Die Beobachter auf Toorey hatten diese Entwicklung auf den Bildschirmen verfolgen können, denn die Funkgeräte gehörten zu den wenigen Gegenständen an Deck der Bree, die den Sturm unbeschädigt überstanden hatten. Auf dem Höhepunkt des Sturmes war nicht allzu viel zu erkennen gewesen, aber die gegenwärtige Situation machte alle Erklärungen überflüssig. Lackland und die übrigen Männer im Beobachtungsraum suchten vergeblich nach aufmunternden Worten.
Auch die Meskliniten waren einigermaßen sprachlos. Sie waren daran gewöhnt, ihr Schiff an Land liegen zu sehen – aber nicht so unfreiwillig rasch und so weit vom Meer entfernt. Barlennan und sein Maat begannen mit einer Bestandsaufnahme und stellten dabei fest, daß sie wenig Anlaß hatten, ihrem Schicksal dankbar zu sein.
Zum Glück waren noch genügend Lebensmittel an Bord, obwohl das Kanu leer war. Dondragmer schloß daraus, die Flöße seien dem Boot doch überlegen, vergaß aber zu erwähnen, daß die Vorräte im Kanu nicht festgebunden gewesen waren, weil er selbst auf die hohen Bordwände vertraut hatte. Das kleine Boot und die Bree waren unbeschädigt geblieben; das Schiff lag sogar auf ebenem Kiel, was seiner Konstruktion zu verdanken war – Barlennan erwähnte diese Tatsache selbst, bevor sein Maat davon sprechen konnte. Schiff, Besatzung und Ladung hatten den Sturm einigermaßen heil überstanden – aber die Bree lag weit von ihrem eigentlichen Element entfernt.
»Am besten zerlegen wir sie und schleppen die Flöße über die Hügel zum Meer. Das Gewicht dürfte hier noch keine große Rolle spielen«, meinte Barlennan schließlich.
»Richtig, aber wäre es nicht besser, die Verbindungen nur der Länge nach zu trennen, so daß ganze Ketten von Flößen entstehen?« warf Hars ein, der in der Nähe stand. »Wir könnten sie zum Fluß ziehen, und ich bin überzeugt davon, daß sie bald von selbst schwimmen würden.«
»Eine gute Idee«, stimmte Barlennan zu. »Hars, du machst dich gleich auf den Weg und stellst fest, von wo ab der Fluß tief genug ist. Die anderen beginnen inzwischen mit der Arbeit, wie Hars vorgeschlagen hat.«
»Ob das Wetter noch so schlecht ist, daß keine Flugmaschinen zu erwarten sind?« murmelte Dondragmer nachdenklich vor sich hin.
Der Kommandant sah nach oben. »Die Wolken sind zu tief, und der Wind ist zu stark«, sagte er dann. »Wenn die Flieger recht haben – und sie müßten es eigentlich wissen, finde ich –, ist heute kein Flugwetter. Trotzdem ist es vielleicht besser, gelegentlich danach Ausschau zu halten. Ich hoffe, daß wir bald wieder eine Flugmaschine sehen.«
»Gegen eine hätte ich nichts einzuwenden«, antwortete der Maat trocken. »Ich nehme an, daß du deine Sammlung bereichern willst, Barl, aber ich sage dir auch gleich, daß mich niemand in dieses Teufelsding bringt. Notfalls würde ich vielleicht das Kanu besteigen – aber die Flugmaschine kannst du für dich behalten.«
Barlennan antwortete nicht; er hatte bis jetzt noch nicht daran gedacht, sich eine dieser Maschinen zu verschaffen, aber der Maat hatte ihn auf eine gute Idee gebracht… Er zweifelte allerdings daran, daß er jemals den Mut aufbringen würde, selbst damit durch die Luft zu fliegen.
Der Wetterbericht lautete günstig, und in den nächsten Tagen ließ der Sturm allmählich nach.
Zum Glück stellte sich heraus, daß der Fluß schon wenige hundert Meter meerwärts breit und tief genug war, um einzelne Flöße zu tragen. Barlennan hatte sich allerdings geirrt, als er annahm, das z usätzliche Gewicht spiele selbst hier keine Rolle; die Flöße hatten ihr Gewicht verdoppelt, seitdem Lackland das letzte über die Felswand herabgelassen hatte, und die Besatzung der Bree mußte sie sogar entladen, um sie an den Fluß schleppen zu können.
Sobald die Flöße jedoch den festen Boden verlassen hatten, war es nicht weiter schwierig, sie flußabwärts zu bugsieren. Ein Teil der Besatzung wurde vorausgeschickt, um etwa auftauchende Hindernisse aus dem Weg zu räumen, während die übrigen Leute unter Barlennans Führung die Ladung verstauten und dann die Leinen loswarfen. Insgesamt waren nur einige hundert Tage vergangen, als die lange Reihe von Flößen in Richtung Meer flußabwärts trieb.
Die Flugmaschinen tauchten wieder auf, als das vorderste Floß nur noch fünfhundert Meter von der Bucht entfernt war. Karondrasee, der zu diesem Zeitpunkt an Bord kochte, während die anderen zogen, sah sie zuerst; sein Warnschrei schreckte Menschen und Meskliniten auf, aber die Männer im Beobachtungsraum wußten nicht, worum es sich handelte, da auf ihren Bildschirmen nur die Flußufer zu erkennen waren.
Barlennan sah jedoch alles nur zu deutlich. Die acht Segelflugzeuge näherten sich in geschlossener Formation, wendeten unmittelbar über dem Schiff und flogen nacheinander in geringer Höhe vor dem ersten Floß über die Bucht hinaus. Etwa dreißig Meter flußabwärts ließen die Flugzeuge etwas fallen und beschrieben dann einen weiten Bogen, um wieder Höhe zu gewinnen.
Die abgeworfenen Gegenstände waren deutlich genug zu erkennen; die Besatzung sah, daß es sich um Speere handelte, wie sie die Waldbewohner gebrauchten – aber diese Waffen waren länger und schwerer. Im ersten Augenblick drohte eine Panik unter der Besatzung auszubrechen, bis Barlennans Leute merkten, daß die Wurfgeschosse weit vor ihnen im Fluß landen würden. Minuten später stießen die Flugzeuge wieder herab, und die Besatzung ging erschrocken in Deckung, weil sie fürchtete, diesmal getroffen zu werden; aber die Speere fielen an die gleiche Stelle. Der dritte Angriff bewies, daß dieses Verfahren einen bestimmten Zweck verfolgen mußte, der wenig später deutlich wurde. Die Speere steckten tief im Flußbett, so daß der schmale Weg zum Meer von zwei Dutzend Pfählen versperrt war.
Als die Bree sich der Barrikade näherte, wurde die Bombardierung eingestellt. Der Kommandant hatte schon erwartet, die Flieger würden wieder angreifen, um zu verhindern, daß seine Leute das Hindernis entfernten, aber diese Maßnahme erwies sich als überflüssig. Die Speere steckten fest und waren nicht zu beseitigen; sie waren aus dreißig Meter Höhe bei sieben g abgeworfen worden und würden im Flußbett bleiben, bis das Hartholz verrottet war. Terblannen und Hars bemühten sich fünf Minuten lang, einen der Speere herauszuziehen, waren aber trotz aller Anstrengungen nicht dazu imstande.
»Könnt ihr sie nicht irgendwie abschneiden?« erkundigte Lackland sich. »Eure Zangen sind ziemlich kräftig, das weiß ich aus eigener Erfahrung.«
»Hier handelt es sich um Holz, nicht um Metall«, erklärte Barlennan ihm. »Wir brauchten eine eurer Sägen, die angeblich sogar unser Holz bewältigen würden – es sei denn, dir fällt eine Maschine ein, mit deren Hilfe wir die Speere herausziehen könnten.«
»Aber ihr müßt doch Werkzeuge haben, die Holz durchschneiden – wie wollt ihr sonst euer Schiff reparieren? Die Flöße wachsen schließlich nicht in dieser Form auf Bäumen!«
»Unsere Schneidwerkzeuge bestehen aus Tierzähnen in kräftigen Rahmen und sind deshalb nicht sehr beweglich. Wir geben uns natürlich alle Mühe, aber ich bezweifle, daß uns die Flugzeuge ungestört arbeiten lassen.«
»Das Zeug in euren Flammentanks müßte jeden Angreifer abwehren«, meinte Lackland.
»Selbstverständlich – wenn sie gegen den Wind angreifen«, antwortete Barlennan. »Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, daß sie so dumm wären.«
Lackland schwieg nachdenklich, und die Besatzung machte sich an die Arbeit. Aber sie kam nicht weit damit.
Die Segelflugzeuge kreisten weiterhin über den umliegenden Hügeln, und kurze Zeit später erschienen weitere Flugzeuge am Himmel, bildeten mit den bereits vorhandenen zwei Gruppen und landeten auf den Hügeln über dem Fluß. Jeweils vier Lebewesen sprangen aus den Maschinen und vertäuten sie rasch im Unterholz; dabei zeigte sich erstmals, daß Barlennan und Lackland im stillen richtig vermutet hatten – die Flieger gehörten zur gleichen Rasse wie die Besatzung der Bree.
Sobald die Flugzeuge festlagen, stellten die Flieger vor jeder Maschine ein zusammenklappbares Gerüst auf, von dem ein Seil zum Bug führte, dessen Länge genau ausgemessen wurde. Erst dann wandten sie sich der Bree zu und krochen auf ein Signal hin zum Fluß hinunter. Bei Sonnenuntergang waren sie noch dreißig Meter vom ersten Floß entfernt, kamen aber nach Einbruch der Dunkelheit nicht näher, sondern schickten erst am nächsten Morgen einen der Piloten vor. Barlennan trat ihm entgegen, nachdem er dafür gesorgt hatte, daß eine Kamera die Szene übertrug.
Der Pilot vergeudete keine Zeit, sondern begann sofort zu sprechen, als der Kommandant vor ihm stehenblieb. Barlennan verstand kein Wort. Der andere schien zu merken, daß sein Gegenüber ihm nicht folgen konnte und versuchte es deshalb etwas langsamer mit einem anderen Dialekt. Barlennan erklärte ihm in seiner eigenen Sprache, er habe leider auch diesmal nichts verstanden. Zu seiner Überraschung benützte der Fremde nun seinen Dialekt; die Aussprache war schlecht, aber der Sinn des Gesagten war durchaus klar.
»Ich habe deine Sprache schon lange nicht mehr gehört«, sagte der Pilot, »aber du verstehst mich hoffentlich trotzdem?«
»Ja«, antwortete Barlennan verblüfft.
»Ausgezeichnet. Ich bin Reejaaren, Linguist für Marreni, der Kontrolleur der Äußeren Häfen ist.
Ich habe den Auftrag, an Ort und Stelle zu erfragen, wer ihr seid, woher ihr kommt und was ihr hier wollt.«
»Wir sind als Händler ohne bestimmtes Ziel u nterwegs«, antwortete Barlennan, der nicht die Absicht hatte, seine Verbindung mit den Menschen auf Toorey preiszugeben. »Wir wußten nicht, daß hier Inseln liegen, sondern sind nur zufällig darauf gestoßen. Wir sind gern bereit, mit euch Handel zu treiben; habt ihr jedoch keine Lust dazu, möchten wir die Inseln so schnell wie möglich verlassen.«
»Unsere Schiffe und Flugzeuge beherrschen das Meer – wir haben bisher nie andere gesehen«, e rwiderte Reejaaren. »Ich verstehe nicht, was ihr hier zu suchen habt. Der Händler, von dem ich deine Sprache gelernt habe, hat mir erzählt, seine Heimat liege jenseits des Meeres hinter dem westlichen Kontinent. Wir wissen, daß es keinen Seeweg zwischen seinem und unserem Meer gibt; aber ihr seid von Norden gekommen, als wir euch zuerst sahen.
Daraus schließen wir, daß ihr in unserem Meer nach Land Ausschau gehalten habt. Wie paßt das zu deiner Behauptung? Wir haben nichts für Spione übrig.«
»Wir sind von Norden her gekommen und haben das Land zwischen unserem und eurem Ozean überquert«, antwortete Barlennan. Er hatte nicht genügend Zeit, sich eine plausible Lüge einfallen zu lassen, und ahnte bereits, daß der andere ihm ohnehin keinen Glauben schenken würde. Reejaaren war tatsächlich keineswegs überzeugt.
»Dein Schiff ist nicht mit dem Werkzeug gebaut worden, das du an Bord hast. Dazu braucht man eine Werft, aber nördlich von hier gibt es keine.
Soll ich etwa glauben, daß ihr das Schiff zerlegt und über Land geschleppt habt?«
»Ja.« Barlennan glaubte einen Ausweg zu sehen.
»Wie?«
»Wie fliegt ihr? Das ist mindestens ebenso unwahrscheinlich.« Der Kommandant bereute seine Frage, als er die Reaktion des Dolmetschers sah.
»Das erzähle ich dir bestimmt nicht! Wer unser Land unbeabsichtigt betritt, hat keine Schwierigkeiten zu erwarten; aber Spione werden streng bestraft.« Der Kommandant hatte sich inzwischen eine Ausrede zurechtgelegt. »Ich wollte damit nur andeuten, daß ich ebenfalls nicht daran denke, dir zu verraten, wie wir den Kontinent überquert haben.«
»Ich will und muß es aber wissen!« sagte Reejaaren scharf. »Du scheinst deine Lage zu verkennen, Fremder. Was du von mir hältst, ist unwichtig; was ich von euch halte, ist sehr wichtig. Sofern es euch nicht gelingt, mich von eurer Harmlosigkeit zu überzeugen, bleibt ihr unsere Gefangenen.«
»Aber wie könnten wir euch schaden – die Besatzung eines einzigen Schiffes? Warum fürchtet ihr uns so sehr?«
»Wir fürchten euch nicht!« antwortete der Dolmetscher nachdrücklich. »Wir wollen nur verhindern, daß ihr Informationen mitnehmt, die wir für uns behalten müssen. Selbstverständlich ist uns klar, daß die Barbaren das Geheimnis unserer Flugzeuge nicht ohne unsere Hilfe lösen können – aber man kann nie vorsichtig genug sein.«
Barlennan betrachtete ihn nachdenklich und versuchte zu erraten, wie er Reejaaren besänftigen könnte. Vielleicht mit einer Halbwahrheit, die den Eindruck erwecken mußte, er sei zum Nachgeben bereit?
»Wir haben das Schiff nicht ganz ohne fremde Hilfe über Land gezogen«, erklärte er mürrisch. »Die Felsenroller und Waldbewohner haben euch geholfen? Du mußt ein außerordentlich gewandter Redner sein. Wir sind immer nur mit Wurfgeschossen empfangen worden.« Zu Barlennans Erleichterung wechselte Reejaaren anschließend das Thema.
»Ihr wollt also mit uns Handel treiben? Was habt ihr anzubieten? Interessiert ihr euch auch für unsere Städte?«
Barlennan wich der Falle geschickt aus. »Wir können unsere Geschäfte ebenso gut an Ort und Stelle abschließen. Allerdings haben wir nur Lebensmittel vom Festland anzubieten, die eure Flugzeuge vermutlich in beliebigen Mengen herbeischaffen.«
»Lebensmittel werden immer gekauft«, erwiderte der Dolmetscher. »Marreni entscheidet, wo der Handel stattfinden soll, aber ihr könnt euch gleich darauf einrichten, hier zu entladen. Selbstverständlich ist das übliche Hafengeld zu entrichten.«
»Hafengeld? Hier ist kein Hafen, und ich bin hier nicht gelandet, sondern angeschwemmt worden.«
»Fremde Schiffe entrichten Hafengeld. Marreni setzt den Betrag fest und läßt sich dabei von mir beraten. Ich erwähne diese Tatsache nur, um anzudeuten, daß du etwas höflicher sein könntest.«
Barlennan beherrschte sich mühsam und machte dem Dolmetscher sogar noch einige Komplimente. Der andere schien damit zufrieden zu sein, denn er zog sich jedenfalls zurück, ohne weitere Drohungen ausgestoßen zu haben.
Zwei seiner Begleiter kletterten hinter ihm ins Flugzeug; der dritte blieb davor stehen. Die Besatzungen der anderen Maschinen zogen das Segelflugzeug am Schwanz zurück, wobei sich das Seil, mit dem es an dem Gerüst befestigt war, geradezu unglaublich dehnte. Dann wurde die Maschine losgelassen, das Seil zog sich zusammen und schnellte das leichte Flugzeug in die Luft.
Barlennan wünschte sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher als ein gutes Stück dieses dehnbaren Seils. Er erzählte Dondragmer davon und fand verständnisvolle Zustimmung.
»Weißt du, Barl, ich glaube, wir könnten den unverschämten Lümmel in seine Schranken weisen.
Hast du Lust dazu?«
»Und wie! Aber ich glaube, daß wir uns seinen Zorn erst zuziehen dürfen, wenn wir außer Reichweite der Flugzeuge sind. Ich habe keine Lust, von einem Speer aus der Luft getroffen zu werden.«
»Er soll nicht wütend werden, sondern Angst vor uns bekommen. ›Barbaren‹ hat er gesagt! Das müssen wir ihm heimzahlen, Barl! Mein Plan hängt allerdings davon ab, ob die Flieger wissen, wie diese Segelflugzeuge funktionieren.«
»Sie müßten es eigentlich wissen – es sei denn, sie haben es bereits wieder vergessen, weil ihre eigenen Flugzeuge besser sind…«
»Das kann uns nur recht sein«, meinte Dondragmer geheimnisvoll.
»Was hast du überhaupt vor?« erkundigte Barlennan sich.
Der Maat schilderte ihm seinen Plan. Der Kommandant war zunächst mißtrauisch, konnte sich aber schließlich doch für Dondragmers Idee begeistern; die beiden gingen gemeinsam ans nächste Funkgerät.