„Seit die Vespasian Etla verlassen hat, haben wir unsere Agenten ins Imperium einzuschleusen versucht“, setzte Dermod seine Ausführungen fort. „Und bislang haben wir acht Gruppen erfolgreich hineingeschmuggelt, davon eine auf dem Hauptplaneten selbst. Unsere Informationen bezüglich der öffentlichen Meinung und der sie steuernden Propagandamaschinerie sind recht zuverlässig.
Uns ist bekannt, daß wegen der Etla-Geschichte oder vielmehr wegen der von uns dort angeblich begangenen Greueltaten die Stimmung der Bevölkerung hohe Wellen gegen uns schlägt“, fuhr er fort. „Doch dazu komme ich später. Denn die jüngste Entwicklung, von der ich Ihnen jetzt berichten werde, macht die Sache für uns noch viel schlimmer.“
Wie Dermod weiterhin erläuterte, hatte die Regierung des Imperiums öffentlich verkündet, das Monitorkorps sei auf Etla einmarschiert, und die Planetenbewohner seien unter dem Vorwand medizinischer Hilfeleistung herzlos als Versuchskaninchen für verschiedenste bakteriologische Waffentests mißbraucht worden. Untrüglicher Beweis dafür sei, daß die etlanische Bevölkerung nur wenige Tage nach dem Abflug des Monitorkorps an einer ganzen Reihe verheerender Seuchen litt. Solch ein herzloses und unmenschliches Verhalten dürfe auf keinen Fall ungesühnt bleiben, und der Imperator sei sich sicher, alle Bürger des Imperiums stünden wie ein Mann hinter den von ihm getroffenen Entscheidungen.
Den imperialen Quellen zufolge ließen es die Informationen, die man von einem gefangengenommenen Agenten der Invasoren erhalten hatte, ganz klar zu Tage treten, daß das Verhalten des Monitorkorps auf Etla nicht das einzige Beispiel für die schamlose Brutalität dieser Verbrecher sei. Die Invasoren hatten demnach die ganze Sache auf Etla eingeleitet, indem sie erst einmal einen Extraterrestrier auf diesen bedauernswerten Planeten vorgeschickt hatten. Dabei handelte es sich angeblich um ein dummes, harmloses Wesen, das vor der Landung der Invasoren die Verteidigungsanlagen des Planeten testen sollte. Als die Eindringlinge später mit den Behörden auf Etla Kontakt aufnahmen, stritten sie jede Bekanntschaft oder Verbindung mit diesem Lebewesen ab, das ihnen lediglich als Werkzeug diente. Inzwischen hatte sich herausgestellt, daß die Invasoren von solchen fremdartigen Lebensformen regen Gebrauch machten und diese nicht nur als Diener und Versuchstiere benutzten, sondern wahrscheinlich auch als Nahrung.
Die Invasoren unterhielten ein gewaltiges Gebäude, eine Mischung aus Militärstützpunkt und Labor, das sie selbst als Orbit Hospital bezeichneten, in dem sie aber selbstverständlich nichts anderes als ähnliche Greueltaten wie auf dem Planeten Etla verübten. Der Agent der Invasoren, dem man mit List die Raumkoordinaten dieses Stützpunktes entlockt hatte, hatte nämlich die dortigen Vorgänge gestanden. Anscheinend herrschten die Invasoren über eine große Anzahl unterschiedlicher fremdartiger Spezies, und auf diesem Stützpunkt entwickelten sie die Methoden und Waffen, mit denen sie die Wesen in Sklaverei hielten.
Der Imperator erklärte, er habe den festen Willen, ja halte es sogar für seine Pflicht, seine Streitkräfte zur Niederschlagung dieser üblen Tyrannei einzusetzen. Darüber hinaus war er der Meinung, nur Streitkräfte des Imperiums in den Krieg zu schicken, weil er zu seiner Schande eingestehen müsse, daß die Beziehungen zwischen dem Imperium und der innerhalb dessen Einflußsphäre stehenden fremdartigen Planeten nicht immer so herzlich gewesen seien, wie sie es eigentlich hätten sein sollen. Falls allerdings irgendeine dieser früher vom Imperium möglicherweise beleidigten Spezies freiwillig ihre Hilfe anbieten wolle, würde er sie keinesfalls zurückweisen.
„. und das erklärt viele rätselhafte Aspekte dieser feindlichen Angriffe“, fuhr Dermod fort. „Die Streitkräfte des Imperiums beschränken sich auf chemische und konventionelle Waffen, und wir müssen in dem beschränkten Raum unseres kugelförmigen Verteidigungsrings das gleiche tun. Denn die feindlichen Streitkräfte wollen das Hospital ja nicht zerstören, sondern erobern. Der Imperator muß zur Fortführung des Kriegs schließlich die Positionen der Föderationsplaneten herausfinden. Daß die Streitkräfte des Imperiums so brutal und bis zum Umfallen kämpfen, kann man vielleicht mit ihrer Angst vor Gefangennahme erklären, weil das Orbit Hospital für sie ja nichts anderes als eine im Raum schwebende Folterkammer ist.
Der vollkommen wirkungslose letzte Angriff muß wohl von einem der zum Imperium gehörenden hitzköpfigen ET-Freunde vorbereitet worden sein, dem man wahrscheinlich gestattet hat, ohne ordentliche Ausbildung und ausreichende Kenntnisse über unsere Verteidigungsstärke hierherzulegen“, fuhr der Flottenkommandant fort. „Wir haben den Feind vernichtet, und gerade deshalb werden sich jetzt eine Menge anderer ETs auf die Seite des Feindes schlagen, die bisher mit ihrer Entscheidung womöglich noch gezögert haben.
Auf die Seite des Imperiums“, schloß Dermod bitter.
Als der Flottenkommandant seine Ausführungen beendet hatte, blieb Conway stumm. Er hatte inzwischen Einblick in die vertraulich an Williamson gerichteten Berichte gehabt und wußte daher, daß Dermod die Situation keineswegs übertrieben dargestellt hatte. O’Mara hatte die gleichen Informationen erhalten und schloß sich dem grimmigen Schweigen an, Dr. Mannon hingegen war ein weniger schweigsamer Typ.
„Aber das ist doch alles Blödsinn!“ polterte er los. „Die verdrehen die Dinge ja völlig! Das hier ist ein Krankenhaus und keine Folterkammer. Außerdem schieben die uns genau das in die Schuhe, was sie selber tun.!“
Dermod überhörte den Ausbruch, aber auf eine Art, die Mannon nicht kränkte. In nüchternem Ton fuhr der Flottenkommandant fort: „Das Imperium ist politisch instabil. Wenn wir genügend Zeit hätten, könnten wir die gegenwärtige Regierung stürzen und durch ein demokratisches System ersetzen, das würden die Bürger des Imperiums sogar selbst tun. Aber dazu brauchen wir einfach Zeit, und wir müssen verhindern, daß sich der Krieg zu stark ausweitet und zu sehr an Boden gewinnt. Denn wenn sich zu viele extraterrestrische Verbündete mit dem Imperium gegen uns zusammenschließen, dann wird die Situation viel zu verwickelt, um sie noch unter Kontrolle zu behalten. Außerdem spielen in dem Fall die ursprünglichen Kriegsursachen oder die Wahrheit oder Unwahrheit dieser Anschuldigungen überhaupt keine Rolle mehr.
Wir können zwar Zeit gewinnen, indem wir hier so lange wie möglich durchhalten“, schloß Dermod mit grimmiger Miene, „aber wir können nicht viel tun, um den Krieg zu begrenzen. Wir können nur hoffen.“
Er klappte den Helm nach vorne und befestigte ihn wieder, ließ das Visier für das weitere Gespräch jedoch geöffnet. In diesem Augenblick stellte Mannon die Frage, die Conway schon lange am Herzen lag und nur deshalb nicht zu stellen gewagt hatte, weil er nicht als Feigling dastehen wollte.
„Haben wir denn überhaupt eine echte Chance, dem Feind standzuhalten?“
Dermod zögerte einen Moment lang, weil er sich offenbar fragte, ob er Conway, Mannon und O’Mara beruhigen oder ihnen die Wahrheit sagen sollte. Schließlich antwortete er: „Ein gut gesicherter und ausgestatteter Verteidigungsring ist die ideale taktische Position. Falls der Feind in ausreichender Überzahl sein sollte, kann diese Stellung aber auch zur perfekten Falle werden.“
Nachdem Dermod gegangen war, beanspruchte Thornnastor, der leitende Diagnostiker der Pathologie, die vom Flottenkommandanten mitgebrachten Überreste des fremdartigen Wesens, mit deren Untersuchung er bestimmt tagelang zu tun haben würde. O’Mara begab sich wieder in seine Abteilung zurück, um seine Patienten so zu traktieren, daß sie ihre geistige Gesundheit dauerhaft wiedererlangten, und auch Mannon und Conway kehrten auf ihre Stationen zurück. Die Reaktion des Personals auf einen möglichen Angriff durch ETs teilte sich ungefähr je zur Hälfte in die Sorge über eine Ausweitung des Kriegs und in das Interesse an möglicherweise erforderlichen Behandlungsmethoden für Verwundete einer noch unentdeckten Spezies.
Es vergingen jedoch zwei Wochen ohne den erwarteten Angriff. Weiterhin trafen Kriegsschiffe des Monitorkorps ein, die ihre Astronavigatoren in kleinen Rettungsschiffen wieder ins All zurückschossen und dann in Stellung gingen. Von den Sichtfenstern des Hospitals aus schienen sie den gesamten Himmel zu bedecken, und man hatte den Eindruck, als ob das Orbit Hospital das Zentrum eines weit ausgedehnten, dünnen Sternenhaufens und jeder Stern darin ein Kriegsschiff wäre. Für Conway war es ein ehrfurchtgebietender und äußerst beruhigender Anblick, und deshalb versuchte er, wenigstens einmal täglich eins der Sichtfenster aufzusuchen.
Auf dem Rückweg von einem dieser Ausflüge zu den Sichtfenstern traf Conway dann zufällig eine Gruppe von männlichen Kelgianern.
Einen Moment lang traute er seinen Augen nicht — man hatte alle kelgianischen DBLFs evakuiert! Den Abflug der letzten Kelgianer hatte er selbst beaufsichtigt, und jetzt schlängelten sich hier auf einmal ungefähr zwanzig dieser übergroßen Raupen in einer Reihe vorwärts. Bei genauerem Hinsehen bemerkte er jedoch, daß die Kelgianer nicht die üblichen Armbinden mit den technischen oder medizinischen Emblemen trugen. Statt dessen waren auf ihr silbernes Fell Kreis- und Rautenmuster in Rot, Blau und Schwarz gemalt — die Rangabzeichen des kelgianischen Militärs. Conway stürmte zu O’Mara.
„Die gleiche Frage wollte ich auch gerade stellen, Doktor“, sagte der Chefpsychologe in barschem Ton und zeigte auf den Bildschirm. „Obwohl ich meine Frage natürlich in weit respektvollere Worte gekleidet hätte. Ich versuche jetzt, den Flottenkommandanten an den Apparat zu bekommen. Also hören Sie auf zu schreien, und setzen Sie sich gefälligst hin!“
Ein paar Minuten später erschien Dermods Gesicht auf dem Bildschirm. „Das hier ist nicht das Imperium, meine Herren“, sagte er in freundlichem, aber gehetztem Ton. „Wir sind verpflichtet, die Regierung der Föderation und somit auch die Bevölkerung über den tatsächlichen Stand der Dinge, wie wir ihn sehen, zu informieren — obwohl die Regierung die Meldung über den Angriff durch feindliche ET-Streitkräfte noch nicht öffentlich verbreitet hat.
Eigentlich müßten Sie den ETs der Föderation dankbar sein, daß sie die gleichen Gefühle haben wie wir“, fuhr er fort. „Schließlich sind viele Extraterrestrier im Orbit Hospital geblieben, und deren Freunde auf den verschiedenen Heimatplaneten kommen langsam zu der Überzeugung, sie sollten hierherfliegen und bei ihrer Verteidigung helfen. So einfach ist das.“
„Aber Sie haben doch gesagt, Sie wollen keine Ausweitung des Kriegs!“ protestierte Conway.
„Ich hab die ETs nicht darum gebeten herzukommen, Doktor“, verteidigte sich Dermod in scharfem Ton. „Aber wenn sie schon mal da sind, kann ich sie ja auch einsetzen. Denn die letzten Berichte des Geheimdienstes deuten darauf hin, daß es sich bei dem nächsten Angriff wahrscheinlich um die Entscheidungsschlacht handelt.“
Mannon erhielt die Nachricht über die extraterrestrischen Verteidiger erst später beim Mittagessen und nahm sie mit äußerst düsterer Stimmung auf. Er genieße es gerade in vollen Zügen, wenigstens einmal er selbst zu sein, erzählte er Conway traurig, und jetzt, wo demnächst wahrscheinlich verwundete ETs eingeliefert werden würden, müßten sie wohl alle wieder diese Bänder im Kopf mit sich herumschleppen. Prilicla aß Spaghetti und bemerkte, wie glücklich er darüber sei, daß die extraterrestrischen Mitglieder des Personals das Hospital schließlich doch nicht verlassen hätten. Er sah Conway dabei jedoch nicht an. Conway selbst sprach nur sehr wenig.
Der nächste Angriff, hatte Dermod gesagt, ist wahrscheinlich die Entscheidungsschlacht…
Drei Wochen später begann dieser Angriff tatsächlich, nachdem bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich nichts Wesentliches passiert war und nur eine Truppe von freiwilligen Tralthanern und ein einzelnes Schiff mit Besatzungsmitgliedern der Klassifikation QCQL eingetroffen waren. Conway hatte weder von dieser Klassifikation noch vom Herkunftsplaneten dieses Schiffs jemals etwas gehört. Wie er erfuhr, hatte es mit dem Orbit Hospital und diesen Wesen noch nie Gelegenheit zu Kontakten auf beruflicher Ebene gegeben, weil es sich um die neuesten Mitglieder der Föderation handelte, die sich allerdings binnen kurzem als deren begeisterte Förderer entpuppt hatten. Conway bereitete eine kleine Station zur Aufnahme von möglichen Verwundeten dieser Spezies vor, indem er sie mit dem die Atmosphäre der QCQLs darstellenden schrecklich korrosiven Nebel füllte und die Beleuchtung bis zu dem grellen eisigen Blau verstärkte, das diese Spezies als erholsam empfand.
Nach Conways Empfinden begann der Angriff auf fast gemächliche Weise, als er ihn durch das Beobachtungsfenster hindurch verfolgte. Der Hauptverteidigungsschild schien von den drei kleineren Angriffen, die an weit auseinanderliegenden Punkten auf seine Oberfläche gerichtet waren, kaum in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Alles, was man von den Vorgängen weit draußen im All sehen konnte, waren drei kleine konfuse Wirbel aus sich bewegenden Lichtpunkten, die von Schiffen, Raketen, Abwehrraketen und Explosionen ausgingen. Alles lief wie in Zeitlupe ab und wirkte deshalb nicht sonderlich bedrohlich. Aber diese Bewegungen waren nur scheinbar langsam, denn die Schiffe wurden wenigstens mit einer Beschleunigung von fünf Ge manövriert, wobei die automatischen Schwerkraftaggregate die Besatzungen davor bewahrten, von der enormen Beschleunigung der Schiffe an den Innenwänden zermalmt zu werden. Die Raketen beschleunigten dagegen mit bis zu fünfzig Ge. Die weit ausgedehnten Repulsionsfelder, durch die die Raketen zumeist abgefälscht wurden, waren ebenso unsichtbar wie die Pressor-, Pulsator- und Traktorstrahlen, die die restlichen Raketen abfingen, die den Schutzschild durchdrungen hatten. Das alles hier war lediglich eine erste Probe der Verteidigungswaffen des Orbit Hospitals, eine Reihe von offensiven Erkundungsflügen des Feindes, ein kurzes Vorgeplänkel.
Conway wandte sich vom Sichtfenster ab und begab sich wieder auf seinen Posten. Selbst bei diesen relativ unwichtigen Vorgefechten gab es Verwundete, und deshalb stand es ihm einfach nicht an, hier oben auf Besichtigungstour zu gehen. Außerdem würde er sich unten auf den Stationen ein viel realistischeres Bild vom Verlauf der Schlacht machen können.
In den nächsten zwölf Stunden wurden zwar regelmäßig Verwundete eingeliefert, allerdings nur in größeren Zeitabständen. Doch schon bald wurden aus den leichten Vorstoßversuchen gegen das Hospital schwere Scheinangriffe, und die Einlieferungen steigerten sich zu einem unregelmäßigen Strom. Schließlich ging der Angriff richtig los, und nun wurden die Stationen von Verwundeten regelrecht überschwemmt.
Conway verlor jeglichen Sinn für Zeit. Er hatte keine Ahnung mehr, wer seine Assistenten waren und wie viele Fälle er behandelte. Oft hätte er eine Aufputschspritze gebraucht, um die Müdigkeit aus Kopf und Händen zu vertreiben, aber solche Mittel waren jetzt unter allen Umständen verboten. Schließlich stand das Personal so schon genügend unter Druck, und zusätzliche Patienten aus den eigenen Reihen konnte man sich nicht leisten. Conway mußte also trotz seiner gegenwärtigen Müdigkeit wohl oder übel weiterarbeiten, obwohl er wußte, daß er die eigentlich für die Behandlung seiner Patienten erforderliche Leistung nicht erbringen konnte. Er aß und schlief nur noch, sobald er die Instrumente nicht mehr richtig in den Händen halten konnte. Manchmal stand ihm einer der riesigen Tralthaner zur Seite, manchmal ein Sanitäter des Monitorkorps und manchmal Schwester Murchison. Meistens war es eigentlich Murchison, dachte Conway. Entweder brauchte sie überhaupt keinen Schlaf, oder sie machte ihr Nickerchen immer zur gleichen Zeit wie er. Vielleicht aber nahm er in dieser Ausnahmesituation lediglich mehr Notiz von ihr als sonst. Gewöhnlich war es auch Murchison, die ihm Essen in den widerstandslosen Mund schob und ihm sagte, wann er sich wirklich hinlegen mußte.
Auch am vierten Tag gab es keinerlei Anzeichen für ein Nachlassen der Kampfhandlungen. Die an der Außenwand angebrachten Pulsatorstrahlen waren beinahe ununterbrochen in Betrieb, und wegen des hohen Energieverbrauchs flackerte die Beleuchtung.
Das gleiche Prinzip, nach dem der Boden mit künstlicher Schwerkraft versorgt und die mörderische Beschleunigung der Schiffe kompensiert wurde, steckte auch hinter den Waffen beider Kriegsparteien: dem Repulsionsfeld — ursprünglich eine Vorrichtung zum Schutz vor Meteoriten —, den Traktor- und Pressorstrahlen sowie dem Pulsatorstrahl, der eine Kombination aus beidem war. Der Pulsatorstrahl schob und zog oder anders ausgedrückt, pulsierte er je nach Bündelungsstärke mit einer Kraft von bis zu achtzig Ge. Erst schob er also mit achtzig Ge, und dann zog er mit achtzig Ge, und das alles viele Male in der Minute. Natürlich war der Strahl nicht immer exakt auf sein Ziel eingestellt, denn schließlich bewegten sich sowohl das angreifende als auch das angegriffene Schiff, und das Schiff im Visier ergriff normalerweise Gegenmaßnahmen. Zum Abreißen der Rumpfverkleidung war der Strahl jedoch immer scharf genug gebündelt, und ein kleines Schiff wurde durch ihn derart gerüttelt, daß die Besatzung im Innern durch die Vibrationen das Bewußtsein verlor und keine Gegenmaßnahmen mehr ergreifen konnte.
Und diese Pulsatorstrahlen kamen jetzt um das Hospital herum in großem Umfang zum Einsatz. Die Streitkräfte des Imperiums griffen auf brutale Weise an und drängten den kugelförmigen Verteidigungsring des Monitorkorps bis an die Außenwand des Orbit Hospitals zurück.
Der jetzt stattfindende Nahkampf wurde ausschließlich mit Pulsatorstrahlen geführt, denn zum gezielten Abfeuern von Raketen war der Raum viel zu überfüllt. Das galt jedoch nur für die kriegführenden Schiffe. Denn auf das Orbit Hospital waren trotzdem noch Raketen gerichtet, wahrscheinlich sogar Hunderte, und einige dieser Raketen drangen bis zum Hospital durch. Conway spürte wenigstens fünfmal die verräterische Erschütterung unter den Schuhsohlen, denn seine Füße waren wegen der Schwerelosigkeit am Boden des Operationssaals festgeschnallt.
Die Behandlung der von den Pulsatorstrahlen durchgerüttelten Männer erforderte keine besonderen diagnostischen Fähigkeiten. Es war nur allzu deutlich, daß sie mehrfache und komplizierte Frakturen erlitten hatten, bei einigen von ihnen waren sogar fast sämtliche Knochen im Leib gebrochen. Sobald er wieder einmal einen dieser zerquetschten Körper aus dem Anzug schneiden mußte, hätte Conway oft am liebsten die Männer, die den Verwundeten eingeliefert hatten, angebrüllt: „Und was soll ich jetzt wohl damit tun.?“
Aber dieses Etwas war lebendig, und als Arzt mußte er zur Rettung von Leben sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen.
Er hatte gerade einen besonders ernsten Fall abgeschlossen, bei dem ihm Murchison und eine tralthanische Schwester assistiert hatten, als er im OP einen DBLF bemerkte. Inzwischen waren Conway die in das Fell eingefärbten, beim kelgianischen Militär den Rang bezeichnenden Farbmuster geläufig geworden, und an diesem DBLF erkannte er ein zusätzliches Zeichen, das den ET als Arzt auswies.
„Ich komme, um Sie abzulösen, Doktor“, sagte der DBLF mit tonloser, hastiger Translatorstimme. „Ich hab Erfahrung mit der Behandlung von Angehörigen Ihrer Spezies. Major O’Mara möchte, daß Sie sofort zu Schleuse zwölf kommen.“
Conway stellte dem Kelgianer rasch Murchison und die Tralthanerin vor, da die drei schon in wenigen Minuten gemeinsam einen weiteren, gerade eingelieferten Verwundeten behandeln würden, und fragte dann: „Und warum soll ich zu Schleuse zwölf kommen?“
„Doktor Thornnastor ist beim letzten Raketeneinschlag verletzt worden und kann jetzt nicht mehr arbeiten“, antwortete der Kelgianer, während er seine Greiforgane mit der von seiner Spezies als Handschuhersatz benutzten Plastikmasse besprühte. „Es wird jemand mit ET-Erfahrung gebraucht, der Thornnastors Patienten und die gerade an Schleuse zwölf eintreffenden FGLIs übernimmt. Major O’Mara schlägt vor, daß Sie sich die Patienten so schnell wie möglich ansehen, damit Sie wissen, welche Bänder Sie brauchen.
Und ziehen Sie sich einen Anzug an, Doktor“, fügte der DBLF noch hinzu, als sich Conway zum Gehen wandte. „Die Ebene über uns verliert nämlich Druck.“
Seit der Evakuierung hatte es für die Pathologie zwar nicht mehr viel zu tun gegeben, dachte Conway, als er sich durch den zu Schleuse zwölf führenden Korridor vorkämpfte, aber dafür hatte Thornnastor durch die Übernahme der größten Verwundetenabteilung des Hospitals seine Vielseitigkeit bewiesen — neben den FGLIs seiner eigenen Spezies hatte er nämlich auch DBLFs und Terrestrier behandelt. Diese Patienten konnten wirklich heilfroh sein, daß sich dieser trampelnde, leicht erregbare und unglaublich fähige tralthanische Chirurg um sie gekümmert hatte. Conway fragte sich, wie schwer Thornnastor verletzt worden war, denn das hatte ihm der kelgianische Arzt leider nicht sagen können.
Als er an einem Sichtfenster vorbeikam, warf er schnell einen Blick nach draußen. Das, was er dort sah, erinnerte ihn an einen Schwarm wütender Leuchtkäfer. Dann schlug auf einmal der Pfosten, an dem er sich festhielt, gegen seine Hand — ein eindeutiges Indiz für einen erneuten Raketeneinschlag, und das in nicht allzu großer Entfernung.
Als Conway schließlich die Schleuse erreichte, befanden sich außer den immer gegenwärtigen Monitoren noch zwei Tralthanerinnen, eine Nidianerin und eine QCQL im Raumanzug in der Schleusenvorkammer. Die Nidianerin berichtete, daß ein tralthanisches Schiff von feindlichen Pulsatorstrahlen beinahe auseinandergerissen worden wäre, ein Großteil der Besatzung jedoch überlebt hätte. Die am Orbit Hospital montierten Traktorstrahlenprojektoren hätten das beschädigte Schiff schnell zur Schleuse herangezogen und die.
Plötzlich nahm er nur noch das bellende Geräusch der Nidianerin wahr.
„Hören Sie auf damit!“ fuhr Conway sie gereizt an.
Erschreckt blickte ihn die Nidianerin an und bellte dann erneut. Als sie sich ein paar Sekunden später auf der anderen Seite der Schleuse befanden, kamen die tralthanischen Schwestern herüber und machten Conway mit ihrem wie ein modulierendes Nebelhorn klingenden Tuten fast taub. Und dazu pfiff ihm auch noch die QCQL über Anzugfunk ins Ohr. Die Monitore, die voll und ganz damit beschäftigt waren, die Verwundeten durch den Bordtunnel vom Schiff ins Hospital zu bringen, sahen lediglich verdutzt aus.
Plötzlich brach Conway der kalte Schweiß aus — das Hospital war bestimmt schon wieder getroffen worden, doch weil er sich nirgends festgehalten hatte, hatte er auch nichts von dem Einschlag gespürt. Trotzdem wußte er ganz genau, wo das Hospital getroffen worden war. Er fummelte an seinem Translator herum, traktierte ihn mit dem Handballen — eine vollkommen sinnlose Handlung — und stieß sich in Richtung eines Kommunikators vom Boden ab.
Auf jedem Kanal, den er ausprobierte, ertönten bellende Kehllaute, heulte, trompetete, pfiff oder stöhnte es: eine wahnwitzige Kakophonie, die Conway durch Mark und Bein ging. Vor seinem geistigen Auge flammte das Bild des Operationssaals auf, den er gerade verlassen hatte: dort operierten Murchison, die Tralthanerin und der kelgianische Arzt zusammen den Verwundeten, und nicht einer der Beteiligten konnte verstehen, was der andere sagte. Instruktionen, lebenswichtige Anweisungen, die Bitten um Instrumente oder Auskünfte über den Zustand des Patienten, das alles würde in einem für das OP-Personal vollkommen unverständlichem Aliengebrabbel geäußert werden. Conway sah sich das gleiche Bild überall im Orbit Hospital wiederholen. Nur Wesen der gleichen Spezies konnten sich noch gegenseitig verständlich machen, und selbst das traf nicht in allen Fällen zu. Es gab zum Beispiel Terrestrier, die kein Universal sprachen, sondern auf ihrem Heimatplaneten gebräuchliche regionale Sprachen. Diese DBDGs waren also selbst bei Gesprächen mit anderen Terrestriern auf den Translator angewiesen.
Trotz seiner strapazierten Ohren konnte Conway aus dem babylonischen Aliensprachgewirr einzelne Wörter und eine ihm verständliche Stimme heraushören. Es handelte sich dabei um Meldungen, die sich durch einen hohen Pegel von Hintergrundgeräuschen durchkämpfen mußten. Aber plötzlich schienen seine Ohren sämtliche Störungen herauszufiltern und nur — noch eine Stimme zu hören, die folgendes meldete: „. drei Lufttorpedos, Sir. Direkt hintereinander. Sozusagen im Gänsemarsch. Die haben den Verteidigungsring glatt durchbrochen. Wir können den Translator auch nicht behelfsmäßig zusammenflicken, weil nichts mehr davon übrig ist. Der letzte Torpedo ist nämlich direkt im Computerraum explodiert.“
Draußen vor der Kommunikatornische pfiffen, knurrten und heulten die ET-Schwestern Conway und sich gegenseitig an. Eigentlich hätte er Anweisungen zur Voruntersuchung seiner Patienten geben, die Unterbringung auf der Station vorbereiten und die Bereitschaft des FGLI-Operationssaals überprüfen müssen. Doch nichts davon konnte er jetzt tun, weil das Schwesternpersonal nicht ein einziges Wort seiner Anweisungen verstehen würde.