10

Wenige Kilometer unterhalb des Wasserfalls wurde der Fluß zusehends breiter und strömte langsamer meerwärts. Barlennan hatte zunächst Segel setzen lassen, aber der Wind ließ bald nach, so daß die Bree auf die Strömung angewiesen war, die sie jedoch in die gewünschte Richtung brachte, so daß niemand Grund zur Klage hatte.

Der Ruß schlängelte sich in weitem Bogen durch die flache Landschaft; an seinen Ufern standen gelegentlich Bäume, die achtzig oder neunzig Kilometer flußabwärts einen regelrechten Wald bildeten. Barlennan beobachtete diese seltsame Naturerscheinung mit zunehmendem Interesse und befahl schließlich dem Rudergänger, er solle das Schiff dichter ans Ufer steuern, weil er sich diesen Wald aus der Nähe ansehen wollte.

Die Dunkelheit unter den Bäumen in Ufernähe war jedoch so bedrückend, daß der Kommandant seinem Rudergänger schon bald einen Wink gab, er solle wieder in die Mitte des Flusses hinaussteuern.

Dondragmer sprach für die übrigen Besatzungsmi tglieder, als er halblaut vor sich hin murmelte: »Wer dort leben kann, ist bestimmt nicht ganz richtig im Kopf.« Vielleicht hatten die Zuhörer am Ufer verstanden, was er sagte, oder vielleicht fürchteten sie auch, die Fremden wollten ihnen ihren Wald wegnehmen – jedenfalls beschlossen sie, kein Risiko einzugehen, und die Schiffsbesatzung hatte wieder einmal Gelegenheit, Erfahrungen mit Wurfgeschossen zu machen.

Diesmal handelte es sich um Speere. Sechs zischten vom Ufer her über den Fluß und bohrten sich tief ins Deck der Bree; zwei weitere prallten von Schutzpanzern ab und fielen über Bord. Die beiden Getroffenen machten unwillkürlich einen Satz, landeten im Fluß, schwammen hinter dem Schiff her und wurden an Bord gezogen. Der Rudergänger handelte selbständig und steuerte noch weiter in den Fluß hinaus.

Der Kommandant wies ihn an, die Bree in der Flußmitte zu halten, und ging selbst ans Funkgerät, um Lackland, der inzwischen nach Toorey zurückgekehrt war, van diesem Vorfall zu berichten.

Der Wald erstreckte sich noch über hundertfünfzig Kilometer weit an beiden Ufern, während der Fluß allmählich breiter wurde. Nach dem ersten Zusammentreffen mit den Waldbewohnern hielt sich die Bree in der Flußmitte, aber selbst diese Vorsichtsmaßnahme genügte nicht, ihr eine unbehelligte Weiterfahrt zu sichern. Wenige Tage nach dem Überfall wurde am Unken Ufer eine kleine Lichtung sichtbar. Barlennan befand sich nur wenige Zentimeter über der Oberfläche und sah deshalb nicht besonders gut, aber er erkannte trotzdem, daß auf der Lichtung eigenartige Dinge standen, die näher untersucht werden mußten. Er zögerte zunächst noch, gab aber dann den Befehl, das Ufer anzusteuern. Die seltsamen Dinge erinnerten an Baumstämme, waren jedoch niedriger und dicker. Hätte Barlennan einen der Schiffsmasten erklettert, hätte er dicht über dem Boden kleine Öffnungen erkannt, die den Zweck dieser Dinge ahnen ließen. Lackland, der das gleiche Bild vor sich auf seinem Schirm sah, dachte sofort an afrikanische Negerhütten, äußerte sich aber nicht dazu. Er interessierte sich vor allem für einige andere Dinge, die in der Nähe des ›Dorfes‹ am Flußufer lagen. Dabei hätte es sich um Baumstämme oder Krokodile handeln können – das war aus dieser Entfernung nicht zu unterscheiden –, aber Lackland vermutete, daß es Kanus waren. Er wartete gespannt darauf, wie Barlennan und seine Leute auf diese ihnen unbekannte Bootsform reagieren würden.

Es dauerte jedoch ziemlich lange, bevor jemand an Bord der Bree erkannte, daß die ›Baumstämme‹ in Wirklichkeit Boote und die anderen Dinge Hütten waren. Lackland fürchtete schon, das Schiff werde in der Mitte des Flusses bleiben, ohne sich der Siedlung zu nähern, denn Barlennan war in letzter Zeit sehr vorsichtig geworden. Es gab jedoch auch andere, die verhindern wollten, daß die Bree einfach vorbeifuhr, und als das Schiff auf Höhe des Dorfes angelangt war, strömten dessen Bewohner aus ihren Hütten zum Fluß und bewiesen, daß Lackland richtig vermutet hatte. Jeweils zehn oder zwölf dieser Wesen, die offenbar zu Barlennans Rasse gehörten, fanden in einem Kanu Platz, stießen sich vom Ufer ab und paddelten auf die Bree zu.

Die Schiffsbesatzung machte bei ihrem Auftauchen die Flammenwerfer klar, obwohl der Kommandant selbst bezweifelte, daß sie unter diesen Umständen wirkungsvoll eingesetzt werden konnten. Krendoranic, der Waffenoffizier, arbeitete wie ein Verrückter an seinen Tanks, aber niemand wußte, was er vorhatte; für ihn und seine Leute gab es bei der gegenwärtigen Windstille nichts zu tun.

Allein dieser Umstand, der auf See nie zu berücksichtigen war, brachte die Verteidigungsmaßnahmen der Bree völlig durcheinander.

Wenig später stellte sich jedoch heraus, daß die Flammenwerfer ohnehin nutzlos gewesen wären, denn die Kanus beschrieben einen weiten Bogen und kreisten die Bree von allen Seiten ein. Als sie nur noch zwei oder drei Meter von den äußeren Flößen entfernt waren, hörte die Besatzung auf zu paddeln; Barlennans Leute und die Eingeborenen starrten sich einige Minuten lang schweigend an.

Lackland fluchte leise vor sich hin, denn die Sonne ging ausgerechnet in diesem Augenblick unter, so daß sein Bildschirm dunkel wurde. In den nächsten acht Minuten hörte er zwar Stimmen, konnte aber nicht einmal unterscheiden, ob Besatzungsmitglieder der Bree oder Eingeborene sprachen; allerdings schien es sich nicht um eine gewalttätige Auseinandersetzung, sondern noch um den Versuch einer Gesprächsanknüpfung zu handeln.

Bei Sonnenaufgang stellte Lackland fest, daß die Nacht eine überraschende Veränderung mit sich gebracht hatte. Die Bree hätte inzwischen weiter flußabwärts getrieben sein sollen; statt dessen b efand sie sich jetzt nicht weit vom Dorf entfernt in Ufernähe. Lackland wollte sich schon bei Barlennan erkundigen, weshalb er dieses beträchtliche Risiko auf sich genommen und wie er die Bree in Ufernähe manövriert habe, als er merkte, daß der Kommandant ebenso verblüfft war.

Lackland runzelte irritiert die Stirn. »Barl sitzt bereits in der Tinte«, erklärte er seinem Nachbarn.

»Ich weiß, daß er ein kluger Kopf ist, aber wer fünfzigtausend Kilometer vor sich hat, darf nicht schon nach fünfhundert auf Grund laufen.«

»Wollen Sie ihm nicht irgendwie helfen? Überlegen Sie nur, was von seinem Erfolg oder Mißerfolg abhängt – ein paar Milliarden Dollar und unser Ruf als Wissenschaftler.«

»Was soll ich tun? Ich kann ihm nur gute Ratschläge geben, und er kann die Lage dort unten selbst besser beurteilen. Immerhin hat er es mit Angehörigen seiner eigenen Rasse zu tun.«

»Soweit ich die Eingeborenen sehe, sind sie Barlennan etwa so ähnlich, wie die Südseeinsulaner Captain Cook ähnlich waren. Ich gebe zu, daß sie offenbar der gleichen Rasse angehören, aber falls sie… äh… Kannibalen sind, hat Barlennan nichts zu lachen.«

»Und wie soll ich ihm aus der Patsche helfen?«

erkundigte Lackland sich. »Wie schwatzt man e inem Kannibalen seine Beute ab, wenn man seine Sprache nicht beherrscht und ihm nicht einmal Auge in Auge gegenübersteht? Glauben Sie im Ernst, die Eingeborenen würden auf einen kleinen Kasten achten, aus dem eine komische Stimme kommt?«

Der andere zog die Augenbrauen hoch. »Ich kann zwar nicht Gedanken lesen, aber ich wette, daß die Eingeborenen so erschrocken wären, daß sie alles täten, was der kleine Kasten verlangt. Als Ethnologe versichere ich Ihnen, daß Cooks Südseeinsulaner Ihr Funkgerät als Gottheit verehrt und ihm Opfer gebracht hätten.«

Lackland nickte langsam und beobachtete wieder den Bildschirm. Die Schiffsbesatzung stemmte einige Masten in den Fluß und wollte die Bree dadurch vorwärtsbewegen, aber auch dieser Versuch blieb erfolglos.

Dondragmer kletterte über die äußeren Flöße und stellte fest, daß die Bree in einer Art Käfig lag, der aus Pfählen bestand, die ins Flußbett eingerammt waren; nur stromaufwärts waren keine Pfähle zu sehen – aber dort warteten die Kanus der Eingeborenen. Barlennan hörte sich den Bericht seines Maats an, ließ die Besatzung aufs Achterfloß zurücktreten und näherte sich selbst dem Bug. Ihm war längst klar, daß die Eingeborenen nachts unter der Oberfläche herangeschwommen sein mußten, um die Bree an den gewünschten Platz zu schieben; das war keineswegs überraschend, denn er konnte selbst einige Zeit unter der Oberfläche bleiben, weil Meer und Flüsse genügend Wasserstoff enthielten.

Er fragte sich nur, was die Eingeborenen mit seinem Schiff wollten.

Auf dem Weg zum Bug nahm er ein großes Stück Fleisch aus einer der Vorratskammern, trug es vor sich her und zeigte es den schweigend wartenden Eingeborenen. In den Kanus wurde Stimmengewirr laut, dann kam eines näher heran, und der Eingeborene im Bug richtete sich auf, um das angebotene Fleisch entgegenzunehmen. Barlennan beobachtete, daß der Häuptling – jedenfalls hielt er den Eingeborenen an der Spitze des Bootes für den Häuptling – den größten Teil des Fleisches für sich behielt und den Rest unter seine Leute verteilte. Das war ein gutes Zeichen, denn daraus ging hervor, daß die Eingeborenen eine gewisse soziale Entwicklungsstufe erreicht hatten.

Barlennan holte ein zweites Stück Fleisch, ließ es aber nicht los, als der Häuptling danach griff; statt dessen deutete er abwechselnd auf das Fleisch und die Pfähle, die das Schiff von drei Seiten umgaben.

Der Kommandant war davon überzeugt, daß der andere seine Zeichensprache verstehen müsse; ihre Bedeutung war jedenfalls sogar den beiden Männern klar, die ihn auf Toorey beobachteten.

Der Häuptling schien jedoch keinen Spaß zu verstehen und reagierte sofort, als er begriff, daß Barlennan das Fleisch diesmal nicht ohne Gegenleistung hergeben würde. Auf seinen Befehl hin zogen die Hälfte der Krieger in jedem Boot ihre Paddel ein, duckten sich und sprangen an Bord des fremden Schiffes.

Die Besatzung der Bree war nicht auf einen Angriff aus der Luft gefaßt, und da ihre Aufmerksamkeit zu Beginn der Verhandlungen nachgelassen hatte, kam es nicht zu einem ernsthaften Kampf.

Die Eingeborenen besetzten das Schiff in weniger als fünf Sekunden. Eine Gruppe unter Führung des Häuptlings untersuchte die Vorratskammern und gab ihrer Zufriedenheit lautstark Ausdruck. Barlennan beobachtete verzweifelt, daß das schöne Fleisch an Deck gezerrt und zum Abtransport b ereitgelegt wurde; erst in diesem Augenblick fiel ihm ein, daß er den Flieger um Rat bitten könnte.

»Charles!« rief er auf Englisch. »Hast du das g esehen?«

»Ja, Barl; ich habe alles gesehen«, antwortete Lackland und beobachtete dabei die Reaktion der Eingeborenen. Er wurde nicht enttäuscht. Der Häuptling, der dem Funkgerät den Rücken zugekehrt hatte, warf sich plötzlich herum und suchte verblüfft nach der Ursache des Geräuschs. Einer seiner Leute deutete auf das Funkgerät, aber der Häuptling schien anderer Meinung zu sein, nachdem er den seltsamen Kasten genauer betrachtet hatte. In diesem Augenblick sprach Lackland wieder.

»Glaubst du, daß wir sie dazu bringen können, vor den Funkgeräten Angst zu haben, Barl?«

Diesmal war der Kopf des Häuptlings nur Zentimeter vom Lautsprecher entfernt, und Lackland hatte die Lautstärke absichtlich nicht verringert.

Folglich war kein Zweifel mehr daran möglich, daß das Geräusch wirklich aus dem Kasten gekommen war. Der Häuptling zog sich langsam zurück; Lackland mußte sich beherrschen, um nicht laut zu l achen, als er sah, daß der Eingeborene sich bemühte, nur langsam zurückzuweichen, um sich vor seinen Leuten keine Blöße zu geben.

Bevor der Kommandant Lacklands Frage beantworten konnte, näherte Dondragmer sich dem Fleischberg, wählte das beste Stück aus und legte es ehrfürchtig vor das Funkgerät. Er riskierte dabei, daß die Eingeborenen ihn verwundeten oder sogar töteten, aber die Wachen waren so verblüfft, daß sie nicht daran dachten, ihn aufzuhalten. Lackland begriff sofort, was der Maat beabsichtigte, und verringerte die Lautstärke in der Hoffnung, daß die Eingeborenen daraus schließen würden, die Got theit sei durch das Opfer besänftigt.

»Gut gemacht, Don«, sagte er. »Auf diese Wese kann ich zustimmen oder ablehnen, solange ich sehe, was unsere neuen Bekannten vorhaben. Vielleicht gelingt es auch, die Eingeborenen davon zu überzeugen, daß die Funkgeräte in Wirklichkeit mächtige Gottheiten sind, die Blitz und Donner verursachen, wenn man sie ärgert.«

»Ich verstehe; wir geben uns schon Mühe«, antwortete Dondragmer. »Ich habe mir gleich gedacht, daß du etwas in dieser Art vorhattest.«

Der Häuptling hatte inzwischen seinen Mut wiedergefunden und holte jetzt mit dem Speer aus, als wolle er das nächste Funkgerät durchbohren. Lackland schwieg diesmal, weil, er wußte, daß der Eingeborene ohnehin erschrecken würde, wenn sein Holzspeer zersplitterte. Die Schiffsbesatzung griff das neue Spiel eifrig auf und wandte sich jetzt mit allen Anzeichen höchsten Entsetzens ab. Barlennan nahm schließlich ein zweites Stück Fleisch auf und legte es mit einer Geste vor das Funkgerät, die deutlich besagte, er wolle für das Leben des unwissenden Fremden bitten.

Die Eingeborenen waren sichtlich beeindruckt, und der Häuptling zog sich wieder zurück, versammelte seine Ratgeber um sich und begann eine Lagebesprechung. Kurze Zeit später näherte sich einer der Ratgeber zögernd dem nächsten Funkgerät und legte ein Stück Fleisch davor nieder. Lackland wollte sich schon leise bedanken, als Dondragmer »ablehnen!« rief; er erhöhte also die Lautstärke und brüllte mit aller Kraft ins Mikrophon. Der Eingeborene wich entsetzt zurück, wurde aber nochmals vorgeschickt und mußte ein anderes Stück Fleisch bringen.

»In Ordnung«, sagte Dondragmer, und Lackland verringerte die Lautstärke.

»Was war vorher los?« fragte er ruhig.

»Er hat dir das schlechteste Stück Fleisch angeboten, das er finden konnte«, erklärte der Maat.

»Erstaunlich menschenähnlich«, murmelte Lackland vor sich hin. »Hoffentlich haben die Eingeborenen nachts nichts mehr vor«, fügte er dann lauter hinzu. »Ich sehe schon fast nichts mehr und muß mich darauf verlassen, daß du mich rechtzeitig warnst, wenn ich reagieren soll.« Inzwischen ging die Sonne wieder unter, aber Barlennan versicherte ihm, er werde prompt benachrichtigt, falls sein Eingreifen erforderlich sei.

Nachts war meistens nur die Stimme des Häuptlings zu hören, der mit seinen Ratgebern diskutierte, die allerdings kaum zu Wort kamen. Gegen Morgen schien er einen Entschluß gefaßt zu haben; er legte seine Waffen ab, ließ die Ratgeber zurücktreten, gab Barlennans Wachen ein Zeichen, sie sollten den Gefangenen freilassen, und überquerte im Licht der Morgensonne das Deck. Der Kommandant erwartete ihn gelassen, da er sich bereits vorstellen konnte, was der andere wollte. Der Häuptling blieb dicht vor ihm stehen, legte eine bedeutungsvolle Pause ein und begann dann zu sprechen.

Seine Worte waren unverständlich; aber selbst die beiden Männer auf Toorey begriffen, daß der Eingeborene eines der Funkgeräte wollte. Was er sich davon versprach, war nicht ganz klar, aber offensichtlich legte er großen Wert darauf. Barlennan hörte sich seine Rede geduldig an und antwortete nur mit einer kurzen Geste, die unmißverständliche Ablehnung ausdrückte.

Zu Lacklands großer Erleichterung wurde der Häuptling daraufhin nicht etwa gewalttätig, sondern rief seinen Leuten statt dessen einen Befehl zu. Die Eingeborenen schafften einen Teil des g eraubten Fleisches in die Vorratskammern der Bree zurück. Als die Hälfte der Beute zurückgegeben war, wiederholte der Häuptling seine Frage; Barlennan lehnte jedoch wieder ab, und der Eingeborene ließ auch den Rest zurückbringen. Lackland wurde allmählich unruhig.

»Was unternimmt er vermutlich, wenn du nochmals ablehnst, Barl?« fragte er leise. Der Häuptling warf dem Funkgerät einen hoffnungsvollen Blick zu, als erwarte er, die Gottheit werde sich zu seinen Gunsten einmischen.

»Keine Ahnung«, antwortete der Kommandant.

»Wenn wir Glück haben, bringt er noch andere Waren aus dem Dorf, aber ich zweifle fast daran.

Wäre das Gerät weniger wichtig, würde ich es ihm jetzt geben.«

»Das ist doch unglaublich!« Der Ethnologe neben Lackland explodierte förmlich. »Soll das etwa heißen, daß Barlennan sein Leben und das seiner Leute aufs Spiel setzt, um ein schäbiges Funkgerät zu retten?«

»Schäbig ist kaum der richtige Ausdruck«, murmelte Lackland. »Die Dinger kosten einen Haufen Geld.«

»Reden Sie keinen Unsinn!« knurrte der andere.

»Denken Sie l ieber daran, daß uns auch damit g eholfen ist, wenn wir diese Eingeborenen beobachten können! Barlennan soll ihnen das Gerät überlassen!«

»Dann hat er nur noch drei, von denen eines unbedingt den Südpol erreichen muß«, wandte Lackland ein. Er runzelte nachdenklich die Stirn und sprach dann in sein Mikrophon: »Barl, du mußt selbst entscheiden, was in diesem Fall zu tun ist.

Vielleicht kommst du mit drei Geräten aus, und meine Freunde hier wären bestimmt nicht unglücklich, wenn die Wilden das vierte behielten.«

»Vielen Dank, Charles.« Barlennans Entschluß war bereits gefaßt. Zum Glück hatte der Häuptling die Unterhaltung gespannt verfolgt, ohne sich einzumischen; jetzt beobachtete er, wie Barlennan seinen Leuten rasch einige Befehle erteilte.

Das Funkgerät wurde vorsichtig aus ›sicherer‹ Entfernung mit Stangen auf eine doppelte Seilschlinge geschoben. Barlennan erhielt ein Seilende und übergab es seinerseits ehrfürchtig dem Häuptling, der vier Ratgeber heranwinkte, die das Gerät tragen sollten. Die Eingeborenen näherten sich vorsichtig dem äußersten Floß, und das Kanu des Häuptlings kam heran – ein langer Einbaum mit papierdünnen Seitenwänden.

Barlennan warf einen mißtrauischen Blick auf das seltsame Boot, weil er sich nicht vorstellen konnte, daß dieses verrückte Ding das schwere Funkgerät tragen würde. Zu seiner Überraschung sank das Kanu jedoch nur wenig tiefer, als die Last abgesetzt wurde. In diesem Augenblick wurde Barlennan klar, daß er sich das Boot unbedingt verschaffen mußte, um herauszubekommen, weshalb Schiffe dieser Art im Verhältnis zu ihrer Größe verblüffend schwere Lasten tragen konnten.

Als der Häuptling und seine vier Ratgeber an Bord des Kanus gingen, folgte Barlennan ihnen unaufgefordert. Die Eingeborenen beobachteten ihn erstaunt, hielten ihn a ber nicht zurück. Der Kommandant wußte genau, was er wollte, war sich aber noch nicht darüber im klaren, wie er es anfangen sollte. Deshalb näherte er sich zuerst dem Funkgerät.

»Charles, ich muß dieses kleine Schiff haben, selbst wenn ich es den Kerlen nachts stehlen müßte. Antworte bitte irgend etwas, sobald ich nicht mehr spreche. Die Leute sollen den Eindruck h aben, ihr Boot sei nicht mehr für den Alltagsgebrauch geeignet, sondern müsse statt dessen den Platz des Funkgeräts auf Deck einnehmen. Willst du mir dabei helfen?«

»Es widerstrebt mir eigentlich, Erpressern – das Wort erkläre ich dir später – behilflich zu sein, aber ich bewundere deine Unverschämtheit. Viel Glück, Barl, hoffentlich merkt unser Freund nicht, daß du ihn hereinlegen willst.« Lackland schwieg und beobachtete gespannt, wie der Mesklinit sich an die Arbeit machte.

Barlennan verzichtete auch diesmal auf große Worte, aber seine Gesten waren selbst für Menschen verständlich, und die Eingeborenen begriffen sofort, was er im Sinn hatte. Er untersuchte zunächst das Kanu und gab seine Zufriedenheit zu erkennen, dann verscheuchte er ein zweites Boot, das zu nahe gekommen war, und machte dem Häuptling klar, daß seine Leute unter allen Umständen genügend Abstand halten sollten.

Als nächstes kehrte er an Bord zurück, ließ die restlichen Funkgeräte zur Seite räumen und bereitete demonstrativ einen Platz vor, der für das Kanu genügen mußte. Vermutlich hätte er seinen wortlosen Überredungsversuch weiter fortgesetzt, aber an dieser Stelle ging die Sonne unter. Die Eingeborenen ließen sich davon nicht abhalten; bei Sonnenaufgang lag das Kanu bereits am Ufer. Barlennan beobachtete aufmerksam, wie der Häuptling und seine Ratgeber die kostbare Last aus dem Boot hoben und stellte befriedigt fest, daß alle übrigen Eingeborenen sich in respektvoller Entfernung hielten. Dann verschwand der ganze Stamm jenseits der Uferböschung; die Bree hätte jetzt weiterfahren können, aber der Kommandant gab nicht so rasch auf, sondern wartete geduldig, bis wieder mehrere Eingeborene am Ufer auftauchten. Der Häuptling und zwei seiner Ratgeber bestiegen das Kanu, stießen ab und näherten sich der Bree, während ein zweites Boot in größerer Entfernung folgte.

Die drei Eingeborenen legten an der gleichen Stelle wie zuvor an und verließen sofort das Kanu.

Barlennan hatte bereits vier seiner Leute eingeteilt, die jetzt das Boot aus dem Fluß hoben, es vorsichtig über Deck trugen und es dort absetzten, wo früher das Funkgerät gestanden hatte. Die Eingeborenen sahen nicht lange zu; der Häuptling und seine beiden Ratgeber bestiegen das zweite Kanu, ließen sich ans Ufer zurückbringen und sahen nur von Zeit zu Zeit zur Bree hinüber. Die Abenddämmerung verschluckte sie, als sie die Uferböschung hinaufstiegen.

»Du hast es geschafft, Barl«, sagte Lackland e rleichtert. »Ich wünschte nur, ich wäre so gerissen wie du; dann wäre ich wahrscheinlich steinreich, wenn meine Opfer mich nicht schon gelyncht hätten. Willst du noch bis morgen warten, um mehr aus ihnen herauszulocken?«

»Wir fahren sofort ab!« versicherte der Komma ndant ihm.

Lackland verließ den dunklen Bildschirm und ging in seine Kabine zurück, um endlich wieder einmal zu schlafen.

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