Zwei

Der Konferenzraum an Bord der Dauntless war nicht sehr groß, an seinem Tisch konnten bestenfalls ein Dutzend Teilnehmer Platz finden. Doch die Software für die virtuellen Konferenzen passte die Größe des Raums und die Ausmaße des Konferenztischs an die Anzahl der Teilnehmer an, sodass Geary am Kopfende eines extrem langen Tischs stand, an dem hunderte Offiziere Platz genommen hatten. Außer ihm selbst waren Captain Desjani und Co-Präsidentin Rione die einzigen Personen, die real anwesend waren. So ungern er auch diese Besprechungen einberief, musste er dennoch zugeben, dass diese Software eine äußerst beeindruckende Leistung darstellte. Immerhin hielt die Tatsache, dass die Teilnehmer im eigentlichen Sinne gar nicht zugegen waren, alle davon ab, irgendeinem anderen an die Gurgel zu gehen, wenn eine Besprechung allzu hitzig wurde.

Bedauerlicherweise war nicht zu erwarten, dass es bei dieser Zusammenkunft zu einem solch offenen Schlagabtausch kommen würde. So sehr es ihm auch zuwider gewesen war, sich mit Leuten wie Numos, Casia oder Midea Wortgefechte zu liefern, hatte ihre unverhohlen feindselige Art doch deutlich gemacht, wen er im Auge behalten musste. So etwas wäre ihm jetzt sehr gelegen gekommen, hätte er auf diese Weise doch feststellen können, wer in dieser Flotte etwas an seinem Kommando auszusetzen hatte. Doch wer auch immer die treibende Kraft sein mochte, er schien den Großteil seiner menschlichen Schilde aufgebraucht zu haben. Trotzdem blieb er nach wie vor im Verborgenen, was umso frustrierender war. Wäre von diesen Unbekannten lediglich eine Gefahr für sein Kommando ausgegangen, dann hätte er nicht so viel Sorge darauf verschwenden müssen, denn seit der zweiten Schlacht bei Lakota hatte er einen guten Stand bei den Matrosen und bei den meisten Offizieren. Aber seine im Geheimen agierenden Gegner hatten mehr als einmal bewiesen, dass sie bereit waren, notfalls auch ein paar Kriegsschiffe der Flotte in Gefahr zu bringen, nur um Geary zu schaden. Es ging ihnen nicht länger darum, ihn zu Fall zu bringen, man war vielmehr dazu übergegangen, Attentate auf ihn und seine Befürworter zu verüben. Das bedeutete in der Praxis, dass man die Schiffe zu vernichten versuchte, auf denen sie sich aufhielten.

Geary aktivierte das Sternendisplay, das über dem Konferenztisch auftauchte. »Zunächst einmal möchte ich mich entschuldigen, dass ich Ihnen meine Absichten erst mit Verspätung mitteile. Wir haben Dilawa vollständig geplündert und alles an Bord genommen, was wir irgendwie verwenden können. Die Flotte hat bereits den Befehl erhalten, Kurs auf den Sprungpunkt nach Heradao zu nehmen.« Auf dem Display wurde der geplante Kurs der Allianz-Flotte als eleganter Bogen dargestellt, der sich durch die leeren Regionen des Dilawa-Systems zog. »Wir hoffen, dass sich die Kriegsgefangenen immer noch im Heradao-System befinden. Falls ja, werden wir sie befreien.«

»Dann müssen wir mit ihnen zusammen aber auch noch mehr Lebensmittel befreien«, meinte Captain Tulev unverblümt. »Was wir haben, ist nicht genug.«

Commander Neeson von der Implacable schüttelte den Kopf. »Wir können nie genug Lebensmittel an Bord holen, es sei denn, wir würden einen kompletten Lagerhausbezirk besetzen und ausräumen, aber das übersteigt die Möglichkeiten unserer Marines. Außerdem können wir den Syndiks nicht vertrauen, wenn sie diejenigen sind, die uns die Lebensmittel aushändigen, und wir sind auch nicht in der Lage, alles gründlich zu testen, bevor wir es an Bord bringen.«

»Laut den alten Aufzeichnungen sind bei Heradao zweitausend Kriegsgefangene interniert«, betonte Tulev. »Dass wir sie befreien müssen, finde ich auch. Räumlich sind wir in der Lage, sie unterzubringen. Einige unserer Schiffe sind durch Verluste bei den Gefechten ein wenig unterbesetzt, obwohl wir bereits die Überlebenden der aufgegebenen Schiffe an Bord genommen haben. Die anderen Schiffe können bis zur Rückkehr ins Allianz-Territorium zusätzliches Personal unterbringen. Problematisch ist die Versorgung mit Nahrungsmitteln.«

»So problematisch wie die Versorgung mit Brennstoffzellen, meinen Sie?«, warf Captain Armus von der Colossus grummelnd ein.

Geary hob eine Hand, um Ruhe einkehren zu lassen. »Es fehlt uns an allem. Die Logistiksysteme kalkulieren trotzdem, dass wir zweitausend befreite Kriegsgefangene an Bord holen können, ohne auf dem Weg ins Allianz-Gebiet plötzlich ganz ohne Nahrung dazustehen. Allerdings müssen die Rationen abermals gekürzt werden.«

»Und wenn wir unterwegs aufgehalten werden?«, wollte Tulev wissen.

»Wir können es uns nicht leisten, noch einmal aufgehalten zu werden«, gab Geary zurück. »Lebensmittel und Brennstoffzellen haben einen kritischen Stand erreicht, und die einzige Quelle, die uns Nachschub liefern kann, befindet sich daheim im Allianz-Gebiet. Wir werden weiterfliegen und kämpfen. Bislang haben wir uns viel Mühe damit gegeben, die Syndik grübeln zu lassen, auf welchem Weg wir nach Hause zurückkehren. Von jetzt an geht es auf direktem Weg vorwärts.« Viele Anwesende lächelten erleichtert, während Geary den Maßstab veränderte, doch dann wich bei den meisten das Lächeln einer besorgten Miene.

Armus war derjenige, der die Sorge als Erster in Worte fasste. »Eine direkte Route macht es wahrscheinlicher, dass wir auf eine Blockade durch die Syndiks stoßen. Wie sollen wir uns den Weg freikämpfen, wenn wir nicht über genug Brennstoffzellen verfügen?«

Am besten, indem wir zu unseren Vorfahren beten, dass ein Wunder geschieht, ging es Geary durch den Kopf, der aber nur zu gut wusste, dass das Hoffen auf ein göttliches Einschreiten keine brauchbare Grundlage für strategische Entwürfe war. »Indem wir so intelligent kämpfen, dass wir die Brennstoffzellen so wenig wie möglich strapazieren. Notfalls werden wir versuchen, um die Blockade herumzufliegen, damit wir die Syndiks hinter uns lassen, die dann nichts anderes tun können, als uns zu verfolgen.«

Diese eigentlich ganz vernünftige Idee löste ringsum missbilligende Blicke aus. Sie stand in krassem Widerspruch zu den primitiven Konzepten von Ehre und Tapferkeit, die für mindestens eine Generation das Verhalten der Flotte bestimmt und verheerende Verluste nach sich gezogen hatten. Aber Geary hatte inzwischen genügend Erfahrung mit dieser Einstellung gesammelt, um zu wissen, wie er diese Leute doch noch zufriedenstellen konnte. »Sobald wir unsere Bestände an Brennstoffzellen und Munition aufgestockt haben, können wir umkehren, oder aber wir überlassen sie den Allianz-Kriegsschiffen, die während unserer Abwesenheit die Grenzen verteidigt haben. Sie verdienen auch eine Gelegenheit, ihr Können unter Beweis zu stellen.«

Sofort hellten sich die unzufriedenen Mienen auf, und hier und da war sogar wieder ein Lächeln zu sehen.

»Wir müssen damit rechnen, dass die Syndiks bei Heradao alles zusammengezogen haben, was sie noch an Schiffen aufbieten können, weil das für uns der direkteste Weg nach Hause ist. Wenn sich eine Syndik-Flotte bei Heradao befindet, werden wir kämpfen, weil unser Vorrat an Brennstoffzellen dort noch dazu reicht.«

Er blickte zu Captain Desjani, die sich nicht anmerken ließ, dass er praktisch ihren Ratschlag als seinen eigenen Entschluss ausgab. Ich kann es mir nicht leisten, Gerüchten Nahrung zu geben, ich würde irgendwen begünstigen, aber wenn das hier vorbei ist, dann werde ich dafür sorgen, dass Desjani und Leute wie sie so für ihre Leistungen gewürdigt werden, wie sie es verdient haben, nahm sich Geary vor, während er auf einen hell leuchtenden Stern zeigte. »Von Heradao aus nehmen wir Kurs auf Padronis, von dort auf Atalia.«

Ein Seufzen schien sich bei den Anwesenden zu regen, als Captain Badaya von der Illustrious aussprach, was vermutlich jeder in diesem Moment dachte: »Und Atalia befindet sich in Sprungreichweite nach Varandal.«

»Genau«, stimmte Geary ihm zu. »Allianz-Territorium, und zugleich die höchste Konzentration an Flotteneinrichtungen in der gesamten Region. Sobald wir Varandal erreicht haben, können wir Vorräte an Bord nehmen, so viel wir wollen.«

»Ein forsches Auftreten ist auf jeden Fall erforderlich«, meinte Captain Caligo vom Schlachtkreuzer Brilliant. »Die Allianz benötigt uns und jeden Kriegsgefangenen, den wir befreien und mit nach Hause bringen können.«

Gegen diese Aussage gab es nichts einzuwenden, zustimmendes Gemurmel ertönte. Geary nahm sich einen Moment Zeit, um Caligo zu mustern. Der Mann hatte bei diesen Zusammentreffen bislang fast immer geschwiegen, erst seit Kurzem meldete er sich hin und wieder zu Wort. Etwas Bemerkenswertes oder Wichtiges hatte Caligo nicht zu sagen, stattdessen sprach er immer Dinge aus, die bei fast jedem Zustimmung auslösten.

»Unser Geheimdienst ist der Ansicht, dass der Bestand an Minen der Syndiks immer noch sehr niedrig sein muss, wenn man berücksichtigt, wie viele Minen sie in den Sternensystemen rund um Lakota ausgelegt haben, um uns zu erwischen«, redete Geary weiter. »Wir führen trotzdem ein vorprogrammiertes Ausweichmanöver durch, sobald wir Heradao erreicht haben. Beim Verlassen des Sprungpunkts werden alle Schiffe gefechtsbereit sein. Irgendwelche Fragen?«

»Was ist mit Kalixa?«, warf Captain Kila ein. »Das liegt auch auf dem Heimweg, und es gibt dort ein Hypernet-Portal.« Auch wenn sie es wohl beiläufig hatte fragen wollen, hatte ihr Tonfall etwas Forderndes. Dass Diplomatie nicht Kilas Stärke war, wusste Geary schon länger.

»Wir fliegen nicht nach Kalixa«, antwortete er. »Die Risiken, die von einem Hypernet-Portal der Syndiks ausgehen, sind einfach zu groß.«

Kira spielte die Erstaunte. »Sind Risiken denn ein Problem für diese Flotte? Wir haben keine Angst vor dem, was die Syndiks tun könnten, Captain Geary. Außerdem wäre das eine gute Gelegenheit, dem Feind noch mehr Schaden zuzufügen, indem wir ein weiteres Sternensystem auslöschen.«

»Entschuldigen Sie, Captain Kila«, meldete sich ein fassungsloser Commander Neeson zu Wort. »Aber Sie waren doch mit uns bei Lakota, nicht wahr? Unsere eigene Flotte wäre da fast vernichtet worden.«

»Ist sie aber nicht«, hielt Kila forsch dagegen. »Aus übertriebener Angst vor einer feindlichen Reaktion gar nicht erst zur Tat zu schreiten, ist nicht das, was man von einem Befehlshaber dieser Flotte erwarten sollte, erst recht nicht von einem Befehlshaber eines Schlachtkreuzers.«

Neesons Gesicht lief vor Wut rot an. »Wollen Sie mir etwa Feigheit unterstellen?«

»Ruhe!«, ging Geary dazwischen. »Alle beide! Captain Kila, Ihre Äußerung war unangemessen.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich wollte niemanden beleidigen, sondern nur feststellen …«

»Das reicht jetzt.« Er sah, wie Kilas Augen trotzig aufblitzten, als er ihr ins Wort fiel. »Commander Neeson hat seine Tapferkeit viele Male demonstriert, und ich werde es nicht dulden, wenn die Befähigung und der Mut irgendeines Angehörigen dieser Flotte ohne guten Grund infrage gestellt werden.«

Sofort meldete sich Captain Cresida zu Wort, die offensichtlich nur auf eine Gelegenheit gewartet hatte. »Außerdem hat Commander Neeson recht. Als das Hypernet-Portal bei Lakota kollabierte, bewegte sich die Energieentladung am unteren Ende der theoretischen Skala. Ich möchte Captain Kila daran erinnern, dass die Entladung am oberen Ende einer Nova entspricht. Kein Schiff könnte sich im gleichen System aufhalten und das überleben, selbst wenn es sich an dem Punkt befindet, der vom Portal am weitesten entfernt ist.«

»Theoretisch«, gab Kila ironisch zurück. »Weder bei Sancere noch bei Lakota haben wir so etwas erlebt, also ist ja vielleicht die Theorie verkehrt. Vielleicht können wir ohne Gefahr für uns selbst die Portale als Waffen nutzen und ganze Sternensysteme der Syndiks ausradieren, damit sie endlich für das bezahlen, was sie uns in diesem Krieg angetan haben!«

»Diese Aussage«, konterte Cresida hitzig, »lässt erkennen, dass Sie ein völlig falsches Verständnis von dem haben, was über die Hypernet-Portale bekannt ist und was wir bei Sancere und Lakota an Daten gesammelt haben.«

»Es reicht jetzt«, ging Geary abermals dazwischen. »Captain Cresida hat recht. Wir müssen hier nicht über wissenschaftliche Grundlagen diskutieren. Captain Kila, ich empfehle Ihnen, sich künftig erst einmal mit den Fakten vertraut zu machen, bevor Sie Vorschläge über unsere Vorgehensweise unterbreiten.« Kila lief angesichts dieser unverhohlenen Zurechtweisung rot an.

Der Captain der Daring nickte. »Was die Frage angeht, inwieweit es möglich ist, die Zerstörung eines Hypernet-Portals zu überstehen, muss ich wohl nur daran erinnern, was mit den Syndik-Kriegsschiffen passiert ist, die bei Lakota ihr eigenes Portal sabotiert haben.«

»Unsere Schiffe …«, begann Kila von Neuem.

»Bei Sancere befand sich mein Schiff genau vor dem kollabierenden Portal, während die Inspire weit entfernt gewesen war! Ich habe am eigenen Leib erfahren, was es heißt, sich in der Nähe eines kollabierenden Hypernet-Portals aufzuhalten. Ganz gleich, was Sie dazu zu sagen haben, ich möchte so etwas nicht noch einmal mitmachen müssen. Glück und die lebenden Sterne waren das Einzige, was uns bei Sancere und Lakota gerettet hat.«

»Glück, Mut und Verstand«, fügte Geary hinzu. »Solange diese Flotte weiter die beiden Letzteren einsetzt, können wir uns das Erstere für Notfälle aufsparen. Und was die Verwendung von Hypernet-Portalen als Waffen zur Vernichtung ganzer Sternensysteme angeht, habe ich bereits deutlich gemacht, dass ich eine solche Maßnahme niemals anordnen werde. Weder die lebenden Sterne noch unsere Vorfahren würden jemals eine Grausamkeit von solchen Ausmaßen gutheißen.«

»Wie es scheint«, stellte Captain Duellos fest, »gibt es dann also keinen Grund, Kurs auf Kalixa zu nehmen.«

Kila warf ihm einen zornigen Blick zu, während Captain Caligo sich erneut zu Wort meldete: »Wir sind eine Flotte, wir glauben alle an die gleichen Dinge. Streitigkeiten wie diese sorgen nur dafür, dass wir uns in verschiedene Lager spalten. Das würde dem Feind gefallen.«

Wieder nickten die meisten Anwesenden zustimmend. Geary konnte dem Mann ebenfalls nicht widersprechen, und aus einem unerfindlichen Grund ließen seine Ausführungen sogar Kila verstummen.

»Sonst noch Fragen?« Geary sah in die Runde.

Weitere Fragen wurden nicht gestellt, und damit endete die Konferenz. In aller Eile lösten sich die Bilder der Teilnehmer auf, und der Raum schrumpfte rasch wieder auf seine wahre Größe zusammen.

Captain Duellos blieb noch einen Moment länger. »Ich muss gestehen, ich war verwundert, dass wir uns nicht schon viel früher auf den Weg nach Dilawa gemacht haben.«

»Mir musste man erst mit einem Ziegelstein Vernunft einhämmern«, räumte Geary ein.

»Ah, verstehe. Na, dann können Sie ja von Glück reden, dass Captain Desjani zugegen war, um Ihnen dabei unter die Arme zu greifen.«

Desjani schaute Duellos wütend an. »Haben Sie momentan nichts Wichtigeres zu erledigen, Roberto?«

Der Captain nickte und begann zu lächeln. »Wenn Sie wieder mal einen Ziegelstein benötigen, sagen Sie mir Bescheid, Tanya.«

»Werde ich machen. Er hat einen ziemlichen Dickkopf. Ich schätze, Sie haben einen ganzen Vorrat an Ziegelsteinen, damit Sie nicht mit leeren Händen dastehen, wenn es eine Auseinandersetzung mit Kila gibt.«

»Sie ist es nicht wert, Zeit mit ihr zu vergeuden«, sagte Duellos verächtlich. »Mit der rede ich nur, wenn es dienstlich erforderlich ist.«

Geary verzog den Mund. »Ich bin nur froh, dass sie von sich aus den Mund gehalten hat, bevor ich ihr einen Befehl hätte geben müssen.«

»Nicht mal Kila konnte etwas gegen das einwenden, was Caligo gesagt hat.«

»Oh doch, Kila kann das«, hielt Desjani dagegen. »Selbst die belangloseste Bemerkung kann sie einem im Mund umdrehen. Deshalb war ich sehr überrascht, dass sie so abrupt klein beigegeben hat.«

Duellos schürzte nachdenklich die Lippen. »Das stimmt, allerdings klingt das so, als würden Sie Kila und Caligo unterstellen, dass sie irgendeine Art von Abmachung getroffen haben. Die beiden haben aber nichts miteinander zu schaffen. Ich kenne niemanden, der die zwei jemals gemeinsam gesehen hat, außer natürlich bei diesen Konferenzen. Außerdem sind sie nicht gerade Seelenverwandte.«

»Dem kann ich nicht widersprechen«, stellte Desjani fest.

»Wie gut kennen Sie Captain Kila?«, wollte Geary wissen.

Desjani zuckte mit den Schultern. »Ich hatte bislang wenig Kontakt mit ihr, aber das hat auch mit dem zu tun, was ich von Freunden und Bekannten über sie gehört habe. Und das war nicht gerade wenig.«

»Und was genau war das?«

Wieder reagierte sie mit einem Schulterzucken. »Na ja, man erzählt sich, dass Kila ein Miststück ist und bei der geringsten Provokation in die Luft geht.«

»Das klingt nach einem guten Argument, um ihr aus dem Weg zu gehen«, stellte Geary fest.

»Und es ist eine absolut zutreffende Beschreibung«, warf Duellos ein.

»Wie hat sie es mit dieser Einstellung denn bis zum Captain geschafft?«

Desjani sah Geary skeptisch an. »Ist das Ihr Ernst? Ihre Persönlichkeit lässt sie nur raushängen, wenn sie mit Untergebenen redet oder aber mit Gleichrangigen, die bei der nächsten Gelegenheit zu einer Beförderung ihre Rivalen darstellen könnten. Was ihre Vorgesetzten angeht, da weiß sie sich immer tadellos zu benehmen.«

»Oh.« Das war von ihm eine dumme Frage gewesen. Immerhin war er während seiner Dienstzeit vor über hundert Jahren ganz ähnlichen Leuten begegnet, und seltsamerweise schafften Kriege es immer wieder, den Verlust ausgerechnet solcher Individuen zu vermeiden.

»Das zeigt also«, fuhr Duellos fort, »dass Kila nicht der Typ ist, um mit irgendeinem blassen Offizier gemeinsame Sache zu machen, der ihrem Ehrgeiz nicht von Nutzen sein kann. Caligo ist jemand, den Kila allein zum Spaß vernaschen würde.«

»Was aber nicht heißt, dass die beiden gemeinsam im Bett landen könnten«, stellte Desjani klar.

»Autsch.« Duellos zog eine schmerzhafte Miene. »Ich weiß, Sie haben das nur im übertragenen Sinn gemeint, aber ich habe jetzt dieses Bild vor Augen. Oh bitte, das will ich nicht sehen müssen! Wenn Sie erlauben, Captain Geary, würde ich jetzt gern duschen gehen.«

Nachdem Geary zugesehen hatte, wie Duellos’ Bild sich auflöste, drehte er sich kopfschüttelnd zu Desjani um. »Ich bin froh, dass ich Sie beide auf meiner Seite habe.« Als er bemerkte, dass Rione den Konferenzraum verlassen wollte, sagte er rasch: »Könnten Sie noch kurz hier bleiben, Madam Co-Präsidentin?«

Rione blieb stehen und schaute zwischen Desjani und Geary hin und her. »Ich hatte gedacht, Sie beide möchten lieber ungestört sein.«

Darauf kniff Desjani die Augen zusammen und zog zornig die Oberlippe hoch, sodass ihre Zähne zum Vorschein kamen. »Vielleicht möchte Co-Präsidentin Rione das unter vier Augen wiederholen?«

»Ich hatte gehofft«, ging Geary sofort dazwischen, bevor Rione Desjani die Wahl der Waffen anbieten konnte, »Sie würden mich wissen lassen, ob Sie irgendetwas herausgefunden haben.«

Nun stand Rione da und schaute Desjani auf eine Weise an, die die unausgesprochene Frage beinhaltete, was die Befehlshaberin der Dauntless bei dieser Unterhaltung noch zu suchen hatte, aber Geary wartete einfach nur ab. Er brauchte einfach noch jemanden an seiner Seite, jemanden, der seinen persönlichen Eindruck bestätigen oder ihm widersprechen konnte. Schließlich schüttelte Rione den Kopf. »Was ich bislang herausgefunden habe, kann ich in einem Wort zusammenfassen: Nichts.«

»Überhaupt nichts?« Er rieb sich die Stirn und versuchte, seine Enttäuschung zu überspielen. »Ich weiß, wie gut Ihre Spione in dieser Flotte arbeiten, Madam Co-Präsidentin. Ich dachte …«

»Da diese Leute in Ihrem Interesse tätig sind, sollten Sie sie vielleicht als Agenten bezeichnen, Captain Geary.« Rione machte eine verärgerte Geste. »Die Saboteure, die versuchen, Ihr Kommando zu untergraben, und dafür den Tod zahlloser Kameraden in Kauf nehmen, gehen äußerst geschickt dabei vor. Sie haben nicht die geringste Spur hinterlassen, der man nachgehen könnte. Nicht einmal die Verhöre von Captain Numos, die Sie genehmigt haben, nachdem die Würmer in den Betriebssystemen verschiedener Schiffe festgestellt wurden, haben etwas ergeben. Numos selbst hat nicht die mindeste Ahnung, wer ihm so etwas anhängen will. Faresa hätte vielleicht etwas gewusst, aber sie ist bei Lakota umgekommen. Das Gleiche gilt für Falco, vorausgesetzt, er wäre in der Lage gewesen, lange genug Wahnvorstellungen und Realität voneinander zu unterscheiden, um etwas Brauchbares zu sagen. Captain Casia und Commander Yin können sich auch nicht mehr äußern, da sie bekanntlich bei einem für Ihre Gegner sehr praktischen Unfall umgekommen sind. Wenn Sie bislang Ihre Feinde in dieser Flotte in irgendeiner Weise unterschätzt haben sollten, dann hören Sie damit sofort auf. Wer immer dahintersteckt ist sehr geschickt und sehr gefährlich.«

»Das sind wir auch«, meinte Desjani.

Rione lächelte amüsiert. »Wagemut mag gegen die Syndiks von Nutzen sein, aber damit kommen Sie bei diesem Feind nicht weiter.«

»Das ist uns bekannt«, warf Geary ein, bevor Desjani eine weitere Salve auf Rione abfeuern konnte. »Was ist mit Kila? Sie tut mit jedem Mal etwas lauter kund, dass sie mit meiner Art des Kommandos nicht zufrieden ist.«

Aus Riones Belustigung wurde prompt Verärgerung. »Wie Ihre Offiziere schon sagten und wie es mir von meinen Agenten bestätigt wird, ist Kila zu unbeliebt, als dass man sie als Befehlshaberin dieser Flotte akzeptieren würde. Aber sie ist auch zu arrogant und – im Gegensatz zu Numos – zu intelligent, um sich von anderen für deren Zwecke benutzen zu lassen. Wie es scheint, kommt jetzt ihre wahre Persönlichkeit zum Vorschein, nachdem sie gemerkt hat, dass sie bei Ihnen nicht landen kann, wenn sie versucht, sich genauso einzuschmeicheln wie bei ihren anderen Vorgesetzten. Sie hat noch nie versucht, Sie zu verführen, oder?«

»Was?«

»Nun, es gibt Hinweise darauf, dass das eine ihrer Taktiken sein könnte, um schneller Karriere zu machen. Aber das kann auch nur Tratsch von Leuten sein, die sie nicht ausstehen können. Sie sagen also, dass sie das bei Ihnen noch nicht versucht hat.«

»Nein!« Aus dem Augenwinkel bemerkte er Desjanis Blick, der ihm verriet, dass sie sich am liebsten auf Rione gestürzt hätte. »Wir sind bislang nicht mal gemeinsam auf einem Schiff gewesen!«

Rione nickte bedächtig. »Das könnte es allerdings erklären. Aber abgesehen davon dürfte sie Ihren Ruf gut genug kennen, um zu wissen, dass ein solcher Versuch ohnehin vergeblich wäre.«

»Vielen Dank.« Sie schien genau zu wissen, wie sie ihn mit einer passenden Bemerkung verwirren konnte.

»Aber Kila würde sich nicht als menschlicher Schutzschild vor die eigentlichen Drahtzieher stellen«, überlegte Rione laut. »Wenn sie dahintersteckt, warum sollte sie dann die Aufmerksamkeit auf sich lenken?«

»Wenn meine Feinde so schlau sind, wie wir es glauben, würde sie es nicht machen«, meinte Geary kopfschüttelnd. »Die Leute von der Systemsicherheit halten Ausschau nach weiteren Würmern, aber sie können nicht ausschließen, dass es immer noch irgendwo ein Hintertürchen zu den Kontrollsystemen gibt, von dem sie nichts wissen. Was können wir noch tun?«

»Ich weiß es nicht.« Rione war deutlich anzumerken, wie frustriert sie war. »Stimmt es, dass Ihnen keine weiteren Angebote gemacht worden sind, Diktator zu werden?«

»Nicht in den letzten Tagen.«

»Das Einzige, das einem solchen Schritt noch im Weg steht«, sagte Rione, »ist die Strecke, die wir noch bis ins Allianz-Gebiet zurücklegen müssen. Und natürlich jede Streitkraft, mit der die Syndiks aufwarten können.«

»Und ich ebenfalls«, betonte Geary. »Ich werde mich nicht zum Tyrann aufschwingen.«

Rione sah ihn gelangweilt an. »Wieso glauben Sie, das sei ein entscheidender Faktor? Wenn wir Varandal erreicht haben, werden diejenigen, die wollen, dass Sie die gewählten Führer zum Teufel jagen, erwarten, dass Sie entsprechend handeln.«

Diesmal legte Desjani mit abweisender Stimme Widerspruch ein. »Captain Geary wird seinen Eid gegenüber der Allianz nicht brechen, ganz gleich, wie schlecht die Politiker der Allianz ihre Arbeit auch machen.«

Rione nahm von der Bemerkung keine Notiz und sagte gezielt an Geary gerichtet: »Diese Leute werden Ihr Nein nicht ewig akzeptieren. Die wissen auch, dass der größte Teil der Flotte ihnen Rückhalt geben wird, wenn sie auf die Idee kommen, angeblich in Ihrem Namen zu handeln. Keiner von denen benötigt Ihre Erlaubnis für einen Staatsstreich. Sie müssen davon ausgehen, dass diese Leute einfach handeln werden, um Sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. Was Sie brauchen, ist ein Plan, wie Sie dieses Problem aus der Welt schaffen, bevor die Allianz-Regierung gestürzt wird.«

»Also gut.« Ihm entging nicht, dass Rione ihm im Wesentlichen den gleichen Ratschlag wie zuvor Desjani gegeben hatte. Allerdings würde er ihr gegenüber davon kein Wort verlauten lassen. »Haben Sie irgendeinen Vorschlag, wie so ein Plan aussehen könnte?«

»Hätte ich mit anderen Politikern zu tun, dann wäre das kein Problem«, erwiderte sie und sah ihn mit überzogen nachdenklicher Miene an. »Aber mit einem militärischen Verstand habe ich immer noch so meine Schwierigkeiten.«

Geary warf Desjani einen Seitenblick zu. »Vielleicht sollten wir es mit einem militärischen Blickwinkel versuchen. Stellen Sie sich das Ganze als ein militärisches Problem vor, als eines von Strategien und Taktiken.«

Riones Minenspiel veränderte sich, als würde sie intensiv darüber nachdenken. »Das könnte hilfreich sein.«

Dass Desjani dabei den Mund zu einem ganz und gar unmilitärischen Grinsen verzog, konnte Rione von ihrer Position aus nicht sehen.

Geary versuchte daraufhin, ihr unauffällig einen warnenden Blick zuzuwerfen, aber natürlich bekam Rione das mit, drehte sich um und schaute Desjani argwöhnisch an. Allerdings war es zu spät, als dass sie den spöttischen Gesichtsausdruck noch hätte sehen können.

»Schaffen Sie das?«, fragte Rione an Geary gewandt. »Können Sie Ihren Leuten in deren Jargon klarmachen, dass sie nicht eigenmächtig handeln sollen?«

»Das versuche ich ja, aber bislang ist mir noch kein wirklich überzeugendes Argument eingefallen.«

Diesmal schnaubte Rione verächtlich. »Stellen Sie sich eine Katastrophe vor, denn genau das wäre ein Militärcoup. Die größte Katastrophe, die Sie sich ausmalen können.«

Desjani zog eine Augenbraue hoch. »Das hört sich an wie eine Beschreibung dessen, was dieser Flotte im Heimatsystem der Syndiks widerfahren ist.«

»Das ist gut«, erklärte Rione. »Das ist wirklich gut. Ein Vorfall, der noch nicht lange zurückliegt, ein einschneidendes Erlebnis, das noch ganz frisch in den Erinnerungen liegt. Etwas, das im ersten Moment vielversprechend klang, das sich aber als ein Debakel entpuppte, durch das wir den Krieg hätten verlieren können. Bestimmt fällt Ihnen etwas Gutes ein, was Sie daraus machen können.«

Geary nickte. »Jetzt muss ich bloß noch wissen, wer in dem Plan der Feind sein soll.«

»Das ist das Einfachste überhaupt«, stöhnte Rione aufgebracht. »Fragen Sie Captain Desjani, sie wird es Ihnen sagen. Oder fragen Sie Captain Badaya. Wer ist daheim der Feind? Ich, und mit mir jeder andere Politiker. Das ist es, was die Leute glauben.« Daraufhin nickte Desjani knapp und ohne jede Spur von Ironie. »Sehen Sie? Ihre Strategie sollte auf dem aufbauen, was Leute wie Badaya für die Wahrheit halten. Dann werden sie viel leichter glauben, was Sie ihnen sagen. Testen Sie Ihre Ideen an ihr, sie hat diesen militärischen Verstand. Außerdem gibt es niemanden, dem Sie mehr vertrauen können als ihr.« Dieses Lob kam so unerwartet, dass Desjani und Geary ihr Erstaunen nicht verbergen konnten. Das wiederum ließ ein flüchtiges Lächeln in Riones Gesicht erscheinen. »Ich bin weder blind noch dumm. Wenn Sie nicht zulassen, dass diese Frau Ihnen Rückendeckung gibt, dann sind Sie ein Idiot, Captain Geary. Die Frage ist nur: Wird sie es Ihnen sagen, wenn sie das Gefühl hat, dass Ihre Ideen nicht wirkungsvoll genug sind?«

Geary verzog seinerseits den Mund zu einem ironischen Lächeln. »Ich bin fest davon überzeugt, dass Captain Desjani mich davon in Kenntnis setzen wird, wenn ich nicht glaubwürdig wirke.«

»Gut. Ich möchte nämlich nicht, dass die Regierung der Allianz von irgendwem gestürzt wird, der angeblich im Namen jenes Helden handelt, dessen Legende von dieser Regierung überhaupt erst geschaffen wurde. Und ich möchte auch nicht mit Ihnen zu tun haben, falls es dazu kommt und Sie zu dem Schluss gelangen, dass Ihnen diese Rolle ja doch gefallen könnte.« Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ den Konferenzraum.

»War das gerade eine Drohung?«, fragte Desjani, nachdem sich die Luke hinter Rione geschlossen hatte.

»Ja, und nicht die Erste, auch wenn ich meine, dass es das erste Mal ist, dass sie das nicht nur unter vier Augen gemacht hat.«

»Warum lassen Sie ihr das durchgehen?«

»Weil es Momente gibt«, antwortete er, ohne den Blick von der Luke abzuwenden, »in denen ich nicht weiß, ob ich mir selbst über den Weg trauen kann. Und dann bin ich froh, wenn jemand da ist, der eine Drohung gegen mich ausspricht.«

Desjani dachte über seine Worte nach. »Ich muss zugeben, dass sie in einigen Punkten sogar recht hat. Unter anderem in dem Punkt, dass ich Ihnen Rückendeckung geben sollte.«

»Ich weiß, aber Sie haben der Allianz gegenüber ebenfalls einen Eid abgelegt.«

Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben bereits darüber gesprochen. Sie werden Ihren Eid nicht brechen, und deshalb werde ich auch nicht gezwungen sein, gegen meinen Eid zu verstoßen. Wieso vertrauen Sie ihr eigentlich?«

Diese Frage war berechtigt, wenn man in Erwägung zog, dass Rione eine Politikerin war. Mit großem Entsetzen hatte Geary erfahren müssen, dass die Flottenoffiziere den gewählten Führern der Allianz mit dem ärgsten Misstrauen begegneten, das man sich vorstellen konnte. Jetzt deutete er mit einer leichten Kopfbewegung auf die Luke, durch die Rione den Konferenzraum verlassen hatte. »Auch wenn sie mir und allen anderen eine Menge verheimlicht, bin ich trotzdem fest davon überzeugt, dass es zwei Dinge gibt, die Victoria Rione zutiefst liebt. Das eine ist ihr Ehemann, über den wir herausgefunden haben, dass er in Kriegsgefangenschaft geraten ist und womöglich noch lebt. Das andere ist die Allianz. Für die Allianz würde sie ihr Leben opfern, Tanya, so wie Sie und ich. Glauben Sie nicht, sie täte das nicht, nur weil sie keine Uniform trägt. Rione ist der Allianz treu ergeben, und ich glaube, sie ist so unbestechlich, wie es ein Mensch nur sein kann. Sie ist oft eine schreckliche Nervensäge, trotzdem können wir ihr vertrauen.«

»Ein Gutes hat Heradao«, meinte Desjani. »Wenigstens können wir da mühelos unsere Feinde identifizieren.« Dann merkte sie in einem für sie völlig untypischen, melancholischen Tonfall an: »Manchmal denke ich an die Zeit zurück, bevor wir Sie gerettet hatten. Damals lautete die Antwort auf alles: ›Tötet die Syndiks.‹ Sie waren der Feind. Der Sieg war unser, wenn wir genügend von ihnen getötet hatten. Es hat zwar nicht funktioniert, aber es war auch alles viel einfacher. Sie haben unser Leben viel komplizierter gemacht.«

»Die Syndiks sind nach wie vor der Feind«, entgegnete Geary. »Solange wir uns auf diese Tatsache konzentrieren, sollte das Ganze nicht zu kompliziert werden.«

»Sie bitten mich darum, einen Politiker zu respektieren«, hielt sie ihm vor Augen. »Das ist keine Leichtigkeit.«

Er musterte sie einen Moment lang und versuchte zu verstehen, wieso Flottenoffiziere wie Desjani der Allianz gegenüber treu ergeben sein konnten, wenn sie zugleich den gewählten Führern der Allianz keinen Respekt entgegenbrachten. Zum Teil war das sicher eine völlig verständliche, menschliche Einstellung, da jeder einen Sündenbock dafür benötigte, dass der Krieg keine Fortschritte machte. Zudem hatte Rione selbst ihm gegenüber eingeräumt, dass die politischen Führer der Allianz in vollem Umfang für ihr Handeln während der letzten hundert Jahre verantwortlich waren. Vielleicht war er ja in dieser Hinsicht ein lebender Anachronismus, ein Offizier, der daran glaubte, dass man den Führern der Allianz automatisch Respekt entgegenzubringen hatte, und für den alles andere einfach zu schwer zu akzeptieren war. »Ich denke, Sie werden mir einfach vertrauen müssen, wenn ich sage, wir können ihr vertrauen.«

Desjani gab einen mürrischen Laut von sich. »Ich werde mein Bestes geben, sie mit Respekt zu behandeln, weil das meine Pflicht als Offizier ist und weil Sie für sie bürgen, aber ich gehe nicht davon aus, dass ich ihr jemals werde vertrauen können.« Sie näherte sich der Luke, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Ich akzeptiere Ihr Urteil, weil ich Ihnen vertraue.«

Hunderte Kriegsschiffe und ihre Besatzungen vertrauten ihm, dass er sie nach Hause brachte. Das Schicksal der Allianz und vielleicht sogar der gesamten Menschheit hing von seinen Entscheidungen ab, aber es war das Vertrauen dieser einen Frau, das ihm wirklich wichtig war. Rione hatte einmal davon gesprochen, dass Leute eigentlich nie für eine große Sache kämpften, sondern dass sie aus den persönlichsten Gründen den Kampf wählten. Selbst wenn sie behaupteten, sich für irgendwelche hehren Ideale einzusetzen, kämpften sie in Wahrheit doch nur für die Kameraden an ihrer Seite und für die geliebten Menschen, die zu Hause saßen. Geary drehte sich um und betrachtete das Sternendisplay. Sein Blick wanderte von Heradao weiter zu Padronis, Atalia und schließlich Varandal. So nah. So weit waren sie gekommen. Und jetzt musste er sicherstellen, dass sie den Rest des Weges auch noch hinter sich brachten, ganz gleich, was bei Heradao auf diese Flotte wartete.

So viele Menschen vertrauten ihm, waren überzeugt davon, dass er in der Lage war, die Flotte nach Hause zu führen. Und einer von diesen Menschen war Tanya Desjani.

Bevor die Flotte Dilawa verließ, musste er noch eine weitere Besprechung einberufen. Sobald sie im Sprungraum waren, konnten nur noch einfache, kurze Nachrichten von Schiff zu Schiff übermittelt werden. Es handelte sich um eine kleine, erlesene Gruppe, mit der Geary reden wollte.

Wieder saß er im Konferenzraum, aber diesmal wirkte der Tisch nicht viel größer, als er tatsächlich war. Ringsum fanden sich die holographischen Bilder von Captain Duellos, Captain Tulev und Captain Cresida, während Geary, Desjani und Rione körperlich anwesend waren. »Wir nähern uns der Heimat«, begann Geary. »Wir sind noch nicht da, und ich rechne mit einem hässlichen Kampf bei Heradao oder einem der anderen Syndik-Sternensysteme, die wir noch durchqueren müssen. Aber wir haben allen Grund, davon auszugehen, dass wir mit den Syndiks zurechtkommen. Was wir allerdings nicht wissen – wie werden die Aliens reagieren, wenn diese Flotte es tatsächlich bis nach Hause schafft?«

Tulev erinnerte an einen Stier, als er behäbig nickte. »Die Aliens haben schon bei Lakota versucht, diese Flotte zu besiegen und zu vernichten. Daraus lässt sich folgern, dass es ihnen nicht gefallen wird, wenn wir unser Ziel wirklich erreichen.«

»Aber was werden sie unternehmen?«, fragte sich Cresida. »Wenn unsere Vermutungen zutreffen, dann könnten sie den Zusammenbruch aller Hypernet-Portale der Menschen auslösen. Werden sie tatsächlich diese Maßnahme ergreifen, wenn wir es nach Hause schaffen?«

»Das ist einer der Punkte, die mir Sorgen machen«, sagte Geary.

»Wir haben noch ein wenig Zeit«, erklärte Rione ruhig, aber entschieden. Alle sahen sie daraufhin fragend an, und sie deutete mit einer flüchtigen Handbewegung auf das über dem Tisch schwebende Sternendisplay. »Lassen Sie uns zuerst überlegen, was wir über ihre Taktiken wissen. Es scheint nicht so, dass sie gegen uns oder gegen die Syndiks direkt vorgegangen sind. Stattdessen haben sie uns dazu veranlasst, uns gegenseitig Verluste zuzufügen.«

»Das ist wohl wahr«, stimmte Duellos ihr zu.

»Was wissen die Aliens über diese Flotte?«, fuhr Rione fort. »Dass wir wissen, dass die Hypernet-Portale als extrem zerstörerische Waffen eingesetzt werden können. Wir müssen davon ausgehen, dass die Aliens durch Agenten oder Geheimdienstquellen auf unsere Erkenntnisse aufmerksam gemacht worden sind, bei denen es sich möglicherweise nur um automatisierte Würmer und Ähnliches handelt.«

»Die haben sie durch die Systeme auf unseren Schiffen eingeschleust«, merkte Cresida an. »Ich rede von diesen wahrscheinlichkeitsbasierenden Würmern auf Quantenebene. Wir glauben zwar, dass wir sie alle entdeckt und aus den Systemen getilgt haben, aber wir wissen nicht, ob sie in der Lage sind, neue zu aktivieren. Womöglich werden die sogar automatisch aktiviert, wenn bestimmte Ereignisse eintreten.«

»Ganz genau.« Rione zeigte auf dem Sternendisplay auf das Gebiet jenseits der Syndikatwelten. »Sie beobachten uns, sie verfolgen mit, wie wir reagieren. Angesichts dieser Erkenntnisse können die Aliens den logischen Schluss ziehen, dass die Allianz sich für den Einsatz dieser Waffen entscheiden wird, sobald sie von deren Existenz erfährt.«

Cresida bleckte die Zähne. »Ich glaube, damit haben Sie recht, Madam Co-Präsidentin. Sie werden abwarten, ob wir unseren politischen und militärischen Vorgesetzten erzählen, dass die Hypernet-Portale in den Syndik-Sternensystemen benutzt werden können, um die Syndiks auszulöschen. Und ob unsere politischen Führer daraufhin ein solches Vorgehen befehlen werden. Hätte ich von deren Warte aus zugesehen, wie dieser Krieg über ein Jahrhundert lang verlaufen ist, dann würde ich glauben, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis eine Seite mit dem Einsatz von Hyperportalen als Waffen beginnt. Und mir wäre klar, dass die andere Seite das natürlich in gleicher Weise beantworten wird.«

»Vielen Dank, Captain Cresida«, sagte Rione. »Und dabei werden die Aliens sich gemütlich zurücklehnen und in aller Ruhe zusehen, wie die Allianz ein Syndik-System nach dem anderen zerstört, während die Syndiks die gleiche Taktik bei den Allianz-Systemen anwenden. Die Aliens müssen keinen Finger rühren, und die Menschheit löscht sich mit den Waffen selbst aus, die die Aliens ihnen zur Verfügung gestellt haben.«

Geary nickte und bemerkte einen bitteren Geschmack im Hals. »Also werden sie erst noch eine Weile abwarten, um zu sehen, was wir machen. Das verschafft uns etwas Zeit.«

»Aber nicht sehr viel Zeit, Captain Geary«, ermahnte Rione ihn mit ernster Miene. »Nehmen Sie unsere Mutmaßung darüber wie dieser Krieg angefangen hat. Wir gehen davon aus, dass die Aliens die Syndiks zu einem Angriff auf uns verleitet haben, indem sie vorgegeben haben, deren Verbündete zu sein. Aber haben die Syndiks uns aus Habgier angegriffen? Oder haben die Aliens die Syndiks davon überzeugt, dass ein Angriff auf die Allianz eine gute Idee ist?«

»Wie sollte es ihnen gelungen sein, die Syndiks davon zu überzeugen?«, warf Desjani ein.

Rione reagierte mit einem derart eiskalten Blick, dass man glauben konnte, der Luftsauerstoff würde sich gleich verflüssigen. »Sie könnten ihnen alles Mögliche erzählt haben. Beispielsweise mithilfe falscher geheimdienstlicher Informationen, dass die Allianz einen Angriff auf die Syndiks plant.«

»Wir verfügten damals gar nicht über die nötigen Streitkräfte, um das auch nur zu versuchen«, wandte Geary ein.

»Das war den Syndiks aber nicht bekannt«, machte Rione ihm klar. »Warum hätten die Syndiks nicht glauben wollen, dass die Allianz irgendwo Streitkräfte versteckt hielt? Aber diese Details sind auch gar nicht weiter wichtig. Konzentrieren Sie sich nicht darauf. Wichtig ist, dass die Aliens die Syndiks dazu gebracht haben, uns anzugreifen. Das könnten sie wieder tun.«

»Wieder?« Captain Cresida beugte sich interessiert vor. »Und wie?«

»Wenn die Aliens den Eindruck bekommen, dass wir nichts unternehmen, könnten sie versuchen, uns dazu zu verleiten, die Hypernet-Portale als Waffen zu benutzen. Wir müssen davon ausgehen, dass sie auf dem Laufenden sind über das, was wir herausfinden, und wahrscheinlich werden sie uns keine Gelegenheit geben wollen, unsere Erkenntnisse zu nutzen. Wir haben spekuliert, dass die Aliens über eine Methode verfügen, um die Hypernet-Portale kollabieren zu lassen. Irgendein Signal, das in der Lage ist, sich mit Überlichtgeschwindigkeit zu bewegen.« Sie deutete auf verschiedene Sterne im Display. »Angenommen, ein paar Hypernet-Portale im Allianz-Gebiet brechen zusammen und zerstören das jeweilige Sternensystem. Wem würde die Allianz die Schuld geben?«

»Verdammt!« Geary hörte, dass auch die anderen leise fluchten. »Wenn wir den Völkermord nicht in Gang setzen, werden die Aliens uns oder die Syndiks provozieren, um den Eindruck entstehen zu lassen, dass die jeweils andere Seite damit bereits begonnen hat.«

Riones Blick schien in die Ferne gerichtet, aber er ruhte immer noch auf einem Stern auf der entlegenen Seite des Displays, ganz am Rand des Allianz-Gebiets. »Das Sol-System verfügt über ein Hypernet-Portal«, führte sie aus. »Die alte Erde steht in der Peripherie der Allianz. Sie ist von den Kriegen, die einst dort wüteten, geschwächt. Wir stammen von dort, auf den anderen Planeten des Systems liegen die ersten menschlichen Kolonien. Das ist die Heimat unserer ältesten und am höchsten verehrten Vorfahren, in ihrer Mitte der eine Stern, den wir als das bedeutendste Symbol der lebenden Sterne ansehen. Das System erhielt aus Respekt ein Portal, und um Pilgerreisen dorthin zu erleichtern, obwohl die Investition rein wirtschaftlich betrachtet nicht zu rechtfertigen ist.« Sie sah die anderen an. »Was, wenn die Menschen der Allianz glauben, die Syndiks hätten dieses Sternensystem zerstört?«

Mit ungewöhnlich rauer Stimme antwortete Duellos: »Nichts würde sie aufhalten, und kein Argument könnte sie umstimmen. Sie würden darauf bestehen, dass jeder Syndik dafür mit dem Leben bezahlt.«

»Teufel auch!« Geary fragte sich, warum sein Beitrag zu dieser Diskussion größtenteils aus Flüchen bestand. »Also gut, wir können davon ausgehen, dass uns eine kurze Verschnaufpause bleibt, sobald wir es nach Hause geschafft haben, weil die Aliens dann erst einmal herausfinden müssen, ob die Menschheit den Köder schluckt. Wenn wir nicht innerhalb eines Zeitraums zur Tat schreiten, den die Aliens für angemessen halten, werden sie versuchen, uns zu etwas zu provozieren, was die letzte Offensive der Menschheit werden könnte. Ich wünschte, ich wüsste, was sie von uns wollen.«

»Wir können das nicht wissen«, sagte Rione. »Wir glauben zu wissen, was sie getan haben. Sie scheinen kein Problem damit zu haben, uns Waffen in die Hand zu drücken und abzuwarten, dass wir sie gegen einander zum Einsatz bringen. Aber wir wissen nicht, ob es zu ihrer Strategie gehört, direkte Kampfhandlungen zu vermeiden, oder ob es vielleicht einen moralischen oder religiösen Aspekt ihrer Denkweise widerspiegelt.«

»Was sollte daran moralisch sein?«, wunderte sich Cresida.

»Aus der Perspektive der Aliens? Nun, sie könnten beispielsweise glauben, dass sie keine Schuld trifft, wenn sie uns mit ihren Waffen versorgen, solange wir diejenigen sind, die den Abzug betätigen. Ob das der Fall ist, kann ich nicht sagen. Es ist nur eine von vielen möglichen Erklärungen.«

»Genauso gut könnte es sein, dass es sich um eine völlig unmoralische Strategie handelt, mit der die Auslöschung der Menschheit auf effizienteste Weise gewährleistet wird«, warf Tulev ein. »Wir wissen nicht, was in den Köpfen dieser Aliens vor sich geht. Also müssen wir unsere Annahmen über ihr künftiges Verhalten auf dem aufbauen, was wir in der Vergangenheit beobachtet haben.«

»Ganz richtig. Bedauerlicherweise sieht es für uns sehr düster aus, was ihr künftiges Verhalten angeht, wenn wir unsere bisherigen Beobachtungen richtig gedeutet haben.« Geary wandte sich wieder an Rione. »Co-Präsidentin Rione, können Sie eine Liste der Sterne mit der höchsten symbolischen Bedeutung zusammenstellen? Wir werden sicherstellen müssen, dass in diesen Sternensystemen vor allen anderen die Hypernet-Portale mit einer Sicherung versehen werden, die einen Kollaps der Portale verhindert.«

»Glauben Sie, so etwas ist möglich? Die Meinungen über symbolische Bedeutungen gehen weit auseinander.« Sie musterte Geary lange und eindringlich. »Falls sie an einem massiven Vergeltungsschlag gegen die Syndiks interessiert sind, werden sie womöglich als Erstes das Heimatsystem des legendären Helden Black Jack Geary ins Visier nehmen.«

Sein Atem stockte, und mit einem Mal sah er nicht mehr den Raum, in dem er sich befand, sondern die Welt, auf der er aufgewachsen war. Die Welt, auf der seine Eltern und andere Angehörige beerdigt lagen. Sein Zuhause, auch wenn sich das in den letzten hundert Jahren sicherlich genauso verändert hatte wie alles andere auch. Er stellte sich vor, wie eine Schockwelle diese Welt traf, so wie es im Lakota-System mit dem dortigen Planeten geschehen war; eine Schockwelle, die aus einer angenehmen, dicht besiedelten Welt eine Hölle und ein Schlachthaus zugleich gemacht hatte.

Sollte er akzeptieren, dass seine Heimatwelt wichtiger war als andere Welten? Er blinzelte ein paar Mal, dann sah er die anwesenden Offiziere an. Jeder von ihnen nannte eine eigene Welt seine Heimat. Welche von ihnen sollte er nach hinten rücken lassen, weil seine Heimat bevorzugt behandelt wurde? Seufzend schüttelte er den Kopf und sagte: »Ich bin nicht sehr gut darin, Entscheidungen zu treffen, die eigentlich den lebenden Sternen vorbehalten sind. Madam Co-Präsidentin, wenn Sie einfach Ihre beste Einschätzung …«

»Meinen Sie, ich bin dazu qualifiziert, Gottheit zu spielen? Meinen Sie, ich will das überhaupt?«

In die anschließende betretene Stille hinein sprach Tulev auf einmal: »Ich werde die Liste zusammenstellen. Für mich gibt es nichts mehr, was mich voreingenommen machen könnte.«

Die Darstellung von Duellos auf der einen Seite Tulevs beugte sich vor und legte eine Hand auf Tulevs Unterarm, während Desjani von der anderen Seite genauso reagierte. Cresida, die weiter entfernt saß, nickte ihm verständnisvoll zu. Tulev erwiderte die Geste ihnen allen gegenüber, dann wandte er sich an Geary und wiederholte: »Ich werde das erledigen.«

»Danke, Captain Tulev«, gab Geary zurück. »Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem ich der Flotte sagen muss, dass diese Aliens existieren, aber bis auf Weiteres sollten wir wie zuvor vorgeben, dass die von den Hypernet-Portalen ausgehende Bedrohung nichts weiter ist als ein technologischer Nebeneffekt, der so nicht gewollt war.«

»Etwas anderes darf es nach außen hin nicht sein«, pflichtete Cresida ihm bei. »Wenn als Möglichkeit zur Sprache gebracht wird, dass jedes Hypernet-Portal jederzeit spontan oder durch ein Einschreiten der Syndiks zum Zusammenbruch gebracht werden kann, und wenn dazu die Bilder ins Spiel kommen, die wir bei Lakota aufgezeichnet haben, dann wird das für die Leute Grund genug sein, zur Tat zu schreiten.«

»Okay. Wir unterhalten uns noch einmal vor dem Sprung nach Varandal. Danke, dass Sie zu dieser Besprechung gekommen sind. Danke für Ihre Ratschläge und Meinungen, und Danke auch dafür, dass Sie über diese Angelegenheit weiterhin Schweigen bewahren.«

»Wenn wir nur mehr wüssten«, meinte Cresida. »Ich arbeite immer noch an einem Entwurf für ein System, das den Zusammenbruch der Hypernet-Portale unmöglich macht und das sich schnell und problemlos installieren lässt. Ich vermute, wenn wir Atalia erreichen, werde ich damit fertig sein.«

»Wollen wir’s hoffen«, seufzte Duellos. »Immerhin wissen wir so gut wie nichts darüber, was diese Kreaturen wirklich von uns wollen.«

»Federn oder Blei?«, fragte Desjani und spielte damit auf das uralte Rätsel an, bei dem nur der Dämon, der die Frage stellt, die richtige Antwort kennt und er sie jederzeit verändern kann. Wie Duellos einmal ganz richtig gesagt hatte, waren die Aliens ebenfalls Rätsel, bei denen nicht nur die Antworten und Fragen unbekannt waren. Sie mochten außerdem Ausdruck von Denkprozessen sein, die so völlig anders waren als die der Menschen, dass ihre Absichten und der Sinn ihres Handelns nicht nachvollziehbar wären.

»Das ist meine Frage, Captain Desjani. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nicht den Dämon in meinem Rätsel spielen. Aber aus purer Neugierde gefragt: Welche Antwort war diesmal die Richtige?«

Sie lächelte humorlos. »Das würden Sie wohl gerne wissen, wie? Frauen können genauso rätselhaft sein wie Dämonen.«

»Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich auf diese Bemerkung eingehe, oder?«

Während die Darstellungen von Tulev, Cresida und Duellos sich auflösten, schaute Desjani stirnrunzelnd auf ihre persönliche Dateneinheit. »Entschuldigen Sie, Sir, aber ich werde im Maschinenraum gebraucht.« Sie eilte aus dem Raum, sodass Geary und Rione allein zurückblieben.

Rione wirkte untypisch schweigsam und wandte sich ebenfalls zum Gehen. An der Luke blieb sie stehen. Ohne sich zu Geary umzudrehen, fragte sie: »Was ist mit Captain Tulev geschehen? Er sprach davon, dass es für ihn nichts mehr gibt.«

Geary nickte, da er sich daran erinnern konnte, darüber in der Personalakte etwas gelesen zu haben. »Bei einem Bombardement seiner Heimatwelt durch die Syndiks kamen seine Familie, seine Frau und seine Kinder ums Leben.«

»Oh, verdammt.« Rione schüttelte den Kopf. »Das ist wirklich schrecklich. Aber irgendjemand muss doch noch dort sein. Irgendein Verwandter. Welche Welt war das?«

Er versuchte, es sich ins Gedächtnis zu rufen, aber es gab so viele Welten. »Elys … Elysa?«

»Elyzia?«

»Ja, richtig«, sagte er und stutzte, dass sie so schnell den Namen dieses Planeten nennen konnte. »Was ist dort geschehen?«

»Ein Syndik-Bombardement«, murmelte sie so leise, dass er sie fast nicht hören konnte. »Aber ein sehr ausgedehntes. Teil eines sehr massiven Schlags gegen die Allianz. Der größte Teil der Planetenoberfläche wurde verwüstet, ein Großteil der Bevölkerung kam ums Leben. Nachdem man die Syndiks doch noch abwehren konnte, wurde die Welt abgeschrieben. Die Überlebenden evakuierte man. Nur ein paar Menschen blieben zurück, um die wiederaufgebauten Verteidigungsanlagen zu bemannen – für den Fall, dass die Syndiks noch einmal dort auftauchen sollten. Captain Tulev hat die Wahrheit gesagt. Dort gibt es nichts mehr für ihn.« Sie sah Geary an. »Für ihn gibt es nur noch die Flotte. Ist Ihnen klar, dass Sie beide das gemeinsam haben?«

»Nein.« Er wollte mehr sagen, aber ihm wollte einfach nichts einfallen.

»Unser Vergeltungsschlag war gegen Yunren gerichtet«, redete sie weiter, als führe sie ein Selbstgespräch. »Ein Syndik-System entlang der Grenze. Von Yunren ist ebenfalls nichts übrig geblieben, ausgenommen ein paar Verteidigungsposten, die von ganz Hartgesottenen bemannt werden, deren einziger Daseinszweck es ist, eine Chance zu bekommen, diejenigen zu töten, die ihre Welt ausgelöscht haben. Seitdem haben beide Seiten solche Bombardements nicht wieder durchgeführt. Allerdings weiß ich nicht, ob es daran liegt, dass es einen so großen Materialeinsatz erfordert, wenn man eine ganze Welt in Schutt und Asche legen will, oder ob alle Beteiligten mit Entsetzen zur Kenntnis genommen haben, wie tief wir gesunken waren.«

Geary schüttelte den Kopf. Ihm war übel. »Wie konnte überhaupt irgendjemand einen solchen Befehl erteilen?«

»Oh, das ist gar nicht so schwer, Captain Geary. Sie müssen nur weit genug vom Feind entfernt sein, während Sie den Plan ausarbeiten, und Sie müssen dabei ein großes Sternendisplay mit vielen kleinen Planeten vor sich haben. Einfach nur Lichtpunkte mit seltsamen Namen. Ziele. Nicht das Zuhause von Menschen, wie man selbst einer ist, sondern Ziele, die ausradiert werden müssen, um Menschen, wie man selbst einer ist, zu beschützen. Es ist ganz leicht, den Mord an Millionen oder Milliarden Menschen zu befehlen.«

»Das ist eigenartig«, merkte Geary an. »Ich habe mit einigen Marines gesprochen. Sie sagen, sie müssen erst die Individuen entmenschlichen, die sie töten sollen, damit sie kämpfen können. Und sie machen sich Sorgen, dieser Prozess könnte zu weit gehen und sie könnten dabei Individuen töten, von denen eigentlich keine Bedrohung ausgeht. Auf der anderen Seite sind da die hochrangigsten Offiziere, die nie einem einzelnen Feind gegenübergestanden haben, und sie müssen sie gleich zu Hunderttausenden oder noch mehr entmenschlichen.«

»Manchmal frage ich mich«, sprach sie nach einer kurzen Pause, »ob die Aliens recht haben, dass die Menschheit sich eines Tages selbst auslöschen wird.«

»Ich will es nicht hoffen. Wie es scheint, hat es bei vielen Leuten in dieser Flotte einen tiefen Eindruck hinterlassen, dass sie mitansehen mussten, was sich bei Lakota abgespielt hat. Man kann sich innerlich nicht von einem Ereignis distanzieren, bei dem man miterlebt hat, wie eine bewohnte Welt mit einem einzigen Schlag so entsetzlich verwüstet wird.«

»Ja, das scheint tatsächlich Wirkung gezeigt zu haben. Und was ist mit Captain Cresida? So wie sie Tulev angesehen hat, verbindet die beiden irgendwas. Stammte sie auch von Elyzia?«

»Nein, aber ihr Ehemann war Flottenoffizier. Sie waren gerade mal ein Jahr verheiratet, als er bei einem Gefecht getötet wurde.«

»Wie lange ist das her?«

»Zwei Jahre.«

Rione nickte. »Auch nach zehn Jahren rechne ich immer wieder damit, doch noch irgendwann meinen Mann wiederzusehen. Würde Captain Cresida meine Beileidsbekundung annehmen?«

»Ich glaube schon. Sie hat mit mir nie darüber gesprochen, aber Sie beide haben den gleichen Verlust erlitten.«

Ihr Seufzer klang wie der letzte Atemzug eines sterbenden Marathonläufers. »Ich weiß nicht, ob die lebenden Sterne Sie tatsächlich geschickt haben, John Geary, aber es gibt Momente, da denke ich über diesen Krieg nach und bete mit aller Kraft, dass sie Sie wirklich geschickt haben und dass Sie dem Ganzen ein Ende bereiten können.«

Dann ging sie, und Geary saß da und starrte auf die geschlossene Luke.

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