12. Kapitel

Die FOKT-Einrichtung wurde fertiggestellt und gründlich getestet, zuerst von Naydrad und dann — auf Anordnung Major Fletchers — vom technischen Offizier der Rhabwar, Lieutenant Chen. Abgesehen von kurzen Begegnungen auf dem Weg von oder zu den Speise- und Aufenthaltsräumen, war das Cha Thrats bisher einzige Möglichkeit, mit einem der Schiffsofffiziere direkt in Berührung zu kommen.

Nicht, daß man solch einen Kontakt zwischen den Offizieren der Herrscherklasse und einem Wesen des niedrigsten technischen Dienstgrads zu verhindern versucht oder bei Cha Thrat absichtlich Minderwertigkeitsgefühle hervorgerufen hätte; das tat man beides nicht. Aber sämtliche Mitarbeiter des Monitorkorps, die die ausgesprochen hohen technischen und theoretischen Anforderungen des Dienstes auf Interstellarschiffen erfüllen mußten, kamen — zumindest nach der standesbewußten Einstellung einer Sommaradvanerin — dem Rang eines Herrschers so nah, daß es keinen Unterschied machte. Ohne jemanden bewußt kränken zu wollen, verfielen sie immer wieder in eine eigene, äußerst technische Sprache, die nur Eingeweihte verstanden, und verursachten bei Cha Thrat tiefstes Unbehagen.

Jedenfalls fühlte sie sich bei den Ärzten in Zivil heimischer als bei diesen Wesen, die, bis auf ein paar kleine, aber wichtige Rangabzeichen auf dem Kragen, die gleiche Uniform trugen wie sie. Überdies war es unmöglich, in Gesellschaft von Prilicla zu sein, wenn man sich nicht wirklich ausgesprochen wohl fühlte. Deshalb machte sich Cha Thrat so klein, wie es ihre Physiologie zuließ, rief sich ständig in Erinnerung, daß sie nicht mehr zur ärztlichen Zunft, sondern zu den Wartungstechnikern gehörte, und bemühte sich angestrengt, sich nicht einzumischen, wenn sich die anderen über den Sinn und Zweck des Einsatzes unterhielten.

Aus Sicht der Kulturkontaktspezialisten handelte es sich bei Goglesk um einen Grenzfall. Der intensive Kontakt mit einer eher rückständigen Zivilisation konnte gefährlich sein, weil man sich, wenn die Monitorkorpsschiffe wie aus heiterem Himmel auf die Planetenoberfläche fielen, nie sicher sein konnte, ob man den Bewohnern in ihrer technologischen Entwicklung unter die Arme greifen sollte oder bei ihnen einen vernichtenden Minderwertigkeitskomplex auslösen würde. Doch die Gogleskaner waren trotz ihrer Rückständigkeit in den Naturwissenschaften und der verheerenden Rassenpsychose, die sie am Fortschritt hinderte, zumindest als Individuen psychologisch gefestigt, und ihr Planet hatte bereits seit etlichen tausend Jahren keinen Krieg mehr erlebt.

Für das Korps wäre es der einfachste Weg gewesen, sich zurückzuziehen, die gogleskanische Kultur so weitermachen zu lassen, wie sie es seit Beginn der Geschichtsschreibung getan hatte, und ihre Probleme als unlösbar abzuschreiben. Nichtsdestoweniger hatten die Spezialisten eins ihrer seltenen Zugeständnisse gemacht und einen kleinen Stützpunkt zur Beobachtung, Nachforschung und begrenzten Kontaktaufnahme errichtet.

Der Fortschritt ist bei jeder intelligenten Spezies von der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Einzelwesen, Familien oder Stämmen abhängig. Auf Goglesk hatte jedoch schon immer jeder enge Kooperationsversuch einen starken Rückgang des Verständnisses, blinde Zerstörungswut und ernste körperliche Verletzungen zur Folge gehabt, so daß sich die Gogleskaner gezwungenermaßen zu einer Spezies von Individualisten entwickelt hatten, die nur für die Dauer des kurzen Fortpflanzungsprozesses oder der Betreuung der Kleinkinder miteinander engen Körperkontakt hatten.

Das Problem war aufgrund einer Lösung entstanden, die sich den Gogleskanern vor der Entwicklung von Intelligenz aufgedrängt hatte. Damals waren sie die Beute sämtlicher Raubtiere gewesen, von denen es in den gogleskanischen Meeren wimmelte, hatten aber selbst ebenfalls natürliche Angriffs- und Verteidigungswaffen entwickelt: Stacheln, die kleinere Lebensformen lähmten oder töteten, und lange Fühler auf dem Kopf, mit denen sie durch Berührung telepathischen Kontakt herstellen konnten. Wurden sie von großen Raubtieren bedroht, schlossen sie ihre Körper und Gehirne zusammen, bis sie die erforderliche Größe hatten, um mit ihren vereinten Stacheln jeden Angreifer zu töten.

Nach fossilen Funden auf Goglesk zu urteilen, hatte es einen gigantischen Überlebenskampf zwischen den FOKTs und einer Spezies riesiger und besonders wilder Meeresraubtiere gegeben, eine Schlacht, die viele, viele tausend Jahre gewütet hatte. Den Sieg trugen am Ende die FOKTs davon, die sich danach zu intelligenten Landbewohnern entwickelten. Aber der Preis, den sie zu zahlen hatten, war furchtbar.

Um eins der gewaltigen Raubtiere zu Tode zu stechen, hatten sich Hunderte von einzelnen FOKTs körperlich und telepathisch zusammenschließen müssen. Bei jeder derartigen Begegnung waren sehr viele von ihnen umgekommen, zerrissen oder gefressen worden, und den sich daraus ergebenden Todeskampf, der sich bei jedem Sterbenden wiederholte, nahm aufgrund der telepathischen Verbindung jedes einzelne Mitglied der Gruppen am eigenen Leibe wahr. In dem Bestreben, ihr Leiden zu verringern, hatten die FOKTs die Wirkung der telepathischen Kräfte in der Gruppe durch die Entwicklung blinder Zerstörungswut abgeschwächt, die sich unterschiedslos gegen alles richtete, was sich in ihrer Nähe befand. Doch selbst so waren ihre in der Vorgeschichte erhaltenen seelischen Wunden nicht verheilt.

Der von einem Gogleskaner in Not ausgestoßene Ruf, der einen solchen Gruppenzusammenschluß einleitete, konnte, wenn er erst einmal gehört worden war, weder bewußt noch unterbewußt verdrängt werden, da dieser Schrei nur eins bedeutete: die Bedrohung durch äußerste Gefahr. Das war selbst in der heutigen Zeit, wo derartige Bedrohungen nur eingebildet oder unbedeutend waren, nicht anders. Der Zusammenschluß führte zwangsläufig zur blinden Zerstörung von allem, was sich in ihrer unmittelbaren Nähe befand und die FOKTs als Individuen hatten bauen, schreiben oder schaffen können: Häuser, Fahrzeuge, technische Anlagen, Bücher oder Kunstobjekte.

Aus diesem Grund erlaubten es die heutigen Gogleskaner, mit Ausnahme einiger sehr seltener Fälle, niemandem, sie zu berühren, sich ihnen zu nähern oder sie auch nur ansatzweise mit persönlichen Worten anzusprechen,

während sie hilflos und — bis ihnen Conway vor kurzem einen Besuch auf ihrem Planeten abgestattet hatte — hoffnungslos gegen die ihnen von der Evolution aufgezwungenen Lebensbedingungen ankämpften.

Cha Thrat war klar, daß sich das medizinische Team ausschließlich über die Probleme der Gogleskaner im allgemeinen und die von Khone im besonderen unterhalten wollte, und über diese Themen entwickelten sich dann auch endlose Gespräche, die zu nichts anderem führten als stets wieder zum Ausgangspunkt zurück. Eigentlich hatte Cha Thrat mehrmals Vorschläge machen oder Fragen stellen wollen. Aber schon bald stellte sie fest, daß, wenn sie einfach den Mund hielt und geduldig abwartete — ein Verhalten, das ihrem Naturell schon immer widersprochen hatte —, dieselben Vorschläge und Fragen, die ihr unter den Nägeln brannten, von einem Mitglied des Teams unterbreitet beziehungsweise beantwortet wurden.

Normalerweise war es Naydrad, die solche Fragen stellte, wenn auch viel weniger höflich, als es Cha Thrat getan hätte.

„Conway hätte mitkommen sollen“, sagte die Kelgianerin, deren Fell sich mißbilligend kräuselte. „Er hat es der Patientin versprochen, und dafür gibt es keine Ausflüchte!“

Das rosagelbe Gesicht der Pathologin Murchison wurde dunkler. An der Decke zitterten Priliclas schimmernde Flügel als Reaktion auf die unter ihm ausgestrahlten Emotionen, aber weder der Empath noch die Terrestrierin sagten ein Wort.

„Ich nehme an, daß es Conway durch die unbeabsichtigte, gefährliche und beispiellose Geistesverschmelzung gelungen ist, die geistig-seelische Ausrichtung dieser Gogleskanerin zu durchbrechen“, unterbrach Danalta das entstandene Schweigen. „Aus diesem Grund ist er auch das einzige Wesen einer anderen Spezies, das Aussichten hat, sich der Patientin bis zumindest auf geringen Abstand zu nähern, selbst wenn er sie vor oder während der Geburt wohl kaum berühren darf. Obwohl wir viel früher als erwartet gerufen worden sind, muß es doch im Hospital noch viele andere geben, die fähig und willens sind, für die paar Tage, die für den Flug erforderlich sind, Conways Aufgaben zu übernehmen.

Jedenfalls finde ich auch, daß Conway uns hätte begleiten sollen“, schloß der Gestaltwandler. „Schließlich ist Khone seine Freundin, und er hat es ihr versprochen.“

Während Danaltas Ausführungen hatte Murchisons Gesicht bis auf weiße Flecken rund um die Lippen den dunkelrosa Farbton beibehalten, und an Priliclas Zittern war deutlich abzulesen, daß die emotionale Ausstrahlung der Pathologin für den Empathen alles andere als angenehm war.

„Ich stimme Ihnen ja grundsätzlich zu, daß niemand unentbehrlich ist, nicht einmal der leitende Diagnostiker der Chirurgie“, räumte Murchison in einem Ton ein, der das Gegenteil zu verstehen gab. „Ich will Conway auch gar nicht verteidigen, nur weil er zufällig mein Lebensgefährte ist. Er könnte eine ganze Menge Chefärzte, die in der Lage sind, seine Arbeit zu verrichten, um Hilfe bitten. Aber das geht eben nicht innerhalb weniger Minuten oder Stunden und vor allem nicht, solange er mitten in einer Operation steckt. Außerdem hätte allein die Einweisung in seinen Operationsplan Zeit gekostet, wenigstens noch mal zwei Stunden. Der Funkspruch der Gogleskaner hatte den Zusatz äußerst dringende. Also mußten wir sofort aufbrechen, auch ohne Conway.“

Danalta entgegnete nichts, doch Naydrads Fell schlug unzufriedene Wellen. „Ist das die einzige Entschuldigung, die Conway Ihnen für den Bruch seines Versprechens der Patientin gegenüber gegeben hat?“ wollte die Kelgianerin wissen. „Wenn ja, ist das vollkommen unbefriedigend. Wir haben doch schon alle unsere Erfahrungen mit plötzlichen Notfällen gemacht und wissen, daß die Übernahme einer Arbeit durch andere auch ohne ausführliche Einweisungen und auch ohne jede Vorwarnung erforderlich sein kann. Mit seiner Entscheidung legt Conway gegenüber seiner Patientin eine unglaubliche Rücksichtslosigkeit an den Tag und.“

„Gegenüber welcher Patientin?“ fiel Murchison der DBLF verärgert ins Wort. „Gegenüber Khone oder dem Wesen, das er im Moment operiert? Und falls Sie es vergessen haben sollten, ergibt sich ein Notfall nun einmal unerwartet oder weil eine Situation versehentlich außer Kontrolle geraten ist. Vor allem sollte er nicht absichtlich herbeigeführt werden, nur weil sich jemand moralisch verpflichtet fühlt, woanders zu sein.

Jedenfalls hat Conway mitten in einer Operation gesteckt und nur Zeit für ein paar Worte gehabt“, fuhr sie fort, „und die lauteten, wir sollten sofort ohne ihn losfliegen und uns keine Sorgen machen.“

„Dann wollen Sie also tatsächlich das Fehlverhalten Ihres Lebensgefährten entschuldigen? Nach meiner Meinung.“, setzte Naydrad an, wurde jedoch von Prilicla, der sich zum erstenmal einmischte, unterbrochen.

„Bitte“, besänftigte er in ruhigem Ton die aufwallenden Wogen der Empörung. „Ich spüre, daß unsere Freundin Cha Thrat etwas sagen möchte.“

Als Chefarzt und Leiter des medizinischen Teams der Rhabwar wäre Prilicla gut und gerne dazu berechtigt gewesen, seine Mitarbeiter darauf hinzuweisen, daß ihm ihr ständiges Gezänk Unbehagen bereite und sie gefälligst sofort den Mund halten sollten. Aber Cha Thrat wußte auch, daß der kleine Empath nicht einmal im Traum daran denken würde, so etwas zu tun, weil die Teamkollegen ihrem friedfertigen, von allen geliebten und für Emotionen empfänglichen Leiter mit ihrer daraus resultierenden Verlegenheit und den Schuldgefühlen über die verursachten Beschwerden noch mehr Unannehmlichkeiten bereitet hätten.

Deshalb lag es in Priliclas eigenem Interesse, Anweisungen zumeist nur indirekt zu erteilen, um die Ausstrahlung unangenehmer Gefühle in seiner Umgebung auf ein Minimum zu reduzieren. Wenn er jetzt Cha Thrats Wunsch, sich zu äußern, spürte, konnte er höchstwahrscheinlich auch fühlen, daß sie genau wie er die gegenwärtige Verstimmung im Raum verringern wollte.

Alle Augen waren jetzt auf sie gerichtet, und Prilicla hatte aufgehört zu zittern. Offenbar machte ihm die emotionale Ausstrahlung von Neugier wesentlich weniger zu schaffen als die vorherigen Gefühle, die sich mittlerweile gelegt hatten.

„Ich habe mir ebenfalls aufmerksam das Video über Goglesk und insbesondere das Material über Khone angesehen.“, begann Cha Thrat.

„Das ist ja wohl nicht Ihre Sache“, unterbrach Danalta sie. „Sie sind Wartungstechnikerin.“

„Aber eine ausgesprochen wißbegierige Wartungstechnikerin“, fügte Naydrad hinzu. „Also lassen Sie sie weitersprechen.“

„Außerdem sollte eine Wartungstechnikerin schließlich alles über das Wesen, für dessen Unterkunft sie verantwortlich ist, wissen wollen!“ wehrte sich Cha Thrat verärgert gegen Danaltas Kritik. Dann sah sie, daß Prilicla wieder zu zittern begann, und brachte ihre Gefühle unter Kontrolle. „Mir scheint, daß Sie sich womöglich unnötig Sorgen machen. Diagnostiker Conway hat sich nicht so mit Pathologin Murchison unterhalten, als wäre er übermäßig beunruhigt gewesen. Wie ist im Funkspruch von Goglesk der Zustand der Patientin denn geschildert worden?“

„Überhaupt nicht“, antwortete Murchison. „Wir haben keine Ahnung, wie das klinische Bild aussieht. Leider ist es nicht möglich, von einem kleinen Standort mit geringer Energie wie Goglesk eine ausführliche Nachricht zu senden. Um einen Funkspruch durch den Hyperraum zu schicken, braucht man eine Menge Energie, und darum.“

„Danke“, schnitt ihr Cha Thrat höffich das Wort ab. „Die technischen Probleme sind in einer meiner Unterrichtsstunden beim Wartungsdienst behandelt worden. Wie hat der Funkspruch gelautet?“

Murchisons Gesicht war wieder dunkler geworden, als sie antwortete: „Der genaue Wortlaut war: „Conway, Orbit Hospital. Dringender Notfall. Khone benötigt schnellstmöglich Ambulanzschiff Wainright, Stützpunkt Goglesk. ““

Einen Augenblick lang schwieg Cha Thrat und ordnete ihre Gedanken. Dann entgegnete sie: „Ich nehme an, daß sich die Heilerin Khone und ihr Freund Conway über die gegenseitigen Fortschritte auf dem laufenden gehalten haben. Wahrscheinlich haben sie längere, ausführlichere und vielleicht persönliche Nachrichten ausgetauscht, die von den in diesem Sektor operierenden Monitorkorpsschiffen überbracht worden sind, um auf diese Weise die Nachteile des Hyperraumfuinks zu vermeiden.“

Ein Blick auf Naydrads Fell verriet Cha Thrat, daß die Kelgianerin kurz davor war, sie zu unterbrechen, und deshalb fuhr sie rasch fort: „Nach der Beschäftigung mit dem Gogleskaner-Video nehme ich weiterhin an, daß Khone innerhalb der von ihrer geistig-seelischen Ausrichtung gesetzten Grenzen ein ungewöhnlich umsichtiges und rücksichtsvolles Wesen ist, das nicht gewillt wäre, seinen Freunden unnötige Unannehmlichkeiten zu bereiten. Selbst, wenn Conway dieses Thema nicht direkt angesprochen hat, wird Khone bereits durch die Verschmelzung ihrer geistigen Vorstellungen den vollen Umfang der Pflichten, der Verantwortung und der Arbeit eines Diagnostikers kennengelernt haben. Und Conway wird natürlich genausogut über Khones Gedanken und ihre wahrscheinliche Reaktion auf dieses Wissen im Bild sein.

Da Conway derjenige war, der die Verantwortung für die Patientin übernehmen wollte, war der Hyperraumfunkspruch an ihn gerichtet. Doch die Nachricht enthielt nur die dringende Bitte um ein Ambulanzschiff, nicht um die Anwesenheit des Diagnostikers.

Conway war klar, warum es sich so verhielt“, fuhr Cha Thrat fort, „weil er genausoviel über Schwangerschaften bei Gogleskanerinnen weiß wie Khone. Deshalb kann es gut sein, daß Conway durch den genauen Wortlaut der Nachricht von seinem Versprechen entbunden worden ist. In dem Wissen, daß seine Patientin nichts anderes als den schnellen Transport zum Hospital benötigt, war der Diagnostiker nicht übermäßig beunruhigt und bat Sie, sich über seine Abwesenheit ebenfalls keine Sorgen zu machen.

Es ist gut möglich“, schloß Cha Thrat, „daß die jüngste Kritik an dem Verhalten des Diagnostikers Conway, das nur scheinbar dem Berufsethos widerspricht, jeder Grundlage entbehrt.“

Naydrad wandte sich an Murchison und näherte sich soweit einer Entschuldigung, wie es einer Kelgianerin möglich war, indem sie sagte: „Cha Thrat hat vermutlich recht, und ich bin dumm.“ „Sie hat zweifellos recht“, pflichtete ihr Danalta bei. „Entschuldigen Sie, Murchison. Wenn ich im Moment in terrestrischer Gestalt vor Ihnen sitzen würde, hätte ich ein knallrotes Gesicht.“

Murchison antwortete nicht, blickte aber weiterhin unverwandt Cha Thrat an. Ihr Gesicht hatte wieder die normale Farbe angenommen, zeigte ansonsten jedoch keinen Ausdruck, den Cha Thrat hätte deuten können. Prilicla kam langsam auf sie zugeflogen, bis sie den leichten, regelmäßigen Abwind seiner Flügel spürte.

„Cha Thrat“, sagte der Cinrussker leise, „ich habe das starke Gefühl, daß Sie sich eben eine neue Freundin gemacht haben und sich.“

Als der Lautsprecher auf dem Unfalldeck mit der übermäßig verstärkten Stimme Fletchers zum Leben erwachte, brach er mitten im Satz ab.

„Chefarzt, hier Kontrollraum“, meldete sich Fletcher. „Der Sprung in den Hyperraum ist abgeschlossen. In schätzungsweise drei Stunden und zwei Minuten werden wir im Orbit über Goglesk sein. Die Landefähre ist startbereit, Sie können Ihre medizinische Ausrüstung also einladen, wenn Sie wollen.

Wir haben eine Normalraum-Funkverbindung mit Lieutenant Wainright“, fuhr er fort, „der sich mit Ihnen über Ihre Patientin Khone unterhalten will.“

„Danke, Captain“, entgegnete Prilicla. „Wir hier möchten uns ebenfalls über Khone unterhalten. Bitte übertragen Sie Freund Wainrights Nachricht hierher aufs Unfalldeck und auch zum Landefährenschacht, weil wir gleich dorthin aufbrechen. Auf diese Weise können wir während des Gesprächs weiterarbeiten.“

„Alles klar. Die Verbindung ist schon hergestellt“, meldete Fletcher und sagte dann zu Wainright: „Ich habe Sie jetzt zu Chefarzt Prilicla durchgestellt, Lieutenant. Sprechen Sie einfach.“

Trotz der Beeinträchtigung durch die Übersetzung ins Sommaradvanische konnte Cha Thrat aus Wainrights Stimme eine tiefe Besorgnis heraushören. Aufmerksam verfolgte sie das Gespräch, während sie sich nur mit einem Teil ihrer Gedanken auf die Arbeit konzentrierte, die darin bestand, Naydrad beim Einladen medizinischer Geräte in den Krankentransporter zu helfen.

„Tut mir leid, Doktor“, sagte Wainright, „die ursprüngliche Abmachung, die Patientin auf dem Landefeld an Bord zu nehmen, müssen wir vergessen. Khone ist nicht reisefähig, und einen mit Außerplanetariern besetzten Transporter loszuschicken, um sie aus der Stadt zu holen, wäre eine heikle Sache. Zu einer Zeit wie dieser sind die Einheimischen besonders, nun ja, nervös, und die Ankunft von so grausig aussehenden Alienmonstern, die Khone und ihr ungeborenes Kind wegbringen wollen, könnte zu einem Grüppenzüsammenschlüß führen und uns.“

„Freund Wainright“, unterbrach ihn Prilicla sanft, „wie geht es der Patientin?“

„Ich habe keine Ahnung, Doktor“, antwortete der Lieutenant. „Als ich Khone das letztemal getroffen habe, hat sie mir erzählt, daß das Kind sehr bald kommen würde, und mich gebeten, das Ambulanzschilf zu bestellen. Außerdem hat sie mir mitgeteilt, sie müsse noch Vorbereitungen treffen, damit für ihre Patienten gesorgt wäre, und sie wolle kurz vor der voraussichtlichen Ankunftszeit der Landefähre zum Stützpunkt kommen. Aber dann ist uns vor ein paar Stunden hierher auf den Stützpunkt die Nachricht überbracht worden, daß Khone nicht in der Lage sei, das Haus zu verlassen, aber der Bote konnte mir nicht sagen, ob der Grund dafür eine Krankheit oder eine Verletzung ist. Zudem hat Khone fragen lassen, ob Sie für den Scanner, den ihr Conway dagelassen hat, noch eine Energiezelle haben. Sie hat nämlich ihre Patienten mit diesem medizinischen Wunderwerk der Föderation mächtig beeindruckt, und nun ist die Zelle leer, was erklären würde, warum uns Khone keine klinischen Informationen über ihre eigene gegenwärtige Verfassung geben konnte.“

„Ich bin mir sicher, Sie haben recht, Freund Wainright“, meinte Prilicla. „Dennoch deutet der plötzliche Verlust der Bewegungsfähigkeit der Patientin auf einen möglicherweise ernsten Gesundheitszustand hin, der sich vielleicht weiter verschlechtert. Haben Sie einen Vorschlag, wie man Khone schnell und mit dem geringstmöglichen Risiko für sie und ihre Freunde in die Landefähre schaffen könnte?“

„Ehrlich gesagt, nein, Doktor“, antwortete Wainright. „Das ist von der ersten Minute an ein äußerst riskantes Unternehmen. Wenn es sich um eine Angehörige irgendeiner anderen uns bekannten Spezies handeln würde, könnte ich sie einfach in meinen Flieger setzen und in ein paar Minuten zu Ihnen bringen. Aber kein Gogleskaner, nicht einmal Khone, wäre imstande, so dicht neben einem Außerplanetarier zu sitzen, ohne einen Notruf auszustoßen, und Sie wissen ja, was dann passieren würde.“

„Ja“, bestätigte Prilicla und zitterte schon bei dem bloßen Gedanken an die ausgedehnten, von den Gogleskanern selbst verursachten Sachschäden in der Stadt und die darauf folgenden Seelenqualen der Bewohner.

„Das beste, was Sie tun können, wäre, den Stützpunkt zu vergessen und so nah wie möglich bei Khones Haus zu landen, auf einer kleinen Lichtung zwischen dem Gebäude und dem Ufer eines Binnensees. Ich werde das Gebiet in einem Flugzeug umkreisen und Sie nach unten leiten. Vielleicht können wir uns jetzt gleich etwas einfallen lassen. Sie werden auf jeden Fall ein paar spezielle ferngesteuerte Geräte brauchen, um Khone aus dem Haus zu holen, und bezüglich der äußeren Abmessungen von Khones Haus und der Türen kann ich Ihnen helfen.“

Während Cha Thrat zusammen mit den übrigen Mitgliedern des medizinischen Teams die Ausrüstung in die Landefähre brachte, rangen Prilicla und Wainright weiter um eine Lösung des Problems. Doch bald wurde klar, daß sie keine eindeutigen Antworten parat hatten, sondern statt dessen versuchten, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten.

„Cha Thrat“, sagte Prilicla, nachdem er das Gespräch mit dem Kommandanten des Stützpunkts beendet hatte. „Da Sie kein Besatzungsmitglied sind, kann ich Ihnen keine Befehle erteilen, aber da unten werden wir so viele zusätzliche Hände brauchen, wie wir zusammenbekommen können. Sie sind besonders reichhaltig mit Greiforganen versehen und kennen sich zudem gut mit den Geräten zum Transport und der vorübergehenden Aufnahme der Patientin aus, und ich spüre in Ihnen die Bereitschaft, uns zu begleiten.“ „Ihr Gefühl täuscht Sie nicht“, entgegnete Cha Thrat, die wußte, daß die große Aufregung und die starke Dankbarkeit, die Priliclas Äußerung in ihr hervorgerufen hatte, verbale Dankesbekundungen überflüssig machten.

„Wenn wir auch nur noch ein Gerät mehr in die Landefähre laden“, gab Naydrad zu bedenken, „haben wir für die Patientin nicht mehr genügend Platz, geschweige denn für eine turmhohe Sommaradvanerin.“

Doch in der Landefähre war für alle Platz genug, insbesondere als diejenigen, die keinen G-Gürtel trugen — also alle außer Prilicla —, durch die drastische Geschwindigkeitsabnahme der Landefähre noch weiter zusammengedrückt wurden. Lieutenant Dodds, dem Astronavigationsofffizier der Rhabwar und Pilot der Landefähre, war eingeschärft worden, daß Geschwindigkeit Vorrang vor einem bequemen Flug habe, und diese Sonderanweisung befolgte er offensichtlich mit aufrichtiger Begeisterung. Der Sinkflug war so schnell und unbequem, daß Cha Thrat nichts von Goglesk sah, bis sie die Planetenoberfläche betrat.

Einige Augenblicke lang dachte sie, sie wäre wieder zu Hause auf Sommaradva und stünde in der Nähe des Ufers eines riesigen Binnensees auf einer grasbedeckten Lichtung, hinter der in mittlerer Entfernung die durch Bäume verdeckte Silhouette einer kleinen Sklavengemeinde aufragte. Aber der Boden unter ihren Füßen war nicht der ihres Heimatplaneten, und das Gras, die wild wachsenden Blumen und all die anderen Pflanzen ringsum wiesen zu ihren Gegenstücken auf Sommaradva leichte Unterschiede in Farbe, Duft und Blattstruktur auf Selbst die entfernten Bäume waren das Ergebnis eines grundverschiedenen Evolutionsprozesses, obwohl sie einigen der Baumarten des heimischen, Tieflands unglaublich ähnlich sahen.

Damals war Cha Thrat das Orbit Hospital seltsam und unheimlich vorgekommen, aber das war nur ein Bauwerk aus Metall, ein gigantisches künstliches Gebäude gewesen. Das hier war eine andere Welt!

„Leidet Ihre Spezies unter plötzlich auftretenden und unerklärlichen Lähmüngserscheinungen?“ erkundigte sich Naydrad unwirsch. „Trödeln Sie hier nicht herum, sondern holen Sie endlich den Krankentransporter heraus!“

Als Cha Thrat gerade mit dem Transporter die Laderampe hinunterfuhr, landete Wainrights Flugzeug und rollte neben der Fähre aus. Heraus sprangen die fünf Terrestrier, die auf dem Stützpunkt stationiert waren. Vier von ihnen schwärmten sogleich aus, rannten auf die Stadt zu und testeten noch im Laufen ihre Übersetzungs- und Lautsprecherausrüstung, während der Lieutenant auf die Fähre zueilte.

„Falls Sie noch irgend etwas zu tun haben sollten, bei dem zwei oder mehr von Ihnen eng zusammenarbeiten müssen, dann machen Sie das gleich, solange uns das Flugzeug als Sichtschutz dient und man Sie von der Stadt aus nicht sehen kann“, sagte er rasch. „Und wenn Sie aus der Deckung des Flugzeugs herauskommen, halten Sie voneinander mindestens fünf Meter Abstand. Falls die Gogleskaner sehen sollten, daß Sie zwischen sich eine geringere Distanz einhalten oder durch die Berührung der Gliedmaßen sogar direkten Körperkontakt herstellen, beschwört das zwar noch keinen Gruppenzusammenschluß herauf, führt bei denen aber zu tiefem Entsetzen und äußerstem Unbehagen. Deshalb müssen Sie.“

„Danke, Freund Wainright“, unterbrach ihn Prilicla sanft. „Wir können gar nicht oft genug daran erinnert werden, uns umsichtig zu verhalten.“

Das Gesicht des Lieutenants nahm einen dunkleren Farbton an, und er sagte kein Wort mehr, bis sie sich alle in einer ausreichend weit auseinandergezogenen Reihe nebeneinander dem Stadtrand näherten.

„Auf uns macht das da zwar keinen sonderlich großen Eindruck“, sagte Wainright leise, und die Empfindungen, die hinter seinen Worten steckten, brachten Prilicla zum Zittern, „aber um das zu erreichen, mußten die Gogleskaner Tag für Tag äußerst mühsam um ihr Leben kämpfen, und ich fürchte, sie verlieren ihren Kampf.“

Die Stadt nahm ein breites, halbmondförmiges, von Gras und Felsen bedecktes Gebiet ein, das einen kleinen natürlichen Hafen umschloß. Dort liefen mehrere Landestege bis ins tiefe Wasser hinein, und die an ihnen entlang vertäuten Schiffe hatten sowohl lange dünne Schornsteine und Schaufelräder als auch Segel. Eins der Schiffe, ganz offensichtlich das Vermächtnis eines vergangenen Gruppenzusammenschlusses, war rauchgeschwärzt und an der Vertäuung gesunken. Dicht am Rand des Hafenbeckens stand eine von großen Lücken unterbrochene Reihe drei- und viergeschossiger Häuser aus Holz, Stein und getrocknetem Lehm. Um alle vier Außenwände herum verliefen nach oben führende Rampen, die den Zugang zu den oberen Stockwerken ermöglichten, so daß die Gebäude aus bestimmten Blickwinkeln schmalen Pyramiden ähnelten.

Dem Video über Goglesk zufolge handelte es sich bei diesen Bauwerken um die Lebensmittelverarbeitungs- und Fabrikationsanlagen der Stadt, und Cha Thrat dachte, daß der Geruch von rohem gogleskanischem Fisch genauso unangenehm wie der seines sommaradvanischen Gegenstücks war. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb die privaten Wohnhäuser, deren Dächer und Hauptbauelemente aus den Bäumen rings um die Lichtung gefertigt worden waren, so weit vom Hafen entfernt lagen.

Als sie über die Kuppe eines kleinen Hügels gingen, deutete Wainright auf ein niedriges, nur teilweise überdachtes Bauwerk, unter dem ein Fluß entlanglief.

Von ihrem erhöhten Standort aus konnten sie direkt in das Labyrinth aus Fluren und kleinen Räumen sehen, aus denen das Stadtkrankenhaus und Khones angrenzende Wohnung bestand.

Der Lieutenant begann behutsam in sein Anzugmikrofon zu sprechen, und Cha Thrat konnte die warnenden und beruhigenden Worte hören, die mit voller Lautstärke aus den von den vier Terrestriern getragenen Lautsprechern kamen, die ihnen vorausgegangen waren.

„Haben Sie bitte keine Angst“, sagte Wainright. „Die Wesen, die Sie hier sehen, werden Ihnen trotz ihres seltsamen und erschreckenden Erscheinungsbilds nichts tun. Wir sind hier, um die Ärztin Khone auf ihre eigene Bitte zur Behandlung in unserem Hospital abzuholen. Während wir Khone zu unserem Fahrzeug bringen, müssen wir uns ihr vielleicht sehr weit nähern, und dabei könnte sie versehentlich einen Ruf nach Zusammenschluß ausstoßen. Zu einem Zusammenschluß darf es aber unter keinen Umständen kommen, und deshalb bitten wir Sie alle dringendst, sich von Ihren Häusern zu entfernen und sich tief in den Wald oder weit vom Ufer zurückzuziehen, damit ein unbeabsichtigter Notruf Khones Sie nicht erreichen kann. Als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme werden wir rund um Khones Haus Geräte aufstellen, die einen lauten Dauerton aussenden. Dieser Ton wird Ihnen genauso unangenehm sein wie uns, aber er verschmilzt mit jedem in seiner Nähe ausgestoßenen Notruf und verändert dessen Klang, so daß er kein Aufruf zum Zusammenschluß mehr ist.“

Wainright blickte Prilicla an, und als der Empath seine Zustimmung signalisierte, schaltete der Lieutenant auf die interne Frequenz des Anzugfonks um und ordnete an: „Nehmen Sie das bitte auf, und spielen Sie es immer wieder ab, bis ich entweder die Nachricht ändere oder Ihnen die Anweisung gebe, die Aufzeichnung zu stoppen.“

„Werden die das alles glauben?“ rief Naydrad plötzlich von ihrem Platz in der Reihe. „Vertrauen die uns außerplanetarischen Ungeheuern überhaupt?“

Der Lieutenant ging mehrere Schritte den Hügel hinab, bevor er antwortete: „Die Gogleskaner vertrauen dem Monitorkorps, weil wir ihnen auf verschiedene Weise helfen konnten. Aus naheliegenden Gründen vertraut Khone Conway, und als bewährte Ärztin der Stadtbewohner konnte sie diese davon überzeugen, daß Conways scheußlich aussehende Freunde ebenfalls vertrauenswürdig seien. Das Problem ist, daß die Gogleskaner eine Spezies von Einzelgängern sind, die nicht immer das tun, was man ihnen aufgetragen hat.

Einige könnten gute Gründe haben, ihre Häuser nicht verlassen zu wollen. Beispielsweise aufgrund von Krankheit oder Gebrechlichkeit oder weil sie sich um kleine Kinder kümmern müssen oder aus Gründen, die nur einem Gogleskaner einleuchten. Deshalb müssen wir diese Klangverfälscher benutzen.“

Naydrad schien durch diese Erklärung zufriedengestellt zu sein, aber Cha Thrat war es nicht. Doch aus Rücksicht auf Prilicla, der nicht nur unter ihrer eigenen, sondern auch unter der Besorgnis der anderen leiden würde, wenn sie ihre Bedenken ausgesprochen hätte, sagte sie lieber nichts. Wie jeder Mitarbeiter des Wartungsdiensts wußte auch Cha Thrat über diese Klangverfälscher Bescheid. Die Geräte waren von Ees-Tawn, dem Leiter der Abteilung für Spitzentechnologie beim Wartungsdienst, als Antwort auf eine von Conways langfristigen Anforderungen für Goglesk entwickelt und gebaut worden und stellten immer noch Prototypen dar. Wenn sie erfolgreich waren, sollten sie in Serie gehen, bis jedes gogleskanische Haus, jede Fabrik und jedes Hochseeschiff damit ausgerüstet war. Man rechnete zwar nicht damit, daß die Geräte die Zusammenschlüsse vollkommen verhindern würden, hoffte aber, die auftretenden Gruppenbildungen durch empfindliche Geräuschdetektoren, die mit automatischen Einschaltern gekoppelt waren, auf einige wenige Gogleskaner begrenzen zu können. Das hätte zur Folge, daß das Zerstörungspotential der Gruppe relativ gering, von kürzerer Dauer und für die einzelnen Mitglieder psychologisch weniger schädlich sein würde.

Unter Laborbedingungen hatten die Klangverfälscher bei mehreren von Conway zur Verfügung gestellten Aufnahmen von FOKT-Notrufen gewirkt, doch auf Goglesk selbst waren sie noch nicht getestet worden.

Als sie sich dem Krankenhaus näherten, wurde der Fischgestank immer unerträglicher und die von den Monitoren über Lautsprecher ausgestrahlte Nachricht des Lieutenants lauter. Abgesehen von wenigen flüchtigen Blicken, die Cha Thrat von den zwischen den Häusern am Rand der Lichtung gehenden Terrestriern erhaschte, gab es in der ganzen Stadt kein einziges Lebenszeichen.

„Die Aufnahme jetzt stoppen!“ ordnete Wainright an. „Jeder, der bisher nicht auf die Nachricht reagiert hat, hat das auch nicht vor. Harmon, starten Sie mit dem Flugzeug und verschaffen Sie mir einen Blick von oben auf dieses Gebiet. Die übrigen stellen die Klangverfälscher rings ums Krankenhaus auf und halten sich dann in Bereitschaft. Cha Thrat, Naydrad! Sind Sie mit dem Transporter bereit?“

Cha Thrat fuhr sofort mit dem Krankentransporter dicht vor Khones Haustür, rannte über die Rampe am Heck hinaus und öffnete das Verdeck, damit alles zur Aufnahme der Patientin bereit war. Man konnte es nicht riskieren, Khone in Sichtweite anderer Gogleskaner zu berühren, und hoffte darauf, daß die kleine Ärztin selbst herauskommen und in den Krankentransporter einsteigen würde. Falls das nicht geschah, sollte Naydrad eine ferngesteuerte Sonde ins Haus schicken, um den Grund herauszufinden.

Weil sie die Verständigung nur erschweren würden — und bis jetzt nichts passiert war, das einen Gogleskaner zum Ausstoßen eines Notrufs hätte veranlassen können —, blieben die Klangverfälscher vorerst ausgeschaltet.

„Freundin Khone“, sagte Prilicla, wobei die Wogen der Zuneigung, der Beruhigung und der Freundschaft, die er ausstrahlte, beinahe greifbar waren, „wir sind gekommen, um Ihnen zu helfen. Kommen Sie bitte heraus.“

Sie warteten eine ganze Weile, doch von Khone war weder etwas zu sehen noch zu hören.

„Naydrad.“, begann Wainright.

„Bin schon dabei“, meckerte die Kelgianerin und startete die Sonde.

Das kleine Fahrzeug, das von Schall—, Sicht- und Biosensoren sowie einer ansehnlichen Reihe verschiedener Greifvorrichtungen strotzte, rollte über den unebenen Boden und durch Khones Vordertür, wobei es den davor hängenden Vorhang aus geflochtenen Pflanzenfasern beiseite schob. Der Rundumblick der Sonde wurde auf den Repeaterschirm des Krankentransporters übertragen.

Nach Cha Thrats Auffassung müßte schon der Anblick der Sonde selbst jemanden in Angst und Schrecken versetzen, wenn er nicht über ihren Zweck Bescheid wußte. Aber dann rief sie sich in Erinnerung, daß Diagnostiker Conway — und durch ihn auch Khone — alles über derartige Geräte bekannt war.

Die Sonde zeigte nichts als ein leerstehendes Haus.

„Vielleicht hat Freundin Khone spezielle Medikamente aus dem Krankenhaus benötigt und ist losgegangen, um sie sich zu holen“, zählte Prilicla besorgt eine Möglichkeit auf. „Aber ihre emotionale Ausstrahlung kann ich nicht wahrnehmen, was bedeutet, daß sie entweder weit von hier weg oder bewußtlos ist. Trifft letzteres zu, dann braucht sie womöglich dringend Hilfe. Daher können wir es uns nicht leisten, kostbare Zeit zu vergeuden, indem wir jeden einzelnen Raum und Korridor im Krankenhaus mit der Sonde durchsuchen. Es geht schneller, wenn ich das selbst übernehme.“

Die schimmernden Flügel des Cinrusskers schlugen langsam und bewegten ihn schon vorwärts, als er fortfuhr: „Ziehen Sie sich bitte ein gutes Stück vom Haus zurück, damit Ihre bewußten Emotionen nicht die schwächere, unterbewußte Ausstrahlung der Patientin überlagern.“

„Warten Sie!“ rief der Lieutenant in eindringlichem Ton. „Wenn Sie Khone finden, und sie plötzlich aufwacht und Sie über sich schweben sieht.“

„Sie haben recht, Freund Wainright“, erwiderte Prilicla. „Das erschreckt Khone vielleicht so, daß sie einen Notruf ausstößt. Also setzen Sie die Klangverfälscher ein.“

Cha Thrat zog sich schnell mit dem medizinischen Team aus dem Bereich der maximalen Empfindlichkeit der empathischen Fähigkeiten des Cinrusskers zurück und stellte wie die übrigen den Kopfhörer so ein, daß er Außengeräusche abschirmte, die Verständigung untereinander aber ermöglichte. Als die Klangverfälscher rings ums Krankenhaus einen Höllenlärm aus Schreien, Jammern und Pfeifen veranstalteten, wunderte sich Cha Thrat über die Tiefe der Bewußtlosigkeit ihrer Patientin; der Krach war laut genug, um Tote zu erwecken.

Er war mehr als laut genug, um Khone wieder zu Bewußtsein zu bringen.

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