber Sie sind kein Mensch.«

Grimmig ließ er seine Kinder los und ging auf Knafti zu. »Ich kann Ihnen nicht verzeihen. Gott helfe mir, es ist unmöglich. Doch ich kann Ihnen ebensowenig Vorwürfe machen wie dem Blitz, der mein Haus zerstört. Ich glaube, ich habe mich geirrt. Vielleicht irre ich mich auch jetzt. Aber - ich weiß nicht, wie man das macht in der Hölle, die Sie da draußen im All geschaffen haben - aber ich würde Ihnen gern die Hand schütteln. Ich habe Sie als perversen Mörder und schmutzige Bestie betrachtet, aber eins kann ich Ihnen sagen. Ich würde lieber mit Ihnen zusammenarbeiten - für Ihren Friedensstützpunkt, für alles, was wir gemeinsam erreichen können - als mit gewissen Menschen in diesem Raum.«

Ich blieb nicht, um die zärtliche Szene mitanzusehen, die jetzt folgte.

Das war auch gar nicht nötig, denn die Kameras und die Mikrofone, die das 3-V-Team hinter jedem einseitigen Spiegel im Raum angebracht hatte, würden alles an meiner Stelle beobachten. Ich konnte nur hoffen, daß sie kein einziges Wort und keinen einzigen Schrei verpaßt hatten, denn ich würde es bestimmt nicht schaffen, diese Show noch einmal abzuziehen.

Lautlos öffnete ich die Tür und ging hinaus. Dabei ertappte ich das kleinste Connick-Kind, das sich an mir vorbeistehlen wollte, zum 3-V-Gerät im Wartezimmer, und streckte einen Arm aus, um es festzuhalten. »Stinktier!« zischte es mich an. »Ratte!«

»Du hast wahrscheinlich recht«, sagte ich. »Aber geh jetzt lieber zu deinem Vater und leiste ihm Gesellschaft. Du wirst einen historischen Augenblick erleben.«

»Quatsch! Am Montagabend sehe ich immer >Dr. Schiwago<, und das fangt in fünf Minuten an, und.«

»Heute abend nicht. Daran bin ch übrigens auch schuld. Heute gibt's eine ganz andere Show.«

Ich eskortierte es ins Zimmer zurück, nahm meinen Mantel vom Haken und ging.

Candace wartete im Wagen auf mich. Sie saß am Steuer.

»Werde ich die Neun-Uhr-dreißig-Maschine schaffen?« fragte ich.

»Natürlich, Gunner.« Sie lenkte den Wagen in die AutomatikSchnellstraße, schaltete den Wagen auf Servo um, rief den Flughafen an, um einen Platz in der Maschine zu buchen, dann lehnte sie sich zurück und zündete Zigaretten für uns beide an. Ich nahm mir eine und blickte düster aus dem Fenster.

Unter uns, auf der Ebene für den langsamen Verkehr, zog eine Fackelparade vorbei, mit Festwagen und Gesangsvereinen und Freibier an den größeren Passantenübergängen. Ich öffnete das Handschuhfach, nahm den Feldstecher heraus und blickte hinab.

»Oh, du brauchst dich nicht zu vergewissern, Gunner. Ich habe mich um alles gekümmert. Das Programm läuft.« Ich sehe es. Da marschierten nicht nur die Burschen mit den Spruchbändern, die für unsere 3-V-Show warben, für meine Show, die in diesem Augenblick begann - da fuhren auch die Festwagen mit den Riesenbildschirmen und den Lautsprechern. Man konnte nirgendwohin schauen, ohne Knafti zu sehen, groß und häßlich in seinem goldenen Panzer, wie er die Kinder an sich drückte und sie vor jenem Monstrum von einem anderen Planeten schützte -vor mir. Die Leute vom Studio hatten großartige Arbeit geleistet und die Filme sowie die Tonbänder praktisch in Sekundenschnelle zusammengeklebt. Die ganze Szene lief da auf den Bildschirmen ab, so wirklich, wie ich sie erlebt hatte.

»Willst du zuhören?« fragte Candace, holte den Hyperbo-loid-Fernkopfhörer hervor und reichte ihn zu mir herüber. Aber ich brauchte ihn nicht. Ich wußte, was die einzelnen Stimmen sagen würden. Connick würde mich beschimpfen. Timmy Brown würde mich beschimpfen. Die Kinder würden mich beschimpfen. Alle. Colonel Peyroles würde mich beschimpfen. Commander Whitling würde mich beschimpen - Sogar Knafti würde mich beschimpfen. So viel Haß - auf ein einziges Ziel gerichtet, auf mich.

»Der Junior wird dich natürlich feuern, Gunner. Das muß er tun.«

»Ich habe ohnehin einen längeren Urlaub nötig.« Es würde keine Rolle spielen. Früher oder später, wenn Gras über die Sache gewachsen war, würde der Junior einen Weg finden, um mich wieder engagieren zu können.

Wir glitten über den Gipfel einer Spiralenrampe und hinab in die Parketagen des Seat-Flughafens. »Leb wohl, Schätzchen«, sagte ich. »Und ich wünsche euch beiden fröhliche Weihnachten.«

»O Gunner, ich wünschte.«

Aber ich wußte, was sie sich wirklich wünschte, und ich ließ sie nicht zu Ende reden. »Whitling ist ein netter Kerl - und weißt du was? Ich bin das nicht.«

Ich gab ihr keinen Abschiedskuß.

Das Scatjet stand bereit, und ich konnte an Bord gehen. Ich steckte mein Ticket in den Schlitz des Entwerters. Ein grünes Licht flammte auf, als sich das Drehkreuz bewegte. Ich betrat die Maschine und setzte mich auf die andere Seite, auf einen Fensterplatz.

Man kann alles gewinnen, wenn man bereit ist, den richtigen Preis zu zahlen. Man braucht nur ein Menschenopfer zu bringen.

Als das Scatjet zu dröhnen und zu zittern begann, als es sich um seine Achse drehte und den Flughafen verließ, hatte ich die Tatsache akzeptiert, daß der Preis ein für allemal bezahlt war. Ich sah Candace auf der Laderampe stehen, der Wind des Rückstoßes peitschte ihren Rock. Sie winkte mir nicht, aber sie ging nicht weg. Sie blieb auf der Rampe stehen, solange ich sie sehen konnte.

Ende

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