Zwei

Der frühere Klempner Arnie Kott, Oberster Gildebruder der Örtlichen Kanalarbeiter, Filiale Vierter Planet, stieg um zehn Uhr früh aus dem Bett und schlenderte seiner Gewohnheit gemäß geradewegs ins Dampfbad.

»Hallo, Jungs.«

»Grüß dich, Arnie.«

Jeder nannte ihn beim Vornamen, und das war gut so. Arnie Kott nickte Bill und Eddy und Tom zu, und alle grüßten zurück. Die dampfgesättigte Luft bildete Tropfen an seinen Füßen und lief über die Kacheln ab, auf Nimmerwiedersehen. Das gefiel ihm: Die Bäder waren so gebaut, daß sie das ablaufende Wasser nicht sammelten. Es wurde nach draußen in den heißen Sand abgeleitet und verschwand für immer. Wer konnte sich das sonst noch leisten? Er dachte: Ich wüßte doch zu gern, ob diese reichen Juden oben in Neu-Israel ein Dampfbad haben, in dem Wasser vergeudet wird.

Arnie Kott stellte sich unter die Dusche und sagte zu den Kumpels ringsum: »Ich hab da ein Gerücht gehört, das ich so schnell wie möglich überprüft haben will. Ihr kennt doch dieses Kombinat aus Kalifornien, diese Portugiesen, die ursprünglich einen Titel auf die FDR-Berge hatten und versuchten, dort Eisenerz abzubauen, aber es war zu minderwertig und wog die Kosten bei weitem nicht auf? Ich hab gehört, die haben ihren Besitz verkauft.«

»Ja, hab ich auch gehört.« Sämtliche Jungs nickten. »Ich frag mich, wieviel die wohl draufzahlen mußten. Dürften mächtig Prügel bezogen haben.«

Arnie sagte: »Nein, wie ich hörte, haben sie einen Käufer gefunden, der bereit war, mehr hinzublättern, als sie bezahlt haben; nach all den Jahren haben die sogar noch einen Schnitt gemacht. Hat sich für sie also gelohnt, bei der Stange zu bleiben. Ich frag mich, wer bescheuert genug ist, dieses Land zu wollen. Ich hab dort ein paar Schürfrechte, wißt ihr. Ich möchte, daß ihr herausfindet, wer das Land gekauft hat und aus welcher Branche die Leute kommen. Ich möchte wissen, was die da drüben vorhaben.«

»Immer gut, so was zu wissen.« Wieder nickten alle, und einer - es war wohl Fred - riß sich von seiner Dusche los und trottete davon, um sich anzuziehen. »Ich geh der Sache nach, Arnie«, sagte Fred über die Schulter hinweg. »Ich kümmer mich gleich darum.«

Arnie wandte sich an die Übrigen und sagte, wobei er sich gründlich einseifte: »Wißt ihr, ich muß meine Schürfrechte schützen; ich kann nicht zulassen, daß so ein aalglatter Knilch von der Erde hier reinschneit und aus diesen Bergen womöglich eine Art Nationalpark für Picknicker macht. Ich sag euch, was ich gehört hab. Ich weiß, daß vor zirka einer Woche ein Haufen kommunistischer Funktionäre aus Rußland und Ungarn hier war, hohe Tiere, zweifellos, um sich umzuschauen. Meint ihr etwa, die haben aufgegeben, weil ihr Kollektiv letztes Jahr den Bach runtergegangen ist? Nein. Die haben den Verstand von Wanzen, und wie Wanzen kommen sie immer wieder. Diese Roten brennen doch darauf, auf dem Mars ein erfolgreiches Kollektiv auf die Beine zu stellen; das ist für die daheim so was wie ein feuchter Traum. Würde mich nicht überraschen, wenn sich herausstellt, daß diese Portugiesen aus Kalifornien an Kommunisten verkauft haben, und demnächst sehen wir dann, wie sie den Namen FDR-Berge, der richtig und zutreffend ist, in so was wie Joe-Stalin-Berge abwandeln.«

Die Männer lachten alle beifällig.

»Also, ich hab heut noch einiges zu erledigen«, sagte Arnie Kott und spülte sich mit wilden Heißwasserströmen den Seifenschaum vom Leib. »Deswegen kann ich mich auch nicht weiter drum kümmern; ich verlaß mich drauf, daß ihr der Sache nachgeht. Zum Beispiel bin ich neulich in den Osten gefahren, wo wir diesen Melonenversuch am Laufen haben, und es scheint, als würd's ein voller Erfolg, die New-England-Melonen hier in der Umgebung heimisch zu machen. Ich weiß, daß ihr euch das alle schon gefragt habt, weil doch jeder, wenn irgend möglich, morgens gern eine schöne Scheibe Cantaloupe zum Frühstück hat.«

»Stimmt, Arnie«, pflichteten die Jungs bei.

»Aber die Melonen«, sagte Arnie, »sind nicht alles, was mir im Kopf herumspukt. Gestern hat uns einer dieser UN-Knilche einen Besuch abgestattet und gegen unsere Behandlung der Nigger protestiert. Oder vielleicht sollte ich's anders ausdrücken; vielleicht sollte ich's wie die UN-Knilche machen und von >Resten der einheimischen Bevölkerung< sprechen oder einfach von Bleichmännern. Worauf er rauswollte war, daß wir für den Betrieb der Bergwerke, die im Besitz unserer Siedlung sind, Bleichmann-Nigger unter Tarif beschäftigen, ich meine, unter dem Mindestlohn -schließlich ziehen ja nicht mal diese Torfköpfe von der UN ernsthaft in Betracht, daß wir bleiche Nigger nach Tarif bezahlen. Wie auch immer, wir haben dieses Problem, daß wir den bleichen Niggern keinen Mindestlohn zahlen können, weil die bei der Arbeit so wankelmütig sind, daß wir glatt bankrott gehen würden, und wir müssen sie unter Tage beschäftigen, weil sie die einzigen sind, die da unten atmen können, und wir Sauerstoffgeräte in größeren Mengen nur zu Preisen herschaffen lassen können, die einfach schwindelerregend sind. Jemand verdient sich daheim an diesen Sauerstofftanks und Kompressoren dumm und dämlich. Das ist Schiebung, sag ich euch, und wir lassen uns nicht abzocken.«

Alle nickten finster.

»Wir können doch nicht zulassen, daß die UN-Büro-kraten uns vorschreiben, wie wir unsere Siedlung zu verwalten haben«, sagte Arnie. »Schließlich hatten wir schon den Betrieb aufgenommen, als die UN hier noch nichts weiter waren als eine Flagge im Sand; wir haben Häuser bauen lassen, ehe sie noch einen Topf zum Pissen auf dem Mars hatten, einschließlich des ganzen Geländes im Süden, um das sich die Vereinigten Staaten und Frankreich prügeln.«

»Genau, Arnie«, stimmten die Jungs allesamt zu.

»Allerdings«, sagte Arnie, »gibt's da das Problem, daß diese UN-Früchtchen die Wasserwege kontrollieren, und wir brauchen Wasser; wir brauchen es als Verkehrsweg in unsere Siedlung rein und wieder raus und als Energiequelle und zum Trinken und wie jetzt, wie hier zum Baden. Ich meine, diese Schweine können uns doch jederzeit das Wasser abdrehen; die haben uns an der Kandare.«

Er beendete sein Duschbad und stapfte über die warmen, feuchten Fliesen zum Badewärter, um sich ein Handtuch geben zu lassen. Schon der Gedanke an die UN brachte seinen Magen in Aufruhr, und sein einstiges Zwölffingerdarmgeschwür fing ziemlich weit unten auf der linken Seite, in der Leistengegend, wieder zu brennen an. Ich sollte besser etwas frühstücken, wurde ihm klar.

Als der Badewärter ihn angekleidet hatte und er wieder seine grauen Flanellhosen und das T-Shirt, die weichen Lederstiefel und die Seglermütze trug, verließ er das Dampfbad und ging durch den Flur des Gildehauses in sein Eßzimmer, wo Helio, sein bleicher Koch, bereits mit dem Frühstück auf ihn wartete. Kurz darauf saß er vor einem Stapel Maiskuchen und Schinken, Kaffee und einem Glas Orangensaft und der Sonntagsausgabe der New York Times von voriger Woche.

»Guten Morgen, Mr. Kott.« Auf seinen Knopfdruck hin war eine Sekretärin vom Pool erschienen, ein Mädchen, das er noch nie vorher gesehen hatte. Sieht nicht sonderlich gut aus, entschied er nach einem flüchtigen Blick; er wandte sich wieder der Zeitungslektüre zu. Und sie nannte ihn auch noch Mr. Kott. Er nippte an seinem Orangensaft und las von einem Schiff, das im Weltraum verunglückt war, wobei alle dreihundert Personen an Bord den Tod gefunden hatten. Es handelte sich um ein japanisches Handelsschiff, das Fahrräder geladen hatte. Das brachte ihn zum Lachen. Fahrräder im Weltraum, und jetzt waren alle hin; ein Jammer, denn auf einem Planeten mit so geringer Masse wie dem Mars, wo es - außer dem schlammigen Kanalsystem - praktisch keinerlei Kraftquelle gab und wo sogar Kerosin ein Vermögen kostete, waren Fahrräder von großem ökonomischem Wert. Ein Mensch konnte Hunderte von Meilen kostenlos radeln, und auch noch geradewegs über den Sand. Die einzigen Leute, die mit Kerosin-Turbinen angetriebene Fortbewegungsmittel benutzten, waren überlebenswichtige Funktionäre wie Mechaniker und Wartungstechniker und natürlich bedeutende Personen wie er selber. Selbstverständlich gab es auch öffentliche Verkehrsmittel wie die Traktorbusse, die die Siedlungen untereinander verbanden und außerhalb liegende Wohngebiete mit dem Rest der Welt ... doch sie verkehrten unregelmäßig und waren hinsichtlich des Treibstoffs auf Lieferungen von der Erde angewiesen. Und was ihn betraf, so bewegten die Busse sich ohnehin dermaßen langsam fort, daß sie Klaustrophobie hervorriefen.

Die New York Times zu lesen gab ihm immer eine Weile das Gefühl, wieder zu Hause in South Pasadena zu sein; seine Familie hatte die Westküsten-Ausgabe der Times abonniert, und er erinnerte sich noch, wie er sie als Junge immer aus dem Briefkasten holte, von der mit Aprikosenbäumen gesäumten Straße, der warmen, rauchverhangenen kleinen Straße mit den sauberen, einstöckigen Häusern und geparkten Autos und den Rasenflächen, um die man sich regelmäßig jedes Wochenende kümmerte. Es waren die Rasenflächen mit all ihren Geräten und Pflanzenmitteln, die er am meisten vermißte - den Handwagen für den Dünger, den frischen Grassamen, die Heckenscheren, das Netz gegen die Spatzen im Frühling ... und die Rasensprenger, die den ganzen langen Sommer tätig waren, wann immer das Gesetz es erlaubte. Auch dort herrschte Wasserknappheit. Sein Onkel Paul war einmal eingesperrt worden, weil er an einem Tag, an dem Wasser rationiert war, sein Auto gewaschen hatte.

Als er weiter in der Zeitung las, stieß er auf einen Artikel über den Empfang einer Mrs. Lizner im Weißen Haus, die als Funktionärin des Amts für Geburtenkontrolle achttausend therapeutische Abtreibungen vorgenommen und damit den amerikanischen Frauen ein Beispiel gegeben hatte. Eine Art Krankenschwester, entschied Arnie Kott. Nobler Beruf für Frauen. Er blätterte um.

In großen Lettern stand dort eine viertelseitige Anzeige, die er mitverfaßt hatte, eine zündende Aufforderung an die Menschen, zu emigrieren. Arnie lehnte sich in seinem Stuhl zurück, legte die Zeitung zusammen und empfand großen Stolz beim Studium der Anzeige; sie wirkte gelungen, fand er. Sie würde die Leute sicher ansprechen, sofern sie auch nur ein Quentchen Schneid besaßen und, wie es in der Anzeige hieß, echte Abenteuerlust in ihnen steckte.

Die Anzeige führte sämtliche Berufe auf, für die auf dem Mars Nachfrage bestand, und das war eine lange Liste, auf der, wenn überhaupt etwas, dann lediglich Kanarienvogelzüchter und Fachärzte für Darmkrankheiten fehlten. Sie wies darauf hin, wie schwierig es zur Zeit war, auf der Erde Arbeit zu finden, und daß es auf dem Mars sogar gutbezahlte Jobs für Leute gab, die nichts weiter als einen Bachelor hatten.

Das mußte wirken, dachte Arnie. Er selbst war auch ausgewandert, weil er nur den niedrigsten akademischen Grad hatte. Alle Türen waren ihm verschlossen geblieben, und dann war er als simpler Gildeklempner auf den Mars gekommen, und schon innerhalb weniger Jahre - seht her! Auf der Erde würde ein Klempner, der nur einen Bachelor hatte, in Afrika tote Heuschrecken zusammenkehren, im Einsatz des US-Entwicklungshilfe-Korps. Sein Bruder Phil machte das übrigens gerade; er hatte einen Abschluß der Universität von Kalifornien und nie die Chance gehabt, seinen Beruf, den eines Milchprüfers, auszuüben. In seiner Klasse hatten über einhundert Milchprüfer die Abschlußprüfung bestanden, und wozu? Es gab keine Möglichkeiten auf der Erde. Da mußt du schon auf den Mars kommen, sagte sich Arnie. Hier können wir dich gebrauchen. Sieh dir nur die knochigen Kühe draußen auf den Milchfarmen vor der Stadt an. Die könnten ein paar Stichproben gebrauchen.

Aber der Haken an der Anzeige war einfach der, daß dem Einwanderer, sobald er erst auf dem Mars war, nichts garantiert wurde, noch nicht einmal die Gewißheit, aufgeben und wieder nach Hause zurückkehren zu können; Rückflüge waren wegen der unzureichenden Startanlagen viel teurer. Und hinsichtlich seiner Anstellung gab es schon mal gar keine Garantien. Schuld waren die Großmächte zu Hause, China und die Vereinigten Staaten, Rußland und Deutschland. Statt die Entwicklung der Planeten angemessen zu fördern hatten sie ihre Aufmerksamkeit auf weitere Entdeckungen gerichtet. Sie hatten ihre Zeit, ihr Geld und ihren Verstand samt und sonders Sternenprojekten gewidmet, wie diesem verflixten Flug zum Centaurus, der bereits Milliarden von Dollar und Arbeitsstunden verschlungen hatte. Arnie Kott konnte den Sinn der Sternenprojekte nicht einsehen. Wer wollte schon auf einen Vierjahresflug zu einem anderen Sonnensystem gehen, das es womöglich nicht einmal gab?

Und doch fürchtete Arnie auch einen Wandel im Verhalten der irdischen Großmächte. Angenommen, sie erwachten eines Morgens und sahen die Kolonien auf Mars und Venus in einem neuen Licht? Angenommen, sie nahmen die lasche Erschließung des Planeten genauer unter die Lupe und entschieden, daß etwas dagegen unternommen werden mußte? Mit anderen Worten, was wurde aus Arnie Kott, wenn die Großmächte zu Verstand kämen? Diese Möglichkeit durfte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Allerdings zeigten die Großmächte keinerlei Anzeichen von Vernunft. Nach wie vor beherrschte sie verbissener Konkurrenzkampf; in eben diesem Augenblick kreuzten sie zu Arnies Erleichterung zwei Lichtjahre entfernt die Klingen.

Beim Weiterlesen in der Zeitung stieß er auf einen kurzen Artikel, der von einer Frauenorganisation im schweizerischen Bern handelte, die zusammengekommen war, um erneut ihrer Besorgnis über die Kolonisierung Ausdruck zu verleihen.

Koloniales Sicherheitskomitee entsetzt über Zustände auf Marslandeplätzen Die Damen hatten in einer Eingabe an das Kolonialministerium der UN noch einmal ihre überzeugung bekräftigt, daß die Marsbereiche, auf denen Schiffe von der Erde landeten, sich zu weit von den Wohngebieten und vom Wassersystem entfernt befänden. In einigen Fällen hatte man von Passagieren verlangt, mehr als hundert Meilen durch die Einöde zu ziehen, darunter Frauen, Kinder und alte Leute. Das Koloniale Sicherheitskomitee verlangte, daß die UN eine Vorschrift erließ, wonach die Schiffe gezwungen würden, auf Landeplätzen niederzugehen, die in fünfundzwanzig Meilen Umkreis eines größeren (bekannten) Kanals lagen.

Weltverbesserer, dachte Arnie Kott beim Lesen des Artikels. Wahrscheinlich hatte nicht einer von denen jemals die Erde verlassen; die wissen doch bloß, was jemand in einem Brief nach Hause geschrieben hat, irgendeine Tante, die auf dem Mars ihren Lebensabend fristet, gratis auf UN-Gelände wohnt und selbstredend meckert. Und außerdem verließen sie sich natürlich auf ihre ständige Vertretung auf dem Mars, eine gewisse Mrs. Anne Esterhazy; sie setzte mimeographisch vervielfältigte Rundschreiben an andere öffentlichkeitsbewußte Damen der diversen Siedlungen in Umlauf. Arnie bezog und las ihr Blättchen Der Revisor antwortet, ein Titel, der ihm die Galle hochtrieb. Einfach zum Kotzen fand er auch die ein- bis zweizeiligen Sticheleien, die zwischen längere Artikel eingeschoben waren:

K K K K K K K K

Betet für die Ungiftigkeit der Getränke! Kontaktiert karismatische Kolonialratsherren und werdet Zeuge einer Wasserfiltrierung, auf die wir stolz sein können!

K K K K K K K K

Bei manchen dieser Der Revisor antwortet-Artikeln kam er kaum hinter den Sinn, eines solchen Spezialjargons befleißigten sie sich. Aber offenbar hatten die Rundschreiben eine Leserschaft ergebener Frauen angezogen, die sich gnadenlos jede Thematik zu Herzen nahm und genau das tat, wozu man sie aufforderte. Jetzt beschwerten sie sich zweifellos gerade zusammen mit dem Kolonialen Sicherheitskomitee auf der Erde über die schrecklichen Entfernungen, die die meisten Landeplätze auf dem Mars von den Wasserquellen und Habitaten der Menschen trennten. Sie trugen ihren Teil zu einer der vielen großen Auseinandersetzungen bei, und in diesem besonderen Fall war es Arnie Kott gelungen, seinen Brechreiz unter Kontrolle zu halten. Von den ungefähr zwanzig Landeplätzen auf dem Mars lag nämlich nur einer innerhalb der Fünfundzwanzig-Meilen-Zone eines größeren Kanals, und das war der Samuel-Gompers-Landeplatz, der für seine Siedlung zuständig war. Sollte der Druck des Kolonialen Sicherheitskomitees überraschend Erfolg haben, dann müßten alle von der Erde eingehenden Passagierschiffe auf Arnie Kotts Landeplatz niedergehen, und die Einnahmen kämen seiner Siedlung zugute.

Es war alles andere als Zufall, daß Mrs. Esterhazy und ihre Organisation auf der Erde mit dem Rundschreiben eine Sache vertraten, die für Arnie von wirtschaftlichem Nutzen gewesen wäre. Anne Esterhazy war Arnies frühere Frau. Sie waren nach wie vor gute Freunde und besaßen gemeinsam noch eine Anzahl von Wirtschaftsunternehmen, die sie während ihrer Ehe gegründet oder in die sie sich damals eingekauft hatten. In vieler Hinsicht arbeiteten sie noch immer zusammen, obgleich sie auf rein persönlichem Gebiet keine wie auch immer gearteten Gemeinsamkeiten mehr hatten. Er fand sie aggressiv, dominant und über die Maßen maskulin, eine große und knochige Frau, die beim Gehen weit ausschritt, niedrige Absätze trug, einen Tweedmantel und Sonnenbrille, und der an einem Riemen eine große Ledertasche von der Schulter baumelte ... aber sie war durchtrieben und intelligent und eine natürliche Führungspersönlichkeit. Solange er sie nur im Rahmen geschäftlicher Beziehungen zu sehen brauchte, konnte er mit ihr auskommen.

Der Umstand, daß Anne Esterhazy einmal seine Frau gewesen war und daß sie noch immer Gelddinge aneinander ketteten, war nicht allzu bekannt. Wenn er mit ihr Verbindung aufnehmen wollte, diktierte er nicht etwa einer Stenotypistin der Siedlung einen Brief; vielmehr benutzte er ein kleines Chiffrierdiktaphon, das er in seinem Schreibtisch aufbewahrte, und ließ ihr das Band durch einen Boten zukommen. Der Bote gab das Band in einem Kunstgewerbeladen ab, den Anne drüben in der israelischen Siedlung führte, und ihre Antwort -wenn es denn eine gab - wurde auf die gleiche Weise im Büro eines Zement- und Kieswerks am Bernard-Baruch-Kanal hinterlegt, das Arnies Schwager Ed Rockingham gehörte, dem Mann seiner Schwester.

Vor einem Jahr, als Ed Rockingham für sich, Patricia und ihre drei Kinder ein Haus baute, hatte er sich das Unmögliche geleistet: einen eigenen Kanal. Unter offener Mißachtung des Gesetzes hatte er ihn sich zum Privatgebrauch anlegen lassen, und das Wasser bezog er aus dem großen öffentlichen Wassernetz. Selbst Arnie war damals wütend gewesen. Aber niemand hatte Klage erhoben, und heute beförderte der Kanal, bescheiden nach Rockinghams ältestem Kind benannt, das Wasser achtzig Meilen weit hinaus in die Wüste, damit Pat Rockingham an einem hinreißenden Ort leben und einen Rasen, einen Swimmingpool und einen vollbewässerten Blumengarten ihr eigen nennen konnte. Sie züchtete besonders große Kameliensträucher, die als einzige die Verpflanzung auf den Mars überstanden hatten. Den ganzen Tag lang drehten sich die Rasensprenger und besprühten die Sträucher und bewahrten sie vor dem Verdorren und Eingehen.

Zwölf riesige Kameliensträucher hielt Arnie Kott für Prahlerei. Er verstand sich nicht besonders gut mit seiner Schwester oder Ed Rockingham. Weshalb waren sie eigentlich auf den Mars gekommen? fragte er sich. Um unter unglaublichen Kosten und größtmöglichem Aufwand genauso zu leben wie zu Hause auf der Erde? Das erschien ihm absurd. Weshalb dann nicht auf der Erde bleiben? Für Arnie war der Mars ein neuer Ort, und er bedeutete ein neues Leben, das man auf neue Art führte. Er und die anderen Siedler, die kleinen wie die großen, hatten in der Zeit, die sie nun auf dem Mars lebten, in einem Anpassungsprozeß unzählige geringfügige Korrekturen vorgenommen und dabei so viele Stadien durchlaufen, daß sie sich allen Ernstes verändert hatten; sie waren jetzt neue Lebewesen. Ihre Kinder, die auf dem Mars zur Welt gekommen waren, setzten an diesem Punkt an, überraschend und eigenartig, in mancher Hinsicht sogar den Eltern ein Rätsel. Zwei seiner eigenen Jungs - seine und Annes - lebten jetzt in einem Siedlungscamp in den Außenbezirken von Lewistown. Bei seinen Besuchen wurde er aus ihnen nicht schlau; sie sahen ihn mit trüben Augen an, als warteten sie nur darauf, daß er wieder ginge. Soweit er das beurteilen konnte, hatten die Jungs nicht den geringsten Sinn für Humor. Und doch waren sie sensibel; sie konnten pausenlos über Tiere und Pflanzen, selbst über die Landschaft sprechen. Beide Jungs hatten Haustiere, Marsgeschöpfe, die ihm schauerlich vorkamen: Wanzen, die wie Gottesanbeterinnen aussahen, so groß wie Esel. Die verdammten Dinger wurden Boxer genannt, weil man sie oft dabei sah, wie sie in einem rituellen Kampf hoch aufgerichtet Schläge tauschten, was im allgemeinen damit endete, daß einer getötet und vom anderen gefressen wurde. Bert und Ned hatten ihre Hausboxer so abgerichtet, daß sie einfache Handreichungen ausführten und einander nicht auffraßen. Und die Viecher waren ihre Gefährten; Kinder auf dem Mars waren einsam, zum Teil, weil es noch so wenige gab, und zum Teil, weil ... Arnie wußte es nicht. Die Kinder schauten verängstigt und mit großen Augen drein, als sehnten sie sich nach etwas, das noch unsichtbar war. Sie neigten dazu, sich bei der erstbesten Gelegenheit abzusetzen und fortzuwandern, um in der Einöde herumzustöbern. Was sie zurückbrachten war wertlos, für sie und für die Siedlungen, vielleicht ein paar Knochen oder Überreste der alten Niggerzivilisation. Wenn er mit dem Hubschrauber unterwegs war, entdeckte Arnie immer einige versprengte Kinder, eines hier, ein anderes dort, wie sie sich mühsam durch die Wüste schleppten und an Steinen und im Sand kratzten, als versuchten sie irgendwie, die Marsoberfläche aufzubrechen und darunter zu gelangen ...

Arnie schloß die untere Schublade seines Schreibtischs auf, holte das kleine batteriebetriebene Chiffrierdiktaphon heraus und machte es aufnahmebereit. Er sprach hinein: »Anne, ich möchte mich mit dir treffen und reden. Im Komitee sind zu viele Frauen, und es läuft in die falsche Richtung. Zum Beispiel beunruhigt mich diese letzte Anzeige in der Times, weil ...« Er brach ab, denn die Chiffriermaschine war ächzend stehengeblieben. Er stupste dagegen; die Spulen begannen sich langsam zu drehen, stockten dann aber wieder.

Ich dachte, sie wäre repariert, dachte Arnie zornig. Können diese Idioten denn gar nichts beheben? Womöglich mußte er jetzt auf den Schwarzmarkt pilgern und sich zu einem horrenden Preis ein anderes Gerät kaufen. Er zuckte bei dem Gedanken zusammen.

Die nicht sonderlich gut aussehende Sekretärin vom Pool hatte ihm ruhig wartend gegenübergesessen und reagierte nun auf sein Nicken. Sie zückte Bleistift und Block und begann aufzunehmen, was er diktierte.

»Normalerweise«, sagte Arnie Kott, »kann ich verstehen, wie schwer es ist, alles in Schuß zu halten, wo es doch kaum Ersatzteile gibt und die Witterung hier Metall und Drähte massiv angreift. Aber ich hab's satt, bei einem so lebenswichtigen Gerät wie meiner Chiffriermaschine um kompetente Reparaturarbeiten zu betteln. Ich brauche sie einfach, und damit basta. Wenn ihr Typen also nicht dafür sorgen könnt, daß sie funktioniert, werde ich euch entlassen und euch die Lizenz für das Mechanikerhandwerk hier in der Siedlung entziehen, und unsere Wartung vertraue ich einem Kundendienst von außerhalb an.« Er nickte erneut, und das Mädchen hörte auf zu schreiben.

»Soll ich noch schnell den Chiffrierer in die Reparaturabteilung bringen, Mr. Kott?« fragte sie. »Es wäre mir eine Freude, Sir.«

»Ach was«, brummte Arnie. »Gehen Sie nur.«

Als sie fort war, nahm Arnie wieder seine New York Times zur Hand und las weiter. Zu Hause auf der Erde bekam man einen neuen Chiffrierer praktisch umsonst;

überhaupt konnte man zu Hause sogar ... verdammt. Was die für Sachen anboten - von alten römischen Münzen über Pelzmäntel und Campingausrüstungen bis zu Diamanten, Düsenflugzeugen und giftigem Digitalis. Meine Fresse!

Sein dringendstes Problem war jetzt aber, wie er ohne Chiffrierer seine Exfrau erreichen sollte. Vielleicht kann ich kurz vorbeigehen und mich mit ihr treffen, sagte sich Arnie. Prima Vorwand, um das Büro zu verlassen.

Er griff zum Telefon und ordnete an, daß man oben auf dem Dach des Gildehauses einen Hubschrauber bereitstellte, dann aß er die Reste des Frühstücks auf, wischte sich rasch den Mund ab und ging in Richtung Fahrstuhl.

»He, Arnie«, begrüßte ihn der Hubschrauberpilot, ein freundlich aussehender junger Mann vom Piloten-Pool.

»Hallo, mein Junge«, sagte Arnie, als der Pilot ihm in den Spezialledersitz half, den er eigens im Polsterladen der Siedlung hatte anfertigen lassen. Während der Pilot sich in den Sitz vor ihm zwängte, lehnte Arnie sich behaglich zurück, schlug die Beine übereinander und sagte: »Starten Sie jetzt einfach, und oben dirigiere ich Sie dann. Und gehen Sie's ruhig an, ich hab's nicht eilig. Scheint ein schöner Tag zu werden.«

»Ein wirklich schöner Tag«, sagte der Pilot, und der Rotor des Hubschraubers begann sich zu drehen. »Bis auf den Nebel da drüben bei den FDR-Bergen.«

Sie waren kaum in der Luft, als der Lautsprecher im Hubschrauber zum Leben erwachte. »Katastrophenmeldung. Bei Kompaßpunkt 4.65003 ist draußen in der offenen Wüste eine kleine Gruppe Bleicher durch Wetterbedingungen und Wassermangel vom Tode bedroht. Nördlich von Lewistown befindliche Schiffe werden gebeten, sofort mit größtmöglicher Geschwindigkeit diesen Punkt anzufliegen und Hilfe zu leisten. Das Gesetz der Vereinten Nationen verlangt von allen Handels- und Privatschiffen, daß sie der Aufforderung Folge leisten.« Die Meldung wurde im knappen Tonfall des UN-Sprechers wiederholt, der von einem UN-Sender an Bord des künstlichen Satelliten irgendwo über ihnen sprach.

Als Arnie merkte, daß der Hubschrauber seinen Kurs änderte, sagte er: »He, nicht doch, mein Junge.«

»Ich muß mich dran halten, Sir«, sagte der Pilot. »Gesetz ist Gesetz.«

Um Himmels willen, dachte Arnie entrüstet. Er machte sich eine mentale Notiz darüber, den Jungen feuern oder wenigstens vom Dienst suspendieren zu lassen, sobald sie von ihrem Ausflug zurück waren.

Schon befanden sie sich über der Wüste und strebten in beachtlichem Tempo dem Kompaßpunkt zu, den der UN-Sprecher genannt hatte. Bleiche Nigger, dachte Arnie. Wir müssen alles stehen und liegen lassen, um ihnen aus der Patsche zu helfen, diesen verdammten Narren - können die nicht einmal durch ihre eigene Wüste ziehen? Sind die nicht fünftausend Jahre lang ohne unsere Hilfe ausgekommen?

*

Als Jack Bohlen mit seinem Reparaturschiff der Yee Company zur Landung auf der McAuliff-Milchfarm ansetzte, hörte er den UN-Sprecher seine Katastrophenmeldung durchgeben, die gleiche, die Bohlen schon oft gehört hatte und die ihm jedesmal wieder einen Schauer über den Rücken jagte.

»... ist draußen in der offenen Wüste eine kleine Gruppe Bleicher«, erklärte die sachliche Stimme. »... durch Wetterbedingungen und Wassermangel vom Tode bedroht. Nördlich von Lewistown befindliche Schiffe ...«

Mein Revier, dachte sich Jack Bohlen. Er schaltete das Mikro ein und sagte: »Reparaturschiff der Yee Company nahe Kompaßpunkt 4.65003, sofort rettungsbereit. Könnte sie in zwei, drei Minuten erreichen.« Er schwenkte seinen Hubschrauber nach Süden, fort von McAuliffs Farm, und empfand diebische Freude bei dem Gedanken, wie erbost McAuliff jetzt sein mußte, wenn er den Hubschrauber abdrehen sah und sich den Grund dafür denken konnte. Keiner war so schlecht auf die Bleichmänner zu sprechen wie die großen Farmer; unablässig tauchten die ärmlichen, nomadisierenden Ureinwohner auf den Farmen auf und bettelten um Nahrung, Wasser, medizinische Hilfe und manchmal auch bloß um ein altmodisches Almosen, und nichts schien die wohlhabenden Milchfarmer rasender zu machen, als von den Wesen ausgenutzt zu werden, deren Land sie sich angeeignet hatten.

Jetzt meldete sich noch ein Hubschrauber. Der Pilot sagte: »Ich befinde mich außerhalb von Lewistown bei Kompaßpunkt 4.78995 und werde dem Hilferuf schnellstens Folge leisten. Ich habe Verpflegung an Bord, darunter fünfzig Gallonen Wasser.« Er identifizierte sich und schaltete ab.

Die Milchfarm mit den Kühen verschwand im Norden, und Jack Bohlen blickte wieder gespannt hinunter auf die offene Wüste und versuchte, die Gruppe Bleicher zu erspähen. Alles klar, da waren sie. Fünf Personen, im Schatten eines kleinen Steinhaufens. Sie rührten sich nicht. Vielleicht waren sie schon tot. Der UN-Satellit hatte sie auf seiner Bahn am Himmel entdeckt, doch er konnte ihnen nicht helfen. Ihre Mentoren waren machtlos. Und wir, die wir ihnen helfen können - was schert es uns? dachte Jack. Die Bleichmänner starben sowieso aus, und ihre kümmerlichen Reste wurden jedes Jahr zerlumpter und verzweifelter. Sie standen unter dem Schutz der UN. Schöner Schutz, dachte Jack.

Aber was konnte man für eine aussterbende Rasse tun? Die Zeit war für die Ureinwohner des Mars bereits abgelaufen gewesen, lange bevor damals in den Sechzigern das erste Sowjetschiff mit laufenden Fernsehkameras am Himmel aufgetaucht war. Es hatte keine Verschwörung irgendeiner Gruppe von Menschen gegeben, um sie auszurotten; das war nicht nötig gewesen. Und anfangs hatte man sie sogar als große Kuriosität gefeiert. Hier war eine Entdeckung endlich die Milliarden wert, die man bei der Aufgabe, den Mars zu erreichen, verpulvert hatte. Hier war eine extraterrestrische Rasse.

Er landete den Hubschrauber auf der ebenen Sandfläche in der Nähe der Bleichengruppe, schaltete den Rotor aus, öffnete die Tür und stieg aus.

Die heiße Morgensonne brannte auf ihn herab, als er über den Sand auf die reglosen Bleichmänner zuging. Sie lebten noch; sie hatten die Augen geöffnet und sahen ihm entgegen.

»Regen fällt von mir auf euch auserwählte Personen«, rief er ihnen zu, die korrekte Bleichmannbegrüßung im Dialekt der Bleichen.

Aus der Nähe erkannte er nun, daß die Gruppe aus einem schrumpeligen alten Paar, einem jungen männlichen und einem jungen weiblichen Wesen, zweifellos Mann und Frau, und deren Kind bestand. Anscheinend eine Sippe, die sich zu Fuß allein durch die Wüste aufgemacht hatte, wohl auf der Suche nach Wasser oder Nahrung; vielleicht war die Oase, in der sie ihr Leben gefristet hatten, versiegt. Das war typisch für die Misere der Bleichmänner, dieser Entschluß, auf einen Treck zu gehen. Hier lagen sie nun, unfähig zu jedem weiteren Schritt; sie waren zu etwas verkümmert, was einem Häufchen Trockengemüse glich, und wären bald gestorben, wenn der UN-Satellit sie nicht ausfindig gemacht hätte.

Der junge männliche Bleiche rappelte sich langsam auf, verbeugte sich und sagte mit bebender, schwacher Stimme: »Der Regen, der durch Eure wundersame Gegenwart auf uns fällt, schenkt uns Kraft und Stärke, Herr.«

Jack Bohlen warf seinen Kanister dem jungen Bleichmann zu, der sich sofort hinkniete, den Verschluß abschraubte und ihn dem erschöpften älteren Paar reichte. Die alte Dame nahm ihn und trank.

Schlagartig machte sie eine Veränderung durch. Sie schien wieder zum Leben zu erwachen, vor seinen Augen das schmutzige Totengrau abzulegen.

»Dürfen wir unsere Eierschalen füllen?« fragte der junge männliche Bleiche. Mehrere Paka-Eier standen aufrecht im Sand, farblose Schalen, die, wie Jack sah, völlig leer waren. In diesen Gefäßen transportierten die Bleichmänner Wasser; ihr technisches Geschick war so gering, daß sie nicht einmal Tontöpfe besaßen. Und doch, überlegte er, hatten ihre Vorfahren das große Kanalsystem angelegt.

»Sicher«, sagte er. »Es kommt noch ein Schiff mit viel Wasser.« Er ging wieder zum Hubschrauber und kramte sein Lunchpaket heraus, kehrte damit zurück und reichte es dem männlichen Bleichen. »Nahrung«, erklärte er. Als ob sie es nicht wüßten. Schon war das ältere Paar auf den Beinen und streckte schwankend die Arme danach aus.

Hinter Jack erscholl der Lärm eines zweiten Hubschraubers. Er setzte zur Landung an, eine Zwei-Personen-Maschine, die jetzt schlitternd aufkam und stehenblieb, während der Rotor sich langsam weiterdrehte.

Der Pilot rief herunter: »Brauchen Sie mich noch? Wenn nicht, fliege ich weiter.«

»Ich habe nicht genug Wasser für sie«, sagte Jack.

»Okay«, sagte der Pilot und stellte den Rotor ab. Er sprang heraus und zerrte einen Fünf-Gallonen-Kanister hinter sich her. »Den hier können sie haben.«

Jack und der Pilot standen Seite an Seite und sahen zu, wie die Bleichmänner ihre Eierschalen mit Wasser aus dem Kanister füllten. Sie besaßen nicht viel - einen Köcher mit vergifteten Pfeilen, jeder eine Tierhaut; die beiden Frauen hatten ihre Hackbretter dabei, ihr einziger Besitz von Wert: Ohne die Bretter waren sie keine vollwertigen Frauen, denn darauf bereiteten sie Fleisch oder Getreide zu, je nachdem, welche Nahrung sie erbeuten konnten. Und sie hatten ein paar Zigaretten.

»Mein Fluggast«, flüsterte der junge Pilot Jack ins Ohr, »ist nicht gerade begeistert darüber, daß die UN uns zwingen können, solche Zwischenlandungen vorzunehmen. Aber ihm ist nicht klar, daß sie diesen Satelliten da oben haben und es sehen können, wenn man nicht landet. Und das Bußgeld ist verdammt hoch.«

Jack drehte sich um und schaute in den parkenden Hubschrauber. Drinnen sah er einen untersetzten Mann mit Glatze sitzen, einen wohlgenährten, selbstzufriedenen Menschen, der ziemlich sauer wirkte und die fünf Bleichmänner keines Blickes würdigte.

»Man muß sich ans Gesetz halten«, verteidigte sich der Pilot. »Letzten Endes bin ich es, dem sie das Bußgeld aufbrummen würden.«

Jack ging zum Hubschrauber hinüber und rief dem darin sitzenden stämmigen Glatzkopf zu: »Bereitet es Ihnen nicht ein gutes Gefühl, zu wissen, daß Sie fünf Menschen das Leben gerettet haben?«

Der Glatzkopf blickte zu ihm herunter und sagte: »Fünf Niggern, meinen Sie wohl. Fünf gerettete Menschen würde ich die nicht gerade nennen. Sie etwa?«

»Ja, ich schon«, sagte Jack. »Und ich habe vor, sie auch weiterhin so zu nennen.«

»Von mir aus, nennen Sie sie so«, sagte der Glatzkopf. Mit knallrotem Gesicht warf er einen kurzen Blick auf Jacks Hubschrauber und las die Kennung. »Sie werden schon sehen, was Sie davon haben.«

Der junge Pilot trat neben Jack und sagte hastig: »Das ist Arnie, mit dem Sie da reden. Arnie Kott.« Er rief nach oben: »Wir können jetzt starten, Arnie.« Der Pilot kletterte hoch, verschwand im Innern des Hubschraubers, und schon begann der Rotor sich wieder zu drehen.

Die Maschine hob ab und ließ Jack allein mit den fünf Bleichmännern zurück. Sie hatten jetzt ausgetrunken und aßen von dem Lunchpaket, das er ihnen gegeben hatte.

Der leere Wasserbehälter war beiseite gelegt worden. Man hatte die Paka-Eierschalen gefüllt und verschlossen. Die Bleichmänner sahen nicht auf, als der Hubschrauber davonflog. Sie achteten auch nicht weiter auf Jack; sie murmelten einander in ihrem Dialekt etwas zu.

»Wohin seid ihr unterwegs?« fragte Jack sie.

Der junge Bleichmann nannte eine Oase weit im Süden.

»Glaubt ihr, daß ihr es schafft?« fragte Jack. Er deutete auf das alte Paar. »Schaffen sie es?«

»Ja, Herr«, antwortete der junge Bleichmann. »Jetzt schaffen wir es, dank der Speise und dem Wasser, die Ihr und der andere Herr uns gegeben habt.«

Das bezweifle ich, sagte sich Jack. Sie würden es sogar dann behaupten, wenn sie wüßten, daß es unmöglich war. Rassenstolz, nehme ich an.

»Herr«, sagte der junge Bleichmann, »wir haben hier ein Geschenk für Euch, weil Ihr gelandet seid.« Er hielt Jack etwas hin.

Sie besaßen so wenig, daß er sich gar nicht vorstellen konnte, sie hätten etwas herzugeben. Doch er streckte die Hand aus, und der junge Bleichmann legte etwas Kleines und Kaltes hinein, eine dunkle, runzlige, trockene Masse, die Jack für ein Stück Baumwurzel hielt.

»Das ist eine Wasserhexe«, sagte der Bleichmann. »Sie wird Euch Wasser bringen, Herr, den Lebensborn, wann immer ihr es braucht.«

»Euch hat sie nicht geholfen, oder?« fragte Jack.

Mit einem listigen Lächeln sagte der junge Bleichmann: »Herr, sie hat geholfen; sie hat Euch zu uns geführt.«

»Und was macht ihr jetzt ohne sie?« fragte Jack.

»Wir haben noch eine. Herr, wir fertigen Wasserhexen an.« Der junge Bleichmann deutete auf das alte Paar. »Nach ihren Anweisungen.«

Als Jack die Wasserhexe näher untersuchte, sah er, daß sie ein Gesicht und Andeutungen von Gliedmaßen hatte. Sie war mumifiziert, früher also ein Lebewesen gewesen; er erkannte die angezogenen Beine, die Ohren ... es lief ihm kalt über den Rücken. Das Gesicht wirkte merkwürdig menschlich, ein verhutzeltes, leiderfülltes Gesicht, als hätte man sie unmittelbar beim Aufschreien getötet.

*

»Wie funktioniert sie?« fragte er den jungen Bleichmann.

»Früher haben wir auf die Wasserhexe gepinkelt, wenn wir Wasser brauchten, dann erwachte sie zum Leben. Heute machen wir das nicht mehr, Herr; Ihr Herren habt uns beigebracht, daß es falsch ist, zu pinkeln. Also spucken wir statt dessen auf sie, und auch das erhört sie, fast ebensogut. Es weckt sie auf, dann öffnet sie die Augen und schaut sich um, dann öffnet sie den Mund und ruft das Wasser herbei. Wie sie es mit Euch getan hat, Herr, und mit diesem anderen Herrn, dem großen, der einfach nur dasaß und nicht runterkam, dem Herrn ohne Haare auf dem Kopf.«

»Dieser Herr ist ein mächtiger Herr«, sagte Jack. »Er ist der Monarch der Siedlung der Klempnergilde, und ihm gehört ganz Lewistown.«

»Mag sein«, sagte der junge Bleichmann. »Wenn das so ist, dann werden wir nicht in Lewistown einkehren, weil wir gemerkt haben, daß der Herr ohne Haare uns nicht mochte. Wir haben ihm für sein Wasser keine Wasserhexe gegeben, weil er uns kein Wasser geben wollte; es kam nicht von Herzen, sondern nur aus seinen Händen.«

Jack verabschiedete sich von den Bleichmännern und kraxelte wieder in seinen Hubschrauber. Gleich darauf stieg er auf; unter ihm winkten ernst die Bleichmänner.

Ich werde die Wasserhexe David schenken, beschloß er. Wenn ich am Wochenende nach Hause komme. Er kann sie bepinkeln oder draufspucken, ganz wie er will, nach Herzenslust.

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