5. KAPITEL

Der Keller mit seinen nackten, grauen Wänden und all dem verstaubten Gerumpel war feucht und kalt. Ein Haufen verschnürter Pappkartons und ein von der Decke hängendes Gitterwerk aus Rohren sah in den schweren Schatten der nackten Glühbirnen schmuddelig aus. Die Kartons nahmen eine Menge Platz ein und waren von unterschiedlicher Größe. Einige waren einfache Lebensmittelkartons, auf denen noch die verblaßten Namen der Hersteller zu erkennen waren, andere waren so groß, daß in ihnen Möbelstücke verborgen sein konnten. Die Waschmaschine, ein Uraltmodell, stand neben einer provisorischen Duschkabine abseits in einer Ecke des Kellers. Wäscheleinen waren unter das Rohrgitterwerk gespannt. Sie hingen so tief, daß Harry gezwungen war, sich zu ducken, nachdem er die Keilertreppe hinuntergestiegen war und zur anderen Seite des vollgestopften Raumes gelangen wollte.

An der einen Wand standen ein paar gemauerte Tröge und ein alter Metallschrank. Harrys Frau beugte sich über einen Hahn, der zu einem der Tröge gehörte, und hielt ein Tuch unter das kalte Wasser. Als Harry den Keller betrat, schaute sie kurz auf. Sie interessierte sich aber eigentlich viel mehr für das, womit sie gerade beschäftigt war. Sie wrang das Tuch aus, überprüfte, ob es feucht genug war, und ging damit zu dem kleinen Mädchen, ihrer Tochter, hinüber, das vollkommen reglos auf einem selbstgezimmerten Arbeitstisch lag. An einem Lochbrett über dem Tisch steckten Werkzeuge und Kabel, und der Tisch selbst hatte ein paar Schubladen, in denen offenbar allerlei Kleinkram aufbewahrt wurde - Schrauben und Nägel, Dichtungsringe und ähnliches.

In der Kälte des Kellers bewegte sich Helen ein bißchen steif. Sie trug ein Kleid und einen Pullover, während ihr warmer Mantel auf dem Tisch unter dem Kind ausgebreitet lag. Seiten und Ärmel waren hochgeklappt und bedeckten die Beine und den Körper des Mädchens. Helen beugte sich über ihre Tochter und wischte ihre Stirn mit dem angefeuchteten Tuch ab.

Harry kam leise zu ihr herüber, während sie sich voll und ganz auf das Mädchen konzentrierte. Sie wollte es noch besser zudecken. Und ohne aufzublicken erklärte sie: »Karen hat jetzt ziemlich hohes Fieber.«

Harry seufzte voller Besorgnis um seine Tochter. Dann berichtete er seiner Frau: »Dort oben sind noch zwei Personen.«

»Zwei?«

»Ja«, sagte Harry. Dann fuhr er fort, wobei er sich fast verteidigte: »Ich hatte nicht vor, irgendein Risiko einzugehen.«

Helen schwieg, während Harry auf eine Reaktion wartete, die ihm zeigte, daß sie seine Entscheidung billigte. »Wie hätten wir denn überhaupt wissen sollen, was dort oben vorgeht?« sagte er schließlich, zuckte mit den Achseln und unterstrich diese Geste noch mit einer Handbewegung. Dann griff er nervös in seine Brusttasche und suchte seine Zigaretten. Er mußte jedoch feststellen, daß das Päckchen leer war. Daher zerknüllte er es und warf es auf den Boden. Daraufhin ging er zum Arbeitstisch, wo ein zweites Päckchen lag, streckte die Hand danach aus und mußte erkennen, daß auch diese Schachtel leer war. Auch sie wurde zerknüllt, diesmal schon weitaus gewalttätiger als die erste. Dabei stand Harry seiner Frau und seiner Tochter direkt gegenüber. Helen tupfte immer noch die Stirn des Mädchens ab, während Harry die beiden einen Augenblick lang anstarrte.

»Ist sie soweit in Ordnung?« erkundigte er sich ängstlich.

Helen blieb stumm. Das kleine Mädchen, Karen, blieb reglos.

Harry schwitzte so stark, daß sich auf seiner Stirn kleine Schweißbäche bildeten. Er wartete ab, aber als ihm klar wurde, daß er keine Antwort erhalten würde, wechselte er das Gesprächsthema.

»Die bleiben allesamt oben... Idioten! Wir sollten zusammenhalten. Hier unten ist es bei weitem am sichersten.«

Sein Blick fiel auf die Handtasche seiner Frau. Er wühlte so lange darin herum, bis er eine Schachtel Zigaretten fand. Hektisch riß er das Päckchen auf, zog eine Zigarette raus, zündete sie an und inhalierte tief. Er mußte leicht husten.

»Dort oben haben sie nicht die geringste Chance. Die können sich diese Zombies nicht ewig vom Hals halten. Es gibt dort oben einfach zu viele Möglichkeiten, daß sie ins Haus gelangen.«

Helen schwieg immer noch, als hätten sich ihr Respekt und ihre Toleranz, was die Einschätzungen ihres Ehemannes anbetrafen, schon vor langer Zeit in Luft aufgelöst.

Neben dem Arbeitstisch stand ein kleines Transistorradio auf dem Boden. Als Harry es auf einmal sah, ging er sofort hinüber, hob es auf und schaltete es ein.

»Die dort oben haben Radio gehört. Muß eine Sendung der Zivilen Verteidigung sein oder... ich glaube, daß nicht nur wir in dem Schlamassel stecken, sondern daß es überall passiert.«

Das winzige Radiogerät gab nur ein Rauschen von sich, sosehr Harry sich auch bemühte, es richtig einzustellen. Er drehte den Senderwahlknopf vor und zurück, lauschte hingebungsvoll, aber der Transistor rauschte einfach nur. Gleich darauf hielt er ihn hoch und drehte ihn in die verschiedensten Richtungen. Offensichtlich hoffte er, so einen besseren Empfang zu kriegen. Dabei drehte er unentwegt am Senderwahlknopf. Immer noch das Rauschen. Mit großen Schritten lief er im Keller auf und ab, hin und her, aber das Ergebnis blieb dasselbe.

»Dieses verdammte Ding... «

Fortwährendes Rauschen.

Helen hörte auf, ihrer Tochter die Stirn abzutupfen, faltete das Tuch sorgfältig zusammen und legte es auf die dichten

Augenbrauen ihrer Tochter. Dann legte sie dem Mädchen sanft die Hand auf die Brust und schaute zu ihrem Mann hinüber, der immer noch ziellos im Keller herumlief. Die Zigarette hing zwischen seinen Lippen, und er schwenkte das kleine Radio durch die Luft.

Doch das Radio rauschte nur, mal lauter, mal leiser.

»Harry.«

Doch er fummelte ununterbrochen an dem Radio herum wie ein Besessener. Schließlich ging er zu der Wand, wo die Treppe endete, hielt das Radio hoch und drehte weiter an dem Suchknopf. Er atmete und schwitzte schwer.

»Harry, dieses Ding da kann in diesem stinkigen Verlies nichts empfangen!«

Ihre Worte ließen ihn innehalten. Er drehte sich um und schaute sie an. Sie war den Tränen nah und hatte ihre Hände zum Schutz vor ihr Gesicht geschlagen. Dann biß sie kopfschüttelnd die Lippen zusammen und starrte nur noch zu Boden.

Als er sie ansah, steigerte sich Harrys Wut, überwältigte ihn, so daß er einen Moment lang nichts erwidern konnte. Dann begann sein Gesicht zu zucken. Seine Gefühle suchten offensichtlich nach einer Ausdrucksmöglichkeit, bis er sich blitzschnell umdrehte und das Radio durch den Raum schleuderte. Der Transistor knallte gegen die Wand, und eine Brülltirade von Harry setzte ein.

»Ich hasse dich - richtig? Ich hasse das Kind. Ich will euch hier sterben sehen, richtig? An diesem stinkenden Ort! Meinst du das?

Mein Gott, Helen, begreifst du denn nicht, was hier abläuft? Diese Kreaturen sind überall - sie werden uns alle umbringen! Macht es mir vielleicht Spaß, daß ich zusehen muß, wie mein Kind leidet? Macht es mir Spaß, einfach zusehen zu müssen, was hier vorgeht?«

Helens Kopf drehte sich ruckartig in seine Richtung. Sie blickte ihn mit einem Ausdruck an, der gleichermaßen Wut und eine Bitte enthielt.

»Karen braucht Hilfe, Harry... sie braucht einen Doktor. Sie wird... sie wird hier vielleicht sterben. Wir müssen hier raus, Harry. Unbedingt.«

»O ja - laß uns doch einfach von hier verschwinden. Wir können jetzt alles zusammenpacken und uns dann auf die Socken machen, und ich werde dann einfach zu diesen Zombies sagen: Entschuldigen Sie, meiner Frau und meiner Tochter ist es hier unbequem, wir werden jetzt in die Stadt gehen. - Um Gottes willen, dort draußen sind jetzt vielleicht schon zwanzig von diesen Wesen. Und jede Minute werden es mehr.«

Doch Harrys Sarkasmus half ihm wenig, Helen seinen Standpunkt klarzumachen. Im Gegenteil, er widerte sie nur noch mehr an, und ihre Bitterkeit wurde nur noch stärker. Aber sie wußte ganz genau, daß es nichts nutzte, wenn sie ihn im Gegenzug ihrerseits genauso anbrüllte. Sie konnte nur versuchen, mit ihm zu diskutieren, das war die einzige Möglichkeit, seine Meinung zu ändern, wenn er erst einmal von etwas überzeugt war. Aber sie mußte es wirklich geschickt anstellen und mußte so tun, als sei es seine Idee gewesen. Sie mußte ihm die Chance geben, sich von seiner bisherigen Meinung zu trennen, ohne das Gesicht zu verlieren. »Dort oben sind Menschen«, sagte Helen. »Wir sollten zusammenhalten, das hast du selbst gesagt. Diese Leute sind nicht unsere Feinde, oder etwa doch? Oben, unten - was für einen Unterschied macht das? Vielleicht können sie uns helfen? Laß uns von hier verschwinden... «

Ein Klopfen unterbrach sie.

Harry und sie hielten den Atem an und lauschten.

Das Klopfen wiederholte sich. Es kam von oben, von der Kellertür. Ängstlich betrachteten die beiden ihre hilflose

Tochter. Eine Weile waren sie davon überzeugt, daß sie angegriffen würden. Dann aber erkannten sie Toms Stimme.

»Harry!«

Wieder Klopfen. Harry starrte einfach nur die Tür an, ohne auf den Ruf zu reagieren. Er hielt an seinem Entschluß fest. Nie wieder wollte er die Tür öffnen, und nie wieder wollte er etwas mit den Leuten dort oben zu tun haben. Helen traten Tränen in die Augen, als die Enttäuschung über ihren Mann heftiger wurde und ihre Besorgnis sie überwältigte. Es klopfte wieder. Helen schaute Harry an. Sie wußte, daß er ein Feigling war. Wieder Klopfen, dann eine Pause; vielleicht gab Tom bald auf. Helen hastete zu den untersten Stufen der Treppe.

»Ja... ja, Tom!«

Harry rannte ihr hinterher, packte sie von hinten bei den Schultern und riß sie herum. Sie wand sich hin und her und versuchte sich zu befreien.

»Harry! Laß mich los! Laß mich los!«

Sie kämpfte wie eine Wilde. Ihre Entschlossenheit überraschte Harry mehr als ihre plötzliche Kraft und schüchterte ihn ein. Er trat einen Schritt zurück, ließ die Arme hängen und schaute sie nur an - seine Frau hatte sich ihm bisher noch nie so offensichtlich widersetzt.

Toms Stimme drang erneut durch die verbarrikadierte Tür.

»Harry... Helen... wir haben etwas zu essen und auch Medizin und noch andere Sachen hier oben...«

Harry blickte zu Boden, ohne ein Wort herauszubringen.

»Harry, in zehn Minuten wird es eine Meldung im Radio geben, eine Meldung der Zivilen Verteidigung - sie wollen uns sagen, wie wir uns verhalten sollen!«

Helen schaute zur Tür hoch und rief: »Wir werden raufkommen, Tom! Wir werden in einer Minute oben sein!«

Harry wirbelte herum und warf ihr einen wütenden Blick zu.

»Du bist wohl nicht ganz bei Verstand, Helen. Es dauert nicht mal eine Minute, und schon haben diese Zombies dich im Griff und töten dich. Wenn sie erst dort oben eingedrungen sind, dann wird es zu spät für dich sein, deine Meinung noch zu ändern -siehst du das denn nicht ein? Kannst du denn nicht begreifen, daß wir in Sicherheit sind, solange wir diese Tür verrammelt lassen?«

»Das interessiert mich nicht ein bißchen!« fauchte sie ihn an. »Es ist mir egal, Harry - es interessiert mich nicht mehr. Ich will hier raus - nach oben. Ich will wissen, ob uns jemand helfen wird. Vielleicht wird Karen ja wieder gesund.«

Und dann beruhigte sie sich plötzlich und hörte auf zu schreien. Sie bekam sich wieder in den Griff, trat auf Harry zu und redete mit sanfterer Stimme auf ihn ein.

»Harry... bitte... wir brauchen doch nur eine Minute nach oben gehen und nachsehen, wie es dort steht. Wir werden Radio hören, und vielleicht finden wir dann auch eine Möglichkeit, von hier zu verschwinden. Vielleicht können wir es gemeinsam schaffen, Harry.«

Harry, dessen Hartnäckigkeit langsam ins Wanken geriet, nahm die Zigarette aus dem Mund, blies den Rauch aus und ließ die Kippe auf den Boden fallen. Er trat sie mit dem Fuß aus; der Rauch kräuselte sich zwischen seinen schmalen Lippen hervor.

Und dann konnten sie wieder Toms Stimme hören.

»Harry! He, Harry! Ben hat im oberen Stockwerk einen Fernsehapparat gefunden! Nun kommen Sie schon hoch - wir werden die Meldung der Zivilen Verteidigung im Fernsehen anschauen.«

Harry zauderte. Helen sprach beruhigend auf ihn ein. Mit sanfter Stimme versuchte sie ihm die Verärgerung zu nehmen, die er ihrer Meinung nach offenbar verspürte, wenn er von seiner ursprünglichen Entscheidung abwich. »Komm schon... laß uns nach oben gehen. Im Fernsehen wird es sicher eine

Meldung geben, die uns erklärt, wie wir uns verhalten sollen. Du kannst ihnen ja sagen, daß ich es war, die nach oben gehen wollte.«

»In Ordnung«, gab Harry nach. »In Ordnung. Es ist aber deine Entscheidung. Wir werden hochgehen - aber gib nicht mir die Schuld, wenn wir alle getötet werden.«

Ihr Blick wandte sich von ihm ab, und sie ging langsam als erste die Stufen hoch. Er blieb hinter ihr, damit die Leute oben wußten, daß ihr Kommen allein Helens Entscheidung gewesen war.

Gemeinsam fingen sie an, die Bretter von der Kellertür zu reißen.

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