Ich stand am Ufer an der Küste und sagte: »Leb wohl, Schmetterling!«, und das Schiff wendete langsam und glitt wieder ins tiefe Wasser hinaus. Ich wußte, daß es an den Steg des Leuchtturms von Cabra zurückkehren würde, denn jener Ort lag den Schatten nahe.
Als ich mich abwandte, fiel mein Blick auf die schwarze Linie der Bäume in der Nähe. Mir war klar, daß mich ein langer Marsch erwartete. Ich setzte mich in diese Richtung in Bewegung und nahm dabei die notwendigen Anpassungen vor. Nächtliche Kühle lag über dem stummen Wald, und das war gut.
Ich hatte etwa fünfzig Pfund Untergewicht und konnte von Zeit zu Zeit nicht richtig sehen, doch mein Zustand besserte sich allmählich. Ich war mit der Hilfe des verrückten Dworkin den Verliesen Ambers entkommen und hatte mich in Gesellschaft des trinkfesten Jopin wieder etwas erholt. Jetzt mußte ich mir einen Ort zum Verweilen suchen, einen Ort, der einem anderen Ort ähnlich war – einem Ort, den es nicht mehr gab. Ich machte den richtigen Weg ausfindig. Ich schlug ihn ein.
Kurze Zeit später verweilte ich an einem großen Hohlbaum, mit dessen Vorhandensein ich gerechnet hatte. Ich griff hinein, nahm meine versilberte Klinge heraus und gürtete sie um. Es zählte nicht, daß sich die Waffe irgendwo in Amber befunden hatte – jetzt war sie hier, denn der Wald, durch den ich schritt, befand sich in den Schatten.
Ich wanderte mehrere Stunden lang dahin; die unsichtbare Sonne stand dabei irgendwo links hinter mir. Dann ruhte ich mich eine Zeitlang aus und marschierte weiter. Ein hübscher Anblick, die Blätter und Felsen und die toten Baumstümpfe, die lebenden Stämme, das Gras, die dunkle Erde. Es war angenehm, all die zarten Gerüche des Lebens aufzunehmen und sein Summen, Surren und Zwitschern zu hören. Bei den Göttern! Wie teuer mir meine Augen waren? Nach fast vierjähriger Blindheit wieder sehen zu können, war einfach unbeschreiblich! Und mich in Freiheit zu bewegen . . .
Mein zerschlissener Umhang flatterte im Morgenwind, während ich tüchtig ausschritt. Ich muß über fünfzig Jahre alt ausgesehen haben, mit meinem faltigen Gesicht, dem abgemagerten, dürren Körper. Wer hätte in mir den Mann erkannt, der ich wirklich war?
Meine Schritte führten mich durch die Schatten, auf einen Ort zu. Doch so sehr ich die Füße bewegte, so sehr ich durch die Schatten schritt, einem bestimmten Ort entgegen – ich erreichte dieses Ziel nicht. Offenbar war ich doch etwas weichherzig geworden. Es geschah das folgende . . .
Ich stieß auf sieben Männer am Straßenrand. Sechs waren tot, grausig zerstückelt. Der siebente lehnte halb zurückgeneigt mit dem Rücken am moosbedeckten Stamm einer alten Eiche. Er hielt die Klinge im Schoß, und an seiner rechten Flanke schimmerte eine große Wunde, aus der Blut strömte. Im Gegensatz zu etlichen Toten trug er keine Rüstung. Seine grauen Augen waren offen, wirkten allerdings ziemlich glasig. Die Knöchel seiner Schwerthand waren auf geschunden, und er atmete nur sehr langsam. Unter buschigen Brauen hervor beobachtete er die Krähen, die den Toten die Augen aushackten. Mich schien er nicht wahrzunehmen.
Ich streifte die Kapuze über und senkte den Kopf, um mein Gesicht zu verbergen. Dann trat ich näher.
Ich hatte ihn früher einmal gekannt – ihn oder einen Mann, der ihm sehr ähnlich war.
Als ich mich näherte, begann seine Klinge zu zucken; die Spitze wurde gehoben.
»Ich bin ein Freund«, sagte ich begütigend. »Möchtet Ihr einen Schluck Wasser?«
Er zögerte einen Augenblick lang und nickte dann.
»Ja.«
Ich öffnete meine Flasche und reichte sie ihm.
Er trank und hustete, setzte die Flasche erneut an.
»Sir, ich danke Euch«, sagte er und gab mir die Flasche zurück. »Ich bedaure nur, daß das Getränk nicht kräftiger war. Verdammte Wunde!«
»Auch damit bin ich versorgt. Seid Ihr sicher, daß Ihr so etwas vertragt?«
Er streckte die Hand aus. Ich entkorkte eine kleine Flasche und reichte sie ihm. Nach einem Schluck von dem Zeug, das Jopin immer trinkt, hustete er etwa zwanzig Sekunden lang.
Dann lächelte die linke Seite seines Mundes, und er blinzelte mir zu.
»Das ist schon viel besser«, sagte er. »Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich ein paar Tropfen davon auf die Wunde schütte? Ich verschwende ungern guten Whisky, aber . . .«
»Nehmt alles, wenn Ihr müßt. Doch wenn ich es mir recht überlege – Eure Hand scheint ziemlich zittrig zu sein. Vielleicht sollte ich das lieber besorgen.«
Er nickte, und ich öffnete seine Lederjacke und schnitt mit dem Messer sein Hemd auf, bis ich die Wunde freigelegt hatte. Es war ein böse aussehender tiefer Schnitt, der sich einige Zentimeter über dem Hüftknochen bis zum Rücken herumzog. An Armen, Brust und Schultern hatte er weitere, weniger schlimme Verwundungen erlitten.
Aus der großen Öffnung quoll das Blut, ich tupfte es ab und wischte mit meinem Taschentuch die Wundränder sauber.
»Gut«, sagte ich. »Jetzt beißt die Zähne zusammen und wendet den Blick ab.« Ich ließ den Whisky herabtropfen.
Ein gewaltiger Ruck ging durch seinen Körper, dann sank er herab und begann zu zittern. Doch kein Laut kam über seine Lippen, womit ich auch nicht gerechnet hatte. Ich faltete das Taschentuch zusammen und drückte es mitten auf die Wunde. Dort band ich es mit einem langen Stoffstreifen fest, den ich mir unten von meinem Umhang abgerissen hatte.
»Noch einen Schluck?« fragte ich.
»Wasser«, sagte er. »Dann muß ich wohl schlafen.«
Er trank, dann neigte sich sein Kopf nach vorn, bis das Kinn auf der Brust ruhte. Er schlief ein, und ich machte ihm ein Kissen und bedeckte ihn mit den Mänteln der Toten.
Schließlich saß ich an seiner Seite und beobachtete die hübschen schwarzen Vögel bei ihrem grausigen Mahl.
Er hatte mich nicht erkannt. Aber wer konnte mich in meinem Zustand schon erkennen? Hätte ich mich ihm offenbart, wäre ihm mein Name vielleicht bekannt vorgekommen. Wir hatten uns wohl nie richtig kennengelernt, dieser Verwundete und ich. Doch auf eine seltsame Weise waren wir doch miteinander vertraut.
Ich schritt durch die Schatten und suchte einen Ort, einen ganz besonderen Ort. Dieser Ort war vor langer Zeit zerstört worden, doch ich besaß die Macht, ihn wiedererstehen zu lassen, denn Amber strahlt eine Unendlichkeit von Schatten aus. Ein Kind Ambers – und das bin ich – kann sich zwischen den Schatten bewegen. Nennen Sie sie Parallelwelten, wenn Sie wollen, Alternativuniversen, wenn Ihnen das lieber ist, Produkte eines verwirrten Geistes, wenn Ihnen der Sinn danach steht. Ich nenne sie Schatten, ich und auch alle anderen, die die Macht besitzen, sich inmitten dieser Erscheinungen zu bewegen. Wir erwählen eine Möglichkeit und schreiten aus, bis wir sie erreichen. Auf gewisse Weise erschaffen wir sie. Lassen wir es für den Augenblick dabei bewenden.
Ich war über das Meer gefahren und hatte meinen Marsch nach Avalon begonnen.
Vor vielen Jahrhunderten hatte ich dort gelebt. Das ist eine lange, komplizierte, stolze und schmerzhafte Geschichte, auf die ich später vielleicht noch eingehe – wenn ich in der Lage sein sollte, meinen Bericht solange fortzusetzen.
Ich befand mich bereits in der Nähe Avalons, als ich den verwundeten Ritter und die sechs Toten fand. Wäre ich vorbeigegangen, hätte ich einen Ort erlangen können, da die sechs Toten am Straßenrand lagen und der Ritter unverwundet gewesen wäre – oder eine Stelle, da er tot war und sie lachend um ihn herumstanden. Manche Leute sind der Meinung, daß es darauf eigentlich gar nicht ankomme, da es sich bei all diesen Dingen nur um verschiedene Möglichkeiten handelte und es sie deshalb ausnahmslos irgendwo in den Schatten gibt.
Meine Brüder und Schwestern – ausgenommen vielleicht Gérard und Benedict – hätten sich nicht weiter um den Vorfall gekümmert. Ich aber bin wohl etwas weich geraten. So war ich nicht immer, doch es kann sein, daß mich die Schatten-Erde, auf der ich so viele Jahre verbracht habe, ein wenig gemäßigt hat, und vielleicht erinnerte mich die Zeit in den Verliesen Ambers doch etwas an die schreckliche Pein menschlichen Leidens. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich nicht an der Qual eines Mannes achtlos vorbeigehen konnte, der große Ähnlichkeit hatte mit einem guten Freund aus der Vergangenheit. Hätte ich dem Verwundeten meinen Namen ins Ohr gesagt, hätte er mich vielleicht verflucht; auf jeden Fall wäre mir eine Leidensgeschichte zu Ohren gekommen.
Folglich gedachte ich den Preis zu zahlen: ich wollte ihn wieder hochpäppeln, dann aber meines Weges ziehen. Damit war kein Schaden anzurichten, und vielleicht wurde sogar etwas Gutes getan.
Ich saß am Straßenrand und beobachtete ihn, und mehrere Stunden später erwachte er.
»Hallo«, sagte ich und öffnete meine Wasserflasche. »Noch etwas zu trinken?«
»Vielen Dank.« Er streckte die Hand aus.
Ich sah ihm beim Trinken zu, und als er mir die Flasche zurückgab, sagte er: »Entschuldigt, daß ich mich nicht vorgestellt habe. Das war kein gutes Benehmen . . .«
»Ich kenne Euch«, sagte ich. »Nennt mich Corey.«
Er sah mich an, als wolle er fragen: »Corey von Woher?«, doch er überlegte es sich anders und nickte.
»Sehr wohl, Sir Corey«, sagte er. »Ich möchte Euch danken.«
»Mein Dank ist die Tatsache, daß Ihr schon besser ausseht«, sagte ich. »Möchtet Ihr etwas zu essen?«
»Ja, bitte.«
»Ich habe Trockenfleisch dabei und auch Brot, das nicht mehr ganz frisch ist«, sagte ich. »Außerdem ein großes Stück Käse. Eßt nach Belieben.«
Ich reichte ihm die Nahrungsmittel, und er griff zu.
»Was ist mit Euch, Sir Corey?« fragte er.
»Ich habe gegessen, während Ihr schlieft.«
Vielsagend sah ich mich um. Er lächelte.
». . . Und Ihr habt die sechs allein erledigt?« fragte ich.
Er nickte.
»Ein großartiger Kampf. Was soll ich jetzt mit Euch machen?«
Er versuchte mir ins Gesicht zu schauen, was ihm aber nicht gelang.
»Ich verstehe nicht, was Ihr meint«, sagte er.
»Wohin wolltet Ihr?«
»Ich habe Freunde«, sagte er, »etwa fünf Meilen im Norden. Ich war dorthin unterwegs, als diese Sache passierte. Ich bezweifle sehr, ob mich ein Mensch, und sei er der Teufel selbst, auch nur eine Meile weit auf dem Rücken schleppen könnte. Und könnte ich stehen, Sir Corey, vermöchtet Ihr besser zu erkennen, wie groß ich eigentlich bin.«
Ich stand auf, zog meine Klinge und hieb mit einem Streich einen jungen Baum um, dessen Stamm etwa zwei Zoll durchmaß. Ich hackte Äste und Rinde ab und schnitt die Stange auf die richtige Länge zurecht. Dann schnitt ich eine zweite und flocht aus den Gürteln und Mänteln der Toten eine Art Bahre.
Er sah mir zu, bis ich fertig war. Dann bemerkte er: »Ihr führt eine gefährliche Klinge, Sir Corey – und offenbar eine silberne, wenn ich mich nicht täusche . . .«
»Haltet Ihr einen Transport aus?« fragte ich.
Fünf Meilen sind in dieser Welt etwa fünfundzwanzig Kilometer.
»Was geschieht mit den Toten?« wollte er wissen.
»Wollt Ihr ihnen etwa ein anständiges christliches Begräbnis verschaffen?« fragte ich. »Zum Teufel mit ihnen! Die Natur sorgt für sie. Wir sollten hier verschwinden. Die Kerle stinken ja schon.«
»Ich hätte es gern, wenn wir sie zumindest bedeckten. Sie haben gut gekämpft.«
Ich seufzte.
»Also gut, wenn Ihr dann besser schlafen könnt. Ich habe keinen Spaten und muß ihnen daher ein Felsengrab bauen. Das Begräbnis wird sich allerdings nur einfach gestalten.«
»Einverstanden«, sagte er.
Ich legte die sechs Leichen nebeneinander. Ich hörte ihn etwas murmeln, vermutlich ein Gebet für die Toten.
Dann zog ich einen Ring aus Steinen um die reglosen Gestalten. Es gab genügend Felsbrocken in der Nähe. Ich suchte mir die größten Steine aus, damit ich schneller vorankam. Und das war ein Fehler. Einer der Steine muß gut dreihundert Pfund gewogen haben, und ich verzichtete darauf, ihn zu rollen. Ich stemmte ihn vom Boden hoch und setzte ihn ab.
Ich hörte ein erstauntes Schnaufen aus seiner Richtung und machte mir klar, daß ihm das Gewicht meiner Last nicht entgangen war.
Sofort fluchte ich los.
»Hätte mich fast verhoben!« sagte ich und achtete darauf, daß ich nur noch nach kleineren Steinen griff.
»Also gut«, sagte ich, als ich fertig war. »Seid Ihr bereit?«
»Ja.«
Ich nahm ihn auf die Arme und setzte ihn auf die Bahre. Dabei biß er die Zähne zusammen.
»Wohin?« fragte ich.
Er machte eine Handbewegung.
»Zurück auf den Weg. Folgt ihm bis zur Gabelung. Dort geht rechts. Wie wollt Ihr denn überhaupt . . .?«
Ich nahm die Bahre in die Arme und hielt ihn wie einen Säugling in einer Wiege. Dann machte ich kehrt und ging auf den Weg zu.
»Corey?«
»Ja?«
»Ihr seid einer der kräftigsten Männer, die ich je gesehen habe – und mir will scheinen, daß ich Euch kenne.«
Ich antwortete nicht sofort. Dann sagte ich: »Ich versuche eben in Form zu bleiben. Ein vernünftiges Leben, ein bißchen Bewegung – und so weiter.«
». . . Eure Stimme kommt mir auch ziemlich bekannt vor.«
Er starrte nach oben, versuchte noch immer mein Gesicht zu erkennen.
Ich wollte so schnell wie möglich das Thema wechseln.
»Wer sind die Freunde, zu denen ich Euch bringe?«
»Unser Ziel ist die Burg von Ganelon.«
»Dieser falsche Jakob!« sagte ich und hätte meine Last beinahe fallen gelassen.
»Ich verstehe zwar den Ausdruck nicht, den Ihr gebraucht habt, doch es scheint sich um eine Beschimpfung zu handeln«, erwiderte er. »Jedenfalls nach Eurem Tonfall zu urteilen. Wenn das der Fall ist, muß ich zu seiner Verteidigung eintreten . . .«
»Moment«, sagte ich. »Ich habe das Gefühl, daß wir über verschiedene Männer sprechen, die nur denselben Namen tragen. Tut mir leid.«
Durch die Bahre spürte ich, wie sich eine gewisse Anspannung verflüchtigte.
»Das ist zweifellos der Fall«, sagte er.
Ich trug ihn vor mir her, bis wir den Weg erreichten, und dort wandte ich mich nach links.
Nach kurzer Zeit schlief er wieder ein, und während er schnarchte, bewegte ich mich im Trab dahin und wandte mich an der Weggabelung nach rechts, wie er gesagt hatte. Ich begann mir Gedanken zu machen über die sechs Burschen, die ihn angefallen und fast besiegt hatten. Ich hoffte, daß sich nicht noch Freunde von ihnen in der Gegend herumtrieben.
Als sich sein Atemrhythmus veränderte, ging ich wieder langsamer.
»Ich habe geschlafen«, sagte er.
». . . und geschnarcht«, fügte ich hinzu.
»Wie weit habt Ihr mich getragen?«
»Etwa zwei Meilen, würde ich schätzen.«
»Und Ihr seid noch nicht müde?«
»Ein bißchen«, sagte ich, »aber es ist noch nicht so schlimm, daß ich ausruhen müßte.«
»Mon Dieu!« sagte er. »Ich bin froh, daß ich Euch nie zum Feind gehabt habe. Seid Ihr sicher, daß Ihr nicht der Teufel seid?«
»O ja, ganz sicher«, erwiderte ich. »Riecht Ihr nicht den Schwefel? Und mein rechter Huf brennt wie verrückt.«
Er schnüffelte tatsächlich ein paarmal durch die Nase, bevor er zu lachen begann, was mich doch etwas kränkte.
In Wirklichkeit hatten wir nach meiner Berechnung bereits über vier Meilen zurückgelegt. Ich hoffte, daß er wieder einschlafen würde und sich über die Entfernungen keine weiteren Gedanken machte. Meine Arme begannen zu schmerzen.
»Was waren das für Männer, die Ihr umgebracht habt?« fragte ich.
»Wächter des Kreises«, erwiderte er. »Aber es waren keine Männer mehr, sondern Besessene. Betet zu Gott, Sir Corey, daß ihre Seelen in Frieden ruhen.«
»Wächter des Kreises?« fragte ich. »Was für ein Kreis ist das?«
»Der schwarze Kreis – der Ort der Schlechtigkeit, ein Ort voller widerlicher Ungeheuer . . .« Er atmete tief ein. »Der Quell der Krankheit, die auf diesem Land liegt.«
»Mir scheint die Gegend nicht besonders krank zu sein«, sagte ich.
»Wir sind fern von jenem Ort, und Ganelons Macht ist für die Eindringlinge noch zu groß. Doch der Kreis breitet sich aus. Ich spüre, daß die entscheidende Schlacht eines Tages hier ausgetragen wird.«
»Ihr habt meine Neugier geweckt.«
»Sir Corey, wenn Ihr nichts davon wißt, wäre es besser für Euch, wenn Ihr meine Worte schnell wieder vergeßt, um den Kreis einen Bogen macht und Eures Weges zieht. Zwar täte ich nichts lieber, als an Eurer Seite zu fechten, doch dies ist nicht Euer Kampf – und wer vermag zu sagen, wie die Auseinandersetzung endet?«
Der Weg begann sich hangaufwärts zu winden. Durch eine Lücke zwischen den Bäumen sah ich plötzlich eine ferne Erscheinung, die mich stocken ließ und meine Erinnerung auf einen anderen ähnlichen Ort richtete.
»Was . . .?« fragte mein Schützling und drehte sich um. Dann rief er aus: »Ihr seid ja viel schneller vorangekommen, als ich ahnte! Das ist unser Ziel, die Burg von Ganelon!«
Und da dachte ich an Ganelon, an einen Ganelon. Ich sehnte diese Gedanken nicht herbei, doch ich konnte nichts dagegen tun. Er war ein gemeiner Mörder und Verräter gewesen, und ich hatte ihn vor vielen Jahrhunderten aus Avalon verstoßen. Ich hatte ihn durch die Schatten in eine andere Zeit und an einen anderen Ort verbannt, so wie es mein Bruder Eric später mit mir getan hatte. Ich hoffte, daß ich ihn nicht gerade hier abgesetzt hatte. Das war zwar nicht anzunehmen, doch immerhin möglich. Zwar war er ein Sterblicher mit begrenzter Lebensspanne, und ich hatte ihn vor etwa sechshundert Jahren aus jenem Reich verbannt, doch schien es möglich, daß nach den Gegebenheiten dieser Welt erst wenige Jahre vergangen waren. Auch die Zeit ist eine Funktion der Schatten, und selbst Dworkin kannte sich nicht hundertprozentig damit aus. Vielleicht aber doch. Vielleicht war er gerade deswegen wahnsinnig geworden. Das größte Problem mit der Zeit ist meiner Erfahrung nach die Notwendigkeit, sie zu durchleben. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, daß dieser Mann nicht mein alter Feind und früherer Vertrauter sein konnte, denn der hätte sich zweifellos keiner Woge der Schlechtigkeit widersetzt, die sich über das Land auszubreiten drohte. Jener Mann wäre mitten in den Kreis vorgedrungen und hätte sich mit den widerlichen Ungeheuern verbündet, davon war ich überzeugt.
Probleme bereitete mir auch der Mann, den ich in den Armen hielt. Sein Doppelgänger hatte zur Zeit meines Exilspruchs in Avalon gelebt – und dieser Umstand deutet darauf hin, daß der Zeitsprung so ziemlich stimmen konnte.
Ich hatte keine Lust, jenem Ganelon gegenüberzutreten, den ich aus früherer Zeit kannte, und womöglich von ihm erkannt zu werden. Er wußte nichts von den Schatten. Sein Wissen beschränkte sich auf die Erkenntnis, daß ich ihn mit Schwarzer Magie beeinflußt hatte, als Alternative zur Hinrichtung – und obwohl er diese Alternative überlebt hatte, mochte der Weg für ihn schlimmer gewesen sein als der schnelle Tod.
Doch der Mann in meinen Armen brauchte eine sichere Bettstatt und Ruhe; ich stolperte also weiter. Meine Gedanken kreisten allerdings immer wieder um die große Frage.
Ich schien etwas an mir zu haben, das dem Verwundeten vage bekannt vorkam. Wenn es an diesem Ort, der Avalon zugleich ähnelte und nicht ähnelte, Erinnerungen an einen Schatten meiner selbst gab – welche Form hatten diese Erinnerungen? Zu welchem Empfang des tatsächlichen Corwin würden sie führen, sollte meine Identität wirklich enthüllt werden?
Die Sonne begann unterzugehen. Ein kühler Wind machte sich bemerkbar, Vorbote einer kühlen Nacht. Da mein Schützling wieder zu schnarchen begonnen hatte, beschloß ich den Rest der Strecke im Laufschritt zurückzulegen. Mir mißfiel der Gedanke, daß es in diesem Wald nach Einbruch der Dunkelheit von den scheußlichen Bewohnern eines Kreises wimmeln mochte, von dem ich nichts wußte, die sich aber von ihrer unangenehmsten Seite zeigten, wenn man sich in diese Gegend verirrte.
So hastete ich durch die länger werdenden Schatten und versuchte das aufsteigende Gefühl abzuschütteln, daß ich verfolgt, in einen Hinterhalt gelockt, beobachtet würde – bis es nicht mehr ging. Das Gefühl schwoll zur Stärke einer Vorahnung an, und plötzlich vernahm ich die Geräusche hinter mir – ein leises Pat-pat-pat, wie Schritte.
Ich setzte die Bahre ab und zog im Umdrehen meine Klinge.
Sie waren zu zweit – Katzen.
Ihre Fellzeichnung erinnerte mich an Siamkatzen; die Tiere hatten allerdings die Größe von Tigern. Die Augen waren durchgehend hellgelb und zeigten keine Pupillen. Als ich mich umwandte, hockten sich die Geschöpfe hin und starrten mich ohne zu blinzeln an.
Sie waren etwa dreißig Schritte von mir entfernt. Mit erhobener Klinge stand ich seitlich zwischen ihnen und der Bahre.
Im nächsten Augenblick öffnete das Wesen links das Maul. Ich wußte nicht, ob ich mich auf ein Schnurren oder ein Brüllen gefaßt machen sollte.
Statt dessen waren Worte zu hören: »Mensch, höchst sterblich«, sagte es. Die Stimme hatte nichts Menschenähnliches. Sie klang zu schrill.
»Aber es lebt noch«, sagte das zweite Geschöpf in einem ähnlichen Tonfall.
»Töten wir es hier«, meinte die erste Katze.
»Was ist mit dem, der es mit der bösen Klinge bewacht?«
»Sterblicher Mensch?«
»Kommt, verschafft euch Gewißheit«, sagte ich leise.
»Es ist dünn und vielleicht alt.«
»Aber es hat den anderen vom Grab an diesen Ort getragen, schnell und ohne Rast. Wir wollen es umzingeln.«
Als sich die beiden Geschöpfe in Bewegung setzten, sprang ich vor, und das Wesen zu meiner Rechten kam auf mich zu.
Meine Klinge spaltete ihm den Schädel und bohrte sich bis tief in die Schulter. Als ich meine Waffe freizerrte und kehrtmachte, huschte die andere Katze an mir vorbei. Ihr Ziel war die Bahre. Mit einer heftigen Bewegung schwang ich die Waffe.
Die Schneide traf den Rücken und fuhr durch den ganzen Körper. Das Wesen stieß einen Schrei aus, der an das schrille Quietschen von Kreide über eine Tafel erinnerte, und stürzte, in zwei Teile gespalten, zu Boden. Dort begann es augenblicklich zu brennen.
Das andere Wesen loderte ebenfalls.
Das Geschöpf, das ich halbiert hatte, lebte allerdings noch. Der Kopf wandte sich in meine Richtung, und die funkelnden Augen begegneten meinem Blick und ließen ihn nicht los.
»Ich sterbe den letzten Tod«, sagte die Kreatur, »und so erkenne ich dich, Wegbereiter. Warum tötest du uns?«
Und im nächsten Augenblick hüllten die Flammen auch den Kopf ein.
Ich machte kehrt, reinigte meine Klinge und steckte sie wieder in die Scheide, nahm die Bahre auf die Arme, ignorierte alle Fragen und setzte meinen Weg fort.
Eine erste Erkenntnis hatte sich in mir gebildet, eine Erkenntnis darüber, was das Ding war, was es gemeint hatte.
Und noch heute sehe ich den brennenden Katzenkopf zuweilen in meinen Träumen, und dann erwache ich schweißgebadet und zitternd, und die Nacht kommt mir viel dunkler vor und scheint von Gestalten zu wimmeln, die ich nicht zu definieren vermag.
Die Burg von Ganelon stand im Schutze eines tiefen Grabens und verfügte über eine Zugbrücke, die im Augenblick angehoben war. An den vier Ecken, wo die hohen Mauern zusammenstießen, erhob sich je ein gewaltiger Turm. Hinter den Mauern ragten andere Türme viel höher empor, schienen den Bauch der tiefhängenden dunklen Wolken aufzuschlitzen, welche die ersten frühen Sterne verhüllten und pechschwarze Schatten über den Hügel warfen. In mehreren Türmen zeigte sich bereits Licht, und der Wind wehte leises Stimmengemurmel herüber.
Ich stand vor der Zugbrücke, setzte meine Last ab, legte die Hände um den Mund und rief: »Holla! Ganelon! Zwei Reisende ohne Unterkunft in der Nacht!«
Ich hörte Metall auf Stein prallen und hatte das Gefühl, von oben gemustert zu werden. Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich empor, doch mein Sehvermögen ließ noch viel zu wünschen übrig.
»Wer ist da?« tönte die laute, dröhnende Stimme.
»Lance, der verwundet ist, und ich, Corey von Cabra, der ihn hierhergetragen hat.«
Ich wartete, während er die Information einem anderen Wächter zurief, und hörte den Klang anderer Stimmen, die die Botschaft weitergaben ins Innere der Burg.
Etliche Minuten später kam auf demselben Wege eine Antwort.
Schließlich brüllte der Wächter zu uns herab: »Tretet zurück! Wir lassen die Zugbrücke hinunter! Ihr dürft eintreten!«
Noch ehe er zu Ende gesprochen hatte, begann das laute Knirschen, und nach kurzer Zeit knallte das eisenbeschlagene Gebilde auf unserer Seite des Grabens auf den Boden. Ein letztesmal hob ich meinen Schützling auf und trug ihn hinüber.
So brachte ich Sir Lancelot du Lac in die Burg Ganelons, dem ich vertraute wie einem Bruder. Nämlich überhaupt nicht.
Überall bewegten sich Menschen, und ich fand mich von Bewaffneten eingekreist. Doch sie strahlten keine Feindseligkeit aus, sondern waren lediglich besorgt. Ich befand mich in einem großen kopfsteingepflasterten Innenhof, der voller Schlafsäcke lag. Fackeln verbreiteten ein unruhiges Licht. Ich roch Schweiß, Rauch, Pferde und Küchendünste. Eine kleine Armee hatte hier ihr Lager aufgeschlagen.
So mancher Mann war herbeigekommen und hatte mich mit aufgerissenen Augen murmelnd und flüsternd angestarrt, doch schließlich kamen zwei, die voll bewaffnet waren, als wollten sie in den Kampf ziehen. Einer berührte mich an der Schulter.
»Hier entlang«, sagte er.
Ich setzte mich in Bewegung, und sie nahmen mich in die Mitte. Der Menschenwall teilte sich. Die Zugbrücke bewegte sich bereits wieder rasselnd empor. Wir näherten uns dem düsteren Hauptgebäude.
Drinnen schritten wir durch einen Flur und passierten eine Art Empfangszimmer. Dann erreichten wir eine Treppe. Der Mann zu meiner Rechten bedeutete mir, daß ich emporsteigen solle. Im ersten Stockwerk blieben wir vor einer massiven Holztür stehen, und der Wächter klopfte an.
»Herein!« rief eine Stimme, die mir leider nur allzu bekannt vorkam.
Wir traten ein.
Er saß an einem schweren Holztisch vor einem breiten Fenster, durch das man auf den Hof hinabblicken konnte. Er trug eine braune Lederjacke über schwarzem Hemd; die Hosen waren ebenfalls schwarz und bauschten sich über den Schäften seiner dunklen Stiefel aus. Um die Hüften trug er einen breiten Gürtel, in dem ein Dolch mit Horngriff steckte. Ein Kurzschwert lag auf dem Tisch vor ihm. Sein Haar und Bart waren rot und zeigten erste graue Strähnen. Die Augen waren dunkel wie Ebenholz.
Er blickte mich an und wandte sich dann zwei Wächtern zu, die mit der Bahre eintraten.
»Legt ihn auf mein Bett«, sagte er und fuhr fort: »Roderick, kümmere dich um ihn.«
Roderick, sein Arzt, war ein alter Mann, der nicht den Eindruck machte, als könne er großen Schaden anrichten, was mich doch etwas erleichterte. Ich hatte Lance nicht die weite Strecke getragen, um ihn hier etwa unter den Händen eines Kurpfuschers verbluten zu lassen.
Schließlich wandte sich Ganelon wieder an mich.
»Wo habt Ihr ihn gefunden?« fragte er.
»Fünf Meilen südlich von hier.«
»Wer seid Ihr?«
»Ich werde Corey genannt«, erwiderte ich.
Er musterte mich ein wenig zu eingehend, und unter dem Schnurrbart deuteten seine wurmähnlich zuckenden Lippen ein Lächeln an.
»Was ist Eure Rolle bei dieser Sache?« wollte er wissen.
»Ich weiß nicht, was Ihr meint«, entgegnete ich.
Ich ließ absichtlich die Schultern hängen und sprach langsam und stockend. Mein Bart war länger als der seine und völlig verschmutzt. Ich bildete mir ein, daß ich wie ein alter Mann aussehen müßte. Seine Haltung deutete darauf hin, daß er ebenfalls diesen Eindruck hatte.
»Ich möchte wissen, warum Ihr ihm geholfen habt«, sagte er.
»Nächstenliebe und so weiter«, erwiderte ich.
»Ihr seid Ausländer?«
Ich nickte.
»Nun, Ihr seid hier willkommen, solange Ihr bleiben möchtet.«
»Vielen Dank. Ich werde wahrscheinlich schon morgen weiterziehen.«
»Zunächst setzt Euch aber auf ein Glas Wein zu mir und erzählt mir von den Umständen, unter denen Ihr ihn gefunden habt.«
Und das tat ich.
Ganelon unterbrach mich nicht, und die ganze Zeit über waren seine stechenden Augen auf mich gerichtet. Während mir der Vergleich ›Blicke wie Dolchspitzen‹ bisher immer recht töricht vorgekommen war, belehrte mich dieser Abend doch eines anderen. Sein Blick war tatsächlich stechend.
Ich fragte mich, was er über mich wissen mochte oder welche Vermutungen er anstellte.
Schließlich fiel mich urplötzlich die Müdigkeit an und ließ mich nicht mehr los. Die Anstrengung, der Wein, das warme Zimmer – all diese Dinge wirkten zusammen, und ich hatte plötzlich den Eindruck, irgendwo in einer Ecke zu stehen, mir selbst zuzuhören und mich zu beobachten, als sei ich ein anderer Mensch. Zwar vermochte ich kurzzeitig schon wieder einiges zu leisten, doch wurde mir klar, daß mein Durchhaltevermögen noch nicht wieder das alte war. Auch bemerkte ich, daß meine Hand zu zittern begonnen hatte.
»Es tut mir leid«, hörte ich mich sagen. »Die Mühen des Tages machen sich bemerkbar . . .«
»Natürlich«, sagte Ganelon. »Wir unterhalten uns morgen weiter. Geht zu Bett. Schlaft gut.«
Dann rief er einen Wächter und gab Befehl, mich in einen Gästeraum zu führen. Ich muß unterwegs getaumelt haben, denn ich erinnere mich an die stützende Hand des Wächters an meinem Ellbogen.
In jener Nacht schlief ich den Schlaf eines Toten. Es war ein großes schwarzes Gebilde, das auf mir lastete, etwa vierzehn Stunden lang.
Am Morgen tat mir der ganze Körper weh.
Ich wusch mich. Auf der Kommode stand ein Becken, und ein aufmerksamer Bediensteter hatte Seife und Handtuch daneben zurechtgelegt. Ich hatte das Gefühl, Sägemehl im Hals zu haben und Sand in den Augen.
Ich nahm Platz und überdachte meine Lage.
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da ich Lance die ganze Strecke hätte tragen können, ohne hinterher schlappzumachen. Es hatte eine Zeit gegeben, da ich mich am Hang Kolvirs emporgekämpft hatte und ins Zentrum Ambers vorgestoßen war.
Doch diese Zeiten waren vorbei. Plötzlich fühlte ich mich so mitgenommen, wie es meinem Äußeren entsprach.
Es mußte etwas geschehen.
Ich hatte bisher nur langsam an Gewicht und Kräften zugenommen. Das mußte nun beschleunigt werden.
Eine oder zwei Wochen vernünftiges Leben und mit ausreichend Bewegung mochten mir guttun. Ganelon hatte eigentlich nicht den Eindruck gemacht, als ob er mich erkannt hätte.
Also gut, dann wollte ich die angebotene Gastfreundschaft ausnutzen.
Diesen Entschluß im Herzen suchte ich die Küche auf und verschaffte mir ein herzhaftes Frühstück. Nun, eigentlich hatten wir bereits die Mittagsstunde, aber wir wollen doch die Dinge beim richtigen Namen nennen. Ich hatte große Lust auf ein Pfeifchen und empfand eine gewisse perverse Freude angesichts der Erkenntnis, daß ich meinen Tabak aufgebraucht hatte. Das Schicksal half mir, meinen guten Vorsätzen treu zu bleiben.
Ich schlenderte in den Burghof hinaus. Es war ein frischer, sonniger Tag. Eine Zeitlang beobachtete ich die hier stationierten Männer, die ihr Training absolvierten.
Am anderen Ende entdeckte ich Bogenschützen, die sirrende Pfeile auf Ziele abschossen, welche an Heuballen befestigt waren. Mir fiel auf, daß sie Daumenringe verwendeten und die Bogensaite auf orientalische Art faßten, während ich die Dreifingertechnik vorzog. Diese Entdeckung weckte erste Zweifel in mir über diesen Schatten. Die Schwertkämpfer setzten sowohl die Schneiden als auch die Spitzen ein, und es waren verschiedene Schwertformen und Kampftechniken zu beobachten. Ich machte eine Schätzung und sagte mir, daß etwa achthundert Männer im Hof waren – ohne sagen zu können, wie viele Soldaten noch in der Burg stecken mochten. Die Färbung von Haut, Haaren und Augen war ganz verschieden – von hell bis dunkel. Über dem Sirren und Klirren vernahm ich manchen Akzent, wenn auch die meisten die Sprache Avalons sprachen, die ein Dialekt Ambers ist.
Während ich die Szene beobachtete, sah ich, wie ein Schwertkämpfer die Hand hob, seine Klinge senkte und sich den Schweiß von der Stirn wischte. Dann trat er zurück. Sein Gegner machte keinen besonders erschöpften Eindruck. Hier lag meine Chance, mir die Bewegung zu verschaffen, die ich brauchte.
Lächelnd trat ich vor und sagte: »Ich bin Corey von Cabra. Ich habe Euch beobachtet.«
Dann wandte ich mich dem großen, dunkelhaarigen Mann zu, der seinen ruhenden Kameraden angrinste.
»Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich mit Euch ein bißchen trainiere, während sich Euer Freund ausruht?« fragte ich.
Er grinste noch breiter und deutete auf seinen Mund und seine Ohren. Ich versuchte es mit mehreren anderen Sprachen, doch eine Verständigung kam nicht zustande. Schließlich deutete ich auf die Klinge und auf ihn und dann auf mich, bis er begriff, was ich wollte. Sein Gegner schien den Einfall für gut zu halten, denn er bot mir seine Waffe an.
Ich nahm sie. Das. Schwert war kürzer und weitaus schwerer als Grayswandir[1].
Zur Probe schwang ich die Klinge ein paarmal hin und her, zog meinen Mantel aus, warf ihn zur Seite und schlug en garde.
Der große Bursche griff an. Ich parierte und attackierte. Er parierte und ripostierte. Ich parierte die Riposte, fintete und griff erneut an. Und so weiter. Nach fünf Minuten wußte ich, daß mein Gegner gut war – und daß ich ihn besiegen konnte. Er unterbrach zweimal den Kampf, um sich ein vor mir angewandtes Manöver erklären zu lassen. In beiden Fällen begriff er sehr schnell, worum es ging. Doch nach einer Viertelstunde wurde sein Grinsen breiter. Vermutlich war dies der Augenblick, da er die meisten Gegner mit seinem Durchhaltevermögen zum Aufgeben zwang, wenn sie sich überhaupt schon so lange gehalten hatten. Er wußte mit seinen Kräften zu haushalten und sie richtig einzusetzen, das muß ich zugeben. Nach zwanzig Minuten trat ein verwirrter Ausdruck auf sein Gesicht. Ich sah wohl nicht aus wie ein Mann, der einen Kampf so lange durchstand. Doch was vermag ein Mensch über die Kräfte zu sagen, die in einem Abkömmling Ambers schlummern?
Nach fünfundzwanzig Minuten war er in Schweiß gebadet, setzte den Kampf aber tapfer fort. Mein Bruder Random wirkt und handelt gelegentlich wie ein asthmatischer jugendlicher Raufbold – doch einmal hatten wir gut sechsundzwanzig Stunden miteinander gekämpft, nur um festzustellen, wer zuerst aufgab. (Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: ich war es. Ich hatte am nächsten Tag eine Verabredung, zu der ich in einigermaßen guter Verfassung antreten wollte.) Wir hätten weiterkämpfen können. Zwar war ich keiner Leistung fähig, wie ich sie damals zustande gebracht hatte, doch wußte ich, daß ich diesem Manne überlegen war. Immerhin war er nur ein Mensch.
Nach etwa einer halben Stunde, als er bereits schwer atmete und in seinen Gegenzügen langsamer wurde und sicher bald erriet, daß ich mich zurückhielt, hob ich die Hand und senkte die Klinge, wie ich es bei seinem ersten Gegner gesehen hatte. Er kam ebenfalls langsam zum Stillstand und stürzte dann auf mich zu und umarmte mich. Was er sagte, verstand ich nicht, doch ich vermutete, daß unsere Übung ihm gefallen hatte. Und das traf auch für mich zu. Das Schlimme war nur, daß ich die Anstrengung spürte. Mir war leicht schwindlig zumute.
Aber ich brauchte mehr. Ich gab mir das Versprechen, daß ich mich an diesem Tage bis zum Äußersten anstrengen, mir an Abend den Bauch vollschlagen und dann in einen tiefen Schlaf sinken würde. Und morgen dasselbe Programm.
Daraufhin begab ich mich zu den Bogenschützen. Nach eine Weile lieh ich mir einen Bogen aus und schoß im Dreifingerstil etwa hundert Pfeile ab. Meine Trefferquote war nicht schlecht. Anschließend schaute ich eine Zeitlang den Berittenen zu, die mit Lanzen, Schilden und Morgensternen hantierten, und ging dann weiter, um mir die Ringkämpfe anzuschauen.
Schließlich rang ich mit drei Männern hintereinander. Danach fühlte ich mich wirklich ausgelaugt. Ich konnte nicht mehr.
Schweißüberströmt, schweratmend setzte ich mich auf eine schattige Bank. Ich dachte an Lance, an Ganelon, an das Abendessen. Nach etwa zehn Minuten begab ich mich ins Zimmer, das man mir zugewiesen hatte, und wusch mich gründlich.
Ich verspürte einen Heißhunger und machte mich schließlich daran, mir ein Abendessen und Informationen zu beschaffen. Ich hatte mich kaum von der Tür entfernt, als ein Wächter herankam – es handelte sich um einen der Männer, die mich am Abend zuvor hierhergeführt hatten. »Lord Ganelon bittet Euch, heute abend beim Schlag der Essensglocke mit ihm in seinen Gemächern zu speisen«, sagte er.
Ich dankte dem Mann, sagte, ich würde zur Stelle sein, kehrte in mein Zimmer zurück und ruhte mich auf meinem Bett aus, bis es soweit war. Dann machte ich mich auf den Weg.
Meine Muskelschmerzen waren stärker geworden, hatte ich doch heute keine Rücksicht darauf genommen und mir einige neue empfindliche Stellen zugezogen. Ich kam zu dem Schluß, daß dies nur gut für mich sein könne, weil es mich älter erscheinen ließ. Ich klopfte an Ganelons Tür, und ein Page ließ mich ein und eilte zu einem anderen Jüngling, der in der Nähe des Kamins den Tisch deckte.
Ganelon, der von Kopf bis Fuß in Grün gekleidet war, saß in einem Stuhl mit hoher Lehne. Als ich eintrat, stand er auf und kam mir zur Begrüßung entgegen.
»Sir Corey, ich habe von Euren heutigen Leistungen gehört«, sagte er und ergriff meine Hand. »Das alles läßt mir glaubhaft erscheinen, daß Ihr Lance getragen habt. Ich muß sagen. Ihr seid ein besserer Mann, als Euer Aussehen vermuten läßt – und das soll beileibe keine Kränkung sein.«
Ich lachte leise vor mich hin. »Ich bin auch nicht beleidigt.«
Er führte mich zu einem Stuhl, reichte mir ein Glas Weißwein, der für meinen Geschmack etwas zu süß war, und fuhr fort: »Wenn man Euch so anschaut, könnte man meinen, Ihr wärt mit einer Hand zu besiegen – dabei habt Ihr Lance fünf Meilen weit getragen und unterwegs noch zwei von den widerlichen Katzenwesen getötet. Außerdem hat er mir von dem Grabhügel erzählt, den Ihr gebaut habt, von den großen Steinen . . .«
»Wie geht es Lance heute?« unterbrach ich ihn.
»Ich mußte ihm einen Wächter ins Zimmer geben, damit er auch wirklich im Bett blieb. Der Muskelprotz wollte doch tatsächlich aufstehen und herumlaufen! Aber bei Gott – mindestens eine Woche lang bleibt er im Bett!«
»Dann muß er sich ja schon wieder besser fühlen.«
Er nickte.
»Auf seine Gesundheit!«
»Darauf trinke ich gern.«
Wir tranken.
»Hätte ich doch nur eine Armee aus Männern wie Euch und Lance«, sagte Ganelon schließlich. »Dann sähe die Lage vielleicht anders aus.«
»Welche Lage?«
»Der Kreis und seine Wächter«, sagte er. »Ihr habt davon noch nicht gehört?«
»Lance hat den Kreis erwähnt. Das ist alles.«
Einer der Pagen kümmerte sich um ein riesiges Stück Rindfleisch an einem Spieß über dem niedrigbrennenden Feuer. Von Zeit zu Zeit goß er etwas Wein darüber, während er das Fleisch wendete. Immer wenn mir der Duft in die Nase stieg, begann mein Magen laut zu knurren, und Ganelon lachte leise vor sich hin. Der andere Page verließ das Zimmer, um aus der Küche Brot zu holen.
Ganelon schwieg lange Zeit. Er trank aus und schenkte sich nach. Ich genoß mein erstes Glas.
»Habt Ihr schon einmal von Avalon gehört?« fragte er schließlich.
»Ja«, erwiderte ich. »Es gibt da einen Vers, den ich vor langer Zeit von einem reisenden Barden gehört habe: ›Hinter dem Flusse der Gesegneten setzten wir uns und weinten bei der Erinnerung an Avalon. Die Schwerter in unserer Hand waren zerschmettert, und wir hingen unsere Schilde an den Eichbaum. Die schlanken Silbertürme verschlungen von einem Meer von Blut. Wie viele Meilen bis Avalon? Keine, sage ich, und doch unendlich viele. Die Silbertürme sind gefallen.«
»Avalon vernichtet . . .?« fragte er.
»Ich glaube, der Mann war verrückt. Ich weiß nichts von einem Avalon. Sein Gedicht ist mir aber in Erinnerung geblieben.«
Ganelon wandte das Gesicht ab und schwieg einige Minuten lang. Als er schließlich wieder das Wort ergriff, klang seine Stimme verändert.
»Es hat . . .«, sagte er, ». . . es hat einmal einen solchen Ort gegeben. Ich habe dort gelebt . . . vor vielen Jahren. Ich wußte nicht, daß er nicht mehr existiert.«
»Wie seid Ihr dann hierhergekommen?« fragte ich.
»Ich wurde von dem dort herrschenden Zauberer Corwin von Amber ins Exil verbannt. Er schickte mich auf dunklen, verrückten Wegen an diesen Ort, auf daß ich hier litte und stürbe – und ich habe viel gelitten und bin dem letzten Augenblick oft nahe gewesen. Natürlich habe ich den Weg zurück finden wollen, doch niemand weiß Bescheid. Ich habe mit Zauberern gesprochen und sogar ein Geschöpf aus dem Kreis befragt, ehe wir es töteten. Doch niemand kennt die Straße nach Avalon. Euer Barde hat durchaus recht: ›Keine Meile und doch unendlich viele‹.« Er bekam das Zitat nicht genau hin. »Wißt Ihr noch den Namen des Sängers?«
»Tut mir leid – nein.«
»Wo liegt Cabra, Eure Heimat?«
»Weit im Osten, jenseits des Meeres«, sagte ich. »Die Entfernung ist wirklich sehr groß. Ein Inselkönigreich.«
»Bestünde die Chance, daß man uns von dort mit Truppen versorgt? Ich könnte ganz gut zahlen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Es ist ein kleines Land mit einer kleinen Miliz – und der Weg von dort ist nur in mehreren Monaten zurückzulegen – über Meer und Land. Die Leute haben außerdem nie als Söldner gekämpft und sind nicht besonders kriegerisch.«
»Dann scheint Ihr Euch von Euren Landsleuten sehr zu unterscheiden«, meinte er und musterte mich offen.
Ich nippte an meinem Wein. »Ich war Waffenmeister der königlichen Garde«, sagte ich dann.
»Seid Ihr womöglich geneigt, Euch anwerben zu lassen, meine Truppen auszubilden?«
»Ich bleibe gern ein paar Wochen«, erwiderte ich.
Er nickte, und auf seinen Lippen spielte ein gepreßtes Lächeln, das sofort wieder verflog. »Eure Andeutung, daß das schöne Avalon vernichtet sei, stimmt mich traurig«, sagte er schließlich. »Aber wenn das der Fall ist, kann ich hoffen, daß der, der mich verbannte, wahrscheinlich ebenfalls tot ist.« Er leerte sein Glas. »So hat denn auch dieser Dämon einen Augenblick erlebt, da er sich nicht zu verteidigen wußte«, sagte er nachdenklich. »Das ist ein ganz angenehmer Gedanke. Er läßt mich hoffen, daß wir im Kampf gegen unsere Dämonen vielleicht eine Chance haben.«
»Verzeihung«, sagte ich und riskierte meinen Kopf – doch aus Gründen, die ich für gut hielt. »Wenn Ihr eben Corwin von Amber meintet, so muß ich Euch sagen, daß er nicht umgekommen ist bei den Veränderungen, die vielleicht eingetreten sind.«
Das Glas in seiner Hand zerbrach.
»Ihr kennt Corwin?« fragte er.
»Nein, doch ich habe von ihm gehört«, erwiderte ich. »Vor mehreren Jahren lernte ich einen seiner Brüder kennen – einen Burschen namens Brand. Er erzählte mir von der Stadt Amber und von der Schlacht, in der Corwin und ein anderer Bruder namens Bleys eine Armee gegen ihren Bruder Eric führten, welcher die Stadt in der Gewalt hatte. Bleys stürzte dabei vom Kolvir-Berg, und Corwin wurde gefangengenommen. Nach Erics Krönung wurden Corwin die Augen ausgebrannt, und er landete in den Verliesen unter Amber, wo er vielleicht noch immer dahinvegetiert, wenn er nicht gestorben ist.«
Ganelons Gesicht hatte jede Farbe verloren.
»All die Namen, die Ihr eben erwähntet – Brand, Bleys, Eric«, sagte er. »Ich habe davon sprechen hören, vor langer Zeit. Wie lange ist es her, daß Ihr von diesen Ereignissen erfuhret?«
»Etwa vier Jahre.«
»Er hätte ein besseres Schicksal verdient.«
»Nach allem, was er Euch angetan hat?«
»Nun«, sagte der Mann. »Ich hatte inzwischen Gelegenheit, gründlich darüber nachzudenken. Es ist ja nicht so, daß seine Handlungsweise unbegründet gewesen wäre. Er war stark – stärker noch als Ihr oder sogar Lance – und schlau. Außerdem konnte er im richtigen Augenblick fröhlich sein. Eric hätte ihm einen schnellen, schmerzlosen Tod schenken sollen. Ich liebe den Burschen nicht, aber mein Haß ist doch verflogen. Der Dämon hätte ein gütigeres Schicksal verdient, das ist alles.«
In diesem Augenblick kehrte der zweite Page mit einem Korb voller frischem Brot zurück. Der andere Knabe, der auf das Fleisch aufpaßte, streifte es vom Spieß und setzte es auf einem Teller in der Mitte des Tisches ab.
Ganelon deutete mit einem Kopfnicken darauf.
»Wir wollen essen«, sagte er.
Er stand auf und begab sich an den Tisch.
Ich folgte ihm. Während der Mahlzeit sprachen wir kaum. Nachdem ich mich vollgestopft hatte, bis mein Magen nichts mehr aufnehmen wollte, und nachdem ich die Köstlichkeit mit einem zweiten Glas des zu süßen Weins hinuntergespült hatte, begann ich zu gähnen. Nach dem drittenmal stieß Ganelon eine Verwünschung aus.
»Verdammt, Corey! Hört auf damit! Es steckt an!«
Er unterdrückte ein Gähnen.
»Gehen wir doch ein bißchen an die frische Luft«, sagte er und stand auf.
So unternahmen wir einen Spaziergang auf den Mauern; vorbei an den Wächtern, die ihre Runden machten. Sobald die Männer sahen, wer ihnen da entgegenkam, nahmen sie Haltung an und salutierten, worauf Ganelon mit einem Grußwort reagierte, ehe wir weitergingen. Wir erreichten schließlich einen Wehrgang, setzten uns auf eine Balustrade und genossen die Abendluft, die kühl und feucht und voller Walddüfte war. Wir beobachteten, wie am dunkler werdenden Himmel nacheinander die Sterne erschienen. Die Mauersteine fühlten sich kalt an. In der Ferne glaubte ich den Schimmer des Meeres auszumachen. Von irgendwo unter uns hörte ich den Schrei eines Nachtvogels. Ganelon nahm Pfeife und Tabak aus einem Beutel an seinem Gürtel. Er füllte den Pfeifenkopf, drückte den Tabak fest und riß ein Streichholz an. Sein Gesicht hätte im Flackerlicht geradezu satanisch ausgesehen, wenn nicht irgendein Einfluß seine Mundwinkel nach unten gezogen und die Wangenmuskeln in jenen Winkel gehoben hätte, der von den Innenseiten der Augen und dem scharfen Nasenrücken gebildet wird. Ein Teufel stellt angeblich ein böses Grinsen zur Schau; dieses Gesicht aber wirkte viel zu bedrückt.
Ich roch den Rauch. Nach einer Weile begann er zu sprechen, zuerst leise und sehr langsam.
»Ich erinnere mich an Avalon«, begann er. »Meine Geburt dort war nicht unstandesgemäß, doch die Tugend gehörte nicht zu meinen Stärken. Ich brachte schnell mein Erbe durch und trieb mich schließlich auf den Straßen herum, wo ich Reisende überfiel. Später schloß ich mich einer Bande Gleichgesinnter an. Als ich feststellte, daß ich der stärkste war und die besten Führungsqualitäten besaß, stieg ich schnell zum Anführer auf. Für unsere Ergreifung waren Belohnungen ausgesetzt. Mein Kopfgeld war das höchste.«
Die Worte kamen nun schneller, die Stimme wurde klangvoller, die Formulierungen schienen ein Echo aus seiner Vergangenheit zu sein.
»Ja, ich erinnere mich an Avalon«, sagte er, »an einen Ort voller Silber und Schatten und kühlen Gewässern, wo die Sterne die ganze Nacht hindurch wie Feuerstellen flackerten und das Grün des Tages zugleich immer das Frühlingsgrün war. Jugend, Liebe, Schönheit – all diese Dinge erlebte ich in Avalon. Herrliche Reittiere, schimmerndes Metall, weiche Lippen, dunkles Bier, Ehre . . .« Er schüttelte den Kopf.
»Einige Zeit später«, fuhr er fort, »als im Reich der Krieg ausbrach, bot der Herrscher allen Geächteten, die ihm gegen die Aufständischen halfen, die Begnadigung an. Dieser Mann war Corwin. Ich schlug mich auf seine Seite und ritt in den Krieg. Ich wurde Offizier und – später – ein Mitglied seines Stabes. Wir gewannen unsere Schlachten, schlugen den Aufstand nieder. Schließlich hatte Corwin wieder Frieden im Lande, und ich blieb an seinem Hof. Nun begann eine Reihe guter Jahre. Später kam es zu Grenzscharmützeln, die aber stets gewonnen wurden. Sein Vertrauen in mich war so groß, daß er mir diese Aktionen überließ. Schließlich vergab er einen Herzogtitel, um einen unbedeutenden Edelmann zu ehren, dessen Tochter er zu heiraten wünschte. Doch diesen Posten hatte ich haben wollen; er hatte auch schon Andeutungen gemacht, daß ich eines Tages darauf rechnen könnte. Ich war zornig und ließ mein Kommando im Stich, als ich das nächstemal losgeschickt wurde, um eine Auseinandersetzung an der Südgrenze zu klären, wo es immer wieder zu Unruhen kam. Viele meiner Männer mußten das Leben lassen, und die Invasoren drangen in das Land ein. Ehe man sie aufhalten konnte, mußte auch Lord Corwin wieder zu den Waffen greifen. Die Angreifer waren mit einer großen Streitmacht vorgestoßen, und ich dachte schon, daß sie das ganze Land erobern würden. Ich hoffte sogar darauf. Doch Corwin, der schlaue Fuchs, wendete raffinierte Taktiken an und setzte sich wieder einmal durch. Ich floh, wurde aber gefangengenommen und zur Verurteilung zu ihm gebracht. Ich verwünschte ihn und spuckte ihn an. Ich weigerte mich, die vorgeschriebene Verbeugung zu machen. Ich haßte den Boden, auf dem er sich bewegte – ein zum Tode Verurteilter hat eben keinen Grund, sich nicht nach besten Kräften zu schlagen, nicht wie ein Mann in den Tod zu gehen. Corwin sagte, er wolle Milde walten lassen angesichts der Dinge, die ich früher getan hatte. Ich erwiderte, er solle sich seine Milde sonstwohin stecken, und erkannte schließlich, daß er sich über mich lustig machte. Er befahl, daß man mich losließ, und trat auf mich zu. Ich wußte, daß er mich mit bloßen Händen töten konnte. Trotzdem versuchte ich gegen ihn zu kämpfen, aber vergeblich. Er landete einen Schlag, und ich stürzte zu Boden. Als ich wieder zu mir kam, war ich auf den Rücken seines Pferdes gebunden. Er ritt hinter mir und verspottete mich immer wieder. Ich antwortete auf keine seiner Bemerkungen, während wir durch wundersame Länder ritten, die Alpträumen zu entstammen schienen – und so erfuhr ich überhaupt erst, daß er Zauberkräfte besitzt. Kein Reisender, den ich bisher gesprochen habe, hat jemals solche Landschaften erlebt, wie ich sie an jenem Tag sah. Dann verkündete er seinen Bannspruch und ließ mich an diesem Ort frei, machte kehrt und ritt davon.«
Er hielt inne, um seine erloschene Pfeife neu anzuzünden, zog ein Weilchen daran und fuhr schließlich fort: »An diesem Ort habe ich von Menschen und Ungeheuern manchen Schlag, Biß und Stich hinnehmen müssen, und es ist mir manchmal schwergefallen, mit dem Leben davonzukommen. Corwin hatte mich in der schlimmsten Ecke des Landes abgesetzt. Doch eines Tages erfuhr mein Glück eine Wende. Ein Ritter in Rüstung bat mich, ihm den Weg freizugeben. Zu jener Zeit war es mir gleich, ob ich weiterlebte oder starb, und ich nannte ihn einen pockennarbigen Hurensohn und forderte ihn auf, zum Teufel zu gehen. Er griff an, und ich packte seine Lanze, deren Spitze ich in den Boden drückte, woraufhin er aus dem Sattel gehebelt wurde. Ich zog ihm mit seinem eigenen Dolch ein neues Lächeln unter das Kinn und verschaffte mir auf diese Weise ein Reitpferd und Waffen. Anschließend machte ich mich daran, es jenen heimzuzahlen, die mir Schwierigkeiten bereitet hatten. Ich nahm das alte Straßenräuberhandwerk wieder auf und versammelte eine neue Schar Gefolgsleute um mich. Die Bande wuchs. Bald zählten wir viele hundert Köpfe, und unsere Bedürfnisse waren groß. In manche kleine Stadt ritten wir ein und machten sie zu der unseren. Die örtliche Miliz begann uns zu fürchten. Auch dies war eine schöne Zeit, wenn auch nicht ganz so prunkvoll wie die Jahre in Avalon, das ich nun nie wiedersehen werde. Die Landschänken begannen das Hufgrollen unserer Bande zu fürchten, und die Reisenden machten sich in die Hosen, wenn sie uns kommen hörten. Ha! Dieses Leben währte mehrere Jahre. Schließlich schickte man große Abteilungen Bewaffneter aus, die uns aufspüren und vernichten sollten, doch wir vermochten ihnen immer wieder zu entkommen oder sie in einen Hinterhalt zu locken. Doch eines Tages tauchte der schwarze Kreis auf – und niemand weiß eigentlich, warum.«
Heftig zog er an seiner Pfeife und starrte in die Ferne.
»Man hat mir erzählt, die Erscheinung hätte als winziger Kreis von Giftpilzen begonnen, fern im Westen. In der Mitte dieses Kreises wurde ein totes Kind gefunden, und der Vater dieses Kindes starb mehrere Tage später unter Krämpfen. Die Stelle wurde daraufhin für verflucht erklärt. In den folgenden Monaten wuchs die Stelle sichtbar an, bis ihr Durchmesser eine halbe Meile betrug. Das Gras verfärbte sich dunkel und schimmerte wie Metall, doch ohne völlig abzusterben. Die Bäume krümmten sich und ihre Blätter wurden schwarz. Sie bewegten sich, auch wenn kein Wind wehte, und Fledermäuse huschten zwischen ihnen herum. Bei Dämmerung sah man seltsame Umrisse in Bewegung und Lichter wie von kleinen Feuerstellen waren die ganze Nacht hindurch zu sehen. Der Kreis setzte sein Wachstum fort, und die meisten jener, die in der Nähe lebten, ergriffen die Flucht. Einige blieben allerdings, und von ihnen hieß es, sie hätten sich mit den Wesen der Düsternis arrangiert. Der Kreis weitete sich immer mehr, breitete sich aus wie die Wellen, die ein ins Wasser geworfener Stein verursacht. Immer mehr Menschen verzichteten auf die Flucht, lebten innerhalb des Kreises weiter. Ich habe mit diesen Menschen gesprochen, mit ihnen gekämpft, sie auch getötet. Es ist, als sei in ihnen etwas gestorben. Ihren Stimmen fehlt die Regung von Menschen, die sich ihre Worte überlegen und sie auskosten. Mit ihren Gesichtern stellen sie kaum noch etwas an, sondern tragen sie wie Totenmasken. Sie begannen den Kreis hordenweise zu verlassen, begannen die Umgebung auszuräubern und dabei willkürlich zu morden. Zahlreiche Scheußlichkeiten begingen sie und zerstörten dabei heilige Stätten. Im Zurückweichen hinterließen sie gewaltige Brände. Nur Dinge aus Silber ließen sie stets liegen. Nach vielen Monaten griffen nicht nur Menschen an, sondern auch andere Wesen – seltsame Gestalten wie die Höllenkatzen, die Ihr getötet habt. Schließlich verlangsamte sich das Wachstum des Kreises und kam fast zum Stillstand, als nähere er sich einer Art Grenze. Doch inzwischen stürmten daraus alle möglichen Scheusale hervor – manche sogar während des Tages. Sie vernichteten das Land außerhalb des Kreises. Als das Gebiet rings um den Kreis in Schutt und Asche lag, rückte die Erscheinung vor, um auch diese Flächen zu verschlingen, und begann auf diese Weise erneut zu wachsen. Der alte König Uther, der mich seit langer Zeit verfolgte, vergaß mich völlig und setzte seine Streitkräfte darauf an, den Höllenkreis zu bewachen. Auch ich begann mir Sorgen darüber zu machen, da ich keine rechte Freude bei dem Gedanken hatte, im Schlaf womöglich von einem höllengezeugten Blutsauger überrascht zu werden. Ich versammelte also fünfundfünfzig meiner Männer um mich – mehr wollten sich nicht freiwillig melden, und ich konnte keine Feiglinge gebrauchen – und ritt eines Nachmittags an den unheimlichen Ort. Wir stießen auf eine Horde der totgesichtigen Menschen, die im Begriff waren, auf einem Steinaltar eine lebendige Ziege zu verbrennen, und griffen sofort an. Wir machten einen Gefangenen, fesselten ihn auf seinen eigenen Altar und verhörten ihn an Ort und Stelle. Er sagte uns, der Kreis würde sich ausdehnen, bis er das ganze Land bedecke, von Ozean zu Ozean. Eines Tages würde er sich auf der anderen Seite der Welt begegnen und schließen. Wenn wir unsere Haut retten wollten, müßten wir uns ihnen anschließen. Daraufhin verlor einer meiner Männer die Beherrschung und stach zu, und das Wesen starb. Er starb wirklich; ich weiß, wenn ein Mensch tot ist, habe ich diesen Zustand doch oft genug selbst herbeigeführt. Doch als sein Blut auf den Altarstein tropfte, öffnete sich sein Mund und das lauteste Lachen ertönte, das ich je gehört habe. Es umgab uns wie Donnergrollen. Dann richtete sich die Gestalt auf, ohne zu atmen, und begann zu brennen. Dabei veränderte sich die Gestalt, bis sie an die brennende Ziege auf dem Altar erinnerte, nur war sie größer. Im nächsten Augenblick sprach das Wesen zu uns. Es sagte: ›Flieh, Sterblicher! Aber du wirst den Kreis niemals verlassen!‹ Und das könnt Ihr mir glauben – wir sind tatsächlich geflohen. Der Himmel verdunkelte sich vor Fledermäusen und anderen – Wesen. Wir hörten Hufschlag. Wir ritten mit den Klingen in der Hand und töteten alles, was sich in unserer Nähe sehen ließ. Wir sahen Katzen, wie jene, die Ihr getötet habt, und Schlangen und hüpfende Gebilde – Gott allein weiß, was sich alles auf uns stürzte. Als wir uns dem Rand des Kreises näherten, entdeckte uns eine Patrouille König Uthers und kam uns zu Hilfe. Sechzehn von den fünfundfünfzig, die mit mir losgeritten waren, kamen mit dem Leben davon. Außerdem verlor auch die Patrouille etwa dreißig Mann. Als die Soldaten mich erkannnten, brachten sie mich sofort vor Gericht. Hierher. Dies war früher einmal Uthers Palast. Ich erzählte ihm, was ich getan und gesehen und gehört hatte. Er tat das gleiche wie Corwin. Er bot mir und meinen Männern die Begnadigung an, wenn ich mich mit ihm gegen die Wächter des Kreises verbündete. Angesichts der Dinge, die ich erlebt hatte, war mir klar, daß die Gefahr beseitigt werden mußte. Ich erklärte mich einverstanden. Doch zunächst wurde ich krank; man sagte mir, ich hätte drei Tage lang im Delirium gelegen. Nach meiner Genesung war ich schwach wie ein Kleinkind und erfuhr jetzt erst, daß die übrigen Männer, die mit mir im Kreis gewesen waren, eine ähnliche Krankheit durchmachten. Drei waren daran gestorben. Ich besuchte meine Leute, erzählte ihnen die Geschichte, und sie ließen sich anwerben. Die Patrouillen rings um den Kreis wurden verstärkt. Trotzdem konnten wir die weitere Ausdehnung nicht verhindern. In den folgenden Jahren wuchs der Kreis immer mehr. Zahlreiche Scharmützel wurden ausgefochten. Ich wurde befördert, bis ich als Uthers rechte Hand galt – eine Laufbahn, die ich schon unter Corwin durchgemacht hatte. Schließlich weiteten sich die Scharmützel aus. Immer größere Gruppen brachen aus dem Höllenloch hervor. Wir begannen Kämpfe zu verlieren. Der Gegner eroberte einige unserer Vorposten. Und eines Nachts stürmte eine Armee heran, eine Horde aus Menschen und anderen Wesen, die dort leben. In dieser Nacht bekämpften wir die größte Streitmacht, mit der wir es je zu tun gehabt hatten. Gegen meinen Rat ritt König Uther persönlich in die Schlacht – er war schon ziemlich alt – und fiel. Das Land war ohne Herrscher. Ich wollte Lancelot, meinen Ersten Mann, zum Regenten ernennen lassen, wußte ich doch, daß er viel ehrenwerter war als ich . . . Doch jetzt kommt ein seltsamer Punkt. Ich hatte zuvor in Avalon einen Lancelot gekannt, einen Mann wie ihn – doch dieser Mann kannte mich nicht, als wir uns zum erstenmal sahen. Wirklich seltsam . . . Jedenfalls lehnte er meinen Vorschlag ab, und der Titel fiel mir zu. Ich hasse diese Situation, aber so ist es nun mal. Seit über drei Jahren halte ich die unheimlichen Kräfte, so gut es geht, im Zaum. Alle meine Instinkte raten mir zur Flucht. Was schulde ich diesen Menschen? Was schert es mich, ob sich der verfluchte Kreis ausweitet oder nicht? Ich könnte über das Meer in ein Land fahren, welches der Kreis zu meinen Lebzeiten bestimmt nicht mehr erreicht, und die ganze Sache vergessen. Verdammt! Ich habe mir diese Verantwortung nicht gewünscht! Doch ich muß sie tragen!«
»Warum?« frage ich, und meine Stimme klang mir seltsam in den Ohren.
Er leerte schweigend seine Pfeife, füllte sie von neuem und zündete sie wieder an. Er begann zu rauchen. Das Schweigen dehnte sich in die Länge.
»Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich. »Ich würde einen Mann wegen seiner Stiefel hinterrücks erdolchen, wenn ich sie brauchte, um meine Füße warm zu halten. Ich weiß das, weil ich so etwas einmal getan habe. Aber . . . diese Sache ist etwas anderes. Diese Attacke schadet allen, und ich bin der einzige, der etwas dagegen tun kann. Verdammt! Ich weiß, daß man mich hier eines Tages zusammen mit allen anderen begraben wird. Doch ich kann sie nicht im Stich lassen. Ich muß diese Erscheinung eindämmen, solange es geht.«
Die klare Nachtluft hatte meine Gedanken belebt, obwohl sich mein Körper noch immer leicht betäubt anfühlte.
»Könnte Lance nicht die Führung übernehmen?« fragte ich.
»Gewiß. Er ist ein guter Mann. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Ich glaube, das Ziegenwesen auf dem Altar, oder was immer es war, hatte Angst vor mir. Ich war in den Kreis gestürmt, und es hatte mir versichert, daß ich es nicht hinaus schaffen würde – aber dann habe ich es doch geschafft. Die nachfolgende Krankheit habe ich ebenfalls überstanden. Das Wesen weiß, daß ich hinter der erbitterten Gegenwehr stehe. Wir gewannen die blutige Schlacht in jener Nacht, in der Uther starb, und ich stand dem Wesen, das eine andere Form hatte, wieder gegenüber, und es erkannte mich. Vielleicht gehört das zu den Gründen, warum es sich im Augenblick zurückhält.«
»Eine andere Form?«
»Ein Wesen mit einem menschenähnlichen Körper, doch mit Ziegenhörnern und roten Augen. Es saß auf einem gescheckten Hengst. Wir kämpften eine Zeitlang miteinander, doch im Kampfgetümmel wurden wir getrennt. Nur gut so, denn der andere war im Begriff zu siegen. Während wir Schwerthiebe tauschten, sprach es zu mir, und ich erkannte die dröhnende Stimme wieder. Das Wesen nannte mich einen Dummkopf und versicherte mir, daß ich niemals siegen könne. Doch als der Morgen graute, gehörte das Schlachtfeld uns, und wir trieben die Ungeheuer in den Kreis zurück und brachten dabei noch viele fliehende Gegner um. Der Reiter des Schecken konnte entkommen. Seither hat es andere Vorstöße gegeben, doch nicht mehr in der Stärke jener Nacht. Wenn ich dieses Land verließe, würde sofort eine andere solche Armee – die sich im Augenblick schon versammelt –hervorstoßen. Das Wesen würde irgendwie wissen, daß ich mich zurückgezogen habe – so wie es auch wußte, daß Lance mit einem neuen Bericht über die Verteilung der Truppen im Kreis zu mir unterwegs war, und ihm unterwegs jene Wächter entgegenschickte. Das Wesen weiß inzwischen auch von Euch und macht sich bestimmt Gedanken über diese Entwicklung. Es fragt sich, wer Ihr seid, woher Ihr die Kräfte nehmt. Ich werde bleiben und kämpfen, bis ich falle. Ich muß. Fragt mich nicht nach dem Grund. Ich kann nur hoffen, daß ich vor jenem letzten Tag zumindest erfahre, wie es zu dieser Erscheinung gekommen ist – warum sich der Kreis dort draußen ausbreitet.«
Im nächsten Augenblick ertönte ein Flattern dicht neben meinem Kopf. Hastig duckte ich mich, um der unbekannten Erscheinung auszuweichen – eine überflüssige Bewegung. Es war nur ein Vogel. Ein weißer Vogel. Er landete auf meiner linken Schulter und verharrte dort und stieß einen leisen Ruf aus. Ich streckte ihm das Handgelenk entgegen, und das Tier sprang herab. An seinem Bein war ein Zettel festgebunden. Ich löste ihn, las ihn, zerknüllte ihn in der Hand. Dann starrte ich in die Ferne, ohne etwas zu sehen.
»Was ist los, Sir Corey?« rief Ganelon.
Der Zettel, den ich zu meinem Ziel vorausgeschickt hatte, von mir selbst geschrieben, überbracht von einem Vogel meiner Schöpfung, konnte nur den Ort erreichen, der mein nächster Aufenthalt sein sollte. Allerdings war dies nicht der Ort, den ich im Sinn gehabt hatte. Doch ich vermochte mein eigenes Omen zu deuten.
»Was ist?« fragte er. »Was habt Ihr da in der Hand? Eine Nachricht?«
Ich nickte und reichte ihm den Zettel. Ich konnte ihn nicht gut fortwerfen, nachdem er gesehen hatte, wie ich die Botschaft in Empfang nahm.
»Ich komme«, stand darauf, und darunter meine Unterschrift.
Ganelon stieß eine Rauchwolke aus und studierte das Blatt im Schimmer der Pfeife.
»Er lebt? Und er will hierher kommen?« fragte er.
»Sieht so aus.«
»Sehr seltsam«, sagte er. »Das verstehe ich nun wirklich nicht . . .«
»Hört sich wie ein Hilfeversprechen an«, sagte ich und entließ den Vogel, der zweimal gurrte, meinen Kopf umkreiste und dann davonflatterte.
Ganelon schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht.«
»Wozu dem Pferd ins Maul schauen, das Euch geschenkt wird?« fragte ich. »Ihr habt es bisher nur geschafft, das Ding im Zaum zu halten.«
»Das ist wahr«, erwiderte er. »Vielleicht könnte er es vernichten.«
»Und vielleicht ist das Ganze nur ein Scherz«, wandte ich ein. »Ein grausamer Scherz.«
Wieder schüttelte er den Kopf.
»Nein. Das ist nicht sein Stil. Ich frage mich, worauf er es abgesehen hat?«
»Schlaft drüber«, schlug ich vor.
»Es bleibt mir im Augenblick wohl kaum etwas anderes übrig«, sagte er und unterdrückte ein Gähnen.
Dann standen wir auf und schritten über die Mauer. Wir wünschten uns eine gute Nacht, und ich taumelte dem Abgrund des Schlafes entgegen und ließ mich kopfüber hineinfallen.