Kapitel 15

Maxwell fand eine abgeschiedene Ecke, die von einer großen Grünpflanze verdeckt wurde. Niemand war zu sehen, und so setzte er sich.

Die Party näherte sich ihrem Ende. Einige Gäste waren bereits gegangen, und diejenigen, die noch dageblieben waren, unterhielten sich gedämpfter. Und Maxwell nahm sich fest vor, den nächsten, der ihm dumme Fragen stellte, durch einen K.O.-Schlag außer Gefecht zu setzen.

Ich werde es erklären, hatte er am Vorabend zu Carol gesagt — ich werde es immer wieder erklären. Und das hatte er getan, wenn auch nicht ganz wahrheitsgemäß. Kein Mensch hatte ihm geglaubt. Sie hatten ihn mit glasigen Augen angesehen und gedacht, daß er entweder betrunken war oder sie zum Narren halten wollte.

Dabei war er zum Narren gehalten worden. Er hatte eine Einladung zu der Party erhalten, aber nicht von Nancy Clayton. Nancy hatte ihm weder die Kleider geschickt, noch den Wagen, der an der Hintertür hielt. Und er hätte zehn zu eins wetten mögen, daß auch die Hunde nichts mit Nancy Clayton zu tun hatten. Leider hatte er nicht daran gedacht, sie über diesen Punkt zu befragen.

Irgend jemand hatte sich, auch wenn er ungeschickt vorgegangen war, sehr viel Mühe gemacht, um das Treffen zwischen Maxwell und dem Rollenfüßler zu arrangieren. Die Sache war so melodramatisch, daß sie nahezu lächerlich wirkte. Nur brachte er es irgendwie nicht fertig, darüber zu lächeln.

Er hielt das Glas mit beiden Händen fest und horchte auf die Geräusche der endenden Party. Er warf einen Blick durch das Laub der Grünpflanze, doch er konnte den Rollenfüßler nirgends entdecken. Mister Marmaduke hatte einen Großteil des Abends unter den Gästen verbracht.

Er schob das Glas geistesabwesend von einer Hand in die andere. Er wußte, daß er den Drink nicht mochte, daß er schon zuviel getrunken hatte. Im allgemeinen trank er zwar noch mehr, aber unter Freunden schmeckte es auch besser als in dieser lauten Gesellschaft und in diesem kalten, unpersönlichen Raum. Er war müde. Es war wohl das beste, wenn er sich bald von Nancy verabschiedete und zu Oop zurückkehrte.

»Prost«, sagte er zur Pflanze.

Er goß den Inhalt seines Glases in den Blumentopf.

Vorsichtig, damit er nicht das Gleichgewicht verlor, stellte er das Glas am Boden ab.

»Sylvester«, sagte eine Stimme. »Sieh mal, was wir da haben!«

Er drehte sich herum. Auf der anderen Seite der Pflanze stand Carol. Sie hatte Sylvester bei sich.

»Nur herein«, lud er sie ein. »Ein schönes Versteck, das ich da gefunden habe. Ihr dürft auch dableiben, wenn ihr ganz still seid.«

»Ich habe den ganzen Abend versucht, an Sie heranzukommen, aber es war zwecklos«, sagte Carol. »Ich wollte wissen, was für ein Spielchen Sie und Sylvester mit dem Rollenfüßler getrieben haben.«

Sie kam in die Nische und wartete auf seine Antwort.

»Ich war ebenso überrascht wie Sie«, sagte er. »Sylvesters plötzliches Erscheinen hat mir glatt die Sprache verschlagen. Ich hatte keine Ahnung …«

»Ich werde oft eingeladen«, sagte Carol kühl. »Nicht weil man mich sehen möchte, sondern wegen Sylvester. Er ist ein Party-Paradestück.«

»Gut für Sie«, meinte Maxwell. »Sie hatten mir etwas voraus. Ich war nicht eingeladen.«

»Aber Sie kamen trotzdem her.«

»Fragen Sie mich nicht, wie. Die Erklärung würde mir Schwierigkeiten bereiten.«

»Sylvester war immer eine anständige Katze«, sagte sie anklagend. »Manchmal vielleicht zu gierig, aber sonst in Ordnung.«

»Oh, ich weiß«, sagte Maxwell. »Ich übe auf meine Umgebung immer einen schlechten Einfluß aus.«

Sie kam ganz um die Pflanze herum und setzte sich auf den anderen Stuhl. »Wollen Sie nun meine Frage beantworten?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Es war ziemlich konfus.«

»Sie können einen wahnsinnig machen«, sagte sie. »Wissen Sie auch, daß Sie nicht fair sind?«

»Übrigens«, fragte er, »Sie haben das Bild gesehen, nicht wahr?«

»Ja, natürlich. Darum drehte sich die Party doch. Um das Bild und um den Rollenfüßler.«

»Ist Ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

»Etwas Ungewöhnliches?«

»An dem Bild.«

»Nicht daß ich wüßte.«

»Auf dem Berggipfel stand ein winziger Block. Er war schwarz, und er sah wie das Ding aus.«

»Das ist mir entgangen. Ich habe es nicht so genau angesehen.«

»Die Gnomen haben Sie vermutlich entdeckt.«

»Ja. Zumindest sahen sie wie Gnomen aus.«

»Und diese anderen Wesen«, fuhr Maxwell fort. »Sie hatten ein anderes Aussehen.«

»Anders?«

»Anders als die Geschöpfe, die Lambert sonst malte.«

»Ich wußte gar nicht, daß Sie ein Lambert-Experte sind«, erklärte sie.

»Bin ich auch nicht. Aber ich sah mir heute vormittag ein Buch mit seinen Bildern an, nachdem ich von Nancys Party erfahren hatte.«

»Und was ist daran so schlimm, wenn sie anders sind?« fragte Carol. »Ein Maler hat doch sicher das Recht, alles zu malen, was er will.«

»Selbstverständlich«, erwiderte Maxwell. »Das bezweifelt keiner. Aber dieses Bild stammt von der Erde. Wenn der schwarze Block das Ding ist, was ich fest glaube, dann stellt das Bild die Erde dar, und zwar die Erde des Jura-Zeitalters.«

»Und Sie sind der Meinung, daß die anderen Bilder nicht die Erde wiedergeben? Das ist doch unmöglich. Als Lambert lebte, gab es noch keine Raumfahrt — man konnte höchstens den Mond und den Planeten Mars erreichen.«

»Es gab die Raumfahrt der Phantasie«, erklärte Maxwell. »Die Raumfahrt und die Zeitreise des Geistes. Kein Maler wurde je von Ort oder Zeit festgehalten. Und das dachte natürlich jeder — daß Lambert Phantasiegeschöpfe malte. Doch seit heute abend überlege ich, ob er vielleicht Tatsachen wiedergegeben hat.«

»Mag sein«, sagte Carol. »Aber wie könnte er an diese Plätze gelangt sein? Es ist ja aufregend, daß Sie das Ding entdeckt haben, aber …«

»Es ist etwas, worüber Oop immer spricht«, erklärte er. »Er erinnert sich an die Kobolde und Trolle und die anderen Angehörigen des Kleinen Volkes von früher her. Aber er sagt, daß es damals noch andere Wesen gegeben hat. Bösartige Geschöpfe. Sie hatten Unheil im Sinn, und die Neandertaler fürchteten sie.«

»Und Sie meinen, daß einige der Wesen aus Lamberts Bild die Geschöpfe sein könnten, an die Oop sich erinnert?«

»Ich hatte daran gedacht«, gab er zu. »Ob Nancy wohl etwas dagegen hat, wenn ich Oop morgen einmal herbringe?«

»Wahrscheinlich nicht«, erwiderte sie. »Aber es ist ganz unnötig. Ich habe das Bild fotografiert.«

»Sie …«

»Ja, ich weiß, daß es sich nicht gehört«, sagte Carol. »Aber ich fragte Nancy, und sie hatte keine Einwände. Was sollte sie auch sagen? Ich nahm die Fotos ja nicht auf, um sie zu verkaufen, sondern zu meinem persönlichen Vergnügen. Eine Art Entschädigung vielleicht, daß ich Sylvester herumreiche. Wenn Sie wollen, daß Oop sich die Bilder ansieht …«

»Würde es Ihnen nichts ausmachen?«

»Nein, natürlich nicht. Und sehen Sie mich bitte nicht schief an, weil ich die Fotos gemacht habe. Es ist eine gewisse Rache.«

»Rache? An Nancy?«

»Nicht an ihr persönlich, sondern an all den Leuten, die mich auf ihre Parties einladen. Denn ich bin ihnen eigentlich gleichgültig. Sie laden Sylvester ein. Als wäre er ein Tanzbär oder ein Clown. Und um ihn für ihre Parties zu bekommen, müssen sie natürlich mich holen. Aber ich weiß, weshalb sie mich einladen, und sie wissen, daß ich es weiß, und laden mich trotzdem weiterhin ein.«

»Ich glaube, ich verstehe«, sagte er.

»Ich kann diese gönnerhafte Art nicht leiden.«

»Ich auch nicht.«

»Wenn wir Oop die Fotos zeigen wollen, verschwinden wir am besten gleich. Die Party ist ohnehin am Einschlafen. Sie wollen mir also nicht erzählen, was mit dem Rollenfüßler geschehen ist?«

»Später«, sagte er. »Nicht gleich.«

Sie verließen das Versteck hinter der Topfpflanze und gingen zum Ausgang. Die Gästereihen hatten sich gelichtet.

»Wir wollen Nancy suchen und uns von ihr verabschieden.«

»Ach was«, sagte Maxwell. »Wir können ihr immer noch eine Karte schreiben oder sie anrufen. Wir können ihr vorlügen, daß wir sie nicht gefunden haben, daß ihre Party großartig war, daß wir das nächstemal unbedingt wiederkommen würden und daß das Bild uns erschlagen hat …«

»Hören Sie mit dem Herumalbern auf«, sagte Carol. »Es klingt so erzwungen.«

»Ich weiß«, meinte Maxwell. »Aber ich versuche es immer wieder.«

Sie hatten den Ausgang erreicht und betraten die breite geschwungene Treppe, die zur Straße hinunterführte.

»Professor Maxwell!« rief jemand.

Maxwell drehte sich um. Churchill lief ihm nach.

»Ja, was gibt es, Churchill?«

»Auf ein paar Worte. Unter vier Augen. Wenn es mir die Dame nicht übelnimmt.«

»Ich warte unten an der Straße«, sagte Carol zu Maxwell.

»Keine Sorge. Den schiebe ich gleich ab.«

Maxwell wartete, bis Churchill herangekommen war. Der Mann war etwas außer Atem und packte Maxwell am Arm.

»Ich habe den ganzen Abend versucht, an Sie heranzukommen, aber Sie waren nie allein«, keuchte er.

»Was wollen Sie?« fragte Maxwell scharf.

»Der Rollenfüßler«, sagte Churchill. »Sie dürfen ihn nicht beachten. Er kennt unsere Art nicht. Ich wußte nicht, was er vorhatte. Ich sagte ihm sogar, daß er nicht …«

»Sie wußten also, daß der Rollenfüßler auf der Lauer lag?«

»Ich habe ihm gesagt, das dürfte er nicht«, protestierte Churchill. »Ich habe ihm gesagt, er sollte Sie in Ruhe lassen. Es tut mir wirklich leid, Professor Maxwell. Glauben Sie mir, ich habe mein Möglichstes getan.«

Maxwells Hand schnellte vor und packte Churchill an der Hemdbrust. Er riß ihn zu sich heran, bis der Mann dicht vor ihm stand.

»Sie sind also der Strohmann des Rollenfüßlers!« rief er. »Sie haben das Angebot für das Ding gemacht, und Sie haben es im Auftrag des Rollenfüßlers gemacht.«

»Das ist meine Sache«, erklärte Churchill wütend. »Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt damit, daß ich andere Leute vertrete.«

»Der Rollenfüßler gehört nicht zu den ›Leuten‹«, sagte Maxwell. »Weiß der Himmel, was ein Rollenfüßler ist. Eine Insektenkolonie, soviel steht fest. Mehr wissen wir nicht.«

»Er hat auch seine Rechte«, erklärte Churchill. »Er darf Geschäfte abschließen.«

»Und Sie dürfen ihm dabei helfen«, sagte Maxwell. »Sie haben das Recht, sein Geld anzunehmen. Aber seien Sie vorsichtig dabei. Und kommen Sie mir nicht in die Quere.«

Er gab Churchill einen Stoß. Der Mann schwankte, verlor das Gleichgewicht und rollte ein paar Stufen hinunter, bis er sich wieder gefangen hatte. Er lag ausgestreckt da und versuchte gar nicht, sich zu erheben.

»Von Rechts wegen hätte ich Sie die Treppe hinunterwerfen müssen, damit Sie sich Ihren schmutzigen Hals brechen.«

Er sah zum Haus und erkannte, daß sich eine kleine Menschentraube an der Tür gebildet hatte. Sie starrten zu ihm herunter und murmelten.

Er drehte sich um und ging die Treppe hinunter.

Unten stand Carol und hielt einen verzweifelt kämpfenden Sylvester fest.

»Ich dachte schon, er würde es schaffen und den Mann in Stücke reißen«, keuchte sie.

Sie sah Maxwell mit Abscheu an. »Können Sie denn mit niemandem auskommen?«

Загрузка...