Sartorius

Der Korridor war leer. Er führte zuerst geradeaus, dann bog er nach rechts um. Ich war nie vorher in der Station gewesen, aber im Rahmen des Vortrainings hatte ich sechs Wochen lang in ihrer genauen Nachbildung gewohnt, die sich auf der Erde im Institut befindet. Ich wußte, wohin die Treppe mit den Alumiumstufen führte. Die Bibliothek war nicht beleuchtet. Tastend fand ich den Lichtschalter. Als ich in der Kartei den ersten Band des solaristischen Jahrbuchs samt Annex aufgesucht hatte, leuchtete auf den Tastendruck hin das rote Licht auf. Ich zog das Hilfsregister zu Rate — das Buch befand sich unten bei Gibarian, ebenso wie das andere, diese „Kleine Apokryphe“. Ich löschte das Licht und ging wieder hinunter. Ich fürchtete mich vor dem Betreten der Kabine, obwohl ich vorhin die Schritte gehört hatte. Das Weib konnte ja zurückgekommen sein. Eine Zeitlang stand ich vor der Tür, dann biß ich die Zähne zusammen, überwand mich und trat ein.

Das beleuchtete Zimmer war leer. Ich begann zwischen den Büchern herumzuwühlen, die beim Fenster auf dem Fußboden lagen; einmal ging ich zum Schrank und schloß ihn. Ich konnte diese leere Stelle zwischen den Overalls nicht ansehen. Beim Fenster war der Annex nicht. Band für Band stellte ich systematisch um, bis ich zu dem letzten Bücherhaufen vordrang, der sich zwischen dem Bett und dem Schrank ausbreitete. Dort fand ich den gesuchten Band.

Ich hoffte darin irgendeinen Hinweis zu finden, und wirklich steckte im Namensindex ein Lesezeichen; mit Rotstift war ein Namen angestrichen, der mir nichts sagte: Andre1 Berton. Er kam auf zwei getrennten Seiten vor. Ich schlug zuerst die frühere Stelle nach und erfuhr, daß Berton Ersatzpilot in Shannahans Raumschiff gewesen war. Zum nächsten Mal wurde er über hundert Seiten danach erwähnt. Unmittelbar nach der Landung war die Expedition mit außerordentlicher Vorsicht zu Werk gegangen, aber als sich nach sechzehn Tagen herausgestellt hatte, daß der Plasma-Ozean nicht nur keinerlei Anzeichen von Aggressivität zeigte, sondern sogar vor jedem an seine Oberfläche herangeführten Objekt zurückwich und den unmittelbaren Kontakt mit Apparaten und Menschen vermied, wo er nur konnte, da hoben Shannahan und sein Stellvertreter Timolis einen Teil jener durch die

Vorsicht diktierten Verschärfungen auf, da sie die Durchführung der Arbeiten ungemein erschwerten und verzögerten.

Damals wurde die Expedition in kleine Zweier— und Dreiergruppen aufgespalten, die über dem Ozean Flüge von manchmal mehreren hundert Meilen durchführten; die vorher als Deckung verwendeten, das Arbeitsgebiet abschließenden Werfer wurden nun in der Basis untergebracht. Die ersten vier Tage nach diesem Methodenwechsel verflossen ohne irgendwelche Zwischenfälle, abgesehen von hin und wieder auftretenden Schäden an der Sauerstoffapparatur der Raumanzüge; die Auslaßventile erwiesen sich nämlich als anfällig für die Korrosionswirkung der giftigen Atmosphäre. Daher mußten sie fast täglich gegen neue ausgetauscht werden.

Am fünften Tag, oder vom Augenblick der Landung an gerechnet am einundzwanzigsten, unternahmen zwei Forscher, Carucci und Fechner (ersterer war Radiobiologe, letzterer Physiker), über dem Ozean einen Explorationsflug in einem kleinen zweisitzigen Aeromobil. Das war kein Flugzeug, sondern ein Gleitfahrzeug, das sich auf einem Polster verdichteter Luft fortbewegte.

Als sie nach sechs Stunden nicht zurück waren, verfügte Timolis, der in Shannahans Abwesenheit die Basis leitete, den Alarmzustand und schickte alle erreichbaren Leute auf die Suche.

Durch ein widriges Zusammentreffen von Umständen war an diesem Tag etwa eine Stunde nach dem Aufbruch der Forschungsgruppen die Funkverbindung abgerissen; die Ursache war ein großer Fleck der roten Sonne, der starke Korpuskularstrahlung in die äußeren Schichten der Atmosphäre aussendete. Nur die Ultrakurzwellengeräte funktionierten und ermöglichten die Verständigung über eine Distanz von nicht viel mehr als zwanzig Meilen. Zu allem Unglück wurde vor Sonnenuntergang der Nebel dichter, und die Suche mußte unterbrochen werden.

Als die Rettungsgruppen schon zur Basis unterwegs waren, entdeckte eine von ihnen das Aeromobil, kaum 80 Meilen vom Ufer entfernt. Der Motor arbeitete, und die Maschine schwebte unbeschädigt über den Wellen. In der durchsichtigen Kabine befand sich, halb bewußtlos, nur ein Mensch: Carucci.

Das Aeromobil wurde zur Basis gebracht, und Carucci ärztlicher Behandlung unterzogen; noch am selben Abend kam er zu sich. Über Fechners Schicksal konnte er nichts sagen. Er erinnerte sich nur mehr, daß er plötzlich Atemnot verspürt hatte, als sie eben beabsichtigt hatten, heimzukehren. Das Auslaßventil seines Apparats hatte sich verklemmt, und ins Innere des Raumanzugs gelangte bei jedemmal Atemholen eine geringe Menge giftiger Gase.

Fechner, der ihm den Apparat zu reparieren versuchte, mußte sich losschnallen und aufstehen. Das war das letzte, woran sich Carucci erinnerte. Die weiteren Ereignisse liefen laut Sachverständigenurteil vermutlich folgendermaßen ab: Beim Reparieren des Apparats von Carucci öffnete Fechner das Kabinendach, wahrscheinlich weil ersieh unter der niedrigen Kuppel nicht frei bewegen konnte. Das war zulässig, denn die Kabine solcher Maschinen ist nicht hermetisch und bildet nur einen Schutz gegen atmosphärische Einflüsse und gegen den Wind. Während dieser Hantierungen mußte auch Fechners Sauerstoffgerät ausgefallen sein, umnebelt klomm er nach oben, gelangte durch die Kuppelöffnung auf den Rumpf der Maschine hinaus und fiel in den Ozean.

Dies ist die Geschichte des ersten Ozean-Opfers. Die Suche nach dem Leichnam — im Raumanzug hätte er auf den Wellen treiben müssen — erbrachte keinerlei Resultate. Im übrigen schwamm er vielleicht auch: das genaue Durchkämmen tausender Quadratmeilen einer fast unausgesetzt von Nebelstreifen überlagerten wogenden Wüste überforderte die Möglichkeiten der Expedition.

Vor der Dämmerung — ich komme nun auf die vorigen Ereignisse zurück — trafen alle Rettungsmaschinen wieder ein, bis auf einen großen Lasthubschrauber, den Berton flog.

Er erschien über der Basis fast eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit, als man sich schon ernstlich um ihn ängstigte. Berton war im Zustand des Nervenschocks, befreite sich nur eigenhändig aus der Maschine, um blindlings davonzustürzen; als sie ihn aufhielten, schrie und weinte er; bei einem Mann, der siebzehn Jahre Raumfahrt unter oftmals schwersten Bedingungen hinter sich hatte, war das erstaunlich.

Die Ärzte nahmen an, auch Berton habe eine Vergiftung erlitten. Nach zwei Tagen erklärte Berton, der sogar nach der Rückkehr zu scheinbarer Ausgeglichenheit keinen Augenblick lang das Innere der Hauptrakete der Expedition verlassen und nicht einmal einem Fenster mit Ausblick auf den Ozean nahekommen wollte, er wünsche einen Bericht über seinen Flug vorzubringen. Berton bestand darauf und behauptete, das sei eine Sache von höchster Wichtigkeit. Dieser Bericht wurde nach Begutachtung seitens des Expeditionsrats für das krankhafte Produkt eines von atmosphärischen Gasen vergifteten Geistes erklärt und als solches nicht in die Expeditionsgeschichte, sondern in die Krankengeschichte Bertons aufgenommen, womit die ganze Sache ihr Ende fand.

Soviel sagte der Annex. Ich konnte mir denken, daß der springende Punkt an dem Ganzen selbstverständlich Bertons Bericht selbst war — das, was diesen Fernstreckenpiloten bis zum Nervenzusammenbruch gebracht hatte. Zum zweiten Mal begann ich in den Büchern zu stöbern, aber die „Kleine Apokryphe“ konnte ich nicht finden. Ich wurde immer müder, also verschob ich das Weitersuchen auf den nächsten Tag und verließ die Kabine. Als ich an der Aluminiumtreppe vorbeikam, sah ich Lichtflecken von oben auf die Stufen fallen. Sartorius arbeitete also immer noch, um diese Zeit! Ich dachte, ich sollte ihn doch sehen.

Oben war es etwas wärmer. Durch den breiten, niedrigen Korridor spielte ein leichter Luftzug. Die Papierstreifen prasselten unbändig vor den Ventilationsöffnungen. Eine dicke, in einen Metallrahmen gefaßte Mattglasplatte bildete die Tür zum Hauptlaboratorium. Von innen war das Glas mit etwas Dunklem verhängt; Licht drang nur durch die schmalen Fenster unter der Decke ein. Ich drückte die Griffstange. Wie ich erwartet hatte, gab die Tür nicht nach. Drinnen herrschte Stille, ab und zu erklang ein schwaches Piepsen wie von einer Gasflamme. Ich klopfte. Keine Antwort.

— Sartorius! — rief ich. — Herr Doktor Sartorius! Ich bin's, der Neue, Kelvin! Ich muß Sie sehen, bitte machen Sie auf!

Ein schwaches Rascheln, als trete jemand auf zerknülltes Papier, und wieder Stille.

— Ich bin's, Kelvin! Sie haben doch von mir gehört! Ich bin vor ein paar Stunden mit dem Prometheus angekommen! — rief ich, den Mund dicht vor der Berührungsstelle zwischen Türstock und Metallrahmen. — Herr Doktor Sartorius! Niemand ist hier, nur ich! Machen Sie mir auf!

Schweigen. Dann schwaches Rascheln. Ein paarmal klapperte etwas, sehr deutlich, so als legte jemand metallene Werkzeuge auf ein Metalltablett. Und plötzlich erstarrte ich: Da erklang eine Serie ganz zarter Schritte, wie das Trippeln eines Kindes häufige, eilige Tritte kleiner Füßchen. Außer… außer jemand imitierte das ungemein geschickt mit den Fingern auf irgendeiner leeren, gut resonierenden Schachtel.

— Herr Doktor Sartorius!!! — brüllte ich. — Machen Sie auf oder nicht?!

Keine Antwort, nur wieder dieses kindliche Trippeln und gleichzeitig einige schnelle, schwach hörbare, schwungvolle Schritte, als ginge dieser Mensch auf den Zehenspitzen. Aber wenn er ging, dann konnte er doch wohl nicht gleichzeitig den Gang eines Kindes nachahmen? — Im übrigen, was geht mich das an! — dachte ich, und ohne länger die aufsteigende Wut zu bezähmen, donnerte ich:

— Herr Doktor Sartorius! Ich bin nicht sechzehn Monate geflogen, damit mich hier euer Theater aufhält!!! Ich zähle bis zehn. Dann sprenge ich die Tür auf!!!

Ich bezweifelte, daß mir das gelingen würde.

Der Rückstoß einer Gaspistole ist nicht sehr stark, aber ich war entschlossen, meine Drohung auf die eine oder die andere Art wahrzumachen, selbst wenn ich dazu erst Sprengladungen auftreiben müßte, woran es in den Lagerräumen bestimmt nicht fehlte. Ich sagte mir, ich dürfe nicht nachgeben, das heißt, ich könne nicht fortwährend mit diesen vom Wahnwitz gezinkten Karten spielen, die mir die Situation aufdrängte.

Ein Geräusch erscholl, so als ringe jemand mit jemandem oder stoße etwas, der Vorhang drinnen verschob sich vielleicht um einen halben Meter, ein schmaler Schatten fiel auf die Scheibe der matten, wie mit Reif bedeckten Tür, und ein leicht heiserer Diskant sagte:

— Ich mache auf, aber Sie müssen versprechen, daß Sie nicht eintreten.

— Wozu wollen Sie dann aufmachen!? — donnerte ich.

— Ich komme zu Ihnen hinaus.

— Gut. Ich verspreche es Ihnen.

Nun ertönte das leise Knattern des im Schloß umgedrehten Schlüssels, dann zog das dunkle Schattenbild, das die halbe Tür verdeckte, sorgsam den Vorhang wieder zu, dahinter liefen irgendwelche verwickelte Prozeduren ab, ich hörte etwas knarren, als würde ein Holztisch verschoben, endlich lüpfte sich die helle Tafel gerade so weit, daß Sartorius auf den Korridor schlüpfen konnte. Sartorius stand so vor mir, daß er die Tür verdeckte. Er war außergewöhnlich groß, mager, unter dem cremefarbenen Trikot schien der Körper nur aus Knochen zu bestehen. Um den Hals war ein schwarzes Tuch gewickelt; über die Schulter hing zusammengefaltet ein von Reagentien verätzter Labor-Schutzmantel. Den überaus schmalen Kopf hielt Sartorius schief. Fast das halbe Gesicht verdeckten ihm gewölbte schwarze Gläser, so daß ich seine Augen nicht sehen konnte. Er hatte ein langes Kinn, bläuliche Lippen und riesige, erfroren aussehende, weil ebenfalls bläuliche Ohren. Er war unrasiert. Strahlenschutzhandschuhe aus rotem Gummi baumelten ihm an Schlingen von den Handgelenken. Eine Weile standen wir da und betrachteten einander mit unverhohlener Abneigung. Seine restlichen Haare (ersah aus, als schere er seine Igelfrisur selbst mit dem Rasierapparat) waren bleigrau, die Bartstoppeln ganz weiß. Wie bei Snaut war die Stirn verbrannt, aber etwa in halber Höhe endete der Sonnenbrand an einer waagerechten Linie. Sichtlich trug Sartorius in der Sonne ständig irgendeine Mütze.

— Sie wünschen? — sagte er endlich. Er schien nicht sosehr abzuwarten, was ich ihm zu sagen hätte, sondern eher mit Anspannung in den Raum hinter sich hineinzuhorchen, immer noch den Rücken dicht an der Glasplatte. Geraume Zeit wußte ich nicht, wie ich sprechen sollte, um keine Dummheit zu begehen.

— Ich heiße Kelvin… Sie müssen von mir gehört haben — begann ich. — Ich bin, das heißt… ich war ein Mitarbeiter Gibarians…

Das magere Gesicht, ganz in senkrechten Linien — so muß Don Quixote ausgesehen haben —, war ohne jeden Ausdruck. Die schwarze, gewölbte Scheibe der auf mich gerichteten Brille erschwerte mir das Sprechen in höchstem Grade.

— Ich habe erfahren, daß Gibarian… tot ist. — Ich hielt inne.

— Ja. Sie wünschen?… Das klang ungeduldig.

— Hat er Selbstmord begangen?… Wer hat den Leichnam gefunden, Sie oder Snaut?

— Warum wenden Sie sich damit an mich? Hat Ihnen Doktor Snaut nicht gesagt…?

— Ich wollte hören, was Sie in dieser Angelegenheit zu sagen haben…

— Herr Doktor Kelvin, Sie sind Psychologe?

— Ja. Und?

— Wissenschaftler?

— Ja, schon. Was hat das zu tun mit…

— Ich dachte, Sie wären Kriminalbeamter oder Polizist. Jetzt ist es zwei Uhr vierzig, und Sie, anstatt sich um eine Einführung in den Gang der hier auf der Station betriebenen Arbeiten zu bemühen, was trotz dieser brutal versuchten Erstürmung des Laboratoriums letzten Endes verständlich wäre, fragen mich aus, als wäre ich mindestens verdächtig.

Ich bezwang mich mit einer Kraftanstrengung, von der mir der Schweiß auf die Stirn trat.

— Sie sind verdächtig, Sartorius! — sagte ich mit erstickter Stimme.

Ich wollte ihm unbedingt einen Stich versetzen, daher fügte ich störrisch hinzu:

— Und Sie wissen das sehr wohl!

— Wenn Sie das nicht widerrufen und sich nicht bei mir entschuldigen, werde ich in der Funkmeldung Beschwerde über Sie einlegen, Kelvin!

— Wofür soll ich mich bei Ihnen entschuldigen? Dafür, daß Sie mich nicht etwa empfangen und ehrlich über das aufklären, was hier vorgeht, sondern sich im Laboratorium einschließen und verbarrikadieren?! Haben Sie schon völlig den Verstand verloren?! Was sind Sie eigentlich, ein Wissenschaftler oder ein armseliger Feigling?! Wie? Vielleicht antworten Sie mir?!

— Ich weiß selbst nicht, was ich geschrien habe; er zuckte nicht einmal. Über die bleiche, großporige Haut rannen ihm dicke Schweißtropfen. Plötzlich kam ich dahinter: er hörte mir gar nicht zu! Beide Hände verbarg er hinter dem Rücken und hielt mit aller Kraft die Tür fest, die leicht erbebte, so als stemme sich von der anderen Seite jemand dagegen.

— Gehen Sie… fort… — ächzte er auf einmal mit seltsamer, piepsiger Stimme. — Sie… Um Gottes Barmherzigkeit willen, gehen Sie! Gehen Sie hinunter, ich komme, ich komme, ich tue alles, was Sie nur wollen, aber bitte fortgehen!!!

Solche Qual lag in seiner Stimme, daß ich völlig verdutzt die Hand instinktiv hochhob, um ihm diese Tür festhalten zu helfen, denn darum kämpfte er offensichtlich, aber er stieß daraufhin einen gräßlichen Schrei aus, so als ginge ich mit dem Messer auf ihn los, also begann ich mich rücklings zu entfernen, er aber schrie fortwährend im Falsett „Geh! Geh!“, dann wieder: "Ich komme ja schon! Ich komm schon! Ich komm schon!!! Nein! Nein!!!“

Er öffnete die Tür einen Spalt weit und stürzte in den Innenraum; ich bildete mir ein, in Brusthöhe sei an Sartorius etwas Goldfarbenes vorbeigeflitzt, etwas wie ein glänzender Kreis; aus dem Laboratorium drang nun dumpfes Gepolter, der Vorhang flog zur Seite, ein großer, langer Schatten huschte über den gläsernen Schirm, der Vorhang kehrte an seinen Platz zurück, und es war nichts mehr zusehen. Was spielte sich dort ab?! Schritte trappelten, eine irre Hetzjagd endete plötzlich mit einem schrillen, glasigen Krach, und ich hörte das übersprudelnde Lachen eines Kindes…

Die Beine schlotterten mir; ich blickte mich nach allen Seiten um. Stille trat ein. Ich setzte mich auf ein niedriges Fensterbrett aus Kunststoff. Da saß ich wohl eine Viertelstunde; ich weiß nicht, wartete ich auf etwas oder war ich einfach so vollkommen erledigt, daß ich nicht einmal aufstehen mochte. Mir sprengte es direkt den Schädel. Irgendwoher aus der Höhe vernahm ich einen langgezogenen Knirschlaut, gleichzeitig erhellte sich die Umgebung.

Von meinem Platz aus sah ich nur einen Teil des ringförmigen Korridors, der rund um das Laboratorium führte. Es lag zuoberst in der Kuppe der Station, dicht unter dem Schild des Außenpanzers, daher waren die äußeren Wände schräg und konkav; alle paar Meter waren Fenster angebracht, Schießscharten ähnlich; eben hoben sich die verdunkelnden

Außenklappen, der blaue Tag ging zu Ende. Durch die dicken Scheiben schoß blendender Glanz herein. Jede Nickelleiste, jede Klinke flammte auf wie eine kleine Sonne. Die Tür zum Laboratorium — diese große Mattglasplatte — erglühte wie die Öffnung einer Feuerstelle. Ich schaute auf meine grau in diesem gespenstischen Licht verblaßten, auf den Knien gekreuzten Hände. In der rechten hielt ich die Gaspistole, ich hatte keine Ahnung, wann oder wie ich die aus dem Futteral gerissen hatte. Ich senkte sie wieder hinein. Ich wußte bereits, daß mir selbst ein Atom-Werfer nichts geholfen hätte; was hätte ich damit ausrichten können? Die Tür zerdreschen? Ins Laboratorium eindringen?

Ich stand auf. Die im Ozean versinkende, einer Wasserstoffexplosion ähnliche Scheibe sandte mir ein waagrechtes Bündel von Strahlen nach, fast körperhaft waren sie; als sie meine Wange trafen (ich ging schon die Stufen hinunter), war das wie das Auflegen eines erwärmten Siegels.

Auf halber Höhe der Treppe besann ich mich anders und kehrte nach oben zurück. Ich ging rund um das Laboratorium. Wie ich schon gesagt habe, umgürtete es der Korridor: nach etwa hundert Schritten befand ich mich auf der anderen Seite, einer völlig gleichartigen Glastür gegenüber. Ich versuchte nicht, sie zu öffnen, ich wußte, daß sie versperrt war.

Ich suchte irgendein Fenster in der Kunststoffwand, eine Ritze wenigstens; der Gedanke, Sartorius zu belauern, kam mir durchaus nicht schuftig vor. Ich wollte den Vermutungen ein Ende machen und die Wahrheit kennenlernen, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wie ich sie sollte begreifen können.

Es kam mir in den Sinn, daß Deckenfenster den Laboratoriumssälen Licht spendeten, also Fenster im Außenpanzer, durch die ich vielleicht ins Innere schauen konnte, wenn ich erst hinausgelangt war. Zu diesem Zweck mußte ich hinuntergehen und Raumanzug und Sauerstoffgerät holen. Ich stand an der Treppe und überlegte, ob das Spiel der Mühe wert sei. Es war durchaus wahrscheinlich, daß das Glas der Oberfenster matt war, aber was blieb mir übrig? Ich ging ins mittlere Stockwerk hinunter. Ich mußte an der Funkstation vorbei. Die Tür war sperrangelweit geöffnet. Er — saß im Lehnsessel, wie ich ihn verlassen hatte. Er schlief. Auf das Geräusch meiner Schritte hin zuckte er und öffnete die Augen.

— Hallo, Kelvin! — begrüßte er mich heiser. Ich schwieg.

— Nun, wie steht's, hast du etwas erfahren? — fragte er.

— Allerdings — entgegnete ich langsam. — Er ist nicht allein. Snaut verzog den Mund.

— Na bitte. Das ist immerhin etwas. Er hat Gäste, sagst du?

— Ich verstehe nicht, warum ihr nicht sagen wollt, was das ist — warf ich wie beiläufig hin. -Da ich hierbleibe, erfahre ich es ja früher oder später doch. Also wozu die Geheimnisse?

— Du wirst das einsehen, sobald du selbst Gäste hast — sagte er. Meinem Eindruck nach wartete er auf etwas und hatte nicht viel Lust zu Gesprächen.

— Wohin gehst du? — murmelte er, als ich mich umwandte. Ich antwortete nicht. Die Flughafenhalle war in demselben Zustand, in dem ich sie zurückgelassen hatte. Auf der Erhöhung stand sperrangelweit geöffnet meine verrußte Kapsel. Ich näherte mich den Ständern mit den Raumanzügen, aber schlagartig verging mir die Lust zu dieser Extratour auf den Außenpanzer. Ich drehte mich um, wo ich stand, und ging über die Wendeltreppe hinunter zu den Lagerräumen. Der schmale Korridor war mit Gasflaschen und gestapelten Kisten vollgeräumt. Die Wände bestanden hieraus dem nackten, im Licht bläulich blitzenden Metall. Noch vierzig, fünfzig Schritte, und unter der Decke zeigten sich, weiß vom Reif, die Leitungen der Kühlapparatur. Ich folgte ihnen. Sie stießen durch eine Muffe mit dickem Kunststoff kragen in einen dicht abgeschlossenen Raum durch. Ich öffnete die schwere, zwei Handbreit dicke Tür mit Gummirand, da wehte mich Frost an, der bis in die Knochen fuhr. Ich zitterte. Von dem Gewirr verschneiter Windungen hingen Eiszapfen herab. Auch hier standen Kisten und Behälter, eine feine Schicht Schnee bedeckte sie; die Regale an den Wänden waren vollgestellt mit Dosen und mit irgendwelchem Fett, gelblichen Ziegeln in Klarsichtverpackung. Gegenüber im Hintergrund wurde das Tonnengewölbe niedriger. Dort hing ein dicker, von feinen Eisnadeln funkelnder Vorhang. Ich schlug seinen Rand zurück. Auf einer Lagerstatt aus Aluminiumgittern ruhte mit grauem Tuch bedeckt eine große, langgestreckte Last. Ich hob ein Endchen der Plane und sah in das verharschte Gesicht Gibarians. Die schwarzen Haare, mit dem weißen Streifen oberhalb der Stirn, legten sich glatt an den Schädel. Der Kehlkopf stach hoch hervor, die Halsfläche knickend. Die ausgetrockneten Augen schauten senkrecht hinauf zur Decke, im Lidwinkel hatte sich ein trüber Eistropfen angesammelt. Die Kälte durchdrang mich dermaßen, daß ich mit Mühe das Zähneklappern unterdrückte. Ohne das Bahrtuch loszulassen, berührte ich mit der anderen Hand den Toten an der Wange. Das war geradeso, wie wenn ich vereistes Holz berührt hätte. Die Haut war rauh von dem Bartwuchs, der in schwarzen Pünktchen hindurchstach. Der Ausdruck maßloser, verächtlicher Geduld gefror in der Stellung der Lippen. Als ich den Tuchsaum wieder senkte, bemerkte ich, daß jenseits des Leichnams unter dem Faltenwurf einige schwarze, längliche Perlen oder Bohnen hervorstanden, der Größe nach aufgereiht.

Plötzlich erstarrte ich.

Das waren die Zehen nackter Füße, von der Sohlenseite gesehen; die eiförmigen Zehenkuppen waren leicht voneinandergespreizt, unter dem bauschigen Rand des Bahrtuchs lag platt an den Grund geschmiegt die Negerin.

Sie ruhte mit dem Gesicht nach unten, wie in tiefen Schlafversunken. Zoll für Zoll zog ich das dicke Gewebe weg. Der Kopf, bedeckt mit Haaren, die zu kleinen, bläulichen Büscheln verknäuelt waren, lag in der Beuge des ebenso schwarzen, massiven Arms. Die Buckel der Wirbelsäule spannten die glänzende Rückenhaut. Den gewaltigen Fleischberg belebte nicht die kleinste Bewegung. Noch einmal blickte ich auf die nackten Fußsohlen, und da fiel mir etwas Merkwürdiges auf: sie waren nicht platt oder eingedrückt von dem Gewicht, das sie zu tragen hatten, sie waren nicht einmal verhornt vom Barfußgehen, genauso glatte Haut wie die des Rückens oder der Hände überzog sie.

Ich überprüfte diese Wahrnehmung durch eine Berührung, die mir viel schwerer fiel als das Berühren des toten Körpers. Nun geschah etwas kaum Glaubliches: Dieser einem Frost von zwanzig Grad ausgesetzte Körper lebte und bewegte sich. Sie zog den Fuß ein, wie ein schlafender Hund, den jemand an der Pfote faßt.

— Erfrieren wird sie hier — dachte ich, aber der Körper war ruhig und nicht übermäßig kühl, ich fühlte noch die weiche Tastempfindung in den Fingerspitzen verfließen. Ich wich rücklings hinter den Vorhang zurück, ließ ihn sinken und ging wieder auf den Korridor hinaus. Es schien mir, daß dort unheimliche Hitze herrsche. Die Treppe führte mich dicht vor die Halle des Flughafens. Ich setzte mich auf einen zusammengerollten Ringfallschirm und nahm den Kopf zwischen die Hände. Ich fühlte mich wie zerschlagen. Ich wußte nicht, was mit mir vorging. Ich war zermalmt, meine Gedanken schlitterten irgendein Steilgefälle hinab, wo der Absturz drohte. Mein Bewußtsein einzubüßen, zu nichts zu werden, das schien mir eine unsägliche, unerringliche Gnade.

Snaut oder Sartorius aufzusuchen, war zwecklos; ich nahm nicht an, daß überhaupt irgend jemand zu einer Ganzheit zusammenfügen könnte, was ich bislang erlebt hatte, gesehen, mit eigenen Händen berührt. Die einzige Rettung — Flucht — Erklärung — war die Diagnose auf Wahnsinn. Ja: Ich mußte wahnsinnig geworden sein, und das sofort nach der Landung. Der Ozean wirkte so auf mein Gehirn, ich erlebte Halluzination auf Halluzination, und demzufolge hatte ich nicht meine Kräfte zu vergeuden, indem ich vergeblich Rätsel zu entwirren suchte, die in Wirklichkeit nicht existierten, sondern ich hatte ärztliche Hilfe anzufordern, von der Funkstation aus den Prometheus oder ein anderes Schiff zu rufen, SOS-Signale durchzugeben.

Nun geschah etwas, was ich eher nicht erwartet hätte: Der Gedanke, ich sei verrückt geworden, beruhigte mich.

Nur zu gut verstand ich Snauts Worte — vorausgesetzt, daß überhaupt ein Snaut existierte, und daß ich irgendwann mit ihm gesprochen hatte; die Halluzinationen konnten ja viel früher eingesetzt haben — wer konnte wissen, ob ich nicht noch immer an Bord des Prometheus weilte, von einer plötzlich ausgebrochenen Geisteskrankheit befallen, so daß alles, was ich erlebt hatte, das Produkt meines gereizten Gehirns war? Wenn ich aber krank war, dann konnte ich wieder gesund werden, und dies gab mir wenigstens die Hoffnung auf ein Entrinnen, die ich aus den wirren Alpträumen meiner kaum ein paar Stunden alten Solaris-Erfahrung in keiner Weise herauszulesen vermochte.

Demnach war vor allem einmal ein logisch entworfenes Selbstexperiment durchzuführen, experimentum crucis, eines, das mir anzeigen konnte, ob ich tatsächlich wahnsinnig war und das Opfer von Vorspiegelungen der eigenen Einbildung wurde, oder ob meine Erlebnisse trotz ihrer Absurdität und Unwahrscheinlichkeit real waren.

So überlegte ich und betrachtete dabei ein metallenes Auflager, das die Tragkonstruktion des Flughafens stützte. Das war ein aus der Wand hervortretender, mit vorgebauchten Blechen umdämmter Stahlmast, blaßgrün gestrichen. An einigen Stellen, etwa einen Meter über dem Fußboden, blätterte der Lack ab, sicher hatten ihn die hier vorbeifahrenden Raketenwägelchen abgeschürft. Ich berührte den Stahl, wärmte ihn eine Weile mit der flachen Hand, klopfte auf den gewalzten Rand des Schutzblechs. Kann eine Vorspiegelung einen solchen Grad von Wahrhaftigkeit erreichen? Kann sie — antwortete ich mir selbst; das war schließlich mein Sachgebiet, da wußte ich Bescheid.

Aber ist es möglich, dieses Schlüsselexperiment zu ersinnen? Anfangs meinte ich, nein; mein krankes Gehirn (sofern es wirklich krank war) konnte ja jedes Wahnbild hervorbringen, das ich nur von ihm verlangte. Nicht nur in der Krankheit, sondern auch im allemormalsten Traum kommt es schließlich vor, daß wir mit Menschen reden, die uns im Wachdasein unbekannt sind, daß wir diesen geträumten Personen Fragen stellen und ihre Antworten hören, wobei wir— obwohl diese Menschen in Wahrheit nur Erzeugnisse unserer eigenen Psyche sind, gleichsam ihre zeitweilig losgelösten, scheinselbständigen Teile nicht eher wissen, welche Worte sie äußern werden, als bis sie selbst (in diesem Traum) zu uns sprechen. In Wahrheit aber sind das ja Worte, die jener ausgesonderte Teil unseres eigenen Denkens präpariert hat, demnach sollten wir sie bereits kennen, sobald wir selbst sie ausgedacht haben, um sie einer fiktiven Gestalt in den Mund zu legen. Was ich demnach auch planen und verwirklichen sollte, immer würde ich mir sagen können, ich sei geradeso vorgegangen, wie wir im Traum vorgehen. Weder Snaut noch Sartorius mußten unbedingt in Wirklichkeit existieren, jedwede Befragung beider war demnach nutzlos.

Ich dachte daran, ein Medikament einzunehmen, irgendein Mittel mit starken Auswirkungen, zum Beispiel Meskalin oder ein anderes Präparat, das Sinnestäuschungen und farbige Gesichte hervorruft. Sollte ich solche Phänomene erleben, so wäre damit bewiesen, daß das eingenommene Mittel tatsächlich existiert und Teil einer stofflichen, äußeren Wirklichkeit ist. Aber auch dies — so führte ich den Gedanken weiter — wäre nicht das gewünschte Schlüsselexperiment, da ich doch weiß, wie das Mittel (das ich ja selbst auswählen müßte) wirken soll. Demnach kann es sein, daß sowohl ein Einnehmen dieses Medikaments, als auch dadurch verursachte Effekte in gleicherweise Schöpfungen meiner Einbildungskraft sind.

Ich meinte schon, eingeschlossen in den Kreis des Wahnsinns, könne ich daraus nicht ausbrechen: anders als mit dem Gehirn kann ich ja nicht denken, ich kann mich nicht aus mir selbst hinausbegeben und die im Körper ablaufenden Vorgänge auf ihre Normalität hin prüfen. Da erleuchtete mich plötzlich ein ebenso einfacher wie treffender Gedanke.

Ich sprang von dem Stapel eingerollter Fallschirme auf und lief schnurstracks in die Funkstation. Sie war leer. Nebenbei warf ich einen Blick auf die elektrische Wanduhr. Es ging auf vier, das war noch die fiktive Nacht der Station, draußen nämlich herrschte die rote Morgendämmerung. Schnell schaltete ich die Funkanlage für Weitverkehr ein; während ich auf das Heißwerden der Röhren wartete, legte ich mir nochmals im Kopf die einzelnen Etappen des Versuchs zurecht.

Ich wußte nicht auswendig, welches Rufzeichen die automatische Station des Solaris-Satelloids hatte, aber dies fand ich auf einer Tabelle, die über dem Hauptpult hing. Ich gab den Ruf im Morse-Alphabet durch, und nach acht Sekunden kam Antwort. Das Satelloid, oder vielmehr sein Elektronengehirn, meldete sich mit dem rhythmisch wiederkehrenden Signal.

Nun verlangte ich, das Satelloid solle mir angeben, welche Stundenkreise es in Intervallen von zweiundzwanzig Sekunden am Himmelsgewölbe der Galaxis beim Kreisen um die Solaris jeweils schneide, und dies mit Genauigkeit bis zur fünften Dezimalstelle.

Dann setzte ich mich hin und wartete auf die Antwort. Sie traf nach zehn Minuten ein. Ich riß den Papierstreifen mit den ausgedruckten Ergebnissen ab und steckte ihn in die Schublade (dabei paßte ich gut auf mich auf, um nur ja keinen Blick darauf zu werfen), dann holte ich aus der Bibliothek große Himmelskarten, ferner Logarithmentafeln, den Almanach der täglichen Bewegung des Satelliten und einige Hilfsbücher, und nun machte ich mich daran, die Antwort auf dieselbe Frage herauszufinden. Nahezu eine Stunde brauchte ich, um die Gleichungen anzusetzen; ich weiß nicht mehr, wann ich mich zuletzt so kaputtgerechnet hatte, wahrscheinlich noch während des Studiums, bei der Prüfung aus Angewandter Astronomie.

Die Berechnungen führte ich mit dem Großcomputer der Station durch. Mein Gedankengang verlief folgendermaßen: aus den Himmelskarten mußte ich Ziffern gewinnen, die sich mit den vom Satelloid gelieferten Daten nicht völlig deckten. Nicht völlig — denn das Satelloid ist sehr komplizierten Perturbationen unterworfen, durch das Einwirken der Massenanziehungskräfte der Solaris und ihrer beiden einander umkreisenden Sonnen, außerdem durch lokale Schwerkraftveränderungen, die der Ozean hervorruft. Sobald ich bereits zwei Reihen von Ziffern hatte, die vom Satelloid angegebene und die theoretisch auf Grund der Himmelskarten berechnete, konnte ich die Korrekturen in meine Berechnungen einführen; danach hatten sich die beiden Resultatgruppen bis zur vierten Dezimalstelle miteinander zu decken; Abweichungen hatten nur an der fünften Stelle zu bleiben, als Auswirkungen der unberechenbaren Tätigkeit des Ozeans.

Selbst wenn die vom Satelloid gelieferten Ziffern nicht Wirklichkeit waren, sondern nur das Erzeugnis meines wahnsinnigen Geistes, dann konnten sie sich schon gar nicht mit der zweiten Reihe von Zahlenangaben decken. Denn mein Gehirn konnte zwar krank sein, es wäre aber unter keinen Umständen imstande gewesen, die Rechnung durchzuführen, die der Großcomputer der Station leistete, denn dies hätte viele Monate erfordert. Und folglich — wenn die Ziffern übereinstimmten — existierte der Großcomputer der Station wirklich, und ich hatte ihn in Wirklichkeit benützt, nicht in der Halluzination.

Mir zitterten die Hände, als ich den papierenen Fernschreiberstreifen aus der Schublade nahm und neben dem zweiten, breiteren auflegte, der vom Computer stammte. Beide Ziffernreihen stimmten so überein, wie ich es vorausgesehen hatte: bis zur vierten Stelle. Abweichungen traten erst an der fünften auf.

Ich steckte alle Papiere in die Schublade. Also der Computer existierte unabhängig von mir; dies zog nach sich — die reale Existenz der Station und alles dessen, was darin war.

Ich wollte schon die Schublade schließen, da bemerkte ich, daß sie mit einem ganzen Stoß mit ungeduldigen Berechnungen bedeckter Blätter gefüllt war. Ich zog ihn hervor; ein Blick bewies, daß jemand bereits ein ähnliches Experiment wie das meine durchgeführt hatte, mit dem Unterschied, daß er vom Satelloid nicht Daten relativ zum Himmelsgewölbe verlangt hatte, sondern die Messung der Solaris-Albedo in Intervallen von vierzig Sekunden.

Ich war nicht wahnsinnig. Der letzte Hoffnungsstrahl erlosch. Ich schaltete den Sender aus, trank den Rest Fleischbrühe aus der Thermosflasche und ging schlafen.

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