3

Es war eine lange und mühsame Reise gewesen, die Par Ohmsford von seinem so lange zurückliegenden Treffen mit dem Schatten Allanons am Hadeshorn zu diesem Ort und in diese Zeit gebracht hatte, und als er in dem unterirdischen Lager des Maulwurfs stand und die Ruinen und die Überbleibsel aus anderer Leute Leben betrachtete, konnte er nicht umhin, sich zu fragen, inwieweit dies sein eigenes Leben widerspiegelte.

Damson.

Er preßte die Augen zusammen, um die emporquellenden Tränen zurückzuhalten. Er konnte sich nicht eingestehen, was ihr Verlust bedeuten würde. Er begann gerade erst zu erkennen, wieviel sie ihm bedeutete.

»Par«, mahnte Padishar ihn sanft. »Komm, wasch dir das Gesicht ab, Junge. Du bist erschöpft.«

Par gab ihm recht. Er war geschlagen: physisch, emotional und geistig. Er war auf jede mögliche Art geschlagen, die Kraft floß aus ihm heraus, und der letzte Rest seiner Hoffnung wurde zerrissen wie Papier unter einem Messer.

Er fand Kerzen und entzündete sie an der Fackel, bevor er diese löschte. Dann trat er an das Becken und begann sich zu waschen. Langsam, wie bei einem Ritual, säuberte er sich von Schmutz und Schweiß, als könne er all die bösen Dinge, die ihm bei seiner Suche nach dem Schwert von Shannara widerfahren waren, mit dieser Handlung auslöschen.

Das Schwert war noch immer auf seinen Rücken gebunden. Er hielt mitten in seiner Waschung inne, nahm es ab und lehnte es gegen eine alte Kommode mit zerbrochenem Spiegel. Er starrte es an, wie er einen Feind anstarren mochte. Das Schwert von Shannara – war es dieses? Er wußte es noch immer nicht. Die Aufgabe, die Allanon ihm übertragen hatte, hatte darin bestanden, das Schwert zu finden, und obwohl er einmal geglaubt hatte, dies sei ihm gelungen, war ihm auf einmal bewußt, daß er vielleicht versagt hatte. Seine Aufgabe war unter den Nachwirkungen von Colls Tod und dem Überlebenskampf in den Katakomben von Tyrsis völlig in Vergessenheit geraten. Er fragte sich, wie viele von Allanons Aufgaben in Vergessenheit geraten oder ignoriert worden waren. Er fragte sich, ob Walker oder Wren ihre Meinung geändert hatten.

Er beendete seine Waschung, trocknete sich ab, wandte sich um und sah Padishar an einem dreibeinigen Tisch sitzen, dessen fehlendes Bein durch eine umgedrehte Lattenkiste ersetzt worden war. Der Anführer der Geächteten aß Brot und Käse und trank Bier. Er winkte Par zu einem Platz, der für ihn gedeckt worden war, zu einem Teller mit Essen, und der Talbewohner ging schweigend hinüber, setzte sich und begann zu speisen.

Er war hungriger, als er gedacht hatte, und verschlang das Mahl in wenigen Minuten. Rund um ihn herum spuckten und flackerten die Kerzen in der Dunkelheit wie Leuchtkäfer in einer mondlosen Nacht. Das Schweigen wurde nur von dem fernen Geräusch tropfenden Wassers unterbrochen.

»Seit wann kennst du den Maulwurf?« fragte er Padishar, denn er mochte das leere Gefühl nicht, das das Schweigen in ihm hervorrief.

Padishar schürzte die Lippen. Sein Gesicht war so zerkratzt und zerschnitten, daß es wie ein schlecht zusammengesetztes Mosaik aussah. »Seit ungefähr einem Jahr. Damson hat mich eines Tages nach Einbruch der Dunkelheit in den Park zu einem Treffen mit ihm mitgenommen. Ich weiß nicht, woher sie ihn kannte.« Er schaute zu den ausgestopften Tieren hinüber. »Ein merkwürdiger Bursche, aber ihrer Meinung nach ausreichend sicher.«

Par nickte schweigend.

Padishar lehnte sich auf seinem knarrenden Stuhl zurück. »Erzähle mir von dem Schwert, Junge«, drängte er Par, stellte den Bierkrug ab und drehte ihn zwischen den Fingern. »Ist es das echte?«

Par lächelte, obwohl ihm nicht danach zumute war. »Eine gute Frage, Padishar. Ich wünschte, ich wüßte es.«

Dann erzählte er dem Anführer der Geächteten, was ihm widerfahren war, seit sie zusammen darum gekämpft hatten, der Grube zu entkommen: wie Damson die Ohmsfordbrüder im Volkspark gefunden hatte, wie sie den Maulwurf getroffen hatten, wie sie beschlossen hatten, ein letztes Mal wieder in die Grube hinabzusteigen, um das Schwert zu erlangen, wie sie in dem Gewölbe mit Felsen-Dall zusammengetroffen waren und ohne jeglichen Kampf an sich nehmen konnten, was ein uralter Talisman sein sollte, wie sie Coll verloren hatten und schließlich, wie Damson und er seither durch ganz Tyrsis gelaufen waren und sich überall versteckt hatten.

Was Par Padishar nicht erzählte war, daß Felsen-Dall ihn darauf hingewiesen hatte, daß er, wie der Erste Sucher auch, ein Schattenwesen sei. Denn wenn das die Wahrheit war...

»Ich trage es, Padishar«, endete er, schob seine Grübeleien beiseite und deutete statt dessen auf die staubige Klinge, die an der Kommode lehnte, »weil ich immer noch denke, daß ich früher oder später herausfinden werde, ob es echt ist oder nicht.«

Padishar runzelte düster die Stirn. »Irgend etwas stimmt hier nicht. Felsen-Dall ist niemandes Freund. Entweder ist die Klinge eine Fälschung, oder er hatte guten Grund zu glauben, daß du keinen Nutzen aus ihr ziehen kannst.«

Wenn ich ein Schattenwesen bin...

Par schluckte gegen seine Angst an. »Ich weiß. Und bisher kann ich das auch nicht. Ich habe sie wiederholt ausprobiert und versucht, ihre Magie anzurufen, aber nichts geschieht.« Er hielt inne. »Nur einmal, als ich in der Grube war, nachdem Coll... Ich habe das Schwert von da aufgenommen, wo ich es abgelegt hatte, und seine Berührung verbrannte meine Haut wie glühende Kohlen. Nur einen Augenblick lang.« Er durchforschte seine Erinnerung erneut. »Die Magie des Wunschgesangs war noch lebendig. Ich hielt dieses Feuerschwert noch immer fest. Dann ließ die Magie nach, und das Schwert wurde unter der Berührung wieder kühl.«

Der große Mann nickte. »Dann ist es das Schwert von Shannara, Junge. Etwas, was mit der Magie des Wunschgesangs zusammenhängt, wirkt störend auf den Gebrauch dieses Schwertes ein. Das ergibt einen Sinn, nicht wahr? Warum nicht ein Aufeinandertreffen von zweierlei Magie? Wenn es so ist, konnte Felsen-Dall dir das Schwert bedenkenlos überlassen.«

Par schüttelte den Kopf. »Aber wie sollte er wissen, daß es so funktionieren würde?« Er hielt es auf einmal für wahrscheinlicher, daß der Erste Sucher davon ausgegangen war, daß das Schwert für ein Schattenwesen nutzlos war. »Und was ist mit Allanon? Würde er es nicht auch gewußt haben? Warum hat er mich denn auf die Suche nach dem Schwert geschickt, wenn ich es nicht gebrauchen kann?«

Auch Padishar wußte auf keine dieser Fragen eine Antwort, und daher sahen die beiden sich eine Weile lang einfach nur an. Schließlich sagte der große Mann: »Es tut mir leid wegen deines Bruders.«

Par schaute kurz fort und dann wieder zu ihm hin. »Damson hat mich davon abgehalten...« Er sog heftig den Atem ein. »Sie war diejenige, die mir geholfen hat, den Schmerz zu überwinden, als ich dachte, ich könnte ihn nicht mehr ertragen.« Er lächelte den anderen zaghaft und traurig an. »Ich liebe sie, Padishar. Wir müssen sie zurückholen.«

Padishar nickte. »Wenn sie gefangengenommen wurde, Junge... Wir wissen nichts Genaues.« Seine Stimme klang unsicher, und sein Blick wirkte besorgt und abwesend.

»Ich habe bereits Coll verloren, mehr kann ich nicht ertragen.« Par senkte seinen Blick nicht.

»Ich weiß. Wir werden sie sicher zurückbekommen, das verspreche ich dir.«

Padishar griff nach dem Bierkrug, füllte seinen Becher und goß nach kurzer Überlegung auch Par ein wenig nach. Er trank wohlüberlegt und setzte den Becher dann vorsichtig ab. Par erkannte, daß er zu dieser Angelegenheit alles gesagt hatte, was er sagen wollte.

»Erzähle mir von Morgan«, bat Par ruhig.

»Ah, der Hochländer.« Padishar begann sofort zu strahlen. »Er hat mir in der Grube das Leben gerettet, nachdem ihr beide, du und dein Bruder, entkommen wart. Hat es am Jut erneut gerettet – mit den Leben aller anderen. Böse Angelegenheit das.«

Und er fuhr mit seinem Bericht darüber, was geschehen war, fort – wie das Schwert von Leah bei ihrer Flucht aus der Grube und vor ihren Schattenwesen zerbrochen war, wie die Föderation sie bis zum Jut verfolgt hatte, wie die Kriecher gekommen waren, wie Morgan verkündet hatte, daß Teel ein Schattenwesen sei, wie der Hochländer, Steff und er Teel bis tief in die Höhlen hinter dem Jut verfolgt hatten, wo Morgan Teel allein gegenübergestanden und gerade noch genug der Magie hervorgebracht hatte, um sie vernichten zu können, wie die Geächteten der Falle der Föderation entkommen waren und wie Morgan sie dann verlassen hatte, um nach Culhaven und zu den Zwergen zurückzukehren, damit er das Versprechen halten konnte, das er dem sterbenden Steff gegeben hatte.

»Ich habe ihm versprochen, dich zu suchen«, schloß Padishar. »Aber ich war gezwungen, am Firerim Reach zu rasten, bis mein gebrochener Arm geheilt war. Sechs Wochen lang. Ist noch immer empfindlich, obwohl ich es nicht zeige. Wir sollten Axhind und seine Bergtrolle zwei Wochen zuvor am Jannisson treffen, aber ich schickte ihnen eine Nachricht, daß es acht Wochen werden würden.« Er seufzte. »So viel Zeit verloren und so wenig zu verlieren. Es bedeutete einen Schritt vorwärts und zwei zurück. Wie dem auch sei, schließlich war mein Arm genug ausgeheilt, daß ich meinen Teil des Handels einhalten und dich suchen konnte.« Er lachte verzerrt. »Es war nicht leicht. Wo ich auch nachschaute, überall wartete bereits die Föderation.«

»Teel also, glaubst du?« fragte Par.

Der andere nickte. »Es kann nicht anders sein, Junge. Sie hat Hirehone getötet, nachdem sie seine Identität und seine Geheimnisse gestohlen hatte. Hirehone war vertrauenswürdig. Er kannte die sicheren Verstecke. Teel – das Schattenwesen – muß diese Informationen aus ihm herausbekommen und seinem Geist entzogen haben.« Er spie aus. »Dunkle Wesen! Und Felsen-Dall hat vorgegeben, dein Freund zu sein! Welche Lügen!«

Oder die Wahrheit, dachte Par, sagte es aber nicht. Par fürchtete, daß das, was ihn mit dem Ersten Sucher verband, welcher Natur auch immer es sein mochte, Felsen-Dall die Geheimnisse zutragen würde, die er andernfalls verborgen gehalten hätte – sogar jene, in die er nicht eingeweiht war, jene, die seine Freunde und Gefährten hüteten.

Es war ein verwegener Gedanke. Zu verwegen, als daß man ihn glauben konnte. Aber andererseits war vieles von dem, was er in diesen letzten wenigen Wochen erfahren hatte, gleichermaßen verwegen gewesen, nicht wahr?

Es war leichter, das alles Teel zuzuschreiben, sagte er sich.

»Wie dem auch sei«, sagte Padishar gerade, »ich habe am Reach Wachen aufgestellt, seit wir dort lagern, denn Hirehone wußte auch davon, und das bedeutet, daß die Schattenwesen möglicherweise ebenfalls davon wissen. Aber bisher ist alles ruhig geblieben. In einer Woche werden wir das Treffen mit den Trollen abhalten, und wenn sie sich uns anschließen, haben wir ein Heer, mit dem man rechnen muß, der Anfang eines wahrhaftigen Widerstandes, der Kern eines Feuers, das sich durch die Föderation hindurchbrennen und uns schließlich befreien wird.«

»Immer noch am Jannisson?« fragte Par und dachte an andere Dinge.

»Wir brechen auf, sobald ich mit dir dort eintreffe. Und mit Damson«, fügte er schnell und überzeugt hinzu. »Eine Woche ist Zeit genug, dies alles zu vollbringen.« Er klang aber nicht vollkommen sicher.

»Aber Morgan ist noch nicht zurückgekommen?« drängte Par.

Padishar schüttelte langsam den Kopf. »Mach dir keine Sorgen um deinen Freund, Junge. Er ist zäh wie Leder und schnell wie das Licht. Und entschlossen. Wo auch immer er ist, was auch immer er tut, es wird ihm gutgehen. Wir werden ihn schon bald sehen.«

So seltsam es auch war, Par neigte dazu, dem zuzustimmen. Wenn es jemals jemanden gegeben hatte, der aus jeder Misere einen Ausweg finden konnte, dann war es Morgan Leah. Er stellte sich die klugen Augen seines Freundes vor, sein bereitwilliges Lächeln und die Spur von Schalkheit in seiner Stimme und stellte fest, daß er ihn sehr vermißte. Ein weiteres Opfer seiner Reise, irgendwo unterwegs verloren. Es fiel von ihm ab wie überflüssiges Gepäck. Nur daß die Analogie nicht stimmte – seine Freunde und sein Bruder hatten für seine Sicherheit ihr Leben gegeben. Sie alle, zu der einen oder der anderen Zeit. Und was hatte er ihnen dafür gegeben? Was hatte er getan, um solche Opfer zu rechtfertigen?

Was hatte er Gutes vollbracht?

Sein Blick fiel einmal mehr auf das Schwert von Shannara. Er fuhr die Linien der hocherhobenen Hand mit ihrer Fackel nach. Die Wahrheit. Das Schwert von Shannara war ein Talisman für die Wahrheit. Und die Wahrheit, die er gerade jetzt am dringendsten brauchte, war die Antwort auf die Frage, ob diese Klinge, die soviel gekostet hatte, echt war.

Wie konnte er dies nur erfahren?

Ihm gegenüber streckte sich Padishar und gähnte. »Es ist Zeit, sich ein wenig auszuruhen, Par Ohmsford«, riet er und erhob sich. »Wir brauchen unsere Kraft für das, was vor uns liegt.«

Er ging zu der Couch hinüber, auf der die ausgestopften Tiere saßen, sammelte sie unbekümmert ein und ließ sie auf den nächsten Stuhl plumpsen. Er wandte sich wieder der Couch zu und machte es sich auf den zerschlissenen Lederkissen gemütlich, wobei er seine Schuhe über ein Ende der Couch herüberragen ließ und den Kopf in einer Armbeuge barg. Kurz darauf begann er zu schnarchen.

Par blieb noch eine Weile wach, um ihn zu beobachten, und ließ zu, daß sich seine dunklen Gedanken in seinem Geist niederließen. So verhinderte er, daß seine Entschlossenheit zerstreut wurde wie Blätter im Wind. Er hatte Angst, aber die Angst war nichts Neues. Daß ihn die Hoffnung langsam verließ, beunruhigte ihn am meisten, der Zerfall seiner Sicherheit, daß er, was auch immer geschehen würde, einen Weg finden würde, damit umzugehen. Er begann sich zu fragen, ob das immer noch so war.

Schließlich erhob er sich und ging zu dem Stuhl hinüber, auf dem Padishar die ausgestopften Tiere abgesetzt hatte. Vorsichtig nahm er sie auf – Chalt, Lida, Westra, Everlind und die anderen – und trug sie zu der Kommode hinüber, an der das Schwert von Shannara lehnte. Eines nach dem anderen ordnete er sie um das Schwert herum an, stellte sie als Wachen auf, als könnte er so erreichen, daß sie ihm vielleicht dabei halfen, die Dämonen von seinem Schlaf fernzuhalten.

Als er fertig war, ging er zum Lager des Maulwurfs hinüber, fand einige ausrangierte Kissen und alte Decken, baute sich in einer Ecke mit einer Sammlung alter Gemälde ein provisorisches Bett und legte sich nieder.

Er lauschte auf das Geräusch tropfenden Wassers, bis er schließlich einschlief.

Als er wieder erwachte, war er allein. Die Couch, auf der Padishar geschlafen hatte, war leer, und die Räume des Maulwurfs waren von Stille erfüllt. Alle Kerzen waren verlöscht, bis auf eine. Par blinzelte gegen die grellen Lichtblitze an, spähte dann an ihnen vorbei in die Dunkelheit und fragte sich, wo Padishar hingegangen sein mochte. Er erhob sich, streckte sich, ging zu der Kerze, benutzte sie, um die anderen wieder anzuzünden und beobachtete, wie die Dunkelheit zu einzelnen Schatten zusammenschmolz.

Er hatte keine Vorstellung davon, wie lange er geschlafen hatte. Die Zeit verlor in diesen Katakomben alle Bedeutung. Er war wieder hungrig und bereitete sich daher aus etwas Brot, Käse, Früchten und Bier eine Mahlzeit, die er an dem dreibeinigen Tisch einnahm. Während er aß, schaute er beständig zu dem Schwert von Shannara hinüber, das inmitten der Kinder des Maulwurfs in der Ecke lehnte.

Sprich mit mir, dachte er. Warum willst du nicht mit mir sprechen?

Er beendete seine Mahlzeit, nachdem er sich die Nahrung in den Mund geschoben hatte, ohne sie zu schmecken und das Bier ohne besonderes Interesse getrunken hatte, und konzentrierte den Blick und den Geist auf das Schwert. Er schob sich vom Tisch hoch, ging zu der Klinge hinüber, hob sie von ihrem Ruheplatz auf und trug sie zurück zu seinem Stuhl. Er balancierte sie einige Zeit auf den Knien und schaute auf sie hinab. Dann zog er sie schließlich aus ihrer Scheide und hielt sie vor sich hin, drehte sie hierhin und dorthin und ließ das Kerzenlicht von ihrer polierten Oberfläche abstrahlen.

Seine Augen funkelten vor Enttäuschung.

Talisman oder Schwindel – was bist du?

Wenn sie sein Talisman war, dann stimmte ganz entschieden etwas nicht. Er war der Nachkomme Shea Ohmsfords, und sein Elfenblut war genauso gut wie das seines berühmten Vorfahren. Er hätte mit Leichtigkeit in der Lage sein müssen, die Macht des Schwertes anzurufen. Natürlich nur, wenn es wirklich das Schwert war. Sonst... Er schüttelte verärgert den Kopf. Nein, dies war das Schwert von Shannara. Es war es. Er konnte es in seinen Knochen spüren. Alles was er von dem Schwert wußte, alles, was er darüber erfahren hatte, all die Gesänge, die er über die Jahre hinweg darüber gesungen hatte, sagten ihm, daß es dies Schwert war. Felsen-Dall hätte ihm keine Imitation gegeben. Der Erste Sucher war zu sehr bemüht, daß Par in seiner Magie seine Führung akzeptierte, als daß er durch eine Lüge, die vielleicht entdeckt würde, riskiert hätte, ihn gegen sich aufzubringen. Was auch immer Felsen-Dall sonst sein mochte, er war gerissen – viel zu gerissen, um ein derart einfaches Spiel zu spielen...

Par hing diesem Gedanken nicht weiter nach, denn er war sich nicht so sicher, wie er es gern gewesen wäre, daß er recht hatte. Dennoch fühlte es sich richtig an, sagte ihm sein Verstand, sein Sinn für das Gleichgewicht der Dinge. Felsen-Dall wollte, daß er sein Dasein als Schattenwesen akzeptierte. Ein Schattenwesen konnte die Elfenmagie der Klinge nicht gebrauchen, weil...

Warum?

Weil die Wahrheit ihn vielleicht vernichten würde, und seine eigene Magie dies nicht zulassen wollte?

Aber als das Schwert von Shannara ihn in der Grube verbannt hatte, nachdem er Coll und die Schattenwesen mit ihm vernichtet hatte, war es da nicht eher die Magie der Klinge gewesen, die auf ihn reagiert hatte, als umgekehrt? Welche Magie widerstand welcher?

Er knirschte mit den Zähnen und krampfte seine Hände fest um das geschnitzte Heft des Schwertes. Die erhobene Hand mit ihrer Fackel drückte gegen seine Handfläche, und die Linien glänzten deutlich und klar. Worin bestand das Problem zwischen ihnen? Warum konnte er die Antwort nicht finden?

Er schob die Klinge wieder in ihre Scheide und saß unbeweglich und nachdenklich in der kerzenerleuchteten Stille. Allanon hatte ihm die Aufgabe übertragen, das Schwert von Shannara zu finden. Ihm, nicht Wren oder Walker, und doch hatten die auch elfisches Shannarablut, nicht wahr? Allanon hatte ihn gesandt. Vertraute Fragen wiederholten sich in seinem Geist. Der Druide hätte es doch sicher gewußt, wenn eine solche Aufgabe sinnlos war? Hätte er nicht auch als Schatten spüren können, daß Pars Magie eine Gefahr war, daß Par selbst der Feind war?

Es sei denn, Felsen-Dall hatte recht damit, daß nicht die Schattenwesen der Feind waren – sondern die Druiden. Oder vielleicht waren sie alle Feinde irgendeiner Art und kämpften um die Kontrolle über die Magie. Vielleicht kämpften Schattenwesen und Druiden beide darum, jene Leere zu erfüllen, die bei Allanons Tod geschaffen worden war, jenes Vakuum, das das Verblassen der letzten wahren Magie zurückgelassen hatte.

War das möglich?

Par furchte die Brauen. Er ließ seine Finger über den Knauf des Schwertes und den Besatz der Scheide gleiten.

Warum war die Wahrheit so schwer zu entdecken?

Er bemerkte, daß er sich fragte, was aus all den anderen geworden war, die sich auf die Reise zum Hadeshorn begeben hatten. Steff und Teel waren tot. Morgan wurde vermißt. Wo war Cogline? Was war nach dem Treffen mit Allanon und der Verteilung der Aufgaben aus ihm geworden? Par merkte, daß er sich plötzlich wünschte, mit dem alten Mann über das Schwert sprechen zu können. Cogline wäre sicher in der Lage, einen Sinn in dem allen zu sehen. Und was war mit Wren und diesem riesigen Fahrenden? Was war mit Walker Boh? Hatten sie ihre Meinung geändert und waren losgezogen, um ihre Aufgaben zu erfüllen, so wie er es getan hatte?

Wie er glaubte, es getan zu haben.

Sein Blick, der in die Leere vor ihm gerichtet war, senkte sich erneut auf das Schwert. Da war noch etwas. Jetzt, wo er die Klinge besaß – vielleicht jedenfalls –, was sollte er mit ihr anfangen? Allanon den Vorteil des Zweifels daran überlassen, wer gut und wer schlecht war, und ob Par das Richtige tat? Welchem Zweck sollte das Schwert von Shannara dienen?

Welche Wahrheit sollte es enthüllen?

Er fühlte sich elend bei diesen vielen Fragen ohne Antworten, bei diesen Geheimnissen, die vor ihm verborgen blieben, bei den Lügen und verdrehten Halbwahrheiten, die ihn wie angriffsbereite Aasfresser umkreisten. Wenn er nur ein einziges Glied dieser Kette der Unsicherheit und Verwirrung, die ihn band, durchbrechen könnte, wenn er nur ein einziges Band durchtrennen könnte...

Die Tür auf der anderen Seite des Raumes glitt auf, und Padishar erschien in der Öffnung. »Da bist du ja«, verkündete er fröhlich. »Ausgeruht, hoffe ich?«

Par nickte. Das Schwert balancierte er noch immer auf den Knien. Padishar schaute darauf herab, während er den Raum durchquerte. Par lockerte seinen Griff. »Wie spät ist es?« fragte er.

»Mittag. Der Maulwurf ist nicht zurückgekommen. Ich bin hinausgegangen, weil ich dachte, ich könnte vielleicht selbst etwas über Damson erfahren. Einige Fragen stellen. Meine Nase in fremde Angelegenheiten stecken.« Er schüttelte den Kopf. »Es war Zeitverschwendung. Wenn die Föderation sie hat, halten sie es geheim.«

Er warf sich auf das Sofa, und auf einmal wirkte er erschöpft und entmutigt. »Wenn er bei Einbruch der Nacht noch nicht zurückgekommen ist, werde ich erneut hinausgehen.«

Par beugte sich vor. »Nicht ohne mich.«

Padishar sah ihn an und grunzte. »Vermutlich nicht. Nun, Talbewohner, vielleicht können wir wenigstens einen weiteren Besuch in der Grube umgehen...«

Er hielt inne, denn er war sich plötzlich der Tatsache bewußt, was dies bedeutete, und schaute dann unbehaglich fort. Par hob das Schwert von Shannara von seinen Knien hoch und legte es neben sich auf den Boden. »Sie hat mir gesagt, du seist ihr Vater, Padishar.«

Der große Mann sah ihn einen Moment lang schweigend an und lächelte dann leicht. »Die Liebe scheint vielerlei Arten närrisches Geschwätz hervorzubringen.«

Er erhob sich und trat zum Tisch. »Ich denke, ich werde jetzt etwas essen.« Plötzlich wirbelte er herum, und seine Stimme war so hart wie Stein. »Wiederhole niemals wieder, was du gerade gesagt hast. Zu niemandem. Niemals.«

Er wartete, bis Par nickte und wandte seine Aufmerksamkeit dann der Zubereitung einer Mahlzeit zu. Er aß von denselben Speiseresten wie der Talbewohner, fügte nur ein wenig getrocknetes Fleisch hinzu, das er von einem Nahrungsverwalter stibitzt hatte. Par sah ihm wortlos zu und wunderte sich dabei, wie lange Vater und Tochter ihr Geheimnis bewahrt hatten, und dachte, wie schwer es für sie beide gewesen sein mußte. Padishars gemeißelte Gesichtszüge senkten sich in den Schatten, während er aß, aber seine Augen glitzerten wie kleine Flammen weißen Feuers.

Als er fertig war, sah er Par erneut an. »Sie hat versprochen – sie hat geschworen –, es niemals jemandem zu sagen.«

Par schaute auf seine ineinander verkrampften Hände hinab. »Sie hat es mir erzählt, weil wir beide einen Grund brauchten, einander vertrauen zu können. Wir teilten Geheimnisse, um dieses Vertrauen zu erringen. Es war solange richtig, bis wir das letzte Mal in die Grube hinabgestiegen waren.«

Padishar seufzte. »Wenn sie herausfinden, wer sie ist...«

»Nein«, unterbrach Par ihn schnell. »Wir werden sie vorher zurückholen.« Er begegnete dem durchdringenden Blick des anderen. »Das werden wir, Padishar.«

Padishar Creel nickte. »Das werden wir wirklich, Par Ohmsford. Das werden wir wirklich.«

Es vergingen noch viele Stunden, bis der Maulwurf schließlich lautlos durch den Eingang trat, der Dunkelheit entschlüpfte wie einer ihrer Schatten, die Augen gegen das Kerzenlicht anblinzelnd. Sein Fell stand aufrecht, borstig von seiner zerschlissenen Kleidung, und verlieh ihm das Aussehen stacheligen Gestrüpps. Wortlos löschte er einige der Kerzen und ließ den größten Teil des Raums wieder in der Dunkelheit versinken, in der er sich wohlfühlte. Dann hastete er hinüber zu der Stelle, wo seine Kinder zusammengedrängt auf dem Boden saßen, gurrte ihnen einen Moment lang sanft zu, sammelte sie zärtlich auf und trug sie zum Sofa zurück.

Er setzte sie noch immer zurecht, als Padishars Geduld endete.

»Was hast du herausgefunden?« fragte der große Mann hitzig. »Erzähle es uns, wenn du glaubst, daß du dir die Zeit nehmen kannst!«

Der Maulwurf rührte sich, drehte sich aber nicht um. »Sie ist eine Gefangene.«

Par spürte alles Blut aus seinem Gesicht weichen. Er schaute schnell zu Padishar und sah, daß der große Mann, mit ineinander verkrampften Händen, aufgestanden war.

»Wo?« flüsterte Padishar.

Der Maulwurf ließ sich einen Moment Zeit, um Chalt auf einem Kissen zurechtzurücken, und wandte sich dann um. »In den alten Legionsbaracken an der Rückseite der inneren Mauer. Die liebliche Damson wird ganz allein im südlichen Wachturm festgehalten.« Er scharrte mit den Füßen. »Es hat lang gedauert, bis ich sie gefunden habe.«

Padishar trat vor und kniete sich hin, so daß sich ihre Augen auf gleicher Höhe befanden. Die Kratzer auf seinem Gesicht waren so rot wie Feuer. »Haben sie...« Er rang nach Worten. »Geht es ihr gut?«

Der Maulwurf schüttelte den Kopf. »Ich konnte sie nicht erreichen.«

Par trat ebenfalls vor. »Du hast sie nicht gesehen?«

»Nein.« Der Maulwurf blinzelte. »Aber sie ist dort. Ich bin durch die Mauern des Turms geklettert. Sie war genau auf der anderen Seite. Ich konnte sie durch den Stein atmen hören. Sie hat geschlafen.«

Der Talbewohner und der Anführer der Geächteten wechselten einen schnellen Blick. »Wie gut wird sie bewacht?« drängte Padishar.

Der Maulwurf führte seine Hände zu den Augen und rieb sie leicht mit seinen Knöcheln. »Soldaten standen an der Tür Wache, am Fuß der aufwärts führenden Treppe, am hineinführenden Tor. Sie patrouillieren in den Gängen und auf den Wegen. Es sind viele dort.« Er blinzelte. »Und es gibt dort auch Schattenwesen.«

Padishar sackte zusammen. »Sie wissen es«, flüsterte er rauh.

»Nein«, widersprach Par. »Noch nicht.« Er wartete darauf, daß Padishars Blick den seinen erwiderte. »Wenn sie es wüßten, würden sie sie nicht schlafen lassen. Sie sind nicht sicher. Sie werden auf Felsen-Dall warten – genau wie sie es schon zuvor getan haben.«

Padishar sah ihn einen Moment lang schweigend an, und ein Schimmer der Hoffnung zeigte sich auf seinen rauhen Zügen. »Vielleicht hast du recht. Also müssen wir sie herausholen, bevor dies geschieht.«

»Du und ich«, sagte Par leise. »Wir beide gehen.«

Der Anführer der Geächteten nickte, und ein Verständnis verband sie, das tiefer ging als alles, was Worte hätten ausdrücken können. Padishar erhob sich, sie standen sich in der Düsterkeit der schäbigen Räume des Maulwurfs gegenüber, und die Entschlossenheit härtete sie gegen das ab, was mit großer Sicherheit vor ihnen lag. Par schob die unbeantworteten Fragen und die Verwirrung durch das Schwert von Shannara beiseite. Er begrub seine Zweifel über den Gebrauch seiner eigenen Magie. Soweit es Damson betraf, würde er alles tun, was nötig war, um sie zu befreien. Nichts anderes war wichtig.

»Wir werden nah an sie herangelangen müssen«, erklärte Padishar weich und schaute auf den Maulwurf hinab. »So nah wie möglich, ohne gesehen zu werden.«

Der Maulwurf nickte ernst. »Ich kenne einen Weg.«

Der große Mann streckte die Hand aus und berührte seine Schulter. »Du wirst mit uns kommen müssen.«

»Die liebliche Damson ist meine beste Freundin«, sagte der Maulwurf.

Padishar nickte und nahm seine Hand fort. Dann wandte er sich zu Par um.

»Wir werden sie jetzt holen gehen.«

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