Vier

Die Abrechnung nach der Schlacht war immer das Schlimmste. Geary las die Liste der Schiffsnamen durch. Courageous, Intrepid, Exemplar, Goblin, die Schweren Kreuzer Tortoise, Breech, Kurtani, Tarian und Nodowa, die Leichten Kreuzer Kissaki, Crest, Trunnion, Inquarto und Septime, die Zerstörer Barb, Yatagan, Lunge, Arabas, Kururi, Shail, Chamber, Bayonet und Tomahawk.

Insgesamt konnten sie aber von Glück reden. Im Fall einer Flucht aus dem System mit den Syndiks dicht auf den Fersen, hätten sie gut und gerne dreimal so viele Kreuzer und Zerstörer verlieren können, außerdem noch mehr Schlachtkreuzer und Schlachtschiffe. So aber blieb der Allianz-Flotte wenigstens Zeit, um die dringendsten Reparaturen zu erledigen, damit sie ihre Schiffe wieder in Bewegung setzen konnten.

Die Resolution, die zwar unter schweren Beschuss geraten war, würde dennoch mit der Flotte mithalten können. Allerdings wusste er nicht, ob sie die Incredible retten konnten. Die Gallant verfügte wieder über genügend Steuerkontrolle, um im Gefecht manövrieren zu können, jedoch waren nur wenige Waffen einsatzbereit.

Sie würden noch eine Weile hier zubringen müssen, denn die Antriebseinheiten der beschädigten Schiffe mussten ebenso wiederhergestellt werden wie andere wichtige Systeme. Zudem hatten sie noch die Rettungskapseln der Allianz-Schiffe einzusammeln, die während des Gefechts evakuiert worden waren, und es musste auch noch der viel zu geringe Bestand an Brennstoffzellen verteilt werden, der seit dem Verlassen des Dilawa-Systems auf den Hilfsschiffen produziert worden waren.

Desjani war mürrisch. Geary folgte ihrem Blick, der auf die kleinere Syndik-Flotte gerichtet war. Die hatte sich nach der Zerstörung der größeren Flotte sofort auf den Weg zum Sprungpunkt nach Padronis gemacht. Inzwischen verteilten sich die Kreuzer und Jäger dieser kleinen Flotte auch auf die Sprungpunkte nach Kalixa und Dilawa. »Jetzt kriegen wir sie nicht mehr zu fassen«, beklagte sie sich. »Ich hatte gehofft, sie würden sich uns am Sprungpunkt nach Padronis in den Weg stellen, dann hätten wir sie da überrennen können.«

»Ich schätze, sie haben jetzt ihre Minen ausgelegt und machen sich auf den Heimweg, um zu berichten, was hier passiert ist«, meinte Geary.

»Die haben ihre Kameraden im Stich gelassen! Die haben nicht einmal versucht, einen Treffer zu landen, während wir uns mit der Hauptflotte befassten!«

Das war es also, was sie so ärgerte. Aus Desjanis Sicht hatten diese Syndiks sich nicht um ihre Kameraden gekümmert, und obwohl sie doch nur Syndik-Abschaum waren, sollten sie dafür bezahlen. »Tanya, ich wette, diese kleine Flotte hatte den Befehl, sich nicht einzumischen, damit sie eine letzte Verteidigungslinie bilden konnte, falls wir versuchen würden, geradewegs auf den Sprungpunkt nach Padronis zuzuhalten.«

»Das ist kein Argument.«

»Immerhin kommen sie nicht auf die Idee, sich an unseren beschädigten Schiffen zu schaffen zu machen.«

Ehe Desjani etwas erwidern konnte, tauchte vor Geary auf dem Display ein Bild auf, das eine grinsende Captain Cresida zeigte. »Ich dachte mir, es würde Sie vielleicht interessieren, Sir, dass wir die Rettungskapseln der Courageous geborgen haben, darunter auch eine mit einem leicht ramponierten, aber immer noch funktionstüchtigen Captain Roberto Duellos.«

Geary grinste seinerseits so breit, dass ihm die Wangen schmerzten, dann drehte er sich zu Desjani um. »Duellos ist auf der Furious in Sicherheit.«

»Ich habe doch gesagt, dass er so leicht nicht kleinzukriegen ist«, meinte Desjani ganz ruhig, dann begann sie auch zu lächeln.

»Hier ist er, Captain Geary«, fuhr Cresida fort.

Ihr Bild wurde durch das von Duellos ersetzt, dessen Uniform stellenweise aufgerissen und angesengt war. »Captain Duellos meldet sich zum Dienst, Sir.«

»Ich …« Geary verstummte und sah Duellos einfach nur sekundenlang an. »Verdammt. Ich bin froh, dass es Ihnen gut geht. Das mit der Courageous tut mir leid, und mit der Intrepid genauso.«

»Vielen Dank.« Duellos schaute kurz betreten nach unten. »Es ist hart, wenn man ein Schiff verliert, aber damit kennen Sie sich ja genauso gut aus wie ich.«

»Ja, es tut verdammt weh. Lassen Sie sich untersuchen, und danach ruhen Sie sich ein wenig aus.«

»Ich muss mich um meine Crew kümmern, Sir.« Er machte eine vage Geste. »Ich muss sicherstellen, dass sie gut versorgt wird. Die Crews der Courageous und der Intrepid auf den Schiffen, von denen sie aufgelesen wurden.«

Geary wollte ihm sagen, Cresida werde das schon alles erledigen, doch dann hielt er sich davon ab. Er erinnerte sich an sein eigenes Gefühl der Hilflosigkeit nach der Zerstörung seines Kreuzers Merlon. An den Wunsch, irgendetwas tun zu können; vor allem dem, seiner Crew zu helfen, der er nicht mehr helfen konnte. Es war nur zu verständlich, dass sich Duellos selbst um solche Dinge kümmern wollte. Damit konnte er sich von den Gedanken an den Verlust seines Schiffs und jener Besatzungsmitglieder ablenken, die es nicht mehr geschafft hatten, die Courageous zu verlassen. »Natürlich, Captain Duellos. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie oder Ihre Crew etwas benötigen.«

Gerade wollte Duellos die Verbindung unterbrechen, da hielt er noch einmal inne. »Sie wissen, was ich benötige, Captain Geary, und Sie wissen auch, dass Sie mir das nicht geben können. Aber trotzdem danke. Ich weiß, Sie verstehen das.«

Kaum hatte sich das Fenster geschlossen, überprüfte Geary erneut den Status seiner Flotte, nur um nicht wieder über den Verlust der Merlon nachdenken zu müssen. Bedauerlicherweise war die Dauntless nicht das einzige Schiff mit einem Bestand an Brennstoffzellen, der sich um die dreißig Prozent bewegte.

Da ihm für den Augenblick die Hände gebunden waren, rief er kurz entschlossen die Incredible. Ein Fenster öffnete sich und zeigte das Gesicht von Commander Parr. »Wie sieht es aus, Commander?«

»Könnte schlimmer sein«, erwiderte Parr und lächelte kurz, während er sich auf Geary konzentrierte. »So viele Syndiks hätten Sie uns nicht übrig lassen müssen, Sir.«

»Tut mir leid. Ich habe die aktuellen Daten der Incredible gesehen, aber ich würde gern Ihre persönliche Einschätzung hören. Können Sie Ihr Schiff bald wieder einsatzbereit haben?«

Parr zögerte. »Wie viel Zeit haben wir denn?«

»Vielleicht ein paar Tage. Mehr kann ich Ihnen nicht geben, und das auch nur, weil wir die Kriegsgefangenen vom dritten Planeten abholen wollen.«

Commander Parr schaute sich um, als könnte der Blick auf diesen kleinen Bereich seines Schiffs ihm die Antwort liefern. »Ich würde es gern versuchen, Sir.«

»Zwei Tage, Commander.«

»Ich glaube, das schaffen wir, Sir.« Auf Gearys fragenden Blick hin korrigierte er sich: »Ich weiß, dass wir das schaffen, Sir.«

»Okay, Commander. Geben Sie Bescheid, wenn ich in irgendeiner Weise behilflich sein kann.«

»Die Titan nähert sich uns bereits, Sir. Sie wird der Incredible und der Resolution helfen.«

Geary lächelte ihn aufmunternd an. »Sie könnten sich keine bessere Hilfe wünschen. Commander Lommand von der Titan ist ein guter Offizier. Er wird alles tun, was in seiner Macht steht. Ich freue mich schon darauf, die Incredible in zwei Tagen wieder einsatzbereit zu sehen.«

Nachdem das Gespräch beendet war, ließ Geary sich nach hinten sinken und rieb sich die Stirn.

Desjani sah ihn mitfühlend an. »Wird die Incredible es schaffen?«

»Wenn ich das wüsste. Sie verdient trotzdem eine Chance. Wann wird die Intrepid gesprengt?« Wie bereits befürchtet, hatte dieser Schlachtkreuzer so massive strukturelle Schäden erlitten, dass es nicht möglich war, ihn wieder so weit herzurichten, dass er mit der Flotte das System verlassen konnte. Also würde der Antrieb überhitzt werden, damit das Schiff durch die Explosion in so kleine Stücke gerissen wurde, dass auch die Syndiks damit nichts mehr anfangen konnten.

Desjani gab die Frage an ihren Maschinen-Wachhabenden weiter, der sofort antwortete: »Morgen, Captain. Irgendwann spät an diesem Tag. Man ist davon überzeugt, bis dahin alles von Bord geschafft zu haben, was sich zu bergen lohnt. Die beiden größten Trümmerteile der Courageous werden noch heute Abend gesprengt.«

»Sollten wir Duellos informieren?«, wollte Desjani wissen.

Er dachte kurz über ihre Frage nach. »Haben Sie schon mal ein Schiff verloren?«

»Einen Zerstörer bei Xaqui, einen Schlachtkreuzer bei Vasil, einen weiteren Zerstörer bei Gotha, einen Schweren Kreuzer bei Fingal …«

»Waren Sie jedes Mal der befehlshabende Offizier?«

»Nur auf dem zweiten Zerstörer und dem Schweren Kreuzer, der dem Kreuzer bei Fingal folgte.«

Geary sah Desjani lange an. Sie hatte mit ihm ein wenig über ihre Gefechtserfahrung gesprochen, aber dabei war nie die Rede davon gewesen, was mit den Schiffen passiert war, auf denen sie gedient hatte. »Tut mir leid. Sie haben darüber noch nie viel geredet.«

»Nein«, gab sie zu. »Habe ich nicht. Wir kennen beide den Grund. Und das beantwortet auch meine Frage wegen Duellos und der Courageous, nicht wahr?«

»Ja. Die Courageous war sein Schiff. Er soll entscheiden, ob er ihre letzten Augenblicke miterleben will oder nicht.«

»Dann werde ich Cresida informieren.«

»Danke. Und falls Sie mal darüber reden wollen …«, fügte er hinzu.

»Danke für das Angebot. Das gilt übrigens auch umgekehrt.«

»Ich werde es nicht vergessen.« Er veränderte den Maßstab seines Displays, um das gesamte Sternensystem überblicken zu können. Immer noch waren Handelsschiffe der Syndiks auf der Flucht, um nach einem Ort zu suchen, an dem sie einigermaßen sicher waren. Es schien keine fest im Orbit um den Stern Heradao kreisenden Einrichtungen zu geben, allerdings rechnete er damit, beim dritten Planeten sehr wohl auf so etwas zu stoßen. Wie Desjani erwähnt hatte, war die Formation der kleinen Syndik-Flotte aufgelöst worden. Die Schiffe waren in verschiedene Richtungen unterwegs, aber keiner der Vektoren führte auch nur in die ungefähre Nähe der Allianz-Flotte.

An den Sprungpunkten hielten noch immer Syndik-Jäger Wache, aber die stellten erstens keine Gefahr dar, und zweitens würde es ohnehin nicht gelingen, sie zu fassen zu bekommen. Geary lehnte sich zurück und zwang sich zur Ruhe. Jetzt lag das schwerste Stück Arbeit hinter ihnen. Aber … vielleicht war es noch nicht vorüber, was Heradao anging. Was hätten die Syndiks hier zurücklassen können, um die Heimkehr der Allianz-Flotte zu verhindern? Nein, das Schlimmste würde es sein, noch mehr Erinnerungen an explodierende Kriegsschiffe zu blockieren.

Der einzige noch verbleibende Kontakt mit dem Feind, den die Flotte zu erledigen hatte, war das, was sie tun mussten, um die Kriegsgefangenen aus dem Arbeitslager auf dem dritten Planeten zu befreien. Die Sensoren der Flotte hatten bestätigt, dass das Lager noch existierte und dass dort wohl immer noch einige tausend Angehörige der Allianz festgehalten wurden. Ihre Befreiung würde Unterhandlungen und sicher auch die eine oder andere Drohung erforderlich machen, aber das hatten sie schon einmal mitgemacht. »Madam Co-Präsidentin«, wandte er sich an Rione. »Könnten Sie mit den Syndiks Kontakt aufnehmen und herausfinden, wie schwierig es sein wird, die Kriegsgefangenen vom dritten Planeten zu holen? Greifen Sie zu allen notwendigen Drohungen, und Sie können ihnen auch gern versprechen, dass wir ihren Planeten nicht bombardieren, wenn sie sich brav aufführen.«

Rione gab dem Komm-Wachhabenden ein Zeichen. »Stellen Sie bitte eine Verbindung zum Syndik-Kommandonetz her. Sobald die Verbindung steht, lasse ich ihnen eine erste Nachricht zukommen.« Dann lehnte sie sich zurück und wartete, dass sie mit den Syndik-Behörden in diesem System verbunden wurde.

Und wartete … und wartete.

Schließlich mischte sich Desjani ein. Auch wenn sie Rione nicht leiden konnte, würde es ein schlechtes Licht auf ihr Schiff werfen, wenn ein Mitglied der Allianz-Regierung nicht die angemessene Unterstützung erhielt. »Wieso dauert das so lange? Warum haben Sie noch keine Verbindung hergestellt, damit die Co-Präsidentin ihre Mitteilung übertragen kann?«

»Captain, das Syndik-Netz, das wir seit der Ankunft in diesem System überwacht haben, scheint nicht mehr richtig zu funktionieren.« Der Komm-Wachhabende machte eine verdutzte Miene. »Es existiert noch, aber wir beobachten hier sehr seltsame Aktivitäten.«

»Seltsame Aktivitäten?«, forschte Desjani nach.

»Ja, Captain. Das Ganze ist irgendwie im Fluss, darum lässt es sich so schwer bestimmen. Das ist fast so, als ob …« Der Komm-Wachhabende kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Wir haben soeben eine Nachricht erhalten, die an uns gerichtet ist. Jemand, der sich als der Regierungsrat von Heradao bezeichnet, hat uns vom dritten Planeten eine Nachricht geschickt. Man besteht darauf, mit Captain Geary zu reden.«

Geary hielt eine Hand vor seine Augen, weil er sich im Moment nicht mit einem Syndik-CEO auf irgendein Wortgefecht einlassen wollte. »Sagen Sie ihnen, dass Captain Geary im Augenblick nicht der Sinn nach reden steht.« Der dritte Planet war derzeit noch etwas mehr als zweieinhalb Lichtstunden entfernt, und Unterhaltungen, bei denen man nach fünf Stunden eine Antwort auf seine Frage erhielt, hatten noch nie zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gezählt.

»Aber … Sir, sie sagen, sie haben eine neue Regierung ins Leben gerufen, und sie wollen mit Ihnen über den Status dieses Sternensystems verhandeln.«

Er nahm die Hand runter, drehte sich um und sah verwundert den Wachhabenden an. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, kam ihm Rione zuvor: »Diese Leute haben sich nicht als die Syndik-Befehlshaber in diesem System vorgestellt?«

»Nein, Madam Co-Präsidentin, sondern als der Regierungsrat von Heradao. So wurde auch die Übertragung identifiziert.«

»Und es gibt immer noch Übertragungen, die von den Syndik-Behörden im System kommen?«

»Ähm … ja, Ma’am.« Der Wachhabende schüttelte verständnislos den Kopf. »Das System hat soeben eine weitere neue Nachricht identifiziert, diesmal von … Sie stammt vom Freien Planeten von Heradao Vier, wer immer das nun sein mag. Captain Desjani, das Kommando- und Kontrollnetz der Syndiks scheint in Stücke gerissen zu werden. So etwas habe ich noch nie gesehen. Das ist ja …«

Rione hatte sich zu dem Wachhabenden gestellt und sah sich die Anzeigen und Muster auf dem Komm-Display an. »Das ist so, als würde jeder versuchen, einen Teil für sich zu beanspruchen und aus dem Kommandonetz herauszubrechen.« Sie sah Geary an. »So etwas habe ich schon einmal gesehen. Dieses Sternensystem versinkt in einem Bürgerkrieg.«

»Wo wollen Sie denn so etwas schon einmal gesehen haben?«, fragte Desjani so entsetzt, dass sie entgegen ihrer Gewohnheit Rione direkt ansprach.

»Bei Geradin. Im Allianz-Gebiet«, ergänzte Rione ruhig. »Ich war nicht dabei, aber die Aufzeichnungen wurden dem Senat der Allianz überlassen, und ich habe mich mit ihnen beschäftigt.«

»Geradin?«, warf Geary ein. »Wo ist das?«

»Geradin ist ein abgelegenes System. Geringe Bevölkerung, ziemlich isolierte Lage. Und das noch mehr, seit das Hypernet eingerichtet wurde, was sie aber nicht davon abhielt, ihre Besten zum Allianz-Militär zu schicken.« Rione verzog angewidert den Mund. »Das veranlasste diejenigen, die nicht zu den Besten gehörten, schließlich dazu, Ärger zu machen. Ein versuchter heimlicher Staatsstreich verwandelte sich in einen offenen Machtkampf und in der Folge zum Zusammenbruch der Autorität.« Sie wandte sich an Desjani: »Ich weiß, dass Sie noch nie davon gehört haben. Aus Sicherheitsgründen. Es wäre nicht gut, wenn die Menschen in der Allianz davon erfahren würden, was sich sogar in einem so kleinen System wie Geradin ereignen kann.«

»Der Zusammenbruch der Autorität«, murmelte Geary und musterte sein eigenes Display. »Gibt es Hinweise darauf, dass es zu Kämpfen unter den Syndiks gekommen ist?« Als niemand antwortete, betätigte er eine Taste. »Lieutenant Iger. Wir haben hier Hinweise darauf, dass die Behörden in diesem System zusammenbrechen oder dass ihre Autorität infrage gestellt wird. Ich benötige schnellstens eine Einschätzung und Berichte darüber, was auf jedem dieser Planeten los ist.«

»Jawohl, Sir. Wir arbeiten daran.«

Geary nahm sich die Informationen vor, die ihm sein Display anzeigte. Erfreut stellte er fest, dass weitere Rettungskapseln mit Allianz-Personal geborgen worden waren. Rings um die Allianz-Rettungskapseln wimmelte es von Kapseln der Syndiks, die auf der Suche nach einer Zuflucht waren. Er fragte sich, auf welche Seite sich die Überlebenden der Syndik-Flotte wohl schlagen würden. Würden sie sich hinter die Regierung stellen, deren Macht ins Wanken geraten war? Oder würden sie sich einer der beiden Rebellengruppen anschließen? Oder würden sie sogar versuchen, die Rebellion zu unterdrücken, bis Verstärkung eintraf, die den Aufstand mit einem gezielten Bombardement niederschlagen würde?

»Sehr viele Kriegsschiffe besitzen die Syndiks nicht mehr«, sagte Geary zu sich selbst.

Desjani stutzte, dann nickte sie, als sie verstand, was er meinte. »Nicht mehr viele, die die Peitsche schwingen können. Wir haben eine Spur aus zerstörten Syndik-Schiffen hinterlassen, die zurückreicht bis in ihr Heimatsystem.«

»Richtig. Und offenbar sind wir nicht die Einzigen, denen das bewusst geworden ist.« Erneut betätigte er seine Kontrollen. »Lieutenant Iger, haben Sie schon was für mich?«

Ein Fenster öffnete sich, in dem Igers völlig perplexe Miene auftauchte. »Sir, die Situation ist chaotisch.«

Geary wartete einen Moment, dann meinte er todernst: »Vielen Dank, Lieutenant. Darauf wäre ich ohne die Unterstützung meines Geheimdienstes nie gekommen.«

Iger lief vor Verlegenheit rot an. »Tut mir leid, Sir. Wir können Ihnen im Moment kein klareres Bild liefern, weil es das nicht gibt. Alles scheint zusammengebrochen zu sein. So wie ein Stoff, bei dem sich alle Maschen gleichzeitig lösen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Bevölkerung auf dem vierten Planeten in den letzten Jahrzehnten angewachsen ist, weil Dissidenten dorthin umgesiedelt sind, die mit der Regierung unzufrieden waren. Wir haben keine Ahnung, wer momentan an der Macht ist oder wer wie viel zu sagen hat. Vermutlich weiß das niemand, nicht einmal die verschiedenen Gruppierungen, die um die Kontrolle über Teile des Sternensystems streiten.«

»Es finden Kämpfe statt?«

»Ja, Sir. Wir haben Explosionen identifizieren können, Fahrzeugbewegungen, Signalverkehr und andere Hinweise darauf, dass auf dem dritten und vierten Planeten gekämpft wird. Wir wissen nicht, ob die Kämpfe heftiger werden. Da sich alles andere in unterirdischen Städten und auf Orbitalstationen abspielt, können wir nicht sagen, ob es dort auch zu Unruhen gekommen ist.« Iger hielt inne, schaute zur Seite, nickte knapp und wandte sich wieder an Geary. »Soeben haben wir eine massive Druckwelle auf einer der Syndik-Orbitalanlagen des dritten Planeten feststellen können, was dafür spricht, dass es dort auch zu Auseinandersetzungen kommt.«

Desjani hatte zugehört und zuckte nun mit den Schultern. »Nicht unser Problem, Sir. Wir sind keine Besatzungsstreitmacht, die mit mehreren hunderttausend Mann starken Bodentruppen hergekommen ist.«

»Das wohl nicht«, pflichtete Geary ihr bei, bis er bemerkte, dass Iger nervös den Kopf schüttelte. »Ja, Lieutenant?«

»Das Arbeitslager, Sir. Das mit den Kriegsgefangenen auf dem dritten Planeten.«

Das hatte er einen Moment lang tatsächlich völlig vergessen, weil der Zusammenbruch der Syndik-Autorität seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hatte. »Das ist allerdings unser Problem.«

Iger las offensichtlich aktuelle Daten mit, da er berichten konnte: »Es gibt Hinweise auf Kämpfe vor dem Arbeitslager, aber im Lager selbst finden sich keine Anzeichen für irgendwelche Unruhen. Am ehesten ist wohl davon auszugehen, dass die Wachen sich irgendwo verbarrikadiert haben, um sich selbst zu schützen.«

»Wird das Lager von irgendwem angegriffen, Lieutenant?«

»Es finden sich keine entsprechenden Hinweise dafür, Sir. Allerdings ist es auch noch recht früh.«

»Was ist mit der Möglichkeit eines nuklearen Bombardements aus dem Orbit?«, wollte Rione wissen. »Wir wissen, dass die Orbitalstationen in anderen Systemen mit Atombomben ausgestattet waren, um die Bevölkerung in Schach zu halten.«

»Wir können nicht sagen, ob sie hier über diese Möglichkeit verfügen, Madam Co-Präsidentin«, antwortete Iger. »Eingesetzt hat man sie bislang jedenfalls nicht.«

»Dann haben sie vielleicht keine.«

»Möglich, Ma’am. Oder es fehlt ihnen an einem geeigneten Ziel. Oder sie haben vorübergehend die Kontrolle über die Bomben verloren, weil das Kommando- und Kontrollnetz im Zerfall begriffen ist. Oder sie warten ab, dass sich die verschiedenen Rebellengruppen gegenseitig zerfleischen, ehe die Syndiks den großen Hammer hervorholen und zuschlagen.«

Nachdenklich trommelte Geary mit den Fingern auf die Armlehne seines Sessels. »Ich nehme an, diese Unruhen werden noch eine Weile anhalten. Aber wir haben keine Zeit zu vergeuden. Lieutenant Iger, ich muss in erster Linie wissen, welche Seite das Gebiet rund um das Arbeitslager kontrolliert, und ich benötige von Ihnen eine möglichst präzise Einschätzung, welche Bedrohungen uns auf dem Planeten erwarten könnten. Ferner muss ich wissen, welche orbitalen und landgestützten Verteidigungsanlagen existieren, die erst noch ausgeschaltet werden müssen, bevor wir da reingehen können.«

»Jawohl, Sir.« Iger salutierte hastig, dann verschwand sein Bild.

Geary tippte auf eine andere Taste, und Colonel Carabali tauchte in dem Fenster auf. »Colonel, ist Ihnen bereits zu Ohren gekommen, was sich derzeit in diesem System und vor allem auf dem dritten Planeten abspielt?«

Carabali nickte. »Nach allem, was ich gehört habe, muss da unten der Teufel los sein, Sir.«

»Richtig. Trotzdem müssen wir die Allianz-Angehörigen aus diesem Arbeitslager befreien. Wir versuchen, derzeit jemanden zu finden, mit dem wir über die Freilassung unserer Leute verhandeln können, aber es spricht vieles dafür, dass auf Ihre Marines eine schwierige Aufgabe wartet.«

»Dafür hat diese Flotte schließlich ihre Marines, Sir. Wir kümmern uns um die schwierigen Aufgaben.« Carabali salutierte. »Ich arbeite einen Plan aus und gehe erst einmal davon aus, dass sich außerhalb des Lagers Unruhen abspielen und dass die Wachen im Lager Widerstand leisten.«

»Danke. Die Flotte wird Ihnen den Weg freimachen, selbst wenn wir das ganze Gebiet rund um das Lager mit Bombenkratern überziehen müssen.«

Desjani seufzte. »Bodenkämpfe, igitt. Mir sind Raumschlachten wirklich lieber.«

»Mir auch, aber hier bleibt uns nichts anderes übrig.« Wieder betrachtete er sein Display. »Kommen Sie, wir teilen die Flotte auf. Wir lassen genug Schiffe hier zurück, die die Schiffe beschützen können, die derzeit repariert werden, der Rest macht sich auf den Weg zum dritten Planeten. Madam Co-Präsidentin, sobald der Geheimdienst jemanden gefunden hat, mit dem Sie über das Arbeitslager und die Kriegsgefangenen reden können, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die Unterhandlungen beginnen könnten.«

»Ich werde mein Bestes tun«, erwiderte Rione. »Angenommen, wir finden tatsächlich jemanden, der da unten etwas zu sagen hat, und er will nichts von einer Freilassung der Gefangenen wissen – was dann?«

»Dann werden Colonel Carabalis Marines bei dem Lager anklopfen, und dann möchte ich nicht derjenige sein, der versucht, ihnen den Zutritt zu verwehren.«

Gut vierundzwanzig Stunden später war Geary mit den jüngsten Statusberichten der Flotte befasst, als Rione ihn in seinem Quartier aufsuchte. »Es ist uns gelungen, direkten Kontakt mit dem Arbeitslager aufzunehmen. Die Wachen fürchten sich vor uns, und genauso fürchten sie sich vor den Rebellen vor ihrem Lager«, berichtete sie ihm. »Sie sehen in den Gefangenen das einzige As, das sie in der Hand haben, und sie wollen daraus möglichst viel Kapital schlagen. Außerdem fürchten sie sich vor den Syndik-Behörden.«

»Obwohl alles um sie herum zerfällt und die Syndik-Flotte so gut wie ausgelöscht worden ist?«

»Da Leute auf dieser Ebene nichts davon wissen, welche Verluste die Syndik-Flotte hat hinnehmen müssen, ist das für sie ohne Bedeutung. Captain Geary, für sie ist die Gleichung eine ziemlich einfache: Wenn sie sich gegen uns wehren, dann müssen sie womöglich sterben. Wenn sie sich nicht wehren und die Syndiks erlangen die Kontrolle über das System zurück, dann müssen nicht nur sie mit dem Tod rechnen, sondern auch ihre Familien.«

»Also werden sie kämpfen.«

»Das war ihre Aussage.«

Er schaute auf das Display, das über dem Tisch schwebte. »Glauben Sie, wir können sie irgendwie umstimmen? Mit Drohungen? Mit Versprechungen?«

»Ich habe beides versucht«, sagte sie kopfschüttelnd und wirkte müde. »Normalerweise verbringe ich viel Zeit damit herauszufinden, was sich hinter dem verbirgt, das ein Syndik sagt. Meint er es ehrlich, oder will er mir eine Falle stellen? Das einzig Gute an unserer Situation ist, dass ich fest davon überzeugt bin, dass die Wachen die Wahrheit sagen.«

»Aber wie heftig werden sie sich tatsächlich zur Wehr setzen?«, fragte sich Geary. »Wird das ein Alibi-Widerstand oder eine Verbrannte-Erde-Schlacht werden? Oder irgendetwas dazwischen?«

Rione legte nachdenklich die Stirn in Falten. »Mein Instinkt sagt mir, dass es auf jeden Fall deutlich mehr als ein Alibi-Widerstand werden wird. Die Wachen sind in großer Sorge, wie die Syndik-Behörden ihr Verhalten beurteilen werden. Aber auch wenn sie sich jetzt ins Zeug werfen, glaube ich trotzdem nicht, dass sie bereit sind zu sterben.«

»Also irgendwas dazwischen. Danke. Colonel Carabali wird mich in etwa einer Stunde über den Angriffsplan für die Marines informieren. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihr Ihre Beurteilung der Situation mitteilen könnten, damit sie Ihre Einschätzung in die Planung einbeziehen kann.«

»Tut mir leid, dass meine Einschätzung nicht besser ausgefallen ist.« Sie deutete auf das Display. »Irgendwelche erfreulichen Neuigkeiten?«

»Ja, zum Teil. Commander Lommand von der Titan hat mich wissen lassen, dass er zuversichtlich ist, die Incredible weitestgehend instand setzen zu können, damit sie der Flotte folgen kann. Allerdings haben die Ingenieure bei der Begutachtung der Intagliata so schwere strukturelle Mängel festgestellt, dass wir diesen Leichten Kreuzer ebenfalls werden sprengen müssen.«

»Und die Versorgung mit Brennstoffzellen ist nach wie vor kritisch, nehme ich an?«

»Ja. Wenn wir alle Brennstoffzellen von den Hilfsschiffen und von allen Wracks geborgen und verteilt haben, bewegt sich die Flotte im Durchschnitt bei einer Reserve von knapp siebenunddreißig Prozent. Wir werden davon noch etwas verbrauchen, wenn wir in einen Orbit um den dritten Planeten eintauchen und wenn wir danach mit den befreiten Gefangenen den Orbit verlassen. Das heißt, wenn wir Heradao verlassen, werden wir uns irgendwo kurz vor dreißig Prozent bewegen.«

»Können wir mit einer solchen Reserve nach Hause kommen?«, fragte Rione leise.

Geary zuckte mit den Schultern. »Was die vor uns liegende Strecke angeht, ist das kein Problem. Bis nach Varandal sollten wir auch keine weiteren Gefechte mehr austragen müssen.«

»Und falls doch?«

»Dann wird es kritisch werden.«

Sie sah auf das Display. »Es ist meine Pflicht, Sie einmal mehr auf Ihre Optionen für diesen Fall hinzuweisen.«

»Ich weiß.« Er war bemüht, sich nicht über ihre Bemerkung zu ärgern. »Wir können einige Schiffe aufgeben, die Besatzungen umverteilen und die Brennstoffzellen für die verbliebenen Schiffe verwenden. Aber das werde ich nicht machen. Wir sind auf jedes Schiff angewiesen. Die Allianz ist auf jedes Schiff und jeden Matrosen angewiesen.«

»Die Allianz ist auf dieses Schiff angewiesen, Captain Geary. Die Allianz benötigt den Hypernet-Schlüssel, der sich an Bord der Dauntless befindet.«

»Das werde ich niemals vergessen, Madam Co-Präsidentin. Wissen Sie, wir könnten unseren Bestand an Brennstoffzellen auch deutlich schonen, indem wir uns nicht um die Kriegsgefangenen auf dem dritten Planeten kümmern.«

Sie warf ihm einen stechenden Blick zu. »Ich schätze, das habe ich jetzt wohl verdient. Sie wissen, nicht mal ich würde vorschlagen, diese Leute sich selbst zu überlassen. Also gut, Captain Geary, tun Sie, was Sie für das Beste halten, und lassen Sie uns beten, dass die lebenden Sterne uns auch weiterhin bewachen. Ich werde mit Colonel Carabali Kontakt aufnehmen und ihr meinen Eindruck von der Haltung der Syndik-Wachen mitteilen. Und ich werde ihr sagen, dass ich jederzeit zur Verfügung stehe, wenn sie möchte, dass ich mit ihnen nochmals in Verbindung trete.«

»Vielen Dank, Madam Co-Präsidentin.«

Eine Stunde später stand die virtuelle Präsenz von Colonel Carabali in seinem Quartier und zeigte auf zwei Aufnahmen, die das Arbeitslager auf dem dritten Planeten zeigten. Beide Fotos waren mit Symbolen versehen, die die verschiedenen Pläne zur Befreiung der Gefangenen kennzeichneten. Von oben betrachtet war die Syndik-Einrichtung ein nahezu vollkommenes Achteck, wobei sich an jeder Ecke ein ausladender Wachturm befand. Zudem wurde jede der acht massiven Mauern aus verstärktem Beton von kleineren Wachposten gesäumt. Dreifache Reihen Stacheldraht folgten innen und außen. In den freien Bereichen zwischen zwei Reihen deutete alles auf Tretminen hin. Außerdem wurde zweifellos jede Ecke mit Kameras überwacht. Im Inneren des Achtecks fanden sich zahlreiche Gebäude, die als Kasernen für die Gefangenen, als Unterkünfte für das Wachpersonal, als Krankenstation, Verwaltung und anderes gekennzeichnet waren. Die Lagermitte wurde von einem weitläufigen freien Platz beherrscht, auf dem Syndik-Shuttles landen und die Gefangenen sich aufstellen konnten.

Unwillkürlich stellte sich Geary vor, ohne jede Hoffnung auf Rettung an einem solchen Ort gefangen zu sein.

»Uns stehen zwei grundsätzliche Möglichkeiten zur Verfügung«, begann Carabali in ihrem üblichen, absolut ernsten Besprechungstonfall. »Beide basieren auf der Tatsache, dass ich in dieser Flotte nur noch über etwas mehr als zwölfhundert einsatzfähige Marines verfüge. Das ist viel zu wenig, um eine Einrichtung von dieser Größe zu besetzen und vor Angreifern von außen zu verteidigen, und zwar sogar dann, wenn wir von den Wachen im Lager keinen Widerstand zu erwarten hätten. Wie ich allerdings von Co-Präsidentin Rione erfahren habe, werden die Wachen kämpfen wollen.«

Sie zeigte auf einen Teil des ersten Bildes. »Eine Option besteht darin, dass wir die Marines konzentrieren und uns Sektor für Sektor durch das Lager kämpfen, jeden Sektor besetzen, die Gefangenen rausbringen und dann zum nächsten Sektor vorrücken. Das hat den Vorteil, dass alle Marines dicht genug beisammenbleiben, um sich gegenseitig Feuerschutz zu geben und um gegen Angriffe besser geschützt zu sein. Der Nachteil ist, dass wir mehr Zeit am Boden verbringen müssen. Wenn der Feind dann erst einmal erkannt hat, nach welchem Prinzip wir vorgehen, kann er versuchen, die Gefangenen aus den Sektoren wegzubringen, bis zu denen wir noch nicht vorgedrungen sind. Oder sie mischen sich unter die Gefangenen und benutzen sie als Geiseln. Diese Option kann ich daher nicht empfehlen.«

Dann wandte sich Carabali der anderen Darstellung zu. »Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den Großteil der Marines entlang der Außenmauern zu positionieren und gleichzeitig eine Streitmacht in der Lagermitte abzusetzen, um den Landeplatz zu halten. Wir haben nicht genug Marines, um flächendeckend alles zu sichern, aber wir können sie an allen strategisch wichtigen Punkten positionieren. Dann rücken die Marines auf das Gelände vor, eliminieren jeden Widerstand, der sich ihnen in den Weg stellt, oder umgehen zu gut verteidigte Abschnitte. Dabei nehmen sie alle Gefangenen mit, auf die sie unterwegs stoßen. In der Lagermitte kommen sie dann von allen Seiten zusammen, von wo wir sie dann so schnell wie möglich mit den Shuttles herausholen. Der Vorteil liegt darin, dass der Feind keine Zeit hat, seine Leute zusammenzuziehen oder einige der Gefangenen aus dem Lager zu schaffen. Außerdem können sich unsere Leute umso besser gegenseitig unterstützen, je weiter sie vorrücken, weil dann die Lücken geschlossen werden. Der Nachteil ist der, dass unsere Leute gerade zu Beginn der Offensive sehr weit verstreut sein werden und sich nicht gegenseitig Feuerschutz geben können. Das Gleiche gilt für unsere Shuttles, weil sie unsere Leute weit voneinander entfernt absetzen werden.«

Geary betrachtete die Darstellungen und sah dann den Colonel an. Vor hundert Jahren war er in Einsätzen der Marines ein wenig geschult worden, aber seine tatsächliche Erfahrung mit Bodeneinsätzen beschränkte sich auf das, was er als Befehlshaber dieser Flotte miterlebt hatte. Dazu hatten aber aber keine Operationen von solchen Ausmaßen gehört. Und doch war er in seiner Position gezwungen, die Marines zu befehligen und über deren Pläne zu entscheiden. Zum Glück kannte er Carabali inzwischen gut genug, um ihr und ihren Fähigkeiten zu vertrauen. »Auch wenn die Risiken größer sind, darf ich annehmen, dass Sie den zweiten Plan empfehlen werden, richtig?«

»Jawohl, Sir.«

»Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten der ersten Option ein?«

Carabali betrachtete die Darstellung dieses Plans, dachte kurz nach, dann sagte sie: »Wenn Sie Erfolg so definieren, dass alle Kriegsgefangenen befreit werden, dann würde ich sagen, dass die erste Option bei maximal fünfzig Prozent liegt, wahrscheinlich aber deutlich darunter, abhängig davon, wie die Syndiks reagieren. Bei dieser Option sind wir unter Umständen sehr verwundbar, je nachdem wozu die Syndiks sich entschließen.«

»Und die zweite Option?«

»Neunzig Prozent Erfolgsaussichten.«

»Aber bei der zweiten Option ist das Risiko für Ihre Marines und für die Shuttles höher«, wandte er ein.

»Richtig, Sir.« Carabali drehte sich zu ihm um und schaute ihn mit ausdrucksloser Miene an. »Die Mission lautet, die Kriegsgefangenen zu retten, Sir.«

Das brachte es auf den Punkt, wie Geary feststellen musste. Wenn er für die Rettung der Kriegsgefangenen das kleinste Risiko eingehen wollte, musste er gleichzeitig die Marines einem größeren Risiko aussetzen. Carabali wusste das, und wahrscheinlich wusste es auch jeder ihrer Marines. Und jeder akzeptierte es, weil es das war, was es bedeutete, ein Marine zu sein. »Also gut, Colonel. Ich bin mit Ihrer Empfehlung einverstanden, wir werden nach der zweiten Option vorgehen. Die Flotte wird Sie mit aller Feuerkraft unterstützen, die sie aufbieten kann.«

Carabali lächelte Geary flüchtig an. »In diesem Lager befinden sich viele Gebäude, und in einer solchen Umgebung sind die feindlichen Streitkräfte von den eigenen nie weit entfernt.«

»Wie groß soll die Sicherheitszone sein?«

»Hundert Meter, Sir, aber nageln Sie mich nicht darauf fest. Es könnte sein, dass wir unterstützendes Feuer in einer viel geringeren Entfernung benötigen.«

»Gut, Colonel.« Geary stand auf. »Sie können mit Ihrer Planung und der Ausführung dieser Mission fortfahren. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie irgendetwas brauchen.«

»Jawohl, Sir.« Sie salutierte, dann löste sich ihr Bild auf.

Die Darstellungen der beiden Strategien waren noch einen Moment länger zu sehen. Geary betrachtete sie und wusste, seine Entscheidung würde für manche der Marines den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Aber so wie Carabali war auch ihm klar, dass er eigentlich keine andere Wahl hatte.

»Die Kämpfe scheinen sich auf dem dritten und vierten Planeten deutlich ausgeweitet zu haben«, meldete Lieutenant Iger, als die Allianz-Flotte über der dritten Welt in einen Orbit einschwenkte. Eine Orbitalfestung, die probiert hatte, die herannahenden Schiffe unter Beschuss zu nehmen, war von mehreren kinetischen Projektilen in Fetzen gerissen worden, und seitdem hatte nichts und niemand mehr versucht, sich der Allianz-Flotte in den Weg zu stellen.

Alle im Sternensystem noch verbliebenen Schweren Kreuzer der Syndiks hatten Heradao durch einen der Sprungpunkte verlassen, die restlichen Leichten Kreuzer und Jäger hielten sich unverändert in deren Nähe auf. Keines der Schiffe hatte versucht, sich der Region zu nähern, wo Geary die am schwersten beschädigten Schiffe zusammen mit den Hilfsschiffen und einer schlagkräftigen Eskorte zurückgelassen hatte. »Noch immer keine Gruppierung feststellbar, die da unten die Oberhand bekommt?«

»Nein, Sir«, erwiderte Iger. »Es werden zwar von allen möglichen Seiten Erklärungen verbreitet, aber wir können keine Belege dafür entdecken, dass diese Behauptungen den Tatsachen entsprechen.«

»Das Wachpersonal im Lager reagiert nicht länger auf unsere Übermittlungen«, fügte Rione hinzu. »Entweder können sie nicht mit uns verhandeln, oder sie wollen es nicht.«

Geary betrachtete das Display, das das Lager darstellte und mit Symbolen aller Art übersät war. An ein paar Punkten hatte man größere Ansammlungen von Syndik-Wachen ausmachen können, aber insgesamt schien es so, als hätten sich die meisten von ihnen in Luft aufgelöst. »Haben wir irgendwelche Wachen dabei beobachten können, wie sie das Lager verlassen haben?«, wollte er von Iger wissen.

»Nein, Sir, sie befinden sich alle noch irgendwo im Lager.«

»Und die Kriegsgefangenen?«

»Die scheinen in ihren Kasernen zu sein. Vermutlich sind sie dort eingeschlossen.«

Argwöhnisch musterte Rione das Display. »Wenn sie kämpfen wollen, warum nehmen sie dann nicht unsere Leute als Geiseln?«

»Gute Frage.« So unangenehm es ihm auch war, Untergebene zu behelligen, die sich auf einen Kampfeinsatz vorbereiteten, fand Geary doch, dass Carabali dazu wohl gern ein paar Worte sagen würde.

Carabali nickte nur, als würde dieser Bericht sie gar nicht überraschen. »Die Wachen machen sich zum Kampf bereit. Wenn Sie die geschätzte Anzahl an Gefangenen der geschätzten Anzahl an Wachleuten gegenüberstellen, Sir, dann werden Sie sehen, dass es ein Vielfaches an Gefangenen gibt. So wie wir nicht genug Leute haben, um das ganze Lager zu besetzen, fehlt ihnen Personal, sodass sie nicht gleichzeitig ihre Gefangenen bewachen und gegen uns kämpfen können. Also schließen sie die Gefangenen ein. Auf diese Weise können sie sie immer noch als Geiseln benutzen, und sie haben die Gewissheit, dass sich die Gefangenen nicht gegen sie wenden, wenn klar wird, dass wir in das Lager einmarschieren. Unser Plan sollte allerdings verhindern, dass sie die Gefangenen für ihre Zwecke missbrauchen.«

»Ich verstehe nicht, Colonel. Das klingt so, als wüssten die Syndik-Wachen, dass sie nicht gewinnen können. Wenn ihnen klar ist, dass sie nicht gleichzeitig ihre Gefangenen bewachen und sich mit uns Gefechte liefern können, warum kapitulieren sie dann nicht einfach?«, fragte Geary.

»Vermutlich haben sie den Befehl, jeden Befreiungsversuch zu unterbinden, Sir.«

Ganz so, wie Rione es vermutet hatte. Sie mussten den Kampf gegen die Marines wählen und das Risiko eingehen, dabei getötet zu werden, wenn sie verhindern wollten, von den Syndik-Behörden ganz sicher getötet zu werden, weil sie ihren Pflichten nicht nachgekommen waren. »Sieht so aus, als müssten wir das auf die harte Tour durchziehen, Colonel.«

»Richtig, Sir. Ich bitte darum, dass die Flotte das vorbereitende Bombardement dem Plan entsprechend ausführt.«

»Wird erledigt. Viel Glück, Colonel.«

»Die Marines wollen gar kein so weit gefächertes Bombardement«, stellte Desjani erstaunt fest, nachdem Carabalis Bild verschwunden war.

»Bislang konnten noch nicht allzu viele Ziele identifiziert werden.« Geary zeigte auf die Echtzeitbilder aus dem Lager weit unter der Dauntless, die gemeinsam mit dem Rest der Flotte um den dritten Planeten kreiste. »Wir können nicht einfach das gesamte Lager bombardieren, weil wir nicht wissen, in welchen Gebäuden Gefangene untergebracht sind. Das erste Bombardement richtet sich auf fest installierte Verteidigungsanlagen, und es dient dem Zweck, den Feind massiv in Verwirrung zu stürzen, damit er nicht schnell genug auf unseren Angriff reagieren kann.« Er warf einen Blick auf den Zeitplan, der neben dem Display angezeigt wurde. Es wurde Zeit, die Marines in ihren Shuttles loszuschicken. Und die Evakuierungsshuttles zu starten. Und die Bombardierung zu beginnen.

Die aerodynamischen Metallblöcke, die offiziell als kinetische Projektile bezeichnet wurden, reichten zurück bis zu den frühesten Waffen der Menschheit. Von ihrer Stromlinienform abgesehen, hatten sie die gleiche Funktionsweise wie große Steine, weshalb sie im Flottenjargon oft auch nur als Steine bezeichnet wurden. Anders jedoch als echte Steine, die man mit Muskelkraft auf ein Ziel schleudert, wurden diese kinetischen Geschosse aus einem hohen Orbit abgeworfen und sammelten mit jedem Meter, die sie durch die Atmosphäre stürzten, mehr Energie an. Wenn sie dann an ihrem Zielpunkt einschlugen, war die Wirkung die gleiche wie bei einer großen Sprengladung in einer Bombe. Hatte man diese Steine, die eine simple, billige und doch todbringende Waffe darstellten, erst einmal auf den Weg geschickt, war es so gut wie unmöglich sie aufzuhalten.

»Die Marines-Shuttles starten«, meldete der Ablauf-Wachhabende.

Auf seinem Display ließ Geary sich die Starts anzeigen, wobei die Umrisse der Shuttles bei der Darstellung hervorgehoben wurden, damit sie besser zu erkennen waren. »So viele habe ich noch nie auf einmal starten sehen«, bemerkte er an Desjani gerichtet.

»Sir, Sie hätten bei Urda mit dabei sein müssen. Tausende von Shuttles im Landeanflug. Ein überwältigendes Bild.« Einen Moment lang legte sich ein verklärter Glanz über ihre Augen. »Und dann eröffneten die Syndiks das Feuer.«

»Schwere Verluste?«

»Verheerend.« Sie rang sich zu einem Lächeln durch. »Hier wird es nicht so kommen.«

Er erwiderte das Lächeln, während er sich wünschte, Desjani hätte Urda nicht erwähnt.

»Die erste Welle der Evakuierungsshuttles wird gestartet.«

»Auf der Planetenoberfläche registrieren wir Feindbewegungen. Gepanzerte Objekte bewegen sich auf das Gefangenenlager zu.«

Auf Gearys Display wurde die Reihe aus Panzerfahrzeugen hervorgehoben, die sich dem Lager näherten. Nach gründlicher Abwägung markierte er die Kolonne als Ziel, bat das Gefechtssystem um eine Ziellösung, die im nächsten Moment auf seinem Display angezeigt und wiederum einen Moment später von Geary genehmigt wurde. Aus drei Allianz-Schiffen wurden Steine ausgeworfen, die durch die Atmosphäre der Planetenoberfläche entgegenschossen. Das Ganze hatte nicht einmal zehn Sekunden in Anspruch genommen.

»Einleitendes Bombardement beginnt.«

Eine ganze Welle aus Steinen wurde abgefeuert, jedes dieser Projektile zielte dabei auf einen bestimmten Punkt im Arbeitslager. Da die Shuttles viel langsamer in die Atmosphäre eintauchten, würden die kinetischen Geschosse gleichzeitig auch noch den Luftraum für die Marines freimachen.

»Bumm«, murmelte Desjani, als die gepanzerte Kolonne unter einer Wolke aus Trümmerstücken und Staub verschwand, die beim Einschlag der Steine im Zielgebiet hochgewirbelt wurde.

»Vielleicht sehen sie ja ein, dass es keine gute Idee ist, sich gegen uns zur Wehr zu setzen«, überlegte Geary.

»Darauf würde ich nicht zählen, Sir.«

»Sir, von fünf Positionen auf der Planetenoberfläche feuern Partikelstrahl-Batterien auf uns!«, rief der Ablauf-Wachhabende. »Splendid und Bartizan nur knapp verfehlt.«

Geary markierte auf dem Display jene fünf Batterien, bekam eine Feuerlösung angezeigt und startete ein weiteres Bombardement. »Ein Glück, dass ich die Flotte bereits angewiesen hatte, Ausweichmanöver zu fliegen.«

Der erste Bombenteppich hatte den Planeten erreicht. Manche Steine schlugen einfach an Stellen ein, an denen man Verteidigungsanlagen vermutete, die meisten trafen aber als feindliche Positionen identifizierte Einrichtungen sowie sämtliche Wachtürme. Innerhalb von Sekunden war von diesen Wachtürmen nur noch Schutt übrig, und die ursprünglich so massive Mauer rings um das Lager war an etlichen Stellen eingestürzt.

»Glauben Sie, in den Wachtürmen haben sich noch Leute aufgehalten?«, wollte Desjani wissen.

»Wohl eher nicht. Colonel Carabali war der Ansicht, dass die Wachen unsere Leute von den Türmen aus mit ferngelenkten Waffen unter Beschuss nehmen würden, also haben wir die Türme beseitigt.«

Der Ablauf-Wachhabende rief eine weitere Meldung: »Noch zwei Minuten bis zur Landung der Marines-Shuttles.«

Augenblicke später wurden die fünf Partikelstrahl-Batterien auf dem Planeten getroffen und in eine hoch aufsteigende Staubwolke verwandelt.

»Shuttles gelandet, Marines auf dem Boden.« Die Operation besaß von weit oben betrachtet eine gewisse Schönheit, wenn man mitverfolgen konnte, wie die Shuttles rings um das Lager und in dessen Mitte kreisten, wie sie zur Landung ansetzten, wie die Marines aus den dicht über dem Boden schwebenden Fahrzeugen sprangen, und wie Lichtblitze umherzuckten, als der Gegner auf die Shuttles oder die Marines schoss. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Shuttles waren die der Marines mit defensiven Gefechtssystemen ausgestattet, die sofort Granatenbeschuss und automatisches Feuer auf jene Positionen losließen, von denen aus die Syndiks geschossen hatten. Die Marines fielen in das Sperrfeuer ein und ließen alles in die Luft gehen, was dem Feind als Unterschlupf dienen mochte. Rings um das Lager und an ein paar Stellen nahe dem Landeplatz in der Mitte kam es zu heftigen Schusswechseln und Explosionen.

»Wir wissen nicht, wo die Gefangenen festgehalten werden«, protestierte Rione plötzlich, »und diese Marines gehen einfach hin und legen das ganze Lager in Schutt und Asche!«

Geary schüttelte den Kopf. »Diese Marines kennen jeden Punkt im Lager, an dem sich Gefangene aufhalten sollten. Und was den Rest angeht, müssen wir darauf vertrauen, dass sie ein Ziel erst identifizieren, bevor sie schießen.« Er öffnete den Feed zu den Marines.

»Der Feind hat sich verschanzt«, meldete einer der Offiziere. »Heftiger Widerstand rings um die Landezone.«

»Das wird hässlich werden«, prophezeite Desjani leise.

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