uerst konnte Shasta in dem Tal, das unter ihnen lag, außer einem Nebelmeer, durch das ein paar Kuppeln und Zinnen ragten, nichts erkennen. Doch als es heller wurde und der Nebel sich verzog, sah er immer mehr und mehr. Ein breiter Fluß spaltete sich in zwei Flußarme auf. Dazwischen, auf einer Insel, lag die Stadt Tashbaan. Rund um die Insel zog sich, vom Wasser umspült, eine hohe Mauer mit so vielen Wehrtürmen, daß Shasta es bald aufgab, sie zu zählen. Innerhalb der Mauer erhob sich die Insel zu einem Hügel, und bis hinauf zum Palast des Tisroc und dem großen Tempel Tashs auf der Hügelspitze standen dicht an dicht Häuser – da lag eine Terrasse über der anderen, eine Straße über der anderen, gewundene Gäßchen oder riesige, von Orangen- und Zitronenbäumen gesäumte Treppen, Dachgärten, Balkone, tiefe Bogengänge, Kolonnaden, Spitztürme, Zinnen und Minarette. Und als schließlich die Sonne aus dem Meer aufstieg und die große, silberbeschlagene Kuppel des Tempels im Sonnenlicht funkelte, war Shasta fast geblendet.
„Nun mach schon, Shasta!“ mahnte Bree von Zeit zu Zeit.
An den Flußufern zu beiden Seiten des Tales lagen so viele Gärten, daß sie zuerst wie ein Wald aussahen, bis man dann näher kam und die weißen Wände der unzähligen Häuser entdeckte, die zwischen den Bäumen hervorlugten. Shasta schnupperte den köstlichen Duft der Blumen und Früchte. „Oh!“ rief er begeistert. „Das ist ja herrlich hier!“
„Das kann man wohl sagen“, bestätigte Bree. „Aber ich wollte, wir wären schon auf der anderen Seite der Stadt. Auf nach Narnia und in den Norden!“
In diesem Augenblick erhob sich ein leiser, bebender Ton, der nach und nach anschwoll, bis das ganze Tal zu erzittern schien. „Das sind die Hörner, die das Öffnen der Stadttore ankündigen“, erklärte Bree. „Wir sind gleich da. So, Aravis, laß die Schultern ein wenig hängen, und bemühe dich, ein bißchen weniger nach einer Prinzessin auszusehen.“
„Na gut“, sagte Aravis. „Aber wie wäre es, wenn auch du den Kopf ein wenig senken und versuchen würdest, ein bißchen weniger nach einem Streitroß auszusehen?“
„Pst!“ machte Bree. „Wir sind da.“
Sie waren am Flußufer angekommen, und die Straße führte auf eine Brücke mit unzähligen Rundbögen. Das Wasser tanzte silbern in der frühmorgendlichen Sonne; zu ihrer Rechten, zur Flußmündung hin, erhaschten sie einen Blick auf die Masten eines Schiffes. Auf der Brücke wimmelte es von Leuten, meist Bauern, die beladene Esel und Maulesel antrieben oder Körbe auf dem Kopf trugen. Die Kinder und die Pferde gesellten sich dazu.
Vor ihnen, am anderen Ende der Brücke, ragte die Stadtmauer auf. Die bronzenen Torflügel des Stadttors waren offen. Zu beiden Seiten standen sechs Soldaten, die ihre Speere vor sich aufgepflanzt hatten. Aravis konnte nicht anders, sie dachte: Wenn die wüßten, wessen Tochter ich bin! Doch die anderen dachten nur daran, wie es wohl zu schaffen war, die Stadt zu durchqueren, und hofften, die Soldaten mögen keine Fragen stellen. Glücklicherweise kam es nicht dazu. Aber einer von ihnen nahm eine Karotte aus dem Korb eines Bauern, warf sie Shasta lachend zu und rief: „He! Pferdejunge! Wenn dein Herr merkt, daß du sein Sattelpferd als Packgaul benutzt, dann wirst du etwas erleben!“
Shasta erschrak, denn das zeigte ihm, daß keiner, der etwas von Pferden verstand, sich darüber hinwegtäuschen ließ, daß Bree ein Streitroß war.
Tashbaan sah aus der Nähe nicht ganz so prächtig aus wie aus der Ferne. Die Straßen waren eng, und in den Mauern zu beiden Seiten gab es kaum Fenster. Es war viel belebter, als Shasta erwartet hatte: da waren nicht nur die Bauern, die mit ihnen hereingekommen waren, um zum Markt zu gehen. Da sah man Wasser- und Zuckerwerkverkäufer, Träger, Soldaten, Bettler, zerlumpte Kinder, Hühner, streunende Hunde und barfüßige Sklaven. Am auffallendsten aber waren die verschiedenen Gerüche, die sowohl von ungewaschenen Menschen, schmutzigen Hunden, duftenden Ölen, Knoblauch, Zwiebeln als auch von den größeren Abfallhaufen stammten, die überall herumlagen.
Shasta tat so, als führe er die anderen, aber in Wirklichkeit war es Bree, der den Weg wußte und der ihn mit der Nase in die richtige Richtung stupste. Schon bald wandten sie sich nach links und begannen, steil nach oben zu steigen. Hier war es viel frischer und angenehmer, denn der Weg war von Bäumen gesäumt, und nur auf der rechten Seite standen Häuser. Links schauten sie über Hausdächer auf den tiefergelegenen Teil der Stadt hinunter und ein Stück weit den Fluß hinauf. Schließlich bogen sie scharf nach rechts und trotteten dann immer noch weiter hügelaufwärts. Der Weg, den sie eingeschlagen hatten, führte im Zickzack zum Zentrum von Tashbaan. Schon bald wurden die Straßen vornehmer. Auf mächtigen Podesten erhoben sich die Statuen der Götter und Helden Kalormens. Das schimmernde Pflaster war von Palmen und Arkaden überschattet. Durch die Torgänge der vielen Paläste erhaschte Shasta Blicke auf grüne Äste, kühle Brunnen und weiche Rasenflächen. Dort drinnen muß es schön sein, dachte er.
In dem Gedränge, das hier herrschte, kamen sie nur sehr langsam vorwärts. Oft ging es überhaupt nicht mehr weiter. Denn immer wieder hieß es: „Macht Platz für den Tarkaan“ oder „für die Tarkheena“ oder „für den fünfzehnten Wesir“ oder „für den Botschafter“, und dann preßten sich alle gegen die Hauswände. Über die Köpfe der anderen hinweg sah Shasta manchmal den mächtigen Herrn oder die Dame, auf einer Sänfte ruhend, die von vier Sklaven auf bloßen Schultern getragen wurde. Denn in Tashbaan gibt es nur eine Verkehrsregel, und die besagt, daß jeder Untergeordnete jedem Übergeordneten Platz zu machen hat.
In einer prächtigen Straße nahe der Hügelspitze, nur noch überthront vom Palast des Tisroc, mußten sie wieder anhalten. Und diesmal geschah etwas ganz Fürchterliches.
„Macht Platz! Macht Platz! Macht Platz!“ rief eine kräftige Stimme. „Macht Platz für den weißen König der Barbaren, den Gast des Tisroc – möge er ewig leben! Macht Platz für unsere edlen Gäste aus Narnia!“
Shasta versuchte den Weg freizugeben und Bree zurückzuziehen. Eine Frau mit einem kantigen Korb in der Hand stieß Shasta von hinten hart gegen die Schultern und schimpfte: „Also so was! Drängle doch nicht so!“ Dann schubste ihn von der Seite her jemand an, und in seiner Verwirrung ließ Shasta Bree los. Und plötzlich war die Menschenmenge hinter ihm so dicht, daß er sich überhaupt nicht mehr rühren konnte. So stand er schließlich ganz gegen seinen Willen in der ersten Reihe.
Die fremden Gäste, die nun die Straße herunterkamen, unterschieden sich von allen anderen Menschen, die Shasta bisher in der Stadt gesehen hatte. Der Ausrufer, der voraus lief und „Macht Platz! Macht Platz!“ rief, war der einzige Kalormene unter ihnen. Es gab auch keine Sänften; alle gingen zu Fuß. Es waren ungefähr ein halbes Dutzend Männer, und Shasta hatte noch nie ihresgleichen gesehen. Zum einen waren sie alle hellhäutig wie er selbst, und die meisten hatten blondes Haar. Zum zweiten waren sie auch ganz anders gekleidet als die Männer Kalormens. Ihre Beine waren bloß, und sie trugen knielange Waffenröcke in leuchtenden Farben. Die Schwerter an ihrer Seite waren lang und gerade, nicht gebogen wie die kalormenischen Krummsäbel. Sie waren auch nicht so ernst und verschlossen wie die meisten Kalormenen, sondern sie gingen schwungvoll, ließen die Arme locker baumeln, plauderten und lachten. Einer pfiff sogar. Man konnte sehen, daß sie willens waren, mit jedermann Freund zu sein, der freundlich zu ihnen war – daß es sie aber einen feuchten Kehricht scherte, wenn jemand dies nicht sein sollte.
Und dann geschah es. Der vorderste der hellhäutigen Männer deutete plötzlich auf Shasta, rief: „Da ist er! Da ist unser Ausreißer!“, packte ihn an der Schulter und gab ihm eine Ohrfeige. Dann schüttelte er ihn, daß Shasta nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf saß. „Schäm dich! Schande über dich! Königin Suse hat sich deinetwegen fast die Augen ausgeweint! Eine ganze Nacht lang warst du weg! Wo hast du bloß gesteckt?“
Wenn es nur möglich gewesen wäre, hätte Shasta versucht, sich unter Brees Körper zu ducken und in der Menge zu verschwinden. Aber die blonden Männer hatten ihn inzwischen umringt und hielten ihn fest.
Natürlich wollte er im ersten Moment sagen, er sei nur der Sohn des armen Fischers Arashin, und der fremde Herr müsse ihn mit jemandem verwechseln. Aber das letzte, was er hier in dieser Menschenmenge wollte, war, Erklärungen darüber abzugeben, wer er war und was er hier zu suchen hatte. Shasta warf Bree einen hilfesuchenden Blick zu. Aber Bree hatte nicht vor, die Leute in seiner Nähe wissen zu lassen, daß er reden konnte, und stand daher nur mit etwas dümmlichem Gesicht da. Was Aravis betraf, so wagte Shasta es nicht einmal, sie anzublicken, aus Furcht, die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Zum Nachdenken blieb ihm keine Zeit, denn der Anführer der Narnianen sagte: „Nimm den kleinen Herrn an der einen Hand, Peridan, sei so gut, und ich nehme ihn an der anderen. So, marsch jetzt! Unsere königliche Schwester wird sehr erleichtert sein, wenn sie sieht, daß unser junger Taugenichts wieder da ist.“
Und so war ihr Plan fehlgeschlagen, noch bevor sie Tashbaan halbwegs hinter sich gelassen hatten. Ohne Gelegenheit zu haben, sich von den anderen zu verabschieden, wurde Shasta zwischen den Fremden abgeführt. Er hatte auch keine Ahnung, was jetzt mit ihm geschehen mochte. Der narnianische König – daran, wie die anderen mit ihm sprachen, merkte Shasta, daß er ein König sein mußte – befragte ihn ununterbrochen: Wo war er gewesen, wie war er aus dem Haus herausgekommen, was hatte er mit seinen Kleidern gemacht, und wußte er nicht, daß er sehr unartig gewesen war?
Shasta antwortete nicht, denn ihm fiel keine unverfängliche Antwort ein.
„Was ist? Hast du die Sprache verloren?“ fragte ihn der König. „Ich muß dir offen sagen, mein Prinz, daß sich dieses Schweigen und dieses Kopfhängenlassen für einen Jungen deiner Geburt noch weniger geziemen als das, was du da angestellt hast. Dein Weglaufen könnte man ja noch für einen Dummenjungenstreich halten, zu dem ein gewisses Maß an Mut gehört. Aber der Sohn des Königs von Archenland müßte für das, was er angestellt hat, eigentlich geradestehen und dürfte nicht den Kopf hängen lassen wie ein kalormenischer Sklave.“
Das war Shasta sehr unangenehm, denn dieser junge König gefiel ihm ausnehmend gut, und er hätte gern einen guten Eindruck auf ihn gemacht.
Die Fremden, die ihn immer noch fest an beiden Händen hielten, führten ihn durch eine enge Gasse und eine schmale Treppe hinunter. Dann erklommen sie eine zweite Treppe, die zu einem breiten Tor in einer weißen Mauer führte, mit einer hohen, dunklen Zypresse zur linken und zur Rechten. Als er den Torbogen durchschritten hatte, fand sich Shasta in einem Zwischending zwischen Hof und Garten wieder. In der Mitte war ein Marmorbecken zu sehen, in das aus einem Springbrunnen unentwegt klares Wasser plätscherte. Drum herum auf dem weichen Rasen wuchsen Orangenbäume, und die vier weißen Mauern, die den Rasen säumten, waren mit Kletterrosen bewachsen.
Der Lärm, der Staub und die Menschenmassen auf den Straßen schienen plötzlich ganz weit. Shasta wurde rasch durch den Garten und durch eine dunkle Tür geführt. Der Ausrufer blieb draußen. Dann kam Shasta durch eine Halle, deren Steinfußboden sich unter seinen heißen Füßen herrlich kühl anfühlte, und schließlich ging es wieder eine Treppe hinauf. Einen Augenblick später stand er blinzelnd in einem hellen, großen, luftigen Raum mit weit geöffneten Fenstern, die alle nach Norden blickten. Auf dem Fußboden lag ein Teppich, in Farben, die schöner waren als alles, was er jemals gesehen hatte. Seine Füße versanken darin, als liefe er auf einem dicken Moosteppich. An den Wänden standen niedrige Sofas mit weichen Kissen. Der Raum war sehr belebt, und einige der Gestalten kamen Shasta ausgesprochen seltsam vor. Aber er hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn die schönste Dame, die er jemals gesehen hatte, erhob sich, kam rasch auf ihn zu, umarmte und küßte ihn und sagte:
„O Corin, Corin, wie konntest du nur? Dabei stehen wir uns doch so nahe, seit deine Mutter gestorben ist! Was hätte ich wohl deinem königlichen Vater gesagt, wenn ich ohne dich heimgekommen wäre? Das wäre fast ein Anlaß zu einem Krieg zwischen Archenland und Narnia gewesen, obwohl diese Länder schon seit undenklichen Zeiten gut Freund miteinander sind. Das war schlimm von dir, mein Freund, sehr schlimm, uns so übel mitzuspielen!“
Offensichtlich, überlegte Shasta blitzschnell, hält man mich für einen Prinzen aus Archenland, wo das auch immer liegen mag. Und das müssen Narnianen sein. Ich frage mich allerdings, wo der wirkliche Corin steckt.
„Wo warst du, Corin?“ fragte die Dame, deren Hände noch immer auf Shastas Schultern ruhten.
„Ich – ich weiß nicht“, stammelte Shasta.
„Siehst du, Suse“, sagte der König. „Ich konnte auch kein Wort aus ihm herauskriegen – sei es nun wahr oder gelogen.“
„Eure Majestäten! Königin Suse! König Edmund!“ sagte eine Stimme: Und als Shasta sich umwandte, um den Sprecher anzuschauen, traf ihn fast der Schlag, denn es war eines dieser komischen Wesen, die er aus dem Augenwinkel heraus gesehen hatte, als er zur Tür hereingekommen war. Es war etwa so groß wie er selbst. Von der Hüfte an aufwärts sah es aus wie ein Mann, aber seine Beine waren behaart wie die einer Ziege. Sie waren auch geformt wie Ziegenbeine, und Ziegenhufe und einen Schwanz hatte das Wesen auch. Seine Haut war rot, sein Haar lockig, im Gesicht trug es einen kurzen Spitzbart und auf dem Kopf zwei kleine Hörner. Es war ein Faun, doch Shasta hatte noch nie etwas von einem Faun gehört. Wer das Buch Der König von Narnia gelesen hat, den interessiert es vielleicht, daß dies haargenau derselbe Faun war – er hieß Tumnus –, den Lucy, die Schwester von Königin Suse, damals am allerersten Tag traf, nachdem sie den Weg nach Narnia gefunden hatte. Doch er war inzwischen um einiges älter geworden, denn Peter, Suse, Edmund und Lucy regierten jetzt schon seit einigen Jahren als Könige und Königinnen von Narnia.
„Eure Majestäten“, sagte der Faun. „Der junge Prinz hat einen kleinen Sonnenstich. Schaut ihn euch nur an! Er ist ganz benommen. Er weiß nicht, wo er ist!“
Nun hörten natürlich alle sofort auf, mit Shasta zu schelten und ihn auszufragen. Sie umsorgten ihn, legten ihn auf ein Sofa und stopften ihm Kissen unter den Kopf. Dann gab man ihm aus einem goldenen Becher eisgekühlten Fruchtsaft zu trinken und befahl ihm, sich still zu verhalten.
So etwas war Shasta noch nie widerfahren. Er hätte nicht einmal zu träumen gewagt, jemals auf so einem bequemen Sofa zu liegen und einen solch köstlichen Saft zu trinken. Er überlegte sich noch immer, was wohl den anderen zugestoßen sein mochte und wie um alles in der Welt er wohl fliehen und sich bei den Gräbern mit ihnen treffen konnte. Und was mochte wohl passieren, wenn der richtige Corin wieder auftauchte?
Die Leute, die sich in diesem kühlen, luftigen Raum aufhielten, waren sehr interessant. Neben dem Faun gab es zwei Zwerge. Auch diese Art von Lebewesen hatte Shasta noch nie gesehen. Und einen sehr großen Raben gab es auch. Alle übrigen waren Menschen; Erwachsene, aber noch jung, und alle – die Frauen und die Männer – hatten hübschere Gesichter und schönere Stimmen als die meisten Bewohner Kalormens.
„Nun, hohe Schwester“, sagte der König zu Königin Suse. „Was meinst du? Wir sind nun schon volle drei Wochen hier in dieser Stadt. Hast du dich schon entschieden, ob du diesen Prinzen Rabadash heiraten willst oder nicht?“
Die Dame schüttelte den Kopf. „Nein, Bruder, ich werde ihn nicht heiraten“, sagte sie. „Nicht für alle Juwelen Tashbaans.“
Oh! dachte Shasta. Sie sind zwar König und Königin, aber sie sind nicht miteinander verheiratet. Es sind Geschwister.
„Fürwahr, Schwester“, sagte der König. „Ich wäre enttäuscht von dir, wenn du ihn erhört hättest. Ich muß dir sagen: Schon als der Botschafter des Tisroc zum ersten Mal wegen dieser Heirat nach Narnia kam – und auch später noch, als der Prinz bei uns in Feeneden zu Gast war –, hat es mich sehr erstaunt, daß du ihm so viel Gunst erwiesen hast.“
„Das war meine Torheit, Edmund“, entgegnete Königin Suse. „Und ich flehe dich an, Nachsicht mit mir zu üben. Doch als dieser Prinz bei uns in Narnia war, betrug er sich völlig anders als hier in Tashbaan. Ihr habt ja alle gesehen, welch großartige Leistungen er in dem großen Wettkampf vollbracht hat, den unser Bruder, König Peter der Prächtige, für ihn veranstalten ließ, und wie demütig und höflich er sich in diesen sieben Tagen betrug. Doch hier in seiner eigenen Stadt hat er ein anderes Gesicht gezeigt.“
„Ah!“ krächzte der Rabe. „Es gibt ein altes Sprichwort: Man muß den Bären in seiner Höhle gesehen haben, bevor man ein Urteil über ihn abgeben kann.“
„Sehr richtig, Patschfuß“, sagte einer der Zwerge. „Und ein anderes lautet: Komm und lebe mit mir, dann zeige ich dir, wer ich bin.“
„Ja“, meinte der König. „Jetzt wissen wir, wie er ist: Er ist ein übermäßig stolzer, verschwenderischer, grausamer und selbstherrlicher Tyrann.“
„Im Namen Aslans – dann sollten wir noch heute Tashbaan verlassen“, schlug Suse vor.
„Das ist leichter gesagt als getan, Schwester“, wandte Edmund ein. „Nun muß ich euch allen sagen, was mir die letzten beiden Tage und auch schon zuvor durch den Kopf gegangen ist. Peridan, sei so gut und schau an der Tür nach, ob dort auch kein Spion steht! Alles in Ordnung? Gut. Denn das, was ich jetzt sage, muß geheim bleiben.“
Alle sahen plötzlich sehr ernst aus. Königin Suse sprang auf und rannte zu ihrem Bruder hinüber. „O Edmund“, rief sie. „Was ist denn los? Du machst so ein schreckliches Gesicht!“