Am folgenden Tag übergaben wir das Horn den nepalesischen Polizisten, die Daubahal benachrichtigt hatte, und nannten ihnen die Nummer des Jeeps, die Freds sich eingeprägt hatte: 346. Ich fragte mich unwillkürlich, ob das Horn nicht trotzdem in China enden würde, nur über andere Kanäle.
Ich warf einen Blick in den gesprungenen Spiegel in unserer Dusche und stellte fest, daß ich wie ein Märtyrer aussah, der versucht hatte, die Malaien zu bekehren und mit der Bambuspeitsche Prügel bezogen hatte; ich fühlte mich allerdings noch schlimmer. Doch wir kehrten mit einem letzten schmerzhaften Elefantenritt zu dem Landrover auf der anderen Seite des Dschungelflusses zurück und fuhren los. Und an diesem Abend waren wir wieder im Hotel Star in Katmandu, und was mich betraf, war unser Dschungelabenteuer ausgestanden. Finito. Endgültig. Alles in allem war es gar nicht so schlecht gewesen. Im Vergleich zu den anderen Unternehmungen mit Freds, bei denen man mich wirklich durch die Mangel gedreht hatte, war es wirklich harmlos gewesen. Eine Nacht im Dschungel. Toll. Ende der Geschichte. Klasse. Ich Glücklicher. Tut mir leid, daß diese Geschichte nur so kurz ist.
Aber sie waren noch nicht fertig mit mir.
Denn am Tag nach unserer Rückkehr klopfte es an der Tür.
Ich bekomme in meinem Hotelzimmer nur selten Besuch. Und so nahm ich meinen Bluet-Gaskocher, um ihn Freds ins Gesicht zu werfen, falls er es sein sollte, und dann einfach abzuhauen, und ich riß die Tür auf, brülle: »Was willst du!«, und es war Freds, und ich ließ den Kocher fliegen, und er duckte sich, und der Kocher segelte auf den Hof des Star hinab und schepperte dort über das Kopfsteinpflaster.
Aber es standen noch zwei Leute neben Freds, und zwar Nathan Howe und Sarah Hornsby. »Nathan!« sagte ich. »Sarah!«
»George!« sagten sie, entsetzt über meinen Willkommensgruß.
Ansonsten sahen sie noch genauso aus wie damals vor zwei Jahren, als ich sie zuletzt gesehen hatte. Nathan hatte noch immer seinen perfekten Walroßbart und trug nun die Jacke mit den Lederflicken an den Ellbogen, die der Bart verlangte, so daß ich annahm, daß er ein Lehramt bekommen hatte oder eins bekommen würde, sobald ein akademisches Komitee ihn zu Gesicht bekam; so aufrecht, redlich und blauäugig, wie unser Nathan nun mal ist. Außerdem hat er einen tollen Haarschnitt — Und Sarah sah noch immer wie die tollste Bibliothekarin auf Erden aus, und die von Ihnen, die öfter mal eine Bibliothek aufsuchen, wissen, was das heißt; aber bei ihr kam noch dieser eulenhafte Anflug hinzu, der einen richtig wild macht. Ich stehe nicht auf diese New Age-Begrüßungen, entschloß mich jedoch, daran augenblicklich etwas zu ändern, um Sarah umarmen zu können, und es war atemberaubend. Als ich Nathan die Hand schüttelte, sah ich die Ringe an ihren Fingern und sagte: »Was ist das denn? Verheiratet?«
Sie nickten. Ein breites Lächeln von Nathan, dem Glückspilz.
»Phantastisch!« sagte ich. Ich riß mich zusammen und winkte sie in mein Reich. »Kommt schon rein!«
»Was ist mit dir passiert, George?« fragte Sarah, als sie eintraten. »Du siehst aus, als hättest du einen Unfall gehabt.«
»Hatte ich auch«, sagte ich. »Ich habe zugestimmt, Freds einen Gefallen zu tun.«
»Wir hatten einen Notfall«, sagte Freds, der an seiner üblichen Stelle auf dem Boden saß.
»Komisch«, sagte Nathan, als er und Sarah und ich uns auf das Bett und den Stuhl setzten. »Wir wollten dich bitten, uns auch einen Gefallen zu tun, und erfuhren letzte Woche von Freds, daß du noch hier im Star wohnst — aber wir haben dich hier nicht auftreiben können.«
»Na ja, das liegt daran, daß Freds und ich …«
Ich bemerkte, wie Freds Wangen kräftig erröteten. Ich musterte ihn, und er ließ den Kopf hängen und versuchte, im Boden zu versinken. »Freds brauchte meine Hilfe. Ein paar seiner Freunde haben ein Dschungelcamp aufgemacht, und wir sollten das Geschäft ankurbeln. Nicht wahr, Freds?«
Freds nickte, das Kinn noch immer auf der Brust. »Äh, ja, richtig«, murmelte er.
Nun ist Freds ein schlechter Lügner. Das soll nicht heißen, daß er nicht hervorragend darin ist, der Wahrheit auszuweichen, sie zu übergehen oder zu seinen Zwecken zu verdrehen; als jemand, der mehr als nur einmal von ihm manipuliert wurde, verrückte Sachen zu tun, habe ich einen gesunden Respekt vor seiner Gerissenheit und Unzuverlässigkeit. Doch er kann einem nicht glattwegs ins Gesicht lügen. Er errötet, sein Gesicht zuckt, er schielt wie Popeye zu einem hinüber, um zu sehen, ob man ihn beobachtet, und fängt zu stottern an. Er erzählt so dumme Lügen, daß ein Fünfjähriger sie ihm nicht glauben würde.
Also musterte ich ihn eindringlich. »Falls Nathan und Sarah dich gefragt haben, wo ich bin, haben sie wahrscheinlich auch erwähnt, daß sie mich um einen Gefallen bitten wollten, nicht wahr?«
»Ich erinnere mich nicht«, murmelte Freds.
»Aber Nathan wird sich wahrscheinlich erinnern«, sagte ich und rutschte ein Stück auf dem Bett vor, um ihn besser im Auge behalten zu können. »Nicht wahr, Nathan? Hast du Freds nicht gesagt, was du von mir willst?«
»Ja, sicher«, sagte Nathan und legte neugierig den Kopf schief. »Ich glaube schon.«
»Und kaum hast du es ihm gesagt, kam Freds angelaufen und schleppte mich in den Dschungel davon. Das läßt doch den Verdacht zu, daß er nicht wollte, daß ich euch helfe« — und ich beugte mich vor und schrie in Freds’ Ohr — »nicht wahr?«
»Ich hab’s vergessen«, sagte Freds. Er hob den Kopf, um uns anzusehen, und es war, als stünde direkt hinter ihm ein großer Lügendetektor, und eine ganze Palette roter Warnleuchten und eine Sirene gingen los. Seine Augen sahen aus, als würden sie gleich in den Höhlen rotieren. »Ich hab’s einfach vergessen, das ist alles, und als mich meine Kumpel unten im Chitwan Camp baten, ein paar Freunde mitzubringen, dachte ich natürlich gleich an George.« Ein rot angelaufenes Südstaatengesicht, das lange, blonde Hippiehaar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden: es hätte auf der ganzen Welt keinen schlechteren Lügner geben können. Er blinzelte hundert Mal die Minute, er sah verzweifelt von einem Gesicht zum anderen, um festzustellen, ob wir ihm vielleicht doch glaubten, und sein Mund ging auf. »Außerdem«, schrie er mich an, »wirst du ja gleich hören, was sie von dir wollen, und dann siehst du, daß ich gar nicht nötig hatte, dich irgendwo hinzuschleppen.«
»Nathan«, sagte ich ganz ruhig, »was soll ich für euch tun?«
»Na ja«, sagte Nathan und betrachtete unseren lügnerischen Freund mit betroffener Beunruhigung, »ich arbeite jetzt für die South Asian Development Agency, und wir versuchen, die Lebensumstände der Leute hier zu verbessern.«
Ich nickte. Das klang ganz nach Nathan, und ich billigte seine Arbeit vollkommen. »Schön für dich«, sagte ich. »Und du?« fragte ich Sarah.
»Ich betreibe hier noch einige Tierstudien«, sagte sie. »Es hat sich so ergeben, daß wir beide hier arbeiten können.«
»Das ist toll«, sagte Nathan. »Zur Zeit arbeite ich an einem Hilfsprojekt. Wir planen eine Kanalisation für den nordwestlichen Teil Katmandus. Da gibt es keine Kanalisation, aber sie brauchen dringend eine — du weißt ja, wie sich der Abfall auf den Straßen stapelt, und so weiter.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Das ist eine gute Idee.«
»Auf jeden Fall haben wir die Pläne fertig, und alles lief prima, bis wir unsere Vorschläge dem Palastsekretariat vorlegten. Da blieben sie hängen, und wir wissen nicht, warum. Und mir fiel ein, wie gut du das mit der Royal Nepal Airline hinbekommen hast, und wie gut du dich in der Bürokratie von Katmandu auskennst, und ich habe gehofft, wir könnten dich als Berater einstellen. Du sollst dafür sorgen, daß der Vorschlag gebilligt und in die Tat umgesetzt wird.«
Ich verzog keine Miene. »Ich helfe dir gern, Nathan«, sagte ich.
»Was?« schrie Freds und sprang auf. »Was meinst du damit, ›Ich helfe dir gern‹? Ich bitte dich, mir bei der Bürokratie von Katmandu zu helfen, und du sagst mir, ich soll mich zum Teufel scheren, und dann bittet Nathan dich, ihm bei der Bürokratie von Katmandu zu helfen, und du sagst, ›Ich helfe dir gern‹?«
»Genau.«
»Das ist nicht fair!«
»Mir egal. Ich möchte etwas für diese Stadt tun, und eine Kanalisation ist das erste, was sie braucht. Sie verändert nicht den Charakter der Stadt, abgesehen davon, daß sie dazu beiträgt, daß die kleinen Kinder gesund bleiben. Wie mein Freund, der Bettler, und sein kleines Mädchen. Warum versuchst du, so etwas zu verhindern, Freds?«
Freds starrte uns der Reihe nach wild an. »George wird euch sowieso keine Hilfe sein«, sagte er zu Nathan. »Er hat schreckliche Erfahrungen mit der Bürokratie gemacht, er hat einen Monat lang versucht, uns zu helfen und dabei nur zweitausend Rupien ausgegeben und eine Menge Leute gegen sich aufgebracht. Er ist zu nichts zu gebrauchen.«
»Frag mal A.S.J.B. Rana, ob ich zu nichts zu gebrauchen bin«, sagte ich scharf. »Ich habe den Burschen festgenagelt! Und wieso schleppst du mich in den Dschungel, wo sie mich nicht finden, wenn du sowieso nicht glaubst, daß ich ihnen helfen kann?«
»Hab’ ich nicht.«
»Hast du doch.«
Sarah stand auf, ging zu Freds und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Freds«, sagte sie, »wir sind deine Freunde. Du mußt dir keine Sorgen machen. Du kannst uns sagen, was dich bekümmert.«
Sie drückte seinen Arm. Er atmete tief ein. »Na ja«, sagte er und fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. »Ich schätze, ich muß es euch sagen. George habe ich es schon erzählt …«
»Ach ja?«
»Ja. Das Tunnelsystem, weißt du noch?« Er wandte sich an Nathan. »Nathan, du bist mein ältester Freund, und so werde ich es dir anvertrauen, aber das bringt dich in eine Zwickmühle, denn du mußt schwören, nichts zu verraten, und bei dem Projekt, an dem du arbeitest, könnte das ein Problem geben.«
Nathan runzelte die Stirn.
Freds atmete tief ein und stieß die Luft wieder aus. »Verdammt, ich zeige euch es lieber. Wenn ihr es nicht selbst seht, werdet ihr mir sowieso nicht glauben.«