10. Kapitel

Cha Thrat sollte letztendlich erst dann eine Aufgabe zugeteilt bekommen, wenn Timmins ihr den vollen Umfang und die ganze Vielschichtigkeit der Arbeit gezeigt hatte, die sie eines Tages möglicherweise würde leisten müssen. Es war deutlich zu erkennen, daß der Terrestrier insgeheim auf seinen Wartungsdienst äußerst stolz war und mit gutem Grund ein wenig angab, während er gleichzeitig versuchte, etwas von seinem eigenen Stolz auch Cha Thrat einzuflößen. Zugegeben, bei einem Großteil der Aufgaben handelte es sich um Sklavenarbeit, aber diese hatte auch Seiten, die die Eigenschaften eines Kriegers oder sogar eines niedrigeren Herrschers erforderten. Außerdem wurde man beim Wartungsdienst, anders als auf Sommaradva, wo die Betätigungsfelder streng voneinander abgegrenzt waren, zum Aufstieg in höhere Positionen geradezu ermuntert.

Timmins legte sich mächtig ins Zeug, Cha Thrat zu begeistern, und verbrachte anscheinend einen ungewöhnlich großen Teil seiner Zeit mit nichts anderem, als sie überall herumzuführen.

„Bei allem Respekt“, sagte Cha Thrat nach einem besonders interessanten Rundgang durch die extrem kalten Methanebenen, „nach Ihrem Rang und Ihren offensichtlichen Fähigkeiten zu urteilen, könnten Sie mit Ihrer Zeit etwas Wichtigeres anfangen, als Sie ausgerechnet mit mir zu verbringen — ihrem neuesten und, wie ich befürchte, technisch am wenigsten bewanderten Wartungslehrling. Warum wird mir diese Sonderbehandlung gewährt?“

Timmins lachte leise und antwortete: „Sie dürfen nicht glauben, daß ich gerade wichtigere Arbeiten vernachlässige, um mit Ihnen zusammenzusein, Cha Thrat. Falls ich gebraucht werde, kann man mich jederzeit erreichen. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß das passiert, weil sich meine Untergebenen mit aller Gewalt darum bemühen, mir ständig das Gefühl zu geben, hier vollkommen überflüssig zu sein.

Den nächsten Abschnitt werden Sie übrigens besonders interessant finden“, fuhr er fort. „Dabei handelt es sich um die VTXM-Station, die, so seltsam es vielleicht klingt, einen Teil des Hauptreaktors ausmacht. Aus Ihren medizinischen Vorlesungen wissen Sie, daß die Telfi eine Lebensform sind, die eine geschlossene Einheit, eine sogenannte Gestalt bilden und von der direkten Umwandlung harter Strahlung leben. Deshalb müssen alle Untersuchungen und Behandlungen der Patienten mittels ferngesteuerter Sensoren und Greifarme durchgeführt werden. Um dem Wartungsdienst in diesem Bereich zugeteilt zu werden, brauchten Sie eine spezielle Ausbildung in.“

„Eine spezielle Ausbildung bedeutet eine Sonderbehandlung“, unterbrach ihn Cha Thrat, die allmählich die Geduld verlor. „Ich habe Sie schon vorhin danach gefragt: Erhalte ich eine Sonderbehandlung?“

„Ja“, antwortete der Terrestrier in scharfem Ton. Er wartete, bis ein Kühlfahrzeug vorbeigerollt war, in dem einer der kaltblütigen SNLU-Methanatmer saß, und fuhr fort: „Selbstverständlich bekommen Sie eine Sonderbehandlung.“

„Und wieso?“

Timmins schwieg.

„Warum beantworten Sie diese einfache Frage nicht?“ hakte Cha Thrat nach.

„Weil es auf Ihre Frage keine einfache Antwort gibt“, erwiderte der Terrestrier, dessen Gesicht eine dunklere Farbe annahm. „Zudem bin ich mir nicht sicher, ob ausgerechnet ich dafür der Richtige bin, weil ich sie gleichzeitig seelisch verletzen, kränken, beleidigen oder zornig machen könnte.“

Cha Thrat ging einen Augenblick schweigend weiter und sagte schließlich: „Ich glaube, allein durch die Rücksichtnahme auf meine Gefühle sind Sie schon der Richtige. Ein Untergebener, der sich falsch verhalten hat, ist vielleicht wirklich seelisch leicht verletzbar oder leicht in Rage zu bringen, weil er sich womöglich selbst nicht mehr ausstehen kann, aber wenn ein Vorgesetzter ihm etwas zu Recht sagt, kann dieser ihn damit unmöglich kränken oder beleidigen.“

Der Terrestrier schüttelte den Kopf, was, wie Cha Thrat gelernt hatte, entweder eine Verneinung war oder Verwirrung ausdrückte. „Manchmal geben Sie mir das Gefühl, selbst der Untergebene zu sein, Cha Thrat. Aber was soll's? Ich werde versuchen, Ihre Frage zu beantworten. Eine Sonderbehandlung erhalten Sie wegen des Unrechts, das Ihnen von uns angetan worden ist, und aufgrund des psychischen Unbehagens, das wir Ihnen bereitet haben. Es gibt mehrere bedeutende Persönlichkeiten, die sich verpflichtet fühlen, das wiedergutzumachen.“

„Aber diejenige, die sich falsch verhalten hat, bin doch ich“, wandte Cha Thrat verblüfft ein.

„Das stimmt allerdings“, bestätigte Timmins, „aber letztendlich haben wir Ihnen zuerst Unrecht getan, und Ihr Verhalten war die direkte Folge davon. In erster Linie ist das Monitorkorps dafür verantwortlich, Ihnen erlaubt, nein, Sie geradewegs dazu ermuntert zu haben, hierherzukommen und auf die Einstellungsbedingungen zu verzichten. Ihr Vergehen, das sich an diese Mischung aus unangebrachter Dankbarkeit für die Rettung von Chiangs Leben und reinem politischen Opportunismus angeschlossen hat, war nur die unvermeidliche Folge davon.“

„Aber ich wollte ins Orbit Hospital kommen und will auch immer noch hierbleiben“, protestierte Cha Thrat.

„Um sich selbst für die jüngsten Verstöße zu bestrafen?“ fragte Timmins mit ruhiger Stimme. „Ich habe gerade versucht, Sie davon zu überzeugen, daß die wirklich Schuldigen wir sind.“

„Ich bin weder geistig noch moralisch abnorm“, entgegnete Cha Thrat und versuchte, ihren Zorn über Timmins' Äußerung zu zügeln, die auf ihrem Heimatplaneten einer schweren Beleidigung gleichgekommen wäre. „Eine gerechte Strafe nehme ich hin, aber ich trachte nicht danach, sie mir selbst aufzuerlegen. Das Leben hier im Hospital hat zwar einige sehr beunruhigende und unerfreuliche Seiten, doch auf Sommaradva könnte ich in keiner Gesellschaftsschicht derart vielfältige und intensive Erfahrungen sammeln. Das ist der Grund, weshalb ich hier bleiben möchte.“ Der Terrestrier schwieg einen Moment lang und sagte dann: „Conway, O'Mara, Cresk-Sar und einige andere, darunter sogar Hredlichli, waren sich von vornherein sicher, daß Sie für Ihren Wunsch hierzubleiben eher positive als negative Gründe hätten und meine Chancen, Sie zur Rückkehr nach Hause zu bewegen, gering wären.“

Als Cha Thrat wie angewurzelt auf dem Korridor stehenblieb, brach Timmins im Satz ab.

„Haben Sie etwa mit all diesen Aliens meine Täten und Untaten, meine Fähigkeiten beziehungsweise meine Unfähigkeit, vielleicht sogar meine Zukunftsaussichten erörtert, ohne mich zu dieser Besprechung einzuladen?“ fragte sie verärgert.

„Gehen Sie weiter, wir halten nur den Verkehr auf“, bat Timmins. „Es gibt überhaupt keinen Grund, so wütend zu sein. Seit dieser Sache bei der Hudlarer-Demonstration gibt es kein einziges Wesen mehr im Hospital, das nicht über ihre Taten, Untaten, Fähigkeiten oder den Mangel daran und über Ihre äußerst Ungewissen Zukunftsaussichten im Hospital gesprochen hätte. Sie bei all diesen Gesprächen dabeizuhaben war gar nicht möglich. Aber falls Sie das, was über Sie gesagt worden ist — das heißt die ernsthaften Erörterungen, nicht den bloßen Hospitaltratsch —, bis in die kleinsten und letzten Einzelheiten wissen wollen, O'Mara hat die Aufzeichnungen Ihrem psychologischen Persönlichkeitsdiagramm hinzugefügt und spielt Sie Ihnen unter Umständen auf Wunsch vor. Möglicherweise aber auch nicht.“

„Andererseits“, fuhr er fort, während sie weitergingen, „möchten Sie vielleicht, daß ich Ihnen eine kurze Zusammenfassung dieser Besprechungen gebe, die natürlich insofern ungenau ist, weil es mir an dem reichen Wortschatz und dem abwechslungsreichen Stil unseres geschätzten Chefpsychologen fehlt.“

„Genau das ist mein Wunsch“, drängte Cha Thrat.

„Na schön“, willigte Timmins ein. „Lassen Sie mich damit beginnen, daß die Angehörigen des Monitorkorps und alle betroffenen höheren Mitglieder des medizinischen Personals für diese Situation verantwortlich sind. Beim ersten Gespräch hatten Sie gegenüber O'Mara erwähnt, daß Sie Ihre Entscheidung, Chiang zu behandeln, so lange hinausgezögert hätten, weil Sie auf keinen Fall den Verlust einer Gliedmaße riskieren wollten. O'Mara nahm fälschlich an, Sie hätten damit ausschließlich Chiangs Bein gemeint, und glaubt jetzt, daß er in den Gesprächen mit Lebewesen anderer Spezies mehr auf die genaue Bedeutung der dabei gefallenen Äußerungen hätte achten sollen und deshalb die Hauptverantwortung für Ihre Selbstamputation trägt.

Conway wiederum fühlt sich verantwortlich, weil er Ihnen die Entfernung des Hudlarerglieds aufgetragen hat, ohne auch nur das Geringste über Ihr außerordentlich strenges Berufsethos gewußt zu haben.

Cresk-Sar glaubt, er hätte sie über genau dieses Thema eingehender befragen sollen. Beide sind der Meinung, daß Sie eine ausgezeichnete Alienchirurgin abgeben würden, wenn man Sie von dem Einfluß, den die sommaradvanische Gesellschaft auf Sie gehabt hat, befreien und umerziehen könnte. Hredlichli gibt sich die Schuld, weil sie die besondere Freundschaft, die sich zwischen Ihnen und AUGL-Eins-Sechzehn entwickelt hatte, nicht richtig bewertet hat. Und zu guter Letzt hat das Monitorkorps, das sich als Urheber des ganzen Problems für Sie verantwortlich fühlt, eine Lösung vorgeschlagen, die allen Beteiligten den geringstmöglichen Verdruß bereiten sollte.“

„Und die bestand in meinem Wechsel zum Wartungsdienst“, beendete Cha Thrat die Zusammenfassung für Timmins.

„Ja, aber eigentlich haben wir den Vorschlag nie richtig ernstgenommen“, fuhr der Terrestrier fort, „weil wir nicht glauben konnten, daß Sie ihn akzeptieren würden. Nein, wir wollten Sie nach Hause zurückschicken.“

Ein kleiner Teil des Gehirns steuerte Cha Thrats Körper geradeaus und um die kräftigeren oder ranghöheren Personalmitglieder herum, während der Rest über das Wesen neben ihr, das sie gerade erst angefangen hatte, für einen Freund zu halten, verärgert und bitter enttäuscht war.

„Natürlich haben wir versucht, Ihre Gefühle zu berücksichtigen“, fuhr Timmins fort. „Sie sind daran interessiert, mit außerplanetarischen Lebensformen zusammenzutreffen und zu arbeiten, deshalb würden wir Ihnen die Stelle einer kulturellen Verbindungsoffizierin, also als eine Art Ratgeberin in sommaradvanischen Angelegenheiten, auf unserem dortigen Stützpunkt oder auf der Descartes geben. Das ist unser größter spezialisierter Kontaktkreuzer für fremde Spezies, der sich auf der Umlaufbahn um Ihren Planeten befindet, bis irgendwo eine neue intelligente Spezies entdeckt wird. In dieser Position müßten Sie erhebliche Verantwortung übernehmen, und die Sommaradvaner, die etwas gegen Sie haben, könnten keinerlei Einfluß auf Sie ausüben.

Selbstverständlich kann man zu diesem Zeitpunkt noch nichts garantieren. Aber vorbehaltlich Ihrer zufriedenstellenden Zusammenarbeit mit uns würde man Ihnen die Wahl zwischen einer festen Anstellung als Beraterin für zwischenkulturelle Beziehungen bei der sommaradvanischen Vertretung des Korps oder als Mitglied des Kontaktteams auf der Descartes lassen. Wir haben versucht, für Sie zu tun, was wir für Sie und alle Beteiligten als das Beste erachtet haben.“

„Das stimmt allerdings“, räumte Cha Thrat ein, und sie spürte, wie sich ihr Zorn und ihre Enttäuschung allmählich legten.

„Diese Regelung haben wir für einen vernünftigen Kompromiß gehalten“, fuhr Timmins fort. „Aber O'Mara hat seine Zustimmung verweigert und darauf bestanden, daß Sie zunächst eine Stelle hier beim Wartungsdienst im Hospital bekommen, damit sie so schnell wie möglich die Aufnahmeformalitäten zum Beitritt ins Monitorkorps erledigen können.“

„Weshalb?“

„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Timmins. „Wer weiß schon, was im Gehirn eines Chefpsychologen vorgeht?“

„Weshalb soll ich dem Monitorkorps beitreten?“ wiederholte Cha Thrat ihre Frage.

„Ach so, das meinen Sie. nur verwaltungstechnischer Bequemlichkeit halber. Wir sind für die Versorgung und Wartung des Orbit Hospitals zuständig, und jeder, der kein Patient ist oder nicht zum medizinischen Personal gehört, ist automatisch Mitglied des Monitorkorps. Der Personalcomputer muß schließlich Ihren Namen, Rang und Ihre Nummer wissen, damit er Ihnen das Gehalt auszahlen und O'Mara Ihnen ganz offiziell den Marsch blasen kann.

wenn er ein Instrument beherrschen würde“, fügte er noch hinzu.

„Ich habe noch nie den rechtmäßigen Befehl eines Vorgesetzten verweigert.“, begann Cha Thrat, doch Timmins wehrte mit erhobener Hand ab.

„Das ist nur ein Scherz des Korps, machen Sie sich nichts daraus“, beruhigte er sie. „Was ich damit sagen wollte, ist, daß unser Chefpsychologe verwaltungstechnisch zwar den Rang eines Majors bekleidet, seine Machtbefugnisse innerhalb des Hospital aber nur schwer einzugrenzen sind, denn er kommandiert Colonels und Diagnostiker gleichermaßen herum, und das nicht immer auf die netteste Art. Ihr eigener Dienstgrad als rangniedrige Technikerin zweiter Klasse beim Wartungsdienst für Umweltbedingungssysteme, der bereits automatisch in Kraft getreten ist, als wir O'Maras Anweisungen erhielten, wird Ihnen in Zukunft nicht viel Spielraum für Ihre Eskapaden lassen.“

„Bitte, das ist eine sehr ernste Angelegenheit“, drängte Cha Thrat Timmins zur Sachlichkeit. „Wenn ich es richtig verstehe, ist das Monitorkorps eine Organisation von Kriegern. Auf Sommaradva sind die Bürger der Kriegerklasse schon seit vielen Generationen nicht mehr gemeinsam in den Kampf gezogen, aber der Frieden und die moderne Technik bergen noch immer genug Gefahren. Als Chirurgin für Krieger soll ich Verletzungen heilen, nicht zufügen.“

„Also, jetzt mal im Ernst, Cha Thrat. Ich glaube, Ihre Kenntnisse vom Monitorkorps haben Sie hauptsächlich aus den Unterhaltungskanälen. Raumschlachten und Nahkämpfe kommen äußerst selten vor. Die Bibliotheksvideos werden Ihnen ein viel zutreffenderes und langweiligeres Bild von unseren Aktivitäten und von den Gründen dafür vermitteln. Befassen Sie sich damit. Sie werden feststellen, daß es keinen Loyalitätskonflikt zwischen Ihren Pflichten gegenüber dem Korps und denen gegenüber Ihrem Heimatplaneten oder Ihren ethischen Grundsätzen gibt.

Wir sind da“, fügte er rasch hinzu und deutete auf das Zeichen an der schweren Tür direkt vor ihnen. „Von hier an brauchen wir schwere Strahlenschutzanzüge. Ach, Sie haben offenbar noch eine Frage, richtig?“

„Ja, es handelt sich dabei um mein Gehalt“, sagte Cha Thrat zögernd.

Timmins lachte. „Wie ich diese selbstlose Sorte Wesen hasse, die Geld für unwichtig hält. Bei Ihrem gegenwärtigen Dienstgrad ist der Sold nicht hoch. Den entsprechenden Betrag in sommaradvanischer Währung kann Ihnen die Personalabteilung nennen. Aber im Hospital gibt es sowieso nicht viele Möglichkeiten zum Geldausgeben. Also können Sie Ihr Gehalt und Urlaubsgeld immer sparen und irgendwann eine Reise davon machen. Vielleicht besuchen Sie ja mal Ihren AUGL-Freund auf Chalderescol II oder fliegen nach.“

„Hätte ich denn genügend Geld für solch eine interstellare Reise?“ unterbrach ihn Cha Thrat.

Der Terrestrier bekam einen Hustenanfall, fing sich wieder und antwortete: „Für eine derartige Reise hätten Sie nicht genügend Geld. Aber aufgrund der abgeschiedenen Lage des Orbit Hospitals hat jeder Personalangehörige, soweit es dessen Physiologie zuläßt, das Anrecht auf eine kostenlose Beförderung durch das Korps zu seinem Heimatplaneten oder, mit ein bißchen Herumtricksen, zu einem Planeten eigener Wahl. Ihr Geld könnten Sie dort also ausschließlich zum eigenen Vergnügen ausgeben. Würden Sie sich jetzt bitte den Schutzanzug überziehen?“

Cha Thrat rührte sich nicht, und der Terrestrier blickte sie schweigend an.

Schließlich sagte sie: „Ich erhalte eine Sonderbehandlung, werde durch Abteilungen geführt, in denen zu arbeiten ich nicht qualifiziert bin, und bekomme Geräte zu sehen, auf deren Bedienung ich mir erst in sehr ferner Zukunft Hoffnungen machen kann. Zweifellos soll das ein Anreiz sein, um mir zu zeigen, was ich zukünftig alles erreichen kann. Ich verstehe die Überlegung, die dahintersteckt, und weiß sie auch zu schätzen, aber es wäre mir viel lieber, mit der Besichtigung aufzuhören und mich an irgendeine einfache und nützliche Arbeit zu machen.“

„Na gut“, lenkte Timmins ein und entblößte beifällig die Zähne. „Die Telfi können wir uns sowieso nicht direkt ansehen, deshalb verpassen wir nicht viel. Ich schlage vor, Sie lernen als erstes, wie man einen G-Schlitten fährt. Zunächst nur einen kleinen, damit Sie bei einem etwaigen Unfall sich selbst mehr Schaden zufügen als dem Hospitalgebäude. Dazu müssen Sie Ihre Kenntnisse von der inneren Anlage des Baus wirklich beherrschen und imstande sein, mit großer Genauigkeit und Geschwindigkeit durch das Wartungstunnelnetz zu steuern. Es scheint nämlich ein Naturgesetz zu sein, daß, sobald eine Station oder die Diätküche Nachschub braucht, die Bestellung immer eilt und gewöhnlich zu spät geliefert wird.

Wir werden jetzt zur betriebsinternen Transporthalle gehen“, schloß er. „Es sei denn, Sie haben noch eine weitere Frage.“

Cha Thrat hatte noch eine, hielt es aber für besser, damit zu warten, bis sie sich wieder in Bewegung gesetzt hatten.

„Was ist mit den Schäden auf der AUGL-Station, an denen ich indirekt schuld gewesen bin?“ fragte sie schließlich. „Werden mir die Kosten von meinem Lohn abgezogen?“

Timmins entblößte erneut die Zähne und antwortete: „Ich schätze, es würde etwa drei Jahre dauern, die von Ihrem AUGL-Freund verursachten Schäden zu bezahlen. Aber als das passiert ist, waren Sie noch eine von diesen verrückten Schwesternschülerinnen und keine ernstzunehmende und verantwortungsbewußte Mitarbeiterin des Wartungsdienstes, deshalb machen Sie sich mal darüber keine Gedanken.“

Cha Thrat machte sich darüber auch gar keine Gedanken mehr, weil es den restlichen Tag viel wichtigere Dinge gab, die ihr Sorgen bereiteten — in erster Linie die Bedienung und Steuerung der nicht zu bändigenden, mißratenen und schon oft verfluchten Klapperkiste, die man G-Schlitten nannte.

In Betrieb glitt dieses Fahrzeug ohne Bodenberührung auf einem Repulsionskissen dahin. Die Fahrtrichtung konnte man ändern, indem man wechselseitig absenkbare Reibungskissen zum Bremsen einsetzte, die Triebwerke drehte oder, wenn man nur eine feine Richtungskorrektur vornehmen wollte, sich zur Seite lehnte. War eine Vollbremsung erforderlich, schaltete man einfach die Energiezufuhr ab. Dadurch sackte das Fahrzeug zu Boden und kam laut knirschend zum Stehen. Doch wurde von diesem Manöver abgeraten, weil es den Lenker des G-Schlittens bei dem Inspektionsteam, das die Repulsionsgitter neu justieren mußte, sehr unbeliebt machte.

Am Ende des Tages war Cha Thrat mit dem Schlitten über den ganzen Boden der Transporthalle gerutscht und geschleudert, hatte jede umklappbare Markierung, um die sie eigentlich hätte herumfahren müssen, gerammt und sich ganz allgemein an diesem Tag äußerst unkooperativ gezeigt. Timmins gab ihr zum Abschluß einen Stapel Studienbänder, die sie sich bis zum nächsten Morgen ansehen sollte, und sagte ihr, daß sie für eine Anfängerin sehr gut gefahren sei.

Drei Tage später glaubte sie das allmählich auch. „Ich bin in einem Schlitten mit Anhänger, beide voll beladen, von der achtzehnten bis zur dreiunddreißigsten Ebene gefahren“, berichtete sie Tarsedth, als ihre ehemalige Klassenkameradin sie zum üblichen Abendplausch besuchte. „Dabei habe ich ausschließlich die Wartungstunnel benutzt und nichts und niemanden gerammt.“

„Sollte ich jetzt beeindruckt sein?“ fragte die Kelgianerin.

„Ein bißchen schon“, antwortete Cha Thrat, wobei sie ihre Enttäuschung kaum verbergen konnte. „Und? Was gibt es bei dir Neues?“

„Cresk-Sar hat mich in die LSVO-Chirurgie versetzt“, berichtete Tarsedth, deren Fell sich dabei zu einer undeutbaren Gefühlsmischung kräuselte. „Er meinte, ich wäre soweit, meine Fachkenntnisse in der Pflege fremder Lebensformen zu erweitern, und die Arbeit mit einer unter geringer Schwerkraft lebenden Spezies würde das Feingefühl des Tastsinns verbessern. Außerdem, hat er gesagt, wäre Oberschwester Lentilatsar — diese hinterhältige, schleimige, chloratmende Schlampe! — sowieso nicht ganz glücklich damit gewesen, wie ich meine Entschlußkraft auf ihrer Station umgesetzt hätte. Was ist das eigentlich für ein Video? Sieht enorm uninteressant aus.“

„Ganz im Gegenteil“, widersprach Cha Thrat und drückte auf die Pausentaste. Auf dem Bildschirm war eine Gruppe von Offizieren des Monitorkorps zu sehen, die sich mit dem namhaften Terrestrier MacEwan und dem nicht weniger berühmten Oriigianer Grawlya-Ki trafen, den, wie es hieß, wahren Gründern des Orbit Hospitals. „Es geht um die Geschichte, die Organisation und die gegenwärtigen Aktivitäten des Monitorkorps. Ich finde das zwar sehr interessant, aber vom moralischen Standpunkt aus gesehen, auch verwirrend. Warum muß zum Beispiel eine friedenserhaltende Streitmacht so schwer bewaffnet sein?“

„Weil sie ohne schwere Bewaffnung nicht den Frieden sichern könnte, Dummerchen“, meinte Tarsedth. „Aber auf dem Gebiet des Monitorkorps bin ich absolute Expertin. Heutzutage treten viele Kelgianer ins Korps ein, und ich wollte mich schon um die Stelle einer Stabsärztin, das heißt einer Schiffsärztin, bewerben und werde es vielleicht tun, wenn ich mich nicht fürs Hospital qualifizieren kann.

Natürlich gibt es auch noch andere, nichtmilitärische Stellen.“, führ sie begeistert fort.

Das Monitorkorps verschaffte den Gesetzen der galaktischen Föderation Geltung und stellte eine Polizeitruppe von interstellarer Größenordnung dar, doch im Verlauf des ersten Jahrhunderts seines Bestehens waren ihm noch viel mehr Aufgaben übertragen worden. Ursprünglich, als die Föderation nicht mehr als eine wackelige Allianz von lediglich vier bewohnten Planetensystemen — Nidia, Orligia, Traltha und der Erde — gewesen war, hatte sich das Korpspersonal ausschließlich aus Terrestriern zusammengesetzt. Und diese Terrestrier hatten weitere bewohnte Systeme und immer mehr intelligente Lebensformen entdeckt und freundschaftlichen Kontakt mit ihnen aufgenommen.

Das hatte zur Folge, daß sich die Föderation mittlerweile aus beinahe siebzig verschiedenen Spezies zusammensetzte — die Zahl mußte ständig nach oben hin korrigiert werden — und die friedenserhaltende Funktion des Monitorkorps hinter die Aufgaben der Erforschung und Vermessung neuentdeckter Planeten und der Kommunikation mit fremden Spezies zurücktrat. Das machte den schwerbewaffneten Monitoren nichts aus, weil sich eine Polizeitruppe im Gegensatz zu einer Armee nur dann am effektivsten vorkommt, wenn es für sie nicht viel mehr zu tun gibt, als zum Beispiel durch die gelegentliche Sprengung eines mineralienreichen Asteroiden in Übung zu bleiben oder durch das Roden und Einebnen ausgedehnter Flächen unberührten Lands auf einem neuentdeckten Planeten, um so die Landung von Kolonisten vorzubereiten.

Das letzte Mal, daß ein Polizeieinsatz des Monitorkorps nicht von einer kriegerischen Handlung zu unterscheiden gewesen war, lag beinahe zwei Jahrzehnte zurück. Damals mußte man das Orbit Hospital selbst gegen die arg fehlgeleiteten Etlaner verteidigen, die inzwischen zu gesetzestreuen Bürgern der Föderation geworden waren. Mittlerweile dienten einige von ihnen sogar im Monitorkorps.

„Heutzutage steht jeder Spezies die Mitgliedschaft im Korps offen“, fuhr Tarsedth fort, „obwohl der Großteil des raumreisenden Personals aus physiologischen Gründen und wegen der Probleme mit der Lebenserhaltung und der Unterbringung an Bord der kleineren Schiffe aus warmblütigen Sauerstoffatmern besteht.

Wie ich schon gesagt habe“, fügte die Kelgianerin hinzu, wobei sie sich nach vorne schlängelte und wieder das Video startete, „beim Korps gibt es für rastlose, abenteuerlustige und die Häuslichkeit verachtende Charaktere wie uns eine Menge interessanter offener Stellen. Du würdest bestimmt keinen Fehler machen, wenn du beitrittst.“

„Ich bin schon beigetreten — worden“, klärte Cha Thrat ihre Freundin auf. „Aber einen G-Schlitten zu fahren ist nicht unbedingt ein Abenteuer.“

Tarsedths Fell richtete sich überrascht zu Stacheln auf, legte sich aber wieder. „Na klar! Natürlich bist du schon Mitglied! Wie dumm von mir, ich hatte ganz vergessen, daß alle nichtmedizinischen Mitarbeiter automatisch ins Monitorkorps gesteckt werden. Und den bei euch üblichen Fahrstil habe ich auch schon kennengelernt — an Selbstmord grenzende Waghalsigkeit ist wohl die treffendste Beschreibung dafür. Aber du hast eine gute Entscheidung getroffen. Meinen Glückwunsch.“

Die Entscheidung war zwar für sie getroffen worden, dachte Cha Thrat verbittert, aber das hieß noch lange nicht, daß sie zwangsläufig falsch gewesen war.

Die beiden Freundinnen hatten sich gemütlich zurückgelehnt, um sich den Rest des Videos über die Geschichte des Monitorkorps anzusehen, als Tarsedths Fell auf einmal wieder in Bewegung geriet.

„Ich mache mir um dich und die Leute vom Korps wirklich etwas Sorgen, Cha Thrat“, sagte die Kelgianerin. „Einige Dinge werden dort ziemlich kleinlich und andere wiederum ganz schön schlampig gehandhabt. Du mußt einfach viel lernen und hart arbeiten. Und überleg dir bloß alles zweimal, bevor du irgend etwas anstellst, das deinen Rausschmiß zur Folge hat.“

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