Neuntes Kapitel

Etwa zwei Stunden lang wurde schwer gearbeitet. Sie trugen aus der unteren Kammer die zertrümmerten Automatenstücke heraus, die ineinandergebohrten, kaum noch voneinander zu lösenden Teile, die der Zusammenprall aus den Fassungen gerissen und auf die Lafette des Beschützers geworfen hatte. Die größten Lasten räumten sie mit dem Scherenkran weg, und alles, was sich nicht durch die Tür zwängen ließ, montierten der Ingenieur und der Koordinator auseinander.

Zwei Panzerplatten, die zwischen dem Turm des Beschützers und einer Kiste mit Bleiziegeln eingekeilt waren, zerschnitten sie mit Hilfe des Lichtbogens, nachdem sie ein Kabel von der Schalttafel des Reaktors aus dem Maschinenraum nach unten gelegt hatten. Der Kybernetiker und der Physiker sortierten alles, was von den entsetzlich knirschenden Wrackteilen freigelegt war. Was sich nicht reparieren ließ, warfen sie zum Schrott. Der Chemiker seinerseits sortierte den Schrott nach Materialarten. Sobald ein besonders massives Konstruktionselement herausgehievt werden musste, warfen alle die Arbeit hin und eilten den Trägern zu Hilfe. Kurz vor sechs war der Zugang zu dem abgeflachten Kopf des Beschützers so weit frei, dass sie seine obere Klappe abschrauben konnten. Der Kybernetiker sprang als erster in das dunkle Innere. Bald darauf bat er um eine Lampe. Sie ließen sie ihm an einem Kabel hinab. Auf einmal hörten sie einen unterdrückten, triumphierenden Schrei, wie aus der Tiefe eines Brunnens. „Sie sind da!“ Er steckte für einen Augenblick den Kopf heraus. „Wir brauchen uns nur hineinzusetzen und zu fahren! Die gesamte Installation ist intakt!!“

„Na klar, der Beschützer ist doch dazu da, dass er einen Puff verträgt.“ Der Ingenieur strahlte, obwohl seine Unterarme vom Schleppen der Kisten mit den Reserveventilsätzen zerschrammt und blutig waren.

„Leute, es ist sechs. Wenn wir Wasser holen wollen, müssen wir das gleich tun“, rief der Koordinator.

„Der Kybernetiker und der Ingenieur haben alle Hände voll zu tun. Ich denke, wir fahren in der gleichen Zusammensetzung wie gestern.“

„Damit bin ich nicht einverstanden!“

„Du begreifst doch…“, hob der Koordinator an, doch der Ingenieur fiel ihm ins Wort: „Du verstehst davon genausoviel wie ich. Diesmal bleibst du hier.“

Sie stritten sich eine Weile, schließlich gab der Koordinator nach. Zur Expeditionsmannschaft gehörten der Ingenieur, der Physiker und der Doktor. Beim Doktor war mit Überredung nichts zu machen, er bestand darauf, mitzufahren.

„Es ist noch gar nicht raus, wo es sicherer ist, ob hier oder da, falls es darum gehen sollte“, sagte er, verärgert über die Einwände des Ingenieurs, und stieg die stählerne Leiter nach oben. „Die Behälter sind schon vorbereitet“, rief der Koordinator ihnen nach. „Bis zum Bach sind es nicht mehr als zwanzig Kilometer. Kommt gleich mit dem Wasser zurück, verstanden!“

„Wenn wir es schaffen, fahren wir gleich noch einmal“, sagte der Ingenieur. „Dann hätten wir vierhundert Liter.“

„Wie das mit dem Noch einmal fahren wird, werden wir nachher sehen.“ Der Chemiker und der Kybernetiker wollten sie hinausbegleiten, doch der Ingenieur versperrte ihnen den Weg. „Keinen großen Abschied, das hat keinen Sinn. Also, bis nachher. Einer muss oben bleiben. Der kann mitkommen.“

„Eben, das will ich ja“, sagte der Chemiker. „Du siehst doch, dass ich keine Arbeit habe.“ Die Sonne stand schon tief am Himmel. Der Ingenieur überprüfte die Befestigung der Kanister, das Lenkrad undden Vorrat an Isotopenmischung und setzte sich dann vorn in den Wagen. Kaum war der Doktor eingestiegen, richtete sich der Doppelt, der unter der Rakete gelegen hatte, in seiner ganzen Größe auf und schlurfte auf sie zu. Der Geländewagen fuhr an. Das große Geschöpf stöhnte auf und lief hinter ihnen her, mit einer Geschwindigkeit, die den Chemiker verblüffte. Der Doktor rief dem Ingenieur etwas zu, der Wagen hielt. „Was willst du denn“, murrte der Ingenieur, „du wirst ihn doch nicht mitnehmen?“ Der Doktor war verwirrt und wusste nicht, was er tun sollte. Er sah den Riesen an, der auf ihn herabschaute, von einem Bein aufs andere trat und krächzende Laute ausstieß.

„Schließ ihn in der Rakete ein, sonst folgt er uns“, riet der Ingenieur.

„Oder schläfere ihn ein“, meinte der Physiker. „Wenn er nämlich hinter uns herläuft, kann er noch einen von uns aus dem Wagen ziehen.“

Das leuchtete ihnen ein. Der Ingenieur fuhr langsam an die Rakete heran. Der Doppelt hüpfte mit seltsamen Sprüngen hinter ihnen her. Der Doktor lockte den Riesen in den Tunnel. Das Durchkommen war beschwerlich. Eine Viertelstunde darauf kehrte der Doktor verärgert und nervös zurück. „Ich habe ihn im Vorzimmer des Verbandsaals eingeschlossen. Da gibt es weder Glas noch scharfe Gegenstände. Aber ich fürchte, er wird toben.“

„Na, na“, meinte der Ingenieur, „mach dich nicht lächerlich.“ Der Doktor wollte etwas entgegnen, schwieg aber. Sie fuhren einen großen Bogen um die Rakete. Der Chemiker winkte ihnen nach, selbst als er nur noch einen hohen Staubschweif sah. Dann nahm er seine Wache bei dem flach eingegrabenen Werfer wieder auf.

Ungefähr zwei Stunden später sah er zwischen den schlanken Kelchen, die lange Schatten warfen, ein Staubwölkchen auftauchen. Die eiförmige, rot angeschwollene Sonnenscheibe berührte gerade den Horizont. Von Norden drängten blaue Wolken heran. Die sonst um diese Zeit eintretende Kühle blieb diesmal aus, die Luft war noch immer stickig. Der Chemiker trat aus dem Schatten der Rakete und beobachtete, wie der Wagen über die Furchen hüpfte, die die wirbelnden Scheiben aufgewühlt hatten. Er stürzte Zum Wagen, als der noch rollte. Er brauchte nicht nach dem Erfolg des Ausflugs zu fragen. Der Wagen saß schwer auf dem breitgedrückten Reifen. In allen Kanistern gluckste Wasser. Selbst auf dem freien Sitz plätscherte ein voller Behälter. „Wie war's?“ fragte der Chemiker. Der Ingenieur nahm seine dunkle Brille ab und wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß und den Staub vom Gesicht. „Sehr angenehm“, sagte er. „Seid ihr jemand begegnet?“

„Wie gewöhnlich, die Scheiben waren da, aber wir sahen sie nur von weitem. Wir fuhren von der anderen Seite heran, dort wo die Schonung mit der Schlucht ist, weißt du. Dort sind fast gar keine Furchen.

Schwierigkeiten hatten wir mit dem Füllen der Kanister. Uns fehlte eine kleine Pumpe.“

„Wir fahren noch einmal“, fügte der Physiker hinzu. „Zuerst müßt ihr das Wasser umgießen…“

„Lohnt nicht“, erwiderte der Physiker. „Hier liegen so viele leere Behälter herum, wir nehmen davon welche mit. Dann können wir alles auf einmal umschütten. Recht so?“ Er sah dem Ingenieur in die Augen, als hätte er dabei einen Hintergedanken. Der Chemiker bemerkte es nicht. Er wunderte sich nur über ihre unnötige Eile. Sie luden die Kanister mit einer Hast ab, als gelte es, irgendwo einen Brand zu löschen. Kaum hatten sie die neuen auf dem Gepäckgitter befestigt — übrigens weniger als das erstemal —, sprangen sie wieder in den Wagen und fuhren davon, eine riesige Staubfahne hinter sich herziehend. Als der Koordinator nach oben kam, sank die Staubwand, vom Licht der untergehenden Sonne purpurn übergössen, gerade auf die Ebene. „Sie sind noch nicht da?“ fragte er.

„Sie waren schon hier, haben die Behälter ausgewechselt und sind noch einmal gefahren.“ Der Koordinator war mehr erstaunt als verärgert. „Wieso, sie sind also gleich wieder abgefahren?“

Bevor er in die Rakete zurückging, versprach er dem Chemiker, ihn gleich ablösen zu lassen. Der Kybernetiker arbeitete gerade am Universalautomaten. Es wäre schwierig gewesen, mit ihm eineUnterhaltung anzufangen, er hatte ungefähr zwanzig Transistoren im Mund, die er nacheinander wie Kerne in die Hand spuckte. Auf seiner Brust baumelten mehrere hundert aus ihren Porzelit-hüllen hervorgezogene Leitungen, die er mit einer Fixigkeit zusammenknüpfte, dass die Finger nur so durcheinanderwirbelten. Manchmal hielt er inne und starrte minutenlang wie in Trance auf das große Schema, das vor seinen Augen hing. Der Koordinator ging deswegen wieder hinauf und löste selber den Chemiker auf seinem Posten ab, damit der das Abendbrot zubereiten konnte. Er setzte sich an den Werfer und vertrieb sich die Langeweile, indem er einige Beobachtungen in das vom Ingenieur angelegte Montagebuch eintrug.

Seit zwei Tagen zerbrachen sie sich darüber den Kopf, was sie mit den neunzigtausend Litern radioaktiv verseuchten Wassers anfangen sollten, das den Raum über dem Lasteneingang überflutet hatte. Das war einer der Teufelskreise, auf die sie ständig stießen. Um das Wasser zu reinigen, brauchten sie die Filter, aber zu dem Stromkabel, das sie versorgte, gelangte man eben nur durch den überfluteten Raum. Sie hatten zwar einen Taucheranzug an Bord, aber sie benötigten einen, der auch vor Strahlung schützte. Es lohnte jedoch nicht, ihn eigens dafür herzurichten, ihn mit Blei zu panzern.

Dann konnten sie auch warten, bis die in Betrieb genommenen Automaten in das Wasser tauchten.

Der Koordinator saß unter dem Heck der Rakete, an dem seit Anbruch der Dämmerung alle drei Sekunden die Lampe aufflammte, und beeilte sich, im kurzen Lichtschein alles niederzuschreiben, was ihm in den Sinn kam. Er lachte hinterher selbst darüber, als er sein Geschreibsel betrachtete. Ein Blick auf die Uhr: Es war kurz vor zehn.

Er erhob sich, begann auf und ab zu schreiten und hielt nach den Lichtern des Geländewagens Ausschau. Doch es war nichts zu sehen. Allerdings erschwerte die Signallampe die Beobachtung.

Deshalb entfernte er sich ein Stück von der Rakete in der Richtung, aus der der Wagen zurückkehren musste.

Wie gewöhnlich, wenn er allein war, schaute er zu den Sternen hinauf. Die Milchstraße ragte steil in die Finsternis. Sein Blick schweifte vom Skorpion nach links hinüber, auf einmal hielt er verblüfft inne. Die hellsten Sterne des Widders waren kaum zu erkennen. Sie gingen in einem blassen Schein unter, als hätte sich die Milchstraße ausgedehnt und sie verschlungen; dabei lagen sie außerhalb ihrer Grenzen. Plötzlich begriff er. Das war eine Feuersbrunst, eben dort, über dem östlichen Horizont. Sein Herz begann langsam und kräftig zu schlagen. Er spürte ein Würgen im Hals, das aber gleich verging.

Er presste die Kiefer zusammen und schritt weiter. Der weißliche Schein der Feuersbrunst hing tief über dem Horizont und flackerte ungleichmäßig. Er schloss die Augen und lauschte mit größter Konzentration in die Stille, hörte aber nur das Rauschen seines Blutes. Nun waren die Sternbilder fast gar nicht mehr zu sehen. Er stand reglos da, starrte zum Himmel, der sich mit einem trüben Schimmer überzog.

Anfangs wollte er zur Rakete zurückkehren und die anderen nach oben holen. Sie konnten ja mit dem Werfer dorthin gehen. Zu Fuß hätten sie mindestens drei Stunden gebraucht. Sie hatten außer dem Geländewagen noch einen kleinen Hubschrauber, aber der steckte eingekeilt zwischen Kisten, im Zwischendeck, das vom Wasser überflutet war. Sie hatten nur die Spitze herausragen sehen. Eine der beiden Luftschrauben war bei der Katastrophe zerbrochen, die Kabine sah wahrscheinlich schlimm aus. Blieb nur der Beschützer. Der Koordinator überlegte: Vielleicht setzten sie sich einfach hinein und öffneten die Lastenklappe, deren Schalttafel im Maschinenraum war, durch Fernsteuerung.

Sobald die Klappe aufging, würde das Wasser ablaufen. Im Beschützer wären sie vor Radioaktivität sicher. Unklar war jedoch, ob sich die Klappe überhaupt öffnen würde, ebenso, was sie danach tun sollten, wenn sich der Boden rund um die Rakete in einen einzigen radioaktiven Fleck verwandelt hatte. Dennoch: Wenn er nur die Gewißheit hätte, dass die Klappe nachgeben würde…Er beschloss, noch zehn Minuten zu warten. Wenn er bis dahin die Lichter des Wagens nicht entdeckte, würden sie fahren. Es war dreizehn Minuten nach zehn. Er ließ die Hand mit der Uhr sinken. Der Feuerschein — ja, er irrte sich nicht — glitt langsam am Horizont entlang, erreichte bereits den Alpha Phönix und bewegte sich mit einem Streifen, der oben rötlich, unten weißlich trüb war, nach Norden. Wieder schaute er auf die Uhr: Es fehlten noch vier Minuten. Da erblickte er die Scheinwerfer. Zunächst waren sie nur ein blinkendes Irrlicht, ein Sternchen, das im schnellen Rhythmus zitterte, dann teilten sie sich in zwei Lichter, sprangen nach oben und nach unten, begannen schließlich immer stärker zu blenden. Er hörte bereits das Rauschen der Räder. Sie fuhren wohl schnell, doch er wusste, dass man aus dem Wagen mehr herausholen konnte. Das beruhigte ihn.

Dennoch spürte er wie immer unter solchen Umständen wachsenden Ärger.

Ohne es zu merken, hatte er sich mindestens dreihundert Schritt von der Rakete entfernt. Der Geländewagen bremste scharf. Der Doktor rief: „Steig ein!“ Er lief hinzu und sprang von der Seite her auf den freien Sitz. Als er den Behälter beiseite schob, spürte er, dass er leer war. Er sah die drei an. Dem Augenschein nach war ihnen nichts zugestoßen. Er beugte sich vor, berührte das Rohr des Werfers — es war kalt. Der Physiker beantwortete seinen Blick mit einem nichtssagenden Ausdruck in den Augen. Der Koordinator wartete deshalb schweigend, bis sie die Rakete erreicht hatten. Der Ingenieur bog scharf ein, die Fliehkraft drückte den Koordinator in den Sitz. Die leeren Kanister polterten, der Wagen hielt vor dem Tunneleingang. „Ist das Wasser ausgetrocknet?“ fragte der Koordinator in gleichgültigem Ton. „Wir konnten kein Wasser schöpfen.“ Der Ingenieur drehte sich auf seinem Sitz zu ihm um. „Wir kamen nicht durch bis zum Bach.“ Er deutete mit der Hand nach Osten. Keiner rührte sich von seinem Platz. Der Koordinator sah zuerst den Physiker, dann den Ingenieur prüfend an. „Wir hatten schon beim erstenmal entdeckt, dass sich dort etwas verändert hatte“, gestand der Physiker. „Aber wir wussten nicht, was es war, und wollten uns vergewissern.“

„Und wenn es sich so gründlich verändert hätte, dass ihr nicht zurückgekommen wäret, was hätte uns dann diese Umsicht genutzt?“ Der Koordinator verbarg seinen Ärger nicht mehr.

„Also bitte, erzählt alles, aber ohne Tropfenmesser!“

„Sie machen dort etwas am Bach, davor und dahinter, rings um die Hügel, in allen Talkesseln, die größeren Furchen entlang, und das auf mehreren Kilometern Länge“, begann der Doktor. Der Ingenieur nickte. „Beim erstenmal, als es noch hell war, hatten wir nur ganze Scharen von diesen Brummkreiseln bemerkt. Sie fuhren alle in V-Formation und warfen Erde heraus, als führten sie Ausgrabungen durch. Wir entdeckten sie erst auf dem Rückweg vom Hügel aus. Sie wollten mir nicht gefallen.“

„Und was wollte dir an ihnen nicht gefallen?“ fragte der Koordinator sanft. „Dass sie sich dreieckig formierten und dass die Spitzen der Dreiecke in unsere Richtung zeigten.“

„Wunderbar. Und ohne uns auch nur ein Wort davon zu sagen, seid ihr noch einmal hingefahren? Weißt du, wie man so etwas nennt?“

„Vielleicht haben wir eine Dummheit gemacht“, sagte der Ingenieur. „Bestimmt sogar, aber wir dachten uns, ehe wir erst wieder lange beratschlagen, ob wir ein zweites Mal fahren sollen, und dann von neuem der Streit losgeht, wer sein unschätzbares Leben aufs Spiel setzen darf und wer nicht, da wollten wir lieber die Sache selbst rasch erledigen. Ich rechnete damit, dass sie das Arbeitsgelände bei Dunkelheit irgendwie beleuchten würden.“

„Haben sie euch bemerkt?“

„Offenbar nicht. Jedenfalls habe ich keine Anzeichen dafür beobachtet. Sie haben uns nicht angegriffen.“

„Wie seid ihr jetzt gefahren?“

„Fast die ganze Zeit über die Hügelrücken, nicht auf dem Kamm, sondern etwas darunter, damit sie uns nicht vor dem Hintergrund des Himmels erkennen konnten. Natürlich ohne Licht. Deshalb hat es so lange gedauert.“

„Das heißt, ihr seid überhaupt nicht mit der Absicht gefahren, Wasser zu tanken, und die Kanister habt ihr nur mitgenommen, um den Chemiker zu täuschen?“„Nein, so war es nicht“, widersprach der Doktor. Sie saßen noch immer im Wagen, im Schein der gleichmäßig aufflammenden Lampe. „Wir hatten vor, den Bach weiter hinten zu erreichen, von der anderen Seite her, aber es ging nicht.“

„Warum?“

„Sie führen dort die gleichen Arbeiten durch. Jetzt, das heißt seit Anbruch der Dunkelheit, gießen sie eine leuchtende Flüssigkeit in die Gräben. Sie gibt so viel Licht, dass man ausgezeichnet sieht.“

„Was war das?“ Der Koordinator sah den Ingenieur an.

Der zuckte mit den Schultern. „Vielleicht gießen sie dort etwas. Obwohl mir das Material für geschmolzenes Metall zu dünnflüssig vorkam.“

„Womit wurde das herangeschafft?“

„Gar nicht. Sie legten etwas in die Furchen. Ich nehme an, es war eine Rohrleitung, aber mit Bestimmtheit kann ich das nicht sagen.“

„Sie pressten flüssiges Metall durch eine Rohrleitung?“

„Ich sage dir nur, was ich in der Dunkelheit durch das Fernglas gesehen habe, bei sehr schlechten Lichtverhältnissen. In der Mitte leuchtet jeder Graben wie ein Quecksilberbrenner, ringsherum ist alles dunkel. Wir kamen übrigens nirgends näher als siebenhundert Meter heran.“ Die Signallampe verlosch, minutenlang saßen sie da, ohne einander zu sehen, dann flammte sie wieder auf. „Ich denke, wir werden sie entfernen müssen“, sagte der Koordinator mit einem Blick nach oben. „Und das sofort… Was ist?“ Er sah in die Dunkelheit, wo der Chemiker gerade aus dem Tunnel trat. Sie wechselten ein paar Worte miteinander, der Ingenieur ging unterdessen nach unten und schaltete die Stromzufuhr im Maschinenraum aus. Die Lampe blitzte zum letztenmal auf, dann umgab sie völlige Finsternis. Um so deutlicher war der Schein am Horizont zu sehen. Er hatte sich inzwischen mehr nach Süden verzogen. „Es wimmelt dort von ihnen — wie Sand am Meer“, sagte der Ingenieur, der zurückgekehrt war. Seine Gesichtszüge wirkten in dem unbeweglichen Widerschein der Feuersbrunst wie grau gezeichnet. „Die großen Brummkreisel?“

„Nein, die Doppelts. Man konnte ihre Gestalten im Licht des leuchtenden Breis erkennen. Sie hatten es sehr eilig, offenbar erkaltete er und wurde dick. Sie stellten irgendwelche Gitter auf, hinten und an den Seiten. Der uns zugewandte Teil blieb frei.“

„Was nun? Werden wir mit den Händen im Schoß dasitzen und abwarten?“ fragte der Chemiker laut. „Keineswegs“, erwiderte der Koordinator. „Wir werden sofort die Bordsysteme des Beschützers überprüfen.“ Sie schwiegen eine Weile und betrachteten den Schein am Horizont. Einige Male leuchtete er stärker auf. „Willst du das Wasser ablassen?“ fragte der Ingenieur düster. „Damit warten wir so lange wie möglich. Ich hatte schon daran gedacht. Wir wollen versuchen, die Klappe zu öffnen. Wenn die Kontrollämpchen anzeigen, dass der Schlossmechanismus in Ordnung ist, schlagen wir sie wieder zu und warten ab. Die Klappe wird sich bei dem Versuch nur millimeterweit öffnen, schlimmstenfalls fließt ein halbes Hundert Liter Wasser heraus. Ein so kleiner radioaktiver Fleck ist kein Problem, damit werden wir schon fertig.

Dafür haben wir dann die Gewißheit, dass wir jederzeit mit dem Beschützer herausfahren können und Manövrierfreiheit haben.“

„Schlimmstenfalls bleibt ein Fleck zurück, aber von uns“, sagte der Chemiker. „Ich bin gespannt, was du dir von diesen Experimenten versprichtst, falls ein Atomangriff erfolgt?“

„Keramit hält eine Explosion bis zu dreihundert Meter vom Punkt Null aus.“

„Und wenn sie nur hundert Meter weg ist?“

„Der Beschützer hält auch auf hundert Meter Entfernung eine Explosion aus.“

„Ja, wenn er eingegraben ist“, berichtigte ihn der Physiker. „Nun gut. Notfalls graben wir uns ein.“

„Selbst wenn die Explosion vierhundert Meter entfernt erfolgen sollte, verklemmt sich die Klappe thermisch, und du kannst nicht rausfahren. Dann kochen wir drinnen wie die Krebse.“

„Das hat alles keinen Sinn. Vorläufig fliegen keine Bomben, und übrigens, verflixt noch mal, das müssen wir uns schließlich eingestehen — verlassen werden wir die Rakete nicht… Wenn sie die Rakete zerstören, woraus willst du dann eine zweite bauen? Kannst du mir das verraten?“ Eine Weile herrschte Schweigen. „Moment.“ Dem Physiker war etwas eingefallen. „Der Beschützer ist doch nichtkomplett! Der Kybernetiker hat die Dioden herausgenommen.“

„Nur aus dem Zielautomaten. Man kann auch ohne den Automaten zielen. Außerdem weißt du ja: Wenn mit Antiprotonen geschossen wird, kann man ruhig danebentreffen. Die Wirkung bleibt die gleiche.“

„Hört mal, ich hab da eine Frage“, sagte der Doktor. Alle wandten sich ihm zu. „Was denn?“

„Ach, nichts Besonderes. Ich hätte nur gern gewusst, was unser Doppelt macht.…“

Eine Sekunde lang herrschte Schweigen, dann barsten alle vor Lachen.

„Das ist schön!“ rief der Ingenieur. Die Stimmung besserte sich, als wäre die Gefahr auf einmal gebannt. „Er schläft“, sagte der Koordinator. „Wenigstens schlief er um acht, als ich nach ihm sah. Er ist überhaupt imstande, beinahe pausenlos zu schlafen. Ob er was ißt?“ Die Frage galt dem Doktor.

„Er will bei uns nichts essen. Ich weiß nicht, was er ißt. Von den Speisen, die ich ihm hinhielt, hat er nichts angerührt.“

„Ja, jeder hat eben seine Sorgen“, seufzte der Ingenieur und lächelte im Dunkeln.

„Achtung!“ Von unten ertönte eine Stimme. „Achtung! Achtung!“ Sie drehten sich ungestüm um. Ein großes dunkles Gebilde kroch aus dem Tunnel, rasselte leise über den Boden und blieb stehen. Hinter ihm tauchte der Kybernetiker auf, eine brennende Taschenlampe auf der Brust.

„Unser erster Universalautomat!“ rief er triumphierend. „Was ist…?“ Er blickte in die Gesichter der Kameraden. „Was ist geschehen?“

„Vorläufig noch nichts“, antwortete der Chemiker. „Aber es kann mehr geschehen, als wir uns wünschen.“

„Wieso das? Wir haben doch einen Automaten“, versetzte der Kybernetiker ratlos.

„So? Na dann sag ihm, dass er gleich anfangen kann.“

„Womit?“

„Gräber schaufeln!“ schrie der Chemiker, stieß die Gefährten beiseite und schritt geradeaus in die Dunkelheit. Der Koordinator stand eine Weile starr da und schaute ihm nach, dann folgte er ihm.

„Was hat er?“ fragte der Kybernetiker verblüfft. „Ein Schock“, erwiderte der Ingenieur. „Sie bereiten dort in den kleinen Tälern im Osten etwas gegen uns vor. Wir haben das bei unserem Ausflug festgestellt. Wahrscheinlich werden sie uns angreifen, aber wir wissen noch nicht, wie.“

„Angreifen.

?“ Der Kybernetiker stand noch immer im Banne seiner erfolgreichen Arbeit. Was der Ingenieur sagte, schien gar nicht in sein Bewußtsein zu dringen. Er sah die anderen mit großen Augen an, dann drehte er sich um: Hinter ihm stand der Automat, der die Menschen überragte, unbeweglich, wie aus einem Felsen gehauen. „Man muss etwas unternehmen…“, flüsterte der Kybernetiker. „Wir wollen den Beschützer in Betrieb nehmen“, sagte der Physiker. „Ganz gleich, ob das was nützt oder nicht, jedenfalls müssen wir uns an die Arbeit machen. Sag dem Koordinator, er soll uns den Chemiker schicken, wir gehen nach unten. Wir müssen die Filter reparieren. Der Automat wird das Kabel anschließen. Komm“, er nickte dem Kybernetiker zu. „Das schlimmste ist, mit verschränkten Armen zu warten.“ Sie gingen in den Tunnel. Der Automat machte auf der Stelle kehrt und folgte ihnen.

„Sieh einer an, er hat mit ihm schon Rückkopplung“, sagte voll Bewunderung der Ingenieur zum Doktor. „Das wird sich gleich als nützlich für uns erweisen. Wir lassen den Schwarzen unter Wasser tauchen. Einem Untergetauchten könnte man mit der Stimme keine Befehle erteilen.“

„Wie dann?

Durch Funk?“ fragte der Doktor zerstreut, als sagte er nur etwas, um die Unterhaltung nicht abbrechen zu lassen. Er verfolgte die beiden Silhouetten vor dem Schein am Horizont. Sie waren umgekehrt. Sie sahen aus wie nächtliche Spaziergänger unter den Sternen.

„Mit einem Mikrosender, das weißt du doch“, erklärte der Ingenieur. Mit den Augen folgte er dem Blick des Doktors und fuhr dann in dem gleichen Ton fort: „Das ist deshalb, weil er schon überzeugt war, es würde uns gelingen…“

„Ja.“ Der Doktor nickte. „Darum weigerte er sich heute früh so heftig, Eden zu verlassen…“

„Das macht nichts…“ Der Ingenieur wandte sich wieder dem Tunneleingang zu. „Ich kenne ihn.Sobald es richtig losgeht, ist er darüber hinweg.“

„Ja, dann vergeht alles“, pflichtete der Doktor ihm bei. Der Ingenieur hielt inne und versuchte ihm im Dunkeln ins Gesicht zu schauen, da er unsicher war, ob sich nicht Spott hinter den Worten verbarg. Doch er bemerkte nichts, denn es war zu dunkel.

Nach einer guten Viertelstunde kamen der Koordinator und der Chemiker in die Rakete hinunter.

Inzwischen hatte der Schwarze oben einen zwei Meter hohen Wall rings um den Tunnelausgang aufgeschichtet, ihn festgestampft und abgestützt und dann die oben zurückgelassenen Sachen nach unten transportiert. Außer dem eingegrabenen Werfer blieb nur der Geländewagen oben zurück. Sie wollten sich die Zeit sparen, die sie gebraucht hätten, ihn auseinanderzunehmen, und auf die Hilfe des Automaten wollten sie auch nicht verzichten.

Um Mitternacht legten sie sich tüchtig ins Zeug. Der Kybernetiker überprüfte die gesamte innere Installation des Beschützers. Der Physiker und der Ingenieur regulierten die kleine Batterie der Radioaktivitätsfilter, und der Koordinator stand im Schutzanzug über der Öffnung des Geschosses unter dem Maschinenraum. Der Automat war auf den Boden getaucht und arbeitete an den Kabelverzweigungen zwei Meter tief unter Wasser. Die Filter wiesen auch nach der Reparatur eine verminderte Durchlässigkeit auf, weil ein paar Sektionen ausgefallen waren. Sie halfen sich, indem sie die Zirkulation des Wassers beschleunigten. Seine Reinigung vollzog sich unter ziemlich primitiven Bedingungen. Der Chemiker entnahm alle zehn Minuten Proben aus dem Behälter und untersuchte den Grad der radioaktiven Verseuchung. Der selbsttätige Anzeiger arbeitete nicht, und sie hätten viel Zeit zu seiner Instandsetzung benötigt.

Gegen drei Uhr früh war das Wasser gereinigt. Der Behälter, aus dem es ausgelaufen war, hatte drei Lecks. Sein Beharrungsvermögen hatte ihn aus der Lagerung gerissen. Er war mit der Vorderseite gegen einen Hauptspanten des Panzers geprallt. Statt ihn zu schweißen, pumpten sie in der Eile das Wasser einfach in den oberen leeren Behälter. Unter normalen Bedingungen wäre eine solche asymmetrische Verteilung der Ladung undenkbar gewesen, aber die Rakete war ja vorläufig nicht startbereit. Nachdem das Wasser ausgepumpt war, bliesen sie die Bodenräume mit flüssiger Luft durch. An den Wänden blieb etwas radioaktiver Niederschlag zurück, aber dem maßen sie keine Bedeutung bei. Vorläufig beabsichtigte niemand, dort hineinzugehen. Nun kam das Wichtigste — das öffnen der Lastenklappe. Die Kontrollichter zeigten die volle Leistungsfähigkeit des Schlossmechanismus an, dennoch wollte er sich beim ersten Versuch nicht öffnen. Sie schwankten einen Augenblick, ob sie den Druck in den hydraulischen Vorrichtungen nicht verstärken sollten, aber der Ingenieur entschied, dass es besser sei, wenn sie die Klappe von außen untersuchten, und so gingen sie nach oben.

Es war nicht leicht, an die Klappe zu gelangen. Sie befand sich unten am Rumpf, vier Meter über der Erde. Sie errichteten aus den Metallbruchstücken ein provisorisches Gerüst. Das dauerte nicht lange.

Der Automat schweißte die stählernen Fragmente zu einem unförmigen, aber haltbaren Laufsteg zusammen, und die Besichtigung im Lichte der Taschenlampen und des Scheinwerfers auf dem Ständer konnte beginnen. Der Himmel war im Osten grau geworden, der Feuerschein war nicht mehr zu sehen. Die Sterne verblaßten allmählich, und von den Keramitplatten des Rumpfes tropfte dicker Tau. „Komisch“, sagte der Physiker, „der Mechanismus ist in Ordnung, die Klappe sieht wie Gold aus und hat nur den einen Fehler, dass sie sich nicht öffnen läßt.“

„Ich liebe keine Wunder“, versetzte der Kybernetiker und schlug mit dem Feilengriff gegen das Metall. Der Ingenieur schwieg. Er war wütend. „Moment“, sagte der Koordinator, „vielleicht versuchen wir es einmal mit der alten, durch Generationen erprobten Methode…“ Er griff nach dem Achtkilohammer, der auf dem Gerüst vor seinen Füßen lag. „Man kann den Rand abklopfen, aber nur einmal“, warnte der Ingenieur nach einigem Zögern. Er schätzte solche Methoden nicht. Der Koordinator schielte zu dem schwarzen Automaten hinüber, der sich wie ein kantiges Denkmal imMorgengrauen abzeichnete, wie er so den Laufsteg mit der Brust stützte, wog dann den Hammer in den Händen, holte aus und schlug zu. Er schlug gleichmäßig. Ohne weit auszuholen, setzte er einen Schlag neben den anderen, jeden ein paar Zentimeter weiter. Der Panzer antwortete mit einem kurzen, vollen Laut. Es war unbequem, nach oben auszuholen, aber die physische Anstrengung tat dem Koordinator gut. Plötzlich mischte sich in das gleichmäßige Hämmern ein anderer Laut — ein tiefes Stöhnen, als hätte sich der Boden unter ihnen selbst gemeldet. Der Koordinator hielt mit dem Hämmern inne. Sie vernahmen ein durchdringendes Pfeifen in der Höhe, dann ein dumpfes Krachen.

Das Gerüst erzitterte.

„Runter!“ schrie der Physiker. Sie sprangen nacheinander vom Gerüst. Nur der Automat rührte sich nicht. Es war schon ziemlich hell. Die Ebene und der Himmel hatten die Farbe von Asche angenommen. Ein zweites brummendes Stöhnen ertönte. Das durchdringende Pfeifen schien auf sie zu zielen. Sie duckten sich instinktiv, zogen die Köpfe ein. Noch standen sie im Schutz des großen Raketenrumpfes. Einige hundert Meter weiter spritzte der Boden in einem senkrechten Geysir hoch. Der Laut, der damit verbunden war, klang eigenartig schwach, wie gedämpft. Sie liefen zum Tunnel. Der Automat folgte ihnen. Der Koordinator und der Ingenieur blieben eine Weile im Schutz der Brustwehr stehen. Der ganze Horizont im Osten stöhnte von unterirdischem Donner. Ein Tosen rollte über die Ebene, das Pfeifen schwoll an, wurde machtvoller, schon waren keine einzelnen Töne mehr zu unterscheiden. Der Himmel spielte Orgel, es war, als stürzten Rudel von Überschalljägern vom Zenit auf sie herab. Das ganze Vorfeld war übersät von kleinen Sandfontänen, sie zeichneten sich schwarz vor dem bleiernen Hintergrund des Himmels ab. Der Boden erbebte immer von neuem. Von der Brustwehr rollten kleine Brocken in den Tunnel. „Eine völlig normale Zivilisation“, meldete sich die Stimme des Physikers aus der Tiefe. „Nicht wahr?“

„Entweder zu kurz oder zu weit gezielt“, murmelte der Ingenieur. Der Koordinator verstand ihn nicht, denn in der Luft zischte es ununterbrochen. Der Sand spritzte, aber die Fontänen näherten sich der Rakete nicht. So standen sie, bis über die Schultern verdeckt, mehrere lange Minuten. Es änderte sich nichts. Der grollende Donner am Horizont war in ein lang anhaltendes, baßtiefes, fast gleichmäßiges Tosen übergegangen, doch man hörte keine Explosionen. Die Geschosse gingen fast lautlos nieder.

Der hochgeschleuderte Sand sank zurück auf die Erde. Es war bereits so hell, dass sie die kleinen Erhebungen der Einschußstellen sehen konnten. Sie glichen Maulwurfshügeln. „Reicht mir mal das Fernglas“, rief der Koordinator in den Tunnel. Wenig später hielt er es in der Hand. Er sagte nichts, doch sein Staunen wuchs immer mehr. Anfangs hatte er angenommen, die angreifende Artillerie wolle sich einschließen. Er suchte mit dem Fernglas den ganzen Horizont ab und sah auf allen Seiten Treffer einschlagen, bald näher, bald weiter, aber keiner näher als zweihundert Meter. „Also was ist? Nichts Atomares, wie?“ drang es gedämpft aus dem Tunnel. „Nein!“ schrie der Koordinator zurück.

„Siehst du? Lauter Blindgänger!“ flüsterte ihm der Ingenieur ins Ohr.

„Ich sehe!“

„Sie kreisen uns von allen Seiten ein.“

Er nickte. Jetzt beobachtete der Ingenieur mit dem Fernglas das Vorfeld. Jeden Augenblick konnte die Sonne aufgehen. Wäßriges Blau füllte den blassen Himmel, der wie leergewaschen aussah. Auf der Ebene rührte sich nichts, abgesehen von den Federbüschen der Einschläge, die den Hügel, in dem die Rakete steckte, mit einem buschigen, immer wieder in sich zusammenfallenden Kreis wie mit einer seltsam flimmernden Hecke umgab. Der Koordinator faßte einen Entschluß. Er kroch aus dem Tunnel und war mit drei Sätzen auf der Hügelspitze. Dort warf er sich flach auf den Boden und schaute in dieRichtung, die er vom Tunnel aus nicht sehen konnte. Das Bild, das sich ihm von dort aus bot, war ähnlich: Ringsum wuchs eine breite Sichel von Einschlägen mit staubenden und spritzenden Explosionsfontänen aus dem dürren Boden. Jemand warf sich mit Schwung neben ihn in den trockenen Sand. Es war der Ingenieur. Sie lagen dicht nebeneinander und beobachteten das Geschehen. Schon hörten sie den ununterbrochenen Donner kaum noch, der vom Horizont in eisernen Wogen heranströmte. Bisweilen schien er sich zu entfernen, das lag jedoch an dem Wind, den die ersten Sonnenstrahlen geweckt hatten. „Das sind gar keine Blindgänger!“ rief der Ingenieur. „Was dann?“

„Ich weiß es nicht. Warten wir ab…“

„Gehen wir in die Rakete!“

Sie liefen den Hang hinunter. Nacheinander sprangen sie in den Tunnel. Den Automaten ließen sie zurück. Sie begaben sich in die Bibliothek. Dort war kaum etwas zu hören. Sogar von dem Beben des Bodens spürte man fast nichts. „Was nun? Wollen die uns etwa weiter so belagern? Um uns auszuhungern?“ fragte der Physiker erstaunt, nachdem alle berichtet hatten, was ihnen aufgefallen war.

„Weiß der Teufel. Ich möchte mir so ein Geschoß mal aus der Nähe ansehen“, sagte der Ingenieur.

„Wenn die eine Pause machen, lohnt es sich vielleicht, mal nach oben zu gehen.“

„Der Automat wird es tun“, entschied der Koordinator kühl. „Der Automat?“ Der Kybernetiker unterdrückte ein Stöhnen.

„Ihm wird nichts geschehen, keine Bange.“

Sie fühlten, wie der Rumpf auf einmal erbebte, aber anders als sonst. Sie sahen einander an. „Ein Treffer!“ schrie der Chemiker und sprang auf. „Sollten sie das Feuer verlegt haben…?“ Der Koordinator eilte zum Tunnel. Oben hatte sich anscheinend nichts verändert. Der Horizont toste, unter dem Heck der Rakete lag jedoch auf dem sonnenhellen Sand etwas Schwarzes, ähnlich einem geplatzten Sack Schrott. Der Koordinator versuchte die Stelle zu finden, wo das seltsame Geschoß am Panzer zerschellt war. Das Keramit zeigte jedoch nicht die geringsten Spuren. Bevor die anderen ihn zurückhalten konnten, lief er hin und stopfte mit beiden Händen einige der zersplitterten, noch warmen Teilchen in das leere Fernglasfutteral.

Als er mit der Beute zurückkehrte, fielen alle über ihn her, der Chemiker am lautesten. „Du mußt wohl nicht bei Sinnen sein, weißt du! Das kann radioaktiv sein!“ Sie stürzten in die Rakete. Die Teilchen sahen sehr seltsam aus, waren aber nicht radioaktiv. Der Geigerzähler schwieg, als sie ihn daranhielten. Keine Spur von einem Panzer oder einer Geschoßhülle. Nichts weiter als eine Unmenge feinster Krümel, die zwischen den Fingern in grobkörnige, fett glänzende Metallspäne zerfielen. Der Physiker nahm das Pulver unter die Lupe, hob die Augenbrauen, holte ein Mikroskop aus dem Schrank, schaute hinein und stieß einen Schrei der Verwunderung aus. Sie rissen ihm fast mit Gewalt den Kopf von der Optik weg. „Sie schicken uns Uhren…“, sagte der Chemiker leise, nachdem er in das Mikroskop geschaut hatte.

Auf dem Objektträger lagen Röllchen und Kettchen, Dutzende, ja Hunderte kleiner Zahnräder, Exzenter, Sprungfedern und verbogener kleiner Achsen. Sie schoben den Objektträger hin und her, schütteten.neue Proben unter das Objektiv und sahen immer wieder dasselbe. „Was kann das sein?“

rief der Ingenieur. Der Physiker rannte in der Bibliothek hin und her, raufte sich die Haare, blieb stehen, sah die Kameraden mit wirrem Blick an und lief weiter. „Ein unerhört komplizierter Mechanismus, geradezu ungeheuerlich.“ Der Ingenieur hielt wägend ein Häufchen des metallischen Staubs in der Hand. „Darin sind Milliarden, wenn nicht gar Billionen dieser verdammten Rädchen!

Gehen wir nach oben“, sagte er in einem plötzlichen Entschluß. „Sehen wir nach, was da los ist.“ Die Kanonade dauerte unverändert an. Der Automat hatte seit der Übernahme des Postens bereits elfhundertneun Einschläge gezählt. „Versuchen wir es jetzt mit der Klappe“, riet der Chemiker,nachdem sie zur Rakete zurückgekehrt waren. Der Kybernetiker blickte ins Mikroskop und schwieg sich aus.

Es war in der Tat schwierig, dazusitzen und nichts zu tun. Sie begaben sich also in den Maschinenraum. Die Kontrollichter des Schlossmechanismus brannten noch immer. Der Ingenieur bewegte nur den Griff, und der Zeiger zitterte gehorsam. Die Klappe bewegte sich. Er schloss sie gleich wieder und sagte: „Wir können jederzeit mit dem Beschützer rausfahren.“

„Die Klappe wird in der Luft hängen“, bemerkte der Physiker. „Schadet nichts, höchstens anderthalb Meter über der Erde.

Für den Beschützer ein Kinderspiel. Das überspringt er.“ Vorläufig bestand jedoch keine dringende Notwendigkeit zur Ausfahrt, also kehrten sie in die Bibliothek zurück. Der Kybernetiker saß noch immer über das Mikroskop gebeugt. Er war wie in Trance.

„Laßt ihn, vielleicht fällt ihm etwas ein“, sagte der Doktor. „Aber jetzt müssen wir etwas tun. Ich schlage vor, wir setzen die Reparatur des Raumschiffes fort.…“ Schwerfällig erhoben sie sich von ihren Plätzen. Was blieb ihnen auch weiter übrig? Alle fünf stiegen sie in den Steuerraum hinunter, in dem die Zerstörung am größten war. Der Regler erforderte viel mühselige Uhrmacherarbeit. Sie überprüften zuerst jeden Stromkreis mit gelockerten Sicherungen, dann unter Spannung. Alle Augenblicke lief der Koordinator nach oben und kehrte schweigend zurück. Keiner fragte ihn. Im Steuerraum, fünfzehn Meter unter der Erde, spürte man ein schwaches Schwanken des Bodens. So wurde es Mittag. Sie kamen mit der Arbeit trotz allem voran. Mit Hilfe des Automaten wäre es viel schneller gegangen, aber der Beobachtungsposten war notwendig. Bis um eins hatte er mehr als achttausend Einschläge registriert. Obwohl keiner Hunger verspürte, bereiteten sie sich wie alle Tage ein Mittagessen, zur Stärkung und wegen der Gesundheit, wie der Doktor erklärte. Das Geschirr brauchten sie nun nicht mehr abzuwaschen, das erledigte der Spüler für sie. Zwölf Minuten nach zwei hörte das Beben plötzlich auf. Sofort ließen sie die Arbeit liegen und rannten durch den Tunnel nach oben. Eine kleine, golden brennende Wolke verdeckte die Sonne. Die Ebene lag ruhig da in der Hitze.

Der feine Staub, den die Explosionen aufgewirbelt hatten, legte sich langsam. Totenstille herrschte.

„Schluß…?“ fragte er zögernd den Physiker. Seine Stimme klang merkwürdig laut. Sie hatten sich in den langen Stunden an das unablässige Dröhnen gewöhnt. Der letzte Einschlag, den der Automat registriert hatte, war der neuntausendsechshundertvierte. Einer nach dem ändern verließen sie den Tunnel. Nichts geschah. In zweihundertfünfzig bis dreihundert Meter Entfernung zog sich ein Gürtel durchwühlten, zermahlenen Sandbodens rings um die Rakete. An manchen Stellen hatten sich die einzelnen Trichter zu Gräbern vereinigt. Der Doktor kletterte auf die Brustwehr.

„Noch nicht.“ Der Ingenieur hielt ihn zurück. „Warten wir ab.“

„Wie lange?“

„Wenigstens eine halbe Stunde, besser eine ganze.“

„Spätzünder? Das waren doch keine explosiven Ladungen!“

„Man kann nie wissen!“ Die Wolke war von der Sonne gewichen, es wurde heller. Sie standen da und schauten sich um. Der Wind hatte sich fast gelegt, es wurde heißer. Der Koordinator vernahm als erster ein Geräusch. „Was ist das?“ fragte er flüsternd.

Sie spitzten die Ohren. Auch die anderen glaubten etwas zu hören. Es raschelte, als bewegte der Wind die Blätter an irgendwelchen Sträuchern. In ihrem Blickfeld befanden sich jedoch weder Sträucher noch Blätter, da war nichts außer einem aufgewühlten Kreis aus Sand. Die erhitzte Luft wurde totenstarr, in der Ferne, über den Dünen, flimmerte sie vor Glut. Das Rascheln hielt an. „Ob das von da kommt?“

„Ja.“ Sie unterhielten sich flüsternd. Das Geräusch kam gleichmäßig aus allen Richtungen.

„Es weht kein Wind…“, sagte leise der Chemiker. „Nein, das ist nicht der Wind. Das ist dort, wo die Geschosse niedergingen.…“

„Ich sehe nach.“

„Bist du wahnsinnig! Und wenn das Zeitzünder sind?“

Der Chemiker erblaßte. Er wich zurück, als wollte er sich im Tunnel verkriechen. Aber es war so hell,alles schien so friedlich — sie standen alle da, er biß die Zähne zusammen, ballte die Fäuste und blieb.

Das Rascheln dauerte an, gleichmäßig, mit einer erstaunlichen Emsigkeit, es schien von allen Seiten zu kommen. Sie standen gebückt, mit gespannten Muskeln, ohne zu zittern, wie in unbewusster Erwartung eines Hiebes. Das war tausendmal schlimmer als die Kanonade! Die Sonne hing am Zenit, Schatten flauschiger Wolken zogen langsam über die Ebene. Die Wolken hatten sich aufgetürmt, waren unten flach, sahen aus wie weiße Inseln. Am Horizont bewegte sich nichts. Überall war es öde und leer. Sogar die grauen Kelche, deren Striche sich zuvor unscharf von den fernen Dünen abgehoben hatten, waren verschwunden! Das fiel ihnen erst jetzt auf.

„Da!“ Der Physiker wies mit ausgestreckter Hand auf den Sand vor sich. Es geschah auf allen Seiten gleichzeitig. Wo sie auch hinsahen, überall der gleiche Anblick. Der aufgewühlte Boden erbebte, bewegte sich. Etwas funkelte in der Sonne, schob sich daraus hervor, dort, wo die Geschosse eingeschlagen waren. Eine nahezu regelmäßige kammartige Linie von glänzenden Keimen, in vier, in fünf, manchmal auch in sechs Reihen. Da wuchs etwas aus der Erde, so schnell, dass man, wenn man genau hinsah, fast das Wachsen beobachten konnte.

Jemand stürzte aus dem Tunnel und rannte, ohne auf sie zu achten, zu der neuen Erscheinung. Der Kybernetiker. Sie schrien und liefen ihm nach. „Ich weiß es!“ rief er. „Ich weiß es!“

Er fiel vor der gläsernen Reihe der Keime auf die Knie. Sie ragten bereits eine Fingerlänge aus dem Boden, am Ansatz dick wie eine Faust. In der Tiefe zitterte etwas fieberhaft, arbeitete, rührte sich geschäftig. Es war, als hörte man das gleichzeitige Umschütten von Milliarden feinster Sandkörnchen.

„Mechanischer Samen!“ Der Kybernetiker versuchte den Boden rings um einen Keim mit den Händen wegzuräumen. Es wollte ihm nicht recht gelingen. Der Sand war heiß. Der Kybernetiker hob die Hände. Einer lief die Spaten holen. Sie begannen zu graben, dass die Erde nur so flog. Lange, gegliederte, wie Wurzeln miteinander verflochtene Sehnen der Spiegelmasse blitzten in der Erde auf.

Die Masse war hart, unter den Schlägen des Spatens klang sie wie Metall. Als die Grube einen Meter tief war, versuchten die Männer das seltsame Gebilde herauszureißen. Es rührte sich nicht, so fest war es mit der Masse verwachsen.

„Schwarzer!“ riefen sie im Chor wie ein Mann. Der Automat eilte herbei, der Sand spritzte unter seinen Füßen auf. „Reiß das heraus!“

Die Greifzangen schlössen sich um die Spiegelsehnen, die dick wie Männerarme waren. Der stählerne Rumpf spannte sich. Sie sahen, wie seine Füße langsam im Boden versanken. Ein leises Summen wie bei einer bis zum äußersten gespannten Saite drang aus dem Rumpf. Der Automat richtete sich auf und versank noch tiefer. „Laß los!“ rief der Ingenieur. Der Schwarze befreite sich aus dem Sand und erstarrte.

Sie standen ebenfalls wie erstarrt da. Der Spiegelzaun hatte schon nahezu einen halben Meter Höhe.

Unten, dicht über dem Erdboden, nahm er langsam eine etwas dunklere, milchblaue Farbe an, und oben wuchs er ständig. „Das ist es also“, sagte der Koordinator ruhig. „Ja.“

„Einschließen wollen sie uns?“ Sie schwiegen eine Weile.

„Aber das ist doch reichlich primitiv. Schließlich könnten wir jetzt hinausgehen“, sagte der Chemiker.

„Und die Rakete zurücklassen“, erwiderte der Koordinator. „Der Spähtrupp muss sich alles gut angesehen haben! Schaut nur, sie haben sich ziemlich genau auf die von ihren Scheiben aufgewühlte Furche eingeschossen!“

„Tatsächlich!“

„Anorganische Keime.“ Der Kybernetiker hatte sich wieder beruhigt. Er säuberte seine Hände vom Sand. „Anorganische Keime! Samen! Begreift ihr? Sie haben sie mit ihrer Artillerie eingepflanzt!“„Das ist kein Metall“, sagte der Chemiker. „Das hätte der Schwarze verbogen. Wahrscheinlich ist das so etwas wie Supranit oder Keramit, mit Härtebearbeitung.“

„Nicht doch, es ist einfach Sand!“ rief der Kybernetiker. „Begreifst du nicht? Anorganischer Stoffwechsel! Sie verwandeln katalytisch den Sand in eine hochmolekulare Ableitung von Silizium und schaffen daraus diese Sehnen, ähnlich wie die Pflanzen die Salze dem Boden entnehmen.“

„Meinst du wirklich?“ Der Chemiker kniete nieder, berührte die glänzende Oberfläche, hob dann den Kopf.

„Und wären sie auf anderen Boden gestoßen?“

„Sie hätten sich ihm angepaßt. Davon bin ich überzeugt! Deshalb sind sie auch so verteufelt kompliziert. Ihre Aufgabe ist es, aus dem, was sie zur Verfügung haben, immer die härteste, widerstandsfähigste Substanz von allen möglichen zu erzeugen.“

„Wenn es weiter nichts wäre. Der Beschützer beißt sich überall durch. Und er wird sich nicht die Zähne daran zerbrechen“, sagte der Ingenieur lächelnd.

„War das nun wirklich ein Angriff?“ fragte der Doktor leise. Die anderen sahen ihn erstaunt an. „Was sonst, wenn kein Angriff?“

„Ich würde eher sagen — der Versuch einer Verteidigung. Sie wollen uns isolieren.“

„Also was ist nun? Sollen wir hier hocken und warten, bis wir wie die Würmer unter der Käseglocke stecken?“

„Und wozu wollt ihr den Beschützer?“ Eine Weile schwiegen alle.

„Wasser brauchen wir nicht mehr. Die Rakete werden wir wahrscheinlich binnen einer Woche repariert haben. Sagen wir: in zehn Tagen. Die Atomsynthetisatoren sind in den nächsten Stunden soweit. Ich nehme nicht an, dass das eine Käseglocke werden soll. Eher eine hohe Mauer. Ein Hindernis, das sie nicht überwinden können, und sie glauben, uns würde es ebenso ergehen. Dank den Synthetisatoren werden wir Nahrung haben. Wir benötigen von ihnen nichts, und sie konnten uns wirklich kaum deutlicher zu verstehen geben, dass sie von uns nichts wünschen…“ Sie hörten ihn mit finsterer Miene an. Der Ingenieur sah sich um. Die Spitzen der Keimlinge reichten ihm schon bis an die Knie, verflachten sich, wuchsen zusammen. Das Geräusch war mittlerweile so stark wie das Summen Hunderter unsichtbarer Bienenstöcke unter der Erde. Die bläulichen Wurzeln am Boden schwollen an, sie waren schon fast so dick wie Baumstämme. „Bitte, führ den Doppelt hierher“, sagte der Koordinator unvermittelt. Der Doktor sah ihn an, als hätte er nicht recht verstanden. „Jetzt?

Hierher? Wozu?“

„Ich weiß nicht… Das heißt… Ich möchte einfach, dass du ihn hierherführst.

Kapiert?“ Der Doktor nickte und entfernte sich. Sie standen schweigend in der Sonne. Nach einer Weile kroch der nackte Riese mit Mühe hinter dem Doktor aus dem Tunnel und sprang über den Erdwall. Er schien munter und zufrieden zu sein, hielt sich immer in der Nähe des Doktors auf und gluckste leise. Auf einmal spannte sich sein flaches Gesichtchen, das blaue Auge starrte vor sich hin, er schnaufte, drehte sich mit dem ganzen Rumpf herum und begann entsetzlich zu winseln. Mit ein paar Sätzen stürzte er auf den ständig höher werdenden Spiegelzaun, als wollte er sich darauf werfen, lief torkelnd an ihm entlang und stöhnte in einem fort. Dann hustete er eigenartig dröhnend, rannte zum Doktor, fummelte mit den knotigen Fingerchen an seiner Kombination herum, kratzte an dem elastischen Stoff, schaute dem Doktor in die Augen. Schweiß tropfte von seinem Körper. Er stieß den Doktor an, sprang zurück, blickte sich noch einmal um und verschwand, nachdem er mit einem kratzenden Laut den Torso eingezogen hatte, in der schwarzen Tunnelöffnung.

Alle schwiegen. Nach einer Weile fragte der Doktor den Koordinator: „Hattest du das erwartet?“

„Nein… Ich glaube kaum… Wirklich… Ich hatte nur gedacht, dass ihm das vielleicht nicht fremd wäre. Irgendeine Reaktion habe ich erwartet. Eine unverständliche, sagen wir. Aber keine dieser Art.“

„Soll das bedeuten, dass sie verständlich ist?“ fragte der Physiker. „In gewissem Sinne ja“, antwortete der Doktor. „Er kennt das. Auf jeden Fall kennt er etwas Ähnliches, und davor hat er Angst. Für ihnist das eine schreckliche, sicherlich mit Todesgefahr verbundene Erscheinung.“

„Eine Exekution a la Eden etwa?“ fragte der Chemiker leise. „Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall deutet es darauf hin, dass sie diese ›lebende Mauer‹ nicht nur gegenüber planetaren Gästen anwenden. Man kann sie sicherlich auch ohne Artillerie anlegen.“

„Vielleicht fürchtet er einfach alles, was glänzt“, sagte der Physiker.

„Eine einfache Assoziation. Das würde auch die Geschichte mit dem Spiegelgürtel erklären.“

„Nein, ich habe ihm einen Spiegel gezeigt. Er hatte keine Angst davor, es berührte ihn überhaupt nicht“, entgegnete der Doktor. „Also ist er gar nicht so dumm und so unterentwickelt“, warf der Physiker ein und trat an den spiegelnden Glasverhau, der ihm schon bis an den Gürtel reichte. „Gebranntes Kind scheut das Feuer.“

„Hört mal her!“ Der Koordinator hob die Hand. „Mir scheint, wir sind an einem toten Punkt angelangt. Was weiter? Die Instandsetzung ist eine Sache, natürlich, aber ich möchte…“

„Eine neue Expedition?“ fragte der Doktor. Der Ingenieur lachte bitter. „Ich gehe immer mit. Wohin? In die Stadt?“

„Das würde gewiß Kampf bedeuten“, gab der Doktor zu bedenken. „Denn anders als mit dem Beschützer kommen wir nicht durch. Und auf der Stufe der Zivilisation, die wir in gemeinsamer Anstrengung zu erreichen vermochten — immerhin steht uns ein Antiprotonenwerfer zur Verfügung — , haben wir eins, zwei, drei zu schießen angefangen. Wir sollten um jeden Preis einen Kampf vermeiden. Der Krieg ist die schlechteste Methode, Kenntnisse über eine fremde Kultur zu sammeln.“

„Ich habe gar nicht an Krieg gedacht“, erwiderte der Koordinator. „Der Beschützer ist eben ein ausgezeichnetes Versteck, weil er soviel aushält. Alle Anzeichen scheinen darauf hinzuweisen, dass die Bevölkerung Edens aus verschiedenen Schichten besteht und dass wir mit der Schicht, die vernünftige Handlungen vollführt, bisher noch keinen Kontakt anknüpfen konnten. Ich verstehe, dass sie einen Ausfall in Richtung Stadt als einen Gegenschlag auslegen könnten. Uns jedoch bleibt die westliche Richtung, die wir überhaupt noch nicht erforscht haben. Zwei Mann genügen zur Bedienung des Wagens vollauf, die anderen bleiben hier und arbeiten in der Rakete.“

„Du und der Ingenieur?“

„Nicht unbedingt. Ich kann natürlich mit Henrik fahren.“

„In diesem Fall brauche ich noch einen Mann, der mit dem Beschützer vertraut ist“, sagte der Ingenieur. „Wer möchte fahren?“

Alle wollten. Der Koordinator musste unwillkürlich lächeln. „Kaum hat der Kanonendonner aufgehört, frißt euch das Gift der Neugier auf.“

„Also, dann fahren wir“, erklärte der Ingenieur. „Der Doktor will natürlich als Vertreter der Vernunft und der Sanftmut mitkommen. Ausgezeichnet. Gut, dass du bleibst“, wandte er sich an den Koordinator. „Du kennst die Reihenfolge der Arbeiten. Am besten, ihr stellt den Schwarzen gleich bei einem Lastautomaten an, beginnt aber nicht mit den Grabungen unter der Rakete, bevor wir zurückgekehrt sind. Ich will noch die statischen Berechnungen überprüfen.“

„Als Vertreter der Vernunft möchte ich mich nach dem Ziel dieses Ausflugs erkundigen“, sagte der Doktor. „Dadurch, dass wir uns den Weg bahnen, treten wir, ob wir wollen oder nicht, in eine Konfliktphase ein.“

„Dann mach bitte einen Gegenvorschlag“, erwiderte der Ingenieur. Um sie herum rauschte leise, fast melodisch die wachsende Hecke, die stellenweise schon Mannshöhe erreicht hatte.

In ihren sehnigen Verflechtungen brach sich mit weißen, irisierenden Funken die Sonne.

„Ich habe keinen“, gestand der Doktor. „Die Ereignisse kommen uns immer zuvor, bisher haben alle unsere Pläne nicht hingehauen. Vielleicht wäre es am vernünftigsten, überhaupt keine Ausflüge mehr zu unternehmen. In wenigen Tagen ist die Rakete startklar. Wenn wir den Planeten in geringer Höhe umkreisen, können wir vielleicht ohne Behinderung mehr als jetzt erfahren.“

„Das glaubst du doch selbst nicht“, widersprach der Ingenieur. „Wir erfahren ja schon jetzt nichts, wo wir die Dinge aus derNähe untersuchen, was kann uns dann ein Flug außerhalb der Atmosphäre geben? Und von wegen vernünftig, du lieber Himmel… Wären die Menschen vernünftig, hätten wir uns hier nie eingefunden! Was ist an Raketen vernünftig, die zu den Sternen fliegen?“

„Das ist Demagogie“, brummte der Doktor und schritt langsam an dem Glaszaun entlang. „Ich habe ja gewusst, dass ich euch nicht überzeugen werde.“ Die anderen kehrten zur Rakete zurück.

„Rechne nicht mit sensationellen Entdeckungen! Ich nehme an, dass sich nach dem Westen hin ein ähnliches Terrain erstreckt wie hier“, sagte der Koordinator zum Ingenieur. „Woher willst du das wissen?“

„Wir können doch nicht mitten in einem Wüstenfleck niedergegangen sein. Im Norden die Fabrik, im Osten die Stadt, im Süden die Hügelkette mit der ›Siedlung‹ im Talkessel. Wahrscheinlich sitzen wir am Rande einer Wüstenzunge, die sich nach Westen ausweitet.“

„Möglich, wir werden ja sehen.“

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