In der späten Dämmerung traten der Koordinator und der Ingenieur ins Freie, um Luft zu schöpfen.
Sie setzten sich auf den Haufen Sand, den sie herausgeschafft hatten, und betrachteten den letzten Saum der rubinroten Sonnenscheibe. „Das hätte ich nicht gedacht“, murmelte der Ingenieur. „Ich auch nicht.“
„Keine schlechte Arbeit, die Säule, stimmt's?“
„Solide irdische Arbeit.“
„Kaum vorzustellen, dass sie das ausgehalten hat!“ Sie schwiegen eine Weile. „Ein schöner Anfang“, begann der Koordinator wieder. „Es wird noch etwas zu nervös gearbeitet“, bemerkte der Ingenieur.
„Weißt du, das ist ein Langstreckenlauf. Unter uns gesagt, wir haben ungefähr ein Hundertstel von dem getan, was zu tun ist, damit.…“
„Ich weiß. Übrigens steht noch nicht fest, ob…“
„Der gravimetrische Regler, wie?“
„Nicht nur. Die Steuerdüsen, das gesamte untere Deck.“
„Das schaffen wir.“
„Ja.“ Die Blicke des Ingenieurs, die blind über die Umgebung schweiften, blieben dicht hinter dem Hügel an einer länglichen, nicht sehr hohen Aufschüttung hängen. Das war die Stelle, wo sie die Reste des Geschöpfes vergraben hatten.
„Ich hatte das völlig vergessen“, sagte er verwundert. „Mir ist, als wäre es vor einem Jahr geschehen, weißt du.“
„Ich nicht. Ich habe die ganze Zeit daran gedacht, das heißt an dieses Tier. Und zwar an diesen Gegenstand, den der Arzt in seiner Lunge fand.“
„Wie? Ach so, er sagte ja etwas darüber. Was ist es denn gewesen?“
„Eine Nadel.“
„Was?“
„Vielleicht auch keine Nadel. Du kannst es dir selbst ansehen. Es steht im Glas, in der Bibliothek. Ein Stück dünnes Rohr, abgebrochen, mit einem scharfen Ende, das schräg geschnitten ist, wie die Injektionsnadeln.“
„Was denn.…?“
„Mehr weiß ich nicht.“
Der Ingenieur stand auf. „Es ist erstaunlich, aber ich begreife selbst nicht, warum mich das so wenig interessiert. Eigentlich gar nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Weißt du, ich fühle mich jetzt so wie vor dem Start. Oder wie ein Flugpassagier, der für ein paar Minuten auf einem fremden Flughafen gelandet ist, sich unter die Menge der Einheimischen gemischt hat und Zeuge einer sonderbaren, unbegreiflichen Szene geworden ist, der aber weiß, dass er nicht zu diesem Ort gehört, dass er wenig später wegfliegen wird. Und so dringt aus der Umgebung alles wie aus großer Entfernung zu ihm, fremd und unfaßbar.“
„Wir fliegen nicht gleich weg…“
„Ich weiß, aber ich habe eben dieses Gefühl.“
„Gehen wir jetzt zu ihnen. Hinlegen können wir uns nicht, solange wir nicht die Provisorien ausgewechselt haben. Auch die Sicherungen müssen ordentlich befestigt werden. Die Säule kann dann im Leerlauf arbeiten.“
„Gut, gehen wir.“
Sie verbrachten die Nacht in der Rakete, ohne die kleinen Lichter zu löschen. Hin und wieder wachte einer von ihnen auf, überprüfte mit einem geistesabwesenden Blick, wie die Glühbirnen brannten, und schlief beruhigt wieder ein. Früh standen sie mit frischen Kräften auf. Zuerst machten sie den einfachsten Reinigungshalbautomaten flott, der alle paar Minuten klemmte, weil er machtlos in den Schutthaufen steckenblieb, die alles verrammelten. Der Kybernetiker war andauernd mit dem Werkzeug hinter ihm her, zog ihn wie einen Dackel aus einem Fuchsloch, beseitigte das Gerumpel, das zu groß für den Rachen des Greifers war, und brachte ihn wieder in Gang. Der Halbautomat scharrte emsig vor sich hin, fraß sich in den nächsten Gerümpelberg, und alles ging von vorne los.
Nach dem Frühstück erprobte der Doktor seinen Rasierapparat, mit dem Erfolg, dass die Freunde glaubten, er trage eine braune Maske: Die Stirn, die Haut rings um die Augen und die obere Gesichtshälfte waren von der Sonne verbrannt, die untere dagegen war völlig weiß. Die anderen folgten seinem Beispiel und erkannten einander in den Hungerleidern mit den hervortretenden Kiefernkaum wieder. „Wir müssen uns besser ernähren.“ Der Chemiker musterte entsetzt sein Bild im Spiegel.
„Möchtest du frisches Wildbret?“ fragte der Kybernetiker. Der Chemiker schüttelte sich. „Danke, nein. Sprich bitte nicht davon. Mir ist es erst jetzt eingefallen. Ich habe davon geträumt, von dieser… von diesem…“
„Von dem Tier?“
„Wer weiß, ob es ein Tier war.“
„Was dann?“
„Welches Tier wäre imstande, einen Generator in Gang zu setzen?“ Die anderen hörten dem Gespräch zu.
„Man hat festgestellt, dass alle Wesen auf einer höheren Entwicklungsstufe Kleidung erfinden“, sagte der Ingenieur. „Dieses Doppelwesen dagegen war nackt.“
„Was sagst du? Nackt?“ fragte der Doktor nachdenklich. „Warum zweifelst du?“
„Von einer Kuh oder von einem Affen würdest du nicht sagen, dass sie nackt sind.“
„Weil sie ein Fell haben.“
„Ein Flußpferd oder ein Krokodil hat kein Fell, dennoch würdest du sie nicht nackt nennen.“
„Was tut's? Ich habe es nur so gesagt.“
„Eben.“ — Sie verstummten für eine Weile.
„Es wird zehn“, sagte der Koordinator. „Wir sind ausgeruht, ich denke, wir machen diesmal einen Ausfall in eine andere Richtung als neulich. Der Ingenieur sollte die Elektrowerfer vorbereiten. Wie steht's damit?“
„Wir haben fünf Stück. Alle sind geladen.“
„Gut. Das letztemal gingen wir nach Norden, jetzt gehen wir nach Osten. Und zwar mit Waffen, natürlich werden wir uns bemühen, sie nicht zu benutzen. Vor allem, wenn wir diesen Doppelwesen begegnen sollten, wie der Ingenieur sie genannt hat.“
„Doppelt? Doppelt?“ wiederholte der Doktor unzufrieden, wie um den Namen auszuprobieren. „Das scheint mir wenig geglückt und wird sich deshalb wohl halten. Das ist immer so.“
„Gehen wir gleich?“ fragte der Physiker. „Ich denke, ja. Wir müssen nur die Klappe sichern, um neuen Überraschungen vorzubeugen.“
„Könnten wir nicht den Geländewagen mitnehmen?“ schlug der Kybernetiker vor.
„Kaum. Ich brauche mindestens fünf Stunden, um ihn flottzumachen“, entgegnete der Ingenieur. „Es sei denn, wir verschieben den Ausflug auf morgen.“ Keiner hatte jedoch Lust, die Expedition zu verschieben. Also zogen sie gegen elf Uhr los, weil noch etwas Zeit für die Vorbereitung des Gepäcks draufging. Sie marschierten paarweise, als ob sie es abgesprochen hätten, in geringem Abstand voneinander, obwohl keiner so etwas vorgeschlagen hatte. Der Doktor, der als einziger ohne Waffe war, ging in der Mitte. Ob der Boden tatsächlich günstigere Bedingungen für eine Fußwanderung bot oder ob sie munterer ausschritten, jedenfalls hatten sie vor Ablauf einer Stunde die Rakete aus den Augen verloren. Die Landschaft änderte sich allmählich. Immer mehr schlanke graue „Kelche“
tauchten auf, um die sie einen Bogen machten. In der Ferne zeigten sich Hügel, kuppeiförmig im Norden, zur Ebene hin in ziemlich steilen Furchen und Brüchen abfallend, in Höhe ihrer Marschlinie mit dunklen Flecken von Flora bedeckt. Unter ihren Füßen raschelten die trockenen Flechten, grau, wie mit Asche zugeschüttet, aber das war ihre natürliche Farbe; ihre jungen Triebe waren weißlich geäderte Röhrchen, aus denen kleine perlenartige Bläschen wuchsen.
„Soll ich euch sagen, was hier am meisten fehlt?“ sagte der Physiker plötzlich. „Gras. Gewöhnliches Gras. Ich hätte nie geglaubt, dass es so…“, er suchte nach dem richtigen Ausdruck, „dass es so unentbehrlich sein kann…“ Die Sonne brannte. Als sie sich den Hügeln genähert hatten, drang ein gleichmäßiges fernes Rauschen zu ihnen.
„Eigenartig, es weht kein Wind, und dort rauscht es“, bemerkte der Chemiker. „Das kommt von dorther.“ Der Koordinator, der hinter ihm ging, deutete mit der Hand auf die Hügel. „Offenbar ist derWind weiter oben. Aber das sind ja ganz und gar irdische Bäume!“
„Sie haben eine andere Farbe und glänzen so…“
„Nein, sie sind zweifarbig“, warf der Doktor ein, der ein gutes Auge hatte.
„Sie sind abwechselnd zweifarbig, mal mehr violett, mal blau mit einer gelben Schattierung.“ Die Ebene blieb hinter ihnen zurück. Sie betraten auf gut Glück den breiten Hals einer Schlucht mit lehmigen, abbröckelnden Wänden. Die Wände waren im Schatten mit einem zarten Nebel bedeckt, der sich, aus der Nähe gesehen, als eine Art Flechte oder auch als Spinnweben erwies. Die Meinungen waren geteilt, die Gebilde erinnerten an lockere Knäuel von Glaswolle, die nur lose an den Hängen befestigt waren. Sie hoben die Köpfe, weil sie gerade die erste Ansammlung von Bäumen passierten, die am Rande des Bruches, etwa ein Dutzend Meter über ihnen, wuchsen. „Das sind ja gar keine Bäume!“ rief der Kybernetiker enttäuscht aus.
Die sogenannten „Bäume“ hatten dicke, stark glänzende, gleichsam mit Fett eingeriebene Stämme und vielschichtige Kronen, die gleichmäßig pulsierten: einmal dunkler und voller, einmal blasser und lichtdurchlässiger. Diese Wandlungen waren von einem trägen Geräusch begleitet, wie wenn jemand mit den Lippen an einem elastischen Material flüsternd „Fssss — hhaaa — fsss — hhaaa“ wiederholte. Als sie sich einen der Bäume genauer ansahen, entdeckten sie bananenlange Blasen, die aus den gewundenen Ästen herausragten, mit traubenartigen Verdickungen, die sich aufblähten und dabei dunkler wurden, dann zusammenfielen, sich aufhellten und verblaßten.
„Der Baum atmet“, murmelte der Ingenieur erstaunt und lauschte dem unablässigen Widerhall, der die ganze Schlucht erfüllte. „Horcht nur, jeder hat einen anderen Rhythmus“, rief der Doktor wie beglückt. „Je kleiner, desto schneller atmet er! Das sind Lungenbäume!“
„Weiter! Kommt weiter!“ drängte der Koordinator, der schon ein Stück vorausgegangen war. Sie folgten ihm. Die Schlucht, die anfangs ziemlich breit gewesen war, wurde allmählich enger. Ihr Grund stieg leicht an und führte sie schließlich auf einen kuppeiförmigen Hügel zwischen zwei tiefer gelegenen Baumgruppen.
„Wenn du die Augen zumachst, hast du den Eindruck, du stehst am Meer. Versuch's mal!“ sagte der Physiker zum Ingenieur. „Ich schließe lieber nicht die Augen“, erwiderte der. Sie näherten sich dem höchsten Punkt des Hügels, wobei sie ein wenig von der Marschrichtung abwichen. Vor ihnen lag eine faltige, verschiedenfarbige Gegend: gegliederte Schonungen von atmenden Bäumen, die olivgrün und rostbraun flimmerten, honighelle Hänge der lehmigen Hügel und Erdflecken, die in der Sonne mit silbrigem und im Schatten mit graugrünem Moos bedeckt waren. Das Gelände war in verschiedenen Richtungen von schmalen Linien durchschnitten. Sie zogen sich über den Boden der Talkessel hin und wichen den fingerartig vorgeschobenen Hängen aus. Die einen waren rostbraun, andere fast weiß, wie mit Sand beschüttete Pfade, wieder andere waren nahezu schwarz, wie Streifen von Kohlengrus.
„Das sind Wege!“ rief der Ingenieur, aber er berichtigte sich sogleich. „Nein, als Wege sind sie zu schmal.…“ Was mag das sein?“
„Hinter dem Spinnenwäldchen hatten wir etwas Ähnliches entdeckt, jenen kleinen Rasen“, sagte der Chemiker und blickte durch das Fernglas. „Nein, die waren anders“, wandte der Kybernetiker ein.
„Seht nur, seht!“ Alle zuckten beim Aufschrei des Doktors zusammen.
In mehreren hundert Meter Entfernung glitt etwas Durchsichtiges über einen gelben Strich, der von einem breiten Sattel zwischen zwei Hügeln herunterführte. Das Gebilde schimmerte blaß in der Sonne wie ein transparentes, sich schnell drehendes Speichenrad. Als es sich für einen Augenblick vor dem Hintergrund des Himmels befand, war es fast gar nicht mehr zu sehen, erst weiter unten, zu Füßen der Böschung, blitzte es als wirbelndes Knäuel heller auf, schwamm mit großer Geschwindigkeit dieGerade hinunter, vorbei an einer Gruppe atmender Bäume, vor deren dunklem Hintergrund es aufleuchtete, und verschwand dann im Ausgang einer fernen Schlucht.
Der Doktor sah die Gefährten an, er war blaß, seine Augen glühten.
„Interessant, was“, sagte er und zeigte die Zähne, als ob er lächelte, aber seine Augen verrieten keine Freude.
„Verdammt, ich hab mein Fernglas vergessen, gib mal deins“, bat der Ingenieur den Kybernetiker.
„Operngläser“, murmelte er nach einer Weile verächtlich und reichte ihm das Fernglas zurück. Der Kybernetiker ergriff den glasigen Kolben des Elektrowerfers und schien sein Gewicht in der Hand abzuschätzen. „Ich glaube, wir sind ziemlich schlecht bewaffnet“, sagte er zögernd.
„Warum denkst du jetzt an Kampf?“ fragte der Chemiker. Sie schwiegen eine Weile und hielten Ausschau. „Gehen wir weiter?“ Der Kybernetiker wurde ungeduldig. „Natürlich“, erwiderte der Koordinator. „Da, noch eines! Seht!“ Ein zweites flatterndes Blitzen. Es sauste viel schneller als das erste dahin, beschrieb einen S-Bogen zwischen den Hügeln und schien ein paarmal dicht über dem Boden zu segeln. Als es eine Zeitlang auf sie zu jagte, verloren sie es vollends aus den Augen. Erst als es wieder abbog, konnten sie die schnell rotierende, nebelhaft schimmernde Scheibe wieder sehen.
„Sicher ein Fahrzeug…“, murmelte der Physiker und berührte den Arm des Ingenieurs, ohne den Blick von der Erscheinung zu wenden, die sich, schwächer und kleiner werdend, bereits in der wogenden Schonung verlor. „Ich habe auf der Erde die Technische Hochschule absolviert“, sagte der Ingenieur, der aus irgendeinem Grunde plötzlich gereizt war. „Auf jeden Fall“, setzte er zögernd hinzu, „muss da in der Mitte irgend etwas sein, vielleicht der Zapfen eines Propellers.“
„Stimmt, in der Mitte glänzt etwas sehr stark“, bestätigte der Koordinator. „Wie groß mag das Ding sein, was meinst du?“
„Wenn die Bäume dort unten die gleiche Höhe haben wie in der Schlucht, dann mindestens zehn Meter.“
„Im Durchmesser? Ich glaube auch. Mindestens zehn.“
„Beide sind dort verschwunden.“ Der Doktor wies auf die letzte, die höchste Hügelkette, die ihnen die Sicht nahm.
„Wir gehen also auch in dieser Richtung weiter, nicht wahr?“
Die Arme schwenkend, begann er den Abhang hinabzusteigen. Die anderen folgten ihm. „Wir müssen uns auf den ersten Kontakt vorbereiten“, sagte der Kybernetiker; er kaute an den Lippen und benetzte sie. „Was geschehen wird, können wir nicht voraussehen. Die einzige Richtschnur, an die wir uns zu halten haben, sind Ruhe, Vernunft und Beherrschtheit“, erklärte der Koordinator. „Vielleicht ist es besser, wenn wir unsere Marschordnung ändern. Eine Sicherung vorn und eine hinten. Wir müssen unseren Zug außerdem etwas mehr in die Länge ziehen.“
„Sollen wir offen auftreten? Besser wird sein, wenn wir uns bemühen, möglichst viel zu beobachten, ohne selbst bemerkt zu werden“, sagte der Physiker.
„Uns zu verstecken, würde ich nicht raten. Das erregt nur Verdacht. Aber selbstverständlich, je mehr wir sehen, desto größeren Nutzen können wir daraus ziehen…“
Während sie die Taktik erörterten, erreichten sie das Tal und gelangten nach mehreren hundert Schritten an die erste rätselhafte Linie.
Sie erinnerte ein wenig an die Furche eines alten irdischen Pfluges. Der Boden war flach gepflügt, gleichsam zerkrümelt und zu beiden Seiten der Furche aufgeschüttet, die kaum zwei Hand breit war.
Die moosbewachsenen Streifen, auf die sie beim ersten Ausflug gestoßen waren, hatten ähnliche Abmessungen gehabt, doch wiesen sie einen recht wesentlichen Unterschied auf: Dort war die Umgebung der Furche kahl, während sie selbst mit Moos bewachsen war, hier hingegen war es umgekehrt, ein Streifen zermahlenen, entblößten Grundes führte durch eine geschlossene Decke ausweißlichen Flechten. „Merkwürdig“, murmelte der Ingenieur, richtete sich auf und wischte die lehmbeschmierten Finger an der Kombination ab. „Wisst ihr was?“ sagte der Doktor. „Ich nehme an, die im Norden sind sehr alt, sie wurden lange nicht mehr benutzt und sind daher mit diesem himmlischen Moos bewachsen.“
„Möglich“, versetzte der Physiker, „aber was ist das? Sicherlich kein Rad. Eine Radspur sähe anders aus.“
„Vielleicht eine landwirtschaftliche Maschine?“ warf der Kybernetiker ein. „Was denn, sollten sie den Boden nur in einer Breite von zehn Zentimetern bebauen?“ Sie übersprangen die Furche und gingen querfeldein weiter, auf die anderen Furchen zu. Als sie gerade am Rande einer Schonung entlangschritten, deren dumpfes Rauschen sogar die Unterhaltung erschwerte, vernahmen sie von hinten ein durchdringendes, klagendes Pfeifen. Instinktiv sprangen sie hinter die Bäume. Aus ihrem Versteck gewahrten sie über der Wiese einen senkrechten, blitzenden Wirbel, der mit der Geschwindigkeit eines Schnellzuges die Gerade entlangraste. Sein Rand war dunkler, die Mitte leuchtete entweder violett oder orange. Sie schätzten den Durchmesser dieser Mitte, die Imsenartig nach den Seiten ausgebaucht war, auf zwei bis drei Meter. Kaum hatte das flimmernde Fahrzeug sie überholt und war verschwunden, setzten sie ihren Weg in der gleichen Richtung fort. Die Schonung war zu Ende, sie überquerten jetzt notgedrungen offenes Gelände und fühlten sich dabei ziemlich unsicher. Andauernd schauten sie sich um. Die durch flache Sattel verbundenen Hügel waren bereits ganz nahe, als sie wieder dieses durchdringende klagende Pfeifen vernahmen. Mangels eines Verstecks warfen sie sich zu Boden. Ungefähr zweihundert Meter vor ihnen flog eine wirbelnde Scheibe vorüber. Diesmal hatte die Ausbuchtung in der Mitte eine himmelblaue Farbe. „Die war wohl mindestens zwanzig Meter hoch!“ zischte erregt der Ingenieur. Sie erhoben sich. Zwischen ihnen und den Hügeln tat sich ein Kessel auf, der von einem bunten Streifen eigenartig halbiert wurde. Als sie nahe herangekommen waren, bemerkten sie, dass es ein Bach war, dessen heller sandiger Grund durch das Wasser hindurchschimmerte. Seine beiden Ufer leuchteten in allen Farben. Ein Gürtel bläulichen Grüns rahmte den Wasserlauf, nach außen hin schloss sich ein Band von blassem Rosa an, und noch weiter weg funkelten schlanke Pflanzen in silbrigem Glanz, die dicht mit flauschigen Kugeln, groß wie Menschenköpfe, besetzt waren. Über jeder Kugel ragte, weiß wie Schnee, der dreiblättrige Kelch einer riesigen Blüte auf. Staunend über diesen außergewöhnlichen Regenbogen, verlangsamten sie den Schritt. Als sie sich den flauschigen Kugeln näherten, fingen die „Blumen“ an zu zittern und stiegen langsam in die Luft. Eine Weile hingen sie als flatternde Schar über ihren Köpfen und gaben dabei ein leises Klirren von sich, das Weiß ihrer wirbelnden „Kelche“ blitzte in der Sonne, dann ließen sie sich auf der anderen Seite des Baches im Dickicht der hellen Kugeln nieder.
An der Stelle, wo die Furche an den Bach heranführte, verband ein Bogen aus einer glasigen Substanz, der in regelmäßigen Abständen runde Öffnungen aufwies, die Ufer miteinander. Der Ingenieur erprobte mit dem Fuß die Festigkeit der Brücke und schritt dann langsam hinüber. Kaum war er drüben angelangt, flatterten wieder Scharen weißer „Blüten“ vor ihm auf und kreisten wie ein aufgescheuchterTaubenschwarm.
Sie machten am Bach halt, um eine Feldflasche mit dem Wasser zu füllen. Es war offensichtlich nicht trinkbar, und an Ort und Stelle konnten sie keine Analyse vornehmen. Sie benötigten lediglich eine Probe für spätere Untersuchungen. Der Doktor riss eines der kleinen Pflänzchen ab, die den rosa Streifen bildeten, und steckte es wie eine Blume ins Knopfloch. Der Stiel war von oben bis unten mit fleischfarben durchscheinenden Kügelchen beklebt, deren Duft der Doktor als köstlich bezeichnete.
Obwohl es keiner aussprach, tat es ihnen allen doch leid, sich von diesem schönen Ort zu trennen.
Der Hang, den sie nun hinaufstiegen, war mit raschelndem Moos bewachsen. „Da auf dem Gipfel ist was!“ rief der Koordinator plötzlich. Vor dem Hintergrund des Himmels bewegte sich an einer Stelle ein verschwommenes Gebilde, das ihnen alle paar Sekunden mit blendendem Glanz in die Augen stach. Mehrere hundert Schritt von dem Gipfel entfernt erkannten sie eine kleine, niedrige Kuppel, diesich um eine Achse drehte. Sie war mit Spiegelsektoren verkleidet, in denen sich die Sonnenstrahlen oder Ausschnitte der Landschaft spiegelten.
Oben auf dem Gipfel ließen sie den Blick über die Linie der Buckel schweifen. Dabei bemerkten sie ein Gebilde, das dem ersten ähnlich war. Jedenfalls schlössen sie aus dem gleichmäßigen Blitzen und Flimmern auf sein Vorhandensein. Immer mehr solcher funkelnder Punkte entdeckten sie auf allen Gipfeln, bis hin zum Horizont.
Von dem kleinen Paß unterhalb der Hügelspitze aus konnten sie schließlich das bisher verborgen gebliebene Gelände in seiner ganzen Tiefe überschauen. Der Hang fiel zu leicht gewellten Feldern ab, über die lange Reihen spitzer Mäste führten. Sie verschwanden in der Ferne zu Füßen einer blauen Konstruktion, die schwach herüberschimmerte. Über den nächsten Masten zitterte die Luft in deutlich erkennbaren senkrechten Säulen, als wäre sie stark erhitzt. Zwischen den Reihen der Mäste hindurch wanden sich Dutzende von Furchen, bündelten und gabelten sich, kreuzten einander und führten alle in eine Richtung — hin zur östlichen Linie des Horizonts. Dort zeichnete sich eine große Anzahl von Gebäuden ab, durch die beträchtliche Entfernung zu einer bläulich schimmernden Masse verschwommen, einem blassen Mosaik unregelmäßiger Einkerbungen, Erhebungen, goldener und silberner Nadelspitzen. Der Himmel war in dieser Richtung etwas dunkler. An einigen Stellen stiegen Streifen milchigen Dampfes auf und breiteten sich pilz-förmig zu einer dünnen Nebel oder Wolkenschicht aus, in der bei genauerem Hinsehen kleine schwarze Pünktchen auftauchten und verschwanden.
„Eine Stadt.…“, flüsterte der Ingenieur.
„Ich habe sie damals gesehen…“, sagte der Koordinator ebenso leise.
Sie begannen den Abstieg. Die erste Reihe der Mäste kreuzte ihren Weg am Ende des Abhanges.
Ihr pechschwarzer Fuß ragte kegelförmig aus dem Boden. Ungefähr drei Meter über der Erde erhob sich darauf ein durchsichtiger Mast mit einem durchscheinenden Metallkern. Die Luft darüber zitterte stark, und sie hörten ein gleichmäßiges, dumpfes Zischen. „Ist das ein Propeller?“ fragte der Physiker.
Sie berührten vorsichtig den kegelförmigen Schaft — nicht die leiseste Bewegung war zu spüren.
„Nein, hier wirbelt nichts“, sagte der Ingenieur. “Man fühlt keinen Luftzug. Es muss ein Sender sein oder…“
Sie schritten über ein Gelände mit sanften, flachen Falten. Die Stadt hatten sie inzwischen aus den Augen verloren, aber sie konnten sich nicht verlaufen. Nicht nur die langen Mastreihen, auch die zahlreichen Furchen mitten auf den Feldern zeigten ihnen die Richtung an. Von Zeit zu Zeit fegte ein hell wirbelndes Knäuel auf der einen oder anderen Seite vorüber, immer jedoch in einer solchen Entfernung, dass sie sich nicht einmal zu verstecken versuchten.
Bald tauchte vor ihnen der olivgelbe Fleck einer Schonung auf. Anfangs wollten sie ihr ausweichen, wie es die Linie der Masten tat, aber sie erstreckte sich zu weit nach beiden Seiten, so dass sie einen zu großen Umweg hätten machen müssen. So entschlossen sie sich, das Dickicht zu durchqueren.
Atmende Bäume umgaben sie. Trockene, bläschenartige Blätter, die bei jedem Schritt unter ihren Schuhsohlen unangenehm knirschten, bedeckten den mit röhrchenförmigen Pflänzchen und weißlichem Moos bewachsenen Boden. Hie und da zeigten sich zwischen dicken Wurzeln die Mäulchen blasser, fleischiger Blüten, aus deren Mitte ahlenförmige Stacheln spießten. Über die dickeRinde der Stämme rannen Tropfen von aromatischem Harz. Der Ingenieur, der vorn ging, verlangsamte plötzlich den Schritt und sagte unwirsch: „Verdammt, wir hätten hier doch nicht gehen sollen.“
Mitten zwischen den Bäumen klaffte eine tiefe Schlucht, deren lehmige Wände mit Girlanden aus langen, schlangenartigen Flechten bedeckt waren. Die Männer hatten sich zu weit vorgewagt, um noch umkehren zu können. Sie glitten über die mit biegsamen Lianen überwucherte Wand auf den Grund der Schlucht hinab, wo sich ein dünner Wasserlauf schlängelte. Der Hang gegenüber war zu steil, so marschierten sie die Schlucht entlang und hielten nach einer Stelle Ausschau, wo sie wieder hinaufklettern konnten. Auf diese Weise legten sie etwa hundert Schritt zurück. Die Schlucht weitete sich, ihre Ränder wurden flacher. Gleichzeitig wurde es etwas heller.
„Was ist das?“ rief der Ingenieur plötzlich und verstummte ebenso schnell wieder. Der Wind trug einen faden, süßlichen Dunst heran. Sie machten halt. Ein Guss Sonnenkringel überschüttete sie, dann verstärkte sich die Dunkelheit. Hoch oben rauschte in dumpfen Atemwogen das Gewölbe der Bäume.
„Da muss etwas sein“, flüsterte der Ingenieur. Sie hätten jetzt den anderen Rand der Schlucht erreichen können, die Böschung war flach und niedrig, aber sie hielten sich dicht beieinander und schritten, leicht vorgebeugt, weiter auf die Wand der Büsche zu, durch die hin und wieder, wenn der Wind darin einen Spalt aufriß, eine längliche, dunkle Masse schimmerte. Der Boden wurde sumpfig. Er schmatzte unter den Füßen. Sie achteten nicht darauf. Als sie die mit traubenförmigen Verdickungen behangenen Zweige auseinanderschoben, erblickten sie eine sonnenüberflutete Lichtung. Die Bäume wichen links und rechts zurück und traten erst weiter vorn wieder zusammen, nur durch einen schmalen Einschnitt getrennt, aus dem eine Furche auf die Lichtung führte. Sie endete an einem rechteckigen Graben, der von einem Lehmwall umgeben war. Wie angewurzelt blieben sie in dem Randdickicht stehen. Raschelnd streiften die sich sacht schlangelnden Stiele ihre Kombinationen, berührten mit den traubenförmigen Schößlingen träge ihre Schuhe und schienen nur ungern zurückzuweichen. Die Männer standen da und schauten sich um. Der wächserne Wall am Rand des Grabens kam ihnen im ersten Augenblick wie ein gleichmäßig angeschwollener Quader vor.
Ein fürchterlicher Gestank verschlug ihnen den Atem. Nur mit Mühe konnten sie einzelne Gestalten erkennen. Manche lagen mit dem Buckel nach oben, andere auf der Seite. Zwischen den zusammengedrückten Brustmuskeln ragten, eingekeilt zwischen andere, kümmerliche blasse Torsos mit abgekehrten Gesichtchen heraus. Die großen Rümpfe, zerdrückt, gepreßt, vermengt mit mageren Händchen und knotigen Fingerchen, waren von gelben Rinnsalen überzogen. Die Hände des Doktors krallten sich schmerzhaft in die Arme der Männer, die neben ihm standen. Seite an Seite rückten sie langsam vor. Ihre Augen starrten auf die Masse, die den Graben ausfüllte. Ein tiefer Graben. Dicke Tropfen einer wäßrigen Flüssigkeit rannen über die wächsernen Buckel und über die Seiten, sammelten sich in den eingefallenen, augenlosen Gesichtern. Man glaubte fast den Laut zu hören, mit dem die Tropfen zerplatzten.
Ein rasch näherkommendes Pfeifen ließ sie zusammenzucken. Im Nu warfen sie sich in die Büsche und stürzten zu Boden. Ihre Hände griffen von selbst nach den Kolben der Elektrowerfer. Die Zweige schwankten noch vor ihnen, als eine senkrecht rotierende Scheibe zwischen den Bäumen auf der anderen Seite schwach aufleuchtete und auf die Lichtung rollte. Ein Dutzend Schritt vor dem Graben verlangsamte sie die Fahrt, ihr Pfeifen aber verstärkte sich. Die mit rasender Geschwindigkeit zerschnittene Luft sang. Die Scheibe umkreiste den Graben, näherte sich ihm, und plötzlich wirbelte der Lehm hoch. Eine rostbraune Wolke hüllte das gleißende Gefährt fast bis zur Hälfte ein. Unzählige Klümpchen hagelten auf die Büsche und auf die Männer herab, die sich an den Boden pressten. Ein gräßlicher dumpfer Laut war zu hören, wie wenn ein gewaltiger Sporn nasses Leinen zerreißt. Die wirbelnde Scheibe war bereits am anderen Ende der Lichtung, nahte von neuem, blieb einenAugenblick stehen. Ihr zitterndes Lot richtete sich wie absichtlich mal nach rechts, mal nach links.
Plötzlich beschleunigte die Scheibe die Fahrt wieder, die andere Seite des Grabens bedeckte sich mit einer Wolke von geräuschvoll aufgeschüttetem Lehm. Die Scheibe summte, zitterte und schien sich aufzublähen. Sie erkannten Spiegelkuppeln zu beiden Seiten. Verkleinerte Bäume und Büsche spiegelten sich darin. Innen bewegte sich etwas, ein bärengleicher Schatten. Der scharf vibrierende Laut wurde mit einemmal schwächer, und die Scheibe huschte in derselben Furche, in der sie gekommen war, davon. Auf der Lichtung erhob sich nun ein Wall aus frischem Lehm. Eine nahezu metertiefe Furche führte um ihn herum. Der Doktor schaute die anderen an. Sie standen langsam auf und schüttelten mechanisch die Pflanzenreste und die Spinnenfäden von ihren Kombinationen. Dann gingen sie wie auf Verabredung den Weg, den sie gekommen waren, zurück. Sie hatten die Schlucht bereits weit hinter sich gelassen, auch die Bäume und die Reihen der Mäste, sie waren schon fast auf halber Höhe des Hügels mit der flimmernden Spiegelkuppel, als der Ingenieur das Schweigen brach: „Ob das vielleicht doch nur Tiere sind?“
„Und was sind wir?“ fragte der Doktor im gleichen Ton, wie ein Echo.
„Nein, ich denke…“
„Konntet ihr erkennen, wer in der wirbelnden Scheibe gesessen hat?“
„Ich habe da überhaupt keinen gesehen“, sagte der Physiker. „Ich ja. Natürlich. Mittendrin, wie in einer Gondel. Die Oberfläche ist poliert, lässt aber etwas Licht durch. Hast du's gesehen?“ fragte der Koordinator den Doktor.
„Gesehen habe ich's, aber ich bin mir nicht sicher, das heißt.…“
„Das heißt, du ziehst es vor, keine Gewißheit zu haben!“
„Ja.“
Sie marschierten weiter. Schweigend überquerten sie die Kette der höchsten Hügel. Auf der anderen Seite, am Bach, warfen sie sich beim Anblick einer aus der nächsten Schonung heranbrausenden glänzenden Scheibe abermals zu Boden.
„Die Kombinationen haben eine günstige Farbe“, sagte der Chemiker, als sie aufstanden und weitergingen.
„Trotzdem ist es seltsam, dass sie uns bisher nicht bemerkt haben“, meinte der Ingenieur. Der Koordinator, der bis dahin geschwiegen hatte, hielt plötzlich an. „Die untere Ra-Leitung ist doch nicht beschädigt, nicht wahr, Henrik?“
„Sie ist ganz. Woran denkst du?“
„Die Atomsäule hat eine Reserve. Man könnte etwas Lösung ablassen.“
„Sogar zwanzig Liter.“ Über das Gesicht des Ingenieurs lief ein böses Lächeln. „Versteh ich nicht“, warf der Doktor ein.
„Sie wollen die angereicherte Uranlösung ablassen, um damit den Werfer zu laden“, erklärte der Physiker. „Uran?“ Der Doktor erblaßte. „Ihr denkt doch nicht etwa…“
„Wir denken gar nichts“, schnitt ihm der Koordinator das Wort ab. „Seit dem Augenblick, wo ich das gesehen habe, denke ich überhaupt nichts mehr. Denken werden wir nachher. Jetzt.…“
„Achtung!“ schrie der Chemiker. Alle warfen sich hin. Eine flimmernde Scheibe sauste an ihnen vorüber und wurde immer kleiner. Auf einmal verlangsamte sie die Fahrt, beschrieb einen großen Bogen und nahte sich von neuem. Fünf Läufe hoben sich vom Erdboden, klein wie Kinderpistolen im Vergleich zu dem Ungeheuer, das den halben Himmel mit seinem Schimmern verdeckte. Plötzlich hielt sie inne, das Klirren wurde erst stärker, dann schwächer. Aus der Scheibe schob sich ein Vieleck hervor, eine durchbrochene Konstruktion, neigte sich zur Seite, als wollte sie umfallen, wurde jedoch von zwei schräg herausschießenden Armen abgefangen und gestützt. Aus der Gondel in der Mitte, die mittlerweile ihren Spiegelglanz verloren hatte, kroch ein kleines, zottiges Wesen. Es bewegte blitzschnell die mit einer faltigen Haut bedeckten Beine, rutschte die schräge Stütze hinunter, sprang auf die Erde und kroch, gleichsam auf dem Bauch, stracks auf die Männer zu.Fast gleichzeitig öffnete sich die Gondel nach allen Seiten, wie ein Blütenkelch, und ein großer, glänzender Rumpf schwamm an einem Gegenstand herunter, der zunächst oval und dick war, sich dann rasch verdünnte und verschwand.
Unten richtete sich das große Geschöpf langsam zu voller Größe auf. Da erkannten sie es, obwohl es eigenartig verändert war, mit einer silberglänzenden Substanz bedeckt, die es spiralenförmig von unten bis oben einhüllte: Oben, in einer schwarz eingerahmten Höhlung, zeigte sich ein kleines, flaches Gesicht. Das zottige Tier, das als erstes aus der Scheibe herausgesprungen war, kroch rasch und gewandt auf sie zu, ohne sich vom Boden zu lösen. Erst da entdeckten sie, dass es etwas hinter sich her zog, was einem sehr großen, spatenförmigen Schwanz ähnelte. „Ich schieße“, sagte der Ingenieur leise und presste die Wange an den Kolben. „Nein!“ schrie der Doktor.
„Warte noch!“, wollte der Koordinator sagen, doch der Ingenieur feuerte bereits eine Serie ab. Er hatte auf das kriechende Etwas gezielt und es verfehlt. Die Flugbahn der elektrischen Ladung war nicht zu sehen, sie vernahmen nur ein schwaches Zischen. Der Ingenieur ließ den Hahn los, ohne den Finger vom Abzug zu nehmen. Das silbrig glänzende Geschöpf rührte sich nicht vom Fleck. Plötzlich vollführte es eine Bewegung und pfiff — jedenfalls glaubten sie so etwas zu hören.
Das kriechende Wesen riss sich unverzüglich vom Boden los und legte in einem Sprung mindestens fünf Meter zurück. Beim Abspringen rollte es sich zu einer Kugel zusammen, sträubte sich, schwoll seltsam an, der spatenförmige Schwanz spreizte sich. Auf seiner hohlen, muschelförmigen Oberfläche blitzte etwas schwach auf und schwamm, wie vom Wind getragen, auf sie zu. „Feuer!!“ schrie der Koordinator.
Eine Kugel, kaum größer als eine Nuß, schwebte in der Luft, schwankte von einer Seite zur anderen, kam aber immer näher. Schon hörten sie ihr Zischen, wie bei einem Tropfen Wasser, der auf einem glühenden Blech tanzt. Sie schössen alle auf einmal. Das mehrfach getroffene kleine Tier schlug hin und krümmte sich, sein fächerartiger Schwanz bedeckte es völlig, gleichzeitig wurde die flammende Nuß vom Wind abgetrieben, als habe sie plötzlich ihre Lenkbarkeit eingebüßt, und flog in einer Entfernung von etwa einem Dutzend Schritt an ihnen vorbei, sie verloren sie aus den Augen.
Der silberne Riese reckte sich, ein dünner Gegenstand tauchte über ihm auf, und er begann daran in die offene Gondel zu steigen. Sie hörten alle das Krachen, mit dem er von den Schüssen getroffen wurde. Er krümmte sich und stürzte dumpf zu Boden. Sie sprangen auf und liefen zu ihm hin.
„Achtung!“ schrie der Chemiker.
Am Wald waren zwei glänzende Scheiben aufgetaucht und rasten auf die Hügelkette zu. Die Männer pressten sich in eine Bodenvertiefung und waren auf alles gefaßt. Aber seltsamerweise sausten beide Scheiben, ohne ihre Fahrt zu verlangsamen, vorbei und verschwanden hinter den Buckeln der Hügel.
Sekunden später gab es einen dumpfen Knall. Sie drehten sich um. Der Knall kam aus der Schonung der atmenden Bäume. In der Nähe stürzte, zur Hälfte gespalten, ein Baum um. Rauchwolken wirbelten auf. „Schnell, schnell!“ rief der Koordinator und lief zu dem zottigen Tierchen, dessen Pfötchen unter dem fleischigen nackten Schwanz hervorragten, zielte mit dem Rohr darauf und ließ es in einem Dauerfeuer von einem Dutzend Sekunden zu Asche verbrennen. Der Ingenieur und der Physiker traten zu dem silbrig schimmernden Klumpen unter dem durchsichtigen Vieleck. Der Ingenieur berührte den Buckel, der herausgeschoben war und so aussah, als nehme er allmählich an Größe zu.
„So können wir ihn nicht zurücklassen!“ rief der Koordinator, der dazukam; er war sehr blaß. „Solch eine Masse kannst du nicht einäschern“, murmelte der Ingenieur.
„Wir werden ja sehen!“ stieß der Koordinator durch die Zähne und schoss aus zwei SchrittEntfernung. Die Luft zitterte rings um den Lauf. Der silbrige Rumpf bedeckte sich sofort mit schwärzlichen Flecken. Ruß wirbelte durch die Luft, ein schrecklicher Gestank von verbranntem Fleisch verbreitete sich, es gluckste. Der Chemiker schaute sich das eine Weile mit blassem Gesicht an, dann wandte er sich um und rannte weg. Der Kybernetiker folgte ihm. Als der Koordinator seine Waffe leergeschossen hatte, streckte er stumm die Hand nach dem Elektrowerfer des Ingenieurs aus.
Der schwärzliche Körper sackte zusammen, wurde flacher, Rauch stieg auf, Rußflocken wirbelten umher, das Sieden verwandelte sich in ein Knistern, wie bei Holzscheiten, die im Feuer lodern. Der Koordinator indes drückte noch immer mit dem ähnlich steif werdenden Finger auf den Hahn, bis die Überreste des Körpers in einen formlosen Aschenhaufen zerfielen. Dann hob er den Elektrowerfer hoch, sprang mit den Füßen in den Haufen und begann, ihn auseinanderzuscharren.
„Helft mir!“ schrie er heiser. „Ich kann nicht“, stöhnte der Chemiker, der mit geschlossenen Augen dastand. Auf seiner Stirn perlte Schweiß. Er griff sich mit beiden Händen an den Hals, als ob er sich erwürgen wollte. Der Doktor presste die Zähne zusammen, dass sie knirschten, und sprang in die heiße Asche, dem Beispiel des Koordinators folgend. Der schrie: „Denkst du denn, mir fällt es leicht!“ Der Doktor schaute nicht auf die Füße, er trampelte und trampelte. Es muss komisch wirken, wie wir so auf einer Stelle hüpfen, dachte er. Sie trampelten die Stückchen, die nicht ganz verbrannt waren, in den Boden, drückten die Asche in den Sand und scharrten dann die Erde ringsherum mit den Kolben zusammen, bis sie die letzten Spuren verwischt hatten.
„Worin sind wir besser als sie?“ fragte der Doktor, als sie keuchend und schweißtriefend eine Weile innehielten.
„Er hat uns angegriffen“, knurrte der Ingenieur und entfernte wütend und angeekelt die Rußspuren vom Kolben seines Elektro-werfers.
„Ihr könnt kommen, es ist alles vorbei!“ rief der Koordinator. Die anderen traten langsam näher.
Beißender Brandgestank lag in der Luft. Die moosartigen Flechten waren in weitem Umkreis verkohlt.
„Und was geschieht damit?“ fragte der Kybernetiker und wies auf die durchsichtige Konstruktion, die neben ihnen vier Stockwerke hoch aufragte. “Die versuchen wir in Betrieb zu nehmen", murmelte der Koordinator. Der Ingenieur riss die Augen auf. “Glaubst du, das geht?“
„Achtung!“ schrie der Doktor. Drei flimmernde Scheiben tauchten nacheinander vor dem Hintergrund der Schonung auf.
Die Männer liefen ein paar Schritt zurück und warfen sich zu Boden. Die Scheiben fuhren vorbei und rollten weiter. „Kommst du mit?“ Der Koordinator wies mit einer Kopfbewegung auf die sechs Meter über dem Erdboden hängende Gondel. Wortlos rannte der Ingenieur zu dem Fahrzeug, packte mit beiden Händen den Griff an einer der beiden Stützen und stieg hinauf. Der Koordinator folgte ihm.
Der Ingenieur, der als erster die Gondel erreichte, bewegte einen Hebel. Man hörte Metall gegen Metall schlagen. Gleich darauf schwang er sich hoch und verschwand im Innern. Er hielt dem Koordinator die Hand hin und half ihm herein. Längere Zeit geschah nichts, dann schlössen sich langsam die fünf gespreizten Flächen der Gondel ohne das leiseste Geräusch. Die Männer unten zuckten unwillkürlich zusammen und traten zurück.
„Was war das für eine Feuerkugel?“ fragte der Doktor den Physiker. Beide blickten hinauf. In der Gondel bewegten sich wie im Nebel verschwommene Schatten, gleichsam zu Hälften zusammengelegt.
„Sah wie ein kleiner Kugelblitz aus“, sagte der Physiker. „Aber das Tier hat sie doch ausgestoßen!“
„Stimmt, ich habe es auch gesehen. Vielleicht gibt es hier elektrische … Paß auf!“ Das durchsichtige Vieleck erbebte plötzlich, klirrte und drehte sich gleichzeitig um seine senkrechte Achse. Fast wäre esumgestürzt, weil die Beine, die es von der Seite stützten, hilflos auseinanderglitten. Im letzten Augenblick, als sich das Fahrzeug schon bedrohlich neigte, klirrte wieder etwas, diesmal mit einem hohen Ton. Die ganze Konstruktion verschwamm in einem flimmernden Wirbel, und ein schwacher Lufthauch wehte den Zuschauenden ins Gesicht. Die Scheibe drehte sich mal schneller, mal langsamer, rührte sich aber nicht vom Fleck. Sie brüllte wie der Motor eines großen Flugzeugs. Die Kombinationen der Männer, die in der Nähe standen, flatterten in dem ungleichmäßigen Luftzug. Die Männer wichen noch ein Stück zurück. Das eine Stützbein hob sich, dann das andere, sie verschwanden in dem glänzenden Wirbel. Auf einmal jagte die große Scheibe wie katapuliert die Furche entlang, sprang heraus, bremste plötzlich, wühlte und schleuderte die Erde unter entsetzlichem Gebrüll hoch, obwohl sie sich nur langsam fortbewegte. Kaum war sie wieder in der Furche, raste sie mit atemberaubender Geschwindigkeit davon und war in wenigen Sekunden zu einem zitternden Lichtchen auf dem Hang am Wald zusammengeschrumpft.
Bei der Rückkehr geriet sie abermals aus der Furche, kroch langsam, wie mit großer Mühe, weiter und wirbelte Sand und Erde hoch.
Es klirrte, die Konstruktion tauchte aus dem glänzenden Sturmwind auf, die Gondel öffnete sich, der Koordinator beugte sich vor und rief: „Kommt herauf!“
„Was?“ Der Chemiker war verblüfft, aber der Doktor hatte begriffen. „Wir fahren damit.“
„Haben denn alle Platz?“ fragte der Kybernetiker und hielt sich an der Metallstütze fest. Der Doktor kletterte bereits hinauf. „Irgendwie werden schon alle Platz finden, kommt nur!“ Ein paar Scheiben huschten an der Schonung vorbei, aber sie schienen sie nicht zu beachten. Es war sehr eng in der Gondel, vier hätten noch stehen können, aber sechs ließen sich da nicht unterbringen. Zwei von ihnen mussten sich flach auf den Boden legen. Der bittere Geruch, den sie bereits kannten, juckte unangenehm in der Nase. Auf einmal wurden sich alle dessen bewußt, was vorgefallen war, ihre Munterkeit war wie weggeweht. Der Doktor und der Physiker legten sich hin. Unter sich hatten sie längliche Platten, die wie bei einem Boot zusammengefügt waren, über ihren Köpfen tönte durchdringendes Klirren, und sie spürten, dass das Fahrzeug losfuhr. Sehen konnten sie in ihrer Lage nichts' Fast zur gleichen Zeit wurden die Platten unter ihnen gänzlich durchsichtig, und sie konnten aus der Höhe von zwei Stockwerken die Ebene sehen, als flögen sie in einem Ballon darüber hinweg.
Ringsum war Lärm. Der Koordinator verständigte sich fieberhaft mit dem Ingenieur. Beide mussten eine unnatürliche, sehr qualvolle Haltung an der flossenartigen Erhebung vorn in der Gondel einnehmen, um die Scheibe zu steuern. Alle paar Minuten lösten sie sich ab. Und das bei diesem Gedränge. Der Chemiker und der Kybernetiker mussten sich dann beinahe auf die unten Liegenden legen. „Wie funktioniert denn das?“ fragte der Chemiker den Ingenieur, der beide Hände in die tiefen Öffnungen des flossenartigen Vorsprungs gesteckt hatte und das Fahrzeug in der Geraden hielt. Sie fuhren schnell die Furche dahin. Von der Gondel aus war die Rotation überhaupt nicht zu sehen. Man hätte meinen können, dass sie in der Luft schwammen.
„Ich habe keine Ahnung“, stöhnte der Ingenieur. „Ich bekomme einen Krampf, jetzt du!“ Er machte dem Koordinator Platz, so gut er konnte.
Die riesige, dröhnende Scheibe schwankte, sprang aus der Furche, bremste heftig und zog eine scharfe Kurve. Der Koordinator zwängte die Hände in die Öffnungen der Steuervorrichtung. Nach einer Weile gelang es ihm, den gigantischen Brummkreisel aus der Kurve in die Furche zurückzuführen. Sofort wurde die Fahrt wieder schneller.
„Warum fährt das Ding außerhalb der Furche so langsam?“ fragte der Chemiker, der sich, um dasGleichgewicht zu halten, auf den Rücken des Ingenieurs stützte; zwischen seinen gespreizten Beinen lag der Doktor. „Ich sage dir, ich habe nicht die geringste Ahnung.“ Der Ingenieur massierte sich die Unterarme, auf denen sich blutige Abdrücke an den Stellen zeigten, wo er die Gelenke in die Maschine gezwängt hatte. „Es wahrt sein Gleichgewicht nach dem Prinzip eines Giroskops, aber was das übrige betrifft, habe ich keinen blassen Schimmer.“ Sie befanden sich bereits hinter der zweiten Hügelkette. Das Gelände mutete, von oben betrachtet, durchsichtig an. Übrigens hatten sie es zum Teil schon bei ihrer Wanderung kennengelernt. Über ihren Köpfen und unter ihnen pfiff die kaum wahrnehmbare Scheibe. Die Furche änderte plötzlich die Richtung. Sie mussten sie verlassen, wenn sie zur Rakete zurückkehren wollten. Die Geschwindigkeit fiel sofort. Sie machten nicht einmal mehr zwanzig Kilometer in der Stunde. „Außerhalb der Furchen sind die Dinger eigentlich hilflos. Das darf man nicht vergessen!“ rief der Ingenieur, das Pfeifen und Klirren übertönend. „Ablösung! Ablösung!“
schrie der Koordinator. Das Manöver verlief diesmal ziemlich glatt. Sie erstiegen einen steilen Hang, sehr langsam, kaum schneller als ein rüstiger Fußgänger. Der Ingenieur entdeckte in der Ferne die bewusste Schlucht, die zur Ebene führte. Sie fuhren gerade unter die Bäume, die über dem lehmigen Hang standen, als den Ingenieur ein Krampf packte. „Greif zu!“ schrie er und riss die Hände aus den Öffnungen. Der Koordinator stürzte hinzu, doch da neigte sich die riesige Scheibe bereits zur Seite und näherte sich bedrohlich dem rostbraunen Abhang. Plötzlich knirschte etwas, es gab ein entsetzliches Krachen. Der pfeifende Mühlenflügel schlug mit seinem Rand in eine Baumkrone.
Astfetzen wirbelten durch die Luft. Die Gondel sprang hoch und kippte mit einem Höllenlärm zur Seite. Der entwurzelte Baum fegte mit seiner Krone über den Himmel. Der letzte Flügel, der sich noch bewegte, riss ihn nach unten. Tausende bläschenartiger Blätter zerplatzten zischend. Über der zertrümmerten Konstruktion, die sich mit ihren Stümpfen in den Hang gewühlt hatte, stieg wie aus einem Bovist eine Wolke weißlichen Samens auf, und alles wurde still. Die Gondel lehnte mit der eingedrückten Seite am Hang. „Die Besatzung?“ fragte mechanisch der Koordinator und schüttelte den Kopf, seine Ohren schienen mit Watte vollgestopft zu sein. Verwundert betrachtete er die Wolken weißlicher Staubkörnchen, die ihm um die Nase flogen. „Erster“, stöhnte der Ingenieur und richtete sich vom Fußboden auf. „Zweiter“, kam die Stimme des Physikers von unten. „Dritter.“ Der Chemiker konnte kaum sprechen und hielt sich die Hand vor den Mund, Blut lief ihm übers Kinn.
„Vierter“, sagte der Kybernetiker. Ihn hatte es nach hinten geworfen. Passiert war ihm nichts.
„Fünf-ter…“, stöhnte der Doktor. Er lag auf dem Boden der Gondel, unter den anderen begraben.
Plötzlich brachen sie in schallendes Lachen aus. Sie lagen übereinander, von einer dicken Schicht juckender, flauschiger Samen zugedeckt, die durch den oberen Spalt der Gondel hereinrieselten. Der Ingenieur versuchte die Gondel mit wuchtigen Schlägen zu öffnen. Alle halfen, so gut sie konnten und soweit der Platz es ihnen erlaubte, mit Schultern, Händen und Rücken nach. Die Hülle bebte, man hörte ein schwaches Krachen, doch die Gondel ließ sich nicht öffnen. „Noch einmal?“ fragte der Doktor ruhig. Er lag noch immer auf dem Boden und konnte sich nicht rühren. „Wenn ihr's wissen wollt, ich hab es jetzt satt! He, wer ist das? Sofort runter von mir, verstanden!“ Gemeinsam rissen sie vorn den kammartigen Rahmen ab und begannen damit im Takt, wie mit einem Rammbock, gegen die Decke zu schlagen. Sie verbog sich, verbeulte sich, gab aber nicht nach. „Ich habe das satt“, knurrte der Doktor ärgerlich und stemmte sich langsam hoch. In diesem Augenblick krachte unten etwas, und alle purzelten wie reife Birnen durch den Boden heraus. Sie rollten über den fünf Meter hohen Hang auf die Sohle der Schlucht. „Ist jemandem was passiert?“ fragte der Koordinator, der mit Lehm beschmiert war und als erster auf die Beine sprang. „Nein, aber du bist ja ganz blutig! Laß dich anschauen!“ rief der Doktor. Der Koordinator hatte in der Tat auf dem Kopf einen tiefen Hautriß. Die Wunde reichte bis zur Mitte der Stirn. Der Doktor verband ihn, so gut er konnte. Die anderen hatten nur blaue Flecken davongetragen. Der Chemiker spuckte Blut — er hatte sich auf die Lippe gebissen.
Sie setzen sich in Richtung der Rakete in Marsch. Nach dem zertrümmerten Fahrzeug blickten sie sich nicht einmal mehr.