3


Für einen Moment wischte der Wind den dichten Wasserschleier von den Scheiben, und Stone konnte einen flüchtigen Blick auf das Inferno werfen, das sie umgab. Er hatte einen vagen Eindruck von etwas, das aussah wie ein riesiges Goldfischglas voll mit Tinte, bevor sich die Wolkendecke über ihnen endgültig schloß. Völlige Finsternis umgab den Gleiter, durchzogen mit einem Netz aus gleißenden Blitzen, in denen sich die Gewitterwolken entluden. Nervös tastete er nach der Atemmaske, die er an einem Riemen um den Hals trug. Das Donnergrollen bildete, abgedämpft durch die Panzerung des Gleiters, einen beständigen Hintergrund für die Geräusche des Funkgerätes, die anzeigten, daß die Übertragung trotz der Störungen noch immer weiterging. Es war ihm ein Rätsel, wie die beiden Beobachter, die elf Kilometer vor ihnen waren, in dieser Hölle hatten überleben können. Inzwischen zerrten die Sturmböen sie mit sich, und der Jared-Pilot bot die gesamte Leistung der Triebwerke auf, um ihren Sturz ein wenig abzubremsen und ihre Lage zu stabilisieren.

Gurk hockte mit leuchtenden Augen vor seine Konsole, es sah aus, als mache ihm dieser Ausflug Spaß. Tatsächlich hatte es ihm diebische Freude gemacht, zu beobachten, wie Stones Gesicht langsam, aber sicher die Farbe gewechselt hatte. Inzwischen betrachtete der Governor ebensooft die Tüte in seiner linken Hand, wie er auf die Bildschirme auf seinem Pult sah. Nicht einmal die breiten Sicherheitsgurte konnten sie noch auf den Sitzen halten, wenn die mächtigen Böen den Gleiter plötzlich absacken ließen, und jedesmal während des Sturzes hatte Stone das Gefühl, sein Magen würde ihm bis in den Mund hinaufsteigen. Er wußte nicht, wie weit sie beim letzten Mal noch von Boden entfernt gewesen waren, denn in der biblischen Finsternis um sie herum verschwamm der Unterschied zwischen Himmel und Erde vollkommen, aber er hatte den deutlichen Verdacht, daß es ziemlich knapp gewesen war.

»Das ist doch gar nichts«, rief ihm Gurk zu. »In ein paar Monaten ist das Loch groß genug, um die Erdkruste abzureißen. Die Eismassen des Nordpols schwimmen nur auf dem Meer, und am Meeresboden ist die Erdkruste nicht besonders dick. Das ist überhaupt nicht zu vergleichen mit den Kontinentalschollen. Das Loch wird wie ein gewaltiger Mahlstrom den Meeresgrund aufsaugen, und am Rand werden die Wassermassen über das Magma zusammenschlagen. Wie ein Vulkanausbruch, nur viel, viel heftiger.« Gurk lachte schrill. »Es wird Tuff und Bimsstein regnen. Haben Sie schon mal ein Stück Seife gesehen, Stone, so groß wie ein Eisberg?«

Stone verzichtete auf eine Antwort und konzentrierte sich darauf, sein karges Frühstück bei sich zu behalten. Tatsächlich beeindruckten ihn die Katastrophenvisionen des Zwergs nicht halb so viel wie der dumpfe Walzertakt in seinem Bauch.

»Langweile ich Sie?« fragte Gurk sarkastisch.

»Ganz im Gegenteil«, murmelte Stone säuerlich. »Ich bin begeistert. Du bist voll von schönen Geschichten, was?«

»Wie bitte?« rief Gurk durch den Lärm. Ein dreifacher Windstoß schüttelte den Gleiter und enthob ihn weiterer Erklärungen. Er hielt sich die Tüte an den Mund und dachte flüchtig, daß die Situation auch ihre Vorzüge hatte.

Eine der Anzeigen flackerte plötzlich und erlosch. Die Übertragung von einem der beiden Beobachter brach zusammen. Er wartete noch ein paar Sekunden, und als der Gleiter wieder ruhiger in der Luft lag, schaltete er den Empfänger aus und wieder ein. Der Kanal blieb tot.

»Wir haben einen Beobachter verloren«, rief er. »Sieht so aus, als wäre er abgestürzt.«

»Blitzschlag«, sagte Gurk ungerührt, »oder ein heftiger Fallwind. Nun, solange wir den anderen noch haben, machen wir weiter. In dreißig Sekunden ist er nah genug herangekommen, damit wir erfahren, was wir wissen wollen.«

»Na großartig«, murmelte Stone in seine Tüte. Er riskierte einen Seitenblick auf die Bildschirme Gurks. Irgendwie schaffte es der Computer, aus dem wirren Datensalat, der ihnen vom Beobachter übermittelt wurde, das Bild eines häßlichen, dunkelgrauen Auges zu rekonstruieren, das inmitten eines wirbelnden Stroms aus weißen und hellgrauen Wolkenmassen praktisch stillstand. Bei näherem Hinsehen erkannte er die perfekt schwarze Kugel, die inmitten des Auges schwebte, völlig ungerührt von dem tosenden Wirbelsturm, der das Auge umgab.

»Wir haben eigentlich eine Menge Glück«, sagte Gurk, der seinen Blick bemerkt hatte. »Der Wirbelsturm hält den größten Teil der Luftmassen vom Loch fern, und deshalb wächst es langsamer als erwartet. Sehen Sie hier, immer noch acht Kilometer. In diesem Zustand kann das Gebilde noch Monate verharren, ehe der Zyklon auseinanderbricht.«

Der Governor nickte nur, gebannt von dem Auge, das sich langsam unter den gewaltigen Kräften verformte, die auf die Wolken am Rand einwirkten. Zwei Lichtpunkte näherten sich langsam diesem Rand, und die Bewegung, die auf dem Bildschirm ruhig und gleichmäßig aussah, verlief in Wirklichkeit immer chaotischer. Der Jared konnte die Fluglage des Gleiters nur mühsam stabil halten, nachdem er die Scheibe um dreißig Grad auf die Seite gekippt hatte, eine Lösung, die Stones Magen nicht gerade beruhigte. In einem Flugzeug wären sie schon lange mit zerfetzten Tragflächen und geborstener Druckkabine abgestürzt.

»Es wächst schneller, je größer es ist«, sagte er nach einer Weile.

»Richtig«, antwortete der Zwerg mit einer Begeisterung, die Stone nicht teilen konnte. »Das ist wie die Geschichte mit den Weizenkörnern auf dem Schachbrett. Je größer es wird, desto mehr Materie wird in Energie umgewandelt, und je mehr Energie zur Verfügung steht, desto rascher kann es wachsen. Wenn es wirklich groß geworden ist, dann wird es vielleicht in mehrere Teile auseinanderfallen, aber davon sind wir noch weit entfernt.«

»Wie groß?« Wieder erschütterten heftige Regenfälle den Gleiter, und diesmal dachte Stone im ersten Moment, sie seien ins Meer gestürzt, so massiv war die Barriere aus Wasser, in die der Gleiter hineinstieß.

»Was?« rief Gurk durch den Lärm hindurch.

»Wie groß muß es sein, um auseinanderzufallen?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Gurk gleichmütig. »So groß wie die Sonne vielleicht. Es könnte interessant sein, die Antwort herauszufinden.« Er warf dem Governor einen boshaften Blick zu und grinste breit. »Nur wird dann keiner von uns mehr da sein.«

Großartig, dachte Stone sarkastisch. Vielleicht fällt bei einem Zwerg zu allem anderen auch noch der Selbsterhaltungstrieb etwas kleiner aus.

Der Lichtpunkt, der die Position ihres voranfliegenden Beobachters markierte, hatte die turbulente Randzone des Auges erreicht und versuchte nun, sich vom Sturm um das Auge herumtragen zu lassen. Falls er in das Auge hineingeraten sollte, hatte er kaum eine Chance, es wieder zu verlassen. Die Druckdifferenz war einfach zu groß, viel größer als bei jedem natürlich entstandenen Wirbelsturm.

Das Bild flackerte plötzlich. Stone sah hastig auf seine eigenen Meßgeräte. »Die Übertragung ist gestört«, rief er dem Zwerg zu.

»Ziemliches Gewitter da drin«, antwortete Gurk seelenruhig. »Ich bin überrascht, daß der Beobachter überhaupt noch sendet.«

Was für ein liebenswürdiger Zeitgenosse, dachte Stone. Inzwischen hatte er einige Übung darin, seine Meinung für sich zu behalten. Bei den Moroni war es darauf nicht so sehr angekommen; anders als die Jared hatten sie sich nicht gut in einen Menschen hineinversetzen können. Nun, eine nennenswerte Zahl von Jared kannte dagegen die Menschen sehr viel besser - gewissermaßen von innen heraus. Er drängte den unerfreulichen Gedanken in den Hintergrund und konzentrierte sich wieder auf die Funkanlage. Ein flüchtiger Blick zeigte ihm, daß der Beobachter inzwischen am Auge vorbei war und damit begann, einen Weg nach draußen zu suchen. Ihr eigener Pilot hielt sich gut acht Kilometer vom Rand entfernt, und trotzdem waren die Turbulenzen kaum auszuhalten. Blitze umgaben den schlingernden, zitternden Gleiter und warfen schmerzhaft intensive Schlaglichter auf das Innere.

Die Übertragung brach diesmal ohne Vorwarnung zusammen. Bevor er den Mund öffnen konnte, hörte er etwas außerhalb des Gleiters, das ihn im ersten Moment an ein riesiges Triebwerk erinnerte. Über die dumpfe Folge von Blitzschlägen hinweg schwoll das Geräusch zu einer grollenden Brandung aus Lärm und Donner an. Er sah zu Gurk hinüber, dessen Augen starr auf die Scheiben gerichtet waren, mit einem Gesichtsausdruck, den er erst nach einem endlos scheinenden Augenblick erkannte.

Furcht, dachte er noch. Die Schockwelle traf den Gleiter frontal und riß ihn einfach mit, so schnell, daß sich Konsolen und Computeranlagen aus ihren Halterungen losrissen und durch die Kabine stürzten, während der Gleiter hilflos wie ein Blatt im Herbststurm von der Druckwelle emporgetragen wurde. Die gepanzerte Hülle dehnte und streckte sich, kreischte wie ein tödlich verwundetes Tier. Metallstreben knickten plötzlich ab, und eine der hinteren Sichtscheiben bekam plötzlich Sprünge, die rasch zu einem spinnenwebenartigen Geflecht zusammenwuchsen. Im nächsten Moment war das zentimeterdicke Panzerglas verschwunden, mitgerissen von der Druckwelle, die vor ihnen hereilte und sie in ihrem Kielwasser mit sich riß. Die Luft entwich explosionsartig aus der Kabine, und Stone schrie auf. Blut schoß aus seiner Nase, und sekundenlang glaubte er ersticken zu müssen, bevor es ihm gelang, seine Atemmaske aufzusetzen. Irgendwie schaffte es der Pilot, den Gleiter von einer Böe aus dem Sog der Druckwelle herausreißen zu lassen, und Stone mußte erneut einen heftigen Brechreiz unterdrücken, als das übel zugerichtete Fahrzeug wie ein tonnenschwerer Stein in die Tiefe sackte. Endlos dauernde Sekunden lang war der Jared nicht in der Lage, den Sturz abzufangen. Die überlasteten Triebwerke heulten auf und übertönten sogar den Wirbelsturm, und die angebrochene Hülle knirschte, als zusätzliche Kräfte auf sie einwirkten. Ein blasses, dichtes Grau umgab den Gleiter auf seinem Weg nach unten, und dann endlich wurden sie von ihrem eigenen Gewicht in die Sitze gepreßt. In einem langgezogenen Bogen glitt das Fahrzeug aus den Sturzwinden heraus, fing sich nur einige Dutzend Meter über schemenhaft erkennbaren Eismassen und gewann mühsam und torkelnd wieder an Höhe.

Stone sackte keuchend auf seinem Sitz zusammen. Er spürte salzige Feuchtigkeit auf seinen Lippen und begriff angewidert, daß seine Nase gleichmäßig in seine Atemmaske blutete. Er sah dorthin, wo der Sturm die Sichtscheibe herausgerissen hatte. Die Dekompression hatte einen Teil der Hülle nach außen gebogen, und eine metergroße Öffnung klaffte links von ihm. Er konnte die arktische Eisfläche erkennen, in einem fahlgrauen, verschwommenen Licht, das von überall her zu kommen schien, unterbrochen von blauweißen Blitzschlägen, die eine scharfe, grelle Helligkeit auf das Eis warfen. Trotzdem wirkten alle Umrisse seltsam verschwommen, und einen Moment lang glaubte Stone, eine dichte Nebelschicht über dem Boden zu erkennen, dann begriff er, daß das Eis unter ihnen verdampfte. Vermutlich hatten die aufgeheizten Luftmassen die ganze Region weit über den Gefrierpunkt erwärmt.

Er zog sich an seine Konsole heran und überprüfte die Kontrollen. Die Funkanlage war noch intakt, aber es kamen keine Signale mehr von dem Beobachter. Er hatte nichts anderes erwartet. Der andere Gleiter war viel weiter im Inneren des Wirbelsturms gewesen.

Stone blickte zu Gurk hinüber. Der Zwerg hatte hinter seiner Moroni-Atemmaske überhaupt nichts mehr mit einem Menschen gemein. Er starrte mit dunklen Augen auf den Bildschirm, die seltsamen Hände klauenartig über das Schaltpult ausgebreitet, und murmelte etwas Unverständliches. Trotz der gerade erst überstandenen Gefahr verursachte der Anblick Stone eine Gänsehaut.

Er nahm die Atemmaske ab und ignorierte das Blut, das warm und klebrig über sein Kinn lief. »Was ist passiert?« rief er, und beim letzten Wort kippte seine Stimme fast.

Gurk hob den Kopf und sah ihn an, und der Governor fühlte sich sekundenlang wie eine Maus, die von einer Klapperschlange überrascht wird. Im nächsten Moment verzog sich das sichtbare Teil von Gurks Gesicht zu einem triumphierenden Grinsen, das nicht einmal die breite Moroni-Atemmaske verdecken konnte.

»Es hat sich ausgedehnt«, rief er. »Um zwei Kilometer, in alle Richtungen.«

Stone sah auf den Bildschirm, auf den der Zwerg mit ausgestrecktem Finger tippte. Der Computer wiederholte anscheinend immer wieder die letzten Sekunden, bevor die Übertragung abgebrochen war. Zwei Sekunden lang war alles unverändert, und dann plötzlich war der schwarze Kreis viel größer, und das Auge brach in sich zusammen. Die Wolkenmassen stürzten nach innen, und eine Schockwelle lief wie ein heller Ring nach außen, und als sie den Beobachter erreichte, begann alles wieder von vorn.

»Ich habe es gewußt«, rief Gurk. »Diese verdammten Idioten. Ich habe es ihnen gleich gesagt.«

Stone konnte nur stumm auf die kleine gelbe Markierung auf dem Bildschirm starren, die immer wieder von den Wolken verschluckt wurde. »Ich denke, es wächst gleichmäßig«, brachte er schließlich heraus.

»Das tut es auch«, antwortete der Zwerg, die Stimme von der Maske gedämpft. »Das tut es. Jetzt und vorhin.« Er kicherte, und diesmal hörte Stone die Hysterie in Gurks Stimme heraus.

»Nur manchmal«, fügte er hinzu, »manchmal überspringt es eben ein paar Wochen.«


*


Der Mond füllte den größten Teil der Kuppel aus.

»Großartig«, sagte Skudder neben Charity.

»Ja, dieses Panzerglas ist verdammt gut. So, als wäre es überhaupt nicht vorhanden.« Ihr Blick wanderte von einem Krater zum anderen, den ganzen pockennarbigen Rand des Mare Tranquillitatis entlang. Sie hatte einen Teil ihrer Ausbildung dort erhalten, in einer Basis, die zwei Jahre vor der Ankunft der Moroni aufgegeben worden war. Die Menschheit hatte den Mond erschlossen und einige Jahrzehnte lang genutzt, aber sie war nie dort heimisch geworden, und die Moroni hatten nicht viel tun müssen, um die Menschen endgültig von der Mondoberfläche zu vertreiben. Und doch mußte es noch Menschen in dieser unwirtschaftlichen Lage oder bis vor kurzer Zeit gegeben haben, Menschen, die ihnen einen Hilferuf geschickt hatten. Die Störungen in der Erdatmosphäre, die den letzten schweren Kampfhandlungen gefolgt waren, hatten einen vollständigen Empfang unmöglich gemacht. Vielleicht wußten die Jared mehr, die inzwischen den größten Teil der technischen Anlagen in Köln in ihrer Hand hatten, aber wenn dem so war, dann hatten sie es den Menschen verschwiegen - mit Ausnahme von Stone vielleicht.

»Sieben Stunden«, sagte sie. »Die erste Umkreisung wird noch einmal dreißig Minuten dauern. Und dann haben wir wieder festen Boden unter den Füßen.«

»Sehnsucht?« spottete Skudder sanft. »Also, mir gefällt es hier oben.«

»Wir kommen wieder her«, versprach sie ihm mit einem Hauch Sarkasmus. »Aber im Moment komme ich mir zu verwundbar vor, um mich wohl zu fühlen.«

»Was machen unsere Gäste?«

»Bisher kein Lebenszeichen«, antwortete sie. »Sagt Harris.«

»Schön.«

»Ja. Aber ich denke, er muß es wissen. Und wenn ich ehrlich bin, ich schätze, daß es ihm genauso unangenehm wäre wie uns, wenn diese Eier vor der Zeit ausgebrütet werden.«

»Du traust ihm wirklich nicht über den Weg, was?«

Sie deutete auf die Brücke, wo Dubois mit Bender Dienst tat. »Sieh dir unsere Begleiter doch einmal an. Irgend etwas stimmt nicht mit ihnen, mit keinem von ihnen.«

»Mir ist nichts aufgefallen.«

»Natürlich nicht, großer Eigenbrötler. Es ist auch nur so ein Gefühl, ein flüchtiger Eindruck. Wenn man mit ihnen redet, verhalten sie sich ganz normal, sie reden Unsinn wie andere Menschen, zeigen Angst, machen Fehler ... und trotzdem.« Sie sah Skudder von der Seite an. »Ich habe in den letzten zwei Tagen mehr auf sie als auf die Bildschirme geachtet. Weißt du, daß sie so gut wie nie miteinander reden? Ich meine, untereinander, wenn keiner von uns beiden zuhört. Sogar Harris ist stumm wie ein Fisch, was die anderen betrifft, aber uns beiden kaut er ein Ohr ab, wenn wir ihn nicht auf Distanz halten.«

»Du hörst dich an wie eine Verrückte.«

»Ich weiß. Dieser ganze Bockmist macht mich verrückt. Manchmal denke ich, daß man uns einfach aus dem Weg haben wollte. Daß Stone, Gurk und ihre neuen Freunde uns in eine hübsche Konservendose gesteckt und uns ein paar aufgezogene Spielzeugsoldaten mitgegeben haben, bevor sie das ganze Päckchen sauber verschnürt mit einem kräftigen Tritt in die Umlaufbahn befördert haben.«

»Ich weiß nicht«, sagte er nach einer Weile, und seine Stimme klang wieder ernst. »Ich hatte eher den Eindruck, als wenn unsere sogenannten Freunde am liebsten selbst losgezogen wären. Ich weiß nicht, warum es nicht möglich war, das Schiff mit Jared zu bemannen und uns einfach an den Rand zu drängen, aber was immer wir für die Jared erledigen sollen, sie können es wohl nicht selber tun.«

»Zumindest die Erwachsenen nicht«, sagte Charity. »Das macht Sinn. Aber was können wir, was sie nicht können?«

»Vielleicht geht es gar nicht um das Was, sondern um das Wann oder Wo. Vielleicht mögen sie Mondlicht nicht, was weiß ich.«

»Soweit man das aus dieser Nachricht erkennen konnte, spielt sich die Sache sowieso im Dunkeln ab«, meinte sie. »Außer MacDonalds und meinem Namen war ja kaum etwas klar zu identifizieren, aber es war zweimal von ›dunkel‹ die Rede.« Sie zuckte mit den Achseln. »Die Rückseite lag damals im Dunkeln, aber in ein paar Stunden wird die Sonne auch wieder das MacDonald-Gelände erreichen. Vielleicht kommen wir zu spät zu dieser Verabredung, oder es ist die falsche.«

»Wir werden sehen«, sagte Skudder desinteressiert. »Ich habe dieses Herumraten satt. Wir wissen ja nicht einmal, ob man uns hergerufen hat oder ob jemand uns gerade davor warnen wollte.« Er verzog das Gesicht. »Dieses ganze Unternehmen ist ausgemachter Unsinn.«

»Vielleicht.« Sie ließ sich auf diesen Streit nicht ein. Was immer Skudder gegen diesen Flug einzuwenden hatte, eine Sache gab es, die sie genauer untersuchen mußten. Es war die Rede von einem zweiten Tor gewesen, und wenn die Jared dachten, was sie dachte, dann war es höchste Zeit, daß jemand nachsah, was da in der Dunkelheit der Mondrückseite vor sich gegangen war.

»Es könnte sein, daß wir nur einen Teil der Botschaft gehört haben.«

»Wir waren doch in Köln, als sie aufgefangen wurde. Die Jared sind viel zu ungeschickt, um die Aufzeichnungen zu manipulieren. Sie können vielleicht mich täuschen, aber nicht Hartmanns Leute.«

Wenn sie noch Hartmanns Leute sind, versetzte Charity in Gedanken. »Ich glaube auch nicht, daß sie etwas herausgeschnitten haben, aber vielleicht haben wir nicht alles hören können.« Sie fixierte ihn. Im Mondlicht wirkte sein Gesicht fremd und düster. »Weißt du, wie die Jared miteinander sprechen? Oder die Moroni?«

»Ultraschall«, entgegnete er zweifelnd.

»Na, ganz so hoch brauchen wir gar nicht gehen. Du hörst sehr gut, aber ein Kind hört besser.« Reflexhaft hob sie erneut die Schultern. »Ist nicht so wichtig. Ich schätze, wir werden noch einige Überraschungen erleben, bis wir dahinterkommen.«

Wie auf Kommando begannen die Alarmsirenen zu heulen. Auf der Brücke gerieten Dubois und Bender in hektische Bewegung, und auch die Soldaten auf der Plattform eilten zu Haltegriffen und Riemen. Charity hatte sich von der Kuppel in Richtung Brücke abgestoßen, bevor ihr einfiel, daß die HOME RUN von einem Geschoß getroffen werden konnte, während sie unterwegs war. Auch diesmal bestrafte das Universum ihren Fehler nicht. Sie atmete tief ein, als sie die Konsolen erreichte, und schnallte sich hastig in einem der leeren Sitze fest.

»Was ist los?« brüllte sie über den infernalischen Lärm hinweg, und: »Schalten Sie das verdammte Ding ab.«

Schlagartig war es ruhig. »Ortung«, sagte Dubois knapp und drückte ihre Augen an die Feuerleitkonsole, die wie eine Kreuzung aus Öltank und Stereomikroskop aussah. »Niedrige lunare Umlaufbahn, gleicher Drehsinn wie wir, ziemlich sauber in der Ekliptik. Er muß schon eine Weile über dem Mond-Horizont sein, aber es hängt zu tief über der Oberfläche, als daß wir es hätten sehen können.«

»Was?«

»Diskus«, sagte die Frau lapidar.

»Also Moroni«, folgerte Charity. »Verdammt.«

»Wenn sie jetzt beschleunigen, erwischen sie uns kurz vom Eintritt in die Umlaufbahn«, sagte Bender. »Es könnte schwierig werden, die richtige Bahnkorrektur vorzunehmen.«

»Was heißt das?« fragte Charity grimmig.

»Ich schlage vor, wir verzichten auf den Überflug des Zielgebietes und gehen direkt rein«, meinte Dubois. Bender nickte eifrig.

»Klingt vernünftig«, sagte Charity, »aber allmählich werden mir die Ungewißheiten in diesem Unternehmen zu groß. Wir bleiben beim bisherigen Ablauf. Versuchen Sie es einfach. Von mir aus setzen Sie den gesamten Treibstoff ein, aber versuchen Sie es.«

»Verstanden«, sagte Dubois, die den Blick nicht von ihrer Konsole löste. »Sie haben ihre Triebwerke hochgefahren und verändern den Kurs.«

»Natürlich«, sagte Charity. Hinter ihr rasteten Gurte ein, als sich Skudder und Henderson in ihre Sitze zwängten. »Schalten Sie die Waffensysteme ein, und halten Sie das Radar in Bereitschaft.« Auf den Bildschirmen bewegte sich eine kleine rote Markierung, die die Position des Moroni-Schiffes wiedergab, mitten aus dem Mare Tranquillitatis auf sie zu, während sich der Mond unter ihnen und ihrem Gegner wegdrehte. Tatsächlich fielen beide dem Mondhorizont entgegen, die HOME RUN auf einer elliptischen Bahn, von der aus sie in eine kreisförmige Umlaufbahn überwechseln sollte, und die Moroni aus einer kreisförmigen Umlaufbahn heraus in eine Parabel, die sie nahe an der HOME RUN vorbei in Richtung auf die Erde führen würde.

»Entfernung dreitausend Kilometer«, meldete Bender. »Verringert sich weiter.«

»Sie beschleunigen weiter«, stellte Charity fest. Das bedeutete, daß das Zusammentreffen sich verkürzen würde, denn die Flugbahnen stellten sich immer steiler zueinander, und die Geschwindigkeit, mit der sie aneinander vorbeirasen würden, vergrößerte sich von Sekunde zu Sekunde. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn sie aufhören oder bremsen.«

»Wir können zwei unserer Raketen einsetzen«, schlug Dubois vor. »Die anderen beiden sind zu weit ab vom Weg, aber eine von ihnen liegt genau auf der Flugbahn.«

»Wie weit vor ihnen?«

»Noch 800 Kilometer.«

»Und die andere?« fragte Charity, während sie versuchte, sich das Bild räumlich vorzustellen, ein Fächer von vier kleinen Objekten, die vor einem fünften flogen, während ein sechstes von schräg seitlich in diese Formation hineinbeschleunigte.

»Zu weit draußen, etwa tausend Kilometer.«

»Lassen Sie die zweite hochgehen«, befahl Charity aus einer Eingebung heraus.

»Aber das ist sinnlos ...« begann Henderson hinter ihr. Dubois hatte den Knopf schon gedrückt. Eine der Kuppel glänzte plötzlich in einem grellen, gebrochenen Licht, das sofort wieder verschwand. Im Infrarotbild blühte etwas wie eine riesige Seifenblase vor ihnen, etwa anderthalbtausend Kilometer von ihnen entfernt, knapp tausend von dem Moroni-Schiff, dessen Bahn weit an der Blase vorbeilief.

»Die anderen beiden, die zu weit weg sind«, sagte Charity in die Stille hinein. »Lassen Sie sie wenden, und starten Sie die Triebwerke.«

»Das wird ein blinder Schuß«, sagte Dubois. »Und wenn hinter dem Horizont noch ein Empfangskomitee wartet, dann sind wir nackt.«

»Das sind wir jetzt schon«, erwiderte Charity mißmutig. »Wir haben nur diese eine Karte. Sehen Sie zu, daß Sie etwas treffen.«

»Verstanden.« Die Blase auf dem Bildschirm wuchs und wurde zugleich dunkler. Die Spuren der Explosion waren nicht mehr zu erkennen. Ohne Luft oder andere Materie, die zur Weißglut erhitzt und in eine Druckwelle gepreßt werden konnte, war eine Megatonnen-Explosion ziemlich unspektakulär. Die einzige Wirkung, die Charity an den Instrumenten erkennen konnte, war ein leichter Anstieg des Strahlungspegels, der bereits wieder abflaute.

»Bender, zeichnen Sie auf dem großen Bildschirm noch die Position der Raketen ein.«

»Sie haben aufgehört zu beschleunigen«, sagte Dubois. »Ich habe die Raketen wenden können, vielleicht haben wir jetzt eine Trefferchance.«

»Dann starten sie.« Zwei der neuen, diesmal blauen Lichtpunkte auf dem Bildschirm setzten sich in Bewegung und wurden langsamer auf ihrer bisherigen Bahn, die sie auf den Mond zufallen ließ. Die Fallkurve wurde steiler, neigte sich von der anderen Seite in die Blase hinein, die sich ebenfalls im freien Fall auf den Mond zubewegte. Der Rand der Blase berührte die vierte Rakete und verschluckte sie.

»Haben Sie noch die Kontrolle über den anderen Flugkörper?« fragte Charity.

»Ja.« Dubois blickte kurz hoch. »Da ist ein wenig Partikel-Strahlung in die Elektronik geknallt, aber die Hauptkreise sind intakt.«

»Entfernung zum Moroni-Schiff?«

»Fünfhundertzwanzig, fällt noch.« Bender rechnete hastig. »Wenn sie nicht bremsen oder wieder beschleunigen, ist bei dreihundertachtzig Schluß. In elf Sekunden.«

»Vielleicht halten sie die Rakete für ein Trümmerstück«, sagte Charity. »Schalten Sie drei Sekunden vorher unser Radar ein, und gleich danach starten Sie die Rakete. Wenn es uns gelingt, sie zu verwirren ...«

»Verstanden«, sagte Dubois, die nun etwas gehetzt klang. Die beiden blauen Punkte auf dem Bildschirm hatten den dritten fast überholt, als plötzlich eine Reihe Lampen aufleuchtete und das Bild sich geringfügig verschob, während der Computer mit dem scharfen Blick des Radars die bisher ungenauen Bilder verfeinerte und ersetzte. Gleich darauf blühte im Inneren der großen, dunklen Seifenblase eine kleinere, hellere, die sich rasch auf den roten Punkt zubewegte und ihn verschluckte. Niemand bemerkte es, denn die Aufmerksamkeit aller war auf die Kette von zehn gelben Punkten gerichtet, die sich spiralförmig um die Bahn des Moroni-Schiffes ausbreiteten, weit außerhalb der Seifenblasen, die die Atomexplosionen an den Himmel gemalt hatten, und nur noch ein paar hundert Kilometer von der HOME RUN entfernt.

»Raketen«, sagte Bender. »Diese hinterlistigen ...«

»Genau wie wir«, sagte Charity. Ihr Herzschlag übertraf alle Rekorde. »Radar aus, Dubois. Bender, Laser und Raketen. Nehmen Sie alles, aber halten Sie uns diesen Hornissenschwarm vom Hals.«

»Okay.« Weiter kam er nicht. Dubois stieß einen unterdrückten Freudenschrei aus. Auf dem Bildschirm zogen sich zwei kurze, blaue Linien in den ineinander verwobenen Seifenblasen bis direkt an das Moroni-Schiff heran, bevor sie ihrerseits in einem neuen Paar Blasen zerplatzten.

»Sie haben ihr Radar eingeschaltet«, sagte die Frau. »In der letzten Sekunde. Die automatische Zielsuche hat übernommen.« Sie sah Charity an, und ihre Augen leuchteten. Es war das erste Mal, daß Charity an einem ihrer Begleiter diese Art von Lebendigkeit entdeckte. »Ein Volltreffer, die andere unmittelbar neben ihnen.«

Der rote Punkt auf dem Bildschirm verschwand. Die neuen Seifenblasen wirkten ein wenig heller und massiver als die anderen. Die mehrere tausend Tonnen Materie eines Sternenschiffes hatten ihnen als zusätzliche Nahrung gedient, gaben dem Feuerball ein wenig mehr Substanz.

»Ich glaube, die sind wir los«, sagte Skudder in die Stille hinein.

»Ihre Raketen nicht«, erwiderte Charity. Wie zur Bestätigung schlug plötzlich gleißendes Licht in die Sichtkuppel. Der geringe Anteil, der reflektiert wurde, genügte, um sie vorübergehend blind werden zu lassen.

Zahlreiche grelle Sterne tanzten schmerzhaft auf ihrer Netzhaut.

»Hinter uns«, meldete Dubois, »nicht mal achtzig Kilometer.« Die akustische Strahlungswarnung summte leise vor sich hin. »Wir haben uns gerade rechtzeitig geduckt, was das Radar betrifft.«

Bender betätigte hastig die Kontrollen, und auf der Hülle vibrierten schwere Maschinen, als die Laserkanonen eines der Ziele unter Feuer nahmen. Dann dröhnte die Hülle der HOME RUN, als sich zwei Raketen aus ihren Rohren lösten. Dubois und Bender arbeiteten schweigend und konzentriert, während die anderen hilflos dem tödlichen Ballett zusahen, das sich hoch über der Mondoberfläche entfaltete. Inzwischen konnte Charity wieder etwas erkennen. Sie hielt ihren Blick sorgfältig von den Sichtkuppeln fern. Paradoxerweise spürte man so gut wie nichts von den titanischen Explosionen, die nach astronomischen Maßstäben in unmittelbarer Nähe stattfanden. Im Vakuum spielten Fehlschüsse keine Rolle, auch wenn sie knapp ausfielen, und Treffer spürte man sowieso nicht mehr. Zweimal zeichnete grelles Licht harte Schlagschatten in das Innere der HOME RUN, begleitet von einem heftigen Stakkato der Strahlungsanzeigen. Auf den Bildschirmen verschwanden zwei gelbe Punkte, die die Flugbahn der HOME RUN bereits passiert hatten, und zeichneten zwei zusammenwachsende Seifenblasen. Dort, wo sich die dünnen Hautschichten der schwachen Schockwellen begegneten, entstand eine geringfügig hellere, fast stillstehende Zone. In diesem schmalen Streifen staute sich einen kurzen Moment die Hitze, bevor sie wieder auseinanderlief. Der Computer setzte die Infrarot-Daten in ein gespenstisch schönes Bild um. Zwei weitere Punkte wurden ausgelöscht, vermutlich hatte Bender mit den Laserkanonen getroffen. Charitys Hände verkrampften sich unwillkürlich am Sitz, als die fünf übriggebliebenen Geschosse, die den anderen hinterhergelaufen waren, nacheinander ihren Kurs änderten und zu Linien heranwuchsen, die zunehmende Geschwindigkeit anzeigten.

»Zielradar«, rief Bender. Dubois betätigte hektisch eine Schaltergruppe, und die letzten fünf Raketen verließen ihre Abschußrohre. Fünf blaue Linien zogen sich auf die anfliegenden Moroni-Geschosse zu, benutzten deren Zielradar für ihren eigenen Anflug. Ein weiteres Geschoß verschwand plötzlich, und Bender stieß einen verhaltenen Freudenschrei aus. Drei Raketen trafen ihre Ziele, gelbe und blaue Linien schnitten sich und verblaßten, als die Raketen in unmittelbarer Nähe der Moroni-Geschosse explodierten, und blühten in neuen Seifenblasen auf, die gleich darauf die Bahn der HOME RUN berührten. Kontrollampen wechselten von Grün auf Rot, und die Strahlungswarnung heulte warnend los. Die Bildschirme verfärbten sich vorübergehend, und die Darstellungen wurden unregelmäßig, als harte Strahlung die empfindliche Elektronik störte, Schaltkreise ausbrannte und Speicherzellen löschte.

»Das letzte ist zu nah«, rief Charity. Sie beugte sich vor und hieb mit der Faust auf eine Kontrolle, die den Gefechtskopf der Rakete entschärfte. Dubois sah sie entsetzt an. Es war ein riskantes Spiel. Wenn die eigene Rakete, die sich dem hereinkommenden Geschoß in einem Bogen näherte, ihr Ziel nicht direkt traf und mit der Wucht des Aufpralls zerstörte, dann waren sie praktisch schutzlos. Bender feuerte schwitzend auf das Maroni-Geschoß, aber es war bereits zu nah und zu schnell. Mit angehaltenem Atem verfolgte Charity, wie sich ihre eigene Rakete dem Geschoß näherte. Die Linien berührten sich, aber keine Blase entstand, keine Explosion zerstörte angreifende und abfangende Raketen. Der Computer zeichnete die Linien noch ein wenig länger. Charity biß sich auf die Lippen, registrierte, wie Dubois den Kopf hob und mit nackter Panik auf das Infrarotbild starrte. Die Linien verbreiterten sich geringfügig.

»Sie hat getroffen«, schrie Bender erleichtert. Die Laserkanonen verstummten.

Auf dem Bildschirm verblaßten die beiden Linien, nachdem sie zuvor zu kurzen, dünnen Fächern auseinandergelaufen waren, den Bahnen der Trümmerstücke folgend, die nach der Kollision von den Raketen übriggeblieben waren. Der gelbe Fächer passierte die HOME RUN auf ihrer Bahn.

»Verdammt knapp«, sagte Charity und holte tief Luft. »Bender, die Kurskorrektur. Beeilen Sie sich.«

»Das schaffen wir nicht mehr«, sagte Dubois, die ihre maskenhafte Gelassenheit wiedergefunden hatte. Charity betrachtete noch einmal den Schauplatz des Kampfes, der nicht einmal zwei Minuten gedauert hatte. Ein gelber Punkt trieb langsam auf die Mondoberfläche zu. Die letzte eigene Rakete, erinnerte sie sich, deren Ziel Bender mit dem Laser zerstört hatte. Vermutlich würde sie mit ausgebranntem Triebwerk und entschärftem Sprengkopf irgendwo auf dem Mond einschlagen, abseits von MacDonald. Die Bahn wich schon deutlich von dem Kurs der HOME RUN ab. Eine rötliche, immer größer werdende Wolke zeigte an, wo sich die Überreste des Moroni-Schiffes befanden. Einige der Trümmerstücke schienen trotz der nuklearen Explosion noch ziemlich groß zu sein. Panzerung, vermutete Charity, oder massive Teile des Antriebs. Es konnte keine Überlebenden gegeben haben. Nicht einmal Moroni hätten dieses Inferno überstanden. Eine Handvoll hellblaue und blaßgelbe Wölkchen markierten die Reste der Geschosse, die nicht explodiert waren, und ganz schwach waren die inzwischen hauchdünnen Schockwellen der Atomexplosionen zu erkennen, die die Wege der HOME RUN und ihres vernichteten Gegners markierten. In völliger Lautlosigkeit hatten zwanzig Megatonnen Explosivkraft ein Schiff, seine Mannschaft und seine Waffen verschlungen und ein anderes Schiff nahezu entwaffnet.

»Wir sind noch mal davongekommen«, sagte sie zu Skudder, der bleich geworden war. Dubois schaltete eine kurze Entwarnung für den Alarm.

»Kein Umlauf mehr möglich«, sagte Bender von seinem Platz. Der kleine Monitor vor ihm war mit Berechnungen bedeckt. »Tut mir leid, aber die haben uns vierzig Sekunden zu lange in Atem gehalten. Wenn wir jetzt noch in eine tiefe Umlaufbahn wechseln, haben wir hinterher vermutlich keinen Treibstoff mehr für den Landeanflug.«

»Reserven?«

»Keine Reserven, Captain Laird.« Er hob die Hände. »Wir müssen den Zielanflug direkt machen. Das Fenster ist in zwei Minuten dicht.«

»Harris?« sagte sie in die Sprechanlage hinein.

Die Antwort kam prompt. »Klingt nicht so, als hätten wir eine Wahl.«

»Wir werden zu Fuß gehen müssen«, warnte sie ihn. »Ich weiß nicht, wie weit.«

»In einer tiefen Umlaufbahn schießen sie uns problemlos ab. Wenn ich richtig mitgezählt habe, haben wir keine Raketen mehr. Wir können eine Bodenstation weder angreifen noch einen Angriff abwehren. Was sollen wir also tun?«

»Wir haben die Laserkanonen«, erwiderte sie ohne Überzeugung. Die vorzeitige Landung widerstrebte ihr, und die Aussicht auf einen Gewaltmarsch durch unwegsames Gelände behagte ihr noch viel weniger.

»Vergessen Sie's«, erwiderte Harris. Bender murmelte etwas und bewegte zustimmend den Kopf. Sie sah Skudder an, der hilflos die Schultern hob. »Okay«, sagte sie und nickte ergeben. »Bringen Sie uns runter, Bender.«

»Wohin?«

»Mitten rein«, entschied sie. »Lassen Sie die Kameras laufen, Dubois, und halten Sie die Augen offen.«

»Verstanden«, sagte die Frau knapp. Charity dachte flüchtig an den Ausdruck der Angst, den sie kurz vor Ende des Raumgefechtes auf Dubois' Gesicht gesehen hatte. Es schien unglaublich, daß die Frau in einem Moment so aussehen konnte, als sei sie nahe am völligen Zusammenbruch, und im nächsten Moment ihre Gefühle wieder derart unter Kontrolle hatte. Sie betrachtete das Profil der Frau. Ihre Gesichtszüge erinnerten sie an etwas, aber sie kam nicht darauf, wieso der Anblick ihr eine Gänsehaut bereitete.

»Dann kommen wir nahe an Grube I herunter«, stellte Bender fest. »Bei dem großen Massetreiber. Das ist eine vernünftige Marke.«

»Halten Sie sich westlich«, riet Charity geistesabwesend. »Das Gelände dort ist - war - einigermaßen eben.«

»Okay.« Die Beschleunigungswarnung ertönte und löste hektische Betriebsamkeit auf der Zwischendeck-Plattform aus. Sie stürzten auf den Mondhorizont zu, und gerade als sie in den Mondschatten eintraten und das Sonnenlicht aus den Sichtkuppeln verschwand, als sei es abgeschnitten worden, preßte der Andruck sie tiefer in ihre Sitze. Minuten verstrichen. Die HOME RUN verlor sichtlich an Geschwindigkeit, was nur daran zu erkennen war, daß sich der Bogen der berechneten Flugbahn stärker neigte und auf ein Gebiet auf der Mondrückseite zielte, dem sie sich immer mehr näherten. Die Höhe über der Mondoberfläche nahm stetig ab. Gedankenverloren registrierte Charity, daß die letzte ihrer Raketen noch immer vor ihnen war, und verwünschte sich für ihre Unaufmerksamkeit.

»Was ist?« fragte Skudder.

»Die Rakete«, erklärte sie. »Sie ist eintausendfünfhundert Meter vor und ein Stück unter uns. Sie wird MacDonald nicht treffen, aber sie wird nah herankommen. Nah genug, um uns anzukündigen.«

»Wieso?«

»Wenn da unten irgend jemand den Himmel beobachtet und ein paar gute Detektoren besitzt, dann sieht er sie, sobald sie über den Horizont ist. Oder die seismischen Sensoren registrieren ihren Einschlag auf dem Boden.« Sie fluchte laut. »Das ist so, als würden wir anklopfen, bevor wir die Tür eintreten. Oder als würden wir eine große Leuchtreklame an den Himmel hängen.«

»Sie wissen sowieso, daß wir kommen«, versetzte Bender. »Denken Sie an das Moroni-Schiff, das uns abgefangen hat.«

»Sie wissen nicht, daß wir noch da sind«, erwiderte Charity mißmutig. »Dubois, machen Sie den Sprengkopf wieder scharf. Vielleicht ist uns das verdammte Ding wenigstens noch als Deckung nützlich oder als Ablenkung.«

»Verstanden.« Dubois löste sich von den Geräten. In diesem Moment erinnerte sich Charity an ihr Gesicht. »Noch vierzig Sekunden«, sagte die Frau, als Charity gerade ihren Mund öffnete. Im nächsten Moment schrillte ein neuer Alarm in ihren Ohren und übertönte ihren überraschten Aufschrei.

»Wir sind vom Radar erfaßt worden«, rief Bender. »Das ist MacDonald.«

Der Computer zeichnete die Umrisse der Basis auf die Mondkarte, nahe am Horizont. Die Mondoberfläche nahm inzwischen über die Hälfte des großen Bildschirms ein. Die HOME RUN passierte gerade in einhundert Kilometern Höhe eine Kratergruppe, deren größter Krater, wie sie sich flüchtig erinnerte, nach Ernst Mach benannt worden war. Ein blinkender Lichtfleck markierte den Standort der starken Radaranlage, die sie erfaßt hatte. Zwei weitere Lichtflecken erschienen, als weitere Radaranlagen aktiviert wurden. Eines der auf Empfang geschalteten Funkgeräte plärrte plötzlich mit einer wirren Tonfolge los, irgendeine Anforderung, die vermutlich nur ein Moroni verstehen konnte oder ein Computer. Wie hypnotisiert betrachtete sie die kurze, schnurgerade Markierung des großen Massetreibers, der ziemlich genau in ihre Richtung zeigte, während Bender die HOME RUN mit ständig sinkender Geschwindigkeit auf ihrer Fallkurve hielt. Im Funkkanal herrschte plötzlich Stille. Die Ortungsgeräte entdeckten neue Aktivität in dem Gebiet, das sie anflogen, Maschinen, die hochgefahren wurden, Energie erzeugen und sammelten, zweifellos, um sie unter Beschuß zu nehmen, solange sie noch ein deutlich sichtbares Ziel abgaben.

»Vielleicht doch ganz gut, daß wir auf den Überflug verzichten«, sagte sie zu Skudder, der anscheinend die Übersicht verloren hatte. »Verdammt viel los da unten.«

Die Höhe verringerte sich auf zwanzig Kilometer, die Entfernung betrug nur noch knapp zweihundert Kilometer. Die Warnung oder Aufforderung, die sie über Funk empfangen hatten, wurde wiederholt. Bender schaltete den Antrieb ab, und das tonnenschwere Gewicht, das gerade noch auf ihrer Brust gelastet hatte, verschwand von einem Augenblick auf den anderen. Ihr angespannter Körper katapultierte sich halb in den Gurten nach oben, ein Reflex, den sie nach all den Jahren immer noch nicht ganz abgelegt hatte. Die unsichtbaren Finger des Radars, die nach ihnen griffen, wurden kräftiger und länger, schossen sich ein, wie um den eigentlichen Schüssen den Weg zu bereiten.

Dubois ergriff ungewohnte Initiative und schaltete den Alarm aus, ganz ohne Aufforderung. Im nächsten Moment gellte ein weiterer Alarm.

»Kollisionswarnung«, rief Charity verblüfft. »Was soll das?«

Sie waren nur noch achtzig Kilometer vom Ziel entfernt, und der Himmel vor, über und hinter ihnen war vollkommen leergefegt. Dann erkannte Charity die gelbe Markierung, die ihnen entgegenkam.

»Entfernung sechzig Kilometer«, meldete Bender. »Teufel, ist der schnell.«

»Ich sehe keinen Antrieb«, schnappte Charity, die auf die Infrarotwiedergabe starrte. Der charakteristische Wärmeschweif eines eingeschalteten Rückstoßtriebwerks fehlte völlig. Trotz des verkürzten Winkels hätten sie irgend etwas sehen müssen.

»Da ist keiner. Wie haben die das Ding ohne Antrieb hochbekommen?« Bender schaltete um, und auf seinem Bildschirm erschien etwas, das wie die Umrißzeichnung eines Schuhkartons aussah.

»Was ist das überhaupt?«

»Erzcontainer«, antwortete Charity im selben Moment, in dem sie es erkannte. »Da kommt noch einer.« Ein zweiter Punkt bewegte sich hinter dem ersten. »Sie haben den Massetreiber in Betrieb genommen. Das sind Computer für aufbereitetes Uranerz, so ungefähr fünfzigtausend Bruttoregistertonnen pro Kiste.«

»Sieht so aus, als hätte Goliath dem David die Schleuder weggenommen«, spottete Skudder. »Allerdings, wenn die Moroni jetzt schon mit Steinen schmeißen, dann geht ihnen wohl langsam die Puste aus.«

»Wenn einer dieser Brocken trifft, steht ein wenig Asthma gegen unseren Tod«, erwiderte Charity. Tatsächlich war sie nicht ernsthaft besorgt. Die Container beschrieben eine vorgeplante Bahn, und sie konnten kaum manövrieren. Die Korrekturtriebwerke waren für langsame Drift über einen Zeitraum von Monaten gedacht. Ursprünglich waren diese Container für den Transport zur Orbit-Station und zu den geplanten L5-Basen im Raum zwischen Erde und Mond gedacht gewesen. »Vielleicht sind wir nur in eine Verladeoperation hineingeplatzt«, fügte sie hinzu, gerade als der erste Container explodierte. Der Blitz blendete nicht nur sie, und Bender, der über die Sichtkontrolle der Laserkanonen gebeugt gewesen war, schrie schmerzerfüllt auf.

»Sie haben ihn gesprengt«, rief Dubois, obwohl sie vermutlich auch nicht viel sehen konnte.

»O verdammt«, rief Charity und rieb sich die Augen. »Geben Sie Dekompressionsalarm, rasch.« Sie drehte den Kopf in die Richtung, in der sie die Bordsprechanlage vermutete. »Harris, die Helme zu. Zieht die Köpfe ein, Leute.« Was sie noch sagte, ging im dumpfen Grollen des Deko-Alarms unter. Ein weiterer Blitz leuchtete auf ihrer schmerzgepeinigten Netzhaut, und sie preßte hastig die Fäuste vor das Gesicht. »Das war der zweite Container«, rief jemand im allgemeinen Lärm. Etwas prasselte gegen die Außenhülle, wie ein Hagelschauer, die kleineren Trümmerstücke, die schneller waren. Charity griff nach hinten, nahm den Druckhelm von der Befestigung hinten am Sitz und schloß das Visier. Dann koppelte sie den Luftschlauch des Sitzes an. Ohne Tornister waren sie von den Bordsystemen abhängig, ein Umstand, der sich in den nächsten Minuten als verhängnisvoll erweisen mochte. Ein weiterer Blitz, der wieder den Strahlungsalarm auf den Plan rief. Wieder einmal fragte sie sich, wem das lähmende, infernalische Getöse verschiedener Alarmsirenen eigentlich nützen sollte. Sie konnten schließlich nicht mehr als einmal sterben. Der Hagelschauer ließ nach, gewann dann aber plötzlich wieder an Kraft. Vermutlich waren sie in die Trümmerwolke des zweiten Erzcontainers hineingeraten. Sie konnte schwach die Kontrollen erkennen und die sich vor den Lichtern hektisch bewegenden Silhouetten von Dubois und Bender, die halb blind versuchten, die HOME RUN von den Explosionen wegzudrehen. Ein vierter Blitz warf Schlagschatten in einen Teil des Schiffes, in dem sich niemand befand. Der Strahlungsmonitor zeigte ein furchterregendes Rot. Dann traf der erste große Brocken, und ein mörderischer Schlag schüttelte Menschen und Ausrüstung durcheinander wie Würfel in einem riesigen Becher. Der zweite Treffer war noch schlimmer als der erste. Durch den Lärm konnte Charity das grauenhaft pfeifende Geräusch entweichender Luft hören. Die Zentralachse brach knirschend auseinander, und die Brückenbefestigung gab unter der Wucht einer weiteren Kollision nach. Die Lichter gingen für zwei, drei Sekunden aus, und als sie wieder aufflackerten, explodierte unter Deck eine der Energiezellen in einer Wolke aus hellweißem Licht und pechschwarzem, öligem Rauch. Wieder kollidierte die HOME RUN mit einem Trümmerstück. Charity fühlte sich wie eine Fliege, die im Inneren einer riesigen, dröhnenden Glocke aus Gußeisen verzweifelt versuchte, Wänden und Glockenklöppel auszuweichen. Munitionsbehälter und Ausrüstungsgegenstände hatten sich in den Wandnischen gelöst und bewegten sich mit absurd geringer Geschwindigkeit majestätisch durch ihr Blickfeld.

Dann verebbten die Geräusche, und es wurde totenstill, obwohl sie die neuen Erschütterungen deutlich spüren konnte. Das Schiff fiel torkelnd dem Boden entgegen. Ein Hauch von Rauhreif bedeckte die Pulte und Bildschirme.

»Die Luft ist raus«, meldete Dubois über Bordfunk. Sie hatte Benders Konsole übernommen.

»Wie viele noch?« fragte Charity mit deutlicher Furcht in der Stimme.

»Zwei, aber sie sind schon an uns vorbei.« Dubois deutete auf den Bildschirm. »Ich habe diese Rakete hochgejagt, nach der dritten Explosion. Kann sein, daß der Strahlungsschock die Zünder gestört hat. Wir sind durch.«

Charity sah sich um. Das Innere der HOME RUN war ein einziges Chaos aus treibenden Behältern, losgerissenen Verstrebungen, zerbrochenen Tanks. Flüssigkeitstropfen schillerten in apartem Rosa. Nach der Farbe zu schließen, handelte es sich um Kohlenstoff-Schmiermittel oder um die kümmerlichen Reste einer an Bord geschmuggelten Flasche Rotwein. Das Zwischendeck hatte ein großes, unregelmäßiges, brandgeschwärztes Loch, dort, wo die Energiezelle hochgegangen war, und mehrere saubere, rechteckige Löcher dort, wo sich Bodenplatten gelöst hatten. Die Brücke pendelte frei im Raum, nur noch an zwei Seiten mit der Hülle des Schiffes verbunden, und abgerissene Kabel peitschten in das Vakuum, sprühten Funken, wenn sie einander berührten. Jedesmal, wenn das geschah, flackerten Kontrollampen und Bildschirme. Trotzdem konnte Charity auf der Computerdarstellung erkennen, wie sich die beiden letzten Container gleichmäßig von ihnen entfernten. Der Massetreiber, der sich wie eine langgezogene Landebahn vor ihnen streckte, hatte anscheinend seine Munition verschossen.

»Was war das?« fragte Skudder, die Stimme blechern über den noch immer gestörten Kanal.

»Sie haben die Container vermint«, erklärte Charity, und ihre Wut brach sich Bahn. »Ein paar kleine taktische Atomwaffen, die eigentlich keine Bedrohung für uns gewesen wären, und drumherum mehrere tausend Tonnen Uran und Abraum. Ein besseres Schrapnell kann man sich nicht vorstellen. Sie haben sie einfach in unsere Richtung katapultiert und platzen lassen.«

»Wir haben mehrere dicke Brocken abbekommen«, sagte Bender, der sich noch immer die Augen rieb. »Mindestens drei große Lecks, und ich glaube, die Hülle hat schweren Schaden erlitten.«

»Was ist mit dem Antrieb?« fragte Charity hastig.

»Keine Anzeige«, entgegnete Dubois lakonisch. Niemand sagte etwas. Charity blickte hinunter auf das rauchende Loch im Zwischendeck, dann auf den Bildschirm. Ihre Höhe betrug nur noch zwei Kilometer, und die Geschwindigkeit, die die HOME RUN noch hatte, war jetzt deutlicher zu erkennen. Sie trieben inzwischen ein gutes Stück seitlich über dem Massetreiber, der am Bildschirmrand aus dem Blickfeld geriet.

»Das heißt, wir werden eine unsanfte Landung erleben«, sagte Charity schließlich. »Sind wir wenigstens auch noch den Treibstoff losgeworden?«

»Die Tanks sind leer«, nickte Dubois. »Das heißt, wenn das Display noch funktioniert. Zumindest werden wir nicht explodieren, wenn der Reaktor zusammenhält.«

Die beiden Frauen sahen sich an.

»Einhundertachtzig Kilometer pro Stunde horizontal«, sagte Dubois einfach. »Den Vertikalanteil können wir vergessen, glaube ich.«

»Wir werden ein gutes Stück rollen«, faßte Charity tonlos zusammen. »Sofern wir nicht von einem wohlmeinenden Berg aufgehalten werden.«

»Keine Chance«, warf Skudder ein, der gebannt auf den Bildschirm starrte. Sein Gesichtsausdruck erinnerte an einen Passanten, der mitten in einen Verkehrsunfall hineingeraten war. »Die Gegend ist flach wie ein Bügelbrett.«

»Wurde ja auch Zeit, daß wir mal etwas Glück haben«, stieß Charity hervor. »Wie lange noch?«

»Neunzig Sekunden«, meldete Bender.

»Bender, sehen Sie zu, daß Sie die Fluglage von diesem Ding stabilisieren. Wenn wir unseren dick gepanzerten Hintern die größte Wucht schlucken lassen, haben wir eine Chance.« Sie löste entschlossen die Gurte und schnappte sich den Tornister, der unter dem Sitz am Boden angebracht war. »Los, die anderen weg hier. Die Brücke geht bestimmt zum Teufel. Sucht euch einen Platz in den Wandnischen, bevor es wieder losgeht, und haltet euch gut fest.« Sie stieß sich in den freien Raum ab. »Kommen Sie hinterher, sobald Sie fertig sind, Bender.«

»Verstanden«, kam die Antwort. Skudder, Henderson und Dubois bahnten sich hastig ihren eigenen Weg zu den Wandnischen, die ihren Inhalt ziemlich vollständig ins Innere ausgeschüttet hatten. Charity faßte mit der freien Hand nach einem Gurt, zog sich in die nächstgelegene Nische hinein und wickelte sich in die zerfetzten Reste eines Sicherungsnetzes, bevor sie damit begann, ihren Druckanzug an den Tornister anzuschließen. Kühle, saubere Luft ersetzte das schon leicht stickige Gemisch in ihrem Helm. Sie fand noch zwei weitere Gurtenden und schnallte sich fest. Skudder winkte ihr aus seiner Nische zu, eingewickelt wie ein kleines Kind. Zufrieden sah sie, daß Harris und zwei seiner Leute sich ebenfalls in Sicherheit gebracht hatten. Die Korrekturdüsen sprangen an, und nach und nach verschwand das übelkeiterregende Karussellgefühl. Aus den Augenwinkeln registrierte sie, wie sich Bender losschnallte und nach seinem Tornister bückte. Ihre innere Stimme warnte sie. Sie schaltete den Funk um und öffnete den Mund.

In diesem Moment begann die große Glocke wieder zu dröhnen, und die Welt brach auseinander. Nicht schon wieder, dachte sie noch, als ihr Hinterkopf ein weiteres Mal schmerzhaft Bekanntschaft mit irgendeinem harten Gegenstand schloß, dann wurde es endgültig dunkel.

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