VII Die Meuchelmörder

Wenn ich mir den zweiten Durchgang durch den zur Außenwelt führenden Stollen ins Gedächtnis zurückrufe, kommt es mir so vor, als habe er eine Wache oder länger beansprucht. Meine Nerven sind, von einem unbarmherzigen Gedächtnis geplagt, wohl nie die besten gewesen. Damals waren sie zum Zerreißen gespannt, so daß drei Schritte scheinbar eine Ewigkeit dauerten. Ich hatte natürlich Angst. Seit meiner Kindheit hat man mich nicht mehr einen Feigling genannt, und gelegentlich haben verschiedene Leute meinen Mut gelobt. Ich habe die Pflichten als Mitglied meiner Zunft erfüllt, ohne mit der Wimper zu zucken, habe mich sowohl persönlich als auch im Krieg dem Kampf gestellt, habe Gipfel erklommen und bin mehrmals um ein Haar ertrunken. Aber ich glaube, die sogenannten Mutigen und die zur Memme abgestempelten unterscheiden sich nur darin, daß die letzteren Angst vor der Gefahr, die ersteren Angst nach der Gefahr verspüren.

Gewiß kann keinen in einer äußerst bedrohlichen Lage große Furcht packen, da er sich viel zusehr auf die eigentliche Sache konzentriert und das zur Begegnung oder Entkommen Erforderliche sein Denken mit Beschlag belegt. Der Feigling ist also ein Feigling, weil er seine Angst mitbringt; Leute, die wir für feige halten, belustigen uns zuweilen mit ihrer Verwegenheit, falls sie vorher nicht gewarnt sind, was ihnen drohe.

Meister Gurloes, den ich als Knabe für einen Mann von unerschrockenem Mut hielt, war zweifellos ein Feigling. In der Zeit, in der Drotte unser Lehrlingswart war, hatten Roche und ich abwechselnd die Meister Gurloes und Palaemon zu bedienen; eines Nachts, als Meister Gurloes sich in seine Stube zurückgezogen, mich aber zum Bleiben und Nachschenken aufgefordert hatte, zog er mich ins Vertrauen.

»Junge, kennst du die Klientin Ia? Tochter eines Waffenträgers und recht hübsch.«

Als Lehrling hatte ich mit Klienten wenig zu tun; ich schüttelte den Kopf.

»Sie ist zu mißbrauchen.«

Ich hatte keine Ahnung, was er meinte, also antwortete ich: »Ja, Meister.«

»Das ist die größte Schande, die über eine Frau kommen kann. Oder über einen Mann. Mißbraucht zu werden. Durch einen Folterer.« Er deutete auf seine Brust, warf den Kopf zurück und betrachtete mich. Er hatte einen erstaunlich kleinen Kopf für einen so großen Mann; hätte er ein Hemd oder eine Jacke getragen (was er natürlich nie tat), wäre man zu glauben versucht gewesen, es sei gepolstert.

»Ja, Meister.«

»Willst du dich nicht anbieten, das für mich zu erledigen? Ein junger Bursche wie du, voller Saft. Sag nicht, du bist noch unbehaart.«

Endlich verstand ich, was er meinte, und erwiderte, ich hätte nicht gewußt, das sei zulässig, da ich noch ein Lehrling sei; falls er es aber beföhle, würde ich selbstverständlich gehorchen.

»Das würdest du bestimmt. Sie ist nicht schlecht, weißt du. Aber groß, und ich mag keine großen Weiber. Da war vor einer Generation oder so der Bastard eines Beglückten in dieser Familie, darauf kannst du dich verlassen. Blut lügt nicht, sagt man, obwohl nur wir die volle Bedeutung davon ermessen können. Willst du es tun?«

Er hielt mir den Becher hin, und ich goß ein. »Wenn Ihr’s wünscht, Meister.« In Wahrheit schien es mir höchst verlockend, da ich noch keine Frau besessen hatte.

»Kannst nicht. Ich muß. Was, wenn man von mir Rechenschaft verlangte? Außerdem muß ich es bestätigen – die Papiere unterzeichnen. Seit zwanzig Jahren bin ich Meister der Gilde und habe noch nie Papiere gefälscht. Du glaubst wohl, ich kann’s nicht.«

Dieser Gedanke war mir ebensowenig durch den Kopf gegangen wie das Gegenteil (daß er noch über etwas Potenz verfüge) hinsichtlich Meister Palaemon, dessen weißes Haar, hängende Schultern und Augenglas den Eindruck erweckten, er sei schon immer altersschwach gewesen.

»Nun, schau her!« sagte Meister Gurloes und wuchtete sich aus dem Stuhl.

Er war einer von jenen, die selbst dann, wenn sie stark trunken sind, gerade gehen und deutlich sprechen können, und er schritt recht zuversichtlich zu einem der Wandschränke, obschon ich für einen Moment dachte, er würde den blauen Porzellantiegel, den er herausnahm, fallenlassen.

»Dies ist eine seltene und starke Droge.« Er hob den Deckel ab und zeigte mir ein dunkelbraunes Pulver. »Es wirkt immer. Du wirst es eines Tages brauchen, also solltest du Bescheid wissen. Nimm nur so viel, wie unter deinen Fingernagel geht, auf eine Messerspitze, verstehst du? Nähmst du zuviel, könntest du dich ein paar Tage lang nicht mehr aus dem Haus trauen.«

»Ich werd’s mir merken, Meister«, entgegnete ich.

»Natürlich ist es ein Gift. Das sind sie alle, und das ist das beste – ein bißchen mehr als das brächte einen um. Und man darf es erst nach dem Mondwechsel wieder nehmen, verstanden?«

»Vielleicht solltet Ihr Euch die Dosis von Bruder Corbinian abwiegen lassen, Meister.« Corbinian war unser Apotheker; ich hatte schreckliche Angst, Meister Gurloes würde vor meinen Augen einen Löffel voll schlucken.

»Ich? Ich brauch’s nicht.« Verächtlich schloß er den Deckel und knallte den Tiegel aufs Regal im Schrank.

»Das ist gut, Meister.«

»Außerdem …« – er winkte mir – »habe ich das.« Aus seiner Gürteltasche zog er einen eisernen Phallus. Er hatte eine Länge von ungefähr eineinhalb Spannen und war an der Wurzel mit einem Lederriemen versehen.

Es muß euch idiotisch vorkommen, die ihr dies lest, aber zunächst habe ich mir trotz der übertriebenen, wirklichkeitsgetreuen Nachbildung nicht vorstellen können, wozu er gut sei. Ich hatte eine unsinnige Ahnung, daß der Wein ihn kindisch gemacht hätte wie einen Knaben, der annimmt, es gäbe keinen wesentlichen Unterschied zwischen seinem hölzernen Roß und einem echten Reittier. Mir war zum Lachen zumute.

›»Mißbrauchen‹, so nennen sie es. Hier, siehst du, haben sie uns einen Ausweg offengehalten.« Er klatschte mit dem eisernen Phallus in die Hand – die gleiche Geste, fiel mir ein, wie der Menschaffe, der mich mit seiner Keule bedroht hatte. Jetzt hatte ich verstanden. Ekel packte mich.

Aber diesen Ekel würde ich jetzt nicht einmal empfinden, wäre ich wieder in der gleichen Situation. Ich hatte nicht Mitleid mit der Klientin, denn an sie dachte ich überhaupt nicht; mich stieß lediglich ab, daß Meister Gurloes trotz seiner Leibesfülle und großen Kraft gezwungen war, sich auf das braune Pulver zu verlassen, und noch schlimmer, auf den eisernen Phallus, den er mir zeigte, dieses Ding, das von einer Statue hätte abgesägt sein können und es vielleicht auch war. (Dennoch sah ich ihn bei anderer Gelegenheit, als die Sache unverzüglich angegangen werden mußte, weil zu befürchten war, die Anordnung könnte anderweitig nicht ausgeführt werden, ehe die Klientin stürbe, augenblicklich und ohne Pulver oder Phallus und ohne Mühe handeln.)

Meister Gurloes war also ein Feigling. Dennoch war seine Feigheit vielleicht besser als der Mut, den ich an seiner Stelle gehabt hätte, denn Mut ist nicht immer ein Vorzug. Ich war mutig (als solches wird so etwas erachtet), als ich gegen die Menschenaffen kämpfte, indes war mein Mut nicht mehr als eine Mischung aus Tollkühnheit, Überraschung und Verzweiflung; im Stollen, wo nun kein Anlaß mehr zur Furcht mehr bestand, bekam ich Angst und hätte mir fast den Schädel an der niedrigen Decke eingeschlagen; aber ich hielt nicht inne oder verlangsamte auch nur meinen Schritt, bis ich vor mir die Öffnung entdeckte, die der gelobte Mondschein sichtbar machte. Dann allerdings hielt ich inne; mich in Sicherheit wähnend, wischte ich mein Schwert notdürftig mit dem zerrissenen Mantelsaum sauber und steckte es in die Scheide.

Sodann hängte ich es mir über die Schulter und schwang mich hinaus und hinab, indem ich mit den triefend nassen Stiefeln nach den Gesimsen tastete, die mir beim Aufstieg Halt gegeben hatten. Ich war gerade zum dritten gelangt, als dicht bei meinem Kopf zwei Bolzen ins Gestein schlugen. Einer davon mußte mit der Spitze in einen Riß im alten Gestein eingedrungen sein, denn er blieb, weiße Funken verströmend, darin stecken. Ich war zu Tode erschrocken und hoffte in den wenigen Augenblicken, bis der nächste noch näher aufprallen und mich fast blenden würde, daß es sich nicht um solche Armbrüste handelte, die beim Spannen ein neues Geschoß einlegten und somit in kürzester Zeit wieder schußbereit waren.

Als der dritte Bolzen an der Wand explodierte, wußte ich, daß es solche waren, und ließ mich fallen, ehe der Schütze, der mich verfehlt hatte, noch einmal abdrücken könnte.

Wo der Bach aus der Minenöffnung stürzte, befand sich, wie ich mir hatte denken können, ein tiefes Becken, wo mich abermals ein Tauchgang erwartete, was aber keine Rolle mehr spielte, da ich bereits durchnäßt war; das Bad löschte sogar die glühenden Teilchen, die an Gesicht und Armen hafteten.

Geschickt unter Wasser fortzutauchen, das stand hier außer Frage. Die Strudel erfaßten mich wie ein Stück Holz und wirbelten mich an die Oberfläche, wo sie wollten. Das war zu meinem allergrößten Glück ein ganzes Stück stromabwärts, so daß ich meine Angreifer von hinten sah, als ich das Ufer erklomm. Diese starrten zusammen mit der Frau, die in ihrer Mitte stand, auf die Stelle, wo sich der Wasserfall ergoß.

Zum letzten Mal in dieser Nacht zückte ich Terminus Est und rief: »Hier, Agia!«

Ich hatte mir schon gedacht, daß sie es war, und als sie sich umwandte (schneller als einer der beiden Männer bei ihr), sah ich ihr Gesicht im Mondschein. Es war ein für mich gräßliches Gesicht (so anmutig trotz aller Selbstverachtung), denn es bedeutete, daß Thecla bestimmt tot war.

Der Mann, der sich mir am nächsten befand, war so töricht, seine Armbrust an die Schulter zu legen, ehe er den Schuß auslöste. Ich duckte mich und schnitt ihm mit einem Hieb die Beine unter dem Leib ab, während der Bolzen des zweiten wie eine Sternschnuppe über meinen Kopf schwirrte.

Während ich mich wieder aufrichtete, ließ der zweite Mann die Armbrust fallen und zog seinen kurzen Säbel. Agia war schneller und hatte mit ihrer Klinge auf meinen Hals eingestochen, ehe es ihm gelang, seine Waffe aus der Scheide zu lösen. Ich wich Agias erstem Hieb aus und parierte den zweiten, obschon Terminus Est zum Fechten ungeeignet war. Ein Angriff meinerseits drängte sie zurück.

»Hinter ihn!« rief sie dem zweiten Armbrustschützen zu. »Ich pack’ ihn vorn.«

Er antwortete nicht. Vielmehr sperrte er den Mund auf und holte mit seinem Säbel weit aus. Bevor ich erkannt hatte, daß sein Augenmerk nicht mir galt, huschte etwas fiebrig Glühendes an mir vorüber. Ich vernahm das häßliche Krachen eines zerberstenden Schädels. Agia drehte sich mit katzenhafter Grazie um und hätte den Menschenaffen aufgespießt, aber ich schlug ihr die vergiftete Klinge aus der Hand, so daß sie in hohem Bogen ins Wasser fiel. Daraufhin versuchte sie zu fliehen; ich packte sie am Haar und warf sie auf den Boden.

Der Menschenaffe kauerte über dem Armbrustschützen, den er getötet hatte – ob er den Leichnam ausplündern wollte oder lediglich neugierig ob seines Aussehens war, das erfuhr ich nie. Ich stellte den Fuß auf Agias Nacken, und der Menschenaffe richtete sich, mir zugekehrt, auf, sank aber sogleich wieder in die Hockhaltung, die ich in der Mine beobachtet hatte, und streckte die Arme empor. Eine Hand fehlte; ich erkannte hinter dem glatten Schnitt Terminus Est. Der Menschenaffe murmelte etwas, das ich nicht verstand.

Ich versuchte zu antworten. »Ja, das hab’ ich getan. Tut mir leid. Nun herrscht wieder Frieden zwischen uns.«

Sein Ausdruck blieb flehentlich, als er abermals zum Reden ansetzte. Nach wie vor sickerte Blut aus dem Stumpf, doch muß seinesgleichen über einen Abklemmechanismus zum Verschließen der Arterien besitzen, wie es offenbar bei Thylacodonten der Fall ist; ohne Behandlung wäre ein Mensch an einer solchen Wunde binnen Minuten verblutet.

»Ich hab’ sie abgeschlagen«, sagte ich. »Aber das ist passiert, als wir noch gekämpft haben, bevor ihr die Klaue des Schlichters gesehen habt.« Dann kam mir in den Sinn, daß er mir gewiß nach draußen gefolgt war, um noch einmal das Juwel zu sehen und der Furcht vor dem, was wir unter dem Berg geweckt hatten, zu trotzen. Ich schob die Hand in den Stiefelschaft und zog die Klaue hervor; kaum hatte ich dies getan, erkannte ich, wie töricht ich gewesen war, den Stiefel samt seinem kostbaren Inhalt so nahe in Agias Reichweite zu bringen, denn ihre Augen wurden groß vor Begierde, als der Menschenaffe sich demütig tiefer beugte und seinen mitleiderregenden Stumpf vorstreckte.

Eine Weile verharrten wir alle drei regungslos und mußten in diesem unheimlichen Licht ein wunderliches Bild abgegeben haben. Ein verblüffte Stimme – Jonas – rief »Severian!« vom Hang herunter. Wie der Trompetenstoß in einem Schattenspiel, der alles Verstellen auflöst, zerstörte dieser Ruf unser Tableau. Ich senkte die Klaue und verbarg sie in der Hand. Der Menschenaffe stürmte zur Felswand, und Agia zappelte fluchend unter meinem Fuß.

Ein Schlag mit der flachen Klinge brachte sie wieder zur Ruhe, aber ich behielt meinen Stiefel auf ihr, bis Jonas kam und wir sie zu zweit bewachen konnten.

»Ich dachte mir, du könntest Hilfe gebrauchen«, erklärte er. »Wie ich sehe, hab’ ich mich getäuscht.« Er blickte zu den Leichen der Männer in Agias Begleitung.

Ich antwortete: »Das war nicht der wirkliche Kampf.«

Agia setzte sich auf und rieb sich den Nacken und die Schultern. »Wir waren zu viert, und wir hätten dich gekriegt, aber mit einemmal stürzten diese Glühwürmer, diese Tigermenschen aus dem Loch, so daß zwei von uns Angst bekamen und sich aus dem Staub machten.«

Jonas kratzte sich mit seiner Stahlhand den Kopf, was sich anhörte wie das Striegeln eines Schlachtrosses. »Also sah ich, was ich zu sehen glaubte. Ich habe mich schon gewundert.«

Ich fragte ihn, was er zu sehen geglaubt hatte.

»Eine leuchtende, pelzvermummte Gestalt, die sich vor dir verneigte. Du hieltest wohl einen Becher feurigen Weinbrands. Oder war es ein Räucherfaß? Was ist das?« Er bückte sich nach einem Gegenstand am Wasserrand, wo der Menschenaffe gehockt hatte.

»Eine Keule.«

»Ja, das sehe ich.« Am Ende des knöchernen Griffs befand sich eine Sehnenschlinge, die Jonas über sein Handgelenk streifte. »Was waren das für Leute, die dich töten wollten?«

»Wir hätten dich«, sagte Agia, »wäre nicht dieser Mantel gewesen. Wir sahen ihn aus dem Loch kommen, aber der Mantel bedeckte ihn beim Runterklettern, so daß meine Männer das Ziel bis auf die Haut der Arme nicht sehen konnten.«

Ich erklärte in knappster Form, wie ich Agia und ihrem Zwillingsbruder begegnet war, und berichtete vom Tode Agilus’.

»Sie ist also gekommen, um ihm nachzufolgen.« Jonas blickte von ihr auf die scharlachrote Klinge von Terminus Est und zuckte leicht die Achseln. »Ich hab’ meinen Merychippus da oben gelassen und sollte wohl besser gehen und nach ihm schauen. Auf diese Weise kann ich nachher sagen, nichts gesehen zu haben. Ist sie die Frau, die den Brief verfaßt hat?«

»Ich hätt’s mir denken können. Ich hatte ihr von Thecla erzählt. Du weißt nichts von Thecla, aber sie, und um Thecla ist es in diesem Brief gegangen. Ich erzählte ihr bei unserem Gang durch den Botanischen Garten von Nessus davon. Es waren Fehler im Brief und Dinge, die Thecla nie gesagt hätte, aber ich nahm mir keine Zeit zum Überlegen, als ich den Brief las.«

Ich wandte mich ab und schob die Klaue tief in meinen Stiefelschaft. »Es ist wohl besser, du kümmerst dich um dein Tier, wie du sagst. Das meine hat sich offenbar losgerissen, so daß wir uns beim Heimritt auf dem deinen werden abwechseln müssen.« Jonas nickte und machte sich auf den Weg, den er herabgekommen war.

»Ihr habt mir aufgelauert, nicht wahr?« fragte ich Agia. »Ich habe etwas gehört, und mein Tier hat die Ohren gespitzt. Das seid ihr gewesen. Warum habt ihr mich nicht bei dieser Gelegenheit getötet?«

»Wir waren dort oben.« Sie zeigte in die Höhe. »Die Männer, die ich angeheuert hatte, sollten dich erschießen, als du den Bach heraufkamst. Die Männer waren blöd und stur, wie es Männer immer sind, und meinten, sie bräuchten ihre Bolzen nicht zu verschwenden – die Kreaturen in der Mine würden dich umbringen. Ich rollte einen Stein hinunter – den größten, den ich bewegen konnte – aber da war es schon zu spät.«

»Hast du durch sie von der Mine erfahren?«

Agia zuckte die Achseln, und der Mondschein verwandelte ihre bloßen Schultern in etwas Kostbareres und Schöneres als Fleisch. »Du wirst mich nun töten, was spielt es also noch für eine Rolle? Alle Einheimischen hier erzählen sich Geschichten über diesen Ort. Sie sagen, diese Wesen kämen nachts bei Unwetter heraus und würden Vieh von der Weide stehlen oder auf der Suche nach Kindern in Häuser einbrechen. Es geht auch die Sage, sie würden dort drinnen einen Schatz bewachen, also habe ich das ebenfalls in den Brief aufgenommen. Wärst du nicht wegen deiner Thecla gekommen, dacht’ ich, dann bestimmt deswegen. Darf ich dir den Rücken zukehren, Severian? Es ändert zwar nichts, aber ich möchte es wenigstens nicht sehen.«

Als sie das sagte, fiel mir ein Stein vom Herzen: Ich war mir nicht sicher gewesen, ob ich es über mich gebracht hätte, zuzuschlagen, während sie mir ins Gesicht geblickt hätte.

Ich hob den Eisenphallus, wobei mir war, als wollte ich Agia noch etwas fragen; aber es wollte mir nicht wieder einfallen.

»Hau zu!« sagte sie. »Ich bin bereit.«

Ich suchte einen guten Stand, und meine Finger fanden den Frauenkopf an einem Ende des Stichblatts, der die weibliche Schneide kennzeichnete.

Und ein wenig später wiederum: »Hau zu!«

Aber ich war inzwischen schon aus dem Tal geklettert.

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