8

Wie oft ich erwachte und wieder einschlief, weiß ich nicht. Zweimal fand ich Brot und Wasser auf einem Tablett an der Tür. Beide Male leerte ich das Tablett. Meine Zelle war nahezu pechschwarz und sehr kühl. Ich wartete und wartete.

Dann holte man mich.

Die Tür wurde aufgerissen, und schwaches Licht fiel herein. Ich blinzelte in die Helligkeit, als mein Name gerufen wurde.

Der Korridor vor der Zelle quoll vor Bewaffneten förmlich über, und so wagte ich keine Risiken.

Ich rieb mir über die Bartstoppeln und ließ mich führen.

Nach einer langen Wanderung erreichten wir den Saal der Wendeltreppe und begannen emporzusteigen. Ich stellte unterwegs keine Fragen, und niemand stillte meinen Wissensdurst.

Als wir oben ankamen, führte man mich tiefer in den eigentlichen Palast. Man brachte mich in ein warmes sauberes Zimmer und befahl mir, mich auszuziehen. Ich gehorchte. Dann stieg ich in ein dampfendes Bad, und ein Bediensteter eilte herbei und schrubbte mich ab, rasierte mich und schnitt mir das Haar.

Als ich wieder trocken war, erhielt ich frische Kleidung in Schwarz und Silber.

Als ich die Sachen angelegt hatte, wurde mir ein schwarzer Umhang um die Schultern gelegt, dessen Schnalle eine Silberrose darstellte.

»Ihr seid bereit«, sagte der Sergeant der Wache. »Hier entlang.«

Ich folgte ihm, und der Wächter folgte mir.

Ich wurde in den hinteren Teil des Palasts geführt, wo mir ein Schmied Eisenbänder um die Hand- und Fußgelenke legte. Die Ketten daran waren zu schwer, als daß ich sie hätte brechen können. Hätte ich mich widersetzt, wäre ich garantiert bewußtlos geschlagen worden, und das Ergebnis wäre dasselbe gewesen. Da ich keine Lust hatte, erneut bewußtlos geschlagen zu werden, ließ ich alles mit mir geschehen.

Dann wurden die Ketten von mehreren Wächtern hochgehoben, und ich wurde wieder in den vorderen Teil des Palasts geführt. Ich verschwendete keinen Blick auf die herrliche Ausstattung ringsum. Ich war ein Gefangener. Wahrscheinlich würde ich bald tot sein oder auf einer Streckbank liegen. Was immer ich auch anstellte – ich konnte nichts richtig machen. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, daß wir Spätnachmittag hatten, und es gab keinen Anlaß zur Nostalgie, als wir Zimmer durchschritten, in denen wir als Kinder gespielt hatten.

Ich wurde durch einen langen Korridor in den großen Bankettsaal geführt.

Überall standen Tische. Menschen saßen daran; viele von ihnen waren mir bekannt.

Die herrlichen Gewänder der Edelleute Ambers schimmerten, und Musik schwebte durch den Fackelschein und über das Essen auf dem Tisch – das allerdings noch niemand angerührt hatte.

Ich entdeckte bekannte Gesichter – zum Beispiel Flora – und auch etliche Fremde. Den Sänger Lord Rein – ja, ich selbst hatte ihn in den Ritterstand erhoben – hatte ich seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen. Er wich meinem Blick aus.

Ich wurde an das untere Ende des riesigen Mitteltisches geführt und durfte mich dort setzen.

Die Wächter bauten sich hinter mir auf. Sie befestigten die Enden meiner Ketten in Ringen, die in den Boden eingelassen waren. Der Sitz am Kopfende meines Tisches war noch leer.

Die Frau zu meiner Rechten erkannte ich nicht, doch links von mir saß Julian. Ich ignorierte ihn und starrte auf die Dame, eine hagere Blondine.

»Guten Abend«, sagte ich. »Wir sind uns, glaube ich, noch nicht vorgestellt worden. Mein Name ist Corwin, Corwin von Amber.«

Sie sah den Mann zu ihrer Rechten hilfesuchend an, einen massigen rothaarigen Burschen mit zahlreichen Sommersprossen. Er wandte den Blick ab und begann ein lebhaftes Gespräch mit der Frau zu seiner Rechten.

»Ihr könnt ruhig mit mir sprechen, wirklich«, sagte ich. »Es steckt nicht an.«

Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Ich bin Carmel«, sagte sie. »Wie geht es Euch, Prinz Corwin?«

»Ein hübscher Name«, erwiderte ich. »Und mir geht es gut. Was hat ein nettes Mädchen wie Ihr an einem solchen Ort zu suchen?«

Hastig trank sie einen Schluck Wasser.

»Corwin«, sagte Julian lauter als notwendig. »Ich glaube, die Lady findet dich aufdringlich und abstoßend.«

»Was hat sie denn mit dir heute abend schon geredet?« Er errötete nicht. Er wurde bleich.

»Das reicht jetzt aber!«

Ich reckte mich und rasselte absichtlich laut mit den Ketten. Abgesehen von dem dramatischen Effekt erfuhr ich auf diese Weise, wieviel Bewegungsraum ich hatte. Natürlich nicht genug. Eric war vorsichtig.

»Komm näher heran und flüstere mir deine Einwände zu, Bruder«, sagte ich.

Aber das tat er nicht.

Da ich der letzte gewesen war, der an den Tischen Platz nahm, dauerte es wahrscheinlich nicht mehr lange. Und darin irrte ich mich nicht.

Fünf Fanfarenstöße ertönten, und Eric trat in den Saal.

Alle standen auf.

Nur ich nicht.

Die Wächter mußten mich an den Ketten hochziehen und festhalten.

Eric lächelte und kam rechts von mir die Stufen herab. Unter dem dicken Hermelinmantel waren seine Farben kaum noch zu erkennen.

Er ging zum Kopfende des Tisches und stellte sich vor seinen Stuhl. Ein Bediensteter baute sich hinter ihm auf, und die Mundschenke machten ihre Runde und füllten die Pokale.

Als alle gefüllt waren, hob er sein Gefäß.

»Mögt Ihr ewig in Amber leben«, sagte er, »das alle Ewigkeit überdauern wird.« Und die Gäste hoben ihre Gläser.

Nur ich rührte mich nicht.

»Heb das Glas!« sagte Julian.

»Heb’s dir sonstwohin«, sagte ich.

Das tat er nicht, sondern starrte mich nur wütend an. Aber im nächsten Augenblick beugte ich mich vor und nahm mein Glas.

Einige hundert Leute saßen zwischen uns, doch meine Stimme war deutlich zu hören. Erics Blick war starr auf mich gerichtet, während ich sagte: »Auf Eric, der am unteren Ende des Tisches sitzt!«

Julian schüttete sein Glas auf dem Boden aus. Die anderen kamen seinem Beispiel nach, doch ich vermochte den größten Teil meines Weins zu trinken, ehe mir das Glas aus der Hand geschlagen wurde.

Eric setzte sich, und die Edelleute taten es ihm nach, und man ließ mich los, ließ mich wieder in meinen Sitz fallen.

Nun wurden die Gerichte aufgetragen, und da ich hungrig war, aß ich so freudig wie alle anderen, und mehr als die meisten.

Das Essen dauerte gut zwei Stunden lang.

Während der ganzen Zeit sagte niemand ein Wort zu mir, und auch ich enthielt mich jeder Bemerkung. Aber meine Gegenwart machte sich bemerkbar; unser Tisch war stiller als die anderen.

Caine saß ein Stück weiter oben an unserem Tisch. Rechts von Eric. Ich vermutete, daß Julian in Ungnade gefallen war. Weder Random noch Deirdre waren anwesend. Ich erkannte zahlreiche andere Edelleute, die ich früher zu meinen Freunden gezählt hatte, doch kein einziger erwiderte meinen Blick.

Daraus schloß ich, daß es nur noch einer reinen Formalität bedurfte, Eric zum König von Amber zu machen.

Und ich brauchte nicht lange darauf zu warten.

Nach dem Essen gab es keine großartigen Reden. Eric stand einfach auf.

Neue Fanfarentöne, und ein heiseres Murmeln in der Luft.

Dann bildete sich eine Prozession, die langsam in den Thronsaal Ambers marschierte.

Ich wußte, was nun kam.

Eric stand vor dem Thron, und alle verbeugten sich.

Natürlich bildete ich die Ausnahme, doch ich wurde energisch in die Knie gezwungen.

Heute war der Krönungstag.


Stille trat ein. Gleich darauf trug Caine das Kissen mit der Krone herein, mit der Krone Ambers. Er kniete nieder und erstarrte in dieser Stellung, die Krone darreichend.

Dann wurde ich hochgerissen und nach vorn gezerrt. Ich wußte, was mich erwartete. Blitzartig wurde mir die Wahrheit bewußt, und ich begann mich zu wehren. Doch ich wurde niedergeschlagen und vor der Throntreppe auf die Knie angehoben. Die angenehme Musik steigerte sich – es war »Greensleeves« –, und hinter mir sagte Julian: »Seht die Krönung eines neuen Königs in Amber!« Dann flüsterte er mir zu: »Nimm die Krone und reiche sie Eric. Er wird sich selbst krönen.«

Ich starrte auf die Krone von Amber, die auf dem von Caine dargereichten Kissen lag.

Sie war aus Silber geschmiedet und hatte sieben Spitzen, die jeweils von einem Edelstein abgeschlossen wurden. Sie war mit Smaragden besetzt, und links und rechts schimmerte je ein riesiger Rubin.

Ich regte mich nicht, dachte an die vielen Male, da ich das Gesicht meines Vaters unter dieser Krone gesehen hatte.

»Nein«, sagte ich einfach und spürte einen Hieb an der linken Wange.

»Nimm sie und gib sie Eric!« wiederholte er.

Ich versuchte nach ihm zu schlagen, doch man hatte die Ketten eng angezogen.

Wieder wurde ich geprügelt.

Ich starrte auf die hohen Spitzen der Krone.

»Also gut«, sagte ich schließlich und griff danach.

Ich hielt sie eine Sekunde lang in beiden Händen, setzte sie mir mit schneller Bewegung auf den Kopf und erklärte: »Hierdurch kröne ich mich, Corwin, zum König von Amber!«

Die Krone wurde mir sofort wieder abgenommen und auf das Kissen zurückgestellt. Mehrere Schläge trafen mich auf den Rücken. Die Menschen im Saal begannen zu murmeln.

»Und jetzt versuch es noch mal«, sagte Julian. »Nimm die Krone und reiche sie Eric.«

Wieder ein Schlag.

»Gut«, sagte ich, als ich spürte, daß mein Hemd feucht wurde.

Diesmal schleuderte ich das Staatssymbol, in der Hoffnung, Eric ein Auge damit auszustechen.

Doch er fing die Krone mit der rechten Hand auf und lächelte auf mich herab, während ich brutal zusammengeschlagen wurde.

»Vielen Dank«, sagte er. »Nun hört mich an, Ihr Anwesenden und auch Ihr, die Ihr aus den Schatten lauscht – ich übernehme von diesem Tage an Krone und Thron. Ich ergreife das Szepter des Königreichs von Amber. Ich habe mir den Thron in fairem Kampf errungen und besteige ihn mit dem Rechte meines Blutes.«

»Lügner!« brüllte ich, und eine Hand wurde mir über den Mund gelegt.

»Hiermit kröne ich mich – Eric der Erste, König von Amber.«

»Lang lebe der König!« riefen die Edelleute dreimal hintereinander.

Dann beugte er sich vor und flüsterte mir zu: »Deine Augen haben den schönsten Anblick genossen, den sie jemals sehen werden . . . Wachen! Bringt Corwin in die Schmiede und brennt ihm die Augen aus! Er soll sich an die herrlichen Szenen dieses Tages als die letzten erinnern, die er jemals vor Augen hatte! Dann werft ihn in die Schwärze des tiefsten Verlieses unter Amber, auf daß sein Name vergessen sei!«

Ich spuckte aus und wurde erneut niedergeprügelt.

Ich wehrte mich jeden Meter, wurde aber aus dem Saal geschleift. Niemand sah mich dabei an, und meine letzte Erinnerung ist der Anblick Erics auf seinem Thron, wie er den Edelleuten Ambers lächelnd sein Wohlwollen aussprach.

Mir wurde angetan, was er befohlen hatte, und gnädigerweise wurde ich ohnmächtig, ehe das Werk vollendet war.


Ich habe keine Vorstellung, wieviel Zeit verstrichen war, als ich in absoluter Dunkelheit erwachte und den fürchterlichen Schmerz in meinem Kopf bewußt erlebte. Vielleicht geschah es in diesem Augenblick, daß ich den Fluch ausstieß, vielleicht hatte ich ihn aber schon vorher geäußert, als sich die weißglühenden Eisen näherten. Ich weiß es nicht mehr. Doch ich wußte, daß Eric auf dem Thron keine Ruhe finden würde, denn der Fluch eines Prinzen von Amber, in äußerstem Zorn ausgesprochen, hat stets seine Wirkung.

In der absoluten Dunkelheit meiner Zelle tastete ich im Stroh herum, und keine Tränen kamen. Das war das Schreckliche daran. Nach einer Weile – O Götter! Nur Ihr und ich wißt, wie lange es dauerte – kehrte der Schlaf zurück.

Als ich erwachte, war der Schmerz noch immer da. Ich richtete mich auf. Ich schritt meine Zelle ab. Vier Schritte breit, fünf Schritte lang. Ein stinkendes Toilettenloch im Fußboden und eine halb verfaulte Strohmatratze in einer Ecke. Die Tür wies im unteren Teil einen kleinen Schlitz auf, und dahinter befand sich ein Tablett mit einem harten Stück Brot und einer Flasche Wasser. Ich aß und trank, ohne mich erfrischt zu fühlen.

Mein Kopf schmerzte derart, daß ich keine Ruhe fand.

Ich schlief soviel ich konnte, doch niemand kam mich besuchen. Ich erwachte und kroch durch meine Zelle, tastete nach meinem Essen und verzehrte es, wenn ich etwas fand.

Nach sieben Schlafperioden waren meine Augenhöhlen frei von Schmerz. Ich haßte meinen Bruder, der nun König von Amber war.

Er hätte mich lieber umbringen sollen.

Ich fragte mich, was das Volk davon hielt, konnte mir die Reaktion aber nicht vorstellen.

Wenn die Dunkelheit schließlich auch Amber erreichte, würde Eric sein Handeln bedauern, das wußte ich – und der Gedanke tröstete mich.


Und so begannen meine Tage in der Dunkelheit, und ich hatte keine Möglichkeit, ihr Verstreichen zu messen. Selbst wenn ich noch Augen besessen hätte, wäre mir an diesem Ort der Unterschied zwischen Tag und Nacht nicht bewußt geworden.

Die Zeit verging und ignorierte mich. Es gab Augenblicke, da mir am ganzen Körper der kalte Schweiß ausbrach und ich zu zittern begann. War ich nun schon Monate hier? Oder nur Stunden? Oder Wochen? Oder etwa Jahre?

Ich vergaß die Zeit. Ich schlief, schritt auf und ab (ich wußte genau, wohin ich die Füße setzen und wann ich mich umdrehen mußte) und dachte über die Dinge nach, die ich getan und nicht getan hatte. Manchmal saß ich mit untergeschlagenen Beinen da und atmete langsam und tief, leerte meinen Geist von allen Gedanken und verharrte in diesem Zustand so lange es ging. An nichts zu denken, das half mir sehr.

Eric hatte sehr schlau gehandelt. Obwohl die Fähigkeit in mir pulsierte, war sie jetzt völlig nutzlos. Ein Blinder vermag sich nicht zwischen den Schatten zu bewegen.

Mein Bart war mir inzwischen bis auf die Brust gewachsen, und mein Haar war lang.

Zuerst hatte ich ein ständiges Hungergefühl, doch nach einer Weile ließ mein Appetit nach. Manchmal war mir schwindlig, wenn ich zu schnell aufstand.

Ich konnte noch immer sehen – in meinen Alpträumen –, doch das schmerzte mich noch mehr, als wenn ich wach war.

Nach einiger Zeit schienen die Ereignisse, die zu diesem Dasein geführt hatten, sich immer mehr zu entfernen. Es war fast, als wären sie einer anderen Person zugestoßen. Und auch das stimmte.

Ich hatte erheblich an Gewicht verloren. Ich konnte mir mein Aussehen vorstellen – bleich und ausgemergelt. Ich konnte nicht einmal mehr weinen, obwohl mir einige Male danach zumute war. Mit meinen Tränendrüsen stimmte etwas nicht. Es war schlimm genug, daß ein Mensch überhaupt in diese Lage gebracht werden konnte.

Eines Tages vernahm ich ein leises Kratzen an der Tür. Ich kümmerte mich nicht darum.

Das Geräusch wiederholte sich, und ich reagierte noch immer nicht.

Dann hörte ich, wie jemand fragend meinen Namen flüsterte. Ich durchquerte die Zelle.

»Ja?« erwiderte ich.

»Ich bin’s, Rein«, sagte er. »Wie geht es dir?«

Da mußte ich lachen.

»Großartig! Einfach großartig!« sagte ich. »Jeden Abend gibt’s Steak und Champagner, und dazu Tanzmädchen. Himmel! Du müßtest mich mal besuchen!«

»Tut mir leid«, erwiderte er, »daß ich nichts für dich tun kann«, und ich spürte die Qual in seiner Stimme.

»Ich weiß«, sagte ich.

»Ich würde dir helfen, wenn ich könnte.«

»Auch das weiß ich.«

»Ich habe dir etwas mitgebracht. Hier.«

Das Türchen unten an der Zellentür knirschte leise, als es mehrmals nach innen geschoben wurde.

»Was ist das?« fragte ich.

»Ein paar saubere Kleidungsstücke«, sagte er, »und drei Laib frisches Brot und ein Stück Käse, etwas Fleisch, zwei Flaschen Wein, ein Karton Zigaretten und ein Stapel Streichhölzer.«

Die Stimme versagte mir.

»Vielen Dank, Rein. Du bist großartig. Wie hast du das nur alles geschafft?«

»Ich kenne den Wächter, der in dieser Schicht Dienst hat. Er wird mich nicht verraten. Dazu verdankt er mir zuviel.«

»Er könnte seine Schuld durch einen Alarmschrei abtragen wollen«, sagte ich. »Also laß es bei diesem einen Mal bewenden – ich weiß es zu schätzen, glaube mir. Und ich brauche dir nicht erst zu sagen, daß ich die Spuren restlos tilgen werde.«

»Ich wünschte, die Dinge hätten sich anders entwickelt, Corwin.«

»Da sind wir uns ja einig. Vielen Dank, daß du an mich gedacht hast, obwohl man dir befohlen hatte, mich zu vergessen.«

»Das war leicht«, meinte er.

»Wie lange stecke ich schon in diesem Loch?«

»Vier Monate und zehn Tage«, erwiderte er.

»Was gibt es Neues in Amber?«

»Eric regiert. Das ist alles.«

»Wo ist Julian?«

»Wieder im Wald von Amber mit seiner Wache.«

»Warum?«

»In letzter Zeit sind ein paar seltsame Sachen durch die Schatten angerückt.«

»Ich verstehe. Und Caine?«

»Der ist immer noch in Amber und vergnügt sich hier. Alkohol und Mädchen.«

»Und Gérard?«

»Admiral der gesamten Flotte.«

Ich seufzte erleichtert. Ich hatte befürchtet, daß seine Zurückhaltung während der Meeresschlacht ihn bei Eric in Ungnaden gebracht haben könnte.

»Und was ist mit Random?«

»Der ist irgendwo hier im Gefängnis.«

»Was? Er wurde gefangen?«

»Ja. Er hat in Rebma das Muster abgeschritten und ist gleich darauf mit einer Armbrust hier aufgetaucht. Er hat Eric verwundet, ehe man ihn gefangennahm.«

»O wirklich? Warum hat man ihn nicht umgebracht?«

»Na ja, den Gerüchten zufolge hat er in Rebma eine Edelfrau geheiratet. Eric will zur Zeit wohl keinen Ärger mit Rebma heraufbeschwören. Moire herrscht über ein ziemlich großes Königreich, und es wird gemunkelt, daß sich Eric mit dem Gedanken trägt, ihr die Ehe anzutragen. Natürlich nur Geschwätz. Aber interessant.«

»Ja«, sagte ich.

»Dich hat sie gemocht, nicht wahr?«

»Gewissermaßen. Woher weißt du das alles?«

»Ich war dabei, als Random verurteilt wurde. Hinterher konnte ich einen Augenblick mit ihm sprechen. Lady Vialle, die sich als seine Frau ausgibt, hat gebeten, zu ihrem Mann ins Gefängnis ziehen zu dürfen. Eric weiß noch nicht recht, wie er darauf antworten soll.«

Ich dachte an das blinde Mädchen, das ich nicht kannte, und war verwundert über ihre Reaktion.

»Wie lange ist das alles her?« wollte ich wissen.

»Hm. Vierunddreißig Tage«, erwiderte er. »Ich meine, an dem Tag tauchte Random auf. Eine Woche später äußerte Vialle ihre Bitte.«

»Sie muß eine seltsame Frau sein, wenn sie Random wirklich liebt.«

»Derselbe Gedanke ist mir auch gekommen«, erwiderte er. »Ein ungewöhnlicheres Paar kann ich mir gar nicht vorstellen.«

»Wenn du ihn wiedersiehst, richte ihm doch bitte meine Grüße und mein Bedauern aus.«

»Ja.«

»Wie geht es meinen Schwestern?«

»Deirdre und Llewella wohnen weiterhin in Rebma. Lady Florimel steht bei Eric in hoher Gunst und nimmt bei Hof eine hohe Stellung ein. Wo Fiona im Augenblick ist, weiß ich nicht.«

»Hat man mal wieder von Bleys gehört? Ich bin sicher, daß er tot ist.«

»Er muß tot sein«, sagte Rein. »Allerdings wurde seine Leiche nicht gefunden.«

»Und was ist mit Benedict?«

»Verschollen wie eh und je.«

»Und Brand?«

»Kein Wort von ihm.«

»Damit hätten wir wohl den ganzen Stammbaum abgegrast, wie er sich im Augenblick darstellt. Hast du in letzter Zeit neue Balladen geschrieben?«

»Nein«, sagte er. »Ich arbeite noch an der ›Belagerung von Amber‹, aber wenn überhaupt etwas daraus wird, dann wohl ein Untergrunderfolg.«

Ich streckte die Hand durch die winzige Öffnung in der Tür.

»Ich möchte dir gern die Hand drücken«, sagte ich und spürte seine Hand an der meinen. »Es war lieb von dir, daß du mir diese Freude gemacht hast. Aber laß es dabei bewenden. Es wäre töricht, Erics Zorn zu wecken.«

Er drückte mir die Hand, murmelte etwas und war verschwunden.

Ich ertastete sein Paket und stopfte mich mit dem Fleisch voll, bei dem es sich um den verderblichsten Teil der Nahrungsmittel handelte. Dazu verzehrte ich einen großen Teil des Brots und erkannte dabei, daß ich fast vergessen hatte, wie gut es einem schmecken kann. Darauf wurde ich müde und schlief ein. Ich glaube nicht, daß ich sehr lange geschlummert habe; als ich wieder erwachte, öffnete ich eine der Weinflaschen.

In meinem geschwächten Zustand brauchte ich gar nicht viel zu trinken, um angeheitert zu sein. Ich nahm eine Zigarette, setzte mich auf meine Matratze, lehnte mich an die Wand und überlegte.

Ich erinnerte mich an Rein als Kind. Ich war damals schon erwachsen, und er war Anwärter für den Posten des Hofnarren. Ein hagerer, intelligenter Jüngling. Seine Mitmenschen hatten ihn zu oft verspottet, ich eingeschlossen. Aber ich komponierte Musik und schrieb Balladen, und er hatte sich irgendwo eine Gitarre besorgt und sich das Spielen beigebracht. Bald sangen wir zusammen. Mit der Zeit wuchs meine Zuneigung zu ihm, und wir übten zusammen an den Waffen. Er stellte sich dabei ziemlich ungeschickt an, doch es tat mir irgendwie leid, wie ich ihn früher behandelt hatte, wo er doch so positiv auf meine lyrischen Werke eingegangen war, und so lehrte ich ihn die Finten und machte ihn zu einem passablen Säbelfechter. Ich hatte diese Handlungsweise nie bedauern müssen, und er wohl auch nicht. Nach einiger Zeit wurde er Sänger am Hofe Ambers. Die ganze Zeit hindurch hatte ich ihn meinen Pagen genannt, und als die Kriege gegen die düsteren Dinge aus den Weirmonken genannten Schatten auszubrechen drohten, machte ich ihn zu meinem Waffengefährten. Wir waren gemeinsam in den Kampf geritten. Ich schlug ihn noch auf dem Schlachtfeld bei den Jones-Fällen zum Ritter, eine Auszeichnung, die er sich verdient hatte. Danach hatte er sich fortentwickelt und mich in Dichtkunst und Musik sogar überrundet. Seine Farbe war das Scharlachrot, seine Worte waren golden. Ich liebte ihn, zählte ihn zu meinen zwei oder drei Freunden in Amber. Ich hatte allerdings nicht angenommen, daß er das Risiko eingehen würde, mir eine anständige Mahlzeit zu bringen. Das hatte ich von niemandem erwartet. Ich nahm noch einen Schluck aus der Flasche und rauchte eine weitere Zigarette, auf ihn, zu seinen Ehren. Er war ein guter Kamerad. Ich fragte mich, wie lange er dies alles überleben würde.

Ich warf die Zigarettenstummel in die Toilette und – nach einiger Zeit – auch die leere Flasche. Ich wollte nichts in der Zelle behalten, was auf ein Gelage schließen ließ, falls eine plötzliche Inspektion stattfand. Ich verzehrte all die guten Sachen, die er mir gebracht hatte, und fühlte mich zum erstenmal in dieser Zelle voll gesättigt. Ich hob mir die letzte Flasche für einen hübschen Vollrausch und eine angenehme Zeit des Vergessens auf. Und als das vorbei war, kehrte ich in meinen Teufelskreis der Vorwürfe zurück.

In erster Linie hoffte ich, daß Eric keine Ahnung von unserer umfassenden Macht hatte. Gewiß, er war König in Amber, aber er wußte nicht alles. Noch nicht. Nicht in dem Umfang, wie Vater Bescheid gewußt hatte. Es gab eine Chance von eins zu einer Million, die sich vielleicht trotz allem zu meinen Gunsten auswirken konnte. Dermaßen umfassend und dermaßen überraschend, daß mir diese Chance zumindest half, einen letzten Rest von Verstand zu bewahren, obwohl ich von Verzweiflung geschüttelt wurde.

Vielleicht war ich dennoch eine Zeitlang verrückt, ich weiß es nicht. Es gibt Tage, die für mich eine einzige große Leere darstellen, jetzt da ich hier am Rande des Chaos stehe. Gott allein weiß, was in dieser Zeit vorging, und ich werde niemals einen Seelenarzt aufsuchen, um mehr darüber zu erfahren.

Ihr lieben Ärzte, unter euch ist ohnehin niemand, der mit meiner Familie fertig würde!


Ich lag in meiner Zelle oder wanderte in der lähmenden Dunkelheit hin und her. Meine Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen nahm zu. Ich erlauschte das Rascheln von Rattenfüßchen im Stroh, das ferne Stöhnen anderer Gefangener, die widerhallenden Schritte eines Wächters, der sich mit einem Essenstablett näherte. Aus solchen Details begann ich Entfernungen und Richtungen abzuleiten.

Vermutlich wurde ich auch empfänglicher für Düfte, doch über diesen Aspekt versuchte ich nicht allzu gründlich nachzudenken. Neben den denkbar unangenehmen Düften machte sich lange Zeit etwas bemerkbar, das ich für den Geruch verwesenden Fleisches hielt. Ich überlegte. Wenn ich hier starb, wieviel Zeit würde vergehen, ehe jemand etwas merkte? Wie viele Stücke Brot und Schalen mit undefinierbarer Suppe mußten ungegessen bleiben, ehe der Wächter darauf kam, die Fortdauer meiner Existenz zu überprüfen?

Die Antwort auf diese Frage konnte noch sehr wichtig sein.

Der Todesgestank hielt sich eine ganze Weile. Ich versuchte, mir wieder einen Begriff von der Zeit zu machen und gewann den Eindruck, daß der Geruch über eine Woche lang bemerkbar war.

Obwohl ich mir den Vorrat vorsichtig einteilte und den Versuchungen so lange wie möglich widerstand, kam schließlich doch der Augenblick, da ich nur noch eine Packung Zigaretten hatte.

Ich riß sie auf und zündete mir eine an. Ich hatte einen ganzen Karton besessen und hatte nun elf Packungen aufgebraucht. Das waren zweihundertundzwanzig Zigaretten. Ich hatte einmal die Zeit ausgerechnet, die ich für eine Zigarette brauchte – sieben Minuten. Das ergab eine Gesamtzeit von eintausendfünfhundertundvierzig Rauchminuten – fünfundzwanzig Stunden und vierzig Minuten. Ich war sicher, daß zwischen jeder Zigarette und der nächsten mindestens eine Stunde gelegen hatte, eher anderthalb Stunden. Nehmen wir anderthalb. Außerdem mußte berücksichtigt werden, daß ich täglich sechs bis acht Stunden schlief. Damit blieben sechzehn bis achtzehn Stunden. Ich vermutete, daß ich zehn bis zwölf Zigaretten am Tag geraucht hatte. Seit Reins Besuch mochten also etwa drei Wochen vergangen sein. Er hatte mir damals erzählt, die Krönung liege vier Monate und zehn Tage zurück, was den Schluß nahelegte, daß ich nun etwa fünf Monate hier im Kerker war.

Ich streckte die letzte Packung, genoß jede einzelne Zigarette wie das Zusammensein mit einer Frau. Als ich die letzte Zigarette aufgeraucht hatte, war ich deprimiert.

Inzwischen mußte ziemlich viel Zeit vergangen sein.

Ich begann mir Gedanken über Eric zu machen. Wie stellte er sich als Herrscher an? Mit welchen Problemen schlug er sich herum? Was führte er im Schilde? Warum war er nicht gekommen, um mich zu quälen? War es möglich, daß man mich in Amber wirklich vergaß – auch wenn es vom Herrscher so angeordnet wurde?

Nein, sagte ich mir.

Und was war mit meinen Brüdern? Warum hatte sich keiner von ihnen mit mir in Verbindung gesetzt? Es wäre ganz einfach gewesen, meinen Trumpf zu ziehen und Erics Verbot zu brechen.

Doch niemand tat diesen Schritt.

Ich dachte lange an Moire, die letzte Frau, die ich geliebt hatte. Was tat sie in diesem Augenblick? Dachte sie überhaupt noch an mich? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht war sie längst Erics Geliebte oder gar seine Königin. Hatte sie mich ihm gegenüber erwähnt? Wahrscheinlich nicht.

Und meine Schwestern? Vergiß sie. Hexen, sie alle.

Ich war schon einmal geblendet worden, von einem Kanonenblitz im achtzehnten Jahrhundert auf der Schatten-Erde. Der Zustand hatte aber nur etwa einen Monat gedauert, danach hatte ich wieder sehen können. Mit seinem Befehl hatte Eric allerdings eine dauerhaftere Regelung im Sinne gehabt. Noch immer hatte ich Schweißausbrüche und zitterte, erwachte zuweilen von meinem eigenen Geschrei, sobald mich die Erinnerung heimsuchte an die weißglühenden Eisen vor meinen Augen – und dann die Berührung, als sie mir die sonnenhellen Spitzen in die Augenhöhlen stießen.

Ich stöhnte leise auf und setzte meinen Weg fort.

Ich konnte überhaupt nichts unternehmen. Das war das Schlimmste an der ganzen Sache. Ich war so hilflos wie ein Embryo. Wiedergeboren zu werden in Licht und Zorn – dafür hätte ich meine Seele verschenkt. Und wenn es nur für eine Stunde gewesen wäre, mit der Klinge in der Hand, um mich noch einmal gegen meinen Bruder zu stellen.

Ich legte mich auf die Matratze und schlief. Als ich wieder erwachte, standen Lebensmittel vor mir, und ich aß und schritt wieder auf und ab. Finger- und Zehennägel hatte ich wachsen lassen. Mein Bart war inzwischen sehr lang, und das Haar fiel mir ständig ins Gesicht. Ich fühlte mich unbeschreiblich schmutzig und mußte mich andauernd kratzen. Ich fragte mich, ob ich Flöhe hatte.

Daß ein Prinz von Amber in diesen Zustand versetzt werden konnte, erweckte eine schreckliche Emotion im Kern meines Wesens, wo immer der liegen mag. Ich war in dem Glauben aufgezogen worden, wir seien unbesiegbar – sauber, nüchtern und diamanthart wie unsere Bilder auf den Trümpfen. Offensichtlich war dies nicht der Fall.

Wenigstens waren wir soweit menschenähnlich, daß wir eine gewisse Findigkeit unser eigen nannten.

Ich erdachte Spiele, erzählte mir Geschichten, ließ mir angenehme Erinnerungen durch den Kopf gehen – von denen ich viele besaß. Ich erinnerte mich an die Elemente, Wind, Regen, Schnee, die Wärme des Sommers und die kühlen Böen des Frühlings. Auf der Schatten-Erde hatte ich ein kleines Flugzeug besessen, und das Gefühl des Fliegens war herrlich gewesen. Ich dachte an die schimmernden Panoramen aus Farbe und Tiefe, die Miniaturisierung der Städte, die blaue Unendlichkeit des Himmels, die Herden von Wolken (wo waren sie jetzt?) und an die saubere Weite des Ozeans unter den Tragflächen. Ich erinnerte mich an Frauen, die ich geliebt hatte, an Parties und militärische Aktionen. Und wenn ich mit allem durch war und nicht mehr anders konnte, dachte ich an Amber.

Und während ich einmal daran dachte, begannen meine Tränendrüsen wieder zu funktionieren. Ich weinte.

Nach einer unendlichen Zeit, einer Zeit voller Dunkelheit und unbestimmbaren Schlafperioden, vernahm ich Schritte, die vor meiner Zellentür verhielten, und ich hörte, wie ein Schlüssel ins Schloß gesteckt wurde.

Reins Besuch lag so weit zurück, daß ich den Geschmack des Weins und der Zigaretten vergessen hatte. Ich vermochte die Zeitspanne nicht abzuschätzen – jedenfalls war eine lange Zeit vergangen.

Zwei Männer befanden sich auf dem Korridor, das vermochte ich den Schritten zu entnehmen, ehe sie etwas sagten.

Eine der Stimmen kannte ich.

Die Tür ging auf, und Julian nannte meinen Namen.

Ich antwortete nicht sofort, und er wiederholte seinen Ruf.

»Corwin? Komm her!«

Da ich kaum eine andere Wahl hatte, stemmte ich mich hoch und trat vor. Ich blieb stehen, als ich spürte, daß ich dicht vor ihm stand.

»Was willst du?«

»Komm mit!« Und er packte mich am Arm.

Wir gingen durch den Korridor, und er sagte nichts, und ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, als ihm eine Frage zu stellen.

Die Echos verrieten mir den Augenblick, da wir den großen Saal betraten. Gleich darauf führte er mich die Treppe hinauf.

Wir stiegen empor und erreichten den eigentlichen Palast.

Ich wurde in ein Zimmer geführt und in einen Sessel gedrückt. Ein Friseur machte sich an meinem Haar und Bart zu schaffen. Ich erkannte seine Stimme nicht, als er mich fragte, ob er den Bart stutzen oder ganz abschneiden sollte.

»Abschneiden«, sagte ich, während sich jemand daran machte, meine Finger- und Fußnägel zu maniküren.

Dann wurde ich gebadet, und jemand half mir in saubere Sachen, die lose an mir herabhingen. Außerdem wurde ich entlaust, aber das sollten Sie lieber vergessen.

Dann wurde ich an einen anderen düsteren Ort geführt, wo es Musik, herrliche Essensgerüche, Stimmengemurmel und Gelächter gab. Ich erkannte den Speisesaal.

Die Stimmen wurden etwas leiser, als Julian mich hereinführte und Platz nehmen ließ.

Ich blieb sitzen, bis die Fanfarenstöße erklangen, woraufhin ich aufstehen mußte.

Ich hörte den Trinkspruch.

»Auf Eric den Ersten. König von Amber! Lang lebe der König!«

Ich trank nicht, was aber niemand zu bemerken schien. Caines Stimme hatte den Spruch ausgebracht, ein gutes Stück weiter oben am Tisch.

Ich aß soviel ich konnte, denn es war das beste Essen, das mir seit der Krönung vorgesetzt worden war. Aus Gesprächen, die ich mitbekam, ging hervor, daß heute der Jahrestag von Erics Krönung war – ich hatte also ein ganzes Jahr in meinem Verlies zugebracht!

Niemand richtete das Wort an mich, und ich bemühte mich auch nicht um ein Gespräch. Ich war lediglich als Gespenst zugegen. Sicher um mich zu erniedrigen, aber auch als lebendes Mahnmal für meine Brüder – das Opfer einer Auflehnung gegen den Herrscher. Und allen war befohlen worden, mich zu vergessen.

Das Fest währte bis tief in die Nacht. Irgend jemand versorgte mich ständig mit Wein, immerhin, und ich saß da und lauschte auf die Musik und die Tänze.

Inzwischen waren die Tische fortgeräumt worden, und ich saß irgendwo in einer Ecke.

Ich betrank mich sinnlos und wurde schließlich am Morgen in meine Zelle zurückgeschleift. Ich bedauerte nur, daß mir nicht richtig übel geworden war. Zu gern hätte ich jemandem auf den sauberen Boden oder über das Hemd gekotzt.

So ging mein erstes Jahr der Dunkelheit zu Ende.

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