5. Prinz Corin

„Meine liebe Schwester“, sagte König Edmund. „Du mußt jetzt deinen ganzen Mut zusammennehmen. Denn ich sage dir klipp und klar, daß uns große Gefahr droht.“

„Wieso, Edmund?“ fragte die Königin.

„Ich glaube nicht, daß es so einfach sein wird, Tashbaan zu verlassen. Solange der Prinz Hoffnung hatte, dein Jawort zu erlangen, waren wir hochgeschätzte Gäste. Aber bei der Mähne des Löwen – ich glaube, sobald du ihn offen abweist, werden wir kaum mehr sein als gewöhnliche Gefangene.“

Einer der Zwerge pfiff leise vor sich hin.

„Ich habe Eure Majestäten gewarnt, ich habe euch gewarnt“, sagte Patschfuß der Rabe.

„Ich war heute morgen beim Prinzen“, fuhr Edmund fort. „Er ist leider gar nicht daran gewöhnt, seinen Willen nicht durchzusetzen. Er ist sehr erbost, daß du dir so lange Zeit nimmst und immerzu ausweichende Antworten gibst. Um ihn vorzubereiten, habe ich eine wegwerfende Bemerkung über die Wankelmütigkeit der Frauen gemacht und angedeutet, seine Werbung könne vergeblich sein. Er wurde böse und gefährlich. In jedem Wort, das er sprach, lag unter dem Deckmantel von höflichem Gerede eine klare Drohung.“

„Ja“, sagte Tumnus. „Als ich gestern mit dem Großwesir zu Abend speiste, war es genauso. Er fragte mich, wie mir Tashbaan gefiele. Ich konnte ihm nicht sagen, daß mir jeder einzelne Stein dieser Stadt zuwider ist, aber lügen mochte ich auch nicht. So sagte ich ihm also, daß mein Herz jetzt, Wo der Hochsommer naht, den kühlen Wäldern und den taufeuchten Hängen Narnias entgegenschlägt. Er setzte ein Lächeln auf, das nichts Gutes zu bedeuten hatte, und sagte: ‚Nichts wird dich daran hindern, dort wieder herumzutanzen, kleines Ziegenbein – vorausgesetzt natürlich, ihr laßt uns zum Tausch eine Braut für unseren Prinzen da.‘“

„Meint ihr, er würde mich mit Gewalt zur Frau nehmen?“ rief Suse.

„Das befürchte ich, Suse“, sagte Edmund.

„Aber wie kommt er nur darauf? Glaubt der Tisroc, unser Bruder, König Peter der Prächtige, ließe sich das bieten?“

„Sir“, sagte Peridan zum König. „So verrückt können die hier doch nicht sein. Glauben die denn, Narnia würde einem solchen Streich untätig zusehen?“

„Nun“, meinte Edmund. „Ich vermute, daß der Tisroc Narnia nur wenig fürchtet. Narnia ist ein kleines Land. Aber es ist auch ein freies Land und als solches dem Tisroc schon immer ein Dorn im Auge. Ihm wäre nichts lieber, als uns auszulöschen oder zu verschlucken. Als er es erstmals zuließ, daß der Prinz als dein Bewerber nach Feeneden kam, Schwester, da suchte er vielleicht nur einen Grund, gegen uns vorzugehen. Höchstwahrscheinlich wäre es ihm am liebsten, wenn er auf einen Schlag Archenland und Narnia bekäme.“

„Soll er es nur versuchen!“ meinte der zweite Zwerg. „Zur See sind wir so stark wie er. Und wenn er uns auf dem Landweg angreift, muß er erst einmal die Wüste durchqueren.“

„Wahr gesprochen, Freund“, entgegnete Edmund. „Aber bildet die Wüste einen sicheren Schutz? Was meint Patschfuß dazu?“

„Ich kenne die Wüste gut“, sagte der Rabe, „denn ich habe sie in meinen jüngeren Jahren kreuz und quer überflogen. Eines ist gewiß: wenn der Tisroc den Weg über die große Oase einschlägt, wird es ihm nicht gelingen, ein großes Heer nach Archenland zu führen. Sie könnten die Oase zwar am Ende eines Tagesmarsches erreichen, doch die Quellen dort führen nicht genug Wasser, um den Durst aller Soldaten und Tiere zu löschen. Aber es gibt noch einen anderen Weg.“

Shasta spitzte mehr und mehr die Ohren.

„Derjenige, der diesen Weg finden will“, sagte der Rabe, „muß von den Gräbern der alten Könige aus nordwestlich reiten, und zwar so, daß er die Doppelspitze des Berges Pire immer genau vor sich sieht. Dann wird er nach einem Tagesritt oder wenig mehr zum Eingang eines Felsentales kommen, der so eng ist, daß man ihn kaum als solchen erkennt. Wenn man in dieses Tal hineinblickt, ist weder Gras noch Wasser noch sonst etwas zu sehen. Doch wenn man hineinreitet, trifft man auf einen Fluß, an dessen Ufern man bis nach Archenland reiten kann.“

„Kennen die Kalormenen diesen Weg?“ fragte die Königin.

„Freunde“, sagte Edmund. „Wozu soll diese Unterhaltung führen? Wir wollen doch nicht wissen, ob Narnia oder Kalormen den Sieg davontrüge, wenn es zum Krieg zwischen den beiden Ländern käme. Wir wollen wissen, wie wir die Ehre der Königin und unser Leben retten und aus dieser teuflischen Stadt fliehen können.“

„Ich bin an allem schuld“, jammerte Suse und brach in Tränen aus. „Hätte ich nur niemals Feeneden verlassen. Wie glücklich waren wir doch, bevor diese Botschafter aus Kalormen kamen. Die Maulwürfe pflanzten gerade einen Obstgarten für uns ... oh ... oh.“ Und sie vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte.

„Mut Suse, nur Mut!“ mahnte Edmund. „Vergiß nicht ... Aber was ist nur los mit dir, Meister Tumnus?“ Denn der Faun packte sich an beiden Hörnern, als wolle er seinen Kopf festhalten. Dabei krümmte er sich vor und zurück, als hätte er Leibschmerzen.

„Sprecht mich nicht an, sprecht mich nicht an!“ rief Tumnus. Ich denke. Ich denke so sehr, daß ich kaum atmen kann. Wartet, wartet, ihr müßt warten!“

Einen Augenblick lang machten alle ein verwirrtes Gesicht und schwiegen. Dann schaute der Faun auf, atmete tief ein, wischte sich die Stirn und sagte: „Das einzige Problem ist, mit Vorräten beladen zu unserem Schiff hinunterzugelangen – ohne gesehen oder aufgehalten zu werden.“

„Ja“, sagte einer der Zwerge trocken. „Genau, wie es für den Bettler, der reiten will, das einzige Problem ist, daß er kein Pferd hat.“

„Warte, warte“, sagte Tumnus ungeduldig. „Wir brauchen nur einen Vorwand, uns heute zu unserem Schiff hinunterzubegeben und Vorräte an Bord zu schaffen.“

„So?“ meinte König Edmund zweifelnd.

„Tja“, fuhr der Faun fort. „Wie wäre es denn, wenn Eure Majestäten den Prinzen für morgen abend zu einem großen Fest auf unserer Galeere, der Kristallpracht, einlüden? Man müßte die Einladung so freundlich wie möglich abfassen, ohne die Ehre der Königin zu verletzen, damit der Prinz Hoffnung schöpft und meint, sie sei im Begriff, sich erweichen zu lassen.“

„Ein sehr guter Ratschlag“, krächzte der Rabe.

„Und dann“, fuhr Tumnus aufgeregt fort, „dann fiele es überhaupt nicht auf, wenn wir zum Schiff hinuntergingen, um Vorbereitungen für unsere Gäste zu treffen. Einige von uns müßten sich zum Basar begeben und jeden Minim bei den Obst- und Zuckerwerkshändlern und bei den Weinverkäufern ausgegeben – geradeso, als gäben wir wirklich ein Fest. Dann bestellen wir Zauberer und Jongleure und Tänzerinnen und Flötenspieler, alle für morgen abend.“

„Ich verstehe“, sagte König Edmund und rieb sich die Hände.

„Dann“, erklärte Tumnus, „dann begeben wir uns heute abend alle an Bord des Schiffes. Und sobald es dunkel genug ist ...“

„Setzen wir die Segel und machen die Ruder klar ...!“ ergänzte der König.

„Und fahren hinaus aufs Meer!“ rief Tumnus. Er machte einen Luftsprung und begann zu tanzen.

„Und richten unsere Nasen gen Norden“, sagte der erste Zwerg.

„Und fahren heim. Hoch lebe Narnia und der Norden!“ ergänzte der andere.

„Und am nächsten Morgen wacht der Prinz auf und stellt fest, daß die Vögel ausgeflogen sind!“ fügte Peridan hinzu und klatschte in die Hände.

„O Meister Tumnus, lieber Meister Tumnus!“ rief die Königin. Sie griff nach seinen Händen und tanzte mit ihm im Kreis herum. „Du hast uns alle gerettet.“

„Der Prinz wird uns verfolgen“, wandte einer der Lords ein.

„Das macht mir die geringsten Sorgen“, erklärte Edmund. „Ich habe alle Schiffe gesehen, die im Fluß liegen, und kein großes Kriegsschiff und auch keine schnelle Galeere war dabei. Soll er uns doch verfolgen! Die Kristallpracht kann jedes Schiff versenken, das er uns hinterherschickt – wenn es uns überhaupt einholt!“

„Sir“, sagte der Rabe. „Uns wird kein besserer Plan einfallen als der des Fauns, selbst wenn wir uns sieben Tage lange beraten. Aber bevor die Eier gelegt werden, muß man das Nest bauen, wie wir Vögel sagen. Das heißt, daß wir essen und uns sofort an die Arbeit machen sollten.“

Nach diesen Worten erhoben sie sich, die Türen wurden geöffnet, und alle traten zur Seite, um dem König und der Königin den Vortritt zu lassen. Shasta wußte nicht, was er tun sollte, aber Tumnus sagte zu ihm: „Bleibt hier liegen, Hoheit, und ich werde Euch in ein paar Minuten einen kleinen Schmaus bringen. Ihr braucht Euch nicht zu rühren, bevor wir uns einschiffen.“ Shasta legte den Kopf wieder auf die Kissen zurück, und schon bald war er allein.

Das ist ja schrecklich, dachte Shasta. Er war keinen einzigen Augenblick lang auf die Idee gekommen, diesen Narnianen die Wahrheit zu sagen und sie um Hilfe zu bitten. Da er von einem hartherzigen, geizigen Mann wie Arashin aufgezogen worden war, war es ihm zu einer festen Angewohnheit geworden, den Erwachsenen – wenn irgend möglich – nichts zu erzählen. Und er dachte sich, daß der König ja vielleicht zu den beiden Pferden freundlich sein würde, weil es sich um sprechende Tiere aus Narnia handelte, wohingegen er Aravis sicher hassen würde, weil sie Kalormenin war. Vielleicht verkaufte er sie als Sklavin oder schickte sie zu ihrem Vater zurück. Was ihn selbst betraf, so dachte er: Jetzt kann ich ihnen auf keinen Fall mehr sagen, daß ich nicht Prinz Corin bin. Ich habe alle ihre Pläne mitgehört. Wenn sie erfahren, daß ich nicht zu ihnen gehöre, lassen sie mich nie mehr lebendig aus diesem Haus hinaus, weil sie fürchten, ich würde sie an den Tisroc verraten. Dann bringen sie mich um. Und wenn der richtige Corin auftaucht, kommt alles ans Tageslicht. Und dann bringen sie mich sowieso um!

Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun? fragte er sich unentwegt. Was ... ach, da kommt das kleine ziegenartige Vieh wieder.

Der Faun kam mit einem Tablett in den Händen tänzelnd hereingetrottet. Er stellte es auf einen mit Einlegearbeiten verzierten Tisch neben Shastas Sofa und setzte sich mit gekreuzten Ziegenbeinen daneben auf den Teppich.

„So, kleiner Prinz“, sagte er. „Nehmt ein herzhaftes Mahl ein. Es wird Euer letztes sein in Tashbaan.“

Für ein kalormenisches Mahl war es wirklich ausgezeichnet. Shasta schmeckte es jedenfalls vorzüglich. Da gab es Hummer und Salat, mit Mandeln und Trüffeln gefülltes Wildbret und ein köstliches Gericht aus Hühnerleber, Reis, Rosinen und Nüssen. Des weiteren waren da kühle Melonen, Stachelbeerpudding und verschiedene Sorten Eiscreme. Und eine kleine Karaffe mit Wein.

Während Shasta aß, redete der kleine Faun, der dachte, Shasta sei noch immer von seinem Sonnenstich umnebelt, ununterbrochen über die schöne Zeit, die ihm bevorstand, wenn sie alle nach Hause zurückkehrten. Er redete über Prinz Corins guten alten Vater, König Lune von Archenland, und das kleine Schloß, in dem er diesseits des Passes an den südlichen Hängen des Gebirgszuges lebte. „Und vergeßt nicht“, sagte Tumnus, „daß Ihr zu Eurem nächsten Geburtstag Eure erste Rüstung und Euer erstes Streitpferd bekommt. Und dann werdet Ihr den berittenen Zweikampf mit der Lanze lernen. König Peter hat Eurem königlichen Vater versprochen, Euch – wenn nichts dazwischenkommt – in Feeneden höchstpersönlich zum Ritter zu schlagen. In der Zwischenzeit werden zwischen Narnia und Archenland über die Berge hinweg viele Besuche ausgetauscht. Hoffentlich habt Ihr Euer Versprechen nicht vergessen, beim Sommerfest eine Woche bei mir zu verbringen. Dann entzünden wir Freudenfeuer, und die Faune und die Dryaden werden ganze Nächte hindurch im tiefsten Wald tanzen, und – wer weiß – vielleicht sehen wir sogar Aslan selbst!“

Als das Mahl vorüber war, befahl der Faun, Shasta solle ruhig liegenbleiben. „Es könnte Euch auch nicht schaden, ein wenig zu schlafen“, fügte er hinzu. „Ich werde Euch frühzeitig wecken, bevor wir an Bord gehen. Und dann geht es in die Heimat. Auf nach Narnia und in den Norden!“

Nun da Shasta mit sich und seinen Gedanken allein war, hoffte er inständig, der richtige Prinz Corin möge nicht auftauchen und man möge statt dessen ihn mit dem Schiff nach Narnia mitnehmen. Ein kleines bißchen Sorgen machte er sich zwar um Aravis und Bree, die bei den Gräbern auf ihn warteten. Aber dann sagte er sich: Nun, was kann ich daran schon ändern? Und: Sowieso ist sich Aravis zu gut, um mit mir zusammen zu reisen, also kann sie von mir aus allein gehen. Gleichzeitig konnte er nicht umhin zu denken, wieviel schöner es wäre, auf dem Schiff nach Narnia zu fahren, anstatt sich durch die Wüste zu quälen. Und unter diesen – zugegeben – nicht sehr mitfühlenden Gedanken schlief er ein.

Ein lautes Klirren weckte ihn. Er sprang vom Sofa und riß die Augen auf. Daran, wie sich das Zimmer verändert hatte, erkannte er, daß er mehrere Stunden geschlafen haben mußte. Eine teure Prozellanvase, die auf dem Fensterbrett gestanden hatte, lag in etwa dreißig Scherben auf dem Fußboden. Aber all das regte ihn kaum auf. Was ihn aufregte, waren zwei Hände, die von draußen das Fensterbrett umklammerten. Sie packten immer fester zu, bis die Fingerknöchel ganz weiß wurden, und dann tauchten Kopf und Schultern auf. Einen Augenblick später saß ein Junge in Shastas Alter rittlings auf dem Fensterbrett.

Shasta hatte sich noch nie im Spiegel gesehen. Selbst wenn er sich schon einmal gesehen hätte, wäre ihm vielleicht nicht aufgefallen, daß der andere Junge normalerweise fast genauso aussehen mußte wie er selbst. In diesem Augenblick konnte man allerdings nicht so recht sehen, wie er normalerweise aussehen mochte. Er hatte nämlich das allerblaueste Auge, das ihr jemals gesehen habt, ein Zahn war ausgeschlagen, seine Kleider waren zerfetzt und schmutzig und sein Gesicht mit Blut und Schlamm beschmiert.

„Wer bist du?“ fragte der Junge flüsternd.

„Bist du Prinz Corin?“ fragte Shasta.

„Ja, natürlich“, entgegnete der andere. „Aber wer bist du?“

„Ich bin niemand, ich meine, ich bin niemand Besonderer“, erklärte Shasta. „König Edmund hat mich auf der Straße entdeckt und hat mich für dich gehalten. Vermutlich sehen wir uns ähnlich. Kann ich auf dem gleichen Weg hinaussteigen, auf dem du hereingekommen bist?“

„Ja, wenn du gut klettern kannst“, entgegnete Corin. „Aber warum hast du es denn so eilig? Also ich finde, wir müßten es feiern, daß man dich mit mir verwechselt hat.“

„Nein, nein“, wehrte Shasta ab. „Jetzt, wo du da bist, muß ich schnellstens weg. Es wäre fürchterlich, wenn Tumnus zurückkäme und uns beide hier fände. Ich mußte so tun, als wäre ich du. Und ihr werdet noch heute abend Tashbaan verlassen – heimlich. Wo warst du nur die ganze Zeit?“

„Ein Junge auf der Straße hat einen üblen Witz über Königin Suse gemacht“, erklärte Prinz Corin. „Deshalb habe ich ihn zu Boden geschlagen. Er rannte heulend in ein Haus und schickte seinen großen Bruder. Also mußte ich den großen Bruder ebenfalls niederschlagen. Dann haben mich alle verfolgt, bis wir auf einige Wachposten trafen. Also kämpfte ich mit den Wachposten, und die haben mich zu Boden geschlagen. Inzwischen wurde es schon dunkel. Dann nahmen mich die Wachposten mit, um mich irgendwo einzusperren. Also fragte ich sie, ob sie Lust auf einen Krug Wein hätten, und sie sagten, sie hätten nichts dagegen. Also ging ich mit ihnen zu einem Weinhändler und kaufte ihnen Wein. Sie setzten sich alle hin und tranken, bis sie einschliefen. Ich dachte, es sei Zeit zu verschwinden, also stahl ich mich leise fort. Dann traf ich den ersten Jungen wieder, der mit dem ganzen Theater angefangen hatte. Also schlug ich ihn noch einmal zu Boden. Dann kletterte ich an der Regenrinne eines Hauses aufs Dach und blieb dort still liegen, bis es heute morgen hell wurde. Da machte ich mich auf den Rückweg. Gibt es hier irgend etwas zu trinken?“

„Nein, ich habe alles ausgetrunken“, sagte Shasta. „Und jetzt zeigst du mir, wie du hereingekommen bist. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Du legst dich besser auf das Sofa und tust so ... ach, das habe ich ganz vergessen. Das geht ja gar nicht, mit all deinen Schrammen und dem blauen Auge. Du mußt ihnen einfach die Wahrheit sagen, wenn ich erst einmal weg bin.“

„Was hast du denn sonst erwartet?“ fragte der Prinz ärgerlich. „Wer bist denn überhaupt du?“

„Dazu ist keine Zeit“, flüsterte Shasta aufgeregt. „Ich bin, glaube ich, ein Narniane; auf jeden Fall komme ich aus dem Norden. Aber ich habe immer in Kalormen gelebt. Ich bin auf der Flucht durch die Wüste, mit einem sprechenden Pferd namens Bree. Und jetzt rasch! Wie komme ich hier weg?“

„Du läßt dich von diesem Fenster auf das Verandadach fallen. Aber vorsichtig, auf den Zehenspitzen, sonst hört man dich. Dann wendest du dich nach links und steigst auf die Mauer, sofern du einigermaßen klettern kannst. Dann gehst du auf der Mauer entlang bis zur Ecke. Dort läßt du dich auf den Abfallhaufen plumpsen, der außerhalb der Mauer liegt, und dann hast du es geschafft.“

„Vielen Dank“, sagte Shasta, der schon auf dem Fenstersims saß. Die beiden Jungen schauten sich in die Augen und stellten plötzlich fest, daß sie Freunde waren.

„Auf Wiedersehen“, sagte Corin. „Und alles Gute. Ich hoffe, du schaffst es.“

„Auf Wiedersehen“, sagte Shasta ebenfalls. „Meine Güte, da hast du aber wirklich Abenteuer hinter dir!“

„Mit deinen verglichen sind sie nicht der Rede wert“, sagte der Prinz. „Und jetzt spring – aber vorsichtig. Ich hoffe, wir treffen uns in Archenland“, fügte er hinzu, während Shasta sich hinunterließ. „Geh zu meinem Vater, König Lune, und sag ihm, du seist ein Freund von mir. Paß auf, ich höre jemanden kommen.“

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