Elf

»Wir kommen nicht zu spät!«, fuhr Geary sie an. »Die Syndiks haben das Portal bei Varandal noch nicht zerstört, und wenn wir schnell genug dort eintreffen, können wir sie noch aufhalten. Wir können das Ganze stoppen, und das werden wir auch tun!«

»Und wie?«, wollte Rione wissen.

»Captain Cresida hat gemeldet, dass sie mit ihrer Vorrichtung, mit der der Zusammenbruch eines Portals verhindert werden kann, ausreichend Fortschritte gemacht hat, um sie in der Praxis einzusetzen. Wir müssen eine von ihnen bei Varandal installieren und danach jedes andere Portal damit ausrüsten, so schnell wir können. Und wir können nur hoffen, dass die Aliens zu lange brauchen, um zu begreifen, was wir machen.«

»Und was ist mit Captain Tulevs Liste?«

»Die ist von den Ereignissen überrollt worden. Uns bleibt keine Zeit mehr für langwierige Planungen, und es wäre zu kompliziert, schnell genug eine Liste der vorrangig zu schützenden Portale zu verbreiten. Wenn wir die Nachricht verbreiten, dass die Hypernet-Portale eine Bedrohung darstellen, wird jeder damit beginnen, Cresidas Vorrichtung zu installieren.«

Desjani drückte die Handfläche gegen ihre Stirn. »Selbst wenn wir die Syndiks aufhalten können – wer sagt, dass die Aliens nicht sofort das Portal sprengen, sobald sie wissen, dass wir in Varandal eingetroffen sind? Nein, das wissen sie ja so schnell gar nicht. Es wird eine Weile dauern, bis sie davon erfahren. Aber werden wir auch genug Zeit haben, um Cresidas Vorrichtung zu installieren?«

»Das können wir nur hoffen. Wir können ja von Glück reden, dass wir diese Syndik an Bord geholt haben«, sagte Geary. »Ansonsten wüssten wir jetzt noch nichts davon, was im Kalixa-System vorgefallen ist.«

»Hätte ihr Schiff nicht überlebt, dann hätte die Reserveflotte nichts von dem Zusammenbruch des Hypernet-Portals erfahren«, hielt Desjani kühl dagegen, »und dann wäre die Reserveflotte auch nicht nach Varandal aufgebrochen, um das dortige Portal der Allianz zu zerstören. Mir persönlich wäre es weitaus lieber gewesen, erst viel später von Kalixa zu erfahren, wenn uns dafür die Reaktion der Syndiks erspart geblieben wäre.«

»Durch sie haben wir noch etwas Wichtiges erfahren«, fuhr Rione fort. »Ein Handelsschiff der Syndiks hielt sich bei Kalixa auf, das eine Kopie unserer Aufzeichnungen von Lakota besaß. Das bestätigt, dass sich diese Information in den Syndikatwelten herumspricht, auch wenn die Führer mit Sicherheit alles versuchen, um das zu verhindern.«

Geary ging zur Komm-Einheit. »Wir müssen sofort eine Besprechung einberufen.« Keine zehn Minuten später waren außer ihm, Desjani und Rione auch die virtuellen Bilder von Cresida, Duellos und Tulev anwesend. Augenblicke später war die Situation erklärt, und Geary wandte sich an Cresida: »Sie sprachen davon, dass die grundlegende Arbeit erledigt ist. Wie weit sind Sie mit einem Plan, um diese Vorrichtung tatsächlich bauen und installieren zu können?«

»Weit genug, Sir.« Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Es könnte noch verfeinert werden, aber im Prinzip ist es fertig. Etliche Faktoren basieren derzeit noch auf Schätzungen. Aber es sollte wirkungsvoll genug sein, um die Schockwellen so sehr einzudämmen, dass sie einem Sternensystem keinen Schaden mehr zufügen können. Es handelt sich um ein Basissystem, durch das die Intensität der Energieentladung in jedem Fall so sehr abgemildert wird, dass sie keine nennenswerten Schäden verursacht. Außerdem gibt es ein komplizierteres System, um das die erste Vorrichtung ergänzt werden kann, damit der Zusammenbruch des Portals völlig harmlos verläuft.«

»Wie schnell kann das produziert und an Hypernet-Portalen angebracht werden?«, wollte Rione wissen.

»So schnell, wie es nach der Priorität der Portale notwendig ist, Madam Co-Präsidentin«, antwortete Cresida. »Wir müssen nur die Allianz-Behörden und unsere militärische Befehlskette von der Dringlichkeit überzeugen.«

Der Sarkasmus in ihren Worten war nicht zu überhören und veranlasste Rione zu einem wütenden Blick, der aber nicht auf Cresida gerichtet war. »Das dürfte kein Problem mehr sein, wenn wir erst einmal Varandal verloren haben. Lieber wäre mir aber, wenn wir nicht erst ein solches Beispiel anführen müssten. Wir haben schon Lakota und Kalixa als Beispiele, nur liegen die auf feindlichem Gebiet, und das macht sie nicht annähernd so bedeutsam. Wir müssten einen Weg finden, um die Allianz-Bürokratie zu umgehen.«

»Captain Geary könnte den Befehl erteilen.«

»Das ist keine Garantie, dass es auch umgesetzt wird«, wandte Geary ein. »Erst recht nicht, wenn die Leute erst mal anfangen, über meine Person zu diskutieren, anstatt dieses … dieses …«

»Diese Schutzvorrichtung zu installieren«, half Cresida ihm auf die Sprünge.

Tulev lächelte humorlos. »Wir sagen es einfach allen. Wir verbreiten die Nachricht, was sich bei Lakota und Kalixa ereignet hat, und wir sagen den Leuten, dass sich so was in ihrem System auch jederzeit abspielen kann. Es sei denn, sie bauen diese Vorrichtung nach und installieren sie umgehend an ihrem Hypernet-Portal.«

Desjani schüttelte den Kopf. »Wir würden eine Panik auslösen.«

»Wenn Sie den offiziellen Dienstweg nehmen«, hielt Tulev dagegen, »werden die politischen und militärischen Institutionen das Ganze geheimer als geheim einstufen und alles so lange begutachten und abwägen, bis ein Allianz-System nach dem anderen ausgelöscht wird. Und das alles unter dem Vorwand, keine Panik auslösen zu wollen.«

Rione nickte zustimmend. »Captain Tulev hat recht. Wir müssen den Leuten klar machen, dass es von größter Dringlichkeit ist, die Hypernet-Portale mit diesen Vorrichtungen zu versehen, bevor die Aliens dahinterkommen, was wir machen. Und bevor die Syndiks irgendeines dieser Portale zerstören. Das lässt sich nur erreichen, wenn so viele Menschen wie nur möglich über die drohende Gefahr aufgeklärt werden.«

»Dringlichkeit und Hysterie lassen sich nicht unbedingt klar voneinander trennen. Werden die Behörden nicht trotzdem versuchen, das Risiko herunterzuspielen?«, fragte Duellos.

»Natürlich werden sie das. Sie werden behaupten, dass die Portale hundertprozentig sicher sind, und vielleicht werden sie sagen, unsere Portale seien anders konstruiert als die der Syndiks.«

»Das ist doch Unsinn«, wandte Cresida ein.

»Ja, sicher. Trotzdem werden sie das behaupten und jeden unglaubwürdig machen, der das Gegenteil sagt.« Dann sah Rione zu Geary. »Glücklicherweise wird die Erklärung, dass die Portale eine Gefahr darstellen, von keinem Geringeren als Black Jack Geary verbreitet werden, der von den Toten auferstanden ist, um die Allianz-Flotte und die Allianz selbst zu retten.«

Alle übrigen Anwesenden nickten erfreut. »Sie hat recht, Sir«, pflichtete Desjani bei.

Er hätte es wissen müssen. Wenn der Moment kam, an dem Rione und Desjani Einigkeit demonstrierten, würde es ganz sicher etwas betreffen, das ihm gar nicht gefiel. Aber Geary dachte einen Moment lang darüber nach und sah ein, dass Rione tatsächlich recht hatte. Der Augenblick war gekommen, da er sich nicht von Black Jacks Vermächtnis distanzieren durfte, sondern es zum Wohl der Allianz nutzen musste. »Also gut. Sobald wir Varandal erreichen, senden wir unsere Nachricht an alle aus. Die Konstruktionsanleitung für Captain Cresidas Vorrichtung schicken wir mit. Und mein Name wird unter der Nachricht stehen.«

Cresidas nächste Frage verblüffte sie alle. »Und was ist mit den Syndiks?«

»Die werden früher oder später bestimmt davon erfahren«, meinte Duellos.

»Nein, ich meine, ob wir ihnen die Information auch geben, bevor wir dieses System verlassen.« Sie schaute sich um und blickte in entsetzte Gesichter. »Ich habe mir darüber Gedanken gemacht. Sicher, die Syndiks sind unsere Feinde. Aber ihre Hypernet-Portale werden von einer dritten Gruppe als Waffen gegen uns eingesetzt. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass noch irgendein Syndik-CEO sein eigenes Portal sprengen wird, weil sich herumsprechen dürfte, was geschehen ist. Aber die Aliens können das auch gegen den Willen der Syndiks machen, so wie bei Kalixa. Wenn sie wissen, dass wir uns in einem Sternensystem der Syndiks befinden, das über ein Hypernet-Portal verfügt, dann werden sie versuchen uns zu erwischen. Und zweifellos werden sie weitere Syndik-Portale zusammenbrechen lassen, um unseren Feind dazu zu veranlassen, sich an uns rächen zu wollen.«

Tulev sah sie eindringlich an. »Sie wollen damit sagen, dass die Syndik-Portale jetzt zu Waffen geworden sind, die nur von einem gemeinsamen Feind gegen uns und gegen die Syndiks eingesetzt werden.«

»Richtig. Und schon deswegen müssen wir diese Waffen unschädlich machen, von der humanitären Seite einmal ganz abgesehen. Die sicherste Methode ist die, den Syndiks die Pläne für die Schutzvorrichtung zukommen zu lassen.«

»Was Sie vorhaben, ist Verrat«, warf Desjani ein.

»Man … man könnte es so auslegen.«

Schweigen machte sich breit, das schließlich von Duellos gebrochen wurde: »Ich glaube, Captain Cresida spricht da einen wichtigen Punkt an. Sie redet davon, eine äußerst gefährliche Waffe unschädlich zu machen, die gegen uns eingesetzt werden kann. Wenn wir den Syndiks keine Informationen geben, können die Aliens nach wie vor ganze Systeme auslöschen und uns die Schuld in die Schuhe schieben.«

»Der Rat der Allianz wird sich dieser Ansicht wohl nicht anschließen«, sagte Rione leise. »Der Rat wird sich die Möglichkeit vorbehalten wollen, die Portale als Waffen gegen die Syndiks zu gebrauchen.«

»Und wie denken Sie darüber?«, fragte Geary.

»Sie wissen genau, wie ich darüber denke. Diese Portale sind zu schrecklich und zu gefährlich, um sie jemals als Waffen zu benutzen.«

Tulev hielt den Kopf vornüber gebeugt, sein Blick auf das Deck gerichtet. »Als Offizier der Allianz-Flotte habe ich geschworen, die Allianz zu beschützen. Es ist nicht immer so leicht zu erkennen, wann man die Allianz beschützt und wann man womöglich dem Feind hilft.« Er sah hoch und musterte die anderen mit ausdrucksloser Miene. »Ich habe für die Syndiks nichts übrig, aber hier geht es sowohl um unsere eigenen Interessen als auch um einen humanitären Akt. Unsere Führer würden über dieses Argument erst lang und breit diskutieren und damit Zeit verlieren, die Milliarden Menschenleben kosten kann. Da ich nichts mehr zu verlieren habe, kann ich derjenige sein, der den Syndiks diese Informationen zukommen lässt.«

Desjani warf Tulev einen gequälten Blick zu. »Sie haben der Allianz schon genug gegeben! Ich werde mich nicht hinter Ihnen verstecken!«

»Wie denken Sie darüber?«, wollte Geary von ihr wissen.

Sie schaute zur Seite und atmete schwer. »Ich … zum Teufel! Zum Teufel mit den Syndiks und ihren Führern! Nachdem sie so viel Leid und Elend über uns gebracht haben, wollen sie jetzt auch noch, dass wir einen Verrat begehen, damit wir schützen können, was uns wichtig ist!« Desjani drehte sich zu Geary um, ihre Miene war todernst. »Der Hypernet-Schlüssel der Syndiks.«

»Was ist damit?«

»Er ist im Moment für uns nutzlos. Wir haben ihn für einen kriegsentscheidenden Vorteil gehalten, wenn wir ihn nach Hause bringen und kopieren können, aber im Augenblick können wir nichts mit ihm anfangen.«

Cresida lachte verbittert und nickte. »Ja, natürlich. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Wir können das Syndik-Hypernet nicht benutzen, weil wir es gar nicht wagen, ein Syndik-System aufzusuchen, das über ein Hypernet-Portal verfügt. Die Aliens könnten es zusammenbrechen lassen, wenn wir uns unmittelbar davor befinden, und damit die komplette Flotte auslöschen. Damit uns der Schlüssel wieder einen entscheidenden Vorteil verschaffen kann, müssen die Hypernet-Portale der Syndiks vor einem Zugriff durch die Aliens geschützt sein.«

»Wir müssen den Syndiks unsere Sicherheitsvorrichtung überlassen, damit wir überhaupt eine Chance haben, sie zu besiegen?« Auch Duellos musste jetzt lachen. »Die Syndiks wiederum sind gezwungen, solche Vorrichtungen zu installieren, weil sie sonst riskieren, dass alle Systeme ausgelöscht werden, in denen sich Portale befinden. Das sollte jedem Syndik-CEO die Entscheidung leicht machen. Die lebenden Sterne haben eine Schwäche für Ironie, nicht wahr?«

»Warum sollte sich die Syndik-Bürokratie nicht dagegen sperren, unsere Sicherheitssysteme zu installieren?«, wunderte sich Desjani.

»Oh, dagegen sträuben werden sie sich ganz sicher. Und sie würden sogar noch beharrlicher schweigen und alles vertuschen, während ein System nach dem anderen ausgelöscht wird. Dann müssten die Syndik-Führer so tun, als hätte sie niemand gewarnt und sie hätten keine Ahnung, was da geschieht. Bedauerlicherweise hat das ja bereits begonnen.« Duellos deutete auf Rione. »Aber was für die Allianz gut ist, funktioniert auch bei den Syndiks. Wenn wir eine Nachricht von den Ereignissen bei Lakota verbreiten, wie wir es ja schon zuvor gemacht haben, und wenn wir dazu noch die Pläne für die Sicherheitsvorrichtung mitsenden, wird sich das schnell herumsprechen. Lokale Führer werden Argumente finden, um die Installation des Systems zu rechtfertigen – entweder aus freien Stücken oder als Maßnahme, um Massenunruhen auf ihren Welten zu verhindern. Bis die Führer im Heimatsystem davon erfahren, werden die meisten Portale des Syndik-Hypernets bereits geschützt sein.«

»Werden die Syndiks unseren Konstruktionsplänen vertrauen?«, hakte Desjani nach.

»Jedes halbwegs fähige Ingenieursteam«, gab Cresida zurück, »wird erkennen können, dass es sich um ein geschlossenes System handelt, das genau das tut, was es tun soll. Vermutlich arbeiten die Syndiks bereits selbst an einem solchen System, aber wahrscheinlich steckt das in der Syndik-Bürokratie fest, die darauf versessen ist, alles geheimzuhalten, auch vor den eigenen Leuten.«

Desjani atmete gedehnt aus. »Dann bin ich dabei. Geben Sie es den Syndiks, weil die Entscheidung letztlich dem Schutz der Allianz dient.«

»Gut.« Geary sah sich um und wusste, was er zu tun hatte. »Danke, dass Sie sich freiwillig gemeldet haben, Captain Tulev, aber ich werde Sie nicht bitten, etwas zu tun, was in meine Verantwortung fällt. Ich werde …«

»Nein, das werden Sie nicht«, unterbrach Rione ihn und seufzte. »Ich sollte Sie eigentlich alle an Ihre Pflicht erinnern und daran, dass Sie einen Eid abgelegt haben. Aber ich bin Politikerin, und als solche kann ich anderen keine Vorhaltungen machen, dass sie ihrem Eid gerecht werden wollen. Ihnen allen hat man bereits genug abverlangt, indem man Ihnen und Ihren Vorfahren hundert Jahre Krieg aufgezwungen hat. Ich möchte den Beweis liefern, dass Ihre gewählten Führer nicht komplett vergessen haben, was das Wort Ehre bedeutet. Daher werde ich die Information an die Syndiks weitergeben.«

»Madam Co-Präsidentin«, begann Geary, während die anderen Rione überrascht ansahen.

»Ich unterstehe nicht Ihrem Befehl, Captain Geary. Sie können mir nicht befehlen, es nicht zu tun. Die vorgetragenen Argumente sind durchweg überzeugend, aber uns fehlt die Zeit, zunächst die heimischen Behörden zur gleichen Ansicht zu bringen. Nicht nur das Schicksal der Flotte hängt von einer schnellen Entscheidung ab, sondern auch das Leben von Milliarden oder Billionen Menschen. Wenn man es als Verrat auffasst, müssen Sie das Wohl für die Allianz bedenken. Wenn Sie nicht gerade bereit sind, mich festzunehmen und formell anzuklagen, dann werde ich machen, was ich gesagt habe.« Sie sah Cresida an. »Captain, befindet sich der Bauplan für Ihre Vorrichtung in der Datenbank der Flotte?«

Cresida nickte und betrachtete Rione. »Ja, Madam Co-Präsidentin. In meinem persönlichen Ordner.«

»Dann werde ich mir den Plan aneignen, ohne Ihre Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Damit haben Sie sich auch nicht die Hände schmutzig gemacht.«

»Aber wir wissen doch, dass Sie es machen werden«, warf Duellos ein.

»Nein, das wissen Sie nicht.«

»Sie haben es doch selbst gesagt.«

»Sie glauben das, was eine Politikerin sagt?« Rione lächelte in die Runde, dass man hätte meinen können, sie würde diese Unterhaltung genießen. »Für Sie gibt es keinen Grund zu glauben, dass ich in irgendeinem Punkt die Wahrheit sage. Vermutlich denken Sie, ich versuche Sie in eine Falle zu locken, indem ich nur vorgebe, das zu tun, was ich sage, damit Sie sich zum Handeln veranlasst sehen. Sie haben keinerlei Gewissheit, wie ich mich tatsächlich verhalten werde.«

Dann verließ sie schnell den Konferenzraum, bevor einer der anderen noch etwas sagen konnte. Plötzlich nickte Cresida nachdenklich, sah von Geary zur Luke, durch die Rione entschwunden war, und sagte: »Jetzt wird mir endlich klar, warum …« Abrupt verstummte sie, errötete leicht und gab sich alle Mühe, nicht Desjani anzusehen. Dann stand sie auf, salutierte hastig und verschwand.

Tulev stand mit ungewohnter Eile auf, salutierte gleichfalls und zog sich auch zurück.

»Ich muss auf die Brücke«, erklärte Desjani mit resignierter Miene.

»Aber …«, begann Geary.

»Wir sehen uns oben, Captain.« Auch sie salutierte vorschriftsmäßig und verließ den Konferenzraum.

Geary schaute ratlos zu Duellos. »Was war denn das gerade? Was wollte Cresida sagen?«

Anstatt zu antworten, hob Duellos abwehrend eine Hand. »Mich ziehen Sie da nicht hinein.«

»In was hinein?«

»Reden Sie mit Ihren Vorfahren. Irgendeiner von denen muss sich mit Frauen ausgekannt haben.« Duellos wollte ebenfalls gehen, schüttelte aber den Kopf. »Okay, ich kann Sie nicht dumm sterben lassen. Ich werde Ihnen auf die Sprünge helfen. Wenn zwei Leute eine Beziehung haben, auch wenn die von noch so kurzer Dauer ist, dann fragen sich andere Leute, die mindestens einen der beiden gut kennen, was die beiden wohl im jeweils anderen gesehen haben mögen.«

»Sie reden von Rione und mir? Sie haben sich alle gefragt, was ich in ihr gesehen habe?«

»Lieber Himmel, Mann, wie kann Sie das überraschen?« Duellos schaute vor sich aufs Deck. »Wir Menschen sind schon ein seltsamer Haufen. Da können wir es mit einer Bedrohung zu tun haben, die unsere gesamte Spezies auslöschen könnte, und trotzdem lassen wir uns einen Moment lang von den ältesten und kleinsten persönlichen Dramen ablenken.«

»Vielleicht versuchen wir auf diese Weise, den Problemen ein bisschen auszuweichen«, überlegte Geary. »Wir verdrängen die Konsequenzen, falls es nicht klappen sollte. Bislang bedeutete ein Scheitern unseren Tod, den Verlust unserer Schiffe und vielleicht sogar die Niederlage der Allianz. Aber nun geht es darum, dass alles ausgelöscht werden könnte. Wie schätzen Sie unsere Chancen ein?«

»Ich hätte ja nicht mal gedacht, dass wir auch nur halb so weit kommen«, machte Duellos ihm bewusst. »Absolut alles ist möglich.«

»Warum? Warum machen sie das?«

»Die Aliens? Tja, vielleicht bekommen wir ja noch die Gelegenheit, sie zu fragen.« Duellos Gesicht nahm einen für ihn untypisch harten Ausdruck an. »Und vielleicht können wir dabei ja auch ein paar Höllenspeer-Batterien auf sie richten, um sicherzustellen, dass wir auch eine Antwort bekommen.«

»Noch ein Krieg?«, fragte Geary.

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die Aliens scheinen direkte Konfrontationen zu scheuen.«

»Ganz im Gegensatz zu uns.«

»Richtig.« Duellos’ Lächeln hatte einen unangenehmen Zug an sich. »Möglicherweise sind sie deshalb bereits zur Tat geschritten, weil sie Angst bekommen haben.«

Noch sieben Stunden, bis der Sprungpunkt nach Varandal erreicht war. Gut sechs Stunden, bis die Flotte die Flugbahn des zweiten beschädigten Schweren Kreuzers der Syndiks überquerte, der von den letzten Salven der Intractable getroffen worden war. Geary schlenderte rastlos durch die Gänge der Dauntless. Er unterhielt sich hin und wieder mit Crewmitgliedern, während ihm die ganze Zeit über klar war, dass sich die Ereignisse auf entscheidende Weise zuspitzten. Ein erfolgreicher Verlauf der anstehenden Schlacht bei Varandal war der Schlüssel dafür, die Flotte und die Allianz zu retten, auch wenn die Rückkehr der Flotte ins Allianz-Gebiet an sich noch mit einigen Problemen behaftet war. Aber ohne den Sieg bei Varandal würde es keinen nächsten Schritt geben können. Also streifte er durch die längst vertrauten Korridore, unterhielt sich mit den Besatzungen der Höllenspeer-Batterien, mit Ingenieuren und Köchen, mit dem Verwaltungspersonal, den Spezialisten für alle Arten von Dingen und mit allen möglichen Personen, die die Dauntless zu einem lebenden Schiff machten.

Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass ihn der Verlust der Dauntless genauso schmerzen würde wie der Verlust der Merlon, auch wenn er diesmal nicht der Captain war.

Er begab sich in die Tiefen des Schiffs und beriet sich mit seinen Vorfahren, die ihm diesmal nur wenig Trost spenden konnten. Könnten seine Vorfahren doch nur Raum und Zeit verdrehen, damit seine Flotte noch in diesem Moment in Varandal auftauchte, um sofort auf die Syndik-Reserveflotte loszugehen. Er wollte es jetzt entscheiden und jetzt beenden. Aber das Weltall war unermesslich groß, und bis zum Sprungpunkt nach Varandal benötigten sie immer noch über sechs Stunden, ganz zu schweigen von den nahezu vier Tagen im Sprungraum.

Schließlich hatte er auf seinem Spaziergang die Räumlichkeiten des Geheimdienstes erreicht. »Wo ist die Syndik-Befehlshaberin?«, fragte er.

»Auf dem Weg in die Arrestzelle, Sir«, antwortete Lieutenant Iger. »Captain Desjani begleitet sie dorthin.«

Etwas daran kam ihm seltsam vor. »Ist das etwas Ungewöhnliches?«

Iger nickte. »Oh ja, Sir.« Er sah in Richtung Verhörraum und verzog den Mund. »Wir lassen es nicht zu, dass unseren Gefangenen körperlicher Schaden zugefügt wird. Aber auf dem Weg zu den Zellen müssen sie die gleichen Gänge benutzen wie unsere Crew. Und die reagiert für gewöhnlich in der Form, dass sie den Gefangenen den Weg so unangenehm wie möglich macht.«

»Also ein Spießrutenlaufen.«

»Richtig, Sir«, bestätigte Iger. »Keine körperliche Gewalt, aber Bemerkungen und Gesten, und man bewirft sie mit Gegenständen, die sie nicht verletzen können, die aber zum Beispiel ihre Uniform beschmutzen. Die Marines haben zwar den Befehl, ihre Gefangenen zu beschützen, aber einige Dinge werden dennoch toleriert.«

Das war nur zu verständlich, immerhin bekam man den verhassten Gegner nur selten persönlich zu sehen. Geary blickte zu der Luke, durch die Desjani die Abteilung verlassen hatte. »Aber die Crew wird das nicht machen, wenn Captain Desjani die Gefangene begleitet?«

»Nein, Sir, das nehme ich nicht an.«

Wie seltsam. Eine höfliche Geste gegenüber dem Feind. Geary wartete eine Weile ab, dann bat er Desjani, ihn in seinem Quartier aufzusuchen, wenn sie Zeit fände. »Ich habe von Ihnen keine abschließende Einschätzung unserer Pläne erhalten«, begann er, als sie eintraf.

»Ich bitte um Verzeihung, Sir«, erwiderte Desjani. »Es ist das Beste, was wir in einer so schlechten Situation tun können. Das ist meine Einschätzung. Eine bessere Vorgehensweise kann ich mir nicht vorstellen.«

»Danke, das wollte ich nur wissen.« Nach einer kurzen Pause fügte er an: »Ich hörte, Sie haben die Syndik-Befehlshaberin zu ihrer Arrestzelle begleitet.«

Desjani reagierte mit einer völlig ausdruckslosen Miene. »Das ist richtig, Sir.«

»Schon seltsam, nicht wahr? Wenn wir eine Chance darauf haben, diesem Krieg ein Ende zu setzen, dann sind Offiziere wie diese Frau die Leute, mit denen wir uns verständigen müssen. Offiziere, die bereit sind ihr Wort zu halten und denen ihre Crew so sehr am Herzen liegt, dass sie sich über unerbittliche Befehle hinwegsetzen. Aber um die Syndiks an den Verhandlungstisch zu holen, müssen wir unser Bestes geben, um solche Offiziere zu töten.«

»Ich würde sagen, ›seltsam‹ ist eine Art es zu bezeichnen.« Immer noch verriet Desjanis Miene keine Gefühlsregung. »Würden solche Leute nicht mit solchem Eifer für eine Regierung kämpfen, vor der sie sich fürchten, dann hätte dieser Krieg schon vor langer Zeit enden können. Es ist schließlich nicht so, als könnten wir den Syndiks noch vertrauen, wenn es darum geht, mit ihnen zu verhandeln. Das wissen Sie selbst, immerhin haben Sie oft genug gesehen, wie sie versucht haben, uns zu hintergehen.«

»Das stimmt«, pflichtete Geary ihr bei. »Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«

Desjani senkte kurz den Blick, dann sah sie ihn an und nickte.

»Warum haben Sie die Syndik-Offizierin durch die Korridore Ihres Schiffs eskortiert?«

Anstatt sofort zu antworten, schaute sie abermals weg, schließlich schüttelte sie den Kopf. »Sie hat sich ehrenvoll erwiesen. Ich wollte sie im Gegenzug auch ehrbar behandeln. Das ist alles.«

»Sie war bereit, ihr Leben für das Überleben ihrer Crew zu opfern«, betonte Geary. »Mich als ehemaligen Befehlshaber eines Schiffs hat das sehr beeindruckt.«

»Erwarten Sie nicht zu viel von mir«, warnte sie ihn. »Ich hasse diese Leute noch immer für das, was sie getan haben. Und das gilt auch für diese Frau. Ich bin mir sicher, sie hasst uns auch. Wäre sie wirklich so ehrbar, dann frage ich mich, warum sie für die Syndiks kämpft.«

»Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich sehe nur gewisse Gemeinsamkeiten, das ist alles. Jedenfalls, was sie betrifft.«

»Haben wir ihren jüngeren Bruder getötet?« Desjani kniff die Augen zusammen, als sie merkte, was ihr rausgerutscht war. »Vielleicht haben wir das ja gemacht. Ab welchem Punkt ergibt das Hassen und das Töten keinen Sinn mehr?«

»Tanya, Hass ergibt nie einen Sinn. Töten ist manchmal notwendig. Man tut, was man tun muss, um sein Heim und seine Familie und die Dinge zu beschützen, die einem wichtig sind. Aber Hass verdreht den Menschen nur den Verstand, bis die nicht mehr wissen, wann sie töten müssen und wann sie es nicht dürfen.«

Ihre Miene war noch immer wie versteinert, doch ihre Augen hatten etwas Suchendes an sich. »Haben die lebenden Sterne Ihnen das gesagt?«

»Nein, meine Mutter.«

Plötzlich verzog sie den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Sie haben auf Ihre Mutter gehört?«

»Manchmal.«

»Ihre Mutter …« Desjani unterbrach sich und wurde wieder ernst.

Geary war klar, was ihre Reaktion bedeutete. Ganz gleich, was sie über seine Mutter hatte sagen wollen, ihr war bewusst geworden, dass sie bereits seit sehr langer Zeit tot war. Während er im Kälteschlaf durch das All trieb, war sie älter und älter geworden und irgendwann gestorben. Dass er hundert Jahre in dieser Rettungskapsel verbracht hatte, lag nur daran, dass die Syndiks angegriffen hatten. Dass die Syndiks beschlossen hatten, diesen Krieg zu beginnen.

»Die haben Ihnen Ihre Familie genommen«, sagte Desjani schließlich. »Die haben Ihnen alles genommen.«

»Ja, das ist mir klar.«

»Das tut mir leid.«

Er zwang sich zu einem Lächeln. »Das ist etwas, womit ich leben muss.«

»Wollen Sie sich nicht rächen?«

Jetzt war Geary derjenige, der einen Moment lang zu Boden blickte, während er nachdachte. »Rache? Die Syndik-Führer, die diese ersten Angriffe befahlen, mit denen dieser Krieg seinen Lauf nahm, sind selbst längst tot. An ihnen kann ich mich nicht mehr rächen.«

»Ihre Nachfolger sind aber noch an der Macht«, hielt Desjani dagegen.

»Tanya, wie viele Leute soll ich töten und wie viele soll ich in den Kampf schicken, nur um ein Verbrechen zu rächen, das vor hundert Jahren begangen wurde? Ich bin nicht vollkommen. Könnte ich irgendwie die Syndik-Bastarde in die Finger bekommen, die diesen Krieg vom Zaun gebrochen haben, dann würde ich sie dafür leiden lassen. Aber diese Leute sind längst tot. Ich versuche zu verstehen, um was es in diesem Krieg überhaupt noch geht. Eine Seite will sich doch immer nur noch für die letzte erlittene Niederlage oder die letzte Grausamkeit rächen. Das Ganze ist längst zu einem Selbstzweck geworden, der sich im Kreis dreht. Sie und ich, wir wissen, dass sowohl die Allianz als auch die Syndikatwelten langsam aber sicher unter dem Druck dieses unendlichen Krieges zu zerbrechen drohen.«

Sie schüttelte den Kopf und ging zu einem Sessel, um sich hinzusetzen. »Ich habe sie lange Zeit einfach nur alle töten wollen. Sie alle. Um mich zu rächen und um sie davon abzuhalten, weiter zu morden. Aber es geht immer weiter hin und her. Man ist niemals quitt. Und wie viele Syndiks sollen ihr Leben lassen, um den Tod meines Bruders zu vergelten? Es ist egal, wie viele von ihnen sterben, Yuri kommt trotzdem nicht zu mir zurück. Und dann sah ich bei Wendig diesen Syndik-Jungen, der so war wie Yuri, und da habe ich mich gefragt, worin der Sinn besteht, den Bruder eines anderen zu ermorden, nur um Yuri zu rächen. Früher einmal war das für mich Grund genug. Es reichte, ihnen wehzutun. Inzwischen wünschte ich mir, dass kein Bruder und keine Schwester, kein Ehemann und keine Ehefrau, kein Vater und keine Mutter sterben müssten. Aber ich weiß nicht, was ich tun kann, um das zu erreichen.«

Geary nahm ihr gegenüber Platz. »Wir könnten die Chance dazu haben, wenn wir nach Hause zurückgekehrt sind. Und dann werden Sie eine wichtige Rolle dabei gespielt haben, dass wir diese Chance überhaupt erst bekommen haben.«

»Wenn wir nach Hause zurückgekehrt sind, werden Sie mit anderen Dingen beschäftigt sein. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich das alles leichter machen könnte.«

»Danke.« Er schaute zur Seite. »Es kommt mir immer noch unwirklich vor, dass alle Menschen tot sind, die ich einmal kannte. Wenn ich zu Hause bin, muss ich mich dieser Tatsache wirklich stellen. Ich frage mich, ob ich dann die Syndiks genauso hassen werde, wie Sie es getan haben.«

Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu. »Sie sollten besser sein als wir alle. Darum haben die lebenden Sterne Ihnen diesen Auftrag gegeben.«

»Das heißt, ich darf die Syndiks nicht hassen?«

»Nicht, wenn es Ihrer Mission im Weg steht.«

Er sah sie einen Moment lang forschend an. »Wissen Sie, Captain Desjani, mir ist gerade die Erkenntnis gekommen, dass Sie es sind, die mir von Zeit zu Zeit Befehle erteilt.«

Ihre Miene wurde noch grimmiger. »Ich erteile Ihnen keine Befehle, Captain Geary, ich sage Ihnen nur, was Sie tun müssen.«

»Ist das etwas anderes?«

»Natürlich ist das etwas anderes. Das ist doch offensichtlich.«

Er wartete eine Weile, aber Desjani äußerte sich nicht weiter zu dem, was ihrer Ansicht nach offensichtlich war. Da er nicht davon ausgehen konnte, diese Diskussion zu gewinnen, ließ er das Thema lieber auf sich beruhen. »Okay, aber …« Er zögerte, da er überlegte, ob er etwas ansprechen konnte, das ihn schon seit Langem verfolgte. Dann aber wurde ihm klar, wenn es einen geeigneten Zeitpunkt gab, um darauf zu sprechen zu kommen, dann war dieser Zeitpunkt jetzt und hier. »Ich bin besorgt, wie ich auf die Heimat reagieren werde. Ich glaube, es ist mir noch immer nicht in jeder Hinsicht so richtig bewusst. Als ich aus dem Kälteschlaf erwachte, da wurde ich von dieser Erfahrung überwältigt. Und als ich hörte, was geschehen war und wie lange ich im Tiefschlaf zugebracht hatte, da kam es mir so vor, als wäre mein ganzer Körper wie betäubt.«

»Sie sahen auch aus wie ein Zombie«, stimmte Desjani ihm in einem deutlich sanfteren Tonfall zu. »Ich weiß noch, wie ich mich gefragt habe, ob Black Jack tatsächlich noch lebte.«

»Wie es Black Jack ergangen ist, weiß ich nicht, aber ich habe tatsächlich noch gelebt.« Er betrachtete seine Hände und atmete tief durch, ehe er fortfuhr. »Ich musste all diese Dinge zurückstellen, als ich das Kommando über die Flotte übernahm. Ich habe sie zurückgestellt, aber wohl nie richtig verarbeitet. Was wird geschehen, wenn wir nach Hause kommen? Wenn mir klar wird, dass wirklich jeder tot ist, den ich gekannt habe? Wenn mir bewusst wird, dass ich ganz allein bin?«

Sehr leise entgegnete Desjani daraufhin: »Sie werden nicht allein sein.«

Diese Aussage bewegte sich bedenklich nahe an dem Thema, das sie nicht anschneiden konnten. Dem Thema, dessen Existenz sie sich nicht einmal eingestehen durften. Erschrocken hob er den Kopf und sah ihr in die Augen.

Desjani wich seinem Blick aus. »Sie mussten das von mir hören.« Dann stand sie auf und straffte die Schultern. »Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich mich jetzt zurückziehen, sofern es nicht noch etwas zu besprechen gibt. Ich muss mich noch um verschiedene Dinge kümmern.«

»Ja, sicher. Vielen Dank, Captain Desjani.«

Nachdem sie gegangen war, sah er auf die Uhr. Noch fünf Stunden bis zum Sprung nach Varandal.

Das Wrack, das kurz zuvor noch der letzte Syndik-Schlachtkreuzer im Atalia-System gewesen war, trieb weit hinter der Allianz-Flotte, die sich dem Sprungpunkt nach Varandal näherte.

»Captain?« Das Gesicht des Offiziers für Systemsicherheit der Dauntless tauchte in einem Fenster vor Desjani auf. »Es wurden nicht freigegebene Nachrichten von unserem Schiff aus übertragen.«

»Nicht freigegebene Nachrichten?«, wiederholte Desjani.

»Ja. Unverschlüsselte Mitteilungen an jeden in diesem Sternensystem. Ich versuche, die Quelle an Bord der Dauntless ausfindig zu machen.«

»Handelt es sich um geheime Informationen?«

Der Offizier blinzelte ein paar Mal, als er über diese Frage nachdachte. »Nein, Captain, nicht dass ich wüsste. Es ist keine formale Klassifizierung angehängt worden, und der Sicherheitsscan hat auch kein geheimes oder vertrauliches Material finden können.«

»Dann wüsste ich nicht, warum wir uns jetzt damit befassen sollten«, sagte Desjani. »Wir müssen sicherstellen, dass unsere Schiffssysteme bei der Ankunft in Varandal so gut wie irgend möglich arbeiten.«

»Aber … Captain, jede Mitteilung an den Feind ist verboten.«

»Ganz richtig«, bestätigte sie. »Aber da es nicht um geheime Informationen geht, wird die Schadenseinschätzung diesen Vorfall auf der Prioritätenliste ganz bestimmt weit unten ansiedeln. Konzentrieren wir uns also lieber auf die bevorstehende Schlacht, Commander.«

»Ähm … ja, Captain.«

Nachdem das Bild des Offiziers sich aufgelöst hatte, warf Desjani Geary einen rätselnden Blick zu. »Möchte wissen, um was es dabei gegangen sein könnte.«

»Vermutlich nichts Wichtiges, wie Sie ja schon sagten«, gab er zurück.

Einen Moment später warf sie einen Blick auf die Informationen, die der Offizier für Systemsicherheit ihr zugeschickt hatte. »Die gleiche Mitteilung über Lakota, die wir schon einmal verschickt haben, dazu eine Beschreibung von irgendeinem Vorfall bei Lakota. Außerdem irgendein Bauplan für irgendwelche Ausrüstung mitsamt erläuterndem Text. Kein Autorisierungscode bei der Übertragung.« Desjani tippte auf ihre Kontrollen. »Nichts, was mein Schiff oder die Flotte in Gefahr bringen könnte. Ich muss mich mit Wichtigerem beschäftigen.«

»Sehe ich auch so.« Geary fragte sich, wie es Rione gelungen war, das Komm-System der Dauntless so zu überlisten, dass eine Nachricht ohne Autorisierung das Schiff verlassen konnte. Auch wenn Rione bereits Verschiedenes zugegeben hatte, wozu sie die angeblich so sicheren Schiffssysteme benutzen konnte, war Geary davon überzeugt, dass sie zu noch viel mehr in der Lage war.

Er betrachtete sein Display, um einen letzten Blick auf die Situation in Atalia zu werfen. Die Gruppe um die Illustrious befand sich inzwischen gut zwei Lichtstunden hinter der Flotte und sammelte immer noch Rettungskapseln ein. Die Überlebenden der Intractable waren nicht weit von der Flotte entfernt, aber bei der Geschwindigkeit, mit der sie sich durch das System bewegten, wäre es unmöglich gewesen, sie an Bord zu holen. Sie würden alle warten müssen, bis die Illustrious mit den Begleitschiffen eintraf.

Die Brennstoffzellen bewegten sich auf den meisten Kriegsschiffen bei rund zwanzig Prozent, aber manche Schiffe, wie zum Beispiel die Rifle, lagen deutlich darunter. Nur drei Phantome waren in der gesamten Flotte noch vorhanden, und der Bestand an Kartätschen belief sich auf sechzig Prozent.

An den Rändern des Atalia-Systems befanden sich Syndik-Jäger, Kuriere und Handelsschiffe immer noch auf Kurs zu den Sprungpunkten im System; entweder um die Flucht zu ergreifen oder um irgendwem Bericht zu erstatten, wohin die Allianz-Flotte unterwegs war. Die meisten dieser Schiffe würden die Mitteilung von der Dauntless empfangen, bevor sie in den Sprung wechselten.

Von den Syndik-Behörden im System war nichts zu hören. Es gab weder eine Kapitulationsforderung noch irgendwie geartete Drohungen. Er fragte sich, ob die hochrangigsten CEOs vor Ort über die Mission der Reserveflotte und über die Lage in Kalixa informiert worden waren. Spätestens jetzt würden sie es erfahren.

»Noch fünf Minuten bis zum Sprung.«

Geary betätigte seine Kontrollen. »Captain Badaya, wir springen jetzt nach Varandal. Wir sehen uns dort wieder. Viel Glück.« Mehr wusste er nicht zu sagen, und abgesehen davon würde Badaya die Nachricht ohnehin erst in gut zwei Stunden empfangen.

»Vier Tage.« Desjani betonte jede Silbe, dann schloss sie resigniert die Augen.

»Ja, das werden für mich die längsten vier Tage, die ich jemals im Sprungraum verbracht habe«, pflichtete Geary ihr bei. Die Reserveflotte der Syndiks befand sich auch noch im Sprungraum, und das galt genauso für die Allianz-Kriegsschiffe, die vor den Syndiks den Rückzug nach Varandal angetreten hatten. Nun würde diese Flotte sich ihnen anschließen. Das Steuersystem ließ eine Alarmleuchte aufblinken, woraufhin Geary eine weitere Nachricht sendete. »An alle Schiffe, springen Sie bei Zeit zwei null vier neun. Wir sehen uns bei Varandal. Machen Sie sich darauf gefasst, unmittelbar bei Eintreffen sofort in Kampfhandlungen verwickelt zu werden.«

Wenige Minuten darauf verschwanden die Sterne, und Geary sah wieder auf das trübe Grau des Sprungraums. Beim Gedanken an die Mission der Reserveflotte und an deren zahlenmäßige Überlegenheit drängte sich ihm die Frage auf, ob das wohl sein letzter Sprung sein würde.

Vier scheinbar endlose Tage später saßen sie wieder auf der Brücke der Dauntless, während ein Countdown die noch verbleibenden Minuten im Sprungraum zählte. Geary atmete tief und gleichmäßig durch, dann ließ er seine Schultern kreisen, als mache er sich auf einen Faustkampf gefasst. Desjani saß da, den Blick gebannt auf ihr Display gerichtet, während ihre Augen vor Begeisterung funkelten. Rione, die sich wie immer im hinteren Teil der Brücke aufhielt, gab sich zwar ruhig und gefasst, dennoch war ihr die Anspannung deutlich anzumerken. Die Wachhabenden waren über ihre Stationen gebeugt und wie die gesamte Crew der Dauntless einsatzbereit.

»Alle Waffen bereithalten, Feuer auf Automatik einstellen«, befahl Desjani mit einer Gelassenheit, die in der von Stress geprägten Stimmung fast unheimlich wirkte.

Vor ihnen in der grauen Leere des Sprungraums tauchte eines jener mysteriösen Lichter auf, das dicht vor ihnen, ebenso gut aber auch weit entfernt sein konnte. Auf jeden Fall hing es dort, als warte es auf die Dauntless. Geary hörte, wie fast jeder auf der Brücke erschrocken nach Luft schnappte.

»Wir verlassen den Sprungraum.«

Das endlose Grau und das rätselhafte Licht verschwanden und machten den Sternen Platz.

Die Dauntless drehte abrupt bei, um möglichen Minen und feindlichem Beschuss auszuweichen.

Desjani, die sich wegen des Manövers an ihrem Sessel festklammerte, ließ das Display nicht aus den Augen. »Sie sind nicht am Sprungpunkt.«

Auch Geary sah auf sein Display. Für einen Moment fehlten ihm die Worte, als er das Varandal-Sternensystem angezeigt bekam.

Nach so vielen Sprüngen, nach so vielen Lichtjahren, so vielen von Syndiks kontrollierten Systemen war die Allianz-Flotte endlich in heimisches Gebiet zurückgekehrt. Varandal, Heimat eines regionalen Flottenhauptquartiers und zahlreicher Einrichtungen der Flotte, die allesamt massiv gesichert waren. Während der Zeit auf der Dauntless hatte er sich mit diesem System beschäftigt und dabei feststellen müssen, wie sehr all diese Einrichtungen in jenen hundert Jahren gewachsen waren, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Es nun real vor sich zu sehen, war im ersten Augenblick ein wenig desorientierend, weil alles einerseits so vertraut, andererseits so völlig verändert war.

Sirenen gellten los, Warnsymbole blinkten auf. Geary verfolgte mit, wie die Darstellung auf dem Display aktualisiert wurde, sobald die Sensoren das System abtasteten. »Wir sind noch rechtzeitig eingetroffen.«

Das Hypernet-Portal existierte noch und lag keine sechs Lichtstunden entfernt von ihrem Sprungpunkt. In drei Lichtstunden Entfernung kreiste die Syndik-Reserveflotte um den Stern Varandal. Sieben Lichtminuten trennten die Kastenformation des Gegners von einer kleineren Formation aus Allianz-Schiffen – den Überlebenden, die Atalia angegriffen und dann zurückgeeilt waren, um Varandal zu verteidigen. »Zwei Schlachtschiffe, ein Schlachtkreuzer, sechs Schwere Kreuzer, ein Leichter Kreuzer, neun Zerstörer«, las Desjani vor. »Mehr haben sie nicht.«

Mit wachsendem Unbehagen musterte Geary sein Display. »Warum haben die Syndiks nicht längst alles zerstört? Etliche Verteidigungsanlagen sind mit kinetischen Geschossen bombardiert worden, aber ansonsten haben die Syndiks wohl nichts vernichtet. Alle übrigen Einrichtungen scheinen noch intakt zu sein.«

»Was haben die vor?«, murmelte Desjani.

»Allianz-Flotte!« Die eingehende Nachricht überraschte Geary, dem erst jetzt auffiel, dass ein Allianz-Zerstörer als Späher in der Nähe des Sprungpunkts in Position gegangen war. Es war die Stimme des befehlshabenden Offiziers der Howitzer, die aus dem Lautsprecher ertönte. »Den lebenden Sternen sei Dank!«

Desjani wandte sich zu ihrem Ablauf-Wachhabenden um. »Lassen Sie sich von diesem Zerstörer eine umfassende Aufzeichnung schicken, damit wir wissen, was hier passiert ist, seit die Syndiks ins System gekommen sind. Sofort!«

»Verbinde uns mit deren Gefechtssystemen«, meldete der Wachhabende. »Auf Ihrem Display.«

»Position halten, Howitzer«, befahl Geary und konzentrierte sich dann auf das eigene Display, das die Geschehnisse im Zeitraffer darstellte. Die Allianz-Verteidiger waren eine halbe Lichtstunde vom Sprungpunkt entfernt in Stellung gegangen, um sich den Verfolgern zu stellen, dabei hatten sie einen weiteren Schlachtkreuzer und ein Schlachtschiff sowie zahlreiche Eskortschiffe verloren. »So eine schlechte Ausgangssituation, und sie sind trotzdem einfach auf den Feind losgestürmt«, murmelte Geary kopfschüttelnd.

Admiral Tethys hatte diesen Zug befohlen, war aber bei der Zerstörung der Encourage ums Leben gekommen. Danach hatte Captain Deccan von der Contort das Kommando übernommen, aber auch nur so lange, bis die Contort von den Syndiks in Stücke geschossen worden war. Im Anschluss daran war die Befehlsgewalt auf Captain Barrabin übergegangen, doch kurz darauf wurde dessen Schiff Chastise durch eine Überladung des Hauptantriebs in Stücke gerissen, als es über zwei Lichtstunden vom Sprungpunkt entfernt zur nächsten Konfrontation gekommen war.

Laut den Aufzeichnungen der Howitzer wurden die restlichen Kriegsschiffe im Varandal-System von Captain Jane Geary auf der Dreadnaught befehligt. Neben ihr hatten noch das Schlachtschiff Dependable und der Schlachtkreuzer Intemperate sowie eine Hand voll Eskortschiffe überlebt.

In der Zwischenzeit hatten die Syndiks damit begonnen, die Verteidigungsanlagen mit kinetischen Geschossen auszuschalten. Auf weitere Bombardements hatten sie aber verzichtet. Auch hatte sich die Reserveflotte seitdem den wenigen Allianz-Schiffen nicht weiter genähert, obwohl sie dazu Gelegenheit gehabt haben mussten.

Warum hatten die Syndiks die Allianz-Verteidiger nicht längst erledigt? Und warum hatten sie nicht auch die übrigen Einrichtungen der Allianz bombardiert? Allerdings waren diese Bilder drei Stunden alt, und in der Zeit konnte viel passieren.

»Was ist denn das?« Desjani hatte ihr Display wachsam beobachtet, und nun huschten ihre Finger über die Tasten, um einen Teil der Darstellung zu wiederholen. »Sehen Sie mal hier, nach der letzten Auseinandersetzung mit den Allianz-Schiffen.«

Geary sah sich das Detail an, das sie hervorgehoben hatte, und vergrößerte den Ausschnitt, um besser erkennen zu können, was sich dort abspielte. Die optischen Sensoren der Flotte waren empfindlich genug, um selbst kleine Details wahrnehmen zu können, die sich am anderen Ende eines Sternensystems befanden. »Shuttles? Was machen die denn da?«

»Die pendeln zwischen den Schweren Kreuzern und den anderen Schiffen hin und her«, murmelte Desjani und gab weitere Befehle, um den Ausschnitt zu vergrößern, bis sie erkennen konnte, wo genau sich die Shuttles neben den Schiffen aufhielten. »Personal. Sehen Sie? Sie holen das Personal von den Schweren Kreuzern.«

»Warum?«

Rione meldete sich mit angestrengter Stimme zu Wort. »Automatische Steuerung. Sie haben mir doch mal erzählt, dass die Syndiks ihre Schiffe automatisieren und dann fernsteuern können.«

»Ja, aber warum sollten sie die Schweren Kreuzer fernle …« Die Antwort fiel ihm und Desjani im gleichen Moment ein.

»Sie wollen mit den Schweren Kreuzern das Hypernet-Portal zerstören«, sprach Desjani es aus. »Das passt alles gut zusammen. Die Syndiks sind tief ins System eingedrungen, aber sie haben weder die Allianz-Schiffe vernichtet noch die Allianz-Einrichtungen verwüstet.«

»Ein Köder«, hauchte Geary.

»Richtig. Wenn sie alles zerstört hätten, könnten wir in aller Ruhe in der Nähe des Sprungpunkts abwarten, weil sie ja früher oder später auf diesem Weg das System wieder verlassen wollen. Aber wenn es noch jemanden zu retten gibt …«

»Dann stürmen wir geradewegs auf sie los.« Geary strich mit einem Finger über sein Display, während er sich die nächsten Flottenbewegungen vorstellte. »Sobald sie uns gesehen haben, warten sie bis zum richtigen Augenblick, dann gehen sie auf die verbliebenen Allianz-Schiffe los und löschen sie aus, gleichzeitig schicken sie ihre Schweren Kreuzer Richtung Hypernet-Portal. Der Rest ihrer Streitmacht nimmt Kurs auf den Sprungpunkt und jagt an uns vorbei. Wenn wir endlich merken, was los ist, bewegt sich die Schockwelle schon auf uns zu, und die Syndiks verschwinden in letzter Sekunde in den Sprungraum. Hätten wir nicht längst herausgefunden, dass sie überhaupt nur hergekommen sind, um das Portal zu vernichten, dann wäre ihr Plan womöglich von Erfolg gekrönt gewesen.«

»Damit hätten sie uns und zugleich das gesamte System erwischt.« Desjani wirkte, als wollte sie die Syndiks mit bloßen Händen in Stücke reißen. »Aber wie können sie Gewissheit haben, dass das Portal ausreichend beschädigt wird? Das ist doch der Haken in ihrem Plan.«

»Das Niveau der Energieentladung lässt sich nach oben genauso verändern, wie man es abschwächen kann«, erwiderte Geary. Er sah nicht zu Rione hinüber. Als Cresida die Berechnungen durchgeführt hatte, wie man die Entladung eines Portals minimieren konnte, da hatte sie für ihn auch die umgekehrte Lösung kalkulieren müssen. Dieses Weltuntergangsprogramm hatte er dann Rione in der Hoffnung anvertraut, es niemals benutzen zu müssen. »Wir sollten davon ausgehen, dass die Syndiks mittlerweile auch dahintergekommen sind, wie das funktioniert.«

Sie waren jetzt schon seit fünfzehn Minuten hier. Der Feind würde die Flotte erst in zweieinhalb Stunden sehen, doch Geary konnte keine Sekunde dieser Zeit vergeuden, zumal jeder Befehl an die noch vorhandenen Allianz-Schiffe in diesem System genauso lange benötigen würde, um sie zu erreichen.

Oberste Priorität hatten die verbliebenen Verteidiger von Varandal. »Hier spricht Captain John Geary, Befehlshaber der Allianz-Flotte. An Captain Jane Geary, Befehlshaberin der Eingreiftruppe, die Varandal verteidigt. Die Syndiks beabsichtigen, das Hypernet-Portal in diesem System kollabieren zu lassen, indem sie genügend Trossen zerstören. Wenn das Portal zusammenbricht, entsteht eine Energieentladung, die alles auslöschen wird, was in diesem System existiert. Wir gehen davon aus, dass die Syndiks das mithilfe von unbemannten und ferngelenkten Schweren Kreuzern erreichen wollen, da diese Kreuzer beim Zusammenbruch des Portals ebenfalls zerstört werden. Ihr Befehl lautet, das Portal zu beschützen.« Seine Stimme versagte einen Moment lang, erst dann konnte er fortfahren: »Und zwar um jeden Preis. Der Schutz des Portals hat Vorrang vor allem anderen, auch vor der Zerstörung von Syndik-Schiffen, die das Portal nicht bedrohen, und auch vor dem Schutz der übrigen Allianz-Einrichtungen in diesem Sternensystem. Lassen Sie nicht zu, dass Ihre Streitmacht als Bedrohung unschädlich gemacht wird, es sei denn, das ist zum Schutz des Portals erforderlich. Halten Sie durch, Hilfe ist unterwegs. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«

Er hatte es bis in das Sternensystem geschafft, in dem sich seine Großnichte befand, und seine ersten Worte an sie waren der Befehl, sich zu opfern, falls anders das Hypernet-Portal nicht geschützt werden konnte.

»Sind Sie sich sicher, dass nicht jemand Ihre Befehle widerrufen wird?«, fragte Rione. »Es könnte im System immer noch den einen oder anderen überlebenden Admiral geben.«

»Niemand hat Jane Geary bislang das Kommando entzogen«, warf Desjani ein, als würde sie auf etwas antworten, das jemand anders gesagt hatte. »Aber wir sind zurück zu Hause, und jemand könnte diesen Schiffen oder unserer Flotte einen sinnlosen Sturmlauf gegen die Syndiks befehlen.« Desjani drehte sich zu ihrem Komm-Wachhabenden um. »Sollten Befehle für Captain Geary eingehen, die von einem ranghöheren Offizier in diesem System kommen, dann möchte ich sicherstellen, dass es auf diesem Schiff nicht zu einem gravierenden Problem kommt, was den Empfang und die Weiterleitung ankommender Nachrichten angeht. Jeglicher Fehler wäre unverzeihlich. Unter diesen Umständen werde ich persönlich alle derartigen Nachrichten sichten, bevor ihr Empfang bestätigt wird und bevor eine Weiterleitung an andere Schiffe erfolgt. Es muss absolute Gewissheit bestehen, dass diese Nachrichten nicht verstümmelt sind und dass Captain Geary nicht im verkehrten Moment abgelenkt wird.«

Der Komm-Wachhabende reagierte einen Augenblick lang verwirrt, nickte dann aber ernst. »Verstanden, Captain. Wenn ich eine solche Nachricht sehe, leite ich sie ausschließlich an Sie weiter, damit Sie überprüfen können, wie stark verstümmelt sie ist.«

»Ja, richtig. Sie werden Captain Geary in keiner Weise behelligen, solange wir die Syndiks in diesem Sternensystem nicht erledigt haben.« Desjani lehnte sich zurück und sah Geary an. »Gibt es ein Problem, Sir?«

»Nur die Erkenntnis, dass ich Sie vielleicht immer noch unterschätze, Captain Desjani.«

Sie zog eine Augenbraue hoch. »Das kann sehr gefährlich sein, Sir.«

»Dem werde ich nicht widersprechen.« Er drehte sich zu Rione um. »Madam Co-Präsidentin, während ich mit den Syndiks zu tun habe, könnten Sie in der Zwischenzeit in Erfahrung bringen, was dieses Sternensystem auf der Allianz-Seite zu bieten hat.«

Rione machte eine vage Geste. »Daran sitze ich schon. Soweit ich das derzeit sagen kann, bin ich hier die ranghöchste politische Figur, also müssen Sie sich keine Sorgen machen, dass Ihnen von dieser Seite reingeredet wird.«

»Damit bleiben nur noch die Syndiks. Wie machen wir denen einen Strich durch die Rechnung, Tanya?« Genau genommen kannte er die Antwort längst, weil sie die einzige Lösung war. »Wir müssen die Verteidiger unterstützen, und der Rest der Flotte muss sich den Syndiks widmen und sie daran hindern, das Portal zusammenbrechen zu lassen. Also müssen wir ihnen so sehr wehtun, dass sie ihr Vorhaben nicht mehr in die Tat umsetzen können.«

Desjani warf ihm einen herausfordernden Blick zu. »Sie wissen, was Schlachtkreuzer tun, Captain Geary.«

»Oh ja.« Er hatte noch zwölf Schlachtkreuzer in seiner Flotte, von denen etliche schwer beschädigt waren. Aber sie verfügten über die Feuerkraft, die er benötigte, und sie waren in der Lage, sie dort zum Einsatz zu bringen, wo sie etwas bewirken konnte. »Wie schnell können wir fliegen, ohne dass uns die Brennstoffzellen ausgehen, sobald wir die Syndiks erreicht haben?«

Sie rechnete kurz. »0,14 Licht. Wird die Dauntless sie begleiten?«, fügte sie mit einer Mischung aus Sorge und Hoffnung an.

»Darauf können Sie wetten.« Er begann neue Formationen auszuarbeiten. »Wir müssen die Flotte aufteilen. Eine Formation, die aus den zwölf Schlachtkreuzern besteht und von den Leichten Kreuzern sowie einigen Zerstörern begleitet wird. Die andere Formation setzt sich zusammen aus den Schlachtschiffen, den Schweren Kreuzern und den restlichen Zerstörern.«

»Alles klar. Ich sorge dafür, dass das Zwölfte Leichte Kreuzergeschwader und das Dreiundzwanzigste Zerstörergeschwader bei den Schlachtschiffen bleiben. Ihr Bestand an Brennstoffzellen ist zu niedrig, als dass sie die Schlachtkreuzer begleiten könnten.«

»Gute Idee.« Sie arbeiteten beide in aller Eile und überprüften immer wieder gegenseitig ihre Resultate. Dann übermittelte Geary die Befehle. »Alle Einheiten der Allianz-Flotte, führen Sie bei Zeit zwei eins null fünf die angehängten Steuerbefehle aus.« Er hielt inne und ging die Liste der Schlachtschiffe durch. Die Warspite. Sie hatte sich bewährt. »Captain Plant, Sie sind der Befehlshaber der Schlachtschiff-Formation. Sollte mir etwas zustoßen, müssen Sie alles in Ihrer Macht Stehende versuchen, um die Syndiks an der Zerstörung des Hypernet-Portals zu hindern.«

»Habe verstanden«, erwiderte Plant Sekunden später. »Viel Glück, Sir.«

Rione kam zu ihm und redete so leise, dass nur er sie hören konnte. »Captain Geary, Sie können die Dauntless nicht einer solchen Gefahr aussetzen.«

»Madam Co-Präsidentin«, gab er genauso leise zurück. »Wenn das Hypernet-Portal zusammenbricht, dann ist die Dauntless in Gefahr, ganz gleich wo sie sich in diesem Sternensystem aufhält. Wir müssen die Syndiks davon abhalten, und die Dauntless ist jetzt ein Zwölftel meiner Schlachtkreuzerstreitmacht. Sie wird von ihren Schwesterschiffen gebraucht.«

Rione schnaubte aufgebracht, kehrte aber ohne ein weiteres Wort auf ihren Platz zurück.

»Danke, Sir«, wisperte Desjani.

»Wir müssen die Syndiks schlagen und selbst überleben, Captain Desjani. Können wir das schaffen?«

»Wir werden verdammt noch mal unser Bestes geben, Sir.«

Auf dem Display teilten sich die glatten Formen der Allianz-Unterformationen. Gut die Hälfte der Schiffe bildeten eine einzelne Scheibe, zu der alle überlebenden Schlachtschiffe, die Schweren Kreuzer sowie eine brauchbare Anzahl an Zerstörern gehörten. Die Schlachtkreuzer, die meisten Leichten Kreuzer und die übrigen Zerstörer glitten vorwärts und nahmen die Form einer kleineren Scheibe an, die sich auf einen Vektor begab, der sie zwischen die Reserveflotte und das Hypernet-Portal bringen würde.

Geary verspürte eine gewisse Erregung, als die Schlachtkreuzer vorpreschten und sich dem Feind mit einer Beschleunigung näherten, mit der es Schlachtschiffe niemals aufnehmen konnten. Er war nie zuvor Teil einer großen Schlachtkreuzerformation gewesen, die sich geradewegs auf den Gegner stürzte. Zwar machte die Vernunft ihn darauf aufmerksam, wie schwach die Panzerung und die Schilde seiner Schiffe waren, und er wusste auch, dass diese Streitmacht nicht mehr viele Treffer einstecken konnte, doch das änderte nichts an der völlig irrationalen Begeisterung, die dieser Sturmlauf bei ihm auslöste.

Es war kein kluger Zug, doch – bei seinen Vorfahren – es fühlte sich großartig an.

Er fragte sich, wie viele seiner Schlachtkreuzer diese Attacke überleben würden.

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