Erstes Kapitel

In den Berechnungen war ein Fehler. Sie waren nicht über die Atmosphäre hinweggeflogen, sondern waren mit ihr zusammengestoßen. Das Raumschiff bohrte sich mit lautem Krachen, von dem die Trommelfelle anschwollen, in die Lufthülle. Sie spürten auf ihren Liegen das Nachgleiten der Stoßdämpfer. Die vorderen Bildschirme flammten auf und erloschen. Das Kissen der glühenden Gase, das auf die Raketenspitze drückte, überzog die Außenobjektive mit einem Schleier. Der Bremsvorgang war ungenügend und hatte zu spät eingesetzt. Gestank von schwelendem Gummi erfüllte den Steuerraum. Der Bremsdruck machte sie blind und taub. Das war das Ende. Doch auch daran vermochte keiner von ihnen zu denken. Ihre Kräfte reichten nicht einmal zum Atemholen. Das besorgten für sie die bis zuletzt arbeitenden Sauerstoffpulsatoren. Sie pressten die Luft in sie hinein wie in Ballons. Jäh verstummte das Tosen.

Die Havarielichter flammten auf, sechs auf jeder Seite. Über der Schalttafel des Antriebs glühte das Alarmsignal. Die Armatur war geborsten und wie eine Ziehharmonika zusammengequetscht.

Isolationsfetzen, Plexiglassplitter glitten raschelnd über den Fußboden. Kein Donner mehr, ein dumpfes, immer lauter werdendes Pfeifen erfasste alles. „Was ist los?“ stöhnte der Doktor und spie das Gummimundstück aus. „Liegenbleiben!“ schrie der Koordinator ihn an, der auf den letzten heilen Bildschirm starrte. Die Rakete schoss einen Purzelbaum, als sei sie von einem Sturmbock gerammt worden. Die Nylonnetze, in denen sie lagen, klimperten wie Saiten. Einen Moment hielt sich alles in der Schwebe wie bei einer Schaukel, die auf dem höchsten Punkt ihrer Bewegung innehält — dann setzte ein Dröhnen ein. Die Muskeln, in Erwartung des letzten Schlags erstarrt, erschlafften. Die Rakete senkte sich auf der Feuersäule nieder. Die Düsen brummten besänftigend. Aber nur wenige Minuten. Dann erfasste ein Schauder die Wände. Die Vibration wurde zusehends stärker. Sicherlich hatten sich die Lageraufhängungen der Turbinen gelockert. Die Männer blickten einander an. Keiner sprach. Sie wussten, alles hing davon ab, ob die Rotoren die Beanspruchung aushielten. Der Steuerraum erbebte plötzlich, als schlüge ein stählerner Hammer wie rasend auf ihn ein. Die dicke konvexe Linse des letzten Bildschirms bedeckte sich mit einem dichten Spinnennetz von Rissen, ihre Phosphorscheibe erlosch. Von unten her drang der blasse Schimmer der Havarielampen herauf und warf die vergrößerten Schatten der Männer gegen die schrägen Wände. Das Dröhnen ging in ein Brüllen über. Unter ihnen schabte etwas, zerbrach, spaltete sich mit einem metallischen Schrillen. Der Rumpf flog, von einem scheußlichen Schütteln gepackt, blind weiter, wie tot. Sie duckten sich, hielten den Atem an. Völlige Finsternis und Chaos herrschten. Ihre Körper schossen plötzlich an den langen Nylonleinen nach vorn, fast wären sie gegen die zerschmetterten Schalttafeln geprallt. Dann baumelten sie, sanft schaukelnd, wie schwere Uhrpendel in den Raum… Die Rakete kippte um wie ein stürzender Berg. Der Donner schien aus der Ferne zu kommen, schwach rollend. Die hochgeschleuderten Erdmassen glitten am Außenpanzer entlang. Alles erstarrte. Unter ihnen zischten die Leitungen. Etwas gluckste entsetzlich, schnell, immer schneller. Das Rauschen abfließenden Wassers, vermischt mit ohrenbetäubendem, sich immerfort wiederholendem Zischen, wie wenn eine Flüssigkeit auf glühende Bleche tropfte. „Wir leben“, sagte der Chemiker. Er sprach das in völlige Dunkelheit. Man sah nicht das geringste. Er hing in seinem Nylonnetz wie in einem Sack, der an vier Zipfeln mit Seilen verknüpft ist. Er schloss daraus: Die Rakete lag auf der Seite. Etwas klickte. Ein blasses Benzinflämmchen über dem alten Feuerzeug des Doktors.

„Die Besatzung?“ fragte der Koordinator. Ein Seil seines Netzes war gerissen. Er drehte sich langsam, war ganz hilflos. Vergebens versuchte er, durch die Maschen hindurch sich an der Wand festzuhalten. „Erster“, rief der Ingenieur.

„Zweiter“, rief der Physiker.

„Dritter“, der Chemiker.

„Vierter“, der Kybernetiker; er hielt sich die Stirn.

„Fünfter“, meldete sich als letzter der Doktor.

„Alle. Ich gratuliere.“ Die Stimme des Koordinators klang ruhig. „Die Automaten?“ Stille.

„Die Automaten?“ Schweigen. Der Doktor verbrannte sich die Finger am Feuerzeug. Er machte es aus. Wieder war es dunkel.

„Habe ich nicht immer gesagt, dass wir aus besserem Material sind“, sprach der Doktor in die Dunkelheit hinein. „Hat jemand von euch ein Messer?“

„Ich… Die Seile durchschneiden?“

„Wenn du ohne Durchschneiden herauskommst, um so besser. Ich kann es nicht.“

„Ich versuche es.“

Der Chemiker zerrte an den Seilen. Sein Atem ging schneller. Etwas klopfte. Glas klirrte. „Ich bin unten. Das heißt auf der Wand“, meldete er sich aus dem Schacht der Finsternis. „Doktor, leuchte mal, dann helfe ich euch.“

„Aber beeil dich, das Benzin ist bald alle.“

Das Feuerzeug flammte wieder auf. Der Chemiker machte sich am Schlafsack des Koordinators zu schaffen, reichte aber nur bis an dessen Beine. Schließlich gelang es ihm, den Reißverschluss ein Stück zu öffnen, der Koordinator plumpste auf die Füße. Zu zweit ging es schneller. Wenig später standen sie alle auf der schrägen, mit halbelastischer Masse belegten Wand des Steuerraums. „Womit fangen wir an?“ fragte der Doktor. Er presste die Wundränder auf der Stirn des Kybernetikers zusammen und heftete ein Pflaster darauf. Er hatte es in der Tasche. Kleinkram trug er immer bei sich.

„Wir stellen erst mal fest, ob es uns gelingt, hinauszukommen“, entschied der Koordinator. „Zunächst brauchen wir Licht. Was? Schon? Doktor, leuchten Sie hierher, vielleicht ist in den Kabelenden der Schalttafel noch Strom oder wenigstens im Regler der Alarmanlage.“ Diesmal gab das Feuerzeug nur Funken her. Der Doktor rieb sich die Finger wund. Die Funken sprühten über den Resten der zertrümmerten Schalttafel, an denen der Koordinator und der Ingenieur kniend kramten.

„Ist Strom?“ fragte der Chemiker. Er stand hinten, weil kein Platz mehr für ihn war.

„Vorläufig nicht. Hat denn keiner Streichhölzer?“

„Streichhölzer habe ich vor drei Jahren zum letzten Mal gesehen. Im Museum“, nuschelte der Ingenieur; er versuchte gerade, mit den Zähnen die Isolierung von einem Leitungsende abzureißen. Plötzlich zuckte ein kleiner blauer Funke in den muschelförmig zusammengelegten Händen des Koordinators. „Strom ist da“, sagte er. „Eine Glühbirne her.“ Sie fanden eine heil gebliebene im Alarmsignal über der Seitenarmatur. Ein grelles elektrisches Flämmchen erhellte den Steuerraum, der wie ein Teil eines schräg ansteigenden Tunnelrohres mit kegelförmigen Wänden wirkte. Hoch über ihnen war in dem, was jetzt die Decke darstellte, eine verschlossene Tür zu sehen. „Über sieben Meter hoch“, sagte der Chemiker melancholisch. „Wie kommen wir bloß da hinauf?“

„Ich habe im Zirkus mal eine lebende Säule gesehen — fünf Menschen, einer auf dem anderen“, schlug der Doktor vor. „Das ist für uns zu schwer. Wir müssen über den Fußboden dorthin gelangen“, entschied der Koordinator. Er ließ sich vom Chemiker das Messer geben und schnitt damit breite Kerben in den Plastikbelag des Bodens. „Stufen?“

„Ja.“

„Warum hört man den Kybernetiker nicht?“ fragte auf einmal der Ingenieur verwundert. Er saß auf den Trümmern der geborstenen Schalttafel und hielt ein Amperemeter an die herausgezogenen Kabelschnüre. „Er ist Witwer geworden“, erwiderte der Doktor lächelnd. „Was ist ein Kybernetiker ohne Automaten?“

„Die wickle ich noch“, meldete sich der Kybernetiker. Er blickte in die Öffnungen der ausgeschlagenen Bildschirme. Das elektrische Flämmchen färbte sich langsam gelb, es wurde immerdunkler und blasser. „Die Akkumulatoren auch?“ murmelte der Physiker. Der Ingenieur erhob sich.

„Sieht so aus.“

Eine Viertelstunde später rückte die aus sechs Personen bestehende Expedition in die Tiefe oder vielmehr in die Höhe vor. Zuerst gelangte sie in den Gang und von da in die einzelnen Räume. In der Kajüte des Doktors fanden sie eine Taschenlampe. Der Doktor hatte eine Vorliebe für allerlei überflüssige Dinge. Sie nahmen sie mit. Überall trafen sie Verwüstungen an. Die an den Fußböden befestigten Möbel waren unbeschädigt, aber aus den Apparaten, aus dem Werkzeug, aus den Hilfsvehikeln und aus dem übrigen Material hatte sich eine unbeschreibliche Grütze gebildet, in der sie bis über die Knie wateten.

„Und jetzt wollen wir versuchen, hinauszukommen“, erklärte der Koordinator, als sie sich wieder im Gang befanden. „Und die Raumanzüge?“

„Die sind in der Druckkammer. Ihnen wird nichts zugestoßen sein. Aber wir brauchen gar keine Raumanzüge. Eden hat eine erträgliche Atmosphäre.“

„Ist überhaupt jemals einer hier gewesen?“

„Ja. Vor zehn oder elf Jahren. Die kosmische Sonde einer Suchpatrouille. Damals, als Altair mit seinem Raumschiff umgekommen ist. Erinnert ihr euch?“

„Aber kein Mensch.“

„Nein, keiner.“ Die Innenklappe der Schleuse befand sich schräg über ihren Köpfen. Allmählich schwand der erste eigenartige Eindruck, der dadurch entstanden war, dass sie die vertrauten Räume in einer völlig anderen Lage durchquerten — der Fußboden und die Decke waren jetzt die Wände. „Ohne lebende Leiter kommen wir wirklich nicht hinaus“, sagte der Koordinator und beleuchtete die Luke mit der Taschenlampe des Doktors. Der Lichtfleck huschte über die Ränder. Sie war hermetisch verschlossen. „Sieht nicht übel aus.“ Der Kybernetiker hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt.

„Freilich.“ Der Ingenieur überlegte: Die ungeheure Kraft, die die Träger dermaßen zusammengepresst hatte, dass die Schalttafel zwischen ihnen geborsten war, konnte natürlich auch die Luke verkeilt haben. Doch er behielt den Gedanken für sich. Der Koordinator schielte zum Kybernetiker hin und wollte ihm schon vorschlagen, den Rücken zu beugen und sich an die Wand zu stellen, als ihm das Eisengerümpel einfiel, das sie im Automatenraum gesehen hatten. Er sagte zum Chemiker: „Stell dich breitbeinig hin, mit den Händen auf den Knien, so hast du es besser.“

„Ich habe schon immer davon geträumt, einmal im Zirkus aufzutreten“, versicherte der Chemiker und bückte sich. Der Koordinator stellte ihm den Fuß auf die Schulter, schwang sich hoch, reckte sich, schmiegte sich an die Wand und bekam mit den Fingerspitzen den keulenförmig verdickten Nickelhebel der Luke zu fassen.

Er zog und zerrte und hängte sich schließlich daran. Der Hebel gab knirschend nach, als sei der Schlossmechanismus mit Glassplittern gefüllt; er machte eine Viertelumdrehung und rührte sich nicht mehr.

„Drehst du nach der richtigen Seite?“ fragte der Doktor, der mit der Taschenlampe von unten leuchtete. „Die Rakete liegt.“

„Das habe ich berücksichtigt.“

„Kannst du nicht stärker?“

Der Koordinator erwiderte nichts. Er hing platt an der Wand, mit der einen Hand am Hebel. Er versuchte, ihn mit der anderen Hand zu packen, was sehr schwierig war, aber schließlich gelang es ihm. Jetzt hing er wie am Trapez, zog die Beine an, um nicht den Chemiker zu stoßen, der sich unter ihm bückte, und zerrte ein paar Mal heftig am Hebel, indem er einen Klimmzug machte und sich dann mit der vollen Last seines Körpergewichts fallen ließ. Er stöhnte jedes Mal auf, wenn sein Körper im Schwung gegen die Wand prallte.

Beim dritten oder vierten Male gab der Hebel etwas nach. Nur noch fünf Zentimeter fehlten. Der Koordinator sammelte alle Kraft und warf sich erneut nach unten. Der Hebel schlug mit grässlichemKnirschen gegen das Schloss. Der innere Riegel war zurückgeschoben.

„Das ging ja wie geschmiert!“ rief der Physiker erfreut. Der Ingenieur schwieg. Er wusste Bescheid.

Die Klappe musste erst noch geöffnet werden, das war viel schwieriger. Der Ingenieur rüttelte daran, drückte den Griff der hydraulischen Vorrichtung, aber er wusste von vornherein, daraus würde nichts werden. Die Rohre waren an vielen Stellen geborsten, und die Flüssigkeit war ausgelaufen. Als der Doktor seine Taschenlampe nach oben richtete, leuchtete die Handkurbel über ihnen mit ihrem Rädchen wie eine Aureole auf. Für ihre gymnastischen Möglichkeiten war das zu hoch — mehr als vier Meter.

Sie trugen deshalb aus allen Räumen die zerschlagenen Geräte, die Kissen und Bücher zusammen. Als besonders nützlich erwies sich die Bibliothek, vor allem die Sternatlanten, sie waren schön dick. Sie errichteten daraus eine Pyramide, wie aus Ziegelsteinen. Fast eine ganze Stunde brauchten sie dazu.

Einmal rutschte ein Teil herunter, daraufhin gingen sie unter dem Befehl des Ingenieurs systematisch vor.

„Physische Arbeit ist doch ein Gräuel!“ rief der Doktor keuchend. Die Taschenlampe steckte in einer Ritze der Klimaanlage und beleuchtete ihnen den Weg, während sie zur Bibliothek liefen und, mit Büchern beladen, zurückkehrten. „Ich habe mir nie träumen lassen, dass es bei einer Reise zu den Sternen so primitive Bedingungen geben kann“, schnaufte der Doktor. Er allein redete noch.

Schließlich kroch der Koordinator, von seinen Gefährten gestützt, vorsichtig auf die Pyramide, er konnte die Kurbel mit den Fingern gerade berühren. „Zuwenig“, sagte er. „Fünf Zentimeter fehlen.

Ich kann nicht hochspringen, weil sonst alles zusammenstürzt.“

„Hier habe ich die ›Theorie der schnellen Flüge‹.“ Der Doktor wog einen dicken Wälzer in der Hand. „Ich denke, das wird genau das Richtige sein.“

Der Koordinator klammerte sich an die Kurbel. Sie leuchteten ihm von unten mit der Taschenlampe.

Sein Schatten flatterte auf der weißen Fläche des Plastikbelages, mit dem die Wand, die jetzt die Decke bildete, verkleidet war. Plötzlich rutschte ihm die Kurbel aus den Händen, er schwankte einen Augenblick und verlor das Gleichgewicht. Keiner schaute mehr hinauf. Sie fassten sich an den Händen und drängten sich gegen die wacklige Pyramide aus Büchern, damit sie nicht auseinander glitt. „Nur nicht fluchen. Wenn man erst damit anfängt, nimmt das kein Ende“, rief der Doktor warnend von unten. Der Koordinator ergriff wieder die Kurbel. Plötzlich ein Knirschen und dann das dumpfe Poltern herabgleitender Bände. Der Koordinator hing über ihnen in der Luft, aber die Kurbel, an die er sich klammerte, vollführte eine ganze Umdrehung. „Weiter so, noch elfmal“, sagte er und landete auf dem Bücherschlachtfeld.

Zwei Stunden später war die Klappe zur Strecke gebracht. Als sie sich langsam öffnete, stießen sie ein Siegesgeheul aus. Die offene Klappe bildete eine Art Zugbrücke, über die sie ohne größere Schwierigkeiten in die Schleuse gelangen konnten. Die Raumanzüge im flachen Wandschrank waren unbeschädigt.

Der Schrank lag jetzt waagerecht. Sie stiegen über ihn hinweg. „Gehen wir alle raus?“ fragte der Chemiker. „Erst versuchen wir den Eingang zu öffnen.“ Er war verschlossen, mit dem Rumpf wie aus einem Guss. Der Hebel ließen sich nicht bewegen. Sie stemmten sich alle sechs dagegen, versuchten die Gewinde zu lockern, warfen sich mal hier und mal dort dagegen — die Gewinde rührten sich nicht.

„Wie man sieht, ist die Hauptsache nicht, anzukommen, sondern auszusteigen“, bemerkte der Doktor.

„Ein gesunder Humor“, nuschelte der Ingenieur. Der Schweiß rann ihm über die Stirn. Sie setzten sich auf den Wandschrank. „Ich habe Hunger“, gestand der Kybernetiker in dem allgemeinen Schweigen. „Also müssen wir etwas essen.“ Der Physiker erbot sich, in das Vorratslager zu steigen.„Eher schon in die Küche. Vielleicht etwas aus dem Kühlraum…“

„Allein schaffe ich das nicht. Da muss man erst eine halbe Tonne Schrott beiseite räumen, um an die Vorräte zu kommen. Wer geht mit?“ Der Doktor meldete sich. Der Chemiker raffte sich mit einem gewissen Widerwillen auf. Als ihre Köpfe hinter der aufgeschlagenen Lukentür verschwunden waren und der letzte Schein der Taschenlampe, die sie mitnahmen, erlosch, begann der Koordinator leise: „Ich wollte nur nichts sagen. Ihr wisst doch mehr oder weniger Bescheid, wie es um uns steht?“

„Das schon.“ Der Ingenieur tastete in der Finsternis mit der Hand nach den Sohlen des Koordinators.

Er brauchte diese Berührung. „Du nimmst an, die Klappe lässt sich nicht durchschneiden?“

„Womit?“ fragte der Ingenieur. „Mit einem Elektrobrenner oder mit einem Gasbrenner. Wir können autogen schneiden und…“

„Hast du schon mal von einem autogenen Brenner gehört, mit dem man einen Viertelmeter Keramit durchschneiden kann?“ Sie verstummten. Aus der Tiefe des Raumschiffes dröhnte dumpfer Lärm, wie aus eisernen Katakomben. „Also was?“ sagte der Kybernetiker nervös. Sie hörten seine Gelenke knirschen. Er stand auf.

„Setz dich“, sagte der Koordinator sanft, aber entschieden. „Ihr glaubt, die Klappe ist mit dem Panzer verschweißt?“

„Nicht unbedingt“, erwiderte der Ingenieur. „Weißt du überhaupt, was geschehen ist?“

„Genaugenommen nicht. Wir sind mit kosmischer Geschwindigkeit genau dort in die Atmosphäre geraten, wo sie nicht sein sollte. Und warum? Der Automat kann sich nicht geirrt haben.“

„Der Automat hat sich nicht geirrt. Wir haben uns geirrt“, sagte der Koordinator. „Wir haben die Korrektur für den Schweif vergessen.“

„Welchen Schweif? Was verstehst du darunter?“

„Für den Gasschweif, den jeder Planet, der eine Atmosphäre besitzt, in entgegengesetzter Richtung zu seiner Bewegung bildet. Hast du noch nichts davon gehört?“

„O ja, doch. Wir sind also in diesen Schweif geraten? Muss er nicht sehr dünn sein?“

„Zehn zu minus sechs“, erwiderte der Koordinator. „Etwa in dieser Größenordnung, aber wir hatten über siebzig Kilometer in der Sekunde, mein Verehrtester. Das hat uns wie eine Mauer gebremst. Das war die erste Erschütterung, entsinnt ihr euch?“

„Ja“, fuhr der Ingenieur fort, „und als wir in die Stratosphäre drangen, hatten wir noch zehn oder zwölf. Eigentlich hätte die Rakete in tausend Stücke zerspringen müssen. Merkwürdig, dass sie es überhaupt ausgehalten hat.“

„Die Rakete?“

„Die ist für eine zwanzigfache Überbelastung berechnet. Aber bevor der Bildschirm barst, habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie der Zeiger aus der Skala sprang. Die Skala hatte eine Reserve bis dreißig.“

„Und wir?“

„Was wir?“

„Wie konnten wir das aushalten? Willst du behaupten, dass die Drosselung dreißig g betrug?“

„Ständig nicht. Nur in den Spitzen. Die Bremsen gaben doch alles her. Deshalb kam es auch zu den Schwingungen.“

„Aber die Automaten glichen das aus, und wären nicht die Kompressoren…“, widersprach der Kybernetiker mit trotzigem Unterton, hielt dann aber inne, weil unten im Schiff ein Gegenstand rumorte — es klang, als rollten Eisenräder über Blech. Dann wurde es still.

„Was verlangst du eigentlich von den Kompressoren?“ fragte der Ingenieur. „Wenn wir in den Maschinenraum gehen, zeige ich dir, dass sie fünfmal mehr geleistet haben, als sie leisten konnten. Sie sind doch nur Hilfsaggregate. Zuerst gingen ihre Lager in die Brüche, und als die Schwingungen auftraten…“

„Meinst du die Resonanz?“

„Mit der Resonanz ist das eine andere Sache. Eigentlich hätten wir auf einer Strecke von wenigen Kilometern zerquetscht werden müssen, wie jener Frachter auf dem Neptun, weißt du noch? Du wirst dich selbst davon überzeugen können, wenn du den Maschinenraum zu sehen bekommst. Ich kann dirvon vornherein sagen, was da los ist.“

„Ich verspüre nicht die geringste Lust, den Maschinenraum zu besichtigen. Verdammt, warum lassen die so lange auf sich warten? In dieser Dunkelheit tun einem ja die Augen weh.“

„Wir werden schon Licht haben, keine Panik“, tröstete ihn der Ingenieur.

Er hielt noch immer, scheinbar unabsichtlich, die Fingerspitzen am Fuß des Koordinators, der sich nicht rührte und dem Gespräch schweigend zuhörte. „Und in den Maschinenraum gehen wir nur so, aus lauter Langeweile. Was bleibt uns denn sonst zu tun?“

„Glaubst du im Ernst, dass wir von hier nicht wegkommen?“

„Ach wo, ich mache nur Spaß. Ich liebe solche Scherze.“

„Hör auf“, sagte der Koordinator. „Da ist ein Notausgang.“

„Mann! Der Notausgang ist genau unter uns. Die Rakete hat sich offenbar tief in den Boden gewühlt, und ich bin mir nicht sicher, ob der Teil mit der Tür noch aus dem Boden ragt.“

„Was tut's? Wir haben das nötige Werkzeug, dann graben wir eben einen Tunnel.“

„Und die Ladeluke?“ fragte der Kybernetiker. „Die ist überflutet“, erklärte der Ingenieur lakonisch. „Ich hab einen Blick in den Kontrollraum geworfen. Einer der Hauptbehälter muss einen Sprung bekommen haben. Mindestens zwei Meter tief Wasser. Und wahrscheinlich auch verseucht.“

„Woher willst du das wissen?“

„Weil das immer so ist. Zuerst setzt die Kühlung des Reaktors aus. Hast du das nicht gewusst? Die Ladeluke kannst du ruhig aus deinem Gedächtnis streichen. Wir kommen nur hier heraus, und das auch nur, wenn…“

„Wir graben den Tunnel“, wiederholte der Koordinator leise. „Theoretisch ist das möglich.“ Der Ingenieur nickte. Sie schwiegen. Schritte näherten sich, im Gang unter ihnen wurde es hell. Sie kniffen die Augen zusammen.

„Schinken, Zwieback, Zunge oder was da in der Schachtel sein mag — die eiserne Ration! Hier ist Schokolade, und da sind die Thermosflaschen. Reicht das hinauf!“ Der Doktor kroch als erster auf die Klappe. Er leuchtete mit der Taschenlampe, als sie die Kammer betraten und die Konservendosen hinstellten. Sie hatten auch Aluminiumteller mitgebracht. Sie aßen stumm beim Schein der Taschenlampe. „Die Thermosflaschen sind also ganz geblieben?“ sagte der Kybernetiker erstaunt und schenkte sich Kaffee ein. „Merkwürdig, aber es stimmt. Mit den Konserven steht es gar nicht so schlecht. Nur die Gefrieranlage, die Kühlschränke, die Backröhren, der kleine Synthetisierapparat, die Kläranlage, die Wasserfilter — das ist alles hin.“

„Die Kläranlage auch?“ fragte der Kybernetiker besorgt. „Auch. Vielleicht ließe sie sich reparieren, wenn wir Werkzeug hätten. Aber das ist eben der Teufelskreis. Um den einfachsten Apparat in Gang zu bringen, brauchen wir Strom. Um Strom zu haben, müssen wir das Aggregat reparieren, und dazu brauchen wir wieder einen Halbautomaten.“

„Ihr Technikbeflissenen, habt ihr genug beratschlagt? Also was? Wo bleibt der Strahl der Hoffnung?“

Der Doktor beschmierte sich den Zwieback dick mit Butter und legte Schinken obendrauf. Ohne die Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Ich habe als Junge wohl mehr Bücher über die Kosmonautik gelesen, als unser gestrandetes Raumschiff wiegt, trotzdem kenne ich keine einzige Erzählung, keine Geschichte, nicht einmal eine Anekdote über das, was uns widerfahren ist. Wie das möglich ist, verstehe ich selber nicht!“

„Weil die Sache langweilig ist“, erklärte der Kybernetiker spöttisch.

„Ja, etwas Neues ist das schon, so ein interplanetarer Robinson.“ Der Doktor schraubte seine Thermosflasche zu. „Wenn ich nach Hause komme, will ich mich bemühen, das zu schildern, falls mein Talent dazu reicht.“ Plötzlich wurde es still. Sie nahmen die Konservendosen auf. Der Physiker schlug vor, sie in dem Schrank mit den Raumanzügen aufzubewahren. Sie traten also an die Wand zurück, weil sich die Tür im Fußboden anders nicht öffnen ließ. „Wisst ihr was? Wir haben da soeigenartige Laute vernommen, als wir im Lager herumsuchten“, erzählte der Chemiker. „Was für Laute?“

„Ein Stöhnen und Krachen. Als ob eine Last uns presste.“

„Glaubst du, dass ein Felsen auf uns gefallen ist?“ fragte der Kybernetiker.

„Das ist etwas ganz anderes“, erklärte der Ingenieur. „Die äußere Hülle der Rakete hat sich beim Eindringen in die Atmosphäre stark erhitzt. Die Spitze kann sogar ein wenig geschmolzen sein. Die Teile erstarren jetzt wieder, verschieben sich, innere Spannungen entstehen, daher rühren die Laute.

Ja, man kann sie auch jetzt hören…“

Sie verstummten. Ihre Gesichter waren von der Taschenlampe erhellt, die auf einer flachen Scheibe über dem Eingang lag. Aus dem Innern des Raumschiffes kam ein durchdringendes Stöhnen, eine Folge kurzer, leiser werdender Geräusche, dann folgte Stille.

„Vielleicht ist das ein Automat?“ Die Stimme des Kybernetikers verriet ein wenig Hoffnung. „Du hast es ja selbst gesehen.“

„Ja, aber in die Notluke haben wir nicht geschaut.“ Der Kybernetiker beugte sich in das Dunkel des Ganges und rief vom Rand der Klappe: „Reserveautomaten, herhören!“

Die Stimme hallte im Raum. Stille war die Antwort. „Komm her, wir untersuchen den Eingang.“ Der Ingenieur kniete sich vor die eingewölbte Platte, hielt die Augen dicht an den Rand und leuchtete Zentimeter um Zentimeter die Fugen ab. Der Lichtfleck glitt über die Abdichtungen, die mit einem feinen Netz von Sprüngen gezeichnet waren.

„Von innen ist nichts geschmolzen. Übrigens kein Wunder, denn Keramit ist ein schlechter Wärmeleiter.“

„Vielleicht versuchen wir es noch einmal?“ schlug der Doktor vor und packte die Kurbel.

„Das hat keinen Sinn“, protestierte der Chemiker. Der Ingenieur hielt die Hand an die Klappe und sprang auf. „Jungs, wir brauchen Wasser! Viel kaltes Wasser!“

„Wofür?“

„Fasst die Klappe an. Sie ist heiß, nicht wahr?“ Mehrere Hände berührten sie gleichzeitig.

„Sie ist so heiß, dass man sich die Finger verbrennen kann“, stellte jemand fest. „Das ist unser Glück!“

„Wieso?“

„Der Rumpf ist erhitzt, er hat sich geweitet, die Klappe auch. Wenn wir die Klappe abkühlen, schrumpft sie und wird sich vielleicht öffnen lassen.“

„Wasser — das genügt nicht. Vielleicht ist noch Eis da. In der Gefrieranlage müsste welches sein“, sagte der Koordinator. Einer nach dem anderen sprangen sie in den Gang, der von ihren Schritten widerhallte. Der Koordinator blieb mit dem Ingenieur am Eingang zurück. „Sie wird nachgeben“, sagte er leise, wie zu sich selbst. „Wenn sie nicht zugeschmolzen ist.“ Der Ingenieur tastete den Rand mit den Händen ab, um den Grad der Erhitzung festzustellen. „Keramit wird erst bei über dreitausendsiebenhundert Grad flüssig. Hast du nicht bemerkt, wie heiß die Hülle zuletzt war?“

„Zuletzt zeigten alle Uhren die Daten vom vergangenen Jahr an. Wenn ich mich nicht irre, hatten wir über zweieinhalb, als gebremst wurde.“

„Zweieinhalbtausend Grad ist nicht viel!“

„Ja, aber dann!“

Das erhitzte Gesicht des Chemikers erschien dicht über der aufgeklappten Luke. Die Taschenlampe baumelte an seinem Hals. Ihr Schein hüpfte über die Eisstückchen, die aus dem Eimer ragten. Er reichte ihn dem Koordinator.

„Warte, wie wollen wir das eigentlich machen mit dem Kühlen…“ Der Ingenieur verzog das Gesicht. „Moment.“ Er verschwand in der Dunkelheit. Wieder hallten Schritte. Der Doktor schlepptezwei Eimer herbei, in denen Eis schwamm. Der Chemiker leuchtete. Der Doktor und der Physiker begossen die Klappe mit dem Wasser. Es lief über den Fußboden in den Gang. Der Kybernetiker brachte einen Kübel mit kleingehacktem Eis und ging noch mehr holen. Als sie die Klappe zum zehntenmal bespülten, glaubten sie etwas zu hören — ein schwaches Quietschen. Sie stießen einen Freudenschrei aus. Der Ingenieur erschien. Vor die Brust hatte er sich einen ziemlich starken Raumanzugscheinwerfer gebunden. Gleich wurde es heller. Der Ingenieur warf einen Armvoll Plastikplatten aus dem Steuerraum auf den Fußboden. Sie packten Eisstücke auf die Lukentür und drückten sie mit den Plastikplatten und mit Luftkissen fest sowie mit den Büchern, die der Physiker unterdessen zusammentrug. Schließlich, als sie schon ihre Rücken kaum mehr geradebiegen konnten und von der kleinen Eismauer kaum etwas übriggeblieben war, so rasch schmolz sie bei der Berührung mit der erhitzten Lukentür, packte der Kybernetiker die Kurbel mit beiden Händen und versuchte sie zu drehen. „Warte, noch nicht!“ rief der Ingenieur ärgerlich. Aber die Kurbel gab ziemlich leicht nach. Alle sprangen auf. Die Kurbel drehte sich immer schneller. Der Ingenieur packte in der Mitte den Griff des dreifachen Riegels, der die Klappe absicherte, und zerrte daran. Ein Klirren war zu hören, als ob eine Scheibe zersprang, und die Lukentür presste sich gegen sie, zunächst leicht. Auf einmal riss sie die Nächststehenden fast um, eine schwarze Lawine quoll polternd aus dem dunklen Rachen und schüttete die Männer, die sich ihr entgegenstellten, bis an die Knie zu. Der Chemiker und der Koordinator wurden beiseite geschleudert. Den Chemiker drückte die Klappe an die Seitenwand, so dass er sich nicht bewegen konnte; er kam aber unverletzt davon. Der Koordinator konnte noch im letzten Augenblick zurückspringen. Beinahe hätte er dabei den Doktor umgestoßen.

Sie rührten sich nicht. Die Taschenlampe des Doktors war erloschen, sie war irgendwo verschüttet.

Nur der Scheinwerfer auf der Brust des Ingenieurs leuchtete.

„Was ist das?“ fragte der Kybernetiker mit einer Stimme, die nicht die seine zu sein schien. Er stand hinter den anderen, als letzter, am Rand der kleinen Plattform. „Eine Probe vom Planeten Eden.“

Der Koordinator half dem Chemiker, sich von der Lukentür zu befreien. „Ja“, bestätigte der Ingenieur, „der Eingang ist verschüttet, wir müssen uns ganz tüchtig in den Boden gebohrt haben!“

„Das ist die erste Landung unter der Oberfläche eines unbekannten Planeten, nicht wahr?“ meinte der Doktor. Alle lachten. Der Kybernetiker schüttelte sich, dass ihm die Tränen kamen. „Genug!“ rief er.

„Wir wollen doch nicht bis zum frühen Morgen so herumstehen. Holt das Werkzeug, wir müssen uns freigraben.“ Der Chemiker bückte sich und nahm einen schweren Klumpen von dem Erdhügel vor seinen Füßen in die Hand. Aus der ovalen Öffnung sickerte noch immer Erde nach. Von Zeit zu Zeit rutschten einige fett leuchtende, schwarze Brocken von dem Hügel bis in den Gang. Die Männer zogen sich dorthin zurück, denn auf der Plattform war nicht genug Platz, sich hinzusetzen. Der Koordinator und der Ingenieur sprangen zuletzt hinunter.

„Wie tief mögen wir uns wohl in den Boden gebohrt haben?“ fragte der Koordinator leise den Ingenieur, als sie beide den Gang entlangschritten. Weit vor ihnen huschte der Lichtkegel auf und ab.

Der Ingenieur reichte dem Chemiker den Scheinwerfer. „Wie tief? Das hängt von vielen Faktoren ab.

Tagerssen hatte sich achtzig Meter in den Boden gebohrt.“

„Ja, aber was war von der Rakete und von ihm übriggeblieben!“

„Und die Mondsonde? Einen Stollen mussten sie in den Felsen schlagen, um sie freizugraben. In den Felsen!“

„Auf dem Mond ist Pumex…“

„Woher sollen wir wissen, was hier ist?“

„Du hast es doch gesehen. Sieht nach Mergel aus.“

„Ja, dicht am Eingang, aber weiter!“ Mit dem Werkzeug stand es schlecht. Wie alle Weltraumschiffe besaß auch dieses eine doppelte Ausstattung von Automaten und ferngesteuerten Halbautomaten für einen Allroundeinsatz, auch für Erdarbeiten, wie ihn die unterschiedlichen planetaren Bedingungen erforderlich machen können.

Diese Aggregate waren jedoch alle ausgefallen, und ohne Stromzufuhr war an ihre Inbetriebnahme überhaupt nicht zu denken. Die einzige Apparatur, über die sie verfügten, ein Bagger, der von einerAtommikrosäule angetrieben wurde, brauchte ebenfalls Strom für den Initialantrieb. So mussten sie auf primitives Werkzeug zurückgreifen: auf Spaten und Spitzhacken. Ihre Anfertigung bereitete ihnen ebenfalls Schwierigkeiten. Nach fünf Stunden mühevoller Arbeit kehrte die Besatzung durch den Gang zur Schleuse zurück. Sie hatten drei flache, am Ende gebogene Hacken, zwei stählerne Stangen und große Blechtafeln bei sich, die zum Abstützen der Wände des Grabens dienen sollten. Außerdem Kübel und mehrere große Plastikschachteln zum Wegräumen der Erde, an denen sie zum Tragen kurze Aluminiumrohre befestigten. Achtzehn Stunden waren seit der Katastrophe vergangen. Alle fielen fast um vor Erschöpfung. Der Doktor entschied, dass sie wenigstens ein paar Stunden schlafen sollten. Zuerst mussten sie sich aber provisorische Schlaflager bereiten, denn die Kojen in den Schlafräumen, die an den Fußböden befestigt waren, standen senkrecht. Sie loszuschrauben hätte sie zuviel Arbeit gekostet. Also trugen sie Luftmatratzen in die Bibliothek; sie hatten am wenigsten gelitten, fast die Hälfte der Bücher hatten sie schon vorher in den Flur getragen. Sehr bald stellte sich heraus, dass außer dem Chemiker und dem Ingenieur keiner einschlafen konnte. Der Doktor stand auf und ging mit der Taschenlampe ein Schlafmittel suchen. Dazu brauchte er fast eine Stunde, denn er musste sich den Weg zum Verbandraum erst bahnen. Der Gang war mit Bergen von zertrümmerten Geräten und Laborgefäßen verstopft. Alles war aus den Wandschränken gefallen und verbarrikadierte den Zugang zur Tür. Schließlich — seine Armbanduhr zeigte bereits vier Uhr Bordzeit — verteilte er die Schlaftabletten, das Licht wurde gelöscht, und bald darauf erfüllten unruhige Atemzüge den dunklen Raum. Sie erwachten unerwartet schnell, mit Ausnahme des Kybernetikers, der eine zu große Dosis Tabletten genommen hatte und wie betrunken war. Der Ingenieur klagte über heftige Schmerzen im Rücken. Der Doktor entdeckte dort eine Schwellung; vermutlich hatte sich der Ingenieur beim Ziehen an den Griffen des Eingangs einen Muskel gezerrt.

Sie waren schlechter Stimmung. Keiner sprach, nicht einmal der Doktor. An die restlichen Vorräte in der Schleuse kamen sie nicht heran, denn auf dem Schrank, in dem die Raumanzüge hingen, lag ein gewaltiger Erdhaufen. Der Physiker und der Chemiker gingen in die Vorratskammer und kehrten mit Konservendosen zurück. Es war neun, als sie das Ausschachten des Tunnels in Angriff nahmen.

Die Arbeit ging im Schneckentempo voran. In der ovalen Öffnung konnten sie sich nicht frei bewegen. Die Männer vorn lockerten mit den Hacken die festen Erdklumpen, und die hinter ihnen wurden in den Gang gedrängt. Nach einigem Überlegen beschlossen sie, die Erde in den Steuerraum zu schütten. Er lag am nächsten und enthielt nichts, was in nächster Zeit benötigt wurde. Vier Stunden später war der Steuerraum kniehoch mit Erdreich bedeckt. Der Tunnel war aber erst zwei Meter tief.

Der Mergel war zäh. Die Bohrstangen und Hacken blieben darin stecken. Die eisernen Griffe verbogen sich unter den Händen der heftig zupackenden Männer. Die beste Arbeit leistete noch die stählerne Hacke des Koordinators.

Der Ingenieur sorgte sich, dass die Decke einstürzen könnte, und bemühte sich vor allem darum, sie ordentlich abzustützen. Gegen Abend, als sie lehmbeschmiert am Tisch Platz nahmen, war der Tunnel, der von der Klappe fast siebzig Grad steil nach oben führte, kaum fünfeinhalb Meter vorgetrieben. Der Ingenieur blickte noch einmal in den Brunnen, durch den man in die tiefer gelegenen Räume dringen konnte, wo sich, dreißig Meter vom Haupteingang entfernt, im Panzer die Verladeluke befand, aber er sah nur den schwarzen Wasserspiegel — höher als am Vortag.

Offensichtlich hatte ein Behälter ein Leck, und sein Inhalt sickerte langsam heraus. Das Wasser war radioaktiv verseucht. Das hatte er sofort mit einem kleinen Geigerzähler festgestellt. Er schloss den Brunnen und kehrte zu seinen Freunden zurück, ohne ihnen etwas von seiner Entdeckung zu sagen.

„Wenn es gut geht, kommen wir morgen heraus, sonst erst in zwei Tagen.“ Der Kybernetiker trank die dritte Tasse Kaffee aus der Thermosflasche. Sie tranken alle sehr viel. „Woher weißt du das?“ fragte der Ingenieur verwundert. „Ich fühle es.“

„Er hat Intuition, die seine Automaten nicht haben.“

Der Doktor lachte. Je mehr der Tag sich neigte, um so besser wurde seine Laune. Als ihn die anderenvorn beim Ausschachten ablösten, lief er durch die Räume der Rakete und bereicherte die Belegschaft um zwei magnetoelektrische Taschenlampen, eine Haarschneidemaschine, Vitaminschokolade und einen ganzen Berg Handtücher. Alle waren lehmbeschmiert, ihre Kombinationen voller Flecke. Sie rasierten sich nicht, weil es keinen Strom gab, und die Haar-Schneidemaschine, die der Doktor mitbrachte, verschmähten sie. Er benutzte sie übrigens selber nicht.

Auch der folgende Tag verging mit dem Graben des Tunnels. Im Steuerraum lag die Erde so hoch, dass es immer schwerer fiel, den Sand durch die Tür hineinzuschütten. Nun war die Bibliothek an der Reihe. Der Doktor hegte ihretwegen gewisse Zweifel, aber der Chemiker, mit dem er die aus Blech gefertigten Eimer trug, schüttete die Erde, ohne zu zögern, auf die Bücher. Der Tunnel öffnete sich völlig unerwartet. Der Boden war zwar mittlerweile trockener geworden und weniger fest, aber diese Beobachtung des Physikers hatten die anderen nicht geteilt. Der Mergel, den sie in die Rakete schleppten, mutete noch genauso an wie früher. Gerade hatten der Ingenieur und der Koordinator die neue Schicht vorn übernommen und mit dem Werkzeug, das von den Händen ihrer Vorgänger noch warm war, den aus der klobigen Wand herausragenden Klumpen die ersten Schläge versetzt, da verschwand plötzlich der Brocken, und ein sanfter Lufthauch drang durch die entstandene Öffnung.

Sie spürten den lauen Zug, denn der Druck draußen war etwas höher als im Tunnel und in der Rakete.

Die Hacke und die stählerne Stange begannen fieberhaft zu wühlen. Keiner trug mehr die Erde fort.

Die Männer, die vorn nicht helfen konnten, da zuwenig Platz war, standen hinten bereit. Nach den letzten Schlägen wollte der Ingenieur hinausklettern, aber der Koordinator hielt ihn zurück. Zuerst sollte der Ausgang erweitert werden. Der Koordinator ließ auch noch den letzten Berg Erde in die Rakete tragen, damit der Schacht frei war. Noch wenige Minuten, und die sechs Männer konnten durch die ungleichmäßige Öffnung an die Oberfläche des Planeten kriechen.

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