Neun

Wie Duellos ganz richtig vermutet hatte, machte Badaya einen sehr erfreuten Eindruck darüber, dass er zu einer Konferenz eingeladen worden war, an der außer ihm nur Geary, Duellos und Desjani teilnahmen. »Sie bekommen die Inspire, Duellos? Hervorragend. Nur zu schade, dass Sie sich das Schiff noch eine Weile mit Kilas Überresten teilen müssen.«

»Ich dachte, wir verabschieden uns hier von ihren sterblichen Überresten«, wunderte sich Geary. »Warum warten wir damit bis Atalia?«

Badaya sah Geary überrascht an. »Sind Sie nicht mit den Vorschriften der Flotte vertraut, wie man mit den Leichen von Verrätern zu verfahren hat?«

»Nein. Ich bin davon ausgegangen, sie würde ohne jede Zeremonie im All bestattet.«

»Sie verdient keine ehrenvolle Beisetzung«, mischte sich Desjani ein.

»Genauer gesagt«, ergänzte Badaya, »verbieten die Vorschriften so etwas. Stattdessen sind die Leichen von Verrätern dem Sprungraum zu überantworten. Ohne Ausnahme, ohne Alternativen.«

Geary sah ihn und dann Desjani und Duellos an, die beide ernst nickten. »Ich gebe zu, ich bin erstaunt. Jemanden bis in alle Ewigkeit dem Sprungraum zu übergeben, ist die grausamste Behandlung, die ich mir vorstellen kann. Wie konnte eine solche Maßnahme abgesegnet werden?«

Duellos strich mit einer Hand über den Tisch, an dem er saß, und erklärte ungewohnt ernst: »Die Antwort darauf findet sich in einer sehr hässlichen Geschichte aus einer Zeit, als Sie im Kälteschlaf lagen, Captain Geary. Das dürfte gut fünfzig Jahre her sein, nicht wahr?« Desjani und Badaya nickten bestätigend. »Ich erspare Ihnen die Einzelheiten, aber lassen Sie mich es so sagen: Wenn die Strafe noch brutaler hätte ausfallen können, dann wäre sie auch genehmigt worden.«

»Das heißt, ich bin der einzige Mensch in der gesamten Flotte, den es überrascht, dass man getötete Verräter im Sprungraum zurücklässt?«

»Höchstwahrscheinlich ja.«

Er setzte sich hin und betrachtete seine Hände, die verkrampft die Knie umfassten. »Ich schätze, das ist einer von diesen Momenten, in denen ich völlig altmodisch bin. Ich akzeptiere unser Recht, über Leute wie Kila zu richten und ein Urteil zu fällen, das wir auch vollstrecken können. Aber einen Toten im Sprungraum zu bestatten … Ist das nicht die Art von ewiger Bestrafung, die höheren Mächten als uns vorbehalten ist?«

Nach kurzem Schweigen antwortete Desjani: »Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, aber die Beisetzung im Sprungraum ist eine symbolische Geste der Menschlichkeit. Es ist nicht das letzte Wort, weil wir nicht das letzte Wort haben. Nur weil wir etwas nicht wiederfinden können, was wir im Sprungraum zurückgelassen haben, bedeutet das nicht, dass die lebenden Sterne auch nicht dazu in der Lage sind. Wenn sie Kila haben wollen, werden sie sie auch bekommen.«

»Sie sehen das nicht als etwas Ewiges an?«, fragte Geary, den diese Argumentation zwar völlig überraschte, der aber auch nichts dagegenzuhalten vermochte.

»Nichts, was Menschen machen, währt ewig. Nichts, was wir tun, ist stärker als das, was die höheren Mächte entscheiden. Das letzte Urteil liegt immer bei ihnen.« Desjani deutete vage in Richtung Bordwand. »Ich weiß, welches Schicksal Kila verdient hat, aber letztlich kann ich das nicht bestimmen. Die Beisetzung im Sprungraum drückt aus, welche Gefühle ihr Verbrechen bei uns auslöst, und das ist in Sachen Ewigkeit auch schon wieder alles.«

»Verstehe.« Er dachte an die Toten der Lorica; Matrosen, die ohne Vorwarnung von jemandem in den Tod gerissen wurden, dem sie ihr Leben anvertraut hatten. Und er dachte an die Besatzungen der Dauntless, der Illustrious und der Furious, die alle gestorben wären, hätte man den von Kila eingeschleusten Wurm nicht rechtzeitig entdeckt. »Also gut, ich kann die Angemessenheit dieser Geste nachvollziehen. Kilas sterbliche Überreste werden auf dem Weg nach Atalia dem Sprungraum übergeben.«

Duellos verzog das Gesicht. »Bis dahin werden sie einigen Besatzungsmitgliedern ganz sicher den Schlaf rauben.«

»Möchten Sie das Urteil vollstrecken, oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich einen anderen Captain bitte, sich freiwillig zu melden?«, wollte Geary von ihm wissen.

Er dachte kurz darüber nach, dann nickte er. »Wenn ich es nicht mache, wer dann? Ich werde sie nicht verfluchen, wenn ihr Leichnam das Schiff verlässt. Stattdessen werde ich bedauern, was alles aus ihr hätte werden können.«

Badaya lachte rau. »Dann sind Sie ein besserer Mensch als ich. Ich weiß, der Anstand gebietet es uns, von den Toten nicht schlecht zu reden, aber wenn es um Kila geht, ist dieses Gebot nur schwer einzuhalten.«

Diesmal nickte Geary. »Ich verstehe schon. Ich bin auch nicht von ihr begeistert gewesen. Was ist eigentlich mit Caligo? Dass Sie ihn auf die Illustrious gelassen haben, freut mich. Kooperiert er so, wie er es uns zugesagt hat?«

Der zynische Humor war wie weggeweht, Badayas Gesicht spiegelte Abscheu wider. »Ob er kooperiert? Er plappert drauflos. Caligo sagt alles, was wir seiner Meinung nach von ihm hören wollen. Und er redet ohne Unterbrechung. Er hofft wohl, dass ihn das am Leben hält. Die Verhörsoftware hat Schwierigkeiten, Caligos Aussagen zu bewerten. Er ist offenbar in der Lage, sich einzureden, dass jedes Wort der Wahrheit entspricht.«

Duellos schüttelte den Kopf. »Soll das heißen, wir können uns nicht auf seine Aussagen verlassen?«

»Meiner Meinung nach nicht. Es mag etwas Wahres darunter zu finden sein, vielleicht auch sehr viel Wahres. Aber wir müssen alles, was er sagt, erst einmal überprüfen, um herauszufinden, ob es Beweise gibt, die seine Aussagen stützen.«

Geary trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte. »Wie lange wird das dauern?«

»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte Badaya und fügte sofort an: »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir damit fertig sein werden, bevor wir zurück im Allianz-Gebiet sind. Es fällt mir nicht leicht, das zu sagen, weil ich diesen kleinen Dreckskerl tot sehen möchte. Aber wenn wir ihn hinrichten, ohne zuvor wenigstens einige seiner Anschuldigungen zu überprüfen, dann könnten dadurch einige Leute belastet werden, die in Wahrheit unschuldig sind. Was er und Kila gemacht haben, ist schon schlimm genug, aber wenn wir vorbehaltlos glauben, was er uns erzählt, dann machen wir uns meiner Meinung nach zu Mittätern.«

»Das sehe ich auch so«, meinte Duellos. »Wir sind zwar nicht immer einer Meinung, Captain Badaya, aber ich glaube, in diesem Punkt haben Sie völlig recht.«

»Sie sollten auch psychologische Profile von Caligo erstellen lassen«, empfahl Desjani. »Sie können das anordnen, Captain Geary, ob Caligo damit einverstanden ist oder nicht.«

Badaya warf ihr einen finsteren Blick zu. »Versuchen Sie, Caligo eine medizinische Verteidigung für sein Verhalten in die Hände zu spielen?«

»Nein«, konterte sie kühl. »Wir alle haben ihn gesehen. Eine derartige Verteidigung würde nicht funktionieren. Aber ich halte es für interessant herauszufinden, wie jemand so sehr von seinem Kurs abkommen kann. Kriegsschiffe der Allianz zu zerstören, Kameraden zu ermorden … Es gibt viele ehrgeizige Offiziere in der Flotte, von denen einige vieles tun würden, um ihre Beförderung zu erhalten. Aber Caligo war bereit, alles zu tun. Wenn etwas Bestimmtes ihn zu diesem Handeln veranlasst hat, etwas, das über das normale Verlangen nach Macht hinausgeht, dann finde ich, ist es wert, das herauszufinden.«

»Hmm.« Badaya zuckte mit den Schultern, als sei ihm dieses Thema zuwider. »Mich würde es nicht wundern, wenn die Antwort darauf in dem zu finden ist, was Kila ihm angeboten hat. Und damit meine ich nicht nur die Möglichkeit, ihre Galionsfigur zu werden. Es kursieren etliche Geschichten über Kila, und einige von denen sind ganz besonders schrecklich. Zahlreiche Männer haben sich schon durch ihre Gelüste vom Pfad der Pflicht und Ehre abbringen lassen.« An Desjani gerichtet machte er eine entschuldigende Geste. »Ich muss wohl nicht extra erwähnen, dass keiner der Anwesenden in Kilas Kategorie fällt.«

Desjani, die mit versteinerter Miene dasaß, tat so, als habe sie kein Wort gehört, doch als sie Duellos einen vorwurfsvollen Blick zuwarf, reagierte der mit einer zerknirschten Miene.

Betretene Stille machte sich breit, die Captain Duellos mit einem Seufzer unterbrach. »Ich wünschte, die Syndiks hätten uns die Mühe erspart, ihr auf die Schliche zu kommen. Wenn ich bedenke, wie viele Schlachten Kila überlebt hat – und wozu? Um diejenigen zu verraten, die ihr Feuerschutz gaben. Ich fühle mich von ihrem Verhalten besudelt, und ich schäme mich dafür, dass irgendein Offizier so etwas tun kann.«

»Kilas Handeln sagt nichts über Sie aus«, erwiderte Geary. »Oder irgendeinen anderen in dieser Flotte.«

»Ich weiß Ihre Worte zu schätzen«, meinte Duellos und sah gedankenverloren in die Ferne. »Ich werde mit meinen Vorfahren reden müssen.«

»Das ist nie verkehrt«, fand Badaya.

Geary nickte Desjani und Duellos zu. »Na gut. Ich muss unter vier Augen mit Captain Badaya reden. Wenn ich Sie bitten darf?«

Beide zogen sich zurück, nachdem sie ihre Rollen genau nach Plan gespielt hatten, als seien sie Teil genau jener Verschwörung, die Badaya erwartete.

Geary stand auf und stellte fest, dass er ein wenig nervös war. Rione hatte recht gehabt, als sie befand, dass er ein ganz schlechter Lügner war. Aber er musste diese Rolle so gut spielen, wie er nur konnte. Langsam ging er auf und ab, um seine Nervosität in den Griff zu bekommen, dann drehte er sich um. »Captain Badaya, ich wollte mit Ihnen über die Maßnahmen reden, die ergriffen werden müssen, wenn die Flotte ins Allianz-Gebiet zurückgekehrt ist.«

»Ja, natürlich.« Badaya stand ebenfalls auf, er brannte erkennbar darauf, mehr zu erfahren. »Sind Sie bereit einzuwilligen? Die Allianz braucht Sie.«

Um ihn nicht ansehen zu müssen, ließ er den Kopf einen Moment lang sinken. »Captain Badaya, ich hoffe, Sie verstehen, wie schwierig es für mich ist, überhaupt über solche Dinge zu reden. Ich komme aus einer Zeit, in der es völlig undenkbar war, dass sich eine Flotte gegen die Regierung erheben könnte.«

Captain Badaya schüttelte bedächtig den Kopf, als würde eine große Last auf ihm ruhen. »Glauben Sie nicht, dieses Angebot wäre mir mühelos über die Lippen gekommen, Captain Geary. Weder mir noch den anderen Offizieren. So etwas entscheidet man nicht aus einer Laune heraus, auch wenn man so wie wir die Folgen der Unfähigkeit und Korruptheit unserer Regierung ertragen hat.«

»Das verstehe ich.« Geary nahm wieder Platz und bedeutete Badaya, sich ebenfalls wieder hinzusetzen. »Ich habe nur Probleme damit zu begreifen, warum Sie alle zu dieser Entscheidung gekommen sind.«

»Warum?« Badaya ließ sich schwer auf seinen Sitz sinken und beugte sich nach vorn, wobei sein Blick auf seinen Händen ruhte. »Manchmal erscheinen einem alle Alternativen schlimmer als dieser eine Weg. Sie kennen das. Wir haben alle der Allianz Treue geschworen, aber was bedeutet es, die Allianz zu verteidigen? Heißt das auch, tatenlos zuzusehen, wie die Politiker mit ihrer Habgier und ihrem Ehrgeiz die Allianz zerstören?«

»Es gibt mehr als nur einen Weg, um die Allianz zu zerstören«, erklärte Geary vorsichtig.

Badaya reagierte mit einem humorlosen Grinsen. »Stimmt, aber Sie haben es nicht mitgemacht. Zu wenig Rückhalt, wenn es drauf ankommt. Zu viel Einmischungen, zu viel Kommandoentscheidungen, Verschwendung, Profitgier. Uns wird vorenthalten, was wir benötigen, um zu gewinnen, und dann gibt man uns die Schuld, wenn wir nicht gewonnen haben.« Er sah Geary abschätzend ein. »Die haben Sie gegen uns eingesetzt, wissen Sie das? Die Legende des Großen Black Jack Geary, der sich niemals gegen die politische Führung erheben würde, der niemals deren Forderungen infrage stellt, auch wenn sie noch so widersinnig sind, der niemals vergisst zu salutieren und immer zum Sterben bereit in den Kampf zieht. Das ist einer der Hauptgründe, wieso viele von uns so besorgt waren, als Sie plötzlich auftauchten.«

Aus dieser Perspektive hatte Geary das Ganze noch gar nicht betrachtet, aber unter diesen Umständen konnte er nachvollziehen, dass es Offiziere gab, die ihm misstrauten, wenn sie ihn für die Marionette einer Regierung hielten, von der sie nur das Schlechteste erwarteten. »Was hat Sie zu dem Entschluss gebracht, mir zu vertrauen? Ich habe mich zu keiner Zeit gegen die Regierung ausgesprochen.«

»Das nicht, aber Sie haben sehr deutlich erkennen lassen, dass Ihre Loyalität den Kameraden und der Flotte gilt«, machte Badaya ihm klar. »Sie haben Schlachten gewonnen und unsere Verluste auf ein Minimum beschränkt. Sie sind ein Kämpfer, und man muss schon blind und dumm sein, wenn man nichts davon bemerkt, wie wichtig Ihnen die Menschen sind, die an Ihrer Seite kämpfen.« Er sah wieder kurz vor sich auf den Tisch. »Die Ehre verlangt von uns, dass wir unserem Treueid gegenüber der Allianz nachkommen. Aber heißt das, wir müssen zulassen, dass unsere Kameraden sterben?«

»Wenn ein Offizier einen Befehl nicht ausführen will …«, begann Geary.

»Dann kann er jederzeit von seinem Posten zurücktreten«, führte Badaya den Satz zu Ende. »Das ist richtig. Er kann weggehen und es seinen Kameraden überlassen, ohne ihn weiterzukämpfen und zu sterben, weil sie die Befehle ausführen, die er für verkehrt hält. Was hat das mit Ehre zu tun? Wir können unsere Waffenbrüder nicht im Stich lassen. Wir können nicht zulassen, dass sie völlig umsonst sterben, und wir können nicht zulassen, dass die Allianz von Politikern zerstört wird, denen diese Toten völlig egal sind. Verstehen Sie? Es ist ein schwieriger Weg, aber er führt zu der einzigen Lösung: Wir müssen unserem Eid gegenüber der Allianz in der Form nachkommen, dass wir einem Führer Rückhalt geben, der das Richtige tun wird.«

Geary schüttelte den Kopf. »Wieso glauben Sie, ich werde das Richtige tun?«

»Ich sagte doch, ich habe Sie beobachtet. So wie alle anderen auch. Was glauben Sie, warum Kila und Caligo aufgehört haben, Ihre Autorität untergraben zu wollen, und stattdessen versucht haben, Sie umzubringen? Weil sie wussten, dass die Flotte längst genug Erfahrung mit Ihnen gesammelt hatte und Sie nicht als Befehlshaber absetzen würde.« Badaya lachte auf. »Bei den Vorfahren, wenn ich versucht hätte, etwas gegen Sie zu unternehmen, dann hätte meine eigene Crew rebelliert. Ich sage nicht, dass Sie die Loyalität nicht auch wieder verspielen können, die Sie sich erarbeitet haben. Aber Sie müssten sich schon einige schwere Fehleinschätzungen leisten, und solange Sie auf Tanya Desjani hören, brauchen Sie sich gar keine Sorgen zu machen.«

Geary wollte nicht, dass Tanya noch einmal erwähnt wurde, nicht einmal beiläufig. Es wurde Zeit, wieder auf das eigentliche Thema zu sprechen zu kommen. »Captain Badaya, ich habe mich ernsthaft mit den verschiedenen Optionen befasst, die sich uns bieten, wenn wir ins Allianz-Gebiet zurückgekehrt sind, und dabei ist mir etwas Beunruhigendes aufgefallen.« Badaya sah ihn lange an, sagte aber nichts.

Geary aktivierte das Sternendisplay zwischen ihnen auf dem Tisch und stellte es so ein, dass es das Territorium der Allianz ebenso darstellte wie das der Syndiks. »Es erscheint alles so leicht, so berechenbar. Wir kehren zurück, ich übernehme eine Führungsrolle, und die Politiker werden auf die Ränge verwiesen.« Badaya nickte. »Und trotzdem musste ich dabei immer wieder an den Angriff denken, den diese Flotte gegen das Heimatsystem der Syndiks führen wollte.«

Jetzt runzelte Badaya die Stirn. »Ich wüsste nicht, welchen Zusammenhang es da geben sollte.«

Geary lehnte sich vor und zeigte auf das Heimatsystem der Syndiks. »Allem Anschein nach eine Leichtigkeit, aber die entpuppte sich als Falle. Warum ich immer wieder daran denken muss, wenn mir unsere Rückkehr ins Allianz-Gebiet durch den Kopf geht, war mir bislang nicht klar. Aber allmählich beginne ich zu verstehen, was mich daran stört.«

»Wenn Sie glauben, die Situation sei ähnlich«, wandte Badaya ein, »kann ich Ihnen gleich sagen, dass das nicht der Fall ist. Diese Flotte ist allem überlegen, was die Allianz an Schiffen aufzubieten hat. Die Politiker könnten uns nicht besiegen, selbst wenn sie so verrückt wären, einen Angriff auf uns zu befehlen.«

»Darum geht es nicht.« Geary wählte seine Worte mit Bedacht, um nicht von dem abzuweichen, was er mit Desjani und Duellos durchgespielt hatte. »Ich glaube, es ist eher eine Frage, ob wir uns ausgerechnet an die Regeln halten sollten, die der Feind uns auferlegen möchte.«

Badaya legte den Kopf schräg und sah Geary an. »Was meinen Sie damit? Sie selbst legen großen Wert darauf, dass Regeln eingehalten werden.«

»Ja, solange es unsere Regeln sind.« Er deutete wahllos auf verschiedene Syndik-Sternensysteme. »Die Syndiks wollen, dass wir uns an ihre Regeln halten. Sie wollen, dass wir Zivilisten bombardieren und Gefangene töten. Denn solange wir das tun, ist das für die Syndik-Führung von Vorteil. Ihre eigene Bevölkerung wird sich nicht gegen ihre Führer auflehnen, solange sie Angst vor uns haben.«

Badaya nickte. »Ich habe die Geheimdienstberichte gesehen, die seit unserem Rückzug aus dem Heimatsystem erstellt worden sind. Mir ist jetzt klar, dass wir uns selbst geschadet haben, als wir mit den Grausamkeiten der Syndiks gleichgezogen haben. Das will ich auch nicht leugnen. Aber was hat das mit unserer Heimkehr zu tun?«

»Nun, ich frage mich, ob unsere Widersacher im Allianz-Gebiet wollen, dass ich die Macht ergreife.«

Der Captain lehnte sich zurück und kniff die Augen zusammen, während er Geary nachdenklich ansah. »Warum sollten sie? Die wissen ja nicht mal, dass Sie jetzt diese Flotte anführen.«

»Es ist nicht so, dass sie mich persönlich wollen«, machte Geary klar. »Aber sie müssen gewusst haben, wie ehrgeizig Admiral Bloch war.«

»Ich wusste nicht, dass Ihnen Blochs Absichten bekannt sind. Ich muss sagen, Sie haben offenbar Ihre Hausaufgaben gründlich gemacht.« Badaya rieb sich das Kinn und schaute zur Seite. »Er dachte, wenn er den Krieg im Heimatsystem der Syndiks gewinnt, dann würde ihm das eine Stellung einbringen, von der aus er nach der Macht greifen konnte. Ob er tatsächlich in der Flotte den nötigen Rückhalt dafür gefunden hätte, sei dahingestellt, aber auf jeden Fall war es im Bereich des Möglichen. Ich glaube, unsere politischen Führer sind korrupt, aber sie sind nicht alle dumm. Also müssen zumindest einige von ihnen gewusst haben, wie ehrgeizig er war und welche Möglichkeiten dieser Einsatz ihm bieten würde, diesen Ehrgeiz zu nutzen. Trotzdem hat man Bloch mit der Flotte aufbrechen lassen. Dieser Zusammenhang war mir noch gar nicht aufgefallen.« Er sah wieder Geary an. »Warum?«

Geary tippte mit dem Zeigefinger leicht auf den Tisch, um seine Worte zu unterstreichen. »Ich habe ein wenig recherchiert. Historisch betrachtet ist Korruption ein Problem, mit dem jede Regierungsform zu kämpfen hat, aber es ist in einer Diktatur wesentlich schlimmer als unter einer gewählten Regierung. Das hängt damit zusammen, dass in einer Diktatur diejenigen, die das Sagen haben, in ihrer Macht nicht wenigstens der Form nach beschnitten sind. Außerdem gibt es keine freie Presse und keine offene Regierung, die Korruption enthüllen könnten.«

»Aber Sie wären kein Diktator.«

»Ich wäre nicht gewählt«, machte Geary ihm deutlich. »Ganz gleich, welche Absichten ich verfolge, ich würde wie ein Diktator herrschen müssen. Nun frage ich Sie: Welche Regierungsform wäre korrupten Politikern am liebsten?«

Badaya legte die Stirn in tiefe Falten. »Die wollen, dass Sie die Macht an sich reißen, damit sie der Korruption Tür und Tor öffnen können? Warum sollten sie glauben, dass Sie beziehungsweise Admiral Bloch das erlauben würde?«

»Weil ich kein Politiker bin.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf das Allianz-Gebiet. »Bloch mag sich für noch so gewieft gehalten haben, trotzdem glaube ich, er wäre Berufspolitikern hoffnungslos unterlegen gewesen. Ein Offizier als Machthaber könnte von korrupten Politikern nach Belieben manipuliert werden, und zwar so, dass die Politiker mehr Macht und persönlichen Reichtum gewännen, als es ihnen in einem offenen demokratischen System möglich wäre.«

Lange Zeit saß Badaya nur da und überlegte, schließlich nickte er verstehend. »Ich begreife, worauf Sie hinauswollen. Ein Offizier der Flotte weiß sich in der Politik so wenig zu bewegen, wie Politiker eine Flotte bei einem Gefecht befehligen können. Die Politiker brauchen eine Marionette, hinter der sie sich verstecken können, ganz so, wie Kila Caligo benutzen wollte. Sind Ihnen dadurch die Augen geöffnet worden? Es wäre völlig egal, welcher Offizier die Macht an sich reißt. Und die Politiker wären vermutlich sogar noch völlig begeistert, wenn Sie derjenige sind, weil sie sich dann auch noch damit herausreden können, dass Black Jack es so gewollt hat.« Er nickte weiter bedächtig. »Ein Spiel nach deren Regeln. Jetzt habe ich verstanden, wie Sie das meinen. Die wollen, dass ein Flottenoffizier sich als Politiker versucht, weil sie uns mit hochtrabenden Worten täuschen können. Aber was sollen wir machen? Wir können doch nicht zusehen, wie sie die Allianz zugrunde richten.«

»Es gibt einen Mittelweg.« Es gefiel Geary nicht, das Folgende zuzugeben, doch es entsprach der Wahrheit. »Ich besitze das Potenzial, die Regierung zu stürzen und die Macht an mich zu reißen.« Jedes dieser Worte stieß ihm säuerlich auf, da sie gegen alles verstießen, woran er glaubte. »Die Politiker wissen das auch. Die Anständigen unter ihnen, diejenigen, die man umstimmen kann, werden wissen, dass sie mir zuhören müssen.«

Badaya begann zu lächeln. »Die werden aus lauter Angst vor Ihnen tun, was Sie ihnen sagen. Und die Korrupten werden mit Ihnen kooperieren, weil sie von Ihnen begünstigt werden wollen, wenn Sie die Macht an sich reißen.« Er hob eine Hand, als Geary zum Reden ansetzen wollte. »Ich kann verstehen, dass Sie ihnen diese Gelegenheit nicht bieten wollen. Aber wenn die so sind, wie wir es glauben, dann wird ihnen die Möglichkeit gar nicht in den Sinn kommen, dass Sie der Versuchung widerstehen könnten.«

Daran hatte er gar nicht gedacht, aber Badayas Überlegung traf durchaus zu. »Ich bleibe eine Bedrohung«, sagte er nickend. »Ich bin jemand, auf den sie hören müssen. Gleichzeitig bleiben aber die Stärken der Allianz-Regierung, unsere demokratischen Prinzipien und die Rechte des Einzelnen, gewahrt.«

»Sehr geschickt.« Badayas Lächeln wurde noch breiter. »Damit haben Sie sie überlistet, nicht wahr? So wie Sie zuvor die Syndiks überlistet haben. Ich habe den gleichen Fehler gemacht wie viele andere. Ich habe geglaubt habe, dass die Politiker gut darin sind, sich zu bereichern, ohne zu bedenken, dass sie im Manipulieren der Menschen ebenso gut sind. Hatten Sie deswegen diese Affäre mit Rione? Um so viel wie möglich über die Denkweise von Politikern herauszufinden?«

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Geary sich genügend im Griff hatte, um auf diese Bemerkung zu reagieren. Badaya war nach den modernen Standards ein ehrbarer Mann und ein anständiger Offizier, aber ihn als taktlos zu bezeichnen, wäre eine maßlose Untertreibung gewesen. »Von Co-Präsidentin Rione habe ich viele wichtige Dinge gelernt«, entgegnete er schließlich. Das entsprach der Wahrheit, und Badaya konnte es auslegen, wie es ihm gefiel. »Aber«, fügte er an und warf Badaya einen energischen Blick zu. »Ihr kann man vertrauen.«

»Das glaube ich Ihnen gern«, stimmte Badaya ihm amüsiert zu. »Immerhin haben Sie von ihr Seiten zu sehen bekommen, die keiner von uns kennt.« Dann lachte er über seinen billigen Witz, während Geary hoffte, dass er nicht rot anlief. »Gut, dann nehme ich an, dass Sie Ihre Anhänger in der Flotte wissen lassen wollen, was Sie beabsichtigen, richtig?«

»Richtig. Es ist wichtig, dass alle verstehen, was los ist«, antwortete er ruhig und gelassen und dachte: Solange sie verstehen, was sie verstehen sollen. Ich werde mich nicht zur politischen Führungspersönlichkeit machen lassen. Ich kann nur beten, dass die militärischen und politischen Vorgesetzten, mit denen ich dann zu tun habe, mir zuhören werden.

»Das Letzte, was wir alle wollen, ist eine Situation, in der ich von Offizieren zum Handeln gedrängt werde, die glauben, dass sie mir oder der Allianz damit einen Gefallen tun, während sie in Wahrheit damit nur den korruptesten Politikern in die Hände spielen.«

»Ich glaube, ich kann Ihnen garantieren, dass es dazu nicht kommen wird«, erklärte Badaya und lächelte ihn bewundernd an. »Jedes Mal, wenn Sie gesagt haben, dass Sie nicht die Macht haben wollten, um Dinge zu ändern, da haben Sie in Wahrheit die Situation ganz genau beobachtet und Ihre Optionen geplant, nicht wahr? Ich hätte es wissen müssen. Ein guter Befehlshaber spielt nicht nach den Regeln des Feindes. Das werde ich mir merken müssen.«

Nachdem Badayas Bild sich aufgelöst hatte, ließ sich Geary in seinen Sessel fallen und rieb sich die Augen. Er kam sich schäbig vor. Zugegeben, er hatte Badaya keine direkte Lüge aufgetischt, aber er hatte den Mann so gründlich in die Irre geführt, wie es ein Politiker nicht besser hätte machen können.

Nach einer Weile rief er Rione in sein Quartier. Sie trat ein, musterte ihn kurz und lächelte dann anerkennend. »Sie haben es geschafft. Badaya hat es Ihnen abgekauft?«

»Ich glaube ja.«

»Gut. Und jetzt sind Sie unglücklich.«

»Ich mag es nicht, andere zu belügen«, sagte er in frostigem Tonfall. »Vielleicht bin ich deswegen darin so schlecht. Mir gefällt die Erkenntnis nicht, dass ich so gut darin sein kann, dass es mir sogar gelingt, jemanden wie Badaya zu täuschen.«

Rione kam ein paar Schritte näher. »Belügen? Was haben Sie ihm denn erzählt?«

»Sie wissen ganz genau, was ich …«

»Was ich weiß, Captain Geary, ist, dass Sie Badaya etwas gesagt haben, was durchaus der Wahrheit entsprechen kann. Das sollten Sie mal in Ihren Dickschädel reinkriegen. Glauben Sie, dass eine Militärdiktatur für die Allianz eine Katastrophe darstellen würde? Ja? In welchem Punkt haben Sie denn dann gelogen? Zugegeben, der Vergleich mit dem Syndik-Hinterhalt wäre mir nicht eingefallen, aber als Sie und Ihr Captain das vorgeschlagen haben, hielt ich es für ein geniales Argument.«

Er warf Rione einen verärgerten Blick zu. »Hören Sie auf, sie so zu nennen. Desjani gehört niemandem, erst recht nicht mir.«

»Wenn Sie das glauben wollen, bitte.« Ihr Blick nahm den gleichen wütenden Ausdruck an. »Sie müssen sich immer vor Augen halten, dass Sie nichts von diesen Dingen tun, um sich persönlich zu bereichern. Sie wollen weder Reichtum noch Macht. Warum also sollen Sie sich schuldig fühlen, wenn es Ihnen gelungen ist, einen Militärputsch gegen die Allianz-Regierung zu verhindern?«

»Weil kein Offizier der Allianz überhaupt erst auf einen solchen Gedanken kommen sollte!«, brüllte Geary sie mit einer Mischung aus Scham und Zorn an. »Man hätte mir niemals ein solches Angebot machen dürfen! Und als es dazu kam, hätte ich sofort sagen müssen, dass ich mich dafür nicht interessiere!«

Rione betrachtete ihn einen Moment lang, dann drehte sie den Kopf zur Seite, um ihre Gefühle zu verbergen. »Wir sind nicht die Menschen, die unsere Vorfahren waren, John Geary. Wenn Sie uns mit den Menschen vergleichen, die Sie vor hundert Jahren kannten, dann werden wir Sie immer enttäuschen.«

Ihre unerwarteten und ungewohnt ehrlichen Worte ließen Gearys Wut prompt verrauchen. »Es ist nicht Ihr Fehler, dass Sie alle in eine Welt hineingeboren wurden, die sich seit einer Ewigkeit im Krieg befand. Es ist nicht Ihr Fehler, dass Sie alle den Schmerz geerbt haben, den Jahrzehnte des Krieges hinterließen. Ich kann nicht so tun, als wäre ich besser als Sie, nur weil mir das erspart geblieben ist.«

»Aber Sie sind besser als wir«, beharrte sie verbittert. »Sie sind das, was wir hätten sein sollen. Sie verkörpern woran unsere Eltern und Großeltern hätten festhalten sollen – den Glauben, dass Ideale geachtet werden müssen. Meinen Sie, ich sehe das nicht? Hätten wir alle unsere Arbeit so gemacht, wie es die Situation von uns erforderte, dann wäre das alles nie geschehen. Und ja, damit meine ich auch die politische Führung der Allianz.«

»Sie haben den Krieg geerbt«, betonte Geary. »Ich werde nicht so tun, als könnte ich alles verstehen, was sich im Lauf des letzten Jahrhunderts abgespielt hat, aber es scheint hier jede Menge Schuldzuweisungen zu geben.«

»Ich halte nichts davon, Ausreden für Fehler vorzubringen, Captain Geary. Weder für meine eigenen Fehler noch für die von irgendwem sonst. Denken Sie nur immer daran, dass die Leute, denen Sie vertrauen, gutheißen, was Sie soeben getan haben. Wenn Sie sich selbst nicht vertrauen wollen, dann vertrauen Sie wenigstens diesen Menschen.« Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ Gearys Quartier ohne ein weiteres Wort.

Noch sechs Stunden bis zum Sprung nach Atalia. So sehr sich Geary auch vor der Reserveflotte fürchtete, die die Syndiks dort in Stellung gebracht hatten, so verspürte er doch auch eine wachsende Rastlosigkeit und den dringenden Wunsch, das Ganze endlich zum Abschluss zu bringen. So oder so würde der langwierige Rückzug der Allianz-Flotte bald ein Ende haben.

»Captain Geary.« Colonel Carabalis Gesicht ließ keine Gefühlsregung erkennen. »Ich bitte um ein Gespräch unter vier Augen, bevor wir den Sprung nach Atalia beginnen.«

»Ja, natürlich, Colonel. In den nächsten Stunden habe ich keine Termine, wir können uns also zusammensetzen, wann immer es Ihnen recht ist.«

»Das wäre jetzt sofort, Sir.«

»Okay.« Er gab die Erlaubnis, dass Carabalis Bild in seinem Quartier auftauchen durfte, dann bedeutete er ihrer virtuellen Präsenz, Platz zu nehmen. Sie ging zu einem Stuhl und setzte sich, wobei sie die Schultern straffte und förmlich dasaß. »Was führt Sie zu mir?«

»Betrachten Sie es als eine Erkundungsmission, Sir.« Sie warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Was beabsichtigen Sie zu tun, wenn diese Flotte das Allianz-Gebiet erreicht, Captain Geary? Mir sind verschiedene Berichte zu Ohren gekommen, und ich wüsste gern die Wahrheit.«

Die Loyalität der Marines gegenüber der Allianz hatte einen legendären Ruf, aber angesichts der zahlreichen Veränderungen, die sich innerhalb von hundert Jahren vollzogen hatten, rätselte Geary schon seit geraumer Zeit, wie die Marines heute über die politischen Autoritäten der Allianz dachten und was sie von den Angeboten hielten, Geary nach der Heimkehr als Diktator zu installieren. Ihm war jedoch nie eine Möglichkeit eingefallen, dieses Thema Carabali gegenüber anzuschneiden, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, er versuche herauszubekommen, ob er mit der Unterstützung der Marines rechnen konnte. Jetzt hatte sich die Gelegenheit ganz von selbst ergeben. »Ich beabsichtige, die Befehle zu befolgen, die man mir dann geben wird«, erklärte er und sah ihr dabei fest in die Augen. »Ich werde Vorschläge unterbreiten, was unseren weiteren Umgang mit den Syndiks angeht, aber ich habe keine Ahnung, wie die Verantwortlichen das aufnehmen werden. Ist es das, was Sie wissen müssen?«

»Größtenteils.« Carabali musterte ihn intensiv. »Ich werde nicht Ihre Intelligenz beleidigen, indem ich so tue, als wären Sie einfach nur ein Offizier dieser Flotte. Sie können wählen, ob Sie die Ihnen gegebenen Befehle wirklich ausführen werden oder ob Sie etwas ganz anderes tun wollen.«

»Und Sie möchten wissen, ob ich beabsichtige, etwas ganz anderes zu tun?«

Carabali nickte und ließ noch immer nicht erkennen, was in ihr vorging.

Geary schüttelte den Kopf. »Nein, Colonel, ich beabsichtige nicht, irgendetwas zu tun, das gegen meinen Eid gegenüber der Allianz verstoßen könnte. Ist das deutlich genug?«

»Da es von Ihnen kommt, ja.« Wieder machte sie eine kurze Pause. »Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich in der Flotte, dass Sie mehr tun wollen, als nur Befehle zu befolgen.«

»Die Leute hören, was sie hören wollen, Colonel. Solange sie nur reden, hält sie das davon ab, der Allianz zu schaden, und dagegen habe ich nichts einzuwenden.«

»Der Allianz zu schaden? Wie meinen Sie das?«

Er lehnte sich kopfschüttelnd zurück. »Sehen Sie, die Sternensysteme, die Bevölkerung oder die Flotte, das alles sind nicht die wahren Stärken der Allianz. Die Stärken sind die Prinzipien, an die wir glauben und die wir befolgen. Ich glaube, wir können uns selbst viel größeren Schaden zufügen, als es die Syndiks je schaffen könnten. Ich plane keinen Staatsstreich, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um zu verhindern, dass irgendjemand in meinem Namen handelt.« Er fürchtete sich nicht davor, dass sich seine Antworten in der Flotte herumsprachen und dabei auch bei seinen fehlgeleiteten Anhängern landeten. Im Kern war es das, was er auch zu Badaya gesagt hatte.

Abermals sah sie ihn an, dann nickte sie. »Werden Sie versuchen, das Kommando über diese Flotte zu behalten?«

»Ja.«

»Obwohl Sie das Kommando im Syndik-Heimatsystem nur übernommen haben, weil Sie mussten?«

»Ja.« Er lächelte flüchtig. »Ich wusste nicht, dass das so offensichtlich war.«

»Das war es auch nicht.« Auch Carabali konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ich bin es gewohnt herauszufinden, was in einem Flottenoffizier vor sich geht. Schließlich hängt das Überleben meiner Marines oftmals davon ab.« Ihr Gesicht wurde wieder ausdruckslos. »Glauben Sie, Sie können diesen Krieg beenden?«

Gerade wollte er antworten, da fiel ihm etwas auf. »Sie sagten gerade ›beenden‹, nicht ›gewinnen‹.«

»Ich habe die Frage gestellt, die ich stellen wollte, Sir.«

»Ich wollte mich nur vergewissern.« Er beugte sich vor und sah sie forschend an, doch sie ließ sich nichts anmerken. »Es gibt noch vieles, was ich über diesen Krieg in Erfahrung bringen muss. Zum Beispiel, wie die Flotte über ihn denkt, wie die Allianz über ihn denkt.«

Nachdenklich rieb sie sich das Kinn. »Ich werde so lange kämpfen, wie ich muss, um die Allianz zu beschützen. Darüber hinaus … bin ich es leid, entscheiden zu müssen, wer überleben darf und wer nicht, Captain Geary, und das nicht erst seit gestern.«

»Glauben Sie mir, das kann ich Ihnen nachfühlen.«

»Ja, ich weiß. Trotzdem ist es etwas anderes. Die Flotte bietet den einen oder anderen Luxus, den sich Bodentruppen nicht leisten können, außerdem unterscheidet sich Ihre persönliche Geschichte von unserer. Sie sind in Friedenszeiten aufgewachsen, und bis zum Vorfall bei Grendel haben Sie in Friedenszeiten gedient.« Carabali schaute zur Seite, als würde sie auf etwas weit Entferntes blicken. »Darf ich Ihnen eine Begebenheit erzählen? Es gab da einen Lieutenant, eine Frau, die mit dem Krieg aufgewachsen war und die in die Fußstapfen ihrer Großmutter und ihres Vaters trat. Bei einem ihrer ersten Kampfeinsätze am Boden wurde sie mit ihrem Zug von den übrigen Marines ihrer Einheit abgeschnitten. Die Atmosphäre um sie herum war von den chemischen Kampfstoffen der Syndiks verseucht, die Energieversorgung in den Panzeranzügen erreichte ein kritisches Niveau. Wenn sie zu tief sank für das Lebenserhaltungssystem, dann würden sie und ihre ganzer Zug sterben.«

Wie zuvor studierte Geary das Gesicht des Colonels, das nach wie vor nichts über die Gefühle seines Gegenübers verriet. »Eine unerfreuliche Situation, ganz egal wie erfahren ein Offizier ist.«

»Ja, allerdings hatte ich noch nicht erwähnt, dass dieser Zug zuvor einen Bunker mit Syndiks eingenommen hatte, die allesamt über genügend Energie für ihre eigenen Schutzanzüge verfügten. Ein Unteroffizier ließ diese Frau wissen, dass es eine Möglichkeit gab, die Syndik-Anzüge anzuzapfen und deren Energie für uns zu nutzen.«

Wieder hielt Carabali inne, während Geary sich in ihre Lage versetzte und ein Schaudern verspürte. »Aber wenn den Syndik-Anzügen die Energie entzogen wurde, dann würden die sterben.«

»Oder sie würden getötet werden, weil davon auszugehen war, dass sie sich gegen die Marines zur Wehr setzen würden, sobald ihnen klar war, was mit ihnen geschehen sollte«, entgegnete Carabali. »Diese Frau wusste, es kam nur eine einzige Entscheidung infrage, aber sie wusste auch, dass diese Entscheidung sie für den Rest ihres Lebens verfolgen würde.«

»Und was hat sie gemacht?«

»Gezögert«, antwortete Carabali so gefasst, als würde sie einen Routinebericht abliefern. »Ihr Unteroffizier, ein gnadenloser Sergeant, schlug ihr vor, sie solle doch für eine Weile den Bunker verlassen und überprüfen, ob es ihr da draußen gelang, den Kontakt zu den restlichen Allianz-Streitkräften wieder herzustellen. Sie ging auf den Vorschlag ein, obwohl sie genau wusste, womit sie in Wahrheit einverstanden war. Sie verließ den Bunker und wartete draußen, bis der Sergeant mit genügend Energiezellen zu ihr kam, die ihren Panzeranzug weiter in Funktion halten würden. Auch alle anderen Angehörigen ihres Zugs waren wieder mit Energie versorgt, um hinter die eigenen Linien zurückzukehren. Bis zum Abend hatte sie ihre Leute zurück zum Stützpunkt geführt, und niemand kam auf die Idee zu fragen, wieso die Energiereserven der Schutzanzüge so lange hatten durchhalten können. Sie erhielt eine Auszeichnung, weil sie unter so extrem schwierigen Umständen ihren kompletten Zug gerettet hatte.«

Unwillkürlich sah Geary auf ihre Uniform und suchte nach einem Abzeichen, das auf dieses Ereignis hindeutete.

Carabali fuhr tonlos fort: »Diese Frau trägt diesen Orden nie.«

»Ist sie jemals in diesen Bunker zurückgekehrt?«

»Das musste sie nicht, weil sie auch so wusste, was sie dort vorfinden würde.« Sie deutete auf das Sternendisplay. »Irgendwo steht irgendein Lieutenant der Allianz vor der gleichen Wahl, Captain Geary. Und irgendwo trifft ein verdammter Syndik-Offizier eine ganz ähnliche Entscheidung, weil er gar keine andere Wahl hat. Zu viele von diesen Entscheidungen sind längst gefallen.«

»Ich verstehe.«

»Welche Entscheidung werden Sie treffen, Sir?« Carabali blickte ihm wieder in die Augen. »Können Sie diesen Krieg zu vertretbaren Bedingungen beenden?«

»Das weiß ich nicht.« Nun zeigte er auf das Sternendisplay. »Mein Vorschlag hängt zum Teil davon ab, was sich zwischen hier und zu Hause noch ereignen wird. Aber im Augenblick … Colonel, ich muss Sie bitten, mit niemandem darüber zu reden.«

»Selbstverständlich, Sir.«

»Momentan sieht es so aus, als müsste ich einen Vorschlag unterbreiten, der diese Flotte gleich wieder in ernste Gefahr bringt, kaum dass ich sie in Sicherheit geführt habe. Ich weiß noch nicht, wie die Führer der Allianz darauf reagieren werden. Vom Personal dieser Flotte einmal ganz abgesehen.«

Carabali legte leicht die Stirn in Falten. »Würde ein anderer Offizier diesen Vorschlag machen, dann gäbe es sicherlich Widerstand. Aber Sie haben sich sehr großes Vertrauen in der Flotte aufgebaut, Sir.«

»Obwohl wir so viele Schiffe verloren haben?«

»Ihre Definition von ›viel‹ unterscheidet sich deutlich von dem, womit die Menschen in diesem Krieg aufgewachsen sind, Sir.« Mit einem Finger strich sie über das Abzeichen ihres Dienstgrads an ihrer Uniform. »Das gehörte erst meiner Großmutter, dann meinem Vater. Beide fielen im Kampf, bevor sie persönlich ihre Abzeichen an eines ihrer Kinder weitergeben konnten. Ich hatte gehofft, den Fluch zu brechen, der auf unserer Familie liegt. Aber wenn ich wüsste, dass mein Tod auf dem Schlachtfeld zur Folge hätte, dass meine Kinder dieses Abzeichen gar nicht erst tragen müssen, weil es gar keinen Krieg mehr zu führen gibt, dann würde ich dieses Opfer bereitwillig bringen. Das ist es, was für uns den Unterschied ausmacht, Sir. Wir sind lange Zeit bereit gewesen, für die Allianz zu sterben. Aber diese Bereitschaft hatte den Beigeschmack der Verzweiflung angenommen, weil mit unserem Opfer wenig bis gar nichts erreicht wurde. Ihnen allerdings vertrauen wir, dass unser Tod einen Sinn erhält.«

Geary nickte, während sich eine schwere Last auf ihn zu legen schien. »Ich verspreche, mein Bestes zu geben.«

»Sie geben schon die ganze Zeit über Ihr Bestes, Sir. Und wenn Sie sich an Ihr Versprechen halten, nicht Ihren Eid gegenüber der Allianz zu brechen, dann werden die Marines dieser Flotte auch ihr Bestes in Ihrem Sinne geben.«

Nun stutzte Geary und ließ sich ihre Worte noch einmal durch den Kopf gehen. »Das ist eine untypisch doppelsinnige Aussage, Colonel.«

»Dann werde ich es klarer ausdrücken: Wenn Sie befehlen, gegen die Allianz-Regierung vorzugehen, werden ich und meine Offiziere alles tun, um sicherzustellen, dass die Marines keinen derartigen Befehl ausführen.«

»Diese Situation wird sich nicht ergeben, weil von mir kein solcher Befehl kommen wird.«

»Dann verstehen wir uns ja.« Carabali schaute kurz zur Seite und dachte über etwas nach. »Aber wenn wir den Befehl erhalten, Sie zu verhaften … dann wird es kompliziert. Eigentlich sollte es ganz einfach sein. Wir führen rechtmäßige Befehle aus, und wenn Sie nicht gegen Ihren Eid verstoßen haben, kann das kein rechtmäßiger Befehl sein. Vor langer Zeit sagte einmal ein weiser Mann: Im Krieg ist alles ganz einfach, aber alle einfachen Dinge sind kompliziert. So ist es auch jetzt. Ist es rechtmäßig, einen Offizier, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen, nur aus dem Grund zu verhaften, weil er etwas Bestimmtes tun könnte? Wie Sie schon sagten, bei der Allianz geht es um die Dinge, die uns wichtig sind, und dazu haben schon immer die Rechte unserer Völker gehört.«

»Das ist wahr, Colonel.« Geary stand auf. »Ich schwöre, ich werde alles tun, um einen solchen Konflikt zwischen Befehl und Prinzipien zu verhindern. Wir stehen auf der gleichen Seite, und ehrlich gesagt gefällt mir das auch so.«

»Mir auch, Sir«, sagte Carabali und erhob sich ebenfalls. »Für eine Weltraumratte sind Sie gar nicht so übel.«

»Danke, Colonel. Sie sind auch ganz brauchbar.« Carabali grinste ihn daraufhin an, straffte die Schultern und salutierte vor ihm. Kurz bevor sie die Verbindung unterbrechen konnte, merkte er noch rasch an: »Colonel, diese Frau … dieser Lieutenant … hätte keine andere Entscheidung treffen können.«

Carabali nickte bedächtig. »Das hat die Frau immer gewusst, Sir, aber sie hat diese Entscheidung auch immer gehasst. Wenn Sie gestatten, Sir.« Abermals salutierte sie, dann verschwand ihr Bild.

Geary setzte sich wieder hin. Er kam sich vor, als müsse er mit hundert Bällen gleichzeitig jonglieren, und wenn er nur einen Einzigen davon fallen ließ, würde die Allianz zerschmettern.

Eine Stunde vor dem Sprung nach Atalia begab er sich auf die Brücke. Die Allianz-Flotte hatte eine Gefechtsformation eingenommen, die aus einer zentralen Hauptgruppe und unterstützenden Formationen zu beiden Seiten bestand, um für den Fall gewappnet zu sein, dass die Reserveflotte der Syndiks unmittelbar vor dem Sprungpunkt auf sie wartete. Geary rief den logistischen Status seiner Schiffe auf und zuckte innerlich zusammen, als er sah, wie niedrig der Bestand an Brennstoffzellen und Munition war. Dann wandte er sich an die Befehlshaber seiner Schiffe: »Seien Sie auf alles gefasst, wenn wir den Sprungraum verlassen. Wenn sich die Syndiks in unmittelbarer Nähe aufhalten, eröffnen Sie sofort mit allen verfügbaren Waffen das Feuer. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie eine Position in einiger Entfernung vom Sprungpunkt eingenommen haben, was bedeutet, dass wir in eine günstige Angriffsstellung werden gehen können. Wir sehen uns in Atalia wieder, und danach in Varandal.«

»Fünfzehn Minuten bis zum Sprung«, meldete der Ablauf-Wachhabende.

Rione verließ ihren Platz und beugte sich über Gearys Sessel. »Soll ich mir die Mühe machen und Sie fragen, warum eine Flotte in dieser Verfassung bei Atalia einen Angriff plant, anstatt so schnell wie möglich den Sprungpunkt nach Varandal anzusteuern?«

»Weil die Syndiks sich zweifellos darauf eingestellt haben, dass wir das machen«, antwortete Geary. »Falls sich eine Gelegenheit ergibt, werde ich natürlich Kurs auf diesen Sprungpunkt befehlen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass die Syndiks uns einfach so vorbeifliegen lassen werden.«

»Die werden uns nicht aufhalten«, erklärte Desjani ruhig.

Rione sah sie einen Moment lang an, ehe sie entgegnete: »Ich glaube Ihnen.« Dann kehrte sie auf ihren Platz zurück, während Desjani die Stirn in Falten legte und vergeblich versuchte, eine verborgene Botschaft in diesen Worten zu finden.

Geary beobachtete, wie die Sekundenanzeige rückwärts lief, als sich die Flotte dem Sprungpunkt näherte. Schließlich gab er den Befehl: »Alle Schiffe, springen Sie nach Atalia.«

Nicht ganz vier Tage, und sie würden wissen, was sie im letzten Syndik-System erwartete, das sie auf dem Weg nach Hause durchqueren mussten.

Der Sprungraum war in vieler Hinsicht befremdlich. Da war dieses eigenartige Gefühl, das umso intensiver wurde, je länger man sich im Sprungraum aufhielt, und das von den meisten Leuten so beschrieben wurde, als würde einem seine eigene Haut nicht mehr richtig passen. Und da war das sich steigernde Gefühl, dass genau außerhalb des Gesichtsfelds irgendwelche Dinge lauerten. So kurz die Reise auch ausfiel, führte sie immer durch ein graues Nichts, durch ein Universum, in dem keine Sterne strahlten.

Im Sprungraum gab es eigenartige Lichter, die nach keinem erkennbaren Muster und ohne nachvollziehbaren Grund aufflackerten. Da noch keine Methode entwickelt worden war, mit der man den Sprungraum erkunden konnte, blieben diese Lichter ein Rätsel. Als er sie jetzt betrachtete, musste Geary unwillkürlich daran denken, dass die Legende kursierte, sein Geist sei während der vielen Jahre im Kälteschlaf selbst eines dieser Lichter gewesen.

Das einzig Gute am Sprungraum war, dass er ereignislos war und keine Überraschungen bieten konnte. In der Isolation dieses eigenartigen Raums war den Schiffen bis auf einfachste, kürzeste Nachrichten kaum eine Kommunikation untereinander möglich, und vom normalen Universum war rein gar nichts zu entdecken. Im Vergleich zu den oft auf ihn hereinprasselnden Ereignissen des Normalraums konnte Geary manchmal den relativen Frieden genießen, den diese Abgeschiedenheit mit sich brachte.

Aber niemand konnte für immer im Sprungraum bleiben. Früher oder später würde man sich wieder dem realen Universum stellen müssen.

»Wir treffen in zwei Stunden in Atalia ein.« Desjani stand vor ihm in seinem Quartier, zwischen ihnen befand sich das Sternendisplay. »Das wird ein harter Kampf werden.«

»Ich kann nur hoffen, dass diese Reserveflotte kleiner ist, als von Lieutenant Iger geschätzt, und dass sie nicht dicht vor dem Sprungpunkt auf uns wartet.« Er stand auf und aktivierte das Display, um ein Bild anzuzeigen, das die Flotte so darstellte, wie sie von einem außenstehenden Beobachter wahrgenommen würde. Etliche große Schiffe, Scharen von Kreuzern und Zerstörern, und in der Mitte die plumpen Hilfsschiffe.

Seine Flotte. Er sollte nicht so denken, dennoch tat er es. So weit war er gekommen, und wenn die lebenden Sterne es wollten, würde er diese Flotte auch noch bis nach Hause bringen. Aber was würde dann geschehen?

»Woran denken Sie gerade?«, fragte Desjani.

»Ich wünschte, ich müsste nicht das tun, wovon ich weiß, dass ich es werde tun müssen.«

»Sie meinen, dass Sie bei der Ankunft in Varandal das Kommando über die Flotte abgeben müssen? Ich glaube, dazu wird es nicht kommen, Sir.«

»Ich bin nur ein Captain. Zwar der dienstälteste in der gesamten Flotte, aber doch nur ein Captain.«

»Sie sind Captain Geary. Der Captain Geary. Das ist was anderes.«

Er atmete gedehnt aus. »Aber wenn ich das Kommando über die Flotte behalte …«

Desjani zog fragend eine Augenbraue hoch. »Haben Sie überlegt, was Sie dann als Nächstes tun werden?«

»Ich habe mir Gedanken darüber gemacht. Wenn wir es zurück nach Hause schaffen, dann gibt es eigentlich nur eines, was wir tun können. Wenn wir den Syndiks genug Zeit geben, werden sie sich von den Verlusten erholen, die wir ihnen zugefügt haben. Wir haben ihre Werften bei Sancere zerstört, aber das waren beileibe nicht die einzigen Fabriken, die Kriegsschiffe der Syndiks bauen. Mit jedem Tag, der ungenutzt verstreicht, können sie weitere zerstörte Schiffe ersetzen. Das heißt, wir müssen so bald und so kraftvoll wie möglich zuschlagen, solange sie sich noch von den Verlusten zu erholen versuchen.« Er verzog den Mund. »Ich rede von ihren Anführern. Die Grundlage ihrer Macht – die Flotte, die es ihnen erlaubt hat, uns anzugreifen und ihre eigenen Leute zu unterdrücken – wird nach Atalia hoffentlich für eine Weile keine Rolle mehr spielen. Wir können die Syndiks nicht System für System besiegen, weil es einfach zu viele Sternensysteme gibt. Aber wir haben jetzt die einmalige Gelegenheit, den Syndikatwelten das Haupt abzuschlagen.«

Desjani lächelte finster. »Wir müssen zu ihnen zurückkehren?« Sie betätigte ein paar Tasten, und das Bild von den Schiffen der Flotte wurde durch die Darstellung einer sehr weitläufigen Ansammlung von Sternen ersetzt. Einer der weit von Varandal entfernten Sterne leuchtete besonders hell, da er vom Display hervorgehoben wurde. »Zurück ins Heimatsystem der Syndiks. Aber diesmal unter anderen Vorzeichen.«

»Ganz genau. Sobald die Vorräte der Flotte aufgestockt sind und wir die Verluste nach Kräften ausgeglichen haben.« Er zuckte mit den Schultern. »Das ist das, was ich empfehlen werde, auch wenn es das Letzte ist, was ich machen möchte.«

Ihr Blick verriet ihm, dass Tanya sehr wohl wusste, was er wollte. Aber ihr war auch klar, dass keiner von ihnen in dieser Hinsicht irgendetwas unternehmen konnte. Dann war der Moment verstrichen, und es war Captain Desjani, die ihm zunickte. »Dann können wir uns den Aliens widmen.«

»Dann können wir versuchen herauszufinden, wie wir uns ihnen widmen können. Falls sie uns bis dahin nicht schon angegriffen haben. Falls wir es überhaupt erst nach Hause schaffen. Falls ich das Kommando über die Flotte behalte. Es gibt viele Unwägbarkeiten. Schon verrückt das Ganze, nicht wahr? Ein ums andere Mal entgehen wir der Vernichtung, obwohl die Syndiks uns immer neue Fallen stellen, und dann schlage ich vor, dass wir in ihr Territorium zurückkehren.«

Wieder musste sie lächeln. »Wenn Ihr Wahnsinn durch etwas Ansteckendes ausgelöst wird, dann hoffe ich, dass Sie jeden Admiral beißen, dem wir begegnen.«

Ihre Bemerkung ließ ihn laut lachen. »Nicht so hastig. Bis zum Allianz-Gebiet haben wir noch einen Sprung und eine Reserveflotte der Syndiks vor uns.«

»Dann, Captain Geary, sollten wir uns darauf gefasst machen, diesen Syndiks ordentlich in den Hintern zu treten, damit wir diesen letzten Sprung hinter uns bringen können.«

»Hört sich nach einer guten Idee an, Captain Desjani. Gehen wir auf die Brücke.«

Zwei Stunden später wartete er darauf, dass die Sekunden bis zu dem Moment verstrichen, da die Allianz-Flotte den Sprungraum verlassen würde. Und er wartete darauf zu erfahren, ob sich seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten würden, wartete auf einen Geschosshagel, sobald sie aus dem Sprungraum traten. Sollte es zu dieser reduzierten Version des Hinterhalts kommen, in den die Syndiks sie in ihrem Heimatsystem gelockt hatten, dann konnte er von Glück reden, wenn nach ein paar Minuten noch die Hälfte seiner Flotte heil war.

»Bereitmachen zum Verlassen des Sprungraums«, rief der Ablauf-Wachhabende.

»Waffen bereit«, befahl Desjani. »Stellen Sie sie auf Automatik, sobald sie Ziele in Feuerreichweite identifizieren.«

Die gleichen Befehle wurden auf allen anderen Schiffen erteilt. Geary saß angespannt da und überlegte, ob diese Flotte in wenigen Sekunden ihren verzweifeltsten Kampf seit dem Rückzug aus dem Syndik-Heimatsystem würde führen müssen.

»Verlassen den Sprungraum in fünf, vier, drei, zwei, eins. Jetzt.« Die Sterne tauchten wieder auf.

Die Dauntless drehte bei, als sie so wie alle Schiffe der Flotte das vorgesehene vorsorgliche Ausweichmanöver flog, während Geary ein paar Sekunden benötigte, um zu erfassen, was die Flottensensoren dem Display meldeten.

Das Erste, was unzweifelhaft war, war die Tatsache, dass niemand auf sie feuerte. Dann erkannte er auch, dass sich in der Nähe des Sprungpunkts keine feindlichen Kriegsschiffe aufhielten. Dankbar schickte er ein Stoßgebet an die Vorfahren und veränderte den Maßstab seines Displays, um festzustellen, wo in diesem System der Feind auf sie wartete.

Als Grenzsystem hatte Atalia viele Schlachten zwischen den Flotten der Syndikatwelten und der Allianz mitansehen müssen. Der größte Teil der dabei entstandenen Trümmer trieb langsam durch die leeren Regionen des Sternensystems. Seit fast hundert Jahren sammelten sich hier die Überreste von Kriegsschiffen beider Seiten an.

Aber in einem zerklüfteten Bogen, der sich zwischen dem siebten Planeten und dem Sprungpunkt nach Varandal erstreckte, fanden sich Trümmerfelder, die noch recht kompakt wirkten. Zudem trieben dort Scharen von Rettungskapseln und einige beschädigte Syndik-Kriegsschiffe. »Die Folgen einer erst vor Kurzem ausgetragenen Schlacht?«, überlegte Geary.

»Einer Schlacht, die noch immer tobt«, korrigierte ihn Desjani.

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