Sie trat so schnell und so leise wie möglich ein und schloß vorsichtig die Tür hinter sich. Dann verriegelte sie sie und tastete in der Dunkelheit nach einem Schlüssel. Ihre Hand fand ihn, und sie drehte ihn um. Das Drehen und Klicken des Schlosses war kaum zu hören. Erschöpft lehnte sie sich an die Tür und lauschte. Obwohl sie nun im Haus war, konnte sie die Schritte des Mannes wahrnehmen, der näher kam und sie suchte.
Ein Zittern lief durch ihren Körper, als sie in der Dunkelheit herumtastete und ihre Hand die kalte Platte eines elektrischen Ofens berührte. Die Küche. Sie war in der Küche des alten Hauses. Sie drückte auf einen Knopf, und die Bratröhrenbeleuchtung ging an. So war es hell genug, daß sie sich genau umsehen konnte, ohne ihren Verfolger mit der Nase darauf zu stoßen, wo sie war. Jedenfalls hoffte sie das. Mehrere Sekunden lang verhielt sie sich vollkommen ruhig und bewegte keinen einzigen Muskel. Dann erst war sie imstande, sich in Bewegung zu setzen. Sie durchquerte die Küche und trat in ein großes Wohnzimmer, in dem kein Licht brannte und tatsächlich niemand zu sein schien. Am liebsten hätte sie wieder um Hilfe gerufen, aber dann besann sie sich eines anderen. Sie hatte Angst, daß der Mann draußen sie hören konnte. Sie beschloß, wieder in die Küche zu gehen, durchsuchte hastig die Schubladen des Küchenschrankes und fand den Besteckkasten. Sie wählte ein großes Steakmesser aus, umklammerte es entschlossen und ging zurück zur Tür, um zu horchen. Alles war ruhig. Dann schlich sie wieder in das Wohnzimmer. Weiter hinten waren dicke Portieren zu erkennen, die den Vordereingang des Hauses verbargen. Barbara erschrak, geriet in Panik und hastete zur Vordertür, um nachzusehen, ob sie abgeschlossen war. Dann schob sie vorsichtig den Vorhang ein wenig beiseite, um einen Blick nach draußen zu werfen. Da war der riesige Garten zu sehen und das grasbewachsene Feld, über das sie gelaufen war, und die großen, schattenspendenden Bäume, Büsche, der Schuppen und die Benzinpumpen, die in Licht getaucht waren. Von ihrem Angreifer konnte Barbara jedoch nichts sehen und nichts hören.
Plötzlich drang von draußen ein Geräusch herein. Jemand rüttelte und klopfte an der Tür. Barbara ließ den Vorhangzipfel fallen und blieb erstarrt stehen. Noch mehr Geräusche. Sie eilte zu einem Seitenfenster. Sie bemerkte, wie der Mann auf der anderen Seite des Gartens an die Garagentür klopfte. Mit weit aufgerissenen Augen beobachtete sie ihn. Der Mann schlug immer heftiger auf die Tür ein, schaute sich dann um, hob einen Gegenstand auf und warf ihn dagegen. Angsterfüllt entfernte Barbara sich von dem Fenster und preßte sich ganz dicht an die Wand.
Ihr Blick fiel auf ein Telefon in einem Holzregal auf der gegenüberliegenden Zimmerseite. Sie eilte hinüber und hob den Hörer ab. Freizeichen. Gott sei Dank. Wie eine Wahnsinnige wählte sie die Vermittlung. Aber das Freizeichen verstummte. Tödliche Stille drang aus dem Hörer. Barbara drückte wieder und wieder auf die Tastatur, aber das Freizeichen kehrte nicht zurück. Nur tödliche Stille. Das Telefon funktionierte aus irgendeinem Grund nicht mehr. Das Radio. Das Telefon. Sie funktionierten nicht.
Barbara warf den Hörer auf die Gabel und eilte zu einem anderen Fenster. Eine Gestalt überquerte den Rasen und kam auf das Haus zugelaufen. Es schien jemand anders zu sein, ein anderer Mann. Ihr Herz machte aus Angst und Hoffnung einen Satz - denn sie wußte nicht, wer der neue Mann wohl war, und sie wagte nicht, ihn um Hilfe anzuflehen.
Sie rannte zur Tür hinüber und spähte wieder durch die Vorhänge. Sie wartete auf einen Hinweis, ob diese neue Person im Garten ein Freund oder Feind war. Wer auch immer er war, er hielt stetig auf das Haus zu. Plötzlich fiel ein Schatten auf das
Fenster links von der Tür, und Barbara war so erschrocken, daß sie zurücksprang.
Sie hob einen Zipfel des Fenstervorhangs hoch und sah den Rücken des ersten Angreifers. Der Mann war wenig mehr als drei Meter entfernt und hatte sein Gesicht dem Mann zugewandt, der jetzt schnell auf das Haus zugelaufen kam. Der Angreifer näherte sich dem anderen Mann.
Barbara hatte keine Ahnung, was in den nächsten Minuten passieren würde. Wieder stand sie wie erstarrt an die Tür gelehnt und sah auf das Messer - dann blickte sie erneut nach draußen zu den beiden Männern.
Die beiden trafen aufeinander. Sie sprachen aber anscheinend nicht miteinander. Da standen sie ganz reglos unter den düsteren Bäumen mit den tief herabhängenden Zweigen und stierten in Richtung Friedhof. Aus ihrem Versteck im Haus versuchte Barbara etwas zu erkennen. Sie kniff die Augen zusammen. Schließlich marschierte der Angreifer wieder zur Straße hinüber und lief in Richtung Friedhof. Der andere Mann hielt auf das Haus zu, blieb dann unbeweglich im Schatten eines Baumes stehen und beobachtete das Haus.
Barbara spähte in die Dunkelheit, aber sie konnte nur wenig erkennen. Dann rannte sie zum Telefon, nahm wieder den Hörer ab und hörte wieder nur tödliches Schweigen. Sie hatte alle Mühe, den Hörer nicht auf die Gabel zu knallen.
Plötzlich hörte sie in der Ferne ein Geräusch - einen Wagen, der näher kam. Sie huschte zum Fenster, schaute nach draußen und hielt vor Aufregung den Atem an. Die Straße schien leer zu sein. Aber kurz darauf war ein schwaches Licht zu erkennen, das auf und ab hüpfte und schnell näher kam - ein Wagen fuhr die Straße hoch. Barbara streckte die Hand nach dem Türknauf aus und öffnete ganz vorsichtig die Tür. Ein schmaler Lichtstreifen fiel auf den Rasen. Dort, unter dem großen, alten Baum, stand unverkennbar der zweite Mann. Barbara zitterte und erstickte beinah vor Angst, als sie überlegte, ob sie zu dem näher kommenden Wagen hinüberlaufen sollte. Der Mann unter dem Baum schien ziemlich regungslos dazusitzen, Kopf und Schultern eingezogen, doch sie war sich sicher, daß er das Haus unverwandt im Auge behielt.
Barbara ließ es zu, daß der Wagen vorbeifuhr, während sie nur die verhaßte Gestalt auf dem Rasen anstarrte. Dann schloß sie die Tür und zog sich in die Dunkelheit des Hauses zurück. Langsam kam ihr der Gedanke, daß der erste Angreifer möglicherweise losgegangen war, um Verstärkung zu holen. Sie würden dann als große Horde auftauchen, die Tür einschlagen, sie vergewaltigen und dann töten.
Voller Verzweiflung suchten ihre Augen die Umgebung ab. Der große, farblose Raum war totenstill und in dunkle Schatten getaucht. Zwischen dem Wohnzimmer und der Küche befand sich ein Flur. Dort führte auch eine Treppe empor. Verstohlen betrat sie den Korridor und tastete nach einem Lichtschalter. Die Lampe oben an der Treppe ging an, und sie stieg die Stufen hoch. Angstvoll klammerte sie sich dabei am Geländer fest. Verzagt wie sie war, hoffte sie dennoch, oben einen Platz zu finden, wo sie sich verstecken konnte. Das Mädchen bewegte sich auf Zehenspitzen vorwärts... ganz vorsichtig... und umklammerte den Griff des Messers. Doch dann, als Barbara oben angekommen war, schrie sie - einen ohrenbetäubenden Schrei, der so laut war, daß ihre Lungen schmerzten, und der im ganzen Haus widerhallte. Denn dort oben, auf dem Boden des Flurs im ersten Stock, im Lichtschein einer nackten Glühbirne, die von der Decke baumelte, lag eine Leiche. Fleischfetzen waren herausgerissen worden. Die Augenhöhlen waren leer, und die weißen Zähne und Wangenknochen lagen frei, waren nicht mehr von Haut bedeckt. Es sah so aus, als ob der Leichnam von Ratten angefressen worden wäre. Er lag in einer Pfütze aus Blut, die eingetrocknet war.
Barbara schrie vor Entsetzen immer weiter, ließ ihr Messer fallen und rannte stolpernd die Treppe hinunter. Das Mädchen hatte jetzt nur noch Flucht im Sinn. Es würgte sie, und sie mußte sich beinah übergeben. Ihr Verstand versagte. Sie fürchtete, wahnsinnig zu werden und wollte nur noch aus dem Haus fliehen. So jagte sie auf die Tür zu, schloß auf und stürzte in die Nacht hinaus. Über die Folgen ihrer Flucht machte sie sich keine Gedanken mehr.
Und plötzlich badete sie in einem Lichtschein, der sie fast erblinden ließ - und als sie die Arme hochriß, um sich zu schützen, hörte sie ein lautes Quietschen. Sie wollte fliehen, aber ein Mann sprang ihr in den Weg.
»Sind Sie eine von denen?« rief der Mann.
Sie starrte ihn nur regungslos an.
Der Mann, der vor ihr stand, war aus einem Kleintransporter gesprungen, mit dem er bis auf den Rasen gefahren war. Er hatte so stark bremsen müssen, daß er tiefe Spuren hinterließ. Die Scheinwerfer blendeten sie.
Barbara stierte ihn an, aber sie brachte immer noch kein Wort heraus.
»Sind Sie eine von ihnen?« brüllte er wieder. »Meiner Meinung nach sehen Sie aus wie eine von denen!«
Barbara schauderte es. Er hatte seine Arme hochgerissen, als wolle er jeden Moment auf sie einschlagen. Seine Gesichtszüge konnte sie jedoch nicht erkennen, denn die Scheinwerfer in seinem Rücken blendeten sie.
Hinter dem Fahrer des Kleintransporters machte der Mann unter dem Baum ein paar Schritte auf sie zu. Barbara entfuhr ein Schrei, und sie stolperte ein paar Schritte nach hinten. Der Fahrer drehte sich um und sah den Mann näher kommen - der jetzt stehenblieb und sie einfach nur beobachtete.
Schließlich packte der Fahrer Barbara und schob sie mit solcher Wucht in das Wohnzimmer, daß sie stürzte und er über sie stolperte. Sie schloß die Augen und bemühte sich, den nahenden Tod zu akzeptieren.
Aber er stand auf, knallte die Tür zu und schloß sie ab.
Dann hob er die Vorhänge hoch und spähte nach draußen. An ihr schien er nicht sonderlich interessiert zu sein, und so öffnete sie schließlich wieder die Augen und musterte ihn genauer.
In den Händen hielt er einen Kreuzschlüssel. Er war schwarz, vielleicht dreißig Jahre alt, trug Hosen und einen Pulli. Ihrem Angreifer ähnelte er überhaupt nicht. Sein Gesicht war hübsch und wirkte freundlich, obwohl er offensichtlich ziemlich angespannt war. Außerdem schien er mit seinen knapp zwei Metern ein starker Mann zu sein.
Barbara kam auf die Füße und starrte ihn unablässig an.
»Ist schon in Ordnung«, beruhigte er sie. »Ist schon in Ordnung. Ich bin keiner von diesen widerlichen Typen. Mein Name ist Ben. Ich werde Ihnen nicht weh tun.«
Sie sank in einen Sessel und fing leise an zu weinen. Unterdessen sah Ben sich um. Er betrat den angrenzenden Raum und kontrollierte die Schlösser an den Fenstern. Dann schaltete er eine Lampe ein, die auch funktionierte, schaltete sie aber gleich wieder aus.
Er rief Barbara von der Küche aus etwas zu.
»Haben Sie keine Angst vor dem fiesen Kerl da draußen! Mit dem werde ich schon fertig. Doch wahrscheinlich werden bald noch mehr von der Sorte eintrudeln, wenn sie herauskriegen, daß wir hier sind. Ich hab' kein Benzin mehr, und die Benzinpumpen hinten im Hof sind abgesperrt. Haben Sie den Schlüssel?«
Barbara antwortete nicht.
»Haben Sie den Schlüssel?« wiederholte Ben und versuchte, seine Verärgerung in den Griff zu kriegen.
Barbara sagte wieder nichts. Die Dinge, die sie während der letzten Stunden erlebt hatte, hatten sie dem Wahnsinn nahe gebracht.
Ben dachte, daß sie ihn vielleicht nicht verstehen könnte, daher kam er zu ihr ins Wohnzimmer hinüber und sprach sie direkt an.
»Ich sagte, die Benzinpumpen dort hinten sind abgeschlossen. Gibt es hier etwas zu essen? Ich werde uns etwas besorgen, dann können wir diesen Widerling dort draußen abhängen und versuchen, irgendwohin zu kommen, wo es Benzin gibt.«
Doch Barbara hatte nur die Hände aufs Gesicht geschlagen und weinte immer noch vor sich hin.
»Ich geh' mal davon aus, daß Sie schon zu telefonieren versucht haben«, sagte Ben, der mittlerweile jedoch keine Antworten mehr erwartete. Dennoch hob er den Hörer hoch und spielte an dem Apparat herum. Aber da auch er nur die tödliche Stille vernahm, knallte er den Hörer wieder auf die Gabel. Dann schaute er zu Barbara hinüber und sah, daß sie am ganzen Körper zitterte.
»Das Telefon funktioniert nicht«, sagte er. »Mit zwei Dosen und einer Schnur wären wir auch nicht schlechter bedient. Wohnen Sie hier?«
Sie blieb stumm. Ihre Augen waren auf den oberen Treppenabsatz gerichtet. Ben folgte ihrem Blick und fing an, die Stufen hochzusteigen, aber schon auf der Hälfte konnte er die Leiche sehen. Einen Augenblick lang starrte er sie an und kam dann langsam wieder ins Wohnzimmer hinunter.
Sein Blick fiel auf Barbara, und er erkannte, daß sie so zitterte, weil sie unter Schock stand, aber er konnte nichts anderes machen, als sich wieder zum Handeln zu zwingen.
»Wir müssen von hier verduften«, sagte er. »Wir müssen ein paar andere Leute finden - jemanden, der Waffen oder was Ähnliches hat.«
Er ging in die Küche und fing an, alles zu durchsuchen. Zuerst riß er den Kühlschrank und die Küchenschränke auf. Dann verstaute er Nahrungsmittel aus dem Kühlschrank in einer Einkaufstasche, aber weil er es eilig hatte, schleuderte er alles nur noch hinein.
Plötzlich schaute er auf und stellte überrascht fest, daß Barbara neben ihm stand.
»Was ist denn los?« fragte sie, doch sie flüsterte so leise, daß Ben ihre Worte kaum verstehen konnte. Sie stand einfach nur mit weit aufgerissenen Augen da, wie ein Kind, das auf eine Antwort wartet.
Erstaunt schaute er sie an.
»Was ist denn los?« wiederholte sie genauso leise und schüttelte den Kopf, erschreckt und verblüfft.
Doch plötzlich wurden sie beide durch einen gewaltigen Krach aufgeschreckt. Ben ließ die Lebensmittel fallen, schnappte seinen Kreuzschlüssel, rannte zur Vordertür und schaute durch die Vorhänge aus dem Fenster. Wieder krachte es laut. Der erste Angreifer war zu dem zweiten zurückgekehrt, der vor dem alten Kleintransporter stand, und die beiden hatten mit Steinen die Scheinwerfer zerstört.
»Jetzt sind es zwei«, murmelte Ben in sich hinein, und während er sie beobachtete, fingen die beiden Männer dort draußen an, mit ihren Steinen auf das Transportergehäuse einzuschlagen. Aber ihr Schlagen hatte augenscheinlich keinen bestimmten Zweck. Wahrscheinlich handelte es sich nur um sinnlose Zerstörungswut. Wenn man mal von den kaputten Scheinwerfern absah, konnten sie dem alten Transporter nicht viel anhaben.
Trotzdem drehte sich Ben auf einmal hastig um. Auf seinem Gesicht spiegelte sich Besorgnis wider.
»Die werden wohl den Motor fertigmachen wollen«, sagte er zu Barbara. »Wie viele von denen sind eigentlich dort draußen?
Wissen Sie das?«
Sie wich vor ihm zurück, aber er stürzte sich auf sie, packte sie an den Handgelenken und schüttelte sie. Er hoffte, daß sie endlich zu sich kommen würde.
»Wie viele? Nun los, ja - ich weiß, daß Sie Angst haben. Aber mit den beiden, die jetzt dort draußen sind, kann ich fertigwerden. Na, wie viele gibt es denn noch? Dieser Kleintransporter ist unsere einzige Chance, von hier wegzukommen. Wie viele? Wie viele?«
»Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht!« schrie sie. »Was ist denn los? Ich weiß gar nicht, was los ist!«
Und während sie versuchte, ihre Handgelenke loszureißen, brach sie in hysterisches Schluchzen aus.
Ben wandte sich von ihr ab und ging auf die Tür zu. Er hob den Vorhang hoch und schaute kurz nach draußen. Die beiden Angreifer schlugen immer noch auf den Transporter ein und versuchten wie die Wilden, ihn auseinanderzunehmen.
Ben riß die Tür auf, sprang von der Veranda herunter und ging ganz vorsichtig auf die beiden Männer zu. Als sie ihm ihre Gesichter zuwandten, überfiel ihn unsäglicher Ekel vor dem, was er in dem Lichtschein, der hinter ihm aus dem Wohnzimmer des alten Hauses fiel, erkennen konnte.
Die Gesichter der Angreifer waren die Gesichter von Menschen, die bereits tot waren. Das Fleisch auf ihren Gesichtern war in Verwesung übergegangen und wölbte sich an einigen Stellen. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen. Ihre Haut war blutleer und von durchscheinendem Weiß. Sie bewegten sich mühsam, als ob die Kraft, die sie wieder lebendig gemacht hatte, nicht ausgereicht hätte, damit sie ganz normal gehen konnten. Es waren grauenhafte, schaurige Wesen, und sie erschreckten Ben bis in die Tiefe seiner Seele. Mehr Angst zu empfinden als jetzt, wo er mit erhobenem Kreuzschlüssel auf sie zulief, war ihm sicher nie mehr möglich.
»Kommt, jetzt seid ihr dran. Kommt, jetzt kriegt ihr was drauf«, murmelte Ben in sich hinein, während er sich auf seinen Angriff konzentrierte. Zuerst bewegte er sich noch ziemlich langsam, doch dann rannte er fast los.
Aber die beiden flohen nicht vor ihm, sondern kamen statt dessen auf ihn zu, als ob sie von einem tiefverwurzelten Drang dazu getrieben würden. Ben schlug auf sie ein, schwenkte seinen Kreuzschlüssel immer wieder mit voller Wucht. Aber so gewalttätig seine Schläge auch waren, sie schienen kaum eine Wirkung zu haben. Weder konnte er sie aufhalten noch verletzen. Es war so, als klopfe man einen Teppich aus; jedesmal, wenn er sie etwas zurückgetrieben hatte, kamen sie wieder auf ihn zu. Der Kampf war gewalttätig und brutal. Aber schließlich gelang es Ben, sie zu Boden zu prügeln, und dann schlug er immer noch auf ihre Köpfe ein, auf ihre schlaffen Körper, die auf dem Rasen lagen, bis es ihm fast bei jedem Schlag das Herz zerriß. Aber dennoch schlug er immer wieder auf sie ein. Barbara stand die ganze Zeit über auf der Veranda und beobachtete den Kampf. Sie hatte immer noch einen Schock. Immer wieder ließ er den Kreuzschlüssel auf die Schädel der ausgestreckten Kreaturen krachen - Humanoide oder was immer sie auch sein mochten -, bis die schiere Brutalität seiner Schläge Barbara wie irrsinnig schreiend fliehen ließ. Sie schrie, hielt ihren Kopf und versuchte, die Augen zu bedecken. Ihre Stimme drang durch die Nacht, vermischte sich mit Bens Schluchzen und dem dumpfen Geräusch des Kreuzschlüssels, der auf die Schädel der Zombies traf.
Ben gelang es schließlich, sich zusammenzureißen, und er hielt inne. Schwer atmend stand er da, und die Stille der Nacht umgab ihn.
Das Mädchen, das nun auch still war, stand im Türrahmen und schaute ihn an - oder durch ihn hindurch. Er war sich nicht sicher, was es mit ihren Blicken auf sich hatte. Er drehte sich zu ihr um und wollte ein paar beruhigende Worte zu ihr sagen, aber
er war noch zu atemlos, um sprechen zu können.
Plötzlich wurde er auf ein Geräusch aufmerksam, das hinter dem Mädchen aus dem Innern des Hauses drang. Er sprang auf die Veranda. Von der Küche her kam eines dieser gräßlichen, toten Wesen auf sie zugestolpert. Irgendwie war es ihm offenbar gelungen, den Riegel der Küchentür aufzubrechen.
»Schließen Sie diese Tür ab!« schrie Ben, und Barbara hatte gerade noch so viel Geistesgegenwart, die Wohnzimmertür zuzumachen und zu verschließen. Nun entspann sich ein zweiter, brutaler Kampf im Innern des Hauses.
Der Zombie, mit dem Ben sich nun herumschlagen mußte, sah noch wesentlich scheußlicher aus als die beiden zuvor, so als ob er schon längst tot wäre oder einen besonders grauenhaften Tod gestorben wäre. Haarbüschel und Fleischfetzen waren am Kopf und im Gesicht herausgerissen, und die Armknochen platzten aus der Haut, wie bei einem Jackett, dessen Ärmel durchgescheuert sind. Ein totes Auge hing halb aus der Augenhöhle. Der Mund des Untoten war entstellt und mit Blut und Dreck verkrustet.
Ben versuchte, ihn zu treffen, aber das Wesen krallte sich an Bens Arm fest, und der Kreuzschlüssel fiel zu Boden. Der junge Mann schlug auf den Zombie ein und kämpfte mit ihm, und schließlich gelang es ihm auch, ihn umzudrehen und auf den Teppich zu werfen. Aus dem toten Hals des Wesens drangen seltsam rasselnde Geräusche, die genau den Tönen glichen, die das Wesen oder Ding ausgestoßen hatte, das Barbaras Bruder getötet hatte... und es streckte seine Hände nach Bens Hals aus. Es bekam ihn jedoch nicht zu fassen, weil Ben den Kreuzschlüssel gefunden hatte und ihn mit voller Wucht auf den Schädel des Zombies schlug.
Ben stand auf. Er mußte den Fuß gegen den Kopf des Wesens stemmen, um den Kreuzschlüssel herausziehen zu können, der ziemlich tief steckte. Der Kopf plumpste mit einem Schlag auf den Boden des Wohnzimmers. Und eine winzige Menge Flüssigkeit, weiß und nicht rot wie die Farbe von Blut, lief aus der Wunde, die der Kreuzschlüssel dem Schädel der toten Kreatur zugefügt hatte.
Aber Ben hatte keine Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was das wohl zu bedeuten hatte, denn die Geräusche aus der Küche sagten ihm, daß noch eines dieser Wesen eingedrungen war. Im Flur stieß er mit ihm zusammen und trieb es mit kräftigen Schlägen aus der Küchentür. Dann fiel er dagegen, drückte sie ins Schloß und lehnte sich dagegen, damit sie zublieb, während er verschnaufte.
Nach einer langen Pause sagte Ben: »Jetzt wissen sie, daß wir hier drinnen sind. Nun ist es kein Geheimnis mehr, falls es das jemals war. Und sie werden uns umbringen, wenn wir uns nicht vor ihnen schützen.«
Er hatte sich direkt an Barbara gewandt, als warte er auf einen Hinweis oder ein Zeichen, daß sie ihn verstand und ihn in ihrem Kampf ums Überleben unterstützen würde. Aber sie hörte ihn nicht. In ihrem Gesicht stand immer noch die blanke Angst, und ihre weit aufgerissenen Augen starrten ins Leere, ohne zu blinzeln.
Sie starrte auf den Boden, auf die Stelle, wo das tote Wesen lag. Der Zombie lag schief auf dem Rücken im Flur, zwischen dem Wohnzimmer und der Küche. Sein rechter Arm war seltsam abgewinkelt und zeigte auf das Mädchen. Die Finger der geöffneten Hand waren verkrampft, als wolle das Wesen jeden Moment zupacken.
Voller Entsetzen glaubte Barbara zu sehen, wie die Hand sich ganz leicht bewegte. Sie zuckte. Der ganze Körper zuckte leicht - das verdrehte, gebrochene Genick hielt den Kopf des Zombies seltsam nach oben. Mit offenem Mund starrte es mit seinem einen glasigen Auge um sich. Und wie in Trance machte Barbara ein paar Schritte auf das Wesen zu. Die Angst zeichnete eine krankhafte Grimasse in ihr Gesicht. Die Hand zuckte erneut. Das Mädchen bewegte sich darauf zu, wurde davon angezogen und blickte starr auf das Wesen hinunter. Die Neugier überwältigte es.
Der Zombie lag zuckend da und stierte sie an. Ein Auge hing heraus. Der beginnende Zerfall war deutlich auf seinem Gesicht und Genick zu erkennen.
Aber Barbara trat trotzdem näher, und das Wesen zuckte immer noch. Das eine glasige und trübe Auge blickte weiterhin nach oben wie das Auge eines ausgestopften Tieres.
Entsetzen schoß durch Barbaras Körper, und sie verspürte den unwiderstehlichen Drang, wegzulaufen oder zu schreien, und trotzdem blieb sie still stehen, wie festgenagelt, und fixierte wie gebannt das Auge des Zombies. Und dann bewegte er sich plötzlich mit einem Geräusch, das einem Rascheln ähnelte. Barbara sprang auf und schrie, wurde aus ihrem Trancezustand gerissen, bis sie endlich registrierte, daß Ben eines der Beine gepackt hatte und das Wesen über den Boden zerrte.
»Schließen Sie Ihre Augen, Mädchen. Ich werde das Ding hier nach draußen schaffen«, sagte Ben mit ernster Stimme, und auf seinem Gesicht spiegelten sich Angst und Ekel wider, als er den toten Körper über den Boden schleifte.
Das einzelne Auge zuckte immer noch. Und Barbara stand einfach nur reglos da, die Hände vor den Mund geschlagen. Sie sah zu und hörte, wie schwer Ben atmete und wie er sich mit dem Zombie abmühte. Schließlich hatte er den leblosen Körper bis zur Küchentür gezogen und ließ die Beine los, so daß sie polternd zu Boden fielen. Darauf hielt er erst einmal inne, um sich auszuruhen und nachzudenken.
Selbst in dem schwachen Lichtschein, der vom Ofen auf ihn fiel, konnte Barbara den glänzenden Schweißfilm auf Bens Gesicht erkennen, und sein schwerer, keuchender Atem schien den Raum zu füllen. Seine Augen waren wachsam und verrieten
Angst. Dann drehte er sich hastig um und spähte durch das kleine Fensterchen in der Tür. Der Zombie lag immer noch leicht zuckend zu seinen Füßen.
Dort draußen, versteckt im Schatten der riesigen Bäume, entdeckte Ben drei weitere Wesen, die abwartend das Haus beobachteten. Ihre Arme hingen schlaff herunter. Ihre Augen quollen aus den Höhlen, während sie dumpf und wie gebannt zum Haus herüberblickten.
Mit einer lässigen Bewegung riß der große Mann die Küchentür auf und bückte sich, um das tote Wesen bei den Füßen zu packen. Draußen setzten sich die drei makabren Gestalten unter den Bäumen in Bewegung und kamen mit langsamen, schleppenden Schritten auf das Haus zu. Ihr Näherkommen war bedrohlich. Mit großer Anstrengung bugsierte Ben das tote, zuckende Wesen nach draußen und legte es direkt vor der Türschwelle ab.
Die Zombies auf dem Rasen kamen immer näher. Das Zirpen der Grillen vermischte sich mit dem qualvollen, blasebalgartigen Rasseln in den toten Lungen und übertönte beinah alle anderen nächtlichen Geräusche.
Unter unendlichen Mühen schob Ben den toten, fortwährend zuckenden Körper zum Rand der Veranda.
Barbara, die immer noch drinnen im Haus stand, konnte nicht genau erkennen, was er dort trieb. Das Mädchen trat von der Tür weg und zitterte unkontrolliert, während sie darauf wartete, daß der große Mann mit dem, was er da tat, fertig wurde und wieder ins Haus zurückkehrte.
Ihn schauderte, und er fingerte in seiner Brusttasche herum, während die widerlichen Kreaturen auf dem Rasen mit ausgestreckten Armen immer näher kamen. Mit ihren ausgebreiteten Gliedmaßen wirkten sie, als hätten sie vor, ihn zu schnappen und auseinanderzureißen. Bens unruhige Finger fanden endlich ein Streichholzbriefchen, und es gelang ihm, ein
Streichholz anzuzünden und das brennende Ende an die zerschlissenen, verdreckten Kleider des Zombies zu halten. Der Kleiderstoff fing geräuschvoll Feuer.
Die Kreaturen auf dem Rasen blieben plötzlich stehen. Zuerst brannte das Feuer nur schwach. Zitternd hielt Ben das Streichholz an andere Stoffpartien, und da er gleichzeitig die anderen drei im Auge behielt, verbrannte er sich die Finger. Geistesgegenwärtig schnippte er das brennende Streichholz auf die am Boden liegende Gestalt. Schwer keuchend kickte er schließlich das in Flammen stehende Ding von der Veranda und sah zu, wie es die drei Stufen hinunterpurzelte, auf dem Gras landete und dort liegen blieb. Die Flammen züngelten nun überall.
Ben beobachtete, wie die drei Kreaturen im Garten langsam zurücktraten und versuchten, mit ihren steifen Armen ihre Gesichter zu bedecken, als hätten sie Angst vor Feuer - und seine Fäuste umklammerten das Geländer der kleinen Veranda, als sein Gesicht unter der Hitze glühte.
»Euch werde ich kriegen«, sagte Ben zu sich selbst. Seine Stimme bebte. Und dann hob er die Stimme und rief in die Dunkelheit der Nacht: »Ich werde euch kriegen. Euch alle! Ihr verdammten Kreaturen!«
Der große Mann stand herausfordernd auf der kleinen Veranda, während der Körper in hellen Flammen brannte.
Ein unerträglicher Gestank breitete sich aus. Die Zombies auf dem Rasen waren wieder stehengeblieben und hielten einen gewissen Abstand - sie warteten und lauerten.
Als er plötzlich ein Geräusch wahrnahm, wirbelte Ben herum und sah Barbara, die im Türrahmen der Küche stand. Als sein Blick dem ihren begegnete, sah er den leeren und erstarrten Ausdruck, der auf ihrem Gesicht lag. Sie wich vor ihm zurück und ging wieder in das Zimmer. Der große Mann lief mit ausholenden Schritten in die Küche, schlug die Tür hinter sich zu und wollte sie instinktiv verriegeln, doch der Riegel war kaputt. Die beiden Zombies, die hier eingedrungen waren, hatten ihn zerbrochen.
Ben packte den wuchtigen Küchentisch, zog ihn herüber und schob ihn vor die Tür. Sein lauter Atem ging noch schneller als zuvor. Und seine Augen suchten hektisch den Raum ab. Er suchte etwas - aber Barbara wußte nicht, worauf er aus war.
Er wandte sich schnell den Schubladen zu, riß sie auf und wühlte sie durch. Sie bargen all die Utensilien, die zu einer Küche gehören. Ben sprach ziemlich lange kein Wort - und Barbaras leere Augen folgten seinen Bewegungen, während er den Raum weiter durchsuchte.
»Schauen Sie nach, ob Sie den Lichtschalter finden können«, rief er plötzlich - so unvermittelt, daß der Klang seiner Stimme Barbara erschreckte, so daß sie gegen die Wand taumelte. Dabei berührte ihre Hand einen Schalter. Die Birne einer Deckenlampe ging an, und die Küche wurde hell erleuchtet. Ben fuhr mit seiner hektischen Suche fort, während das Licht Barbaras Augen peinigte. Sie mußte blinzeln und zwinkern. Das Mädchen stand immer noch an die Wand gelehnt, und auch seine Hand ruhte noch auf dem Schalter, als wage es nicht, sich zu rühren. Schweigend sah Barbara zu, wie Ben Schublade um Schublade aufriß und den Inhalt auf den Regalen und auf dem Boden verstreute.
Schließlich widmete er sich der Schublade mit dem Besteck, die immer noch einen Spaltbreit offenstand, seit Barbara sie entdeckt hatte. Ben zog sie ganz heraus, bis es krachte und sie sich keinen Millimeter mehr rührte. Er ging die einzelnen Besteckteile durch, zog dann ein langes Brotmesser heraus, pfiff leicht durch die Zähne und schob es in seinen Gürtel. Dann griff er erneut in die Schublade und holte ein zweites Messer heraus. Er überraschte Barbara, indem er auf sie zuging und ihr das Messer entgegenstreckte, mit dem Griff zwar nach vorn, aber sie wich trotzdem vor ihm zurück. Ihr Verhalten ließ ihn trotz seiner
Verzweiflung innehalten. Keuchend beruhigte er sich und redete sanft, aber bestimmt auf sie ein. »Sie werden... das hier... jetzt nehmen.« Zuerst zögerte sie, dann aber nahm sie das Messer entgegen, und er stöhnte vor Erleichterung auf. Sie wirkte schwach, ja, beinahe apathisch, als ob sie die Selbstkontrolle verlieren würde - oder sie gar schon verloren hatte. Im Augenblick starrte sie das Messer in ihrer Hand an, doch dann wanderten ihre Augen nach oben, bis ihr Blick auf das angespannte Gesicht des Mannes fiel.
»In Ordnung«, sagte er. »In Ordnung. Sie hören mir jetzt einfach zu, und wir werden durchkommen. Wir müssen uns schützen, wir müssen diese Dinger von uns fernhalten, bis wir eine Möglichkeit gefunden haben, von diesem verdammten Ort zu verschwinden.«
Er hatte keine Ahnung, ob seine Worte zu Barbara durchdrangen oder nicht, aber er hoffte, daß es der Fall war. Gleich darauf ließ er sie stehen und fuhr mit seiner Durchsuchung fort. Er sprach nur hin und wieder und dann mit niemandem im besonderen. Sein Interesse galt voll und ganz seiner Suche nach etwas Nützlichem, nach Gegenständen, die ihr Überleben möglicherweise sichern konnten. Zwischendurch meldete er sich immer wieder zu Wort.
Seine Suche war nicht unkontrolliert, ganz im Gegenteil, sie war äußerst planvoll, wenn auch hektisch und verzweifelt. Er suchte Nägel und Holzstücke oder Planken, die er gegen die Türen und vor die Fenster nageln konnte. Er hatte beschlossen, daß sie das alte Bauernhaus so weit wie möglich zu einer Festung ausbauen mußten, mit Barrikaden gegen einen bevorstehenden und zunehmend wahrscheinlicher werdenden massiven Angriff dieser Wesen mit ihren schaurigen Gelüsten, die sich dort draußen zusehends vermehrten. Ben beeilte sich und richtete seine volle Konzentration auf ihre Verteidigung. Anfangs nahm seine Suche seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, denn die Angst saß ihm im Nacken. Aber nach und nach wurde er etwas langsamer und seine Bewegungen ruhiger, weil er schon einige wichtige Gegenstände gefunden hatte.
Dann fing er an, mit schweren Tischen und anderen Möbelstücken die Stellen des alten Hauses zu verstärken, wo am ehesten jemand eindringen konnte.
Seine Stimmung wurde etwas gelassener, und er handelte ruhiger und überlegter, als ob die Verbarrikadierung ihm ein Gefühl größerer Sicherheit vermittelte. Das Wissen, daß all die Anstrengungen größere Sicherheit mit sich brachten, hatte auch Auswirkungen auf Barbara. Der Schock ließ langsam nach, und ihre Passivität legte sich zusehends.
»Wir werden schon durchkommen!« rief Ben und bemühte sich, tapfer zu sein.
Barbara sah zu, wie er sich in der Küche zu schaffen machte und erneut alle Gegenstände aus den Schubladen leerte und von den Regalen herunterriß. Offensichtlich hatte er noch einen einzigen, wichtigen Gegenstand immer noch nicht gefunden, nach dem er so ungeduldig auf der Suche war. Zwirnspulen, Knöpfe, Manikürsets, Schuhputzsachen... wurden aus den Schubladen geworfen.
Jetzt wurde Ben wieder etwas gewalttätiger und unruhiger, während er die Küche verzweifelt durchforstete.
Doch endlich fand er in einer Holzkiste unter dem Spültisch das, wonach er auf der Suche gewesen war - und plötzlich machte er einen Luftsprung und stieß einen Siegesschrei aus, um dann hastig den Inhalt der Kiste auf den Küchenfußboden zu leeren. Ein großer Tischlerhammer fiel heraus. Und eine Axt. Und eine alte Pfeifentabaksdose, die Ben sofort aufhob und deren Inhalt er auf ein Regalbrett schüttete. Nägel und Schrauben und Dichtungsringe und Reißzwecken purzelten heraus. Ein paar rollten zu weit und fielen zu Boden, aber Ben bückte sich und las sie wieder auf. Seine Finger wühlten durch den kleinen Haufen und sortierten die längsten Nägel aus, die er in der Tasche seines Pullis verstaute. Und während er noch damit beschäftigt war, marschierte er schon los und hielt nach anderen nützlichen Gegenständen Ausschau. Sein Blick fiel auf Barbara.
»Schauen Sie nach, ob dort draußen bei dem Kamin ein paar große Holzstücke liegen!« rief er ihr zu und ging dann daran, den Inhalt eines Kartons auf dem Kühlschrank zu inspizieren. Doch der Karton ließ sich allzu mühelos hochheben, so daß Ben sofort wußte, daß er leer war. Er ließ ihn zu Boden fallen, warf aber dennoch einen kurzen Blick hinein. Und schon trieb es ihn weiter zu einem Metallschrank in der Ecke des Raumes. Er hätte allerdings eine Wette darauf abgeschlossen, daß dort nur Lebensmittel untergebracht waren. Als er sich kurz umdrehte, stellte er fest, daß Barbara immer noch regungslos dastand. Sofort machte er seinem aufsteigenden Ärger Luft und brüllte sie an.
»Hören Sie, Sie -«
Er brach ab und sprach dann weiter, immer noch verzweifelt, aber jetzt weniger barsch.
»Hören Sie, ich weiß, daß Sie Angst haben. Ich habe auch Angst. Ich habe genauso Angst wie Sie. Aber wir werden nicht überleben... wenn wir nicht etwas tun, um uns selbst zu helfen. Ich werde diese Türen und Fenster verrammeln. Aber Sie müssen mit anpacken. Wir müssen uns selbst helfen, weil niemand in der Nähe ist, der uns helfen könnte... aber dann wird alles in Ordnung kommen. Okay? Also, ich möchte, daß Sie jetzt dort hinübergehen und nachsehen, ob in dem Kamin irgendwelches Holz ist... «
Dann hörte er auf zu sprechen. Er atmete immer noch heftig. Barbara starrte ihn nur an. Nach mehreren Sekunden setzte sie sich schließlich ganz langsam in Bewegung und stieß sich von der Wand ab.
»Okay?« fragte Ben und blickte ihr in die Augen.
Einen Augenblick lang war sie ganz still, dann nickte sie kläglich.
»Okay«, wiederholte Ben halblaut. Offensichtlich mußte er sich noch einmal vergewissern. Er blickte dem Mädchen kurz hinterher, als es die Küche verließ - und setzte gleich darauf seine Suche fort.
Sie trat in das Wohnzimmer, wo die Dunkelheit sie langsamer werden ließ, bis sie sogar kurz stehenblieb. Aus der Küche drangen immer noch die Geräusche von Bens Durchsuchungsaktion zu ihr herüber. Sie schaute starr nach vorne und klammerte sich am Griff ihres Messers fest, denn die weißen Vorhänge an den Fenstern schienen zu leuchten, und jeder Schatten war ihr verdächtig. In diesem Zimmer, hinter den Möbeln und in den Schränken konnte alles mögliche lauern.
Barbara erschauderte.
Auf dem Eßzimmertisch in der entgegengesetzten Ecke des Raumes konnte sie den Umriß einer Vase mit großen Blumen erkennen - die sich unvermittelt durch den Wind, der durch ein offenes Fenster strömte, bewegten. Wieder reagierte Barbara voller Panik. Sie stürmte zu dem Fenster, knallte es voller Wucht zu und verriegelte es. Dann stand sie keuchend da und stellte fest, daß sie ein Stück Vorhang im Rahmen eingeklemmt hatte, als sie es geschlossen hatte. Aber sie würde es um keinen Preis wieder aufmachen. Ein Zittern lief durch ihren Körper, und sie wandte sich zu Ben um, der im Türrahmen erschien, weil er wissen wollte, was es mit dem Lärm auf sich hatte. Das Mädchen hoffte insgeheim, daß er bleiben würde, aber er machte auf dem Absatz kehrt und kümmerte sich wieder um seine Angelegenheiten in der Küche.
Jetzt, wo Barbara wieder allein in dem Raum war, streckte sie die Hand nach einer Lampe auf dem Beistelltisch aus und schaltete sie an. Die nähere Umgebung war schwach beleuchtet. Das Zimmer war offenbar leer. Bedächtig marschierte sie zum
Kamin. Dort waren Holzscheite aufgestapelt, von denen einige groß genug waren, daß sie sie vor die Fenster nageln konnten. Immer noch das Messer umklammernd, beugte sie sich über den Stapel und suchte einige Planken zusammen - aber eine Spinne huschte über ihre Hand. Barbara schrie auf, und das Holz fiel laut polternd zu Boden.
Sie wartete und hoffte dabei, daß Ben nicht wieder auftauchen würde, und wahrlich, diesmal kam er nicht gleich, um zu sehen, was los war. Der laute, unablässige Krach, den er in der Küche produzierte, erklärte schnell, warum er das Poltern des Feuerholzes nicht gehört hatte. Sie kniete sich hin, nahm die Planken wieder auf und wehrte sich innerlich gegen ihre Angst vor Spinnen. Unbeholfen stolperte sie hastig mit ihrem Holz in Richtung Küche, und als sie durch die Tür trat, sah sie, daß Ben mit dem Tischlerhammer auf die Scharniere einer hohen Besenschranktür klopfte. Ein letzter Schlag, dann löste ein kräftiges Zerren die Tür, und man konnte hören, wie die Schrauben aus dem Holz gerissen wurden. Zufrieden stellte Ben die Tür neben dem Besenschrank an die Wand. Im Innern des Schrankes entdeckte er ein paar nützliche Gegenstände, die er sofort herausholte - ein Bügelbrett, drei Einlegeplatten zu einem ausziehbaren Eßtisch und ein paar alte Bohlen Abfallholz.
Als er aufschaute, lächelte er Barbara an. Sein Blick fiel auf das Holz, das sie in einer Ecke an die Wand gestellt hatte. Der junge Mann gab ihr ein Zeichen, daß sie ihm folgen sollte, schnappte sich die ausgehängte Schranktür und schleppte sie durch die Küche zu der Hintertür des Hauses, deren Riegel kaputt war. Er hielt die Besenschranktür gegen den Rahmen der Küchentür und stellte erfreut fest, daß er mit dieser Holzplatte auch noch das Küchenfenster verrammeln konnte, das nicht allzu groß und dicht daneben war. Dann lehnte er sich gegen die Tür und suchte in seiner Brusttasche nach den Nägeln. Die Tür verrutschte leicht. Sie würde das Küchenfenster nicht ganz abdecken, unten und oben würden noch Schlitze übrigbleiben, doch er konnte damit den gläsernen Teil der Eingangstür abdecken, so daß die Tür gesichert war. Wieder verrutschte die schwere Tür, und er hievte sie an Ort und Stelle zurück, bevor er wieder nach den Nägeln fischte. Überraschenderweise kam Barbara zu Hilfe, legte Hand an die Holzplatte und hielt sie in der richtigen Stellung. Ben akzeptierte ihre Unterstützung, ohne nachzudenken, ja ohne sie wirklich zu bemerken, denn er war damit beschäftigt, die Tür sorgfältig zu inspizieren, um die Stellen auszuwählen, wo er die Nägel reinhauen wollte. Dann nahm er einige lange Nägel aus seiner Brusttasche, hielt sie an die Platte und klopfte sie mit kurzen, nachdrücklichen Schlägen fest. Die ersten beiden schlug er auf seiner Seite in die Tür und den Rahmen, dann lief er schnell zu Barbara hinüber und klopfte zwei weitere hinein. Jetzt, da die Platte fürs erste vorläufig befestigt war, trieb er die Nägel so tief in das Holz, daß sie kaum mehr zu sehen waren, und noch weitere dazu. Einen Moment lang trat er von seiner Arbeit zurück. Er wollte die Nägel sparsam, aber klug einsetzen, dort, wo sie am wirkungsvollsten waren. Sein Vorrat war leider nicht unerschöpflich.
Zur Kontrolle zog er an der Küchentür, die jetzt sicher genug zu sein schien. Nun, wo die ersten Verteidigungsmaßnahmen angegangen und ausgeführt worden waren, wurde Ben zusehends ruhiger und zuversichtlicher. Natürlich hatte er immer noch Angst und arbeitete deshalb zügig weiter. Seine Hoffnung wuchs angesichts der Tatsache, daß er Werkzeug hatte, mit dem er arbeiten konnte, und einen Plan, den er in die Tat umsetzen konnte. Vielleicht würden sie überleben. All das gab ihm das Gefühl, daß er nicht vollkommen hilflos war und daß es Möglichkeiten gab, sein Schicksal und das des Mädchens in den Griff zu kriegen.
»Hier! Bei Gott!« stieß er schließlich in einer Anwandlung von großem Sicherheitsgefühl hervor. »Das sollte diese verdammten Kreaturen zurückhalten und sie daran hindern, hier einzudringen. So stark sind sie nun auch wieder nicht - da!«
Und er trieb zwei weitere Nägel in den Rahmen des Küchenfensters. Als er an der Verbarrikadierung zerrte, schien sie zu halten.
»Da kommen sie nicht durch«, sagte Ben und schlug ein letztes Mal auf die Nägel ein, bis die Köpfe im Holz verschwanden.
Sein skeptischer Blick wanderte über die Glasflächen, die unbedeckt geblieben waren, aber sie waren nicht breit genug, als daß sich ein menschlicher Körper dort durchzwängen konnte. »Ich hab' nicht gerade viel Nägel«, erklärte er. »Deshalb werde ich es dabei belassen. Es ist wichtiger, noch ein paar andere Stellen abzusichern, wo sie auch reinkommen könnten.«
Barbara reagierte auf keine seiner Erklärungen. Weder ermunterte sie ihn, noch gab sie ihm Ratschläge, und er drehte sich nervös zu ihr um, bevor er zurücktrat und den Raum noch mal kontrollierte. Abgesehen von der Tür, die ins Wohnzimmer führte, gab es keine weiteren Türen oder Fenster.
»Tja... dieser Raum ist ziemlich sicher«, sagte Ben zögernd und blickte zu Barbara hinüber, in der Hoffnung, daß sie seine Arbeit anerkannte. Doch da sie immer noch schwieg, machte Ben einen zweiten Versuch, das, was er zu sagen hatte, deutlich zu machen. Lauter als zuvor fuhr er fort. »Nun... falls wir...«
Das Mädchen stand einfach nur da und beobachtete ihn.
»Falls wir... rennen wir einfach hier herein - und jetzt nur keine Einwände, sonst werde ich Sie draußen zurücklassen, und dann können Sie sich allein verteidigen. Wenn sie an irgendeiner anderen Stelle ins Haus gelangen sollten, dann rennen wir hier herein und verrammeln diese Tür.«
Er meinte die Tür zwischen der Küche und dem Wohnzimmer, die die ganze Zeit über offengestanden hatte. Barbara sah zu, wie er sie zumachte, sie untersuchte und dann fest verriegelte. Er machte sie erneut auf, wählte dann geschwind ein paar Holzbalken aus und stellte sie an die Wand, wo sie seiner Meinung nach stehenbleiben sollten, falls Not am Mann war und sie die Wohnzimmertür verbarrikadieren mußten.
Ben griff wieder in seine Tasche und stellte fest, daß sein Vorrat an Nägeln dahinschmolz. Er trat dann an das Regal, um den Haufen noch einmal zu inspizieren, der aus der Tabakdose stammte. Er schüttete die Dose ganz aus und wühlte den Inhalt sorgfältig durch, suchte die längsten heraus und warf die anderen einfach wieder zurück. Dann reichte er Barbara die Dose. »Sie nehmen die hier«, sagte er, und sein Tonfall ließ weder eine Diskussion noch ein Zögern zu.
Sie reagierte schnell, als ob sie aus ihren Grübeleien gerissen worden wäre, und nahm die Tabakdose aus Bens großer Hand. Daraufhin sah sie zu, wie er so viel Holz auf die Arme lud, wie er nur tragen konnte, und dann aus dem Zimmer verschwand. Doch da sie nicht allein in der Küche zurückbleiben wollte und er ihr auch nicht aufgetragen hatte, dort zu bleiben, folgte sie ihm schweigend. Die Tabakdose trug sie dabei vor sich her, als wisse sie nicht genau, warum sie all das tat.
Sie betraten das Wohnzimmer.
»Es wird nicht sonderlich lange dauern«, sagte Ben keuchend. »Sie werden versuchen, hier hereinzukommen. Jetzt haben sie Angst... glaube ich... oder sie sind einfach nicht hungrig...«
Den Armvoll Holz ließ er mitten auf den Boden fallen, und dann lief er zu einem der großen Vorderfenster. Dabei redete er ununterbrochen weiter. Seine Stimme und sein Tonfall waren plötzlich ganz ernsthaft, und er sprach sehr schnell.
»Sie haben übrigens Angst vor Feuer - das habe ich herausgefunden.«
Barbara stand immer noch benommen in der Mitte des Zimmers, die Tabakdose in der einen Hand, das Messer in der anderen, und guckte zu, wie Ben sich umsah und im Geiste die Größe der riesigen Fenster ausmaß.
Er schaute sich im Zimmer um - und schließlich blieben seine
Blicke an einem großen Eßtisch hängen, auf den er sofort hastig zuging. Während er das tat, faßte er seinen Gedanken in Worte.
»Unten in Cambria müssen es fünfzig oder hundert von diesen Dingern gegeben haben, als die Meldung ausgegeben wurde.«
Barbara beobachtete ihn wie gelähmt. Als er erzählte, um wie viele Zombies es sich handelte, spiegelten sich Verwunderung und ängstliche Neugier in ihren Augen wider. Ben zog den schweren Tisch von der Wand weg, lief dann einmal um ihn herum, um seine Größe abzuschätzen, packte ihn dann an einer Seite und kippte ihn. Danach stemmte er sich mit voller Kraft gegen ein Tischbein und versuchte es auszureißen. Mit einem lauten Knarzen löste es sich endlich, nachdem Ben alle erdenkliche Mühe aufgewendet hatte. Er ließ das Holzstück zu Boden fallen - das dort mit einem dumpfen, lauten Poltern landete. Er redete weiter, keuchte und schwitzte, während er arbeitete, und unterstrich seine Bemerkungen, indem er seine Wut an dem Tisch ausließ, während er ein Bein nach dem anderen abriß.
»Ich habe einen großen Tankwagen gesehen, wissen Sie... unten bei Beckman's? Beckman's Restaurant. Und ich hörte Radio - in dem Kleintransporter gibt es ein Radio...«
Er riß an dem zweiten Tischbein herum. Es krachte laut, aber ging nicht ab. Entschlossen ging er zu dem Tischlerhammer hinüber, der mitten auf dem Fußboden lag.
»Dieser Lkw kam mit quietschenden Reifen von dem Parkplatz des Restaurants auf die Straße rausgerutscht - es müssen ungefähr zehn... fünfzehn... von diesen Kreaturen gewesen sein, die ihm nachgelaufen sind... aber ich hab' sie nicht sofort gesehen... sie waren auf der anderen Seite vom Tankwagen. Und es sah seltsam aus, weil der Wagen so schnell fuhr... anstatt ganz langsam vom Parkplatz runterzurollen und auf die Straße zu fahren.«
Dotz! Dotz!
Mit zwei kräftigen Hammerschlägen löste er das zweite Tischbein, warf es in die Ecke und widmete sich dem dritten Bein.
»Zuerst habe ich einfach nur diesen großen Tankwagen gesehen - und es sah seltsam aus, wie schnell er auf die Straße fuhr. Und dann habe ich diese Zombies gesehen... und der Tanker fährt langsamer, und sie holen auf... und strecken die Hände danach aus... und springen auf. Dann legten sie die Arme um den Nacken des Fahrers...«
Ein weiteres Tischbein löste sich und fiel polternd zu Boden. Ben atmete schwer. Und Barbara hörte seiner Geschichte zu, die sie sowohl erschreckte als auch faszinierte.
»Und dieser Tankwagen überquerte einfach die Straße -donnerte durch ein Schutzgeländer, wissen Sie. Und ich mußte wie ein Blöder auf die Bremsen latschen und rutschte mit quietschenden Reifen durch die Gegend. Der Tankwagen rauschte zuerst auf ein großes Schild und dann in die Zapfsäulen der Sunoco-Tankstelle, die's dort unten gibt. Ich hörte es krachen. Und dieses große Ungetüm ging sofort in Flammen auf... und rollte trotzdem noch weiter, direkt durch die Zapfsäulen hindurch auf das Tankwarthäuschen zu. Ich blieb einfach verdattert stehen. Und dann sehe ich diese Zombies... und sie machten langsam ein paar Schritte nach hinten... manche von ihnen rannten sogar... oder versuchten zu rennen... aber sie rennen irgendwie, als ob sie verkrüppelt wären. Aber sie traten dennoch zurück. Und es wirkt so... es wirkt so, als ob sie vor dem Feuer fliehen müßten. Dem Kerl in dem Tankwagen gelang es nicht, aus dem Tankwagen zu kriechen - die Führerkabine steckt zur Hälfte in der Sunoco-Tankstelle. Und er verbrannte da drinnen bei lebendigem Leib, und er schrie - schrie wie besessen...«
Barbaras Augen hatten einen glasigen Blick, und ihr Gesicht war vor Angst verzerrt. In ihren Augen wurde der Alptraum, den sie erlebte, immer erdrückender.
Ben riß das letzte Tischbein ab, und die Tischplatte drohte zu Boden zu kippen. Sie war schwer. Doch es gelang ihm mühsam, sie festzuhalten, und er versuchte, sie durch den Raum zu ziehen. Barbara trat neben ihn und packte die andere Tischplattenseite, aber sie konnte ihm nicht viel helfen, denn die Platte war viel zu schwer für sie, als daß sie richtig anpacken konnte.
»Ich wußte nicht, was passieren würde«, erzählte Ben weiter. »Ich meine, ich wußte nicht, ob die Tankstelle in die Luft fliegt... oder in tausend Stücke zerrissen wird... oder was sonst geschehen könnte. Und so fuhr ich einfach ganz langsam die Straße hinunter und versuchte wegzukommen, falls es eine Explosion geben sollte... und der Kerl in dem Tankwagen schreit und schreit... und nach einer Weile hört er einfach auf.«
Er legte die Tischplatte ab und wischte sich die Schweißbäche von der Stirn. Das Ausreißen der Tischbeine hatte ihn so sehr angestrengt, daß er immer noch keuchen mußte. Die Hand wischte er an seinem Hemd ab. Seine Augen waren weit aufgerissen. Die Wut, die aufkeimte, als er wieder an diese Situation dachte und sie Barbara schilderte, spiegelte sich in seinem Blick wider, und es hatte beinah den Anschein, als ob er gleich in Tränen ausbrechen würde.
»Und da standen diese Kreaturen... ein paar Meter weiter drüben... auf der anderen Straßenseite... standen da und sahen so aus... so aus, als wären sie aus ihren Gräbern gestiegen oder so was in der Art. Und sie standen dort drüben vor dem Restaurant, und auf dem Parkplatz standen Autos und Busse. Ein Großteil der Fenster war eingeschlagen. In dem Augenblick wußte ich, daß diese Zombies alle Restaurantgäste erledigt hatten, und da waren noch viel mehr, überall, die nur auf eine Chance warteten, reinzugehen. Deshalb fuhr ich volle Kanne mit meinem Transporter über die Straße - und ich hielt direkt auf ein paar von diesen Kreaturen zu - und dann konnte ich sie richtig gut sehen, zum ersten Mal hatte ich sie voll im Scheinwerferlicht meines Wagens - und dann... fahre ich einfach auf sie zu - und ich trete das Gaspedal bis zum Anschlag durch - und fahre ein paar von ihnen um. Die gehen gute fünfzehn Meter in die Luft. Aber ich wollte sie eigentlich nur zerquetschen - diese ekelhaften Dinger umnieten. Und die stehen einfach nur da. Es kommt ihnen gar nicht in den Sinn, daß sie weglaufen könnten. Oder es interessiert sie nicht. Sie gehen nicht mal von der Straße runter. Ein paar von ihnen streckten die Arme aus, als ob sie mich erwischen könnten. Aber ansonsten standen sie einfach nur da... und der Transporter überrollte sie... als ob... als ob sie ein Haufen Wanzen wären...«
Als er Barbaras verängstigten Blick wahrnahm, hörte Ben auf zu sprechen. Sie stand mit weit aufgerissenen Augen da und starrte angeekelt vor sich hin. Ihre Hände ruhten immer noch auf der Tischplatte.
Daraufhin wandte der junge Mann seine Aufmerksamkeit wieder der Platte zu und hob sie an. Barbara war wie versteinert. Als er an dem Tisch zog, fielen ihre Hände herunter, und sie ließ die Arme einfach herunterhängen. Daher schleppte er den Tisch ohne ihre Hilfe zu dein Fenster hinüber, das er verbarrikadieren wollte.
Er stierte Barbara an. Sie starrte fast ausdruckslos zurück.
»Ich habe... ich... ich habe Kinder«, erzählte Ben und fuhr mit dem Hemdsärmel über seine verschwitzte Stirn. »Und... ich denke, daß es ihnen wohl gutgehen wird. Sie können auf sich selbst aufpassen... aber es sind halt trotzdem nur Kinder... und ich... ich bin nicht da... und...«
Er brach ab, da Barbara offensichtlich nichts zu sagen hatte und er nicht wußte, was er sonst noch erzählen sollte. Wieder zog er an dem Tisch und lehnte ihn schließlich vorsichtig gegen die Wand.
»Tja, ich werde jetzt alles tun, was in meiner Macht steht«, sagte er und bemühte sich, optimistisch zu klingen. »Ich werde tun, was ich kann, und dann werde ich nach Hause zurückkehren... und meine Familie wiedersehen. Und alles wird wieder in Ordnung kommen... und... und ich werde wieder nach Hause zurückkehren.«
Seine Worte wiederholten sich jetzt, und er stellte fest, daß er angefangen hatte, zu stottern. Dann bemerkte er, daß das Mädchen ihn aufmerksam beobachtete, und er hielt inne. Er bemühte sich, sich zusammenzureißen, und fing wieder an zu sprechen, doch diesmal etwas langsamer. Seine Stimme klang monoton, und seine Ruhe wirkte erzwungen, aber trotz seiner Verärgerung und seiner Wut war Ben ein tapferer Mann, und er hatte es sich in den Kopf gesetzt, war entschlossen, nicht den Mut zu verlieren. Er wußte, daß das Mädchen Aufmunterung dringend nötig hatte, wenn sie mit der Situation fertigwerden wollte. Und ob es ihm gefiel oder nicht, bis zu einem bestimmten Grad war er von ihr abhängig und auf sie angewiesen. Entscheidend war, daß er sie dazu bringen konnte, mit ihm zusammenzuarbeiten und ihre Furcht zu überwinden.
»Nun, Sie und ich, wir werden schon durchkommen«, sagte er zu ihr. »Wir können diese Zombies aufhalten. Ich meine... man kann sie einfach... niederschlagen. Man muß nur einen kühlen Kopf bewahren und darf nicht allzu große Angst haben. Wir können uns schneller als sie bewegen, und im Vergleich zu einem ausgewachsenen Mann sind sie gräßlich schwach... und wenn man nicht vor ihnen wegläuft, sondern einfach auf sie einschlägt, dann... kann man sie fertigmachen. Wir sind klüger, als sie es sind. Und wir sind auf jeden Fall stärker als sie. Wir werden sie aufhalten. Okay?«
Das Mädchen blickte starr vor sich hin.
»Das einzige, was wir tun müssen, ist, einen kühlen Kopf zu bewahren«, fügte Ben hinzu.
Dann schauten sie sich einen Augenblick lang an, bis Ben sich abwandte und die Tischplatte wieder hochhob. Als er sie gegen das Fenster drückte, begann das Mädchen leise mit kläglicher Stimme zu sprechen.
»Wer sind Sie?«
Ben hielt abrupt inne, preßte sich gegen die schwere Tischplatte und blickte voller Überraschung in Barbaras verschrecktes Gesicht. Ganz langsam dämmerte ihm, daß dem Mädchen noch gar nicht richtig bewußt war, was hier geschah. Weder hatte sie eine Vorstellung vom Ausmaß der Gefahr, noch kannte sie die Ursache. Die Radiodurchsagen, die Bulletins hatte sie nicht gehört. Sie war ganz einfach in einem Schockzustand.
Fassungslos rief Ben: »Sie haben gar nichts gehört?«
Sie warf ihm einen ihrer leeren, stummen Blicke zu. Ihre Augen klebten an seinen. Sie konnte nur mit einem Schweigen antworten.
»Sie wollen sagen, daß Sie keine Ahnung von dem haben, was hier abläuft?«
Barbara wollte gerade nicken, aber dann fing sie so stark zu zittern an, daß es ihr nicht mehr möglich war. »Ich... ich...«
Das Zittern wurde zusehends stärker, bis es sie richtiggehend schüttelte, und plötzlich riß sie die Arme hoch, schlang sie um sich und fing an, heftig zu schluchzen. Dann lief sie in Panik wild und ziellos in Kreisen durch das Zimmer.
»Nein... nein... nein... ich... kann... nicht... was läuft hier ab... was geschieht mit uns... warum... passiert das... sagen Sie es mir... sagen Sie... es mir...«
Ihre Hysterie trieb auch ihn fast in den Wahnsinn, und so packte er sie und schüttelte sie durch, damit sie wieder normal wurde. Ihr Schluchzen brach unvermittelt ab, aber sie starrte ihn nur an, als ob er Luft sei - scheinbar fixierte sie einen fernen Punkt hinter ihm. Doch ihre Worte, die immer noch distanziert und unzusammenhängend wirkten, bekamen langsam einen Sinn.
»Wir waren auf dem Friedhof... ich... und Johnny... mein Bruder Johnny... wir brachten Blumen für... Dieser... Mann... kam mir hinterhergelaufen... und Johnny... er... er kämpfte... und jetzt ist er... er ist...«
»In Ordnung! In Ordnung!« brüllte Ben dem Mädchen ins Gesicht. Er hatte das Gefühl, daß sie vollkommen durchdrehen würde, falls es ihm nicht gelang, sie aus ihrem jetzigen Zustand zu reißen. Vielleicht würde sie sich sogar umbringen oder sonst etwas anstellen, das für sie beide auf Zerstörung hinauslaufen konnte. Er umklammerte ihre Handgelenke noch fester, aber sie versuchte, sich ihm zu entwinden.
»Nehmen Sie Ihre Hände von mir!«
Sie riß sich von ihm weg und schlug auf seine Brust ein. Er war vollkommen überrascht. Aufgeregt, wie sie war, stolperte sie über eines der Tischbeine, konnte aber gerade noch das Gleichgewicht wiederfinden. Schließlich warf sie sich gegen die Eingangstür. Dort blieb sie wie versteinert stehen, und Ben hatte den Eindruck, als wollte sie in die Nacht hinaus fliehen.
Dann stammelte sie vor sich hin, doch ihre Worte schienen ohne jeden Sinn zu sein.
»Wir müssen ihm helfen... müssen Johnny holen... wir müssen nach draußen gehen und ihn suchen... ihn hierherbringen... «
Sie kam auf Ben zu, flehte ihn unter Tränen an, mit den verzweifelten Tränen eines verängstigten Kindes.
»Ihn hierherbringen... Wir werden in Sicherheit sein... wir können ihm helfen... wir...«
Der Mann machte einen Schritt auf sie zu. Sie wich vor ihm zurück, als fürchtete sie sich plötzlich, wehrte ihn mit einer Hand ab, während sie mit der anderen ihren Mund bedeckte.
»Nein... nein... bitte... bitte... wir müssen... wir...«
Bedächtig trat er einen Schritt näher. »Beruhigen... Sie sich jetzt«, sagte er mit sanfter Stimme. »Hier sind Sie sicher. Wir können kein Risiko eingehen...«
Sie verzog den Mund. Tränen rollten ihre Wangen hinunter.
»Wir müssen Johnny holen«, sagte sie schwach. Und dann preßte sie ihre Finger vor den Mund und starrte Ben mit weit aufgerissenen Augen an wie ein kleines Kind.
»Na... kommen Sie, Sie... setzen sich jetzt hin«, sagte er zu ihr. »Sie wissen nicht, was diese Kreaturen sind. Das dort draußen ist kein Konfirmandenpicknick...«
Sie fing an, hysterisch, stoßartig zu weinen. Es war klar, daß sie endgültig zusammengebrochen war.
»Bitte... biiiiitte... Nein... nein... Johnny... Johnny... biiiiitte...«
Ben setzte alles daran, sie zu beruhigen, sie festzuhalten, während sie sich krümmte und wand, um von ihm loszukommen. Trotz seiner Kraft konnte sie sich losreißen, aber nur, weil er sich bemühte, ihr nicht weh zu tun. Sie starrte ihn an, und ihre stummen Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Doch dann schrie sie wieder, schlug auf ihn ein und trat ihn - trat ihn immer wieder, während er alle Mühe hatte, ihre Arme abzuwehren und sie gegen die Wand zu drücken. Schließlich schob er sie gewaltsam zurück und warf sie in einen weich gepolsterten Sessel. Aber sie sprang sofort wieder auf, schrie und schlug ihm ins Gesicht. Daher war er gezwungen, sie wieder fest anzupacken. Er packte sie ungestüm und schleuderte sie dann praktisch in eine Ecke. Dann - er fand grauenhaft, was er tun mußte - holte er mit der geballten Faust aus, um ihr aufs Kinn zu schlagen - aber sie riß ihren Kopf beiseite. Da Bens Angriff fehlschlug, war sie immer noch nicht außer Gefecht gesetzt. Aber das Mädchen verfiel in ein dumpfes, verletztes Schweigen, das lange genug andauerte, daß er noch einmal seine Faust einsetzen konnte. Ben traf sie voll. Mit traurigen Augen schaute sie ihn an und wurde schwach in den Knien. Schlapp wie ein Mehlsack taumelte sie gegen ihn. Er fing sie auf und
nahm sie behutsam in seinen Arm.
Er hielt sie fest und blickte sich benommen im Zimmer um. Sein Blick fiel auf ein Sofa. Er mußte sie nicht tragen, sondern konnte sie fast zum Sofa hinüber führen. Dort bettete er ihren bewußtlosen Körper hin und schob vorsichtig ein Kissen unter ihren Kopf.
Ben trat ein paar Schritte zurück und schaute auf sie hinunter. Es tat ihm leid, daß er sie hatte schlagen müssen. Doch Barbara lag jetzt ganz friedlich auf der Couch, als ob sie sich überhaupt nicht in Gefahr befände. Nur ihr blondes Haar war verstrubbelt und ihr Gesicht tränenbenetzt. An der Stelle am Kinn, wo seine Faust sie getroffen hatte, würde sie schon bald einen blauen Fleck haben.
Ben zitterte. Er hoffte um ihrer beider willen, daß er eine Möglichkeit fand, wie er das durchstehen konnte. Das würde nicht leicht werden.
Das würde überhaupt nicht leicht werden.