Dreizehn

Für Otto Zitte war es, als hätte er endlich wieder Zugang zum Leben; seit Norb Steiners Tod bewegte er sich wie in alten Zeiten über den Mars, machte seine Lieferungen, verkaufte, traf die Menschen von Angesicht zu Angesicht und plauderte mit ihnen.

Und obendrein war er schon einigen gutaussehenden Frauen begegnet, einsamen Hausfrauen, die tagaus, tagein in ihren Häusern in der Wüste in dumpfer Langeweile versanken und sich nach Gesellschaft sehnten ... gewissermaßen.

Bisher war es ihm noch nicht möglich gewesen, bei Mrs. Silvia Bohlens Haus vorbeizuschauen. Aber er wußte genau, wo es lag; er hatte es auf seiner Landkarte eingetragen.

Heute wollte er dorthin.

Aus diesem Anlaß warf er sich in seinen besten Anzug: ein grauer englischer Fischgräten-Einreiher, den er seit Jahren nicht mehr getragen hatte. Die Schuhe waren zu seinem Bedauern von hier, auch das Hemd. Aber der Schlips: ah. Der war gerade erst aus New York eingetroffen, der neueste Schrei in leuchtend frohen Farben; unten teilte er sich wie ein Schwalbenschwanz. Er hielt ihn bewundernd hoch. Dann band er ihn sich um und bewunderte ihn noch einmal.

Sein langes dunkles Haar glänzte. Er fühlte sich glücklich und voller Zuversicht. Heute mache ich einen ganz neuen Anfang, bei einer Frau wie Silvia, sagte er sich, als er seinen Wollmantel anzog, seine Koffer nahm und von der Lagerhalle - aus der er eine richtig gemütliche Bleibe gemacht hatte - zum Hubschrauber spazierte.

In einer schwungvollen Kurve steuerte er den Hubschrauber in den Himmel und wandte sich nach Osten. Die kahlen FDR-Berge fielen hinter ihm zurück; er überflog die Wüste und sah schließlich den George-Washington-Kanal, an dem er sich orientierte. Indem er ihm folgte, näherte er sich dem kleineren Kanalsystem, das davon abzweigte, und bald befand er sich über der Kreuzung William Butler Yeats/Herodot, ganz in der Nähe der Bohlens.

Beide Frauen, sinnierte er, sind attraktiv, June Henessy und Silvia Bohlen, aber Silvia ist mir von beiden lieber; sie hat so etwas Schläfriges und Schwüles, wie man es bei gefühlsbetonten Frauen immer findet. June ist zu schnippisch und munter; die Sorte schwatzt und schwatzt, so ein bißchen die Neunmalkluge. Ich will eine Frau, die gut zuhören kann.

Er erinnerte sich an die Schwierigkeiten, in die er schon geraten war. Möchte wissen, wie ihr Mann ist, überlegte er. Muß mich erkundigen. Viele dieser Männer nehmen das Pionierleben todernst, besonders die, die weit außerhalb der Stadt wohnen; haben Knarren in den Häusern und so.

Aber dieses Risiko mußte man eingehen, und es lohnte sich ja auch.

Nur für den Fall, daß es Ärger geben sollte, trug Otto Zitte selber eine Knarre bei sich, eine kleine Pistole, Kaliber .22, die er diskret in der Seitentasche eines seiner Koffer aufbewahrte. Sie steckte auch jetzt dort, voll geladen.

Bei mir wird nicht lange gefackelt, sagte er sich. Wenn einer Ärger will - den kann er haben.

Der Gedanke versetzte ihn in Hochstimmung, und er ließ den Hubschrauber durchsacken, kundschaftete das Gelände unter sich aus - neben dem Haus der Bohlens parkte kein Hubschrauber - und bereitete die Landung vor.

Es war angeborene Vorsicht, die ihn dazu veranlaßte, den Hubschrauber mehr als eine Meile vom Haus der Bohlens entfernt zu parken, am Steg eines Versorgungskanals. Von dort aus ging er zu Fuß und nahm bereitwillig das Gewicht der Koffer auf sich; er hatte keine andere Wahl. Zwischen ihm und dem Haus der Bohlens lag eine Anzahl weiterer Häuser, aber an keinem blieb er stehen und klopfte an; er ging schnurstracks am Kanal entlang, ohne stehen zu bleiben.

Als er sich dem Haus der Bohlens näherte, wurde er langsamer und verschnaufte. Er beäugte vorsichtig die umstehenden Häuser ... aus einem gleich nebenan drang der Lärm kleiner Kinder. Da war jemand daheim. Also näherte er sich dem Haus der Bohlens von der anderen Seite her, ging leise und so, daß er von dem Haus aus, in dem die Kinderstimmen erklangen, nicht zu sehen war.

Einmal angekommen, stieg er zur Veranda hinauf und klingelte.

Jemand spähte hinter den roten Vorhängen des Wohnzimmerfensters hervor. Otto setzte ein förmliches, korrektes Lächeln auf, das jedem Anlaß gerecht wurde.

Die Haustür öffnete sich; Silvia Bohlen stand vor ihm, geschickt frisiert und geschminkt, in einem JerseySweater und engen pinkfarbenen Caprihosen, Sandalen an den Füßen. Ihre Fußnägel waren feuerrot lackiert; das bemerkte er aus den Augenwinkeln. Offenbar hatte sie sich in Erwartung seines Besuchs zurechtgemacht. Aber sie behielt eine höfliche, gleichgültige Haltung bei; sie betrachtete ihn in reserviertem Schweigen und hielt sich dabei am Türknauf fest.

»Mrs. Bohlen«, sagte er in seinem vertraulichsten Tonfall. Er verbeugte sich. »Die Reise über Meilen karger Wüsteneinöde findet ihre gerechte Belohnung darin, Sie endlich wiederzusehen. Interessiert es Sie vielleicht, einmal einen Blick auf unser Sonderangebot an Känguruhschwanzsuppen zu werfen? Die sind unerhört delikat, ein Gericht, das es bislang zu keinem Preis auf dem Mars gab. Ich bin damit gleich zu Ihnen gekommen, weil ich weiß, daß Sie in der Lage sind, erlesene Speisen zu beurteilen und ohne groß auf den Preis zu schauen aus der Fülle des Angebots das Beste auswählen.« Und während er seine einstudierte Rede abspulte, schob er sich und seine Waren die ganze Zeit weiter auf die offene Tür zu.

Ein wenig steif und zögernd sagte Silvia: »Ähm ... kommen Sie herein.« Sie ließ zu, daß die Tür ganz aufschwang, und er trat sofort ein und legte seine Koffer auf den Boden neben dem niedrigen Wohnzimmertisch.

Sein Blick fiel auf Pfeil und Bogen eines Jungen. »Ist Ihr kleiner Sohn da?« erkundigte er sich.

»Nein«, sagte Silvia und ging mit verschränkten Armen gereizt durchs Zimmer. »Er ist heute in der Schule.« Sie versuchte zu lächeln. »Und mein Schwiegervater ist in die Stadt geflogen; er kommt erst spät zurück.«

Aha, dachte Otto; verstehe.

»Bitte nehmen Sie doch Platz«, forderte er sie auf. »Dann kann ich Ihnen alles besser zeigen, finden Sie nicht auch?« Schon hatte er einen Stuhl herangezogen, und Silvia hockte sich auf den Rand, hielt sich mit den Armen fest umschlungen und hatte die Lippen zusammengepreßt. Wie verkrampft sie ist, dachte er. Das war ein gutes Zeichen, denn es bedeutete, daß sie genau wußte, was hier vor sich ging, warum er sie besuchte, ihr Sohn nicht da war und sie sorgfältig die Haustür verschlossen hatte; die Wohnzimmervorhänge sind auch noch zugezogen, stellte er fest.

Silvia platzte heraus: »Möchten Sie einen Kaffee?« Sie sprang von ihrem Stuhl auf und stürzte in die Küche. Im nächsten Moment tauchte sie mit einem Tablett wieder auf, auf dem eine Kaffeekanne, Zucker, Sahne und zwei Porzellantassen standen.

»Danke«, schnurrte er. Als sie weg war, hatte er einen weiteren Stuhl neben ihren gezogen.

Sie tranken Kaffee.

»Haben Sie denn keine Angst, hier draußen die ganze Zeit so allein?« fragte er. »In dieser öden Gegend?«

Sie sah ihn von der Seite an. »Ach, ich hab mich wohl daran gewöhnt.«

»Von wo auf der Erde kommen Sie?«

»St. Louis.«

»Hier ist es völlig anders. Ein neues, freieres Leben. Wo man alle Fesseln abwerfen und ganz man selbst sein kann; finden Sie nicht auch? Die alten Sitten und Gebräuche, eine antiquierte Alte Welt, man vergißt sie am besten und läßt sie im Staub liegen. Hier ...« - er schaute sich im Wohnzimmer mit seinen Allerweltsmöbeln um; er hatte diese Stühle und Teppiche, diesen Nippes schon Hunderte von Malen gesehen, in ähnlichen Wohnungen - »hier spüren wir das Außergewöhnliche, den Pulsschlag, Mrs. Bohlen, der Gelegenheit, die sich dem Wagemutigen nur einmal - einmal im ganzen Leben - bietet.«

»Was haben Sie außer Känguruhschwanzsuppe noch?«

»Nun ja«, sagte er und runzelte unmerklich die Stirn, »Wachteleier; sehr gut. Echte Butter aus Kuhmilch. Saure Sahne. Geräucherte Austern. - Wissen Sie was? Bringen Sie uns ein paar gewöhnliche Kekse, und ich steuere die Butter und den Kaviar bei, als Kostprobe.« Er lächelte sie an und wurde mit einem spontanen strahlenden Lächeln ihrerseits belohnt; ihre Augen funkelten vor Erwartung, und sie sprang impulsiv auf und sauste wie ein kleines Kind in die Küche.

Wenig später saßen sie über den Tisch gebeugt beieinander und strichen die schwarzen, öligen Fischeier aus dem Gläschen auf die Kekse.

»Es geht doch nichts über echten Kaviar«, sagte Silvia seufzend. »Ich habe erst einmal in meinem Leben welchen gegessen, in einem Restaurant in San Francisco.«

»Schauen Sie, was ich sonst noch habe.« Er zog eine Flasche aus seinem Koffer hervor. »Einen grünen Ungarn aus der Weinkellerei Buena Vista in Kalifornien; dem ältesten Weinbaubetrieb des Staates!«

Sie nippten den Wein aus langstieligen Gläsern. (Auch die Gläser hatte er mitgebracht.) Silvia lehnte sich auf dem Sofa zurück, die Augen halb geschlossen. »Du meine Güte. Das ist ja wie im Märchen. Das kann einfach nicht wahr sein.«

»Ist es aber.« Otto stellte sein Glas ab und beugte sich über sie. Sie atmete langsam, gleichmäßig, als ob sie schliefe; doch sie sah ihn unverwandt an. Sie wußte genau, was sich abspielte. Und als er sich weiter und weiter vorbeugte, rührte sie sich nicht; sie versuchte nicht, sich ihm zu entziehen.

Das Essen samt Wein, überschlug er kurz, als er sie umarmte, hatten ihn - nach dem Einzelhandelspreis - um fast einhundert UN-Dollar ärmer gemacht. Aber das war es wert, jedenfalls was ihn anging.

Sein altes Problem, wieder einmal. Es war auch diesmal nicht der Mindestsatz. Es war viel mehr, dachte Otto ein wenig später, als sie aus dem Wohnzimmer ins Schlafzimmer hinübergewechselt waren, wo heruntergezogene Jalousien den Raum in regloses Dunkel tauchten, schweigend und bereit, sie aufzunehmen, für eben solche Gelegenheiten wie diese geschaffen, wußte er.

»Noch nie im Leben«, murmelte Silvia, »habe ich etwas Derartiges erlebt.« Ihre Stimme, die wie aus weiter Ferne kam, klang zufrieden und ergeben. »Bin ich betrunken, ist es das? O mein Gott.«

Dann schwieg sie lange.

»Bin ich von Sinnen?« murmelte sie später. »Ich muß verrückt sein. Ich kann es einfach nicht glauben, ich weiß, daß es nicht wahr ist. Was macht es also; wie kann etwas, das man im Traum tut, falsch sein?«

Danach sagte sie gar nichts mehr.

Sie war genauso, wie er es gern hatte: eine, die nicht viel quatschte.

*

Was ist Wahnsinn? dachte Jack Bohlen. Für ihn war es die Tatsache, daß er irgendwie Manfred Steiner verloren hatte und nicht mehr wußte, wie oder wann. Er wußte so gut wie gar nichts mehr vom gestrigen Abend bei Arnie Kott; Stück für Stück hatte er sich aus dem, was Doreen ihm erzählte, ein Bild davon gemacht, was passiert war. Wahnsinn - sich ein Bild vom eigenen Leben zusammenzusetzen, indem man bei anderen Erkundigungen einzog.

Aber die Gedächtnislücke war lediglich das Symptom für eine tiefergehende Störung. Sie wies darauf hin, daß seine Psyche zeitlich einen abrupten Sprung nach vorn getan hatte. Und das war im Anschluß an eine Phase geschehen, in der er unbewußt verschiedene Male eben den Abschnitt durchlebt hatte, der ihm jetzt fehlte.

Er hatte wieder und wieder in Arnie Kotts Wohnzimmer gesessen und den Abend im voraus erlebt, wurde ihm klar; und dann, als er endlich wirklich stattfinden sollte, hatte er ihn übersprungen. Nun quälte ihn die fundamentale Störung des Zeitsinns, die Dr. Glaub für die Basis der Schizophrenie hielt.

Dieser Abend bei Arnie Kott hatte stattgefunden und für ihn auch existiert ... nur nicht in der richtigen Reihenfolge.

Auf jeden Fall gab es keine Möglichkeit, wie man das wieder hinkriegen konnte. Es lag jetzt nämlich in der Vergangenheit. Und eine Störung des Zeitsinns der Vergangenheit war nicht etwa für Schizophrenie symptomatisch, sondern für Zwangsneurosen. Er - als Schizophrener - hatte ausschließlich mit der Zukunft ein Problem.

Und seine Zukunft hing, so wie er das nun sah, größtenteils von Arnie Kott und dessen instinktivem Bedürfnis nach Rache ab.

Welche Chance haben wir denn schon gegen Arnie? fragte er sich.

So gut wie keine.

Er wandte sich vom Fenster in Doreens Wohnzimmer ab, ging gemächlich ins Schlafzimmer und schaute auf sie hinunter, die noch immer im großen, zerwühlten Doppelbett lag und schlief.

Als er so dastand und sie ansah, wachte sie auf, erkannte ihn und lächelte zu ihm hoch. »Ich hatte einen ganz seltsamen Traum«, sagte sie. »In dem Traum dirigierte ich die Messe in h-moll von Bach, das Kyrie. Sie war im Viervierteltakt. Aber mittendrin kam jemand und nahm mir den Taktstock weg und sagte, sie wäre gar nicht in vierviertel.« Sie runzelte die Stirn. »Ist sie aber wohl. Warum sollte ich gerade sie dirigieren? Ich mag die h-moll-Messe von Bach ja nicht einmal. Arnie hat sie auf Band; er läßt sie dauernd laufen, spät nachts.«

Er dachte daran, was er in letzter Zeit geträumt hatte, vage Formen, die sich verschoben und davonhuschten; etwas über ein hohes Gebäude mit zahlreichen Zimmern, Falken oder Geier, die unaufhörlich über ihm kreisten. Und einem schrecklichen Wesen in einem Schrank ... er hatte es nicht gesehen, hatte nur gespürt, daß es da war.

»Träume beziehen sich normalerweise auf die Zukunft«, sagte Doreen. »Sie haben damit zu tun, welches Potential in einer Person steckt. Arnie will ein Symphonieorchester in Lewistown ins Leben rufen; er hat schon mit Bosley Touvrim in Neu-Israel darüber gesprochen. Vielleicht soll ich ja der Dirigent werden; vielleicht ist das die Bedeutung meines Traums.« Sie glitt vom Bett herunter und erhob sich, nackt und schlank und wohlgeformt.

»Doreen«, sagte er ruhig, »ich weiß nichts mehr von gestern abend. Was ist aus Manfred geworden?«

»Er ist bei Arnie geblieben. Weil er doch jetzt ins Camp B-G zurück muß, und Arnie sagte, er bringt ihn hin. Er fliegt ständig nach Neu-Israel, um seinen Sohn dort zu besuchen, Sam Esterhazy. Er fliegt heute hin, hat er zu dir gesagt.« Nach einer Pause sagte sie: »Jack ... hast du schon mal an Amnesie gelitten?«

»Nein«, sagte er.

»Wahrscheinlich kommt das vom Schock der Auseinandersetzung mit Arnie. Sich mit Arnie zu raufen setzt einem mächtig zu; ich kenne das.«

»Vielleicht liegt's daran«, sagte er.

»Wie wär's mit Frühstück?« Sie holte frische Kleidung aus den Schubladen ihrer Kommode, eine Bluse, Unterwäsche. »Ich brutzel uns Eier mit Speck -köstlichem dänischem Dosenspeck.« Sie zögerte und sagte dann: »Noch mehr Leckereien von Arnies Schwarzmarkt. Aber sie sind wirklich gut.«

»Von mir aus«, sagte er.

»Nachdem wir gestern abend ins Bett gegangen waren, habe ich noch stundenlang wach gelegen und mich gefragt, wie Arnie sich wohl verhält. Uns gegenüber, meine ich. Ich denke, es geht deinen Job an, Jack; ich denke, daß er Mr. Yee unter Druck setzen wird, dich gehen zu lassen. Darauf mußt du gefaßt sein. Wir beide müssen das. Und natürlich wird er mir den Laufpaß geben; versteht sich. Aber das stört mich nicht - ich habe ja dich.«

»Ja, das stimmt, du hast mich«, sagte er wie aus einem Reflex.

»Die Rache des Arnie Kott«, sagte Doreen, während sie sich im Bad das Gesicht wusch. »Aber eigentlich ist er ganz menschlich; so schaurig ist das alles nicht. Er ist mir immer noch lieber als dieser Manfred; ich kann dieses Kind einfach nicht ausstehen. Die vergangene Nacht war ein einziger Alptraum - ständig hatte ich das Gefühl, furchtbar kalte, glitschige Ranken trieben durchs Zimmer und durch meinen Kopf ... die Andeutung von etwas Schmutzigem und Bösem, das weder in mir noch außerhalb zu sein schien - nur so ganz in der Nähe. Ich weiß, woher das kam.« Nach einer Weile setzte sie hinzu: »Das war dieses Kind. Es waren seine Gedanken.«

Kurz darauf briet sie den Speck und machte Kaffee; er deckte den Tisch, und dann setzten sie sich zum Essen hin. Es roch gut, und er fühlte sich gleich viel besser, als er merkte, daß er schmecken, sehen und riechen konnte, daß er die junge Frau wahrnahm, die ihm gegenüber saß und ihre vollen roten Haare glatt nach hinten gekämmt trug, von einem lustigen bunten Band zusammengehalten.

»Ist dein Sohn David dir irgendwie ähnlich?« fragte sie.

»Um Himmels willen, nein.«

»Kommt er eher nach dir oder ...«

»Silvia«, sagte er. »Er kommt nach seiner Mutter.«

»Sie ist hübsch, nicht wahr?«

»Könnte man sagen.«

»Weißt du, Jack, vergangene Nacht, als ich wach dagelegen und gegrübelt habe ... Da dachte ich: Vielleicht liefert Arnie Manfred gar nicht in Camp B-G ab. Was würde er mit ihm anfangen, mit einem Wesen wie ihm? Arnie ist sehr phantasievoll. Jetzt, wo sein Plan geplatzt ist, FDR-Land zu kaufen ... vielleicht findet er da eine völlig neue Verwendung für Manfreds Talent der Präkognition. Plötzlich fiel mir ein - du wirst lachen -, vielleicht gelingt es ihm ja, durch Heliogabalus mit Manfred Kontakt aufzunehmen, durch seinen zahmen Bleichmann.« Dann war sie still, verzehrte ihr Frühstück und sah nicht mehr vom Teller auf.

Jack sagte: »Du könntest recht haben.« Allein sie das sagen zu hören, tat ihm schon weh. Es klang so wahr; es erschien völlig plausibel.

»Du hast dich nie mit Heliogabalus unterhalten«, sagte Doreen. »Er ist die zynischste, bitterste Person, der ich je begegnet bin. Sogar Arnie behandelt er höhnisch; er haßt jeden. Ich glaube, er ist innerlich total verkorkst.«

»Habe ich Arnie gebeten, den Jungen zu sich zu nehmen? Oder war das seine Idee?«

»Arnie hat es vorgeschlagen. Anfangs warst du nicht einverstanden. Aber du warst schon so - unzugänglich und verschlossen. Es war spät, und wir hatten alle eine Menge gebechert - weißt du das noch?«

Er nickte.

»Bei Arnie gibt es diesen Black Label Jack Daniels. Ich allein hab wohl schon ein Fünftel davon getrunken.« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Keiner auf dem Mars hat solchen Stoff wie Arnie; er wird mir fehlen.«

»Auf dem Gebiet habe ich nicht viel zu bieten«, sagte Jack.

»Ich weiß. Schon in Ordnung. Das erwarte ich auch nicht von dir; eigentlich erwarte ich gar nichts. Gestern abend geschah alles so schnell; im einen Moment haben wir noch zusammengearbeitet, du und ich und Arnie -und dann schien auf einmal klar zu sein, daß wir auf verschiedenen Seiten stehen, daß wir nie wieder beisammen sein werden, jedenfalls nichts als Freunde. Das ist schrecklich.« Sie rieb sich mit der Handfläche das rechte Auge. Eine Träne rollte ihr die Wange hinunter. »Himmel, ich weine«, sagte sie ärgerlich.

»Wenn wir zurückgehen und den gestrigen Abend neu leben könnten ...«

»Ich würde es nicht anders machen«, sagte sie. »Ich bedaure nichts. Und das solltest du auch nicht.«

»Danke«, sagte er. Er nahm ihre Hand. »Mit deiner Hilfe werde ich es schaffen. Wie es so schön heißt: Ich bin nicht viel, aber ich bin alles, was ich habe.«

Sie lächelte, und nach einer Weile aß sie weiter.

*

Anne Esterhazy machte gerade auf dem vorderen Ladentisch ihres Geschäfts ein Paket versandfertig. Als sie den Aufkleber ausfüllte, betrat ein Mann den Laden; sie blickte auf und sah ihn, einen hochgewachsenen, dürren Mann mit einer Brille, die ihm viel zu groß war. Die Erinnerung rief Abscheu in ihr wach, als sie Dr. Glaub erkannte.

»Mrs. Esterhazy«, sagte Dr. Glaub, »ich möchte gern mit Ihnen reden, wenn Sie erlauben. Ich bedaure unseren Streit; ich habe mich regressiv verhalten, wie jemand auf der oral-saugenden Stufe, und dafür möchte ich mich entschuldigen.«

Sie sagte kühl: »Was wünschen Sie, Doktor? Ich habe zu tun.«

Mit leiserer Stimme sagte er hastig und monoton: »Mrs. Esterhazy, es geht um Arnie Kott und ein Projekt, das er mit einem abnormen Jungen aus dem Camp durchführen will. Ich möchte, daß Sie Ihren Einfluß auf Mr. Kott und ihren Eifer in humanitären Fragen nutzen, damit nicht an einem unschuldigen, introvertierten schizoiden Individuum, das lediglich durch sein Arbeitsgebiet in Mr. Kotts Vorhaben hineingezogen wurde, schwerwiegende Grausamkeiten verübt werden. Dieser Mann ...«

»Warten Sie«, unterbrach sie ihn. »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.« Sie winkte ihm, sie in den hinteren Bereich des Ladens zu begleiten, wo keiner, der zufällig hereinkäme, sie hören konnte.

»Dieser Mann, Jack Bohlen«, sagte Dr. Glaub noch atemloser als vorher, »könnte als Ergebnis von Kotts Rachegelüsten einer permanenten Psychose verfallen, und ich bitte Sie, Mrs. Esterhazy ...« Er bettelte und flehte.

Ach, du meine Güte, dachte sie. Noch eine gute Sache, für die ich mich einsetzen soll - habe ich davon nicht schon genug?

Aber sie hörte zu; es blieb ihr nichts anderes übrig. Außerdem lag es in ihrer Natur.

Dr. Glaub plapperte immer weiter, und allmählich begann sie eine Vorstellung von der Lage zu entwickeln, die er zu schildern versuchte. Es war klar, daß er gegen Arnie einen Groll hegte. Und doch - es steckte noch mehr dahinter. Dr. Glaub war eine merkwürdige Mischung aus Idealist und kindischem Neider, irgendwie ein komischer Kauz, dachte Anne Esterhazy beim Zuhören.

»Ja«, sagte sie an einer Stelle, »das klingt ganz nach Arnie.«

»Ich wollte schon zur Polizei gehen.« Dr. Glaub schwatzte weiter. »Oder zu den UN-Behörden, und dann dachte ich an Sie, also bin ich hergekommen.« Er sah sie eindringlich an, verschlagen, aber durchaus entschlossen.

*

Um zehn Uhr an diesem Morgen betrat Arnie Kott das Büro der Yee Company in Bunchewood Park. Ein großgewachsener, intelligent aussehender Chinese Ende Dreißig näherte sich ihm und fragte nach seinen Wünschen.

»Ich bin Mr. Yee.« Sie schüttelten sich die Hand.

»Dieser Bohlen, den ich von Ihnen gemietet habe.«

»Ach ja. Ist er nicht ein erstklassiger Mechaniker? Natürlich ist er das.« Mr. Yee sah ihn gewieft und argwöhnisch an.

Arnie sagte: »Er gefällt mir so gut, daß ich Ihnen gern den Vertrag abkaufen möchte.« Er zückte sein Scheckheft. »Nennen Sie mir den Preis.«

»Oh, Mr. Bohlen müssen wir behalten«, protestierte Mr. Yee mit erhobenen Händen. »Nein, Sir, wir können ihn vermieten, aber uns nicht endgültig von ihm trennen.«

»Sagen Sie schon, was Sie haben wollen.« Du hageres, durchtriebenes Schlitzohr, dachte Arnie.

»Uns von Mr. Bohlen trennen - wir könnten ihn doch nie ersetzen!«

Arnie wartete.

Mr. Yee überlegte: »Ich könnte ja einmal unsere Unterlagen durchgehen. Aber es würde Stunden dauern, auch nur annähernd Mr. Bohlens Wert festzustellen.«

Arnie wartete, das Scheckheft in der Hand.

*

Nachdem Arnie Kott Jack Bohlens Arbeitsvertrag der Yee Company abgekauft hatte, flog er wieder heim nach Lewistown. Er fand Helio gemeinsam mit Manfred im Wohnzimmer vor; Helio las dem Jungen laut aus einem Buch vor. »Was soll dieser Hokuspokus?« wollte Arnie wissen.

Helio ließ sein Buch sinken und sagte: »Das Kind hat eine Sprachstörung, die ich beseitigen werde.«

»Blödsinn«, sagte Arnie, »die wirst du nicht beseitigen.« Er zog seinen Mantel aus und hielt ihn Helio hin. Nach einer Weile legte der Bleichmann das Buch widerstrebend zur Seite und nahm den Mantel entgegen; er ging fort, um ihn in die Garderobe zu hängen.

Manfred schien Arnie aus dem Augenwinkel zu mustern.

»Wie geht's, Kleiner?« sagte Arnie mit freundlicher Stimme. Er gab dem Jungen einen Klaps auf den Rücken. »Hör zu, willst du in dieses Irrenhaus zurück, dieses nutzlose Camp B-G? Oder willst du bei mir bleiben? Ich geb dir zehn Minuten, dich zu entscheiden.«

Bei sich dachte Arnie: Du bleibst bei mir, ganz gleich, wie deine Entscheidung ausfällt. Du verrücktes, dämliches kleines Balg, du und dein Herumgetänzel auf Zehenspitzen, dein Schweigen und Jedermann-Ignorieren. Seit gestern abend steht für mich zweifelsfrei fest, daß irgendwo tief drin in deinem Spatzengehirn das Talent schlummert, in die Zukunft zu sehen.

Helio kam zurück und sagte: »Er will bei Ihnen bleiben, Herr.«

»Nichts lieber als das«, sagte Arnie erfreut.

»Seine Gedanken«, sagte Helio, »sind für mich glasklar, so wie meine für ihn. Wir sind beide Gefangene, Herr, in Feindesland.«

Darüber lachte Arnie laut und lange.

»Wahrheit amüsiert den Unwissenden«, sagte Helio.

»Okay«, sagte Arnie, »ich bin also unwissend. Es macht mir einfach nur höllisch viel Spaß zu sehen, daß du dieses irre Kind magst, das ist alles. Nichts für ungut. Ihr habt also etwas gemeinsam, ihr zwei? Das erstaunt mich nicht.« Er schnappte sich das Buch, aus dem Helio vorgelesen hatte. »Pascal«, las er. »Provinzialbriefe. Jesus im Himmel, was soll das denn? Ergibt das überhaupt einen Sinn?«

»Die Rhythmen«, sagte Helio geduldig. »Große Prosa hat eine Phrasierung, die auf die umherschweifende Aufmerksamkeit des Jungen wirkt und sie festhält.«

»Wieso schweift sie umher?«

»Aus Angst.«

»Angst wovor?«

»Vor dem Tod«, sagte Helio.

Ernüchtert sagte Arnie: »Aha. So, so ... vor dem eigenen Tod? Oder vor dem Tod im allgemeinen?«

»Der Junge durchlebt sein eigenes Alter, sieht sich im Zustand des Verfalls in Jahrzehnten in einem Seniorenheim liegen, das hier auf dem Mars erst noch gebaut werden muß, ein Ort des Niedergangs, den er über alle Maßen verabscheut. An diesem künftigen Ort verbringt er bettlägrig leere Jahre der Schwäche - ein Objekt, kein Mensch mehr, am Leben erhalten durch stupide Gesetze. Sobald er versucht, seine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu richten, wird er gleich wieder von dieser entsetzlichen Vision seiner selbst heimgesucht.«

»Erzähl mir von diesem Seniorenheim«, sagte Arnie.

»Es wird bald gebaut werden«, sagte Helio. »Nicht unmittelbar für diesen Zweck, sondern erst als riesiges Wohnheim für Marseinwanderer.«

»Ach ja«, sagte Arnie, als ihm etwas dämmerte. »In den FDR-Bergen.«

»Die Leute kommen an«, sagte Helio, »lassen sich nieder, leben hier und vertreiben die wilden Bleichmänner aus ihren letzten Zufluchtsstätten. Dafür belegen die Bleichmänner das ohnehin schon sterile Land mit einem Fluch. Die Siedler von der Erde scheitern; ihre Gebäude verfallen von Jahr zu Jahr mehr. Die Siedler kehren schneller zur Erde zurück, als sie herkommen. Schließlich führt man das Gebäude einem anderen Zweck zu: Es wird ein Heim für die Alten und Armen, für die Greisen und Gebrechlichen.«

»Warum redet er nicht? Erklär mir das.«

»Um von seiner entsetzlichen Vision loszukommen, zieht er sich in glücklichere Zeiten zurück, in Zeiten, als er noch im Körper seiner Mutter weilte, wo sonst niemand war, wo es keine Veränderung, keine Zeit und kein Leid gab. Das Leben im Mutterleib. Dort will er sein, in der einzigen Glückseligkeit, die er je gekannt hat. Herr, er weigert sich, diesen lieben Ort zu verlassen.«

»Verstehe«, sagte Arnie, glaubte dem Bleichmann aber nur halbwegs.

»Sein Leid gleicht dem unsrigen, dem aller Menschen. Aber für ihn ist es noch viel schlimmer, weil er sein Vorauswissen hat, das uns fehlt. Das ist ein schreckliches Wissen. Kein Wunder, daß er in seinem Innern - dunkel geworden ist.«

»Ja, er ist genauso dunkel wie ihr«, sagte Arnie, »und zwar nicht äußerlich, sondern wie du schon sagtest -innen. Wie kannst du ihn nur ertragen?«

»Ich ertrage alles«, sagte der Bleichmann.

»Weißt du, was ich glaube?« sagte Arnie. »Ich glaube, er kann mehr, als nur die Zukunft vorhersagen. Ich glaube, er beherrscht die Zeit.«

Die Augen des Bleichmannes trübten sich. Er zuckte die Achseln.

»Stimmt's nicht?« beharrte Arnie. »Paß auf, Heliogabalus, du schwarzer Bastard; das Kind hat mit dem gestrigen Abend Schindluder getrieben. Ich weiß es. Er hat alles vorhergesehen und sein Glück damit versucht. Wollte er, daß er nicht stattfindet? Er hat versucht, die Zeit anzuhalten.«

»Vielleicht«, sagte Helio.

»Das ist wirklich ein Talent«, sagte Arnie. »Durchaus möglich, daß er nach Belieben in die Vergangenheit zurück kann und fähig ist, die Gegenwart zu ändern. Wenn du weiter mit ihm arbeitest, achte darauf. Hör mal, hat diese Doreen Anderton heute morgen angerufen, oder ist sie vorbeigekommen? Ich möchte mit ihr sprechen.«

»Nein.«

»Hältst du mich für verrückt? Wegen dem, was ich über dieses Kind und seine etwaigen Fähigkeiten denke?«

»Die Wut treibt Sie an, Herr«, sagte der Bleichmann. »Ein Mann, den die Wut antreibt, kann in seiner Leidenschaft über die Wahrheit stolpern.«

»Was für ein Quatsch«, sagte Arnie empört. »Kannst du nicht einfach ja oder nein sagen? Mußt du immer so blödes Zeug daherreden?«

Helio sagte: »Herr, ich werde Ihnen etwas über Mr. Bohlen verraten, dem Sie doch gern eins auswischen möchten. Er ist sehr vergrätzlich ...«

»Verletzlich«, berichtigte Arnie ihn.

»Danke. Er ist zerbrechlich und leicht verwundbar. Es dürfte eine Kleinigkeit für Sie sein, ihn abzuservieren. Aber er hat einen Glücksbringer, den ihm jemand geschenkt hat, der ihn sehr schätzt, oder vielleicht waren es auch mehrere. Eine Wasserhexe der Bleichmänner. Sie könnte ihm völlige Sicherheit gewähren.«

Nach einer Pause sagte Arnie: »Wir werden sehen.«

»Ja«, sagte Helio in einem Ton, den Arnie noch nie bei ihm gehört hatte. »Wir werden abwarten müssen und schauen, welche Kraft noch in solchen alten Gebilden steckt.«

»Der lebende Beweis dafür, daß dieser Mist einen Dreck wert ist, bist doch du selber. Du ziehst es vor, hier Befehle von mir entgegenzunehmen, mir mein Essen zu bringen, den Boden zu fegen und meinen Mantel aufzuhängen, statt wie damals, als ich dich fand, in der Marswüste umherzustreunen. Da draußen, wie ein verendendes Tier, das um Wasser bettelt.«

»Hmm«, murmelte der Bleichmann. »Vielleicht.«

»Und vergiß das bloß nicht«, sagte Arnie. Sonst findest du dich eines Tages da draußen wieder, mit deinen Paka-Eiern und deinen Pfeilen, wie du auf dem Weg ins Nichts, ins absolute Nichts dahinstolperst, dachte er bei sich. Ich erweise dir einen großen Gefallen, indem ich dich hier wie einen Menschen leben lasse.

*

Am frühen Nachmittag bekam Arnie Scott eine Nachricht von Scott Temple. Er legte sie in sein Dechiffriergerät, und bald lauschte er dessen Worten.

»Wir haben das Gelände von diesem Typen gefunden, Arnie, draußen in den FDR-Bergen. Er war nicht da, aber eine Zubringerrakete war gerade gelandet; eigentlich haben wir den Laden so überhaupt erst aufgespürt - wir sind der Spur der runterkommenden Rakete gefolgt. Na, jedenfalls hatte der Kerl eine riesige Lagerhalle voller Delikatessen; wir haben alle Leckereien abgegriffen, und jetzt lagern sie in unserem Speicher. Dann haben wir ihm eine A-Waffe vom Saat-Typ hingesetzt und das ganze Gelände samt Schuppen und umliegender Gerätschaften in die Luft gejagt.«

Hat sich gelohnt, dachte Arnie.

»Und genau wie du es wolltest, haben wir ihm, damit ihm auch klar ist, mit wem er es zu tun hat, eine Nachricht dagelassen. An die Ruine des Landeplatzturms haben wir einen Zettel gesteckt, mit den Worten: Arnie Kott steht nicht auf Typen wie dich. Wie findest du das, Arnie?«

»Finde ich prima«, sagte Arnie laut, obwohl ihm das Ganze ein bißchen - wie war noch das Wort? -abgedroschen vorkam.

Die Nachricht ging weiter: »Und wenn er zurückkommt, wird er sie gleich vorfinden. Ich dachte -ist nur so eine Idee, du kannst sie gern korrigieren -, daß wir im Lauf der Woche mal dort hinfliegen sollten, nur um sicherzugehen, daß er nicht alles wieder aufbaut. Manche von diesen unabhängigen Unternehmern sind nicht ganz bei Trost, wie diese Knilche letztes Jahr, die versucht haben, ihr eigenes Telefonnetz einzurichten. Jedenfalls glaube ich, daß die Sache damit ausgestanden ist. Und übrigens - er hat das alte Zeug von Norb Steiner benutzt; wir haben dort Unterlagen gefunden, mit Steiners Namen drauf. Du hattest also recht. Nur gut, daß wir dem Typen gleich auf die Pelle gerückt sind, er hätte uns echt gefährlich werden können.«

Die Nachricht endete. Arnie legte eine Spule auf sein Chiffriergerät, setzte sich ans Mikro und antwortete.

»Scott, das hast du gut gemacht. Danke. Ich hoffe, das war das letzte, was wir von dem Kerl gehört haben, und ich bin auch einverstanden damit, daß du seine Vorräte konfisziert hast; wir können das alles brauchen. Komm doch irgendwann abends auf einen Drink vorbei.« Er hielt den Mechanismus an und spulte das Band zurück.

Aus der Küche drang unaufhörlich die gedämpfte Stimme von Heliogabalus, der Manfred Steiner laut vorlas. Das zu hören machte Arnie ganz irre, und dann kam Ärger auf den Bleichmann in ihm hoch. Wieso hast du zugelassen, daß ich mit Jack Bohlen aneinandergerate, wenn du die Gedanken des Kindes lesen kannst? wollte er wissen. Wieso hast du nichts gesagt?

Er spürte brennenden Haß gegenüber Heliogabalus. Auch du hast mich betrogen, sagte er sich. Genau wie die anderen, Anne und Jack und Doreen; alle.

Er ging zur Küchentür und rief: »Kommt endlich was dabei raus?«

Heliogabalus ließ sein Buch sinken und sagte: »Herr, das erfordert Zeit und Mühe.«

»Zeit!« sagte Arnie. »Himmel noch mal, das ist doch das ganze Problem. Schick ihn in die Vergangenheit zurück, sagen wir um zwei Jahre, und laß ihn den Henry Wallace in meinem Namen kaufen - kannst du das?«

Er bekam keine Antwort. Heliogabalus schien die Frage zu absurd zu sein, um sie auch nur in Erwägung zu ziehen. Mit zornrotem Kopf knallte Arnie die Küchentür zu und stapfte ins Wohnzimmer zurück.

Dann bring ihn eben dazu, daß er mich in die Vergangenheit schickt, sagte sich Arnie. Diese Fähigkeit der Zeitreise muß doch zu irgendwas nütze sein; wieso bekomme ich nicht die Ergebnisse, die ich haben will? Was ist überhaupt mit allen los?

Sie lassen mich warten, bloß um mich zu ärgern, sagte er sich.

Aber ich werde nicht länger warten, beschloß er.

*

Um ein Uhr nachmittags war noch immer kein telefonischer Auftrag von der Yee Company eingegangen. Jack Bohlen, der in Doreen Andertons Apartment neben dem Telefon wartete, wurde klar, daß etwas nicht stimmte.

Um halb zwei rief er Mr. Yee an.

»Ich hatte angenommen, daß Mr. Kott Sie informieren würde, Jack«, sagte Mr. Yee in seiner nüchternen Art.

»Sie sind nicht länger bei mir angestellt, Jack; Sie gehören jetzt ihm. Danke für Ihre ausgezeichnete Arbeit.«

Niedergeschmettert durch diese Nachricht, sagte Jack: »Kott hat meinen Vertrag gekauft?«

»So ist es, Jack.«

Jack legte auf.

»Was hat er gesagt?« fragte Doreen, die ihn aus großen Augen ansah.

»Ich gehöre jetzt Arnie.«

»Was hat er vor?«

»Keine Ahnung«, sagte er. »Ich ruf ihn mal besser an und finde es heraus. Sieht nicht so aus, als ob er mich anrufen würde.« Er spielt mit mir, dachte er. Sadistische Spielchen ... macht ihm wahrscheinlich Spaß.

»Hat keinen Zweck, ihn anzurufen«, sagte Doreen. »Er sagt nie was am Telefon. Wir müssen schon zu ihm gehen. Ich möchte mit; bitte laß mich mit.«

»Okay«, sagte er und ging zur Garderobe, um seinen Mantel zu holen. »Gehen wir«, sagte er.

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