Im Erdgeschoß saß Barbara immer noch geistesabwesend auf dem Sofa.
Die Flammen des Kaminfeuers spiegelten sich auf ihrem Gesicht wider, und das brennende Holz knackte hin und wieder laut, aber all das schien sie nicht wahrzunehmen. Die Gegenstände im Zimmer warfen Schatten an die Wände, und die Atmosphäre war bedrückend, aber wenn Barbara zuvor in dieser Umgebung noch Angst verspürt hatte, so scherte sie sich jetzt nicht mehr darum. Sie hatte vollständig jede Fähigkeit, auf irgend etwas zu reagieren, verloren. Sie war ebenfalls ein Opfer der Zombies, denn die hatten sie in einen Schockzustand versetzt - sie hatte jede Fähigkeit, zu fühlen oder zu denken, verloren.
»... SENDELEISTUNG KANN VORÜBERGEHEND NICHT GEWÄHRLEISTET WERDEN. BLEIBEN SIE AUF DIESER WELLENLÄNGE...«
Das Radiogerät dröhnte plötzlich, und dann war nur noch ein Knacken zu hören. Doch bald darauf gab es ein Wirrwarr von Geräuschen, wie sie in einem Redaktionszimmer üblich sind (so wie die, die Barbaras Bruder Johnny zuvor über ihr Autoradio empfangen hatte), und langsam kamen die Geräusche immer deutlicher herein: Schreibmaschine, Fernschreiber, leise Stimmen, die sich im Hintergrund unterhielten.
Barbara rührte sich nicht. Anscheinend nahm sie den Unterschied nicht wahr, obwohl die sich endlos wiederholende Nachricht der Zivilen Verteidigung verstummt war und ganz offensichtlich irgend etwas passieren würde.
»...ÄH... MEINE DAMEN UND HERREN... WAS?... JA, JA... HA... JA, DAS HABE ICH... WAS?... EINE ANDERE... STELL SIE AUF DIE ZENTRALE... OKAY, CHARLIE, ICH
BIN JETZT AUF SENDUNG... JA. MEINE DAMEN UND HERREN, HÖREN SIE JETZT BITTE AUFMERKSAM ZU. WIR HABEN JETZT DIE NEUESTEN BULLETINS VON DER NOTSTANDSZENTRALE ERHALTEN...«
Die Stimme des Nachrichtensprechers klang müde. Er fing an, seinen Bericht nüchtern und unbeteiligt zu verlesen, im Tonfall eines professionellen Kommentators, der seit achtundvierzig Stunden über ein großes Ereignis berichtet und den die letzten Entwicklungen nicht mehr sonderlich beeindrucken.
»... NEUESTEN MELDUNGEN INFORMIEREN UNS, DASS DIE... BELAGERUNG... DIE ZUERST IM BEREICH DES MITTELWESTENS REGISTRIERT WURDE, SICH TATSÄCHLICH ÜBER DAS GANZE LAND AUSGEBREITET HAT, JA AUF DER GANZEN WELT STATTFINDET. MEDIZINISCHE UND
WISSENSCHAFTLICHE BERATER SIND IM WEISSEN HAUS ZUSAMMENGETRETEN, UND DIE REPORTER AUS WASHINGTON BERICHTEN UNS, DASS DER PRÄSIDENT VORHAT, DIE ERGEBNISSE DIESER KONFERENZ IN EINER ANSPRACHE AN DIE NATION ÜBER DIE NOTSTANDSRADIOSTATION DER ZIVILEN VERTEIDIGUNG BEKANNTZUGEBEN...«
Keine der Neuigkeiten brachte Barbara dazu, irgendwie zu reagieren. Sie rührte sich nicht. Sie stand nicht einmal auf, um Ben zu rufen, für den Fall, daß er etwas hören könnte, das für die Anstrengungen wichtig war, die er unternahm, um sie beide zu schützen.
»... DIE SELTSAMEN... WESEN... DIE IN WEITEN TEILEN DES LANDES AUFGETAUCHT SIND, SCHEINEN EINIGE EINHEITLICHE VERHALTENSMUSTER AUFZUWEISEN. IN DEN STUNDEN NACH DEN ERSTEN BERICHTEN ÜBER GEWALTTÄTIGKEITEN, MORDE UND OFFENSICHTLICH WAHNSINNIGE ANGRIFFE AUF DAS LEBEN VON MENSCHEN. DIE DAVON TOTAL
ÜBERRASCHT WURDEN, HAT MAN FESTGESTELLT, DASS DIE... FREMDEN WESEN MENSCHLICH SIND, WENN MAN VON PHYSIKALISCHEN UND VER-HALTENSMÄSSIGEN ASPEKTEN AUSGEHT. DIE HYPOTHESEN ÜBER IHRE HERKUNFT UND IHRE ZIELE SIND BIS JETZT SO UNTERSCHIEDLICH UND VIELFÄLTIG, DASS WIR NUR BERICHTEN KÖNNEN, DASS BEIDES NICHT BEKANNT IST. TEAMS VON WISSENSCHAFTLERN UND PHYSIKERN SIND IM BESITZ DER KÖRPER MEHRERER AGGRESSOREN, UND DIESE KÖRPER WERDEN JETZT DARAUFHIN UNTERSUCHT, OB ES HINWEISE GIBT, DIE DIE BESTEHENDEN THEORIEN BESTÄTIGEN ODER NEGIEREN KÖNNTEN. DER... ENTSCHEIDENDE FAKT... IST, DASS DIESE... WESEN LÄNDLICHE UND STÄDTISCHE GEBIETE IM GANZEN LAND IN GRUPPEN UNTERSCHIEDLICHER GRÖSSE INFILTRIEREN. WENN SIE SIE IN IHRER GEGEND NOCH NICHT BEMERKT HABEN SOLLTEN... DANN LASSEN SIE BITTE JEDE NUR MÖGLICHE VORSICHT WALTEN. SIE KÖNNEN ZU JEDER ZEIT UND AN JEDEM ORT OHNE VORWARNUNG ANGEGRIFFEN WERDEN. WIR WIEDERHOLEN JETZT DIE WICHTIGSTEN INFORMATIONEN UNSERER VORANGEGANGENEN BERICHTE: ES GIBT EINE AGGRESSIVE GRUPPE... EINE ARMEE... VON UNERKLÄRLICHEN, NICHT IDENTIFIZIERTEN... MENSCHLICHEN WESEN... DIE AUF DER... GANZEN WELT AUFGETAUCHT SIND... UND DIESE WESEN SIND EXTREM AGGRESSIV... IRRATIONAL IN IHRER GEWALTTÄTIGKEIT. DIE ZIVILE VERTEIDIGUNG TUT, WAS IHR MÖGLICH IST, UND UNTERSUCHUNGEN IN BEZUG AUF DIE HERKUNFT UND DAS ZIEL DER WESEN WERDEN DURCHGEFÜHRT. ALLE PERSONEN WERDEN AUFGEFORDERT, ÄUSSERSTE VORSICHT
GEGENÜBER DIESER... HEIMTÜCKISCHEN... FREMDEN... ARMEE ZU ÜBEN. WAS DIE KÖRPERKRAFT ANBELANGT, SO SIND DIESE WESEN SCHWACH, UND DURCH IHRE DEFORMIERTE ERSCHEINUNG KANN MAN SIE LEICHT VON MENSCHEN UNTERSCHEIDEN. NORMALERWEISE SIND SIE NICHT BEWAFFNET, ABER SIE SCHEINEN IMSTANDE ZU SEIN, WAFFEN ZU BENUTZEN. SIE VERHALTEN SICH NICHT WIE EINE NORMALE ARMEE, HABEN ANSCHEINEND KEINEN PLAN UND KEIN ZIEL... IN DER TAT, SIE SCHEINEN VON DEN ZWÄNGEN EINES KRANKHAFTEN... ODER... ODER BESESSENEN VERSTANDES GELENKT ZU SEIN. ANSCHEINEND DENKEN SIE NICHT. SIE KÖNNEN... ICH WIEDERHOLE: SIE KÖNNEN AUSSER GEFECHT GESETZT WERDEN, UND ZWAR DURCH BLENDEN ODER ZERSPLITTERUNG. IM NORMALFALL SIND SIE SCHWÄCHER ALS EIN DURCHSCHNITTLICHER ERWACHSENER, ABER IHRE STÄRKE RESULTIERT AUS IHRER ZAHLENMÄSSIGEN ÜBERLEGENHEIT. MIT NORMALEM VERSTAND KOMMT MAN IHNEN NICHT BEI. ANSCHEINEND HANDELT ES SICH BEI IHNEN UM IRRATIONALE, UNKOMMUNIKATIVE WESEN... UND MAN MUSS SIE DEFINITIV ALS UNSERE FEINDE ANSEHEN. WIR HABEN EINEN NATIONALEN AUSNAHMEZUSTAND. WENN IHNEN DIESE WESEN BEGEGNEN, DANN MÜSSEN SIE IHNEN SOFORT AUS DEM WEG GEHEN ODER SIE VERNICHTEN. LASSEN SIE ES UNTER KEINEN UMSTÄNDEN ZU, DASS SIE ODER MITGLIEDER IHRER FAMILIE ALLEIN ODER UNGESCHÜTZT SIND, WÄHREND DIESE BEDROHUNG ANDAUERT. BEI DIESEN WESEN HANDELT ES SICH UM FLEISCHFRESSER. SIE SIND GIERIG AUF DAS FLEISCH VON MENSCHEN. DAHER TÖTEN SIE SIE. IHRE HAUPTCHARAKTEREIGENSCHAFT IST ES, DASS SIE
EIN ABSOLUTES, KRANKES VERLANGEN NACH MENSCHENFLEISCH HABEN. ICH WIEDERHOLE: DIESE FREMDEN WESEN FRESSEN DAS FLEISCH IHRER OPFER...«
An dieser Stelle der Nachricht sprang Barbara auf einmal wild schreiend hysterisch von der Couch, als ob die Worte des Kommentators schließlich doch noch durch ihre Benommenheit gedrungen wären und ihr Gehirn gezwungen hätten, endlich zu erkennen, was mit ihrem Bruder geschehen war. Sie konnte wieder hören, wie sein Fleisch riß, und sie konnte wieder das entsetzliche Wesen sehen, das ihn getötet hatte. Mit ihrem Schreien versuchte sie, diese Bilder auszulöschen, während sie jetzt durch das Zimmer sprang und ihren Körper gegen die Eingangstür warf.
Beunruhigt schulterte Ben sein Gewehr und sprang die Treppe hinunter. Barbara zog an der Barrikade und versuchte, aus dem Haus auszubrechen. Sie schluchzte voll wilder Verzweiflung. Ben eilte zu ihr hinüber, aber sie entwischte ihm und rannte durch das Zimmer - auf die aufgetürmten Möbel zu, die vor jener Tür am Eßplatz standen, die verschlossen war.
Plötzlich flog diese Tür auf, und aus dem Möbelhaufen griffen starke Hände nach Barbara. Sie schrie voller Angst auf, während Ben losrannte und den Kolben seines Gewehrs schwenkte.
Wer auch immer Barbara festgehalten hatte, er ließ sie los und duckte sich. Der Gewehrkolben verfehlte sein Ziel und krachte gegen ein Möbelstück. Ben zog hastig die Waffe hoch und hätte beinah abgedrückt.
»Nein! Schießen Sie nicht!« rief eine Stimme, und Ben konnte gerade noch innehalten.
»Wir sind aus der Stadt... wir sind nicht...«, sagte der Mann.
»Wir gehören nicht zu diesen Zombies!« meldete sich eine zweite Stimme, und Ben sah, wie ein Mann aus der Tür hervortrat. Er hatte die ganze Zeit geglaubt, daß die Tür abgeschlossen sei.
Der Mann, der sich hinter den Möbeln versteckt hatte, stand langsam auf, als ob er immer noch fürchtete, daß Ben auf ihn schießen könnte. Es war kein ausgewachsener Mann. Es war ein Junge, vielleicht sechzehn Jahre alt, in Blue jeans und einer Jeansjacke. Der Mann hinter ihm war ungefähr vierzig Jahre alt und kahlköpfig. Er trug ein weißes Hemd und eine Krawatte, deren Knoten er gelockert hatte. In den Händen hielt er ein dickes Rohr.
»Wir gehören nicht zu diesen Zombies«, wiederholte der kahlköpfige Mann. »Wir stecken in derselben Klemme wie Sie.«
Barbara hatte sich auf die Couch geworfen und schluchzte krampfhaft auf. Die drei Männer warfen ihr einen Blick zu, als seien sie alle drei nur ihretwegen da und als könnte sie jeden einzelnen von ihnen von den guten Absichten des anderen überzeugen. Schließlich lief der Junge zu ihr hinüber und sah ihr voller Sympathie ins Gesicht.
Ben starrte nur reglos zu Boden. Die Gegenwart der Fremden verblüffte ihn.
Die Radiostimme sprudelte unablässig weitere Informationen über den Notstand heraus.
Der glatzköpfige Mann machte nervös ein paar Schritte zurück, behielt aber die ganze Zeit über Bens Gewehr im Auge. Dann kniete er sich neben das Radio, wobei er immer noch das Rohr umklammerte, und hörte aufmerksam zu.
»... SPORADISCHE BERICHTE, SOWEIT INFORMATIONEN IN DER REDAKTION EINTREFFEN, ALS AUCH INFORMATIONEN, DIE DAS ÜBERLEBEN BETREFFEN, UND EINE NENNUNG DER ROTKREUZTREFFPUNKTE, WO SO OFT WIE MÖGLICH LEUTE ABGEHOLT WERDEN. DORT STEHEN GERÄTE UND HELFER ZUR VERFÜGUNG...«
Ben stand ganz still und musterte die beiden Neuankömmlinge. Ungewollt sah es so aus, als lehnte er sie ab, als seien die beiden Eindringlinge in einer kleinen privaten Festung. Ihre Anwesenheit störte ihn jedoch nicht, obwohl er sauer darüber war, daß sie die ganze Zeit über im Haus gewesen waren, ohne herauszukommen und ihm oder Barbara zu helfen. Er war sich nicht klar darüber, warum sie ausgerechnet jetzt aufgetaucht waren, und er wußte nicht, wieweit er ihnen trauen konnte.
Der kahlköpfige Mann wandte sich vom Radio ab. »Es gibt keinen Grund, uns so anzustieren«, sagte er zu Ben. »Wir sind nicht tot wie diese Wesen dort draußen. Ich heiße Harry Cooper. Der Junge da ist Tom. Wir haben uns im Keller versteckt.«
»Mann, ich hätte etwas Hilfe gebrauchen können«, sagte Ben. Es fiel ihm schwer, seine Verärgerung zu unterdrücken. »Wie lange steckt ihr Typen denn schon dort unten?«
»Das ist der Keller. Es ist der sicherste Ort«, sagte Harry Cooper in einem Tonfall, der ganz klar besagte, daß jeder, der sich in solch einem Notfall nicht im Keller versteckte, ein Idiot sein mußte.
Der Junge, Tom, erhob sich vom Sofa, wo er versucht hatte, Barbara zu beruhigen. Er trat zu den beiden Männern, um sich an dem Gespräch zu beteiligen.
»Sieht eigentlich so aus, als ob Sie hier oben alles ziemlich sicher gemacht haben«, sagte Tom zu Ben. Seine Stimme klang freundlich.
Doch Ben fiel über ihn her.
»Mann, wollen Sie etwa sagen, daß Sie den Krach nicht gehört haben, den wir hier oben gemacht haben?«
Cooper stand auf. »Woher sollen wir denn wissen, was hier vorgeht?« verteidigte er sich und den Jungen. »Nach allem, was wir wußten, hätte es ja auch eine dieser Kreaturen sein können, die einzudringen versuchte.«
»Das Mädchen hat doch geschrien«, erwiderte Ben wütend. »Sie müssen doch eigentlich wissen, wie es sich anhört, wenn -ein Mädchen schreit. Diese Zombies können solche Geräusche jedenfalls nicht produzieren. Jeder anständige Mensch hätte gewußt, daß hier oben jemand ist, der Hilfe nötig hat.«
Tom sagte: »Von dort unten kann man wirklich nicht genau sagen, was hier oben passiert. Die Wände sind dick. Man kann nichts hören.«
»Wir dachten zwar, daß wir Schreie gehört hätten«, fügte Cooper hinzu. »Aber das hätte auch heißen können, daß diese Dinger im Haus sind und es auf irgend jemand abgesehen haben.«
»Und Sie wären nicht hochgekommen, um zu helfen?« Voller Abscheu wandte Ben sich von den beiden ab.
Der Junge schien sich zu schämen, aber Cooper berührte Bens Beschuldigung überhaupt nicht. Wahrscheinlich war er schon sein ganzes Leben daran gewöhnt, für seine Feigheit kritisiert zu werden.
»Tja... ich... wenn... wir mehr gewesen wären...«, sagte der Junge. Aber er wandte sich ab, denn er brachte es nicht über sich, dieses Argument weiter auszuführen.
Doch Cooper war hartnäckiger.
»Dem Krach nach zu urteilen, konnte man davon ausgehen, daß das Haus in seine Einzelteile zerlegt wird. Wie hätten wir denn -«
Ben schnitt ihm das Wort ab.
»Gerade eben haben Sie gesagt, daß es schwierig gewesen sei, dort unten was zu hören. Und jetzt sagen Sie, es hätte sich so angehört, als ob das Haus zu Kleinholz gemacht würde. Es wäre besser, wenn Sie sich auf eine Geschichte beschränken, Mister.«
Cooper explodierte.
»Scheiße! Das muß ich mir von Ihnen nicht sagen lassen. Ihre
Beleidigungen können Sie für sich behalten. Wir haben in diesem Keller einen sicheren Ort gefunden. Und weder Sie noch sonst jemand kann von mir verlangen, daß ich mein Leben riskiere, wenn ich an einem wirklich sicheren Ort bin.«
»Schon gut... warum lassen wir -«, begann Tom. Aber Cooper ließ nicht zu, daß der Junge weitersprach, sondern fuhr entschlossen fort, seinen eigenen Standpunkt auszuführen.
»In Ordnung. Wir sind nach oben gekommen. Okay? Wir sind ja hier. Ich schlage vor, daß wir jetzt alle nach unten gehen, bevor einer dieser Zombies herausfindet, daß wir hier drinnen sind.«
»Sie können hier nicht eindringen«, sagte Ben, als ob das hundertprozentig sicher sei. Insgeheim plagten ihn zwar Unmengen von Zweifeln, aber er hatte nicht das Bedürfnis, sich mit diesen Fremden darüber zu unterhalten, von denen der eine, soweit er sehen konnte, noch ein Junge war und der andere ein Feigling.
»Sie haben das ganze Haus verbarrikadiert?« fragte Tom. Er war noch ein bißchen skeptisch, aber er war bereit, seine Skepsis zugunsten eines gemeinsamen Vorgehens aufzugeben.
»Den größten Teil«, antwortete Ben, der sich bemühte, seine Stimme ruhig und überlegt klingen zu lassen. »Nur den oberen Stock noch nicht. An einigen Stellen gibt es noch Lücken, aber es wird keine Schwierigkeit sein, es richtig dicht zu kriegen. Ich habe das Material, und ich -«
Cooper unterbrach ihn. Seine Stimme hatte wieder einen schrillen Unterton.
»Sie sind verrückt! Sie können hier oben doch nicht alles sichern. Der Keller ist der ungefährlichste Platz in diesem verdammten Haus!«
»Ich sage Ihnen, daß sie gar nicht erst hereinkommen können«, brüllte Ben ihn an.
»Und ich sage Ihnen, daß diese Zombies unseren Wagen auf den Kopf gestellt haben! Wir hatten verdammtes Glück, daß wir heil davongekommen sind - und jetzt versuchen Sie mir weiszumachen, daß sie solch eine lausige Holzhütte nicht auseinandernehmen können?«
Ben stierte ihn einen Augenblick lang an. Er wußte nicht, was er darauf sagen sollte. Aber er konnte es nicht ertragen, daß jemand wie Cooper, der offensichtlich ein Feigling war, ihm sagen wollte, was er zu tun hatte. Ben wußte, daß es ihm bisher immer gelungen war, ganz gut durchzukommen, und er wollte sein Schicksal jetzt nicht einem Mann anvertrauen, der in einem Notfall in Panik geraten oder weglaufen konnte.
Tom nutzte den Augenblick des Schweigens, um eine weitere Sache zu erwähnen, von der er hoffte, daß sie Ben beruhigen und den Streit zwischen ihm und Cooper beenden würde.
»Harrys Frau und sein Kind sind unten. Das Kind ist verletzt, ziemlich schlimm sogar, und Harry möchte sie nicht irgendwo lassen, wo sie einem weiteren Angriff dieser verfluchten Kreaturen ausgesetzt sein könnten.«
Diese Wendung überraschte Ben. Er wurde etwas nachgiebiger, und sein Atem beruhigte sich. Ziemlich lange hatte niemand etwas zu sagen, bis er schließlich schluckte und noch mal seinen Standpunkt darlegte.
»Nun... ich... ich glaube einfach, wir sind hier oben besser bedient.«
Tom warf einen Blick auf die Barrikaden und sagte dann: »Wir könnten das Zeug hier doch verstärken, Mister Cooper.« Und er warf dem kahlköpfigen Mann einen bittenden Blick zu. Mit Blicken drängte er ihn, zumindest ein wenig mit Ben zu kooperieren, so daß sie alle etwas sicherer waren und das Beste aus der Situation machen konnten.
Ben fuhr fort, die wichtigen Punkte anzuführen, die seinen Standpunkt untermauerten: »Wenn wir alle was tun, dann können wir das Haus so hinkriegen, daß die nicht eindringen können. Und wir haben Lebensmittel. Den Herd. Den Kühlschrank. Ein warmes Feuer. Und wir haben das Radio.«
Cooper warf ihm nur einen finsteren Blick zu. Er stand wieder kurz vor einem Wutausbruch. »Mann, Sie sind verrückt. Alles, was hier oben ist, können wir hinunterschaffen. Hier oben gibt's eine Million Fenster. All diese Fenster - wollen Sie die etwa soweit verbarrikadieren, daß diese Zombies wirklich draußen bleiben?«
»Diese Dinger haben keine Kraft«, sagte Ben. Es gelang ihm, seine Wut zu kontrollieren. »Drei von ihnen habe ich fertiggemacht, und den vierten habe ich zur Tür rausgeschubst.«
»Und ich sage Ihnen, sie haben unseren Wagen auf den Kopf gestellt!« fauchte Cooper.
»Ach, zum Teufel, das kann man zu fünft doch immer«, sagte Ben.
»Genau davon spreche ich ja! Nur werden es nicht nur fünf sein, es werden zwanzig sein... dreißig... vielleicht sogar hundert von diesen Kreaturen! Wenn sie erst einmal wissen, daß wir hier drin sind, dann wird das Haus von ihnen überquellen!«
Ruhig antwortete Ben: »Also, wenn es so viele sind, dann werden sie uns sowieso kriegen, egal, wo wir sind.«
»Wir haben die Kellertür so hergerichtet, daß man sie abschließen und von innen verrammeln kann«, sagte Tom. »Sie ist wirklich schwer. Ich glaube nicht, daß irgend etwas da durchkommt.«
»Und es gibt nur diese eine Tür, die wir sichern müssen«, fügte Cooper mit leicht hysterischer Stimme hinzu. »Aber all diese Türen und Fenster... Gott, man kann doch nie wissen, wo sie als nächstes zuschlagen werden.«
»Aber der Keller hat tatsächlich einen gewaltigen Nachteil«, warf Tom ein. »Es gibt keine Fluchtmöglichkeit. Ich meine, falls sie je reinkommen sollten. Es gibt keinen zweiten Ausgang. Dann wären wir geliefert.«
Der Kahlköpfige stierte den Jungen mit weit geöffnetem Mund an. Er konnte es nicht fassen, daß Tom aus irgendeinem Grund die Abgeschiedenheit des Kellers in Frage stellte. Er selbst wollte jedenfalls um jeden Preis dortbleiben. Vielleicht glaubte er, daß er nur dort sicher sein konnte - wie eine Ratte in ihrer Höhle.
»Ich meine, wir sollten das ganze Haus in eine Festung umwandeln, so gut wir können - und den Keller als eine Art Stützpunkt ansehen, als letzten Zufluchtsort«, sagte Ben entschieden. »Auf diese Weise können wir in den Keller flüchten, wenn alles andere versagt hat. Wir können aber auch so lange wie möglich mitkriegen, was dort draußen los ist.«
»Das macht Sinn«, sagte Tom. »Ich weiß nicht, Mister Cooper. Ich denke, er hat recht. Ich glaube, wir sollten hier oben bleiben.«
»Der obere Stock ist genauso eine Falle wie der Keller«, erklärte Ben. »Dort oben gibt es drei Zimmer, die verbarrikadiert werden müssen. Aber diese Zombies sind schwach. Wir können sie draußen halten. Ich habe jetzt dieses Gewehr. Vorhin hatte ich es noch nicht, und es ist mir trotzdem gelungen, drei von ihnen fertigzumachen. Na ja... vielleicht müssen wir ja versuchen, hier allein rauszukommen, denn es gibt keine Garantie, daß uns jemand Hilfe schickt... und vielleicht weiß ja niemand, daß wir hier drinnen sind. Sollte dennoch jemand kommen und uns helfen und dieses Haus ist voll mit diesen Zombies, dann müßten wir Angst haben, die Kellertür aufzumachen und den Rettungstrupp wissen zu lassen, daß wir hier drinnen sind.«
»Wie viele von diesen Dingern sind jetzt dort draußen?« fragte Tom.
»Ich glaube sechs oder sieben«, antwortete Ben. »Ich bin mir
aber nicht ganz sicher, wegen der Dunkelheit und den Bäumen.«
»Hören Sie, Sie beide können tun und lassen, was Sie wollen«, sagte Cooper mürrisch. »Ich jedenfalls werde in den Keller zurückgehen, und es ist besser, wenn Sie sich jetzt entscheiden - denn ich werde diese Tür da verriegeln und nicht so dumm sein, sie wieder zu öffnen, ganz egal, was auch passieren mag.«
»Warten Sie eine Minute!« rief Tom aus. »Lassen Sie uns doch noch eine Minute darüber nachdenken, Mister Cooper -unser aller Leben hängt doch davon ab, was wir jetzt beschließen.«
»Nee. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Treffen Sie Ihre. Und ihr könnt in eurem eigenen Saft schmoren, wenn ihr euch dazu entschließt, hier oben zu bleiben.«
Hektisch und verzweifelt fing Tom an, mit ihm zu diskutieren. »Jetzt warten Sie doch eine Minute, verflucht noch mal, lassen Sie uns nur kurz nachdenken - wir können in den Keller flüchten, falls das nötig sein sollte. Falls wir wirklich beschließen sollten, dort unten zu bleiben, werden wir doch auch ein paar Sachen von oben brauchen. Kommen Sie, lassen Sie uns wenigstens kurz darüber nachdenken -«
Ben fügte hinzu: »Mann, wenn Sie sich in diesem Keller einschließen und wenn dann eine Menge von diesen Zombies in das Haus gelangen sollte, dann sind Sie am Ende. Hier oben können Sie wenigstens noch versuchen abzuhauen - Sie sind ihnen doch schon einmal entwischt, sonst wären Sie ja nicht hier.«
Verstört und immer noch unentschlossen marschierte Tom zu einem der Fenster und spähte durch die Barrikade.
»Ja, sieht nach sechs aus - oder vielleicht sind es gar acht«, sagte er. In seiner Stimme spiegelte sich wachsende Angst wider, nachdem er die Köpfe gezählt hatte.
»Dann sind es noch mehr geworden«, gestand Ben ein.
»Hinten sind auch ein paar - es sei denn, sie wären nach vorn zu den anderen gelaufen.«
Er hastete in die Küche, wobei ihm das geschulterte Gewehr herunterrutschte und zu Boden zu fallen drohte. Schnell wirbelte er herum, damit das nicht passierte, und versuchte, es zu halten, indem er mit der Hand auf den Rücken fuhr. Da er seine ganze Aufmerksamkeit der Waffe widmete, achtete er nicht auf die Fenster, auf die er zulief. Aber nachdem er die Waffe wieder richtig geschultert hatte, sah er hoch - und blieb wie angewurzelt stehen. Hände drängten sich durch die zerbrochenen Glasscheiben hinter den Barrikaden, graue, verwesende Hände, die kratzten, sich streckten und etwas zu greifen versuchten - und durch die Lücken konnte er die unmenschlichen Fratzen sehen, die zu diesen Händen gehörten. An den Brettern wurde gezerrt, daran bestand kein Zweifel, aber sie schienen dennoch zu halten.
Ben schlug mit dem Gewehrkolben auf die widerwärtigen Extremitäten ein. Einmal, Zweimal. Der Gewehrkolben donnerte auf die verwesenden Hände... drängte eine zurück. Das schon geborstene Glas zersplitterte noch mal. Der Gewehrkolben schlug noch eine Hand von dem Fensterbrett zurück - aber sie war offensichtlich schmerzunempfindlich und suchte weiter nach einem Halt.
Ben legte den Finger auf den Abzugshahn und drehte das Gewehr um. Dann steckte er den Lauf durch die zerbrochene Fensterscheibe. Zwei graue Hände legten sich um das Metall. Ein totes Gesicht tauchte hinter den Händen auf... häßlich... ausdruckslos... fauliges Fleisch hing von den Knochen. Ben spähte durch eine Lücke in der Barrikade und blickte direkt in die toten Augen dahinter. Er versuchte verzweifelt, wieder die Kontrolle über das Gewehr zu erlangen, und der Zombie draußen hätte es ihm beinahe entrissen, weil er am Gewehrlauf zog. Für den Bruchteil einer Sekunde zeigte der Lauf direkt auf das unheimliche Gesicht, dann... WUMM! Der Schuß tobte durch die Nacht, und das tote Ding wurde zurückgeworfen, von der Explosion zurückgeschleudert. Das Gesicht wurde teilweise weggerissen, die immer noch ausgestreckten Hände verschwanden, und der Körper des Zombies fiel in sich zusammen.
Die anderen Hände grapschten und suchten immer noch.
Tom war in die Küche gekommen und stand jetzt hinter Ben. Harry stand - vorsichtig wie immer - ein paar Schritte vor der Tür. Aus der Ferne drang eine Stimme zu ihnen, die Stimme von Harrys Frau. Helen war noch im Keller und schrie zu ihnen hoch.
»Harry! Harry! Harry! Bist du in Ordnung?«
»Es ist alles in Ordnung, Helen. Wir sind okay!« rief Cooper mit einer Stimme, deren Beben seine Furcht und Ängstlichkeit verriet und nicht gerade viel dazu beitragen konnte, seine Frau zu beruhigen.
Tom eilte Ben eilig zu Hilfe. Der große Mann schlug jetzt auf eine tote Hand ein, die versuchte, die Barrikade von unten her zu lockern. Die Schläge mit dem Gewehrkolben schienen keine Wirkung zu zeigen, da die Hand offensichtlich gegen Schmerzen unempfindlich war. Sie bewegte sich immer noch. Tom sprang gegen das verbarrikadierte Fenster, riß mit beiden Händen an dem verwesenden Handgelenk und versuchte, es so weit nach hinten zu biegen, bis es brach, aber es war schlaff und ungeheuer biegsam. Ekel zeichnete sich auf dem Gesicht des Jungen ab. Er versuchte, das kalte Ding in die Glasscherben zu drücken, und mußte entsetzt feststellen, daß nirgends Blut zu sehen war, als die scharfen Kanten der Glasscherben in das verrottende Fleisch drangen. Plötzlich griff eine andere Hand nach Toms Gelenk und setzte alles daran, es durch das zerbrochene Fensterglas zu ziehen. Tom schrie auf, und Ben hieb mit dem Gewehrkolben auf den Zombie ein, der mit Tom kämpfte. Aber dann erwischte auch ihn eine Hand, während er versuchte, dem Jungen zu helfen - die Hand zerrte und riß an seinem Hemd, aber es gelang ihm freizukommen. Sofort trat er kurz zurück und zielte mit seinem Gewehr. Wieder eine laute Explosion, und die Hände, gegen die Tom sich zur Wehr setzen mußte, verschwanden in der Dunkelheit. Ziemlich verstört spähte Tom einfach nur durch ein Loch in der Fensterscheibe hinter der Barrikade. Sorgfältig zielte Ben noch mal und drückte auf den Abzugshahn. Die Kugel riß dem Zombie den Brustkorb auf. Ein großes, tiefes Loch war zu sehen, aber die Kreatur konnte sich weiter auf den Füßen halten und zog sich langsam zurück.
»Oh, gütiger Gott!« stieß Tom hervor. Daß das Gewehr versagt hatte, erschreckte ihn zutiefst. Das tote Wesen erholte sich schnell und bewegte sich wieder auf das Haus zu. Die Tatsache, daß die Hälfte seines Oberkörpers fortgerissen war, schien ihm nichts auszumachen.
Ben legte seine Waffe an und schoß noch einmal - wieder eine laute Explosion. Diesmal drang die Kugel in den Schenkel des Zombies, direkt unter dem Becken. Der Untote versuchte, zurückzuweichen, aber als er sein Gewicht auf das andere Bein verlagerte, fiel er um. Ben und Tom verfolgten die Bewegungen des Zombies ungläubig. Das Ding entfernte sich trotz allem vom Haus, zog sich mit den Armen vorwärts und schob mit dem einen gesunden Bein nach.
»Mutter Gottes! Was für Dinger sind denn das?«
Tom ließ sich gegen die Wand fallen. Auf einmal bemerkte er Harry und erkannte feige Angst, die sich auf dem Gesicht des Kahlköpfigen widerspiegelte. Sie war unübersehbar.
Ben fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, atmete tief ein und hielt dann den Atem an. Noch einmal visierte er den Zombie an. Er drückte ab. Die Kugel schien dem kriechenden Wesen den Schädel aufzureißen. Endlich sackte er zu Boden.
»Verfluchte... verfluchte Kreatur der Hölle!«
Bens Stimme zitterte, als er den Atem ausstieß, den er angehalten hatte.
Der andere Zombie, der draußen zu Boden gegangen war, krabbelte blind weiter, krallte die Hände in den Rasen und versuchte offensichtlich wegzukriechen.
Aus dem Keller drang wieder die Stimme von Coopers Frau: »Harry! Harry!«
Nach einem kurzen Augenblick der Stille wandte Ben sich von dem verbarrikadierten Fenster mit der kaputten Scheibe ab. »Wir müssen das Haus hier stärker verrammeln«, sagte er und fing sofort atemlos an zu arbeiten. Doch dann meldete Harry sich zu Wort:
»Sie sind verrückt! Diese Zombies werden bald an jedem Fenster und jeder Tür in diesem Haus sein! Wir müssen in den Keller!«
Ben wandte sich zu Harry um und schaute ihn an. In seinen Augen spiegelte sich unbändige Wut. Durch seine Verärgerung klang seine Stimme bissiger, tiefer und befehlend.
»Dann gehen Sie doch in Ihren gottverdammten Keller! Machen Sie, daß Sie von hier verschwinden!«
Bens erhobene Stimme hielt Harry kurz zurück, aber dann kam wieder seine unnachgiebige Haltung durch. Er hatte einen Entschluß gefaßt; er wußte, er würde selbst dann in den Keller zurückgehen, wenn die anderen nicht mitkamen, und es war besser, wenn er alles mitnahm, was sie ihm ohne Diskussion überließen. Er hoffte, daß er im Durcheinander des Augenblicks vielleicht viele Dinge mitnehmen konnte, ohne sich um sie streiten zu müssen. Er ging entschlossen auf den Kühlschrank zu, aber Ben kam ihm sofort in die Quere.
»Finger weg von diesen Lebensmitteln«, warnte er ihn.
Dabei umklammerte Ben das Gewehr, und obwohl er damit nicht auf Harry zielte, war der sich doch darüber im klaren,
welche Macht der andere damit in der Hand hielt.
Harry ließ den Griff der Kühlschranktür wieder los.
»Tja, wenn ich hier oben bleibe«, sagte Ben, »dann werde ich auch um alles kämpfen, was hier oben ist. Das heißt, ich kämpfe um diese Lebensmittel, um das Radio und um alles andere. Und Sie liegen ganz falsch - verstehen Sie mich? Aber wenn Sie unbedingt in diesen Keller wollen, dann setzen Sie jetzt Ihren Arsch in Bewegung - gehen Sie nach unten, und verschwinden Sie von hier, Mann, und kommen Sie mir ja nicht wieder in die Quere.«
Harry wandte sich an Tom.
»Dieser Mann ist wahnsinnig, Tom! Er ist verrückt! Wir müssen dort unten was zu essen haben! Wir haben ein Recht darauf!«
Im nächsten Augenblick stellte Ben jedoch auch Tom vor die Wahl. »Gehen Sie mit ihm nach unten? Kein Herumlavieren mehr. Gehen Sie oder gehen Sie nicht? Das ist Ihre letzte Chance.«
Nach längerem Schweigen drehte Tom sich um und warf Harry einen Blick zu, mit dem er um Entschuldigung bat, daß er sich Bens Auffassung angeschlossen hatte.
»Harry... ich glaube, er hat recht...«
»Du bist verrückt.«
»Ich glaube wirklich, daß wir hier oben besser dran sind.«
»Du bist verrückt. Ich habe dort unten ein Kind. Die Kleine könnte den ganzen Tumult hier oben nicht ertragen und auch diese Dinger da nicht, die ihre Hände durch das Glas strecken. Wir können schon froh sein, daß sie überhaupt noch am Leben ist.«
»In Ordnung«, sagte Ben. »Sie sind der Vater des Mädchens. Wenn Sie so blöde sind und dort unten in dieser Falle verrecken wollen, dann ist das Ihre Angelegenheit. Aber ich bin nicht so blöde, mit Ihnen zu gehen. Das Mädchen hat wirklich Pech, daß ihr Vater so dumm ist. Jetzt verschwinden Sie aber verdammt noch mal im Keller. Dort unten sind Sie der Chef. Hier oben bin ich der Boß. Und Sie nehmen nichts von diesen Lebensmitteln mit, und Sie fassen nichts an, was hier oben ist.«
»Harry, wir können Ihnen ja Essen bringen«, sagte Tom, »wenn Sie dort unten bleiben wollen und...«
»Ihr Hurensöhne!« sagte Harry. Aus dem Keller schrie seine Frau hoch: »Harry! Was ist denn los, Harry?«
Er ging auf die Kellertür zu, aber Tom hielt ihn noch einmal auf.
»Schicken Sie Judy hoch«, sagte er. »Sie wird hier oben bei mir sein wollen.«
Ben warf Tom einen Blick zu. Er war verblüfft. Niemand hatte ihm gesagt, daß noch jemand anderer außer Harrys Frau und Tochter dort unten war.
»Meine Freundin«, erklärte Tom. »Judy ist meine Freundin.«
»Sie hätten mir sagen sollen, daß sie dort unten ist«, sagte Ben.
Inzwischen hatte Harry auf dem Absatz kehrtgemacht und stapfte die Kellertreppe hinunter. Der Klang leichterer Schritte sagte ihnen, daß das Mädchen auf dem Weg nach oben war.
Judy umarmte Tom und warf Ben einen verlegenen Blick zu. Sie war ungefähr in Toms Alter und trug ähnliche Klamotten wie er, Blue jeans und eine Jeansjacke. Sie war ein hübsches blondes Mädchen, aber völlig verängstigt und würde wahrscheinlich - so vermutete Ben jedenfalls - genauso viele Probleme machen wie die andere. Zusammen mit Tom trat Judy vor die Kellertür. Sie konnten hören, wie Harry sie von innen verrammelte.
»Sie wissen, daß ich diese Türe nicht wieder öffnen werde!« brüllte Harry durch die Tür. »Das ist mein Ernst.«
»Wir können hier oben alles dicht machen«, rief Tom zurück. Er wollte noch nicht aufgeben. »Mit Ihrer Hilfe könnten wir -«
»Lassen Sie ihn«, sagte Ben. »Er hat sich entschieden. Und Sie sind besser dran, wenn Sie ihn einfach vergessen.«
»Hier oben sind wir besser dran!« brüllte Torn. »Es gibt einige Orte, zu denen wir uns von hier aus flüchten können!«
Von der Kellertür kam keine Antwort. Nur die Geräusche von Harrys Schritten, als er die Stufen hinunterpolterte.
Ben band die provisorische Kordel, die abgerissen war, wieder an das Gewehr, lud nach und ersetzte die verschossene Munition. Als es frisch geladen war, warf er es wieder über die Schulter, drehte sich dann um und wollte die Treppe hochsteigen. Als er an Barbara vorbeikam, warf er ihr einen Blick zu. Auf der Treppe machte er dann gleich wieder kehrt und schaute sie genauer an.
Das Radio wiederholte aufs neue die monotone aufgezeichnete Nachricht.
Tom hatte noch immer nicht aufgegeben und flehte Harry durch die verrammelte Kellertür an.
»Harry, wir wären viel besser dran, wenn wir zusammenarbeiten würden! Wir alle! Wir werden Ihnen was zu essen geben, wenn Sie es brauchen.« Schuldbewußt sah er Ben an, als erwartete er eine Rüge, weil er Harry Lebensmittel angeboten hatte. »Und wenn wir an die Tür klopfen, weil uns diese Zombies jagen, dann können Sie uns aufmachen.«
Immer noch keine Antwort von Harry.
Tom lauschte noch eine Weile und bewegte sich dann enttäuscht von der Tür fort. Er machte sich Sorgen wegen der Unstimmigkeiten, die aufgetaucht waren, denn er wußte, daß jeder von ihnen sehr stark auf den anderen angewiesen sein würde, wenn es zum Schlimmsten kommen sollte.
Judy saß still in einem Sessel und warf zu Tom einen besorgten Blick hoch, als er sich neben sie stellte und mit der Hand über ihre Wange strich.
Ben war bei Barbara und kniete neben ihr an der Couch. Sie stierte nach wie vor ins Leere. Das Mädchen tat ihm leid, und er fühlte sich immer noch hilflos, was sie anbelangte.
»Hallo... hallo, Schätzchen?«
Sie gab ihm keine Antwort. Er strich ihr das Haar aus den Augen. Sie zitterte. Für einen kurzen Moment hatte es beinah den Anschein, als ob sie seine Zärtlichkeit wahrnehme. Aber es war eine Täuschung. Ben war sehr traurig, fast so traurig, wie wenn eines seiner Kinder krank war. Er massierte seine Stirn und rieb sich die Augen. Die Angst und die Anstrengung der letzten Stunden hatten ihn ermüdet. Schließlich beugte er sich über das Mädchen und deckte es mit dem Mantel zu, den er aus der Abstellkammer mitgebracht hatte. Dann trat er von dem Sofa zurück, hievte einen schweren Holzscheit in das Kaminfeuer und stocherte darin herum, damit es weiterbrannte. Er wollte, daß Barbara es warm hatte. Hinter ihm näherte sich Tom. Ben spürte seine Anwesenheit und seine Besorgnis, was Harry Cooper betraf.
»Er hat unrecht«, sagte Ben entschieden.
Tom schwieg.
»Ich werde mich jedenfalls nicht dort unten einschließen«, fügte Ben hinzu. »Es kann gut sein, daß wir mehrere Tage hierbleiben müssen. Wir werden hier oben alles richtig dicht machen, und dann wird er sicher zu uns raufkommen. Er wird nicht lange dort unten bleiben. Er wird wissen wollen, was los ist. Falls wir eine Chance kriegen, von hier zu verschwinden, wird er sicher hochkommen und uns helfen. Ich habe draußen einen Transporter... aber ich brauche Benzin. Wenn ich zu diesen Benzinpumpen gelangen könnte... vielleicht hätten wir dann eine Chance, lebend davonzukommen.«
Damit wandte Ben sich um und stieg die Stufen hoch, um oben weiterzuarbeiten. Er ging davon aus, daß Tom willens und in der Lage war, unten die Stellung zu halten.