Lackland starrte den Meskliniten sprachlos an und wollte zunächst seinen Ohren nicht trauen. Dann fragte er zögernd: »Soll das heißen, daß ihr bereit wärt, die Bree auf einem Schlitten über Land zu ziehen, wie ihr mich gezogen habt?«
»Nicht ganz. Das Schiff ist viel schwerer als wir, und wir brächten es kaum von der Stelle. Ich dachte eher daran, daß du uns ziehen würdest – mit einem anderen Schlepper.«
»Hmm, das wäre möglich, solange wir nicht auf Gelände stoßen, in dem der Schlepper nicht mehr vorankommt. Aber die Fahrt ist vielleicht gefährlich – wir müßten Bergrücken überqueren und in ein unbekanntes Land vorstoßen, das keiner von uns kennt. Glaubst du nicht, daß die Besatzung davor zurückschrecken würde?«
»Wir leben schon immer gefährlich«, versicherte Barlennan ihm. »Ich habe mich gut an Höhen g ewöhnt – selbst ans Dach deines Schleppers. Gefahren schrecken uns nicht, denn die Bree ist mit Feuer bewaffnet, und Landtiere sind notwendigerweise kleiner als Seeungeheuer.«
»Du hast natürlich recht, Barl«, stimmte Lackland zu. »Ich wollte dich nicht entmutigen, sondern mich nur vergewissern, daß du dir die Sache gründlich überlegt hast. Wenn wir einmal unterwegs sind, können wir schlecht umkehren.«
»Das weiß ich, Charles. Du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen.« Der Kommandant sah zum Himmel auf. »Ich muß zum Schiff zurück; überall ziehen schwere Wolken auf. Ich werde meinen Leuten erklären, was uns bevorsteht, und sie daran erinnern, daß jeder von ihnen am Gewinn dieser Reise seinem Rang entsprechend beteiligt wird. In meiner Besatzung gibt es keinen, der seine Angst nicht überwinden könnte, wenn er dabei reich wird.«
»Und du, Barl?« fragte Lackland.
»Oh, ich habe keine Angst«, erwiderte der Mesklinit und verschwand in der Nacht. Als Rosten von dem neuen Plan hörte, machte er einige bissige Bemerkungen darüber, daß Lackland sich wieder einen Trick habe einfallen lassen, um zu einem Schlepper zu kommen.
»Vielleicht läßt sich die Sache wirklich so durchführen«, gab er dann widerwillig zu. »Wie soll der Schlitten für Barlennans Ozeandampfer aussehen?
Wie groß ist das Ding?«
»Die Bree ist etwa zwölf Meter lang und knapp vier Meter breit; ihr Tiefgang beträgt nicht mehr als fünfzehn Zentimeter. Sie besteht aus einzelnen Flößen, die sich unabhängig voneinander bewegen können – der Grund dafür dürfte klar sein.«
»Allerdings«, knurrte Rosten. »Jedes Schiff mit starrem Rumpf, das dort unten in die Nähe eines Pols kommt, besteht bald aus einzelnen Stücken – ob es so abgefahren ist oder nicht. Wie wird es angetrieben?«
»Auf zwanzig oder fünfundzwanzig Flößen stehen Masten mit Segeln. Ich vermute, daß die Bree auch Kielschwerter hat, die eingeholt werden, wenn die Besatzung das Schiff a n Land zieht. Ich kann nicht beurteilen, ob die Eingeborenen gute Seeleute sind, aber da der Kommandant mir von unglaublich langen Reisen erzählt hat, nehme ich an, daß sie gut mit Wind und Wetter zurechtkommen.«
»Das glaube ich auch. Gut, wir bauen eine Art Schlitten aus Leichtmetall.«
»Wann bekomme ich den Schlepper?« fragte Lackland.
»Sobald Sie ihn brauchen können, das heißt im Frühjahr«, antwortete Rosten. »Und wenn Sie den zweiten auch in die Luft jagen, können Sie sich die Mühe sparen, einen dritten anzufordern. Der dritte steht nämlich auf der Erde…«
Als Barlennan einige hundert Tage später hörte, daß der Schlitten bereits gebaut wurde, zeigte er sich hochbefriedigt. Auch die Besatzung konnte es kaum noch erwarten, zu dieser Fahrt ins Ungewisse aufbrechen zu dürfen; Lackland schloß daraus, daß der Kommandant und seine Leute dort nicht nur reinen Gewinn, sondern auch Abenteuer zu finden hofften.
»Wir brechen auf, sobald die Stürme nachlassen«, sagte Barlennan. »Hast du dir schon die beste Route überlegt?«
Lackland nickte und breitete seine Karte aus.
»Die kürzeste Route, die wir gemeinsam entdeckt haben, besitzt den Nachteil, daß ich euch über die Berge schleppen müßte. Das ließe sich machen, aber ich weiß nicht, wie deine Besatzung auf größere Höhen reagieren würde. Deshalb habe ich mich für diese Route entschieden, die hier rot eingezeichnet ist.
Die Route führt etwa zweitausend Kilometer weit an dem großen Fluß entlang, der auf unserer Seite in den Ozean mündet. Kürzen wir jedoch kleinere Flußschleifen ab, verringert sich die Strecke um mindestens zweihundert Kilometer. An dieser Stelle verlassen wir den Fluß, fahren geradeaus übers Land und erreichen sechshundert Kilometer weiter den nächsten Fluß. Dort könnt ihr wieder segeln – oder ich schleppe euch weiter, wenn das Zeit und Mühe spart. Dumm ist nur, daß wir gegen Ende der Fahrt sechshundertfünfzig Kilometer vom Äquator entfernt sind, wo die Schwerkraft rasch anwächst.
Aber ich nehme an, daß ich auch dreieinhalb g aushalte.«
»Unter diesen Umständen ist deine Route wirklich die beste Lösung«, antwortete Barlennan mit einem nachdenklichen Blick auf die Karte.
Da jetzt feststand, welchen Weg sie nehmen würden, hatte Lackland nichts mehr zu tun und konnte nur noch auf das Ende des Winters warten. Er vertrieb sich die Zeit damit, seine Karte zu vervollständigen und darüber nachzudenken, welche Hindernisse ihnen auf der Fahrt über die Landenge begegnen konnten. Diese Überlegungen führten dazu, daß er sich mit Rosten in Verbindung setzte und ihn bat, den Schlepper mit einer 40-mm Kanone ausrüsten zu lassen, die Brand- und Sprenggranaten verschießen konnte. Doc Rosten erhob verschiedene Einwände, ließ sich aber doch überzeugen und gab brummend seine Zustimmung.
Inzwischen waren auch die Stürme seltener und schwächer geworden, während der Meeresspiegel zur gleichen Zeit fast zwanzig Meter gestiegen war und weiter zu steigen schien. Die Meteorologen auf Toorey waren vor Erstaunen sprachlos, als sie ihre letzten Aufnahmen mit anderen verglichen, die im Herbst des vergangenen Jahres gemacht worden waren, und dabei feststellen mußten, daß der Meeresspiegel in verschiedenen Breiten unterschiedlich rasch angestiegen war. Barlennan konnte keine Erklärung für dieses Phänomen geben, war aber durchaus bereit, in nächster Zeit aufzubrechen, ohne sich von lächerlichen Naturerscheinungen dieser Art aufhalten zu lassen.
Lackland benachrichtigte also Dr. Rosten, der seinerseits veranlaßte, daß Schlitten und Schlepper verladen wurden.
Die Rakete mußte zweimal fliegen und brachte zunächst den Schlitten, weil vorgesehen war, daß die Besatzung der Bree das Schiff darauf verladen würde, während der Schlepper unterwegs war.
Lackland riet jedoch davon ab, in der Nähe des Schiffes zu landen, und der Pilot setzte den Schlitten neben der Kuppel ab, wo Lackland ihn zur Bree schleppen konnte.
Als der Schlitten endlich in der Nähe der Bree lag, beobachtete Lackland verblüfft, mit welcher Geschwindigkeit die Besatzung ihr Schiff über den lockeren Sand zog. Nach seiner Uhr waren kaum drei Stunden vergangen, als die Bree sicher vertäut auf dem Schlitten lag. Die Taue schienen ziemlich schwach zu sein, aber die Eingeborenen hatten sie sogar dazu benützt, das Schiff während der Winterstürme vor Anker zu halten, in denen Lackland sich nicht einmal mit voller Ausrüstung ins Freie gewagt hätte.
Er überlegte eben, ob dieses Material die höheren Temperaturen auf der Erde aushalten würde, als Barlennan zu ihm kam, um zu melden, daß Schiff und Schlitten fertig zum Aufbruch seien. Die Last hing an einem langen Kabel hinter dem Schlepper, der genügend Lebensmittel für mehrere Tage enthielt. Lackland sollte im Verlauf der Reise aus der Luft versorgt werden, wobei die Rakete weit vor ihm landen würde, um die Eingeborenen nicht u nnötig zu beunruhigen.
»Schön, dann können wir also gleich fahren, kleiner Freund«, stellte Lackland fest. »Alles an Bord!« Er kletterte in die Kabine, verschloß die Tür und pumpte die Wasserstoffatmosphäre nach draußen, um sie durch Luft zu ersetzen. Der kleine Algentank, in dem der verbrauchte Sauerstoff regeneriert wurde, leuchtete silbern auf, als die ersten Luftblasen in seinem Innern erschienen. Lackland warf einen Blick auf seine Instrumente, stellte fest, daß alles in Ordnung war, und fuhr in Richtung Osten los.
Das flache Land entlang der Küste veränderte sich allmählich. Als Lackland nach etwa vierzig Tagen anhalten und schlafen mußte, hatten sie ungefähr achtzig Kilometer zurückgelegt und befanden sich in einer Hügellandschaft, deren höchste Erhebungen dreihundert Meter erreichten. Bisher war die Fahrt ohne Schwierigkeiten verlaufen, und Barlennan berichtete, die Besatzung genieße diese neue Fortbewegungsart sichtlich. Der Schleppzug legte etwa acht Kilometer in der Stunde zurück, während die Meskliniten auf ihren sechsunddreißig Beinen kaum mehr als drei Stundenkilometer erreichten.
Aber unter dieser – für Eingeborene – lächerlich geringen Schwerkraft konnten sie unbesorgt über Bord gehen und dem Schlepper in weiten Sprüngen folgen. Bisher hatte nur Barlennan den Mut dazu besessen; er glaubte jedoch, daß seine Fortbewegungsart bald Nachahmer finden würde. In den letzten Tagen waren keine Tiere mehr zu sehen gewesen, aber im Schnee zeichneten sich hier und dort kleine Spuren ab, die deutlich bewiesen, daß es selbst in höheren Lagen noch jagdbares Wild gab. Die Pflanzen unterschieden sich auffällig von denen am Strand; an einigen Stellen wuchs eine Art Gras aus dem Schnee, und die Besatzung der Bree versammelte sich einmal am Rand des Schlitten, um ein Gewächs zu bewundern, das Lackland für einen ziemlich verkümmerten Baum hielt. Aber die Meskliniten hatten noch nie eine Pflanze gesehen, die sich so hoch über dem Boden erhob.
Nachdem Lackland geschlafen hatte, vergewisserte er sich, daß die Besatzung der Bree wieder an Bord war, bevor er die Fahrt nach Osten fortsetzte.
In den folgenden Tagen wurden die Hügel merklich höher, und der Schleppzug mußte zweimal Methanbäche überwinden, die zum Glück so schmal waren, daß der Schlitten von einem Ufer zum anderen reichte. Die Eingeborenen schienen sich allmählich an die Hügel zu gewöhnen; Barlennan berichtete jedenfalls, die Stimmung sei wieder glänzend, nachdem sie zuvor etwas bedrückt gewesen war.
Aber am einundzwanzigsten Tag des zweiten Teils ihrer Fahrt tauchte eine seltsame Erscheinung vor ihnen auf, die ihre gesamte Aufmerksamkeit beanspruchte.