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Tag. Neue Schmerzen. Neue empfindliche Stellen.

Jemand hatte mir einen ungebrauchten Mantel aus braunem Stoff dagelassen, und das schien mir eine gute Sache zu sein. Besonders wenn ich noch weiter zunahm und Ganelon sich an meine Farben erinnerte. Den Bart rasierte ich nicht ab, hatte er mich doch in einem etwas weniger struppigen Zustand gekannt. In seiner Gegenwart gab ich mir Mühe, meine Stimme zu verstellen. Grayswandir versteckte ich unter dem Bett.

In der folgenden Woche trieb ich mich von einer Anstrengung zur nächsten. Ich quälte mich ab und schwitzte und hüpfte, bis die Schmerzen nachließen und meine Muskeln wieder fest wurden. Ich glaube, in dieser Woche nahm ich fünfzehn Pfund zu. Langsam, sehr langsam begann ich mich zu fühlen wie früher.

Das Land hieß Lorraine – und so hieß auch sie. Wäre ich jetzt in der Stimmung, Sie etwas an der Nase herumzuführen, würde ich sagen, wir hätten uns auf einer Wiese hinter der Burg getroffen, während sie Blumen pflückte und ich an der frischen Luft einen Spaziergang machte. Blödsinn!

Höflich ausgedrückt, konnte man sie wohl als Marketenderin bezeichnen. Ich begegnete ihr am Ende eines harten Tages, den ich vorwiegend mit Säbel und Netz verbracht hatte. Als mein Blick auf sie fiel, stand sie abseits und wartete auf den Mann, mit dem sie verabredet war. Sie lächelte, und ich lächelte zurück, nickte, blinzelte ihr zu und ging vorbei. Am nächsten Tag bekam ich sie wieder zu Gesicht, sagte »Hallo« und ging an ihr vorbei. Das ist alles.

Nun, ich lief ihr immer mal wieder über den Weg. Am Ende der zweiten Woche, als die Schmerzen ausgestanden waren und ich gut hundertundsiebzig Pfund wog und mich wieder entsprechend zu fühlen begann, verabredete ich mich auf einen Abend mit ihr. Inzwischen war mir ihr Status natürlich bekannt, und ich hatte nichts dagegen. Aber an jenem Abend taten wir nicht das übliche. O nein. Statt dessen unterhielten wir uns, und später passierte etwas ganz anderes.

Ihr Haar war rostfarben und wies schon einige graue Strähnen auf. Trotzdem schätzte ich sie auf unter Dreißig. Die Augen sehr blau. Ein etwas spitz zulaufendes Kinn. Saubere, gleichmäßige Zähne in einem Mund, der mich viel anlächelte. Ihre Stimme klang leicht nasal, sie trug das Haar zu lang, das Make-up lag zu dick über zu tiefen Spuren der Müdigkeit, ihre Haut war ein wenig zu sommersprossig, ihre Kleidung zu bunt und zu eng. Doch ich mochte sie. Als ich mich mit ihr verabredete, wußte ich noch nicht, daß sie mir gefallen würde; wie gesagt, ich hatte eigentlich nicht die Absicht gehabt, ihr den Hof zu machen.

Es gab keine andere Möglichkeit als mein Zimmer, und wir waren dorthin gegangen. Ich war inzwischen zum Captain ernannt worden und nutzte natürlich meine Stellung aus, indem ich uns das Essen und eine Extraflasche Wein servieren ließ.

»Die Männer haben Angst vor dir«, sagte sie. »Sie sagen, du ermüdest niemals.«

»Das tue ich aber«, erwiderte ich. »Glaub mir!«

»Natürlich«, sagte sie, schüttelte die zu langen Locken und lächelte. »Trifft das nicht bei uns allen zu?«

»Kann man wohl sagen«, erwiderte ich.

»Wie alt bist du?«

»Wie alt bist du?«

»Ein Gentleman stellt diese Frage nicht.«

»Eine Dame aber auch nicht.«

»Als du hier auftauchtest, hielt man dich für über fünfzig.«

»Und . . .?«

»Jetzt ist man sich nicht mehr sicher. Fünfundvierzig? Vierzig?«

»Nein«, sagte ich.

»Das hatte ich auch nicht angenommen. Aber dein Bart hat alle getäuscht.«

»Das haben Bärte oft so an sich.«

»Du siehst mit jedem Tag besser aus. Größer . . .«

»Danke. Ich fühle mich tatsächlich besser als bei meiner Ankunft.«

»Sir Corey von Cabra«, sagte sie. »Wo liegt Cabra? Was ist Cabra? Nimmst du mich dorthin mit, wenn ich dich nett darum bitte?«

»Versprechen würd´ ich´s dir«, erwiderte ich. »Aber es wäre eine Lüge.«

»Ich weiß. Aber ich würd´s trotzdem gern hören.«

»Na gut. Ich nehme dich mit dorthin. Es ist ein mieses Land.«

»Bist du wirklich so gut, wie die Männer behaupten?«

»Wohl kaum. Und du?«

»Eigentlich nicht. Möchtest du jetzt zu Bett gehen?«

»Nein, ich möchte mich lieber mit dir unterhalten. Hier, ein Glas Wein.«

»Vielen Dank – auf deine Gesundheit.«

»Und die deine.«

»Wieso bist du ein so guter Schwertkämpfer?«

»Naturtalent und gute Lehrer – deshalb.«

». . . und du hast Lance die ganze weite Strecke getragen und die Ungeheuer getötet . . .«

»Je öfter man eine solche Geschichte erzählt, desto gewaltiger wird sie.«

»Aber ich habe dich beobachtet. Du bist wirklich besser als die anderen. Deshalb hat dir Ganelon ja auch seinen Vorschlag gemacht – was immer es ist. Er weiß etwas Gutes zu erkennen, wenn es ihm vor Augen kommt. Ich habe schon viele Schwertkämpfer zum Freund gehabt und habe ihnen beim Üben zugeschaut. Du könntest sie alle fertigmachen. Die Männer sagen, du wärst ein guter Lehrer. Sie mögen dich, obwohl du ihnen angst machst.«

»Warum mache ich ihnen angst? Weil ich kräftig bin? Es gibt viele kräftige Männer auf der Welt. Weil ich mein Schwert lange Zeit schwingen kann?«

»Sie glauben, da spielt etwas Übernatürliches mit.«

Ich lachte.

»Nein, ich bin nur der zweitbeste Schwertkämpfer, den es gibt. Verzeihung – vielleicht der drittbeste. Aber ich will mir künftig noch mehr Mühe geben.«

»Wer ist denn besser?«

»Möglicherweise Eric von Amber.«

»Wer ist das?«

»Ein übernatürliches Wesen.«

»Er ist der beste?«

»Nein.«

»Wer dann?«

»Benedict von Amber.«

»Ist er auch eins?«

»Ja – wenn er noch lebt.«

»Seltsam – du bist seltsam«, meinte sie. »Und warum? Sag´s mir! Bist auch du ein übernatürliches Wesen?«

»Komm, wir trinken noch ein Glas Wein.«

»Der Alkohol steigt mir zu Kopf.«

»Um so besser.«

Ich schenkte ein.

»Wir werden alle sterben«, sagte sie.

»Früher oder später.«

»Ich meine hier und bald, im Kampf gegen dieses Ding.«

»Warum sagst du das?«

»Es ist zu stark.«

»Warum bleibst du dann hier?«

»Ich weiß nicht, wohin ich sonst sollte. Deshalb habe ich dich auch nach Cabra gefragt.«

»Und deshalb bist du heute abend zu mir gekommen?«

»Nein. Ich wollte sehen, wie du so bist.«

»Ich bin ein Athlet, der sich gegen sein Training versündigt. Bist du hier in der Gegend geboren?«

»Ja. Im Wald.«

»Warum hast du dich mit den Burschen hier eingelassen?«

»Warum nicht? Es ist doch besser, als jeden Tag Schweine zu hüten.«

»Hast du keinen eigenen Mann gehabt? Einen ständigen, meine ich?«

»Doch. Aber er ist tot. Er ist der Mann, der den . . . den Hexenring gefunden hat.«

»Tut mir leid.«

»Mir aber nicht. Immer wenn er genug Geld zusammengestohlen oder -geborgt hatte, ist er sich besaufen gegangen, und dann kam er nach Hause und schlug mich. Ich war froh, daß ich Ganelon kennengelernt habe.«

»Du meinst also, das Wesen sei zu stark – daß wir den Kampf verlieren?«

»Ja.«

»Da magst du recht haben. Aber ich glaube, du irrst dich.«

Sie zuckte die Achseln.

»Du wirst mit uns kämpfen?«

»Ich fürchte, ja.«

»Niemand wußte das genau oder hat sich eindeutig darüber geäußert. Das kann interessant werden. Ich würde dich gern mit dem Ziegenmann kämpfen sehen.«

»Warum?«

»Weil er der Anführer zu sein scheint. Wenn du ihn tötest, hätten wir eine bessere Chance. Du könntest es sogar schaffen.«

»Ich werde es müssen«, sagte ich.

»Aus besonderen Gründen?«

»Ja.«

»Private Gründe?«

»Ja.«

»Dann viel Glück.«

»Vielen Dank.«

Sie leerte ihr Glas, und ich schenkte nach.

»Ich weiß, daß er ein übernatürliches Wesen ist«, meinte sie.

»Wechseln wir lieber das Thema.«

»Na schön. Aber tust du mir einen Gefallen?«

»Welchen denn?«

»Lege morgen deine Rüstung an, nimm dir eine Lanze, besorg dir ein Pferd und mach den Kavallerieoffizier Harald fertig!«

»Warum denn?«

»Er hat mich letzte Woche geschlagen, so wie es Jarl früher getan hat. Schaffst du das?«

»Ja.«

»Tust du´s?«

»Warum nicht? Der Mann ist schon so gut wie abgeworfen!«

Sie rückte näher heran und lehnte sich gegen mich.

»Ich liebe dich«, sagte sie.

»Unsinn!«

»Na schön. Wie gefällt dir: ›Ich mag dich«?«

»Schon besser. Ich . . .«

In diesem Augenblick fuhr mir ein kalter, lähmender Wind das Rückgrat entlang. Ich erstarrte und widersetzte mich dem Kommenden, indem ich meinen Geist völlig leerte.

Jemand suchte nach mir. Es handelte sich zweifellos um einen Angehörigen des Hauses von Amber, wahrscheinlich um eins meiner Brüderchen, und er benutzte meinen Trumpf oder etwas Ahnliches. Das Gefühl war nicht zu verkennen. Wenn sich dort Eric meldete, hatte er mehr Mut, als ich ihm zutraute, da ich ihm bei unserem letzten Kontakt fast das Gehirn ausgebrannt hatte. Um Random konnte es sich nicht handeln, es sei denn, er war inzwischen aus dem Gefängnis geholt worden, was ich doch bezweifelte. Wenn es Julian oder Caine waren, sollten sie sich zur Hölle scheren. Bleys war vermutlich tot, wahrscheinlich auch Benedict. Damit blieben Gérard, Brand und unsere Schwestern. Aus dieser Gruppe mochte mir nur Gérard gesonnen sein. Folglich widersetzte ich mich einer Entdeckung, und mit Erfolg. Dazu brauchte ich etwa fünf Minuten, und als es vorbei war, zitterte ich am ganzen Körper und war in Schweiß gebadet. Lorraine starrte mich seltsam an.

»Was ist los?« fragte sie. »Du bist doch noch längst nicht betrunken, und ich auch nicht!«

»Nur ein Anfall, wie ich ihn manchmal bekomme«, sagte ich. »Eine tückische Krankheit, die ich mir auf den Inseln zugezogen habe.«

»Ich habe ein Gesicht gesehen«, sagte sie. »Vielleicht auf dem Boden, vielleicht auch nur in meinem Kopf. Ein alter Mann. Der Kragen seines Gewandes war grün, und er sah dir ziemlich ähnlich, außer daß sein Bart grau war.«

Da versetzte ich ihr einen Schlag.

»Du lügst! Du kannst unmöglich . . .«

»Ich berichte doch nur, was ich gesehen habe! Schlag mich nicht! Ich weiß nicht, was es bedeutet hat! Wer war das?«

»Ich glaube, es war mein Vater. Gott, das ist seltsam . . .«

»Was war eigentlich los?« wiederholte sie.

»Ein Anfall«, erklärte ich. »Ich habe so etwas öfter, dann bilden sich die Leute ein, sie sähen meinen Vater an der Burgmauer oder auf dem Boden. Mach dir keine Gedanken. Es ist nicht ansteckend.«

»Unsinn!« meinte sie. »Du lügst mich an!«

»Ich weiß. Aber bitte, vergiß das Ganze.«

»Warum sollte ich?«

»Weil du mich magst«, erklärte ich. »Weißt du noch? Und weil ich Harald morgen für dich in den Staub werfe.«

»Das stimmt«, sagte sie, und als ich erneut zu zittern begann, holte sie eine Decke vom Bett und legte sie mir um die Schultern.

Sie reichte mir mein Glas, und ich trank. Schließlich nahm sie neben mir Platz und lehnte den Kopf an meine Schulter, und ich legte den Arm um sie. Ein teuflischer Wind begann zu kreischen, und ich hörte das schnelle Prasseln des Regens, der davon herangetragen wurde. Eine Sekunde lang hatte ich den Eindruck, als schlüge etwas gegen die Fensterflügel. Lorraine wimmerte leise vor sich hin.

»Mir gefällt nicht, was da heute nacht im Gange ist«, sagte sie.

»Mir auch nicht. Bitte lege den Balken vor die Tür. Sie ist nur verriegelt.«

Während sie meiner Bitte nachkam, verschob ich unseren Sitz, bis er dem einzigen Fenster des Raums gegenüberstand. Dann holte ich Grayswandir unter dem Bett hervor und zog blank. Schließlich löschte ich die Lichter im Zimmer bis auf eine letzte Kerze auf dem Tisch zu meiner Rechten.

Ich nahm wieder Platz und legte die Klinge über die Knie.

»Was tun wir?« fragte Lorraine und setzte sich zu meiner Linken.

»Wir warten«, sagte ich.

»Worauf?«

»Ich weiß es nicht genau – jedenfalls ist die Nacht dafür günstig.«

Sie erschauderte und kuschelte sich an mich.

»Vielleicht solltest du lieber verschwinden«, sagte ich.

»Ich weiß«, entgegnete sie, »aber draußen hätte ich Angst. Wenn ich hierbleibe, kannst du mich doch beschützen, nicht wahr?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht einmal, ob ich mich selbst schützen kann.«

Sie berührte Grayswandir.

»Was für eine herrliche Klinge! So eine Schneide hab ich noch nie gesehen.«

»Es gibt auch keine zweite dieser Art«, erwiderte ich, und mit jeder kleinen Bewegung fiel das Licht in anderem Winkel auf den Stahl, der eben noch mit orangerotem Blut nichtmenschlicher Herkunft bedeckt zu sein schien und im nächsten Augenblick kalt und weiß schimmerte wie Schnee oder die Brust einer Frau und in meiner Hand erbebte, sobald mich ein Kälteschauer packte.

Ich fragte mich, wie es möglich war, daß Lorraine während des Kontaktversuches etwas gesehen hatte, das mir entgangen war. Etwas, das der Wirklichkeit so nahe kam, daß es sich nicht um Einbildung handeln konnte.

»Auch du bist irgendwie seltsam«, sagte ich.

Sie schwieg, während die Kerze vier- oder fünfmal flackerte; dann sagte sie: »Ich besitze so etwas wie das zweite Gesicht. Bei meiner Mutter war das Talent noch größer. Die Leute sagen, meine Großmutter sei eine wahre Zauberin gewesen. Von solchen Sachen weiß ich allerdings nichts. Na ja, nicht viel. Ich hab´s seit Jahren nicht mehr versucht. Es lief immer wieder darauf hinaus, daß ich letztlich nur Nachteile davon hatte.«

Sie schwieg, und ich fragte: »Was meinst du damit?«

»Ich setzte einen Zauberspruch ein, um meinen ersten Mann an mich zu binden«, erzählte sie, »und nun sieh doch, was er für einer war. Hätte ich es nicht getan, wäre ich viel besser dran gewesen. Ich hatte mir eine hübsche Tochter gewünscht und ließ es dazu kommen . . .«

Abrupt hielt sie inne, und ich erkannte, daß sie weinte.

»Was ist los? Ich verstehe nicht . . .«

»Ich dachte, du wüßtest es«, sagte sie.

»Nein – ich weiß nichts.«

»Sie war das kleine Mädchen, das im Hexenkreis tot . . . Ich dachte, du wüßtest Bescheid . . .«

»Es tut mir leid.«

»Ich wünschte, ich hätte diese Fähigkeit nicht. Ich setze sie auch gar nicht mehr ein. Aber sie läßt mir keine Ruhe. Noch immer bringt sie mir Träume und seltsame Zeichen, und dabei geht es nie um Dinge, auf die ich Einfluß nehmen kann. Ich wünschte, die Fähigkeit würde verschwinden und jemand anders plagen!«

»Und das ist etwas, was nicht passieren wird, Lorraine. Ich fürchte, du mußt dich damit abfinden.«

»Woher weißt du das?«

»Ich habe Menschen gekannt, die in deiner Lage waren – das ist alles.«

»Du hast selbst solche Fähigkeiten, nicht wahr?«

»Ja.«

»Dann spürst du also auch, daß sich da draußen etwas herumtreibt?«

»Ja.«

»Ich auch. Weißt du, was das Wesen gerade macht?«

»Es sucht nach mir.«

»Ja, das spüre ich auch. Warum?«

»Vielleicht will es mich auf die Probe stellen. Es weiß, daß ich hier bin. Wenn ich ein neuer Verbündeter Ganelons bin, fragt es sich natürlich, was sich hinter mir verbirgt, wer ich bin . . .«

»Ist es der Gehörnte persönlich?«

»Keine Ahnung. Aber ich nehme es nicht an.«

»Warum nicht?«

»Wenn ich wirklich derjenige bin, der das Wesen vernichten könnte, wäre es doch töricht von ihm, mich hier in der Burg des Gegners aufzusuchen, wo ich sofort Hilfe finden kann. Ich glaube eher, daß einer seiner Helfer nach mir sucht. Vielleicht hängt das irgendwie damit zusammen, daß das Gespenst meines Vaters . . . ich weiß es nicht. Wenn der Helfer mich findet und identifiziert, weiß das Wesen, welche Vorbereitungen es treffen muß. Wenn es mich findet und vernichtet, ist das Problem ja schon gelöst. Vernichte ich den Gesandten aber, weiß das Wesen schon etwas mehr über meine Kräfte. Wie immer sich die Sache entwickelt – der Gehörnte wird um eine Nasenlänge vorn liegen. Warum also sollte er in diesem Stadium des Spiels seinen gehörnten Kopf riskieren?«

Wir warteten in der schattengefüllten Kammer, während unsere Kerze die Minuten niederbrannte.

Sie regte sich neben mir. »Was hast du gemeint, als du sagtest: ›Wenn es dich findet und identifiziert?‹ Identifiziert als was?«

»Als den, der beinahe nicht gekommen wäre«, erwiderte ich.

»Glaubst du, das Wesen könnte dich von irgendwoher kennen?«

»Möglich ist es.«

Da rückte sie von mir ab.

»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte ich. »Ich werde dir nicht weh tun.«

»Ich habe aber Angst, und du wirst mir weh tun!« sagte sie. »Ich weiß es! Aber ich sehne mich nach dir! Warum sehne ich mich nur nach dir?«

»Ich weiß es nicht.«

»Dort draußen ist etwas!« sagte sie, und in ihrer Stimme lag ein Hauch von Hysterie. »Es ist schon ganz nahe! Ganz nahe! Hör doch!«

»Halt den Mund!« sagte ich, während sich in meinem Nacken ein kaltes Kribbeln bemerkbar machte und sich um meinen Hals zog. »Geh auf die andere Seite des Zimmers, hinter das Bett!«

»Ich fürchte mich vor der Dunkelheit«, sagte sie.

»Los, geh schon, sonst muß ich dich bewußtlos schlagen und hinschleifen. Hier bist du mir nur im Weg!«

Ich hörte ein schweres Klatschen durch den Lärm des Unwetters, und dann kratzte etwas über die Mauersteine; Lorraine hatte mir gehorcht.

Im nächsten Augenblick blickte ich in zwei glutrote Augen, die mich starr ansahen. Hastig senkte ich den Blick. Das Wesen stand auf dem äußeren Fenstersims und sah mich an.

Das Geschöpf war gut sechs Fuß groß; riesige Fühler entsprangen der breiten Stirn. Es trug keine Kleidung; das Fleisch hatte eine einheitliche graue Färbung. Das Wesen schien geschlechtslos zu sein und besaß ledriggraue Flügel, die über eine große Spannweite verfügten und mit der Nacht verschmolzen. In der rechten Hand hielt es ein kurzes Schwert aus dunklem Metall. Die Klinge war mit seltsamen Runenzeichen bedeckt. Mit der linken Hand klammerte sich das Wesen am Fenster fest.

»Betreten auf eigene Gefahr!« sagte ich laut und richtete Grayswandirs Spitze auf die Brust des Wesens.

Das Geschöpf kicherte. Es stand über mir und kicherte und lachte mich an. Es versuchte noch einmal meinen Blick in seinen Bann zu ziehen, doch ich wehrte mich. Wenn es mir eine Zeitlang in die Augen starrte, mußte es mich erkennen, wie es schon der Höllenkatze gelungen war.

Als der nächtliche Besucher das Wort ergriff, hörte es sich an, als spräche er mit Posaunenklängen.

»Du bist nicht der Gesuchte«, sagte das Wesen. »Du bist kleiner und älter. Trotzdem . . . die Klinge . . . Sie könnte ihm gehören. Wer bist du?«

»Wer bist du?« fragte ich zurück.

»Strygalldwir ist mein Name. Wenn du in diesem Namen fluchst, fresse ich dein Herz und deine Leber.«

»In deinem Namen fluchen? Ich kann ihn ja nicht mal aussprechen«, erwiderte ich, »und meine Leberzirrhose würde dir nur Durchfall verursachen. Verschwinde!«

»Wer bist du?« wiederholte es.

»Misli, gammi gra´adil, Strygalldwir«, sagte ich, und das Wesen zuckte wie von einem glühenden Brandeisen getroffen zusammen.

»Mit einem so einfachen Zauberspruch willst du mich vertreiben?« fragte es, als es sich wieder gefangen hatte. »Ich gehöre nicht zu den kleinen Fischen!«

»Trotzdem schien dir eben ein bißchen heiß zu werden.«

»Wer bist du?« fragte es noch einmal.

»Sag mir, was du willst, Bursche. Vögelchen, Vögelchen, flieg zurück nach Hause . . .«

»Viermal muß ich dich fragen, viermal mußt du die Antwort verweigern, ehe ich eindringen darf, um dich zu töten. Wer bist du?«

»Nein!« sagte ich und stand auf. »Komm herein und brenne!«

Im nächsten Augenblick riß der Eindringling die Fensterfüllung heraus, und der Wind, der den Angreifer ins Zimmer begleitete, ließ die Kerze verlöschen.

Ich stürzte vor, und Funken sprühten zwischen uns, als Grayswandir auf das dunkle Runenschwert traf. Die Klingen klirrten zusammen, und ich sprang zurück. Meine Augen hatten sich an das Halbdunkel gewöhnt, so daß mich der Lichtverlust nicht blendete. Das unheimliche Geschöpf vermochte ebenfalls gut zu sehen. Es war kräftiger als ein normaler Mensch, aber da das auch auf mich zutraf, machte es mir nichts aus. Wir umkreisten uns in dem engen Zimmer. Ein eiskalter Wind umtoste uns, und als wir wieder am Fenster vorbeikamen, klatschten mir kalte Tropfen ins Gesicht. Als ich das Wesen zum erstenmal verletzte – mit einem langen Schnitt in die Brust –, blieb es stumm, obwohl die Wundränder von winzigen Flammen bekränzt waren. Beim zweiten Stich – in den Oberarm – stieß es einen Schrei aus und begann mich zu verfluchen.

»Heute abend sauge ich dir das Mark aus den Knochen!« sagte es. »Ich werde sie trocknen und voller Raffinesse zu einem Musikinstrument umgestalten! Und jedesmal, wenn ich darauf spiele, windet sich deine Seele in körperloser Qual!«

»Du brennst recht hübsch«, sagte ich.

Das Wesen stockte einen Sekundenbruchteil lang, und das war meine Chance.

Ich hieb die düstere Klinge zur Seite, und mein Stich ging genau ins Ziel, bohrte sich in die Mitte der Brust. Ich stieß kräftig zu.

Da begann das Wesen aufzuheulen, doch es sank nicht zu Boden. Grayswandir wurde mir aus der Hand gerissen. Flammen zuckten um die Wunde. Das Wesen stand da und stellte das Feuerlodern zur Schau. Es machte einen Schritt auf mich zu, und ich riß einen kleinen Stuhl hoch und hielt ihn zwischen uns.

»Ich habe mein Herz nicht an der Stelle, wo ihr Menschen es vermutet«, sagte das Ungeheuer.

Dann griff es an, doch ich wehrte den Hieb mit dem Stuhl ab und stieß ihm eins der Stuhlbeine in das rechte Auge. Dann warf ich das Möbelstück fort, trat vor, packte das rechte Handgelenk meines Gegners und drehte es herum. So fest ich konnte, ließ ich die Handkante gegen den Ellbogen schnellen. Ein lautes Knacken ertönte, und das Runenschwert polterte zu Boden. Im nächsten Augenblick traf seine linke Hand mich am Kopf, und ich stürzte zu Boden.

Es sprang auf die Klinge zu, doch ich packte es an den Fußgelenken und brachte es zu Fall.

Das Wesen wand sich am Boden, und ich warf mich darüber und umklammerte seinen Hals. Ich drehte den Kopf zur Seite, das Kinn gegen die Brust gedrückt, während es mir mit der linken Hand und dem linken Flügel das Gesicht zu zerkratzen suchte.

Als sich mein tödlicher Griff festigte, versuchte sich sein Blick in meine Augen zu bohren – und diesmal wich ich dem Angriff nicht aus.

Im tiefsten Innern meines Gehirns verspürte ich einen leichten Schock, als wir beide die Wahrheit erkannten.

»Du!« vermochte das Wesen noch zu keuchen, ehe ich die Hände verdrehte und das Leben aus den roten Augen preßte.

Langsam richtete ich mich auf, stellte den Fuß auf die Leiche und zog Grayswandir heraus.

Als sich die Klinge löste, flammte das Wesen auf und brannte, bis nur noch ein schwarzer Fleck auf dem Boden zu sehen war.

Im nächsten Augenblick eilte Lorraine zu mir, und ich legte ihr den Arm um die Schultern, und sie sagte, ich solle sie in ihre Unterkunft und ins Bett bringen. Und das tat ich, doch wir lagen nur nebeneinander, bis sie sich in den Schlaf geweint hatte. Ja. So lernte ich Lorraine kennen.


Lance, Ganelon und ich saßen auf unseren Reittieren auf einem hohen Berg; die spätmorgendliche Sonne schien uns auf den Rücken, während wir auf die Stelle hinabblickten. Die Szene brachte mir Bestätigung.

Der Kreis ähnelte dem kranken kahlen Wald im Tal südlich von Amber.

O Vater! Was habe ich getan? fragte ich tief in meinem Innern, doch es gab keine Antwort außer dem schwarzen Kreis, der sich unter mir dehnte, soweit das Auge reichte.

Durch die Schlitze meines Visiers blickte ich auf die Fläche – verkohlt wirkend, öde, nach Verfall stinkend. Inzwischen setzte ich den Helm kaum noch ab. Die Männer hielten das für eine Marotte, doch mein Rang gab mir das Recht auf gewisse exzentrische Züge. Seit gut zwei Wochen trug ich die Rüstung, seit meinem Kampf mit Strygalldwir. Ich hatte den Helm am folgenden Morgen aufgesetzt, ehe ich Harald besiegte und damit mein Versprechen Lorraine gegenüber einlöste, und war zu dem Schluß gekommen, daß ich mein Gesicht lieber verbergen sollte, während ich langsam weiter zunahm.

Ich mochte inzwischen an die hundertundachtzig Pfund wiegen und fühlte mich allmählich kräftig wie früher. Wenn ich dazu beitragen konnte, die Probleme des Landes Lorraine zu beseitigen, gab mir das zumindest eine Chance, das Ziel zu erstreben, das mir besonders am Herzen lag, und es vielleicht sogar zu erreichen.

»Das ist also der Kreis«, sagte ich. »Ich sehe aber gar keine Truppenbewegungen.«

»Dazu müßten wir wohl weiter nach Norden reiten«, sagte Lance. »Außerdem sehen wir die Wesen bestimmt erst nach Einbruch der Dunkelheit.«

»Wie weit nach Norden?«

»Drei oder vier Meilen. Sie sind ziemlich wendig.«

Zwei Tage lang waren wir geritten und hatten nun den Kreis erreicht. Einige Stunden zuvor hatten wir eine Patrouille getroffen und erfahren, daß die Truppen im Innern sich jede Nacht versammelten. Sie vollführten verschiedene Manöver und verschwanden dann gegen Morgen – zu einem weiter drinnen gelegenen Platz. Ich erfuhr auch, daß über dem Kreis ein ständiges Donnergrollen lag, ohne daß sich ein Unwetter entlud.

»Wollen wir hier frühstücken und dann nach Norden reiten?« fragte ich.

»Warum nicht?« fragte Ganelon. »Ich bin hungrig, und wir haben Zeit.«

Wir stiegen ab, aßen Trockenfleisch und tranken aus unseren Flaschen. »Die seltsame Nachricht verstehe ich immer noch nicht«, sagte Ganelon, nachdem er ausgiebig gerülpst, sich den Magen getätschelt und eine Pfeife angezündet hatte. »Wird er uns im entscheidenden Kampf zur Seite stehen – oder nicht? Wo ist er denn, wo er uns doch helfen will? Der Tag der Auseinandersetzung rückt immer näher!«

»Vergeßt ihn!« sagte ich. »Das Ganze war vermutlich ein Scherz.«

»Verdammt, das kann ich nicht!« rief er. »Die Sache ist irgendwie seltsam!«

»Worum geht es denn?« fragte Lance, und mir wurde bewußt, daß Ganelon ihm noch gar nichts gesagt hatte.

»Mein alter Lehnsherr Lord Corwin schickt eine seltsame Botschaft mit einem Vogel. Angeblich will er kommen. Ich hatte ihn für tot gehalten, und nun diese Nachricht!« sägte Ganelon. »Aber ich weiß immer noch nicht, was ich davon halten soll.«

»Corwin?« fragte Lance, und ich hielt den Atem an. »Corwin von Amber?«

»Ja, von Amber und Avalon.«

»Vergeßt die Nachricht.«

»Warum?«

»Er ist ein Mann ohne Ehre, und seine Versprechungen sind nichts wert.«

»Ihr kennt ihn?«

»Ich habe von ihm gehört. Vor langer Zeit einmal herrschte er auch über dieses Land. Erinnert Ihr Euch nicht an die Geschichten vom Dämonenherrscher? Das ist er! Das war Corwin lange vor meiner Zeit. Seine beste Tat war es, abzudanken und zu fliehen, als der Widerstand gegen ihn zu stark wurde.«

Das stimmte nicht!

Oder doch?

Amber wirft eine Vielzahl von Schatten, und mein Avalon hatte infolge meines dortigen Aufenthalts zahlreiche eigene Schatten beherrscht.

Ich mochte auf vielen Erdenwelten bekannt sein, auf denen sich Schatten meiner selbst bewegt und meine Taten und Gedanken nur unvollkommen nachgeäfft hatten.

»Nein«, sagte Ganelon. »Ich habe nie auf die alten Geschichten gehört. Allerdings frage ich mich, ob er wirklich derselbe Mann sein kann wie der, der früher einmal hier geherrscht hat. Eine interessante Überlegung.«

»Sehr«, stimmte ich zu, um aus der Diskussion nicht ausgeschlossen zu werden. »Aber wenn er vor so langer Zeit geherrscht hat, müßte er längst tot oder greisenhaft alt sein.«

»Er war ein Zauberer«, sagte Lance.

»Der Corwin, den ich kannte, war in der Tat ein Zauberer«, sagte Ganelon. »Er verbannte mich aus einem Land, das weder mit Beschwörung noch mit normalen Mitteln wiederzufinden ist.«

»Ihr habt bisher nie davon gesprochen«, sagte Lance. »Wie ist es dazu gekommen?«

»Das geht Euch nichts an«, sagte Ganelon unwirsch, und Lance schwieg.

Ich zog meine Pfeife heraus – vor zwei Tagen hatte ich mir eine zugelegt –, und Lance tat es mir nach. Es war eine Tonpfeife, die schlecht zog und in der Hand ziemlich heiß wurde. Wir entzündeten den Tabak, und zu dritt saßen wir da und rauchten vor uns hin.

»Nun, er hat jedenfalls klug gehandelt«, sagte Ganelon. »Wir wollen die Sache für den Augenblick vergessen.«

Natürlich taten wir das nicht. Doch wir ließen das Thema ruhen.

Ohne das schwarze Gebilde hinter uns wäre es sehr angenehm gewesen, dort zu sitzen und gelassen zu rauchen. Plötzlich fühlte ich mich den beiden Männern sehr verbunden. Ich wollte etwas sagen, doch mir fiel nichts ein.

Ganelon erlöste mich aus meinem Dilemma, indem er die Sprache auf eine aktuelle Frage brachte.

»Ihr wollt sie also packen, ehe sie angreifen?« fragte er.

»Genau«, erwiderte ich. »Wir wollen den Kampf in ihr Gebiet tragen.«

»Das Problem liegt darin, daß es eben ihr Gebiet ist«, erwiderte er. »Sie kennen sich dort viel besser aus als wir, und wer kann schon sagen, welche Mächte sie dort zu Hilfe rufen können?«

»Wenn wir den Gehörnten umbringen, bricht der ganze Angriff zusammen«, sagte ich.

»Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht könnt Ihr es schaffen«, sagte Ganelon. »Ob ich es könnte, weiß ich nicht; ich müßte mich wohl auf das Glück verlassen. Er ist zu schlecht für einen leichten Tod. Zwar nehme ich an, daß ich noch so gut kämpfe wie vor einigen Jahren – doch das kann immerhin ein Irrtum sein. Vielleicht bin ich zu verweichlicht und zu bequem geworden. Ich habe mir diesen Schreibtischposten nicht gewünscht!«

»Ich weiß«, sagte ich.

»Ich weiß«, sagte Lance.

»Lance«, fragte Ganelon, »sollen wir dem Rat unseres Freundes folgen? Sollen wir angreifen?«

Er hätte die Achseln zucken und sich herausreden können.

Doch das tat er nicht.

»Ja«, sagte er. »Beim letztenmal hätten sie uns fast überrannt. In der Nacht, als König Uther starb, war der Ausgang sehr knapp. Wenn wir sie jetzt nicht angreifen, können sie uns beim nächstenmal wohl niederkämpfen. Gewiß, leicht würde es ihnen nicht fallen, und sie müßten mit vielen Ausfällen rechnen. Doch ich glaube, daß sie es schaffen könnten. Am besten versuchen wir uns einen Überblick zu verschaffen, dann können wir unsere Angriffspläne im einzelnen festlegen.«

»Also gut«, sagte Ganelon. »Ich habe auch keine Lust mehr zum Warten. Sagt mir nach unserer Rückkehr noch einmal, was Ihr dazu meint, dann sehen wir weiter.«

Und das taten wir.

Am Nachmittag ritten wir nach Norden, versteckten uns auf den Bergen und blickten auf den Kreis hinab. Jenseits der Grenze gaben die Wesen auf ihre Art der Anbetung Ausdruck, und sie übten sich im Kampfeinsatz. Ich schätzte ihre Zahl auf etwa viertausend Kämpfer. Wir verfügten über zweitausendfünfhundert Mann. Die Gegenseite setzte seltsame fliegende, kriechende und hüpfende Wesen ein, die in der Nacht unheimliche Geräusche ausstießen. Wir besaßen ein mutiges Herz. O ja.

Dabei brauchte ich nur einige Minuten im Zweikampf mit dem gegnerischen Anführer, um die Sache zu entscheiden – so oder so. Die ganze Sache. Das konnte ich meinen Gefährten zwar nicht sagen, doch es stimmte.

Ich war nämlich verantwortlich für die Erscheinung dort unten. Ich hatte sie ausgelöst, und es lag an mir, sie ungeschehen zu machen, wenn es ging.

Ich hatte nur Angst, daß ich es nicht schaffen würde.

In einem Anfall der Leidenschaft, genährt von Wut, Entsetzen und Schmerz, hatte ich dieses Etwas entfesselt, ein Gebilde, das auf irgendeine Weise seine Entsprechung fand auf jeder Erde, die es gab. Das sind die Folgen des Blutfluchs eines Prinzen von Amber.

Wir beobachteten sie die ganze Nacht hindurch, die Wächter des Kreises – und am nächsten Morgen zogen wir uns zurück.

Das Urteil lautete: Angriff!

Wir ritten den ganzen Weg zurück, und nichts folgte uns. Als wir die Burg von Ganelon erreichten, schmiedeten wir Pläne. Unsere Truppen waren bereit – vielleicht mehr als bereit –, und wir beschlossen, innerhalb der nächsten zwei Wochen zuzuschlagen.


Neben Lorraine liegend, erzählte ich ihr von diesen Dingen. Ich war der Meinung, daß sie Bescheid wissen müßte. Ich besaß die Macht, sie in die Schatten zu entführen, noch diese Nacht, wenn sie sich nur bereit erklärte. Doch sie war nicht einverstanden.

»Ich bleibe bei dir«, sagte sie.

»Na gut.«

Ich sagte ihr nicht, daß meinem Gefühl nach alles in meinen Händen ruhte, doch ich hatte so eine Ahnung, als ob sie es wüßte und mir aus irgendeinem Grund vertraute. Ich hätte mir nicht vertraut, aber das war ihre Sache.

»Du weißt ja, wie es ausgehen kann«, sagte ich.

»Ich weiß«, sagte sie, und ich wußte, daß sie es wußte, und das war alles.

Wir wandten uns angenehmeren Dingen zu, und später schliefen wir ein. Sie hatte geträumt.

Am nächsten Morgen sagte sie zu mir: »Ich habe geträumt.«

»Wovon?« fragte ich.

»Von dem bevorstehenden Kampf«, sagte sie. »Ich sehe dich und den Gehörnten im Kampf vereint.«

»Wer siegt?«

»Das weiß ich nicht. Aber während du schliefst, habe ich etwas getan, das dir vielleicht hilft.«

»Das hättest du lieber nicht tun sollen«, sagte ich. »Ich kann auf mich selbst aufpassen.«

»Dann träumte ich von meinem eigenen Tod, in dieser Zeit.«

»Ich möchte dich an einen Ort bringen, den ich kenne.«

»Nein, mein Platz ist hier«, erwiderte sie.

»Ich will ja nicht so tun, als gehörtest du mir«, sagte ich, »aber ich kann dich vor den Dingen schützen, die du geträumt hast. Soviel liegt in meiner Macht, das mußt du mir glauben.«

»Ich glaube dir. Aber ich gehe nicht.«

»Du bist ein verdammter Dickschädel!«

»Laß mich bleiben.«

»Wie du willst . . . Hör mal, ich würde dich sogar nach Cabra schicken . . .«

»Nein.«

»Du bist ein verdammter Dickschädel!«

»Ich weiß. Ich liebe dich.«

». . . und ein Dummkopf obendrein. Wir haben uns auf ›mögen‹ geeinigt, weißt du noch?«

»Du wirst es schaffen«, sagte sie.

»Geh zur Hölle!«

Und sie begann leise zu weinen, und ich mußte sie wieder trösten.

Das war Lorraine.

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