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Ich sprang vor, wurde jedoch durch das Schwert des Offiziers aufgehalten. Der einfache Soldat legte seine Armbrust ab und näherte sich Talena, die ihn schreckensbleich anstarrte. Der Mann begann die bestickten Schlaufen aufzureißen; methodisch riß er ihre Roben auseinander, öffnete sie, zog sie über ihre Schultern herab. Gleich darauf stand sie nackt vor uns, ihre Kleidung lag als ein schmutziger Haufen um ihre Füße. Ihr Körper, stellenweis e schlammverschmutzt, war von außergewöhnlicher Schönheit. »Warum tut ihr das?« fragte ich. »Marlenus ist geflohen«, sagte der Offizier. »In der Stadt herrscht Chaos. Die Wissenden haben die Macht übernommen und befohlen, daß Marlenus und alle Mitglieder seines Haushalts auf den Mauern Ars öffentlich aufzuspießen sind.« Das Mädchen stieß einen Schreckensschrei aus. Der Offizier fuhr fort: »Marlenus hat den Heimstein verloren, den Stein, der Ar Glück brachte. Er selbst ist mit fünfzig Tarnkämpfern und einem großen Teil des Stadtschatzes geflohen. In den Straßen toben Kämpfe zwischen den Gruppen, die die Herrschaft über Ar anstreben. Es wird geplündert und gebrandschatzt. Die Stadt steht unter Kriegsrecht.« Widerstandslos hob das Mädchen die Arme, und der Soldat ließ die Sklavenfessel darum zuschnappen – zwei leichte, mit blauen Steinen besetzte Goldbänder, die fast wie Schmuckstücke aussahen. Talena schien sprachlos zu sein. In wenigen Sekunden war ihre Welt zusammengebrochen. Sie war nun plötzlich die verurteilte Tochter eines Verbrechers, unter dessen Herrschaft der Heimstein gestohlen worden war. Wie alle anderen Mitglieder des Haushalts war sie jetzt der Rache der aufgebrachten Bürger ausgesetzt.

»Ich bin der Mann, der den Heimstein gestohlen hat«, sagte ich. Der Offizier versetzte mir einen Stoß mit seinem Schwert. »Das hatten wir schon angenommen – bei dieser Gesellschaft.« Er lachte leise. »Keine Angst – obwohl es in Ar viele gibt, die sich über deine Tat freuen, wird dein Tod nicht angenehm oder schnell sein.«

»Laßt das Mädchen frei«, sagte ich. »Sie hat nichts getan. Sie hat nach besten Kräften versucht, den Heimstein eurer Stadt zu retten.« Talena schien verblüfft zu sein, daß ich mich für sie einsetzte. »Die Wissenden haben ihr Urteil gesprochen«, sagte der Offizier. »Sie haben bestimmt, daß den Priesterkönigen ein Opfer dargebracht wird, auf daß sie uns Gnade erweisen und den Heimstein zurückbringen.« In diesem Augenblick verachtete ich die Wissenden von Ar, die – wie die anderen Mitglieder ihrer Kaste überall auf Gor – nur zu gern bereit waren, politische Macht an sich zu bringen, auf die sie angeblich durch ihre Berufung verzichtet hatten. Die wirkliche Absicht hinter den ›Opfern für die Priesterkönige‹ war es wahrscheinlich. Konkurrenten für den Thron von Ar zu beseitigen und die eigene politische Position zu festigen. Der Offizier zog die Augen zusammen. »Wo ist der Heimstein?« »Ich weiß es nicht.«

Das Schwert wurde mir vor den Hals gelegt. In diesem Augenblick sagte die Tochter des Ubar zu meiner Überraschung: »Er spricht die Wahrheit. Der Heimstein war in der Satteltasche seines Tarn. Der Tarn ist geflohen, und der Stein ist fort.« Der Offizier fluchte leise.

»Bringt mich nach Ar«, sagte Talena. »Ich bin bereit.« Sie trat aus dem Kreis ihrer Kleidung und stand stolz zwischen den Bäumen. Der Wind spielte mit ihrem langen schwarzen Haar.

Der Offizier musterte sie von Kopf bis Fuß, und seine Augen leuchteten. Ohne den anderen Soldaten anzusehen, gab er den Befehl, mich anzuketten. Dann steckte er sein Schwert in die Scheide, ohne den Blick von Talena zu nehmen. »Das Mädchen kette ich selbst an«, sagte er, zog eine Kette aus seinem Beutel und näherte sich dem Mädchen. »Die Kette wird nicht nötig sein«, sagte sie stolz.

Das werde ich entscheiden«, sagte der Offizier und lachte, als er das Metall am Hals des Mädchens befestigt. Er zog spielerisch daran. »Hätte ich mir nie träumen lassen, einmal Marlenus Tochter an der Kette zu haben.«

»Du Ungeheuer!« zischte sie.

»Ich sehe, daß ich dir noch den gehörigen Respekt beibringen muß«, sagte er, legte seine Hand zwischen Hals und Kette, zog sie zu sich heran. Mit wilder Gebärde stürzte er sich plötzlich über sie, und das Mädchen, das rückwärts in das Gras gedrückt wurde, schrie auf. Der zweite Soldat schaute zu. Er hoffte sicherlich, daß auch er noch an die Reihe käme. Ich hob die schweren metallenen Handfesseln und versetzte ihm damit einen Schlag gegen die Schläfe. Lautlos sank er zu Boden.

Der Offizier richtete sich auf. Er knurrte wütend und versuchte sein Schwert zu ziehen. Die Klinge war noch nicht halb aus der Scheide, als ich ihn ansprang. Meine gefesselten Hände schlössen sich um seinen Hals. Er wehrte sich verzweifelt und versuchte meine Finger zu lösen; das Schwert glitt ihm aus der Scheide. Doch ich ließ nicht locker. Nun zog er Talenas Dolch aus seinem Gürtel, und ich hätte den tödlichen Stoß sicher nicht verhindern können.

Plötzlich zuckte er zusammen, und ich sah einen blutigen Stumpf am Ende seines Arms. Talena hatte sein Schwert aufgenommen und ihm die Hand abgeschlagen, die den Dolch hielt. Ich ließ den Offizier los. Er zuckte im Gras und war tot. Talena, nackt, hielt noch das blutige Schwert in den Händen, und in ihren Augen stand das Entsetzen über ihre Tat.

»Laß das Schwert fallen«, befahl ich schnell – aus Besorgnis, ihr könnte der Gedanke kommen, nun auch mich damit anzugreifen. Das Mädchen gehorchte, sank auf die Knie und barg das Gesicht in den Händen. Die Tochter des Ubar war offenbar nicht ganz so unmenschlich, wie ich angenommen hatte.

Ich nahm das Schwert, näherte mich dem anderen Soldaten und fragte mich, ob ich ihn umbringen würde, wenn er noch lebte. Vielleicht hätte ich ihn geschont, ich weiß es nicht; jedenfalls wurde ich der Entscheidung enthoben. Er lag reglos im Gras. Die schweren Handschellen hatten ihm den Schädelknochen gespalten.

Ich durchsuchte die Beutel des Offiziers und fand den Schlüssel zu meinen Handschellen. Es bereitete mir Mühe, ihn in die vorgesehene Öffnung zu stecken.

»Laß mich das machen«, sagte Talena, nahm den Schlüssel und öffnete das Schloß. Ich warf die Fessel ab und rieb mir die Handgelenke.

»Ich bitte dich«, sagte Talena, die niedergeschlagen neben mir stand, die Hände in der bunten Sklavenfessel.

»Natürlich«, sagte ich. »Es tut mir leid.« Ich suchte weiter in dem Beutel und fand schließlich auch den winzigen Schlüssel für die Sklavenfesseln.

Ich befreite sie.

Nun machte ich mich an eine eingehende Untersuchung der Beutel und Waffen.

»Was hast du vor?« fragte Talena.

»Ich nehme mir, was wir brauchen können«, sagte ich und sortierte den Inhalt der Beutel. Wichtigste Gegenstände waren ein Kompaßchronometer, einige Eßrationen, zwei Wasserflaschen,

Bogensehnen, Fäden und Öl für den Mechanismus einer Armbrust. Ich beschloß, mein eigenes Schwert und die Armbrust des Soldaten mitzunehmen, die ich entspannte. Der Köcher enthielt etwa zehn Geschosse. Keiner der Soldaten hatte einen Speer oder einen Schild bei sich gehabt. Anschließend trug ich die beiden Körper zum Sumpf hinab und warf sie in das schmutzige Wasser.

Als ich auf die Lichtung zurückkehrte, saß Talena im Gras. Ich war überrascht, daß sie sich noch nicht wieder angekleidet hatte. Sie hatte ihr Kinn auf das Knie gelegt, und als sie mich erblickte, fragte sie ziemlich unterwürfig: »Darf ich mich anziehen?«

»Aber sicher.«

Sie lächelte. »Wie du siehst, trage ich keine Waffen bei mir.«

»Du unterschätzt dich«, sagte ich.

Sie schien geschmeichelt zu sein. Aus ihrer schmutzigen Kleidung suchte sie sich ein Stück Unterkleid heraus, etwas Blauseidenes, das die Schultern frei ließ, zog es über und band es mit einem Gürtel aus Schleierseide zusammen. Mehr nahm sie nicht. Überraschenderweise schien sie keinen Gedanken mehr an ihr Aussehen zu verschwenden; sie wirkte ehrlich erleichtert, die hinderliche Festkleidung der Tochter des Ubar los zu sein. Das Unterkleid, das natürlich für ihre hohen Schuhe berechnet war, hing ihr über die Füße. Auf ihre Bitte schnitt ich ihr den Stoff zurecht, bis er einige Zentimeter über den Fußgelenken endete.

»Danke«, sagte sie.

Ich lächelte sie an. Das schien eine völlig neue Talena zu sein.

Sie wanderte auf der Lichtung umher. Offensichtlich gefiel sie sich sehr; sie drehte sich mehrmals im Kreise und schien sich an der neugewonnenen Bewegungsfreiheit zu freuen.

Ich nahm einige Ka-la-na-Früchte auf und öffnete zwei Eßrationen.

Talena setzte sich neben mir ins Gras. Wir teilten uns die Mahlzeit.

»Tut mir leid, was mit deinem Vater geschehen ist«, sagte ich.

»Er war der Ubar aller Ubars«, sagte sie und zögerte einen Augenblick.

»Das Leben eines Ubar ist stets gefahrvoll.« Nachdenklich starrte sie ins Gras. »Er muß gewußt haben, daß es eines Tages so kommen würde.«

»Hat er denn nie mit dir darüber gesprochen?« fragte ich.

Sie warf den Kopf zurück und lachte. »Stammst du denn nicht aus Gor?

Ich habe meinen Vater nur bei den öffentlichen Feiern gesehen. Die Töchter der Hohen Kasten werden in Ar in den Hohen Gärten aufgezogen, wie Blumen, bis irgendein hochgeborener Bräutigam, vorzugsweise ein Ubar oder ein Administrator, den Brautpreis zahlt, der von den Vätern festgelegt ist.«

»Soll das heißen, daß du deinen Vater überhaupt nicht gekannt hast?« fragte ich.

»Ist das denn in deiner Stadt anders, Krieger?«

»Ja«, sagte ich und dachte daran, daß in Ko-ro-ba die Familie noch immer in hohen Ehren stand. Ich überlegte, ob das vielleicht auf den Einfluß meines Vaters zurückzuführen war, dessen irdische Einstellung zuweilen mit den rauhen Sitten auf Gor in Konflikt geriet.

»Das würde mir wohl gefallen«, sagte sie. Dann musterte sie mich eingehend. »Aus welcher Stadt kommst du, Krieger?«

»Nicht aus Ar«, erwiderte ich.

»Darf ich deinen Namen wissen?«

»Ich heiße Tarl.« ' »Ah, du bist Tarl Cabot aus Ko-ro-ba, nicht wahr?«

Ich konnte mein Erstaunen nicht verbergen, und sie lachte fröhlich.

»Wußte ich's doch«, sagte sie.

»Woher?«

»Der Ring«, fuhr sie fort und deutete auf das rote Metallband, das meinen rechten Mittelfinger umspannte. »Das ist das Zeichen Cabots, des Administrators von Ko-ro-ba, und du bist sein Sohn Tarl, den die Krieger von Ko-ro -ba in der Kunst des Kampfes unterwiesen haben.«

»Die Spione Ars sind sehr tüchtig«, sagte ich.

»Tüchtiger als die Attentäter von Ar«, sagte sie. »Pa-Kur, Ars Meisterattentäter, sollte dich töten, aber er hat versagt.«

Ich erinnerte mich an den Anschlag im Haus meines Vaters – ein Anschlag, der bestimmt gelungen wäre, wenn der Ältere Tarl nicht so wachsam gewesen wäre.

»Ko-ro-ba ist eine der wenigen Städte, die mein Vater gefürchtet hat«,

sagte Talena, »weil ihm bewußt war, daß sie eines Tages vielleicht andere Städte gegen ihn führen könnte. Wir in Ar waren der Meinung, daß er dich zu diesem Zwecke ausbilden ließ, und deshalb wollten wir dich beseitigen.« Sie hielt inne und sah mich an. »Wir hätten aber nie vermutet, daß du unseren Heimstein stehlen wolltest.«

»Woher weißt du das alles?« fragte ich.

»Oh, die Frauen im Hohen Garten wissen Bescheid«, erwiderte sie.

Ich begann die Rationen aufzuteilen, die ich den Soldaten abgenommen hatte.

»Was tust du?« fragte Talena.

»Ich gebe dir eine Hälfte der Nahrungsmittel«, erwiderte ich. »Aber warum?« fragte sie mit besorgtem Blick. »Weil ich dich verlasse«, sagte ich und schob ihr einen Anteil hinüber und auch eine der Wasserflaschen. Zuletzt warf ich ihr einen Dolch zu. »Den kannst du vielleicht gebrauchen.«

Die Tochter des Ubar schien sprachlos zu sein. Ihre Augen weiteten sich fragend, doch in meinem Gesicht stand nur Entschlossenheit.

Ich packte meine Sachen zusammen und war abmarschbereit. Das Mädchen stand auf und nahm ihr kleines Bündel über die Schulter. »Ich gehe mit dir«, sagte sie. »Und du kannst es nicht verhindern.«

»Und wenn ich dich an diesen Baum kette?« fragte ich. »Du bist nicht wie die anderen Krieger aus Ar«, sagte sie. »So etwas würdest du nicht tun.« »Du darfst mir nicht folgen.« »Allein bin ich verloren.«

Ich wußte, daß sie die Wahrheit sprach. Eine hilflose Frau hatte auf den Ebenen Gors keine Chance. »Wie kann ich dir nur trauen?« fragte ich.

»Das kannst du nicht«, sagte sie offen. »Denn ich stamme aus Ar und muß dein Feind bleiben.«

»Dann ist es nur in meinem Interesse, wenn ich dich zurücklasse«, sagte ich.

»Aber ich kann dich zwingen, mich mitzunehmen.« Und sie kniete vor mir nieder, senkte den Kopf und hob mir ihre gekreuzten Arme entgegen.

»Nun mußt du mich mitnehmen – oder mich umbringen, was du bestimmt nicht machst.«

Ich verfluchte sie.

»Was ist die Unterwerfung Talenas, der Tochter des Ubar, wert?« fragte ich spöttisch.

»Nichts«, sagte sie. »Aber du mußt sie akzeptieren oder mich umbringen.«

Wütend stapfte ich zu der Sklavenfessel im Gras und nahm auch eine Sklavenhaube und die Kette auf.

»Wenn du schon eine Gefangene sein willst«, sagte ich, »sollst du auch entsprechend behandelt werden. Ich nehme deine Unterwerfung an.«

Ich fesselte sie, nahm ihr den Dolch ab und steckte ihn in meinen Gürtel.

Ärgerlich warf ich ihr beide Bündel über die Schulter. Dann nahm ich die Armbrust auf und verließ die Lichtung. Das verhüllte Mädchen zerrte ich hinter mir her. Zu meinem Erstaunen lachte sie unter ihrer Haube.

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