34

Der Angriff auf die Südwache begann weniger als eine Stunde vor Einbruch der Dämmerung. Ohne Zwischenfälle konnten sie sich ihr nähern. Wolken verdeckten weiterhin den Himmel, schlossen das Licht des Mondes und der Sterne aus und hüllten die darunterliegende Erde in eine weiche, schimmernde Decke der Dunkelheit. Unter den Wolken stieg Nebel vom Boden auf und hing in den Bäumen und Büschen und Gräsern wie Holzrauch. Die Nacht war still und tief, ohne jedes Geräusch oder eine Bewegung, und auch auf dem verdorrten und kargen Land rund um den Keep regte sich nichts.

Walker Boh führte sie aus dem Hochland auf die Ebenen hinab, führte sie durch den Nebel und die Schatten, gebrauchte seine Druidenmagie dazu, sie mit Stille zu umgeben. Sie glitten wie Geister durch die Dunkelheit, so unsichtbar wie Gedanken und so leicht wie fließendes Wasser. Die Schattenwesen waren in dieser Nacht nicht unterwegs, oder zumindest nicht da, wo die fünf Menschen und die Moorkatze gingen, und das Land gehörte nur ihnen. Walker dachte an seinen Plan. Er dachte, daß sie niemals genug Zeit haben würden, Par zu finden, ihn von seinen Fesseln zu befreien und in den Keller hinabzusteigen. Sie würden das Schwert von Shannara brauchen, um die seltsame Macht des Wunschgesangs über Par zu brechen, und die Schattenwesen würden sie in dem Moment, in dem das Schwert benutzt wurde, von allen Seiten angreifen. Es war notwendig, Par aus seinem Gefängnis heraus und in den Keller hinabzubringen, bevor das Schwert gebraucht wurde. Er dachte darüber nach, wie das gelingen konnte.

Coll Ohmsford dachte ebenfalls nach. Er dachte, daß er vielleicht im Irrtum war, wenn er glaubte, daß das Schwert von Shannara seinem Bruder helfen könnte. Es war möglich, daß die Wahrheit, die er enthüllen wollte, Par nicht befreien, sondern in den Wahnsinn treiben würde. Denn wenn die Wahrheit darin bestand, daß Par ein Schattenwesen war, dann war dies alles sinnlos. Vielleicht hatte Allanon das Schwert für einen anderen Zweck gedacht, sorgte er sich – für einen Zweck, den er noch nicht erkannt hatte. Vielleicht konnte das Schwert gegen Pars Zustand gar nicht helfen.

Einen Schritt seitlich hinter ihnen dachte Morgan Leah, daß ihre Chancen bei diesem Wagnis selbst mit all den Talismanen, die sie bei sich trugen, und den Magien, die sie zur Verfügung hatten, gering waren. In Tyrsis, als sie Padishar Creel gesucht hatten, waren sie vielen Widrigkeiten ausgesetzt gewesen, aber hier gab es noch mehr davon. Sie würden dies sicher nicht alle überleben, dachte er. Der Gedanke gefiel ihm nicht, aber er war unentrinnbar da und flüsterte leise in seinem Unterbewußtsein. Er fragte sich, ob es möglich war, daß er hier sterben sollte, nachdem er so vieles überlebt hatte – die Grube, den Jut und Eldwist und all die Monster, die dort überall gelebt hatten. Es schien irgendwie lächerlich. Dies war das Ende ihrer Suche, der Abschluß einer Reise, die ihnen außer ihrer Entschlossenheit weiterzumachen alles genommen hatte. Daß sie hier sterben sollten, war nicht richtig. Aber er wußte auch, daß es möglich war.

Damson Rhee dachte an ihren Vater und an Par und fragte sich, ob sie wohl beide verloren hatte, nachdem sie sich entschlossen hatte, Par allein auf die Suche nach Coll gehen zu lassen, als dieser unerwarteterweise wieder unter den Lebenden erschienen war. Sie fragte sich, ob der Preis für ihre Wahl ihrer beider Leben sein würde, und sie beschloß, daß sie, wenn ihr Tod der Preis für diese Wahl sein sollte, ihn nur bezahlen wollte, wenn sie den Talbewohner noch einmal gesehen hatte.

Neben ihr fragte sich Matty Roh, wie stark die Magie war, die der Druide ihr gegeben hatte, ob sie ausreichte, um den dunklen Wesen zu widerstehen, denen sie gegenübertreten würden, und ob sie es ihr ermöglichen würde, sie zu töten. Sie glaubte, daß es so war. Sie spürte einen Hauch der Unbesiegbarkeit um sich herum. Sie war, wo sie sein sollte. Ihr Leben hatte in diese Zeit und zu diesem Ort und zur Auflösung vieler Dinge geführt. Sie freute sich darauf zu erfahren, was es erbringen würde.

Während er sich seitab in der Dunkelheit hielt und als hagerer Schatten durch das Vordämmerungsgras tappte, dachte nur Ondit nichts. Er blieb unberührt von menschlichen Ängsten und Überlegungen und wurde nur von Instinkten getrieben und erregt durch das Wissen, daß sie auf der Jagd waren.

Sie glitten durch die Dunkelheit und kamen in Sichtweite des dunklen Turms, doch sie hielten nicht inne, um ihren Plan erneut zu überdenken, nicht einmal um zu schauen, sondern drängten schnell weiter, damit sie ihn erreichten, bevor Ängste und Zweifel sie lahmlegen würden. Die Südwache erhob sich undeutlich und nebelhaft aus dem Dunst. Sie wirkte, als sei sie etwas aus der Nacht Geborenes, das Gefahr lief, mit dem Herannahen der Dämmerung wieder zu verschwinden. Sie ragte unveränderlich und starr auf, der schwärzeste Turm, den der Schlaf jemals hervorgebracht hatte, wie eine Intensivierung des Bösen, die bewirkte, daß die Seele sogar dann schon vergiftet wurde, wenn man nur in ihre Nähe kam. Sie konnten ihre Schwärze spüren, während sie sich näherten, ihren Zweck und das Ausmaß ihrer Macht. Sie konnten sie atmen und beobachten und lauschen spüren. Sie konnten ihr Leben spüren.

Walker führte sie zu den Mauern, wo sich die Obsidianoberfläche glatt und schwarz aus der Erde erhob, und legte seine Hände an den Stein. Er pulsierte warm und feucht wie ein Lebewesen und streckte sich aufwärts, als suche er Erlösung. Aber wie konnte das sein? Der Dunkle Onkel dachte erneut über die Beschaffenheit des Turmes nach, drängte dann an seinen Mauern entlang voran, um einen Weg hinein zu finden. Er streckte die Fühler seiner Magie aus, um die dunklen Bewohner des Turms zu orten, aber sie waren alle beschäftigt und sich seiner Anwesenheit noch nicht bewußt. Er zog sich schnell zurück, denn er wollte sie nicht alarmieren, und ging dann vorsichtig weiter.

Sie kamen zu einem Eingang in einer gewölbten Nische, der einen breiten Steinkeil abschirmte, der sich als Tür entpuppte. Walker betrachtete die Tür, betastete ihre Ränder und suchte ihre Fugen. Sie konnte aufgebrochen werden, sagte er sich, die Schlösser konnten gelöst und die Tür geöffnet werden. Aber würde das Zerbrechen sie nicht zu schnell verraten? Er schaute zu den anderen zurück, den beiden Frauen, dem Hochländer, dem Talbewohner und der Moorkatze. Sie mußten Par erreichen, ohne entdeckt zu werden. Sie mußten möglichst viel Zeit gewinnen, bevor sie kämpfen mußten.

Er beugte sich nah zu ihnen heran. »Haltet mich fest. Laßt mich nicht gehen, und rührt euch nicht vom Fleck.«

Dann schloß er die Augen und verließ in Geistergestalt seinen Körper, um in den Keep hineinzugelangen. In der düsteren Beschränktheit seiner Gefängniszelle kauerte Par Ohmsford auf seinem Bett und versuchte sich zusammenzuhalten. Er war jetzt verzweifelt, denn er fühlte sich, als würde ein weiterer Tag in dem Turm sein Ende bedeuten, als würde ihn ein weiterer Tag, an dem er sich fragte, ob die Magie ihn unwiderruflich verwandeln würde, vollständig aus dem Gleichgewicht bringen. Er konnte die Magie jetzt ununterbrochen in sich arbeiten spüren, fühlte, wie sie seine Glieder hinablief, durch sein Blut brodelte, in seine Haut zwickte und an ihr kratzte wie ein Jucken, das niemals gestillt werden kann. Er haßte, was mit ihm geschah. Er haßte, wer er war. Er haßte Felsen-Dall und die Schattenwesen und die Südwache und die düstere Leere seines Lebens. Hoffnung hatte für ihn keine Bedeutung mehr. Er hatte seinen Glauben verloren, daß die Magie ein Geschenk sei, daß der Schatten Allanons ihn in die Welt hinausgesandt haben könnte, um einem wichtigen Zweck zu dienen, daß es Unterscheidungsgrenzen zwischen Gut und Böse gab und daß es ihm bestimmt war, alles zu überleben, was ihm widerfuhr.

Er zog seine Knie zur Brust hinauf und weinte. Sein Herz war schwer und von Verzweiflung erfüllt. Er würde niemals wieder aus diesem Gefängnis freikommen. Er würde Coll oder Damson oder einen der anderen niemals wiedersehen – wenn überhaupt noch einer von ihnen lebte. Er schaute durch die Gitter seines schmalen Fensters und dachte, daß die dahinterliegende Welt vielleicht bereits zu dem Alptraum geworden war, den Allanon ihm vor so langer Zeit gezeigt hatte. Er dachte, daß es vielleicht schon immer so gewesen war und nur seine falsche Wahrnehmung der Dinge ihn hatte glauben lassen, es sei anders.

Er achtete darauf, daß er nicht einschlief. Er wagte überhaupt nicht mehr zu schlafen, weil er die Träume nicht ertragen konnte, die der Schlaf ihm brachte. Er konnte spüren, daß er die Träume als Tatsachen zu akzeptieren begann und zu glauben anfing, daß es wahr sein mußte, daß er ein Schattenwesen war. Sein Gespür für die Dinge war aber auch zerstört, wenn er wach war, und er konnte dem Gefühl nicht entkommen, daß er nicht mehr er selbst war. Felsen-Dall war eine dunkle Gestalt, die Hilfe versprach und noch mehr anbot. Felsen-Dall war die Chance, die er nicht zu ergreifen wagte – und die Chance, die er schließlich doch ergreifen mußte.

Nein. Nein. Niemals.

An der Stelle seiner Zelle, wo sich die verschlossene und verriegelte Tür befand, bewegte sich die Luft. Er spürte es, bevor er es sah, und erhaschte dann einen Blick auf Schatten, die durch die Nacht zogen. Er blinzelte und dachte, es sei ein weiterer seiner Dämonen, um ihn heimzusuchen, ein weiteres Zeugnis des Wahnsinns, der ihn langsam überwältigte. Daher durchschnitt er mit der Hand die Luft vor seinen Augen, als könne das seine Sicht klären, obwohl er wußte, daß da nichts war. Er lachte fast, als er die Stimme hörte.

Par. Hör mir zu.

Er schüttelte den Kopf. Warum sollte er?

Par Ohmsford!

Die Stimme klang scharf und spröde vor Verärgerung. Pars Kopf schnellte sofort hoch.

Hör mir zu. Lausche auf meine Stimme. Wer bin ich? Sprich meinen Namen aus.

Par starrte auf das schwarze Nichts vor sich und dachte, daß er nun tatsächlich wahnsinnig geworden wäre. Die Stimme, der er lauschte, war die von Walker Boh.

Sprich meinen Namen aus!

»Walker«, flüsterte er.

Das Wort war ein Funke in der Dunkelheit seiner Verzweiflung, und er richtete sich bei seinem hellen Flackern ruckartig auf. Seine Beine sanken wieder auf den Boden, und seine Arme fielen seitlich hinab. Er starrte ungläubig in die Dämmerung, hörte die Dämonen schreien und auseinanderstieben.

Hör mir zu, Par. Wir sind zu dir gekommen. Wir sind gekom- men, um dich zu befreien und dich fortzubringen. Coll ist bei mir. Und Morgan. Und Damson Rhee.

»Nein.« Er konnte nicht anders. Das Wort war ausgesprochen, bevor er es sich anders überlegen konnte. Aber er wußte es nicht anders. Es konnte nicht so sein. Er hatte zu viele Male gehofft. Er hatte gehofft, und die Hoffnung hatte ihn wiederholt getrogen.

Die Bewegung in der Luft kam näher heran, und er spürte eine Gegenwart, die er nicht sehen konnte. Walker Boh. Wie hatte er ihn gefunden? Wie konnte er hier, aber unsichtbar sein? War er... das geworden?

So ist es. Ich habe getan, was mir aufgetragen wurde, Par. Ich habe Paranor zurückgebracht und bin der erste der neuen Drui- den geworden. Ich habe getan, was Allanon gefordert hat, und habe die mir übertragene Aufgabe erfüllt.

Par erhob sich, atmete hastig und griff ins Nichts.

Hör mir zu. Du mußt zu der Stelle herunterkommen, an der wir warten. Wir können dich hier nicht erreichen. Du mußt die Magie des Wunschgesangs einsetzen, Par. Gebrauche sie, um durch die Tür hindurchzubrechen, die dich gefangenhält. Brich hindurch, und komm zu uns herunter.

Par schüttelte den Kopf. Die Magie des Wunschgesangs einsetzen? Nachdem er soviel Sorgfalt darauf verwandt hatte, ihren Gebrauch zu vermeiden? Nein, das konnte er nicht. Wenn er es tat, war er verloren. Die Magie würde ihn überwältigen und ihn zu dem Wesen machen, das er auf keinen Fall werden wollte. Lieber wollte er sterben.

Du mußt es tun, Par. Gebrauche die Magie.

»Nein.« Das Wort war ein rauhes Flüstern in der Stille.

Anders können wir dich nicht erreichen. Gebrauche die Magie, Par. Wenn du aus deinem Gefängnis freikommen willst, sowohl aus dem, das du für dich selbst errichtet hast, als auch aus dem, in das die Schattenwesen dich gesteckt haben, dann mußt du die Magie einsetzen. Tu es jetzt, Par.

Aber Par war plötzlich zu dem Schluß gekommen, daß dies ein weiterer Trick sein mußte, ein weiteres Spiel, das entweder von seiner eigenen Magie oder von der der Schattenwesen mit ihm gespielt wurde, indem Stimmen aus der Vergangenheit heraufbeschworen wurden, um ihn zu quälen. Er konnte die Dämonen erneut lachen hören. Er wirbelte herum, legte die Hände auf die Ohren und schüttelte heftig den Kopf. Walker Boh war nicht da. Niemand war da. Er war jetzt genauso allein, wie er es gewesen war, seit er in den Keep gebracht worden war. Es war dumm, etwas anderes zu denken. Dies war nur eine weitere Prüfung seines zunehmenden Wahnsinns, eine helle, polierte Oberfläche, die widerspiegelte, was er sich einst erträumt hatte, was aber jetzt niemals geschehen würde.

»Das werde ich nicht tun. Ich kann es nicht.«

Er biß beim Sprechen die Zähne zusammen und stieß die Worte zischend hervor, als seien sie ein Fluch. Er wandte sich ruckartig von der erspürten Quelle seiner Hoffnung ab, von der Stimme, die nicht existierte, und wich in die tieferen Schatten zurück, führte sich selbst weiter in die Finsternis hinein.

Walker Bohs Stimme erklang stetig und beschwörend von neuem.

Par. Du hast mir einst gesagt, die Magie sei ein Gift, sie sei dir aus gutem Grund gegeben worden, sie sei zum Gebrauch bestimmt. Du hast mir gesagt, daß ich an die Träume glauben sollte, die uns gezeigt wurden. Hast du das vergessen?

Par starrte in die vor ihm liegende Dunkelheit und erinnerte sich. Er hatte diese Dinge gesagt, als er Walker in Hearthstone zum ersten Mal getroffen hatte, vor vielen Wochen, als Walker sich geweigert hatte, mit ihm zum Hadeshorn zu kommen. Glaube, hatte er den Dunklen Onkel gedrängt. Glaube.

Gebrauche die Magie, Par. Befreie dich.

Er wandte sich um, und der Funke war in der Dunkelheit seiner Hoffnungslosigkeit, seiner Verzweiflung erneut sichtbar. Er wollte wieder glauben. Wie er einst den Dunklen Onkel gedrängt hatte zu glauben. Hatte er vergessen, wie? Er durchschritt den Raum und gewann neue Entschlossenheit, während er dies tat. Er wollte glauben. Warum sollte er nicht? Warum sollte er es nicht versuchen? Warum sollte er nicht etwas tun, irgend etwas, anstatt aufzugeben? Er sah die Tür aus der Dunkelheit auf sich zukommen, sah sie sich erheben, sah das Hindernis, an dem er nicht vorbeigelangen konnte. Es sei denn. Es sei denn, er setzte die Magie ein. Warum nicht? Was konnte er denn sonst tun?

Walker Boh war plötzlich so nah neben ihm, daß er ihn spüren konnte, obwohl er nicht wirklich da war. Walker Boh, der über seine eigene Verzweiflung hinausgelangt war, aus seinem eigenen Mangel an Glauben, und die Aufgaben Allanons angenommen hatte. Ja, Paranor und die Druiden waren zurückgekehrt. Ja, er hatte das Schwert von Shannara gefunden. Und ja, Wren hatte auch die Elfen gefunden – mußte sie gefunden haben oder würde sie gewiß finden.

Gebrauche die Magie, Par.

Dieses Mal überhörte er die Ermahnung. Er ging durch sie hindurch, als sei sie nicht gewesen, und das einzige Geräusch war das Rauschen seines Atems, als er sich der Tür näherte. Ich werde hier nicht sterben, dachte er. Das werde ich nicht tun.

Dann flammte die Magie an seinen Fingerspitzen auf, und er ließ sie auf die Tür zufliegen und riß diese aus den Angeln, als sei sie in einen Gewittersturm geraten. Die Tür flog den ganzen Gang entlang und zerschellte an der jenseitigen Wand. Sofort war Par durch die Öffnung hindurch und eilte den Gang hinab auf die Treppe zu, hörte Walker Bohs Stimme erneut, folgte seinen Richtungsanweisungen und seinem Drängen, spürte innerlich aber nichts anderes als das Feuer der Magie, die umherwirbelte und gegen seine Knochen prallte. Sie war erneut freigelassen und war entschlossen, frei zu bleiben. Er kümmerte sich nicht darum. Es gefiel ihm, daß er sie freigesetzt hatte. Er wollte, daß sie ihn vereinnahmte, daß sie alles Erreichbare vereinnahmte. Wenn dies der Wahnsinn war, der ihm versprochen worden war, dann wollte er ihn willkommen heißen.

Er stieg schnell die Treppe hinab, zog das Feuer der Magie hinter sich her, kämpfte um die Kontrolle über ihre Macht, die sich in ihm aufbaute. Dunkle Umrisse schossen schnell heran, und er verbrannte sie zu Asche. Schattenwesen? Etwas anderes? Er wußte es nicht. Der Turm war in der Vordämmerung erwacht, und seine Bewohner erhoben sich, als sie die Gegenwart der Magie spürten. Sie wußten, daß sie bedroht wurden, und beeilten sich, die Quelle zu ergründen. Feuer brannte von oben und von unten auf ihn ein, aber er spürte es lange, bevor es zuschlug, und so wehrte er es mühelos ab. Ein dunkler Kern baute sich in ihm auf, eine gefährliche Mischung aus unerwarteter Unbekümmertheit und Freude am Gebrauch der Magie, und ihr Hochwallen schien Interesse, Sorge und Vorsicht beiseite zu schieben. Er legte sein Menschsein ab, und jetzt konnte er tun, was er wollte, spürte er. Die Magie gab ihm das Recht dazu.

Walker Boh schrie ihm etwas zu, aber er konnte seine Worte nicht verstehen. Und wollte es auch nicht. Er drängte weiter, stieg stetig abwärts und zerstörte alles, was ihm in den Weg kam. Nichts konnte ihm jetzt etwas anhaben. Er sandte das Feuer des Wunschgesangs voraus und folgte ihm fröhlich. Walker Boh erwachte ruckartig, sein Körper vibrierte, und seine Arme zuckten. Seine Gefährten traten schnell von ihm zurück. »Er kommt«, zischte er, und seine Augen öffneten sich. »Aber er verliert sich in der Magie!«

Sie mußten nicht fragen, von wem er sprach. »Was meinst du?« Coll packte seinen Umhang und zog Walker heftig herum.

Walkers Augen waren so hart wie Stein, als sie denen des Talbewohners begegneten. »Er hat die Magie eingesetzt, aber die Kontrolle darüber verloren. Er gebraucht sie gegen alles. Jetzt laß mich los!«

Er wand sich frei und wirbelte herum, legte seine Hände gegen die Steintür und drückte dagegen. Licht flackerte von seinen Handflächen auf, schoß von seinen Fingerspitzen in die Fugen der wuchtigen Tür und rann durch den Türspalt. Die Schlösser schnappten auf, und die Eisenriegel zerbrachen. Die Zeit der Heimlichkeit und Vorsicht war vorbei. Die Türen bebten und gaben mit einem Knirschen des Metalls nach.

Sie waren sofort hindurch und bewegten sich durch die Dunkelheit, die noch intensiver war als die Nacht und sich auf ihrer Haut kalt und feucht anfühlte. Sie atmeten Staub und Schalheit, aber es waren nicht Alter und Nichtverwendung, die sie wartend vorfanden, sondern eine furchtbare Fäulnis, die von etwas Gefangenem und Sterbendem zeugte. Sie mußten würgen, und Walker ließ Licht in die dunklen Ecken des Raumes gleiten, den sie betreten hatten. Es war ein großer Vorraum zu einer Reihe von Gängen, die unter einem Steg hindurchführten. Dahinter war durch einen gewölbten Durchgang ein leerer Hof zu sehen.

Irgendwo in der fernen Schwärze konnten sie Schreie hören, Verbranntes riechen und das weiße Flackern von Pars Magie sehen.

Ondit lief bereits voraus. Er trottete den Vorraum entlang und lief durch den Durchgang auf den Hof. Walker und die anderen folgten ihm mit grimmigen Gesichtern. Schatten bewegten sich am Rande der Lichtwirbel, und Geräusche drangen auf sie ein, aber nichts griff sie an. Während sie geduckt den Hof überquerten, schauten sie wachsam nach links und nach rechts. Die Schattenwesen waren da, irgendwo in der Nähe. Sie erreichten das andere Ende des Hofes, folgten noch immer den Geräuschen und Blitzen im Inneren und brachen in einen Gang durch.

Vor ihnen führte eine Treppe in den dunklen Turm hinauf, wand sich aufwärts in die Schwärze, die jetzt von dem hellen Flackern des weißen Feuers der Magie durchbohrt wurde. Par kam herab. Sie standen wie festgefroren, während er sich näherte, denn sie wußten nicht, was sie vorfinden würden, und wußten nicht, was sie tun sollten. Sie wußten, daß sie ihn irgendwie erreichen und ihn wieder zu sich bringen mußten, aber sie wußten auch – sogar Matty Roh, für die die Magie ein Rätsel war –, daß es nicht leicht werden würde und daß das, was mit Par Ohmsford geschah, hart und entsetzlich und großartig war. Auf Walkers lautlosen Befehl hin verteilten sie sich. Morgan zog das Schwert von Leah und Coll, das Schwert von Shannara, ihre Talismane gegen die dunklen Wesen, und als Matty dies bemerkte, zog auch sie ihr Kampfschwert. Walker trat einen Schritt vor sie, denn er dachte, daß dies seine Sache sei, daß es seine Aufgabe sei, einen Weg zu finden, durch die Rüstung hindurchzubrechen, die die Magie des Wunschgesangs um Par gelegt hatte, daß er dafür verantwortlich war, daß Par die Wahrheit über sich selbst entdeckte.

Und plötzlich kam der Talbewohner in Sicht. Er glitt weich die Treppe herunter, ein Phantom, das im Licht der Magie loderte. An seinen Fingerspitzen funkelte die Macht und auch über sein Gesicht und in der Tiefe seiner Augen. Er sah sie und sah sie doch auch nicht. Er kam heran, ohne langsamer zu werden und ohne etwas zu sagen. Über ihm war Chaos, aber sie hatten noch nicht begonnen, ihn nach unten zu verfolgen. Par kam weiter heran, noch immer schwebend, noch immer vergänglich, bewegte sich direkt auf Walker zu und zeigte keinerlei Anzeichen, daß er seinen Schritt verlangsamen würde.

»Par Ohmsford!« rief Walker Boh.

Der Talbewohner ging weiter.

»Par, nimm die Magie zurück!«

Par zögerte, sah Walker zum ersten Mal oder erkannte ihn eben und wurde langsamer.

»Par. Schließ die Magie ein. Wir brauchen nicht...«

Par ließ ein Feuerband auf Walker zuschießen, das ihn zu ersticken drohte. Walkers eigene Magie erhob sich zur Abwehr, trieb das Band zurück und verwandelte es in Rauch. Daraufhin hielt Par inne, und die beiden standen sich in der Finsternis gegenüber.

»Par, ich bin es!« rief Coll von der anderen Seite her.

Sein Bruder wandte sich zu ihm um, aber in seinen Augen war kein Hinweis auf ein Wiedererkennen zu sehen. Die Magie des Wunschgesangs zischte und sang in der Luft um ihn herum, flatterte wie ein Umhang im Wind. Morgan rief ihm ebenfalls etwas zu und bat ihn zuzuhören, aber Par sah den Hochländer nicht einmal an. Er befand sich jetzt tief in der Gewalt der Magie, war so darin gefangen, daß nichts anderes wichtig war und sogar die Stimmen seiner Freunde für ihn nicht wiederzuerkennen waren. Er wandte sich von einem zum anderen, als sie auf ihn einsprachen, aber der Klang ihrer Stimmen diente nur dem Zweck der Magie, ihn noch fester einzubinden.

Wir können ihn nicht zurückbringen, dachte Walker verzweifelt. Er wird auf keinen von uns hören. Er konnte spüren, daß die Verfolgung erneut begann, konnte spüren, wie die Schattenwesen durch die Verbindungsgänge herankamen. Wenn FelsenDall sie erst erreichte...

Und dann trat Damson Rhee plötzlich vor, eilte an Walker vorbei, bevor er Einwände erheben konnte, stieg die Stufen hinauf und näherte sich Par. Par sah sie kommen und wandte sich auf dem Absatz um, um ihr entgegenzutreten. Die Magie an seinen Fingerspitzen flackerte bösartig. Damson näherte sich ihm ohne die Hilfe von Waffen oder Magie, die Arme gesenkt, die Handflächen geöffnet, den Kopf erhoben. Walker dachte einen Augenblick lang daran, zu ihr zu eilen und sie zurückzureißen, aber es war bereits zu spät.

»Par«, flüsterte sie, während sie sich ihm näherte und stehenblieb, als sie nur noch ungefähr einen Meter von ihm entfernt war. Sie stand einige Stufen tiefer und schaute zu ihm auf. Ihr rotes Haar war aus dem Gesicht gestrichen, und ihre Augen glänzten von Tränen: »Ich dachte, ich würde dich niemals wiedersehen.«

Par Ohmsford sah sie an.

»Ich habe Angst, dich erneut zu verlieren, Par. An die Magie. An deine Angst, daß sie dich täuschen wird, wie sie es getan hat, als du glaubtest, du hättest Coll getötet. Verlaß mich nicht, Par.«

Ein Anflug von Erkennen zeigte sich hinter dem Wahnsinn in seinen Augen.

»Komm nah zu mir, Par.«

»Damson?« flüsterte er plötzlich.

»Ja«, antwortete sie lächelnd, während ihr die Tränen jetzt über das Gesicht liefen. »Ich liebe dich, Par Ohmsford.«

Einen langen Augenblick lang rührte er sich nicht, sondern stand in der Dunkelheit auf den Stufen wie aus Stein gemeißelt, während die Magie durch seine Glieder und seinen Körper raste. Dann schluchzte er auf, irgend etwas erwachte in ihm, das zuvor geschlafen hatte, und er preßte die Augen zusammen, um sich zu konzentrieren. Sein Körper schüttelte sich, verkrampfte sich, und die Magie flackerte noch einmal auf und erstarb dann. Er öffnete die Augen wieder. »Damson«, flüsterte er, erkannte sie jetzt, erkannte sie alle und taumelte vorwärts.

Sie fing ihn auf, als er fiel, und sofort war auch Walker da und dann die anderen. Sie ergriffen den Talbewohner und brachten ihn in den darunterliegenden Gang, stützten ihn und betrachteten sein verstörtes Gesicht.

»Ich kann nicht mehr atmen«, flüsterte er ihnen zu. »Ich kann nicht atmen.«

Damson hielt ihn fest an sich gedrückt, flüsterte ihm zu, daß alles in Ordnung sei, daß er jetzt in Sicherheit sei, daß sie ihn fortbringen würden. Aber Walker sah die Wahrheit in Par Ohmsfords Augen. Er führte noch immer einen Kampf mit der Magie des Wunschgesangs, und er würde ihn verlieren. Was auch immer mit ihm geschah, er mußte sich ihm jetzt stellen, um von den Ängsten und Zweifeln befreit zu werden, die ihn seit Wochen quälten.

»Coll«, sagte er leise, als sie ihn auf die Knie sinken ließen und gegen Damson lehnten. »Gebrauche das Schwert von Shannara. Warte nicht länger. Gebrauche es.«

Coll sah den Dunklen Onkel unsicher an. »Aber ich bin nicht sicher, was es tun wird.«

Walker Bohs Stimme wurde hart wie Stahl. »Gebrauche das Schwert, Coll. Gebrauche es, oder wir werden ihn verlieren!«

Coll wandte sich schnell ab und kniete sich neben Par und Damson. Er hielt das Schwert von Shannara vor sich und hatte beide Hände um sein Heft gelegt. Er mußte diesen Talisman benutzen, aber er würde auch die Konsequenzen seines Gebrauchs tragen müssen.

»Morgan, achte auf die Treppe«, befahl Walker Boh. »Matty Roh, die Gänge.« Er trat zu Par. »Damson, laßt ihn los.«

Damson sah betroffen zu ihm auf. Überraschende Wärme lag in Walkers Blick, eine Mischung aus Beruhigung und Freundlichkeit. »Laßt ihn los, Damson«, sagte er sanft. »Geht zurück.«

Sie ließ Par los, und der Talbewohner sackte vornüber. Coll fing ihn auf, barg ihn einen Moment in seinen Armen, nahm dann die Hände seines Bruders und legte sie neben seine eigenen um das Heft des Schwertes. »Walker«, flüsterte er flehend.

»Gebrauche es«, zischte der Dunkle Onkel.

Morgan schaute unbehaglich herüber. »Das gefällt mir nicht, Walker...«

Aber er kam zu spät. Von der Kraft von Walkers Befehl überzeugt, hatte Coll die Magie bereits heraufbeschworen. Das Schwert von Shannara wurde flackernd lebendig, und der Raum wurde von Licht überflutet. In eine erstickende Wolke betäubender Unentschlossenheit gehüllt und seiner Angst ausgeliefert, spürte Par, wie die Magie des Schwertes wie Feuer aus der Dunkelheit herandrängte und sich in ihn hinabbrannte. Die Magie des Wunschgesangs hob sich ihr als weiße Wand entschlossenen Schweigens entgegen, um sie abzuwehren. Schutztüren fielen darinnen krachend zu, Schlösser schnappten ein, und das Zittern seiner Seele ließ ihn wanken. Er war sich vage bewußt, daß Coll die Magie des Schwertes angerufen hatte, daß die Macht dazu irgendwie die seine war, wenn sie nicht Pars gewesen war, und es fühlte sich an, als stünden die Dinge auf dem Kopf. Er zog sich vor der Annäherung der Magie zurück und war unfähig, die Wahrheit zu ertragen, die sie bringen würde. Er wollte sich nur für immer in sich selbst verbergen.

Aber die Magie des Schwertes von Shannara kam dieses Mal mit dem Gewicht der Stimme seines Bruders heran und drängte sich in ihn hinab. Hör zu, Par. Hör zu. Bitte hör zu. Die Worte bahnten sich ihren Weg an der Abwehr des Wunschgesangs vorbei und ließen ein, was folgte. Er dachte, daß es zuerst nur Colls Worte waren, die seine Verteidigung durchbrachen und das weiße Licht hineinließen. Aber dann sah er, daß es mehr war. Es war sein eigenes erschöpftes Bedürfnis, ein für allemal das Schlimmste zu erfahren, was es zu erfahren gab, von den Zweifeln und dem Entsetzen befreit zu werden, mit denen das Nichtwissen ihn quälte. Er hatte lange genug damit gelebt, um noch länger damit leben zu wollen. Seine Magie hatte ihn von allem abgeschirmt, aber das war vorbei, wenn er es nicht mehr wollte. Er war an die Wand seines Wahnsinns zurückgetrieben worden und konnte nicht weiter zurück.

Er streckte sich mit seiner Stimme eifrig und zwingend nach der Stimme seines Bruders aus. Sage es mir. Sage mir alles.

Der Wunschgesang spuckte und zischte wie eine Katze, die in die Enge getrieben wurde, und das war sie ja auch, denn sie unterstand seinem Befehl, seinem Geburtsrecht und seinem Vermächtnis, und nichts, was sie tun würde, konnte seiner Vernunft und seinen Bedürfnissen widerstehen. Er hatte sie seinem Willen gebeugt, als seine Angst und seine Zweifel ihn ausgehöhlt hatten, aber er war nie vollständig zerbrochen, und jetzt würde er für immer von dieser Unsicherheit befreit werden.

Coll, bat er. Sein Bruder war da und beruhigte ihn. Coll.

Sich aneinander und an dem Schwert festhaltend, verschränkten sie ihre Finger und glitten in das Licht der Magie hinab. Dort tröstete Coll Par und versicherte ihm, daß die Magie ihn heilen und ihm keinen Schaden zufügen würde, daß er seinen Bruder, was auch immer geschähe, nicht im Stich lassen würde. Und schließlich gab Par seinen Widerstand auf, die Schlösser lösten sich, die Türen öffneten sich, und die Dunkelheit war verbrannt. Er schüttelte die letzten Fesseln des Wunschgesangs ab und überließ sich mit einem Seufzen.

Und dann begann die Wahrheit in Erinnerungen hereinzurinnen, die schnell zu einem Strom wurden. Alles, was in Pars Leben war und je gewesen war, die Geheimnisse, die er sogar vor sich selbst verborgen gehalten hatte, die Schmach und die Verlegenheiten, die Fehlschläge und Verluste, die er in sich verschlossen hatte, marschierten vorbei. Sie kamen ins Licht, und obwohl Par zunächst davor zurückschrak, vor dem qualvollen und unendlichen Schmerz, wuchs seine Kraft mit jeder Erinnerung, und die Aufgabe, zu akzeptieren, was sie bedeuteten und wie sie ihn als Mensch maßen, wurde erträglich.

Dann verlagerte sich das Licht, und er sah, wie er bis hierher gelangt war, wie er auf Allanons Drängen auf die Suche nach dem Schwert von Shannara gegangen und bestrebt gewesen war, diese Aufgabe zu erfüllen und die Wahrheit über sich selbst zu entdecken. Aber wie ernst war sein Bestreben wirklich gewesen? Denn was er fand, war die Möglichkeit, daß er genau das Wesen sein konnte, an dem er festgehalten hatte. Was er fand, war FelsenDall, der bereits auf ihn wartete und ihm sagte, daß er nicht der sei, für den er sich hielt, daß er jemand völlig anderer sei, eines der dunklen Wesen, eines der Schattenwesen. Nur ein Wort, hatte Felsen-Dall geflüstert, nur einen Namen. Er sah ein Schattenwesen, das Schattenwesenmagie zur Verfügung hatte, das eine Macht besaß, die sich von der der rotäugigen Geister in nichts unterschied, und das fähig war, zu sein, was sie waren, und zu tun, was sie taten.

Und jetzt sah er in dem kühlen weißen Licht der Wahrheit des Schwertes, daß dies alles stimmte.

Einer von ihnen.

Er war einer von ihnen.

Er schreckte vor der Erkenntnis zurück, vor der Unausweichlichkeit dessen, was ihm gezeigt wurde, und ihm war, als hätte er entsetzt aufgeschrien, obwohl er das innerhalb des Lichts nicht sagen konnte. Ein Schattenwesen! Er war ein Schattenwesen! Er spürte, wie Coll vor ihm zurückwich. Er spürte, wie sein Bruder zurückschreckte. Aber Coll ließ nicht los. Er hielt ihn weiterhin fest. Es ist egal, was du bist, du bist mein Bruder, hörte er. Es ist egal. Du bist mein Bruder. Und damit verhinderte er, daß Par in den Wahnsinn abglitt. Und so wurde er angesichts seines Entsetzens, seiner erschreckenden Erkenntnis seiner selbst am Boden gehalten.

Und es ließ ihn den Rest dessen erkennen, was die Wahrheit enthüllen würde.

Er sah, daß ihn sein Elfenblut und seine Abstammung an die Schattenwesen banden, denn auch sie waren Elfen. Aus derselben Linie, aus derselben Geschichte stammend, waren sie so gebunden wie Menschen, die eine ähnliche Vergangenheit teilen. Aber es lag auch die Wahl darin, etwas anderes zu sein. Er stammte sowohl von Shannara als auch von den Schattenwesen ab, und er brauchte nicht zu sein, was die Magie vielleicht aus ihm machte. Der Gedanke, daß es ihm vorherbestimmt sei, eines der dunklen Wesen zu sein, war eine Lüge, die Felsen-Dall in ihn eingepflanzt hatte, als er ihn in jenem Gewölbe traf, das das Schwert von Shannara barg, als er mit Coll und Damson zum letzten Mal in die Grube hinabgestiegen war. Felsen-Dall hatte zugelassen, daß er das Schwert erprobte, denn er wußte wohl, daß es nicht funktionieren würde, weil seine eigene Magie es nicht zulassen wollte. Sie war ein Hindernis für eine Wahrheit, die sich als zu unerfreulich erweisen könnte, als daß er sie akzeptieren konnte. Felsen-Dall hatte ihm weisgemacht, daß er die Ausgeburt eines Schattenwesens sei, daß er einer von ihnen sei, ein Gefäß für ihre Magien, und hatte ihm die Unsicherheit vermittelt, die erforderlich war, damit die miteinander ringenden Magien des Schwertes und des Wunschgesangs daran gehindert wurden, sich zu vereinigen. So hatte er die lange Spirale des Zweifels in Gang gesetzt, die Par schließlich zu seiner Umwandlung geführt hätte, wenn nur die Möglichkeit, zu werden, was er auch sein könnte, so groß würde, daß sie eine Tatsache war.

Par keuchte und wich zurück. Er sah es jetzt, sah alles. Glaube es lange genug, und es wird geschehen. Glaube, daß es so sein könnte, und es wird so sein. Das war es, was er sich selbst angetan hatte, während er in Magie eingehüllt war, die von nichts vernichtet werden konnte, wenn er es nicht zuließ. Er war in seinen eigenen Ängsten und Unsicherheiten vor der Wahrheit gefangen gewesen. Felsen-Dall hatte das gewußt. Er hatte erkannt, daß Par von sich aus mit den Möglichkeiten ringen würde, die der Erste Sucher ihm anbot. Laß ihn glauben, daß er seinen Bruder mit seiner Magie getötet hat. Laß ihn glauben, daß die Magie des Schwertes von Shannara niemals die seine sein kann. Laß ihn glauben, daß er wegen dem, was er sein könnte, scheitern wird. Solange er den Wunschgesang einsetzt, um die Magie des Schwertes in Schach zu halten, welche Chance hatte er da, den Konflikt in sich selbst zu lösen? Par würde sowohl der Retter der Druiden als auch das Faustpfand der Schattenwesen sein, und das würde ihn auseinanderreißen.

»Aber ich muß nicht einer von ihnen sein«, hörte er sich sagen. »Ich muß es nicht!«

Er erschauerte unter dem Gewicht seiner Worte. Colls Lächeln wärmte ihn wie Sonne. Wie es für seinen Bruder gewesen war, als die Wahrheit des Schwertes die Lüge des Spiegeltuchs fortgerissen hatte, wurde die Erkenntnis auch jetzt zu einem Weg, auf dem Par nun zu sich selbst zurückkehren konnte. Hatte Allanon gewußt, daß es so sein würde, fragte er sich, während er sich aus dem Licht zu erheben begann. Hatte Allanon erkannt, daß dies der Zweck des Schwertes von Shannara war?

Als die Magie erlosch und er seine Augen öffnete, stellte er überrascht fest, daß er weinte.

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