35

Schatten und Nebel drehten und wanden sich das Tal von Rhenn hinab wie ein Meer der Bewegung, das über die Körper der Toten hinwegrollte und den Überlebenden die finstere Einladung zuwinkte, sich ihm anzuschließen. Wren Elessedil stand mit den Befehlshabern der Elfenarmee und ihren neuen Verbündeten am Eingang des Tales und erwog, der Verlockung seines Rufs zu folgen. Von den Körpern, die noch immer dort unten verstreut lagen, überwiegend Südländer, die von ihren Kameraden zurückgelassen worden waren, erhoben sich Arme und zuckten im Tode wie Wegweiser zur Unterwelt. Das Blutbad breitete sich südwärts bis auf die Ebenen aus, bis die Dunkelheit es verschluckte, und es schien der Königin der Elfen, als ob es sich endlos erstrecken könnte. Ihr war, als hätte sie einen kurzen Blick auf eine Zukunft geworfen, die darauf wartete, sie zu beanspruchen.

Sie stand abseits von den anderen – von Triss und Barsimmon Oridio, von dem Anführer des Geächteten, Padishar Creel, und seinem rauhen Freund Chandos und von Axhind, dem geheimnisvollen Befehlshaber der Trolle. Sie schauten alle zum Tal hinunter, als denke jeder von ihnen über dasselbe Rätsel nach, dieses Gewirr aus Nebel und Schatten und Tod. Niemand sprach. Sie standen dort, seit sie die Nachricht erhalten hatten, daß sich die Föderation erneut auf dem Vormarsch befand. Die Dämmerung war noch nicht angebrochen, und das Licht wartete im Osten noch unter dem Rand des Horizonts. Der Himmel war dicht bewölkt und die Welt ein Ort der Schwärze.

Verzweiflung tobte tief in Wren. Sie spürte sie bis in die Knochen, und sie schien kein Ende nehmen zu wollen. Sie hatte gedacht, sie hätte zum letzten Mal weinen müssen, als Garth gestorben war, aber der Verlust von Faun hatte die Tränen und den Kummer erneut heraufbeschworen, und jetzt glaubte sie, daß sie vielleicht niemals wieder davon befreit werden würde. Sie fühlte sich, als sei ihr die Haut vom Körper gezogen worden, so daß das Blut darunter frei fließen konnte und die Nervenenden bloßgelegt waren. Sie fühlte sich, als habe sich der Sinn ihres Lebens zu einer Prüfung ihres Willens und ihrer Ausdauer entwickelt. Sie fühlte sich im Herzen elend und in der Seele leer.

»Es war nur ein Baumschreier«, hatte Stresa ihr wenig überzeugend zugezischt, als er sie gegen Mitternacht gefunden hatte. Sie hatte ihm von Fauns Tod erzählt, aber der Tod war für Stresa nichts Neues. »Sie wachsen auf, um zu sterben, Wren von den Elfen. Zerbrich dir nicht den Kopf darüber.«

Die Worte sollten sie nicht verletzen, aber sie fühlte sich dennoch durch sie herausgefordert. »Du wärst mit deinen Bemerkungen nicht so schnell bei der Hand, wenn ich um dich trauern müßte.«

»Phhffft. Eines Tages wirst du das.« Der Stachelkater hatte die Achseln gezuckt. »So sind die Dinge eben. Der Baumschreier ist gestorben, um dich zu retten. So hat er es gewollt.«

»Niemand will sterben.« Die Worte klangen verbittert und rauh. »Nicht einmal ein Baumschreier.«

Und Stresa hatte erwidert. »Es war seine Wahl, nicht wahr?«

Dann war er wieder gegangen. Er war in die Wälder weit im Westen gezogen, um darauf zu achten, was aus dieser Richtung kommen würde, um die Elfen zu warnen, wenn es notwendig war. Sie entfernten sich voneinander, spürte Wren. Stresa war ein Wesen der Wildnis, und sie war es nicht. Er würde eines Tages fortgehen und nicht mehr zurückkommen, und ihre letzte Verbindung zu Morrowindl wäre verloren. Alles wäre dann der Erinnerung anheimgegeben, der Anfang dessen, wer sie jetzt war, und das Ende davon, wer sie gewesen war.

Sie wunderte sich, daß sich das Leben so vollkommen verändern konnte und sie sich dennoch noch genauso fühlte wie früher.

Aber vielleicht belog sie sich in dieser Beziehung selbst, wenn sie vorgab, unverändert zu sein, während sie tatsächlich doch verändert war und es nur einfach nicht zugeben konnte. Sie blickte stirnrunzelnd in die Dunkelheit, suchte den von Toten übersäten Talboden ab und fragte sich, wieviel von ihrem Selbst Morrowindls Schrecken überlebt hatte und wieviel verlorengegangen war. Sie wünschte, sie hätte jemanden, dem sie diese Frage stellen konnte. Aber die meisten jener, die sie hätte fragen können, waren tot, und jene, die noch lebten, würden die Antwort zurückhalten. Sie würde sich die Frage selbst beantworten und hoffen müssen, daß ihre Antwort richtig war.

Padishar Creel schaute suchend in ihre Richtung, aber sie ging nicht darauf ein. Sie hatte seit dem Morgen mit niemandem mehr gesprochen, nicht einmal mit Triss, und hatte sich mit ihrer Einsamkeit umgeben wie mit einer Rüstung. Schließlich waren die Geächteten gekommen und hatten Axhind und seine Felsentrolle mit sich gebracht, die Verstärkung, die sie herbeigesehnt hatte. Aber plötzlich war es ihr schwergefallen, das alles für wichtig zu halten. Sie wollte nicht, daß die Elfen ausgerottet würden, aber das Töten machte sie krank. Der gestrige Kampf hatte unentschieden geendet, nichts war geklärt worden, und der Kampf des heutigen Tages versprach kein neues Ergebnis. Die Föderation hatte innegehalten und sich neu formiert und kam wieder heran. Sie würden immer wieder herankommen, dachte sie. Sie waren so viele, daß sie es immer wieder wagen konnten. Die zusätzliche Hilfe der Geächteten und der Trolle stärkte die Überlebenschance der Elfen, gab aber keinen Grund zu der Hoffnung, daß die Föderation aufgehalten werden könnte. Von den Städten im Süden und von Tyrsis würde den Föderierten Verstärkung gesandt werden. Ein endloser Strom, wenn notwendig. Die Invasion würde weitergehen, der Vorstoß ins Elfenwestland, und allein die Frage, wie lange die Zerstörung weitergehen würde, war noch nicht entschieden.

Sie drängte die Verbitterung und die Verzweiflung zurück und ärgerte sich über ihre Schwäche. Die Königin der Elfen konnte es sich nicht erlauben, einfach aufzugeben, schalt sie sich. Die Königin der Elfen mußte immer an die Rettung glauben.

Ach, aber was war noch geblieben, woran sie glauben konnte?

Daß Par und Coll Ohmsford lebten und das Schwert von Shannara in ihren Besitz gebracht hatten, sagte sie sich entschlossen. Daß Morgan Leah ihnen folgte. Daß Walker Boh Paranor und die Druiden zurückgebracht hatte. Daß Allanons Aufgaben erfüllt worden waren, daß das Geheimnis der Schattenwesen bekannt war und daß Hoffnung für sie bestand. Daran konnte sie glauben, und darin mußte sie ihre Kraft finden.

Sie fragte sich, ob ihr Onkel und ihre Cousins und Morgan Leah noch immer Kraft in ihrem Glauben fanden. Sie fragte sich, ob sie noch etwas übrigbehalten hatten, woran sie glauben konnten. Sie dachte an die Verluste, die sie erlitten hatte, und fragte sich, ob sie genauso viele erlitten hatten. Sie fragte sich schließlich auch noch, ob sie die Aufgaben Allanons auch dann wichtig genommen hätten, wenn sie von Anfang an den Preis gekannt hätten, den sie hatten entrichten müssen. Sicher hätten sie sich anders entschieden.

Helligkeit brach im Osten auf, wo die Sonne den Rand der Welt überschritt. Ein schwacher Silberschimmer erschien, der die Drachenzähne und das darunterliegende Waldgebiet sichtbar werden ließ. Das Licht sickerte ins Tal hinab und jagte die Schatten aus dem Nebel. Der Klang von Trommeln und Marschgeräusche wurden in der Ferne hörbar, schwach noch, aber zunehmend erkennbar. Padishar Creel diskutierte mit Barsimmon Oridio. Sie stimmten nicht darin überein, wie die Strategie der drei Armeen aussehen sollte, wenn der Angriff begänne. Sie waren beide Männer mit starkem Willen, und sie mißtrauten einander. Axhind hörte schweigend zu. Er blieb ruhig und ausdruckslos. Triss war fortgegangen. Es widerstrebte dem Anführer der Geächteten, daß Bar hartnäckig darauf bestand, die alleinige Befehlsgewalt zu bekommen. Sie hatte sie bereits einmal getrennt. Sie würde es vielleicht wieder tun müssen, und das gefiel ihr nicht. Sie wollte keinen Anteil an dem haben, was geschah. Nicht mehr. Sie stand da und beobachtete und rührte sich nicht, als die Diskussion hitziger wurde. Triss sah herüber und wartete darauf, daß sie eingriff. Im Süden wurden die Trommeln lauter.

Dann erschien plötzlich Stresa. Er brach unerwartet aus dem Gebüsch hervor, hob seine Stacheln an, um Staub und Blätter abzuschütteln, und eilte zu ihr. Wren wandte sich um und vergaß alles andere. Das Herannahen des Stachelkaters verriet unmißverständliche Dringlichkeit.

»Elfenkönigin«, zischte er mit abgehackter, rauher Stimme. »Sie haben Kriecher herangebracht!«

Sie spürte, wie ihr Herz aussetzte und ihre Kehle sich zusammenzog. »Wir haben sie doch alle im Sumpf zurückgelassen«, wandte sie zögernd ein.

»Sie haben noch weitere bekommen! Sssttt!« Die nasse Schnauze hob sich, und seine dunklen Augen sahen sie hart an. »Von Tyrsis anscheinend. Phhffttt! Auch Soldaten, aber die Kriecher sind das Problem. Fünf mindestens. Ich bin hergekommen, sobald ich sie gesehen hatte.«

Sie wirbelte zu den anderen herum. Padishar Creel und Bar hatten ihren Streit beendet. Axhind und Chandos standen wie Steinfiguren Schulter an Schulter da. Triss war bereits neben ihr.

Kriecher.

Es wurde heller, und der Nebel verzog sich, während die Föderationsarmee aus der Dämmerung auf das Tal von Rhenn zumarschierte. Sie kam mit ihren schwarzen und scharlachroten Divisionen und schwärmte weit über den Eingang des Tales und über seine Hänge hinweg aus. Die Reihen von Männern schienen endlos lang. Kavallerie ritt an den Flanken, und es kamen rollende gezimmerte Verschanzungen mit Schießscharten heran, hinter denen sich Bogenschützen verbergen konnten. Mauern aus Schilden und Katapulte waren zu sehen sowie bei jedem Kommando schwarzgewandete Sucher.

Aber aller Augen wandten sich dem Mittelpunkt der Armee zu. Dort bewegten sich die Kriecher in ihrem glänzenden schwarzen Metall, mit gezackten, haarigen Gliedern, Wesen zwischen Maschine und Tier. Sie kamen auf die Elfen und ihre Verbündeten zu, auf die Männer, die sie vernichten sollten.

Wren Elessedil betrachtete sie und empfand nichts. Ihr Kommen bedeutete das Ende der Elfen, und das wußte sie. Ihr Kommen bedeutete das Ende von allem.

Sie griff in ihrer Tunika nach den Elfensteinen und trat vor, um sich dem Feind ein letztes Mal entgegenzustellen. »Steh auf, Par!«

Coll schrie ihn an, zog ihn am Arm hoch und auf die Füße. Er rappelte sich gehorsam auf, obwohl er noch immer unter Schock stand durch das, was ihm widerfahren war, obwohl er noch immer betäubt war von den Enthüllungen des Schwertes. Ein Wirbeln von Bewegung entstand auf der Treppe, als jene, die zu ihm gekommen waren – Walker, Damson, Coll, Morgan und die große, schlanke, schwarzhaarige Frau, deren Gesicht er nicht kannte –, heraneilten und ihn umringten. Ondit durchstöberte eifrig den Raum. Das Flüstern von etwas war zu hören, das die Treppe herunterkam, aber die Dunkelheit verbarg, was dort herumkroch. Die Türen, die aus dem Turmraum herausführten, waren geschlossen bis auf eine, die über einen Hof zu Mauern und einem Durchgang zu dem dahinterliegenden Land zurückführte. Zumindest diese Richtung war frei, und in der Ferne konnte er das Morgenlicht über den Horizont des Runne heraufziehen sehen.

Walker schaute auch dorthin, wie er sah. Walker, der jetzt ganz in Schwarz, bärtig und bleich war, aber irgendwie stärker wirkte als je zuvor und erfüllt war von einem Feuer, das unmittelbar unter der Oberfläche brannte. Wie Allanon, dachte Par. Wie Allanon einst gewesen war. Walker sah kurzzeitig zu dem Durchgang hinüber. Er war unentschlossen wie die anderen, die dicht um Par versammelt, aber den geschlossenen Türen und der offenen Treppe zugewandt waren und die Waffen bereithielten.

»Welche Richtung!« zischte das dunkelhaarige Mädchen.

Walker wandte sich schnell um und ging entschlossen zu den anderen. »Wir sind gekommen, um Par zu retten und freizulassen, was die Schattenwesen in den Tiefen des Keep gefangenhalten. Wir haben diese Aufgabe noch nicht beendet.«

Damson legte den Arm um Par und hielt ihn, als wolle sie ihn niemals wieder loslassen. Par umarmte sie ebenfalls und sagte ihr, daß es in Ordnung sei, daß er jetzt sicher sei. Er fragte sich, ob er das wirklich war, fragte sich noch immer, was geschehen war. Die Magie des Wunschgesangs war wieder die seine, aber er war sich dennoch immer noch nicht sicher, was sie tun würde.

Aber zumindest bin ich kein Schattenwesen! Zumindest weiß ich das!

Coll stand dicht bei Walker. »Die Tür mit den Querriegeln dort drüben führt einen Gang zur Kellertreppe hinab. Gehen wir?«

Walker nickte. »Schnell. Bleibt zusammen!«

Sie durchquerten eilig den Raum, und während sie dies taten, warf sich ein dunkler Schatten die Treppe hinab und stürzte sich auf das schwarzhaarige Mädchen. Sie wich dem Angriff aus, und das Wesen wandte sich ihr sofort zischend und rotäugig wieder zu, streckte Hände mit Klauen aus Feuer aus. Aber Ondit erwischte es, bevor es zustoßen konnte, riß es in der Mitte entzwei und warf es beiseite.

Walker stieß die Tür mit den Querriegeln auf, und sie eilten hindurch und verließen die Treppe und ihre Verfolger. Der Gang war hoch und dunkel, und sie glitten ihn vorsichtig hinab, während ihre Augen die Schatten durchforschten. Ondit war wieder vor ihnen. Seine Katzenaugen waren schärfer als ihre eigenen und führten sie voran. Von irgendwo unter ihnen erklang ein mahlendes Geräusch herauf, dann ein langes Seufzen und ein Ausatmen. Der Turm der Schattenwesen erschauerte als Antwort wie die Haut von etwas Lebendem. Es war, als ob er im Rhythmus eines Herzschlags ruckartig zuckte. Was war dort unten? Par fragte sich, was dort unten war. Das war nicht das Geräusch von Wellen, die gegen die Mauern schlugen, wie Felsen-Dall ihm gesagt hatte – das war eine weitere Lüge gewesen. Etwas anderes. Etwas so Wichtiges, daß Walker eher alles riskieren würde, als es dort zu lassen. Wußte er, was es war? Hatte Allanon ihm die Antworten gegeben, nach denen sie alle gesucht hatten?

Es war keine Zeit, das jetzt herauszufinden. Schatten erfüllten den Durchgang hinter ihnen, und Morgan wirbelte wieder herum und führte das Feuer des Schwertes von Shannara gegen sie. Sie zerstreuten sich und verschwanden, waren aber im Handumdrehen wieder da. Coll flüsterte Walker drängend etwas zu, aber Walker schien zu wissen, wohin er ging, und zog Coll hinter sich her. Er hielt ihn dicht bei sich, und die anderen folgten hinter ihnen und hielten sich nah an den Mauern. Schatten wirbelten aus der Dunkelheit vor ihnen heran, aber sie waren nur Spiegelungen dessen, was folgte. Par drückte Damson an sich und lief weiter.

Sie erreichten einen Absatz, der zu einer Treppe führte, die bis in die Tiefen der Festung hinabreichte, und jetzt wurden die Geräusche von dem, was dort unten gefangen war, deutlich und klar. Es war das Atmen eines großen Tieres, an- und abschwellend und keuchend, als striche der Atem durch eine verdorrte und von Wassermangel verengte Kehle. Das Mahlen war das Geräusch von Bewegung und erinnerte an das Gewicht von Steinen, die sich in einer Lawine verlagern.

Schwarzgewandete Gestalten erschienen auf den unteren Stufen, und Schattenfeuer brannten in scharfen roten Speeren auf sie ein. Walker warf einen Schild auf, der den Angriff abschmetterte, und schlug zurück. Weitere Schattenwesen kamen aus den Gängen, die denjenigen kreuzten, durch den sie herangekommen waren. Dunkel und lautlos waren die Schattenwesen überall um sie herum und führten wie wahnsinnig ihren Angriff. Morgan wandte sich um, um ihnen Rückendeckung zu geben, während Walker sie anführte und die anderen dazwischen geduckt vorangingen. Sie stiegen schnell die Stufen hinab und spürten die Festung erbeben, als reagiere sie auf das, was geschah. Das Atmen des Wesens unter ihnen wurde schneller.

Plötzlich waren überall Flammen. Coll ging zu Boden, nachdem er von einem blitzschnellen Schlag getroffen war, und das Schwert von Shannara fiel ihm aus den Händen. Ohne nachzudenken, griff Par zu und riß es hoch. Das Schwert verbrannte ihn nicht wie damals in der Grube. Hatte das alles an seiner Angst gelegen, wer er sein könnte? Er betrachtete das Schwert verwundert, wandte sich um, um Damson zu helfen, die Coll wieder hochhalf, und schob die Klinge dann wieder seinem Bruder zu. Ondit war die Stufen hinabgesprungen und hatte sich auf die nächststehenden Angreifer gestürzt. Sein glattes Fell war versengt und rauchte, aber er prallte in die Schattenwesen hinein, als seien die Wunden bedeutungslos. Walker ließ weißes Druidenlicht wie ein gewaltiges Tuch aus seinen Händen fließen, beschützte sie und wehrte die Schattenwesen ab. Ihm verdankten sie es, daß der Weg für ihren Abstieg freiblieb.

Und dann sah Par Felsen-Dall. Der Erste Sucher befand sich unter ihnen auf einem Steg über einem Abgrund, der von einem Absatz abfiel, an dem die Treppe vorüberführte. Er stand dort allein, hatte seine Hände um das Geländer des Stegs gelegt, und sein Gesicht war eine Maske der Wut und des Unglaubens. Seine behandschuhte Hand glomm wie als Antwort. Er betrachtete Par, und Par sah ihn an, und etwas wurde zwischen ihnen ausgetauscht, was Par vielleicht als Verstehen beschrieben hätte, obwohl er selbst das noch zu übertreffen schien.

Im nächsten Moment war er fort, und Par kämpfte sich weiter durch den Angriff der Schattenwesen hindurch. Seine Magie war wieder aufgelebt, und er konnte spüren, wie sie sich in ihm aufbaute. Er würde sie jetzt einsetzen, dachte er. Er würde seine Chance ergreifen, denn er wußte inzwischen, daß es ihn nicht zu einem von ihnen machen würde, wenn er sie einsetzte. Die Schattenwesen kamen von hinten heran, und Morgan wandte sich um, um ihnen entgegenzutreten, während er den anderen zuschrie, sie sollten weitergehen. Das dunkelhaarige Mädchen blieb bei ihm, drängte sich beschützend an seine Schulter, und die beiden verteidigten die Treppe gegen die Monster, die ihnen folgten.

Walker erreichte den Absatz und schaute über seinen Rand hinaus. Par trat neben ihn und wich dann plötzlich zurück. Etwas Riesiges war dort unten, etwas, das schwer atmete und sich wand und vor Licht pulsierte.

Eine zornige dunkle Gestalt prallte in Ondit, als dieser die Stufen unterhalb des Absatzes hinabstieg, und dann stürzte die Moorkatze außer Sicht. Walker und die anderen eilten ihr nach, während Pars Magie jetzt zum Leben erwachte und durch ihn hindurchbrannte, als er sie mit einem Schrei heraufbeschwor. Er erinnerte sich an seine Angst davor, was sie tun würde, aber die Angst war jetzt nur noch eine Erinnerung, und er verbannte sie fast genauso schnell, wie sie gekommen war. Er wandte sich dem Steg und den dort kauernden Schattenwesen zu und versuchte zu verhindern, daß ihr Feuer Damson und Coll erreichte. Coll war verletzt, aber schließlich stolperte er weiter. Er hielt noch immer das Schwert von Shannara vor sich und hielt Damson noch immer in seinem Schatten.

Sie hörten Ondit schreien, einen markerschütternden, wilden Schrei, der Schmerz und Angst verriet. Dann sprang er vor ihnen hoch, und das dunkle Wesen hing an ihm. Walker fuhr herum und ließ das Druidenfeuer vorwärts schießen. Er erwischte das dunkle Wesen in der Mitte und riß es von Ondit zurück. Die Moorkatze wirbelte in der Luft herum, erneut mit ihrem Angreifer verschlungen, fiel und verschwand.

Rauch stieg an den Stellen von den Mauern und vom Boden auf, wo die Magie brannte, und die Luft war erfüllt mit Asche. Bis auf das Licht, das das Wesen unter ihnen abstrahlte, waren die Tiefen der Südwache so schwarz wie Pech. Düsterkeit drängte sich um die Menschen, und die Schattenwesen schössen auf sie zu und wieder davon und suchten nach einer Stelle, wo sie angreifen konnten. Damson wurde getroffen und verbrannt und so schnell beiseite gestoßen, daß Par es nicht verhindern konnte. Sie stand auf und fiel wieder zurück. Coll griff nach ihr, ohne seinen Schritt zu verlangsamen, hob sie auf eine Schulter und eilte weiter.

Dann gab ein Teil der Treppe nach, und Walker Boh verschwand in einem abrutschenden Hang aus Staub und Felsen und Asche. Einen Augenblick lang waren Par, Coll und die halb bewußtlose Damson allein auf den zerfallenden Stufen, schauten in die Leere hinab, wo das Licht pulsierte, und drängten dann entsetzt gegen die Mauer zurück. Sie hörten Ondit unten knurren, hörten Walker vor Zorn heulen und sahen das Flackern der Druidenmagie.

»Was tut ihr? Geht weiter!«

Es war Morgan Leah, der ihnen das zurief, nachdem er plötzlich aus dem Rauch und Feuer über ihnen aufgetaucht war. Das Schwert von Leah glühte dunkel und wild in seiner Hand. Er hinkte stark, und sein linker Arm hing verkrampft an seiner Seite. Die dunkelhaarige Frau war noch immer bei ihm, und sie war genauso zerschlagen wie er. Blut verschmierte auf einer Seite ihr Gesicht. Sie kamen aus dem Dunst hervor und führten die anderen auf den Hang zu. Par glitt auf dem zerbrochenen Gestein hinab und fiel in die Dunkelheit. Er landete auf den Füßen und wurde sofort bedrängt. Dunkle Gestalten schlössen sich um ihn, aber die Magie des Wunschgesangs rettete ihn. Sie flackerte wie eine Rüstung rund um ihn herum und schoß dann in seine Angreifer hinein. Die dunklen Wesen wurden in den Dunst zurückgeschleudert. Ondit eilte vorbei und schlug zu wie ein Schatten, der auftauchte und wieder verschwand. Par hörte das Geräusch der anderen, die ihm folgten, und innerhalb von Sekunden waren sie erneut zusammen.

Vor ihnen pulsierte das Licht, und das Geräusch des Atmens war jetzt ein erschreckendes Stöhnen der Enttäuschung und der Qual.

Sie gingen weiter vorwärts und suchten die staub- und ascheerfüllte Dunkelheit nach Walker und der Moorkatze ab. Die Schattenwesen griffen sie wiederholt an, aber Morgan und Par vertrieben sie und hielten Coll und die Frauen zwischen sich. Damson regte sich erneut, aber Coll trug sie immer noch. Die andere Frau stolperte mit zusammengebissenen Zähnen allein vorwärts. Feuer glühte in ihren Augen. Sie gingen einen hohen, engen Gang hinab, der sich über ihnen zu einer Treppe hin öffnete, und plötzlich befanden sie sich in dem Raum mit dem Licht.

Der Raum war höhlenartig und schroff. Vor langem schon war er von der Zeit und den Elementen aus den Felsen der Erde herausgeschnitten worden, ein riesiger Raum, von dem aus Tunnel in alle Richtungen verliefen. In seiner Mitte ruhte das Licht. Hier war es eine knollige, pulsierende, rundherum mit Schnüren roten Feuers gefesselte Masse. Es kämpfte und atmete heftig gegen die Schnüre an, konnte sich aber nicht befreien. Es schien Teil des Höhlenbodens zu sein, mit dem Fels verbunden und aus seinem Kern in die Dunkelheit emporgestiegen. Es hatte keine Gestalt oder Identität, und doch erinnerte etwas an der Art, wie es sich bewegte, Par an ein verwirrtes Tier. Das Atemgeräusch entstand durch diese Bewegung, und der ganze Raum hier in der Südwache schien mit ihm verbunden zu sein. Es erschauerte, und die Höhle und die Mauern des Keep erschauerten als Antwort ebenfalls. Es seufzte, und die Höhle und der Keep seufzten auch.

»Was ist es?« hörte Par Coll neben sich flüstern.

Und dann sahen sie Walker Boh. Er kämpfte auf der anderen Seite der Höhle mit Felsen-Dall. Die beiden dunkel gekleideten Gestalten bekämpften einander aus einem verzweifelten Vorhaben heraus. Felsen-Dalls behandschuhte Hand glühte im Schattenwesenfeuer rot, und Walkers war in Druidenweiße gehüllt. Der Fels unter ihnen dampfte vor Hitze, und die Luft um sie herum pulsierte. Felsen-Dalls Augen waren Blutpunkte, und sein breites, grobknochiges Gesicht war vor Zorn angespannt.

An der Seite versuchte Ondit verzweifelt, Walker zu erreichen, während Schattenwesen ihn umzingelten, um ihn zu vernichten.

Morgan eilte ihnen zu Hilfe, ohne innezuhalten, heulte seinen Schlachtruf heraus und hob die dunkle Klinge seines Talismans, der eine Feuerspur hinterließ. Die dunkelhaarige Frau ging mit ihm. Coll stürzte statt dessen auf das gefangene Licht zu. Er wollte dort zuschlagen, war dann aber gezwungen, sich seitwärts zu wenden, um einen Angriff von Schattenwesen abzuwehren, die sich von dem Steg herab auf ihn warfen. Er ließ Damson fallen, und Par, der von hinten heraneilte, fing sie auf. Die Schattenwesen schlössen sich um Coll und zwangen ihn, zurückzuweichen. Das Schwert von Shannara bedeutete keine Bedrohung für sie, und Coll hatte keine andere Magie. Par schrie ihm zu, er solle aus dem Weg gehen, aber statt dessen stürmte Coll in den dunklen Tunnel hinein. Par setzte Damson eilig ab und folgte ihm. Coll stolperte und ging zu Boden, erhob sich gleich wieder und brach dann endgültig zusammen. Die Schattenwesen waren jetzt über ihm. Par heulte vor Wut auf und schlug mit der Magie des Wunschgesangs auf sie ein und warf sie zur Seite. Feuer griff auch ihn von oben und von allen Seiten an, aber unter der Rüstung seiner Magie tat er es achselzuckend ab.

Coll war auf Händen und Knien, als Par ihn erreichte. Blutig und ausgelaugt hob er das Gesicht, um Par anzusehen, und schob ihm dann das Schwert von Shannara zu.

»Geh voran!« sagte er und brach zusammen.

Par riß das Schwert hoch und stürmte vorwärts, den beißenden Geruch von Asche und Feuer in der Nase. Er sollte vorangehen, aber was mußte er tun? Er war sich bewußt, daß Morgan jetzt allein standhielt, da das dunkelhaarige Mädchen ebenfalls gefallen war. Er konnte Walker oder Felsen-Dall nicht mehr entdecken. Er spürte seine Kräfte nachlassen, der andauernde Gebrauch der Magie hatte sie erschöpft. Er würde schnell sein müssen, was auch immer er tun konnte. Er stolperte vorwärts, näherte sich dem Licht und fragte sich erneut, was es war und was er damit tun sollte. Sollte er es befreien? Hatte Walker nicht gesagt, daß sie dafür in die Südwache gekommen waren? Wenn es ein Gefangener der Schattenwesen war, dann sollte es befreit werden. Aber war es das wirklich? Er war sich nicht sicher. Er war selbst kaum frei, und seine eigene Verwirrung zerrte noch immer mit Ketten ihrer eigenen Art an ihm.

Er schaute auf das Schwert von Shannara hinab und wurde sich plötzlich der Tatsache bewußt, daß er es trug, daß er es von Coll angenommen hatte. Warum hatte er das getan? Das Schwert war nicht für ihn gedacht. Es war für Coll gedacht. Er war nicht einmal fähig, es zu gebrauchen.

Und dann stand Felsen-Dall plötzlich vor ihm. Der Wolfskopf schimmerte im Licht, und seine dunklen Gewänder fielen zerrissen auseinander. Seine Kapuze war zurückgerissen worden, und sein rotbärtiges, rauhes Gesicht war blutverschmiert. Er stand zwischen Par und dem Licht und ragte dunkel vor ihm auf. Seine behandschuhte Hand glühte in karmesinrotem Feuer. Als er lächelte, wurde es eine entsetzliche Grimasse.

»Bist du herabgekommen, um herauszufinden, was wir hier verborgen halten?« fragte er.

»Geht mir aus dem Weg«, befahl Par.

»Nicht mehr«, sagte der andere, und Par erkannte plötzlich, daß der behandschuhte Arm überhaupt nicht mehr behandschuht war, daß der Arm nur noch aus Feuer bestand, daß es das war, was schon die ganze Zeit unter dem Handschuh verborgen gewesen war. »Ich habe dir doch so viele Chancen gegeben, Junge.«

Jetzt war kein Heucheln von Freundlichkeit oder Sorge mehr erkennbar. Abscheu schimmerte in Felsen-Dalls Augen, und sein Körper war vor Zorn verkrampft. »Du gehörst mir! Du hast mir immer gehört! Du hättest dich mir übergeben sollen, als du die Chance dazu hattest! So wäre es leichter gewesen!«

Par starrte ihn mit geöffnetem Mund an.

»Du gehörst mir!« fluchte Felsen-Dall wütend. »Du verstehst immer noch nicht, nicht wahr? Du gehörst mir, Par Ohmsford! Deine Magie gehört mir!«

Er sprang vorwärts, und Par hatte kaum Zeit, aufzuschreien und die Magie des Wunschgesangs aufzuwerfen, um ihn langsamer werden zu lassen. Und das war auch alles, was sie vermochte. Der Erste Sucher kam durch den Schild hindurch, als bestünde er aus Papier, und seine Hände krallten sich um Pars Schultern wie Eisenklammern. Par war sich vage bewußt, daß er dachte, es sei dies gewesen, was Felsen-Dall die ganze Zeit über gewollt hatte – die Magie des Wunschgesangs und Pars Körper, in dem er sie führen konnte. All die Erklärungen, er wolle ihm helfen, die Magie zu kontrollieren, waren nur ein Vorwand gewesen, um sie in seinen Besitz zu bringen und sie zu verbergen. Wie alle Schattenwesen brauchte Felsen-Dall die Magie in anderen, und wenige hatten so eine Magie wie Par.

Er wurde von dem Gewicht des anderen zurückgeworfen und auf die Knie gezwungen. Das Schwert von Shannara entglitt seinen kraftlosen Fingern. Er hob die Hände an, um den anderen abzuwehren, rief die Magie zu seiner Verteidigung herauf, aber es war, als sei all seine Kraft aus ihm herausgesaugt worden. Er konnte kaum atmen, während ihn der Schatten des anderen umhüllte. Felsen-Dall begann seinen Körper zu verlassen und in Par einzudringen. Der Talbewohner sah, wie es geschah, und spürte, daß es begann. Er schrie und kämpfte darum, freizukommen, aber er war hilflos.

Nicht das! dachte er entsetzt. Laß es nicht geschehen!

Er wand sich und trat um sich und zerrte an dem anderen, aber Felsen-Dalls Selbst drängte sich in ihn und drang durch seine Haut hindurch. Par fühlte Kälte und Düsterkeit, Abscheu vor sich selbst. Einst hätte er dies verhindern können, spürte er. Früher, als die Magie außer Kontrolle war und von seiner Angst und seinen Zweifeln getrieben wurde, wäre er stark genug gewesen, um den anderen fernzuhalten. Felsen-Dall hatte das gewußt. Die Gedanken des Ersten Suchers suchten seine eigenen zu verdrängen, und er wich vor dem zurück, was sie offenbarten. Jemand muß mir helfen! Er sah eine schnelle Bewegung zu seiner Linken, und Morgan Leah stürzte heulend vor. Aber Felsen-Dall schlug mit seiner behandschuhten Hand zu, und Morgan verschwand in einem Blitz roten Feuers und taumelte wieder in die Dunkelheit zurück. Die Hand kehrte zurück und schloß sich erneut um Par. Der Talbewohner hatte sich in sich selbst zurückgezogen, wo seine Magie am stärksten war, und sammelte sie in einem eisernen Kern. Aber Felsen-Dall schloß sich unerbittlich darum, drängte herein und preßte den Kern zusammen. Par konnte sogar spüren, daß ein Teil von ihm nachgab...

Doch dann wurde der Erste Sucher plötzlich zurückgerissen, und sein Schattenwesenselbst riß sich von Par los. Par keuchte und blinzelte und sah, daß Walker Boh seine gesunde Hand um die Kehle Felsen-Dalls gelegt hatte und daß das Druidenfeuer an ihm entlanglief. Er war versengt und zerkratzt, und sein Gesicht war unter dem schwarzen Bart und den Blutstriemen so weiß wie Kreide, aber Walker Boh war in seiner reinen Entschlossenheit stark und brachte seine Magie gegen den Feind zum Tragen. Felsen-Dall bäumte sich brüllend auf, schlug mit seiner behandschuhten Hand um sich und versprühte die Schattenwesenmagie in alle Richtungen. Etwas in dem, was Walker mit ihm tat, hielt Felsen-Dall von seinem leiblichen Körper fern, hielt sein Schattenwesenselbst gerade außerhalb und jenseits davon. Beide Teile kämpften darum, sich wieder zu vereinigen, aber Walker stand zwischen ihnen und hielt sie voneinander fern.

Par stolperte rückwärts und kam dann wieder auf die Füße. Walkers Finger schlössen sich zu einer Faust und zerquetschten etwas in dem Schattenwesen. Felsen-Dall schlug um sich und schrie, und seine schlanke Gestalt bäumte sich auf und erschauerte wild. Schattenwesenfeuer brannte sich in den Boden hinein und bohrte sich in den Fels. Weitere Schattenwesen wollten ihm zu Hilfe eilen, aber Ondit sprang zwischen sie und zerrte und riß an ihnen.

»Gebrauche das Schwert!« zischte Walker Boh Par zu. »Befreie es!«

Par riß die Klinge an sich und rannte auf das Licht zu. Er erreichte es ungehindert innerhalb von Augenblicken, da aller Augen auf den Kampf zwischen dem Druiden und dem Ersten Sucher gerichtet waren. Er erreichte sie, diese pulsierende Masse mit ihren scharlachroten Fesseln, hielt das Schwert von Shannara in beiden Händen und legte es flach an das Licht an.

Dann berief er seine Magie herauf, zwang sie hervor und betete, daß sie kommen würde.

Und sie kam, stieg weich und leicht auf, frei von allen Beschränkungen, die die Magie des Wunschgesangs bewirkt hatte, als seine Ängste und Zweifel und Felsen-Dalls Täuschung ihm eingeflüstert hatten, daß er ein Schattenwesen sei. Sie kam schnell und erhob sich als ein weißes Fanal, das sich in das Licht vor ihm hineinbohrte und dann zurückeilte, um Par ganz zu vereinnahmen. Par sah erneut Wahrheiten über sein Leben, die Wahrheiten seiner Magie, seines Shannara- und Schattenwesenvermächtnisses und seines Elfenerbes. Er atmete sie ein wie die Luft, die ihm Leben verlieh, und wich nicht zurück.

Dann sah er schließlich die Wahrheit des Lichts vor ihm. Er sah, was die Schattenwesen getan hatten, als sie ihre Magie dazu benutzten, die Vier Länder umzuwandeln. Er sah die Bedeutung hinter den Träumen Allanons und den Grund dafür, daß die Kinder von Shannara zum Hadeshorn berufen worden waren. Er sah, was er tun mußte.

Er zog die Magie des Schwertes zurück und ließ die Klinge auf den Höhlenboden fallen. Hinter ihm schlugen Felsen-Dall und Walker Boh in einem scheinbar endlosen Kampf noch immer aufeinander ein. Der Erste Sucher schrie – nicht vor Schmerz über das, was ihm angetan wurde, sondern vor Wut über das, was Par vorhatte. Schattenwesen drängten von allen Seiten heran und versuchten an Morgan Leah vorbeizukommen, der wieder aufgestanden war, und an Ondit, der unzerstörbar schien. Aber es war zu spät für sie. Dieser Augenblick gehörte Par und seinen Freunden und Verbündeten und all jenen, die darum gekämpft hatten, diesen Augenblick zu ermöglichen, all den Lebenden und den Toten, all den Unerschrockenen.

Er berief die Magie des Wunschgesangs ein letztes Mal herauf, brachte sie vollständig hervor und mit ihr alles, was in ihm brannte, was sich aus der dunklen Seite seines Erbes heraus zu dem Monster entwickelt hatte, das ihn fast vereinnahmt hätte. Er berief sie herauf und formte sie noch einmal zu dem Bruchstück blauen Feuers, das zum ersten Mal erschienen war, als er darum gekämpft hatte, der Grube zu entkommen. Das Bruchstück schien auch jetzt ein Stück des azurblauen Blitzes zu sein, der vom Himmel herabkam. Er hob es hoch über sich, ließ es auf die karmesinroten Fesseln der Magie herabsinken, die das Licht banden, und zerbrach sie für immer.

Par erschauerte unter der Wucht des Schlages und unter dem, was die Anstrengung von ihm forderte, die zog, an ihm riß und ihn auslaugte.

Als Antwort auf seine Anstrengung brach das Licht auf, loderte in die dunkelsten Ecken der Höhle hinein und von dort aufwärts in die Südwache. Es jagte die Schatten und die Dunkelheit davon und verwandelte alles Schwarze in Weiß. Es schrie vor Freude, daß es seine Freiheit erhalten hatte, und dann suchte es Wiedergutmachung für das, was ihm angetan worden war.

Zuerst senkte es sich über Felsen-Dall und saugte dem Ersten Sucher das Leben aus, als ziehe es Rauch in seine Lungen. FelsenDall erbebte heftig, brach zu rieselnder Asche zusammen und hörte auf zu existieren. Das Licht folgte den anderen Schattenwesen, die bereits in hoffnungsloser Verzweiflung flohen, und verschluckte sie nacheinander. Schließlich erhob es sich, um die Südwache zu verschlingen, raste die dunklen Mauern hinauf und in das pulsierende Obsidiangestein hinein. Par wurde von Walker hochgezogen, der sich dann wieder herabbeugte, um auch das Schwert von Shannara aufzunehmen. Walker rief Morgan etwas zu, und innerhalb von Sekunden hatten sie auch die anderen versammelt, ihnen aufgeholfen und jene gestützt, die nicht stehen konnten. Ondit führte sie an, als sie auf einen Tunnel am anderen Ende des Raumes zustrebten. Sie mußten sich beeilen, um der Verheerung zu entkommen.

Über ihnen explodierte die Südwache in einem Geysir aus Feuer und Asche in den Morgenhimmel. Stresa spürte die Erschütterungen als erster und zischte Wren eine Warnung zu. »Elfenkönigin. Phfftt! Spürst du das? Hsst! Hsst! Die Erde bebt!«

Wren stand ein kleines Stück von Triss entfernt und hielt die Elfensteine mit der Hand umklammert, während sie das Herannahen der Föderationsarmee beobachtete und auf den Kampf mit den Kriechern wartete. Sie hatte den Eingang des Tales von Rhenn erreicht, und da die Frontlinien der Elfen und ihrer Verbündeten nur weniger als dreihundert Meter entfernt waren, würde der von ihr gefürchtete Zusammenprall bald stattfinden. Barsimmon Oridio, Padishar Creel, Chandos und Axhind hatten sich zu ihren verschiedenen Kommandos begeben. Tiger Ty war ebenfalls fortgegangen, um bei den Flugreitern zu sein. Die Bürgerwehr umringte die Königin auf allen Seiten, aber sie fühlte sich dennoch entsetzlich allein.

Sie wandte sich bei den Worten des Stachelkaters um und spürte dann die Erschütterungen selbst. »Triss«, flüsterte sie.

Denn die Erde erschauerte mit jeder Erschütterung mehr, als ob mit dem Aufgehen der Sonne, mit dem Herannahen des Lichts eine Bestie erwachte, die den Schlaf abschüttelte. Ihr Grollen erhob sich über die Schläge der Föderationstrommeln und das Marschgeräusch der Soldatenstiefel.

Wren hielt entsetzt den Atem an.

Was ging hier vor?

Dann brachen Feuer und Rauch weit im Osten und Süden hervor, erhoben sich vor dem Sonnenlicht als wilde Feuersbrunst, und das Beben wurde zu verzweifeltem Aufbäumen. Die Männer der feindlichen Armee hielten in ihrem Vorrücken inne und wandten sich um. Ihre Augen suchten den Horizont ab, und die ersten Schreie erklangen. Das Feuer und der Rauch türmten sich zu einer Wolke schwarzer Asche auf, und dann erfolgte plötzlich ein gewaltiger Ausbruch weißen Lichts, das den Himmel mit seiner pulsierenden Helligkeit und Lebendigkeit erfüllte. Es erhob sich als wilder Strom, raste über die Sonne hinweg und wieder zurück und lief mit dem Wind und den Wolken mit.

Als es wieder in die Erde hinabstieg, begannen die Erschütterungen erneut an- und abzuschwellen und erfüllten die Luft mit ihrem Klang.

Dann brach das Licht auch in dem Tal hervor. Speere dieses Lichts durchbohrten die Erdkruste und stiegen zwischen den entsetzten Männern auf. Wren stöhnte unter der Helligkeit auf und spürte, wie sich die Elfensteine in ihre Handfläche gruben, während sie sie fest umklammert hielt.

Das Licht eilte hierhin und dorthin, jedoch nicht ziellos, wie sie zunächst geglaubt hatte, sondern mit tödlicher Absicht. Es erwischte die Kriecher als erste, riß sie in Stücke und ließ ihre zerstörten Überreste rauchend und leblos zurück. Es erwischte die Sucher als nächste, hüllte sie in Leichentücher und entzog ihnen alles Leben. Lediglich Haufen rauchender Asche blieben zurück. Es raste durch die Föderationsarmee hindurch, befreite ihre Reihen von allen Schattenwesen und stahl ihr dabei ihren Zweck und ihren Mut, so daß die übriggebliebenen Soldaten sich umwandten und um ihr Leben rannten. Dabei warfen sie ihre Waffen ab, ließen ihre Befestigungsanlagen und Angriffsgeräte zurück und gaben alle Hoffnung auf außer derjenigen, am Leben zu bleiben. Innerhalb von Augenblicken war alles vorbei, waren Kriecher und die Schattenwesen vernichtet, die Soldaten der Föderationsarmee befanden sich auf der Flucht, und das Grasland war von den Überresten der Schlacht übersät. Es geschah so schnell, daß die Elfen, die Geächteten und die Felsentrolle nicht einmal Zeit hatten zu reagieren. Sie waren zu betäubt, um etwas anderes zu tun, als hinzusehen und dann schnell ihre eigenen Reihen zu überprüfen, um sicherzustellen, daß das Licht sie nicht angerührt hatte.

Auf der Klippe am Ende des Tales, von wo aus sie dies alles beobachtet hatte, atmete Wren Elessedil jetzt langsam in die Stille hinein. Triss stand mit geöffnetem Mund neben ihr, und Stresas Atem war ein Raspeln an ihrem Stiefel. Sie schluckte gegen die Trockenheit in ihrer Kehle an und schaute dann erstaunt über das Tal von Rhenn hinaus, während ein letztes Wunder geschah.

So weit das Auge reichte, erblühten auf den verdorrten und kahlen Ebenen überall Wildblumen im Sonnenlicht.

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