24. Kapitel

Am nächsten Tag fand Conway keine Gelegenheit, sich beim Flottenkommandanten zu entschuldigen — die Aufrührer gingen zum bisher brutalsten Angriff über, und für ein Gespräch war beileibe keine Zeit. Die Schlacht einen Aufruhr oder Krieg zu nennen, sagte sich Conway zynisch, war für die Art der Verletzungen vollkommen egal und erst recht für die vielen Verwundeten, die plötzlich in das Hospital hereinströmten, weil der Kampf für beide Seiten praktisch mit einer Katastrophe beginnen sollte.

Die feindliche Streitmacht näherte sich, steigerte das Raketenbombardement zu phantastischer Stärke und kreiste das Orbit Hospital so eng ein, daß die feindlichen Schiffe zeitweise nur noch wenige hundert Meter von der Außenwand entfernt waren. Dermods Schiffe — das heißt die Vespasian, ein tralthanisches Großkampfschiff und die anderen verbliebenen kleineren Schiffe — ließen sich zurückfallen, um mit Traktorstrahlen an der Außenwand des Hospitals vor Anker zu gehen. Dort gab es keinen Platz mehr zum Manövrieren, um die schweren Waffen einzusetzen, und nachdem sie angedockt hatten, verstärkten sie mit ihren leichteren Bordwaffen wo immer möglich den Verteidigungsring.

Aber genau das mußte der Schritt gewesen sein, auf den der Kommandant des Feinds gewartet hatte. Mit der Schnelligkeit, in der nur ein gut geplantes Manöver ablaufen kann, lichteten sich die Reihen des kugelförmigen Angreiferrings, schossen auseinander und formierten sich wieder über einem kleinen Bereich der Außenwand. Auf diesen Bereich konzentrierte sich jetzt die gesamte Feuerkraft von drei Vierteln der feindlichen Flotte.

Eine wahre Flut von Raketen bohrte sich in die dicke Verkleidung der Außenwand, sprengte die Trümmerteile weg, mit denen frühere Einschlaglöcher verstopft worden waren, und fraß sich in die weniger stabile Innenwand. Traktor- und Pulsatorstrahlen packten die immer noch fest sitzenden Trümmer, rüttelten sie mit Gewalt auseinander und zogen sie beiseite, damit sich die Raketen noch tiefer in die Wand hineinbohren konnten. Die Verteidigungswaffen des Monitorkorps forderten unter den dicht zusammengedrängten Schiffen des Feinds zwar furchtbare Opfer, aber das nur für kurze Zeit. Denn die ungeheure Zusammenballung des feindlichen Feuers zertrümmerte die Verteidigungsstellungen an dieser Stelle völlig, zerschlug sie, riß und zerrte an ihnen, bis alles nur noch eine dahintreibende Masse aus zerfleischten Männern und zerfetztem Metall war. Ein Teil der Außenwand mußte vollkommen unverteidigt aufgegeben werden, und plötzlich wurde klar, daß dies nicht nur ein Angriff, sondern auch eine Invasion war.

Unter dem Deckungsfeuer der massierten Angreifer senkten sich drei riesige, unbewaffnete Schiffe schwerfällig auf den unverteidigten Abschnitt herab. Es waren Truppentransporter.

Sofort erhielt die Vespasian die Anweisung, die Verteidigungslücke zu schließen. Sie raste auf die Stelle zu, wo der erste Transporter gerade landen wollte, veranstaltete dabei einen Spießrutenlauf sowohl durch das Feuer des Monitorkorps als auch durch das des Feindes, und schoß schließlich, als das feindliche Ziel auf der Wölbung der Außenwand auftauchte, alles ab, was sie hatte.

Für das, was dann geschah, wurden später mehrere Entschuldigungen angeführt — eine Fehleinschätzung durch den Piloten der Vespasian; ein Treffer von einem der feindlichen Schiffe oder sogar von den eigenen Leuten; Raketen, die die Vespasian genau im falschen Moment vom Kurs abbrachten. Daß Captain Williamson den feindlichen Transporter absichtlich rammte, unterstellte ihm jedoch nie jemand, denn Williamson war als ein fähiger Offizier mit klarem Kopf bekannt — und ein Tausch bei einem Kurs von eins zu eins war selbst in dieser hoffnungslosen Kampfphase ein taktisch unkluger Schritt, wenn man daran dachte, wie stark der Feind dem Monitorkorps überlegen war.

Die Vespasian stieß in der Nähe des Hecks gegen den zwar größeren, aber leichter gebauten Transporter und schien ihn einfach zu durchbohren, bevor sie mit einem leisen Knirschen zum Stillstand kam. Aus dem Innern des beschädigten Transporters erhellte eine kleine Explosion den Nebel aus entweichender Luft, doch die beiden Schiffe blieben trotzdem weiterhin ineinander verkeilt und drehten sich langsam herum.

Eine Sekunde lang schien alles zum Stillstand zu kommen, dann aber holten die fest installierten Verteidigungsanlagen des Monitorkorps zum Schlag aus. Die Monitore ließen alle anderen Ziele außer acht, damit sich die Wirkung ihrer Pulsatorprojektoren voll und ganz auf den zweiten herabsinkenden Transporter richten konnte. Innerhalb von Minuten hatten die Pulsatorstrahlen die Verkleidung an drei Stellen des Schiffsrumpfs abgerissen und drangen tief ein. Der Transporter verlor Luft und zog sich schwerfällig zurück. Der dritte Transporter hatte schon vorher mit dem Rückzug begonnen. Nun wich die gesamte feindliche Streitmacht zurück, allerdings nicht sehr weit, und das Bombardement wurde mit nur leicht verminderter Stärke fortgesetzt.

Dieser Rückzug war auch beim besten Willen kein Sieg für das Monitorkorps. Der Feind hatte lediglich die Situation falsch eingeschätzt und war ein wenig voreilig vorgegangen. Das Orbit Hospital mußte erst noch mehr zermürbt werden.

Traktorstrahlen schossen hervor, stoppten die Drehung der beiden beschädigten Schiffe und zogen sie an die zerstörte Außenwand heran. Aus dem Hospital kamen Monitore geflogen, um nach Verletzten zu suchen, und bald wurden die ersten Patienten ins Hospital gebracht. Das geschah jedoch auf Umwegen, denn unter den beschädigten Schiffen lagen bereits andere Schiffswracks, und es waren noch andere Rettungsteams mit der Befreiung und Bergung von Verletzten beschäftigt, von denen einige schon zum zweiten- oder drittenmal verwundet worden waren.

Unter diesen Rettungsteams befand sich auch Dr. Prilicla. Der GLNO gehörte zur zerbrechlichsten Lebensform, die in der Föderation bekannt war, und das wichtigste Überlebensmerkmal dieser Spezies war Feigheit. Doch Prilicla lenkte seine dünnwandige Druckblase geschickt über scharfkantige Verkleidungsteile und durch Trümmer, die in zunehmendem Maße um ihn herumtrieben, und suchte nach Leben. Denn lebende Gehirne strahlten sogar im Zustand der Bewußtlosigkeit Lebenszeichen aus, und daher konnte der kleine GLNO unfehlbar die Lebenden von den Toten unterscheiden. Da es Verwundete gab, die in ihren Anzügen verbluteten oder deren Anzüge Druck verloren, richteten sich Priliclas Bemühungen um das Aufspüren von Leben auf die Bereiche, wo sie den größten Nutzen brachten, und auf diese Weise rettete er viele, viele Leben. Doch für einen für Emotionen empfänglichen Empathen war es in jedem schrecklichen und schmerzhaften Sinn des Wortes eine höllische Arbeit.

Major O’Mara war überall gleichzeitig zu finden. Hätte keine Schwerelosigkeit geherrscht, hätte sich der Chefpsychologe bestimmt mit letzter Kraft von Ort zu Ort geschleppt, doch unter den gegebenen Umständen war seine extreme Erschöpfung lediglich daran zu erkennen, daß er sich hin und wieder in den Entfernungen verschätzte und gegen Türen rannte oder mit Lebewesen zusammenprallte. Wenn er jedoch mit terrestrischen Patienten, Schwestern und Monitoren sprach, klang seine Stimme nie müde. Seine bloße Gegenwart wirkte sich auch auf das ET-Personal beruhigend aus. Denn obwohl die ETs ihn nicht verstehen konnten, erinnerten sie sich doch an den Menschen, der er gewesen war, als die Translatoren noch funktioniert hatten und O’Mara ihnen mit ein paar scharfen Worten buchstäblich das Fell über die Ohren ziehen konnte.

Das aus den massigen, unbeholfenen tralthanischen FGLIs, den krabbenähnlichen melfanischen ELNTs und all den anderen Aliens bestehende ET-Personal war überall. Auf einigen Ebenen leiteten die ETs die Arbeit des terrestrischen Personals, auf anderen halfen sie den Schwestern und Sanitätern des Monitorkorps. Die ETs waren alle müde und abgekämpft und verstanden leider häufig nicht, was man ihnen sagte, aber zusammen retteten sie sehr viele Leben.

Und jedesmal, wenn eine Rakete das Hospital traf, ging wieder etwas Boden verloren.

Conway hielt sich jetzt ausschließlich in der Kantine auf. Er stand jedoch mit den meisten der restlichen Ebenen in Funkverbindung, denn die zu ihnen führenden Korridore waren in vielen Fällen luftleer oder durch Trümmerteile verstopft. Außerdem war man allgemein der Meinung, daß

sich der letzte dem Hospital verbliebene Chefarzt an einem möglichst sicheren Ort aufhalten sollte. Er mußte sich um eine Menge terrestrischer Patienten kümmern, und man schickte ihm auch die schwierigen ET-Fälle, egal, ob es sich nun um Angehörige der Streitkräfte oder des medizinischen Personals handelte.

In gewisser Hinsicht leitete er die größte und gleichzeitig räumlich beengteste Station im Orbit Hospital. Da niemand mehr Zeit zum Essen hatte und sich jeder ganz auf die abgepackte Fertignahrung verließ, die auf die einzelnen Stationen geschickt wurde, war die Hauptkantine umgebaut worden. Betten und OP-Geräte waren am Boden, an den Wänden und der Decke des großen Saals befestigt worden. Und da sich die Patienten aus Angehörigen des Raumpersonals zusammensetzten, beunruhigte sie weder die Schwerelosigkeit noch der Anblick von anderen, ein paar Meter über ihnen hängenden Patienten. Für die Patienten, die sprechen konnten, war das sogar praktisch.

Conway hatte inzwischen einen solchen Grad der Erschöpfung erreicht, daß er sich überhaupt nicht mehr müde fühlte. Das metallene Krachen und Getöse einschlagender Raketen war längst zu einem monotonen Hintergrundgeräusch geworden. Er wußte natürlich, daß sich der Raketenhagel stetig durch die Außen- und Innenwände voranfraß, eine tödliche Erosion, die eigentlich bald sämtliche Korridore und Stationen zum All hin öffnen mußte, aber sein Gehirn hatte jegliche Reaktion auf den Lärm längst aufgegeben. Wenn Verwundete eingeliefert wurden, traf er zwar die erforderlichen Maßnahmen, doch waren seine Reaktionen nur noch die bedingten Reflexe eines Arztes. Er hatte viel von seiner Fähigkeit verloren zu denken, zu fühlen oder sich zu erinnern. Und wenn er sich einmal an etwas erinnerte, dann konnte er es zeitlich überhaupt nicht mehr einordnen. Insbesondere der vorletzte ET-Fall, der das Speichern von vier Physiologiebändern erforderlich gemacht hatte, ragte dabei aus der ermüdenden, blutigen, lärmenden Eintönigkeit heraus, genauso die Ankunft der Verwundeten von der Vespasian. Aber Conway hatte keine Ahnung, ob das nun drei Tage oder drei Wochen her war, oder welches der beiden Ereignisse zuerst geschehen war.

An den Vorfall mit der Vespasian erinnerte sich Conway oft. Damals mußte er Major Stillman aus seinem lädiertem Anzug herausschneiden und die widerspenstig um das Bett herumschwebenden Fetzen beiseite schieben. Stillman hatte zwei gebrochene Rippen, einen zerschmetterten Oberarmknochen und eine leichte Dekompression, die vorübergehend sein Sehvermögen beeinträchtigte, und er erkundigte sich immer wieder nach dem Captain, bis die Narkose endlich wirkte.

Captain Williamson selbst erkundigte sich immer wieder nach seinen Männern. Williamson lag vom Kopf bis zu den Füßen in Gips, hatte jedoch nur sehr geringe Schmerzen und erinnerte sich sofort an Conway. Er hatte eine große Besatzung gehabt und mußte jedes einzelne Besatzungsmitglied mit Namen kennen; Conway waren diese Namen aber nicht bekannt.

„Stillman liegt auf Ihrer rechten Seite drei Betten weiter“, hatte er Williamson erzählt. „Und es liegen auch noch andere Besatzungsmitglieder hier, über die ganze Station verteilt.“

Williamsons Augen wanderten über die über ihm hängenden Patienten, denn die Augen waren das einzige, was er bewegen konnte. „Da sind einige dabei, die ich nicht wiedererkenne“, sagte er.

Während Conway damals auf die blauen Flecke um Williamsons rechtem Auge, an der Schläfe und Kinnlade blickte, wo das Gesicht gegen die Innenseite des Helms geprallt war, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen und erwiderte: „Einige von denen würden Sie auch nicht wiedererkennen.“

Conway erinnerte sich auch an den Fall mit dem zweiten TRLH.

Er war auf einer Druckbahre hereingebracht worden, deren integrierter Atmosphäreaggregat deren Hülle bereits mit dem Gift gefüllt hatte, das der Insasse als Luft bezeichnete. Da sowohl das Druckzelt als auch der Anzug des TRLHs durchsichtig waren, traten die Verletzungen des Patienten deutlich zutage — es handelte sich dabei um eine große, eingedrückte Panzerfraktur, durch die die darunter befindlichen Blutgefäße durchtrennt worden waren. Und weil der Patient offensichtlich verblutete, blieb Conway keine Zeit zum Einspielen der Physiologiebänder, die er für den vorherigen TRLH-Fall noch benutzt hatte. Conway gab durch ein Nicken zu verstehen, die Trage auf der freigeräumten Stelle in der Mitte des Bodens zu befestigen, und wechselte schnell die Anzug- gegen die Tragbahrenhandschuhe. Von den an der Decke angebrachten Betten aus wurde jede einzelne seiner Bewegungen beobachtet.

Er lud die Handschuhe statisch auf und drückte die Hände gegen den durchhängenden transparenten Stoff des Druckzelts. Das leichte, aber strapazierfähige Material wurde sofort gummiartig und elastisch, allerdings ohne dabei etwas von seiner Festigkeit zu verlieren. Der Stoff schmiegte sich an die statisch aufgeladenen Handschuhe an, wenn auch vielleicht nicht ganz wie eine zweite Haut, so doch wenigstens wie ein zweites Paar dünner Handschuhe. Mit im Innern der Trage festgeklemmten Instrumenten entfernte Conway den Anzug des Patienten mit äußerster Vorsicht, um den Stoff nicht zu stark zu strapazieren, der die zwei tödlichen Atmosphären voneinander trennte.

Bei der Arbeit mit einem elastischen Druckzelt waren durchaus auch komplizierte Operationstechniken möglich — das hatte Conway durch Eingriffe bei mehreren PVSJs und einem QCQL, die nur ein paar Betten weiter lagen, bereits zuvor bewiesen —, aber durch die im Zelt zur Verfügung stehenden Instrumente und Medikamente und die leichte Behinderung durch den Stoff waren seinen Möglichkeiten natürlich klare Grenzen gesetzt.

Als er jedenfalls gerade die Panzersplitter aus dem verletzten Bereich entfernen wollte, ließ der Knall eines nahen Raketeneinschlags den Boden erbeben. Ein paar Minuten später läutete die Alarmglocke für Druckabfall, und Murchison und der kelgianische Militärarzt, die zusammen mit Conway das gesamte Personal auf dieser Station darstellten, rannten sofort los, um die Verschlüsse der Druckzelte von denjenigen Patienten zu überprüfen, die dazu selbst nicht in der Lage waren. Zwar handelte es sich nur um einen leichten Druckverlust, wahrscheinlich um ein kleines Leck, das durch zerrissene Außenwandverschalung verursacht worden war, aber für Conways derzeitigen Patienten im Druckzelt konnte das schon tödlich sein. Deshalb arbeitete Conway von da an mit noch größerer Geschwindigkeit als zuvor.

Doch während er sich bemühte, die geschädigten Blutgefäße abzuklemmen, hatte sich der dünne, strapazierfähige Stoff des Druckzelts langsam aufgebläht. Dadurch war das Halten der Instrumente immer schwieriger und das exakte Führen praktisch unmöglich geworden, und darüber hinaus wurden Conways Hände auch noch vom Operationsfeld weggedrückt. Der Druckunterschied zwischen dem Innern des Zelts und der Station betrug zwar nur wenige Atmosphären, gerade soviel, daß es in Conways Ohren knackte, doch die Hülle des Druckzelts wölbte sich immer weiter. Er mußte hilflos von der Trage zurücktreten und konnte die Arbeit erst eine halbe Stunde später fortsetzen, nachdem man das Leck abgedichtet hatte und so der normale Druck wiederhergestellt worden war. Doch diese halbe Stunde war einfach zu viel gewesen.

Conway erinnerte sich an eine plötzliche Beeinträchtigung des Sehvermögens und an die schlagartige Überraschung, als er sich bewußt wurde, daß er weinte. Natürlich war ihm klar, daß Tränen kein medizinisch bedingter Reflex waren, weil man als Arzt einfach nicht um seine Patienten weinte. Schuld daran war wahrscheinlich eine Kombination aus dem Ärger über den Verlust seines Patienten, den er wirklich nicht hätte verlieren dürfen, und seiner extremen Erschöpfung. Und als er damals in die Gesichter all der Patienten gesehen hatte, von denen er die ganze Zeit beobachtet worden war, hatte er sich seiner Tränen furchtbar geschämt.

Jetzt waren die Geschehnisse um ihn herum nur noch als ruckartige, ziellose Bewegungen wahrzunehmen. Conway hatte die Augen geschlossen gehalten, und es verstrichen mehrere Sekunden oder Minuten, bevor er sich dazu aufraffen konnte, sie wieder zu öffnen — obwohl für ihn selbst natürlich überhaupt keine Zeit vergangen war. Die Leichtverwundeten — Patienten mit Verletzungen, die es ihnen ermöglichten, sich innerhalb der Station zu bewegen und im Fall eines Lecks in der Außenwand schnell wieder in ihr Druckzelt zurückzukehren — gingen von Bett zu Bett und verrichteten die kleinen, notwendigen Arbeiten, plauderten mit anderen Patienten, die nicht aufstehen konnten, oder hingen wie unbeholfene Fischschwärme in der Luft, während sie sich miteinander unterhielten. Conway selbst mußte sich ständig um die neu eintreffenden Verwundeten kümmern und war zudem durch die vielen Physiologiebänder im Kopf zu verwirrt, um mit den schon länger anwesenden Patienten ein Gespräch zu führen. Meistens wanderten seine Augen zu den schlafenden Gestalten Murchisons und des Kelgianers hinüber, die nahe des Stationseingangs schwebten.

Der Kelgianer stand wie ein großes, pelziges Fragezeichen in der Luft und stieß hin und wieder die tiefen, stöhnenden Laute aus, die einige DBLFs im Schlaf von sich gaben. Murchison war an einer drei Meter langen, sich schlängelnden Sicherheitsleine befestigt und drehte sich langsam. Es war schon seltsam, wie Schlafende in der Schwerelosigkeit die Position eines Fötus einnahmen, dachte Conway zärtlich, während er sein schönes, erwachsenes, weibliches Baby betrachtete, das sich dort am Ende einer unglaublich dünnen Nabelschnur wiegte. Er wollte dringend selbst schlafen, aber er war nun einmal im Dienst, und seine nächste Ablösung würde noch eine Ewigkeit dauern — vielleicht fünf Minuten, vielleicht fünf Stunden — das war in beiden Fällen eine Ewigkeit. Jedenfalls würde er weiterhin irgend etwas tun müssen.

Ohne sich dessen bewußt zu sein, hatte er einen Entschluß gefaßt und stellte fest, daß er den Weg zum Lagerraum eingeschlagen hatte, in dem jetzt die Sterbenden und fast hoffnungslosen Fälle untergebracht waren. Dieser Raum war der einzige Ort, an dem er sich die Zeit zu einem Gespräch nahm oder, wenn eine Unterhaltung nicht möglich war, die notwendigen und gleichzeitig unnützen Dinge erledigte, die zur Tröstung eines Sterbenden beitrugen. Bei den ETs konnte er nur unbeteiligt danebenstehen und nur hoffen, daß in den zermalmten, blutigen Körpern der Tralthaner, Melfaner oder von wem auch immer wenigstens ein Bruchteil von Priliclas empathischer Fähigkeit aufblitzte, damit sie ihn als Freund erkannten und sich seiner Gefühle bewußt wurden.

Erst nach und nach merkte Conway, daß ihm die Leichtverletzten in den Raum gefolgt waren. Sie zogen andere Patienten hinter sich her, die außerhalb ihrer Druckzelte hier eigentlich gar nichts zu suchen hatten. Sie alle versammelten sich langsam mit grimmigen, entschlossenen und respektvollen Mienen über ihm und um ihn herum. Major Stillman drängte sich ein wenig unbeholfen nach vorne. In einer Hand hielt er eine Pistole.

„Das Töten muß aufhören, Doktor“, sagte Stillman leise. „Wir alle haben das genau besprochen, und wir sind alle zu diesem Entschluß gekommen. Das Töten muß auf der Stelle ein Ende finden.“ Plötzlich drehte er die Waffe um und hielt sie Conway hin. „Die werden Sie vielleicht brauchen, um Dermod von irgendwelchen unüberlegten Handlungen abzuhalten, während wir ihm erklären, was passiert ist.“

Dicht hinter Stillman hing die mumifizierte Gestalt von Captain Williamson zusammen mit den Männern in der Luft, die ihn in den Lagerraum gebracht hatten. Sie unterhielten sich mit gedämpften Stimmen und in einer Sprache, die Conway gleichzeitig fremd und vertraut vorkam. Bevor er sie einordnen konnte, setzten sich alle Patienten wieder nach draußen in Bewegung, und jetzt bemerkte Conway erst, wie viele von ihnen bewaffnet waren. Diese Waffen gehörten zu den damals von ihnen getragenen Raumanzügen, und Conway hatte beim Verstauen der Anzüge in den Abstellräumen der Station natürlich nicht an Pistolen gedacht. Dermod würde ihm deshalb sehr böse sein, dachte Conway. Dann folgte er den Patienten aus dem Lagerraum zum Haupteingang der Station und auf den zur Kommandozentrale führenden Korridor hinaus.

Stillman redete fast die ganze Zeit und erklärte Conway, wie es zu dieser Situation gekommen war. Als sie die Kommandozentrale schon fast erreicht hatten, fragte er besorgt: „Doktor, Sie halten mich doch nicht für einen. einen Verräter, weil ich das hier tue?“

Conway war von seinen vielen verschiedenen Gefühlen innerlich derart aufgewühlt, daß er nichts anderes als „Nein!“ sagen konnte.

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