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Mehrere Tage lang fuhr die Karawane durch den Verwüsteten Streifen, der das Reich Ar begrenzte. Aus der Ferne hörten wir nun das gedämpfte Dröhnen des Vosk. Als die Karawane einen Hügel überfuhr, erblickten wir am Flußufer vor uns eine unglaubliche Szene. Ein Lager aus zahlreichen bunten Zelten erstreckte sich bis zum Horizont, eine schnell errichtete Stadt für eine der größten Armeen, die je auf den Ebenen Gors zusammengekommen waren. Die Flaggen von hundert Städten flatterten über den Zelten, und durch das beständige Rauschen des Flusses war das Dröhnen großer Tarntrommeln zu hören – jener Trommeln, deren Signale die komplizierten Kriegsformationen der fliegenden goreanischen Kavallerie steuerten. Talena rannte neben meinem Tharlarion her, und mit meiner Lanze hob ich sie in den Sattel, damit sie besser sehen konnte. Zum erstenmal seit vielen Tagen stand Wut in ihren Augen. »Die Geier kommen und fallen über die verwundeten Tarnkämpfer her.«

Ich schwieg, denn ich wußte, daß letztlich ich für diesen Aufmarsch verantwortlich war. Ich hatte den Heimstein Ars gestohlen und damit den Niedergang Marlenus ausgelöst, dessen Flucht nun wiederum den Ausbruch des Chaos bewirkt hatte.

Talena beugte sich zurück, und ihre Schultern zuckten. Sie weinte. Wenn es mir möglich gewesen wäre, die Vergangenheit umzuschreiben, hätte ich in diesem Augenblick den Raub des Heimsteins am liebsten rückgängig gemacht.

Heute schlugen wir unser Lager nicht zur üblichen Zeit auf, sondern versuchten vor Einbruch der Dunkelheit die große Zeltstadt zu erreichen. Auf diesen letzten Pasangs verdienten sich die Wächter der Karawane -so auch ich – ihren Lohn, denn wir wurden mehrmals angegriffen, zuletzt von einem Dutzend Tarnkämpfer, die es auf unseren Waffenwagen abgesehen hatten. Doch sie wurden von einem Hagel von Armbrustpfeilen empfangen und zogen sich zurück. In dieser Nacht brachten wir die Karawane in das eingezäunte Lager, das von Pa-Kur, dem Meisterattentäter, für Mintar vorbereitet worden war. Pa-Kur war der Ubar dieser riesigen, unorganisierten Kriegsbande. Die Karawane wurde abgesichert, und in wenigen Stunden sollte das Geschäft beginnen. Die Karawane wurde dringend erwartet, und die Waren mußten gute Preise bringen.

Mein Plan, den ich Talena auseinandersetzte, war einfach. Ich wollte einen Tarn erwerben, wenn ich ihn mir leisten konnte; Notfalls gedachte ich das Tier zu stehlen. Und dann wollten wir nach Ko-ro -ba fliehen. Die Sache mochte riskant sein, aber es war immer noch besser, als den Vosk in einem Boot zu überqueren und den Weg zu Fuß oder auf dem Rücken eines Tharlarions fortzusetzen.

Talena wirkte niedergeschlagen – ein seltsamer Gegensatz zu der Lebhaftigkeit der vergangenen Tage. »Was wird aus mir in Ko-ro-ba?« fragte sie.

»Ich weiß es nicht«, sagte ich lächelnd. »Vielleicht könntest du Tavernensklavin werden.«

Sie lächelte bitter. »Nein, Tarl aus Bristol«, sagte sie. »Vermutlich werde ich aufgespießt, denn ich bin und bleibe Marlenus Tochter.«

Ich schwieg, aber ich war entschlossen, nicht ohne sie zu leben. Sollte sie in Ko-ro-ba ihr Schicksal finden, so wollte ich mit ihr sterben. Talena stand auf. »Heute abend«, sagte sie, »trinken wir Wein.« Es war ein goreanischer Ausdruck, mit dem die Ereignisse der Zukunft den Priestergöttern überlassen werden.

»Trinken wir Wein«, sagte ich.

In dieser Nacht nahm ich Talena mit in die Stadt der Zelte, und im Licht der Fackeln wanderten wir Arm in Arm durch die belebten Straßen. Hier gab es nicht nur Krieger und Tarnkämpfer, sondern auch Händler und Bauern, Lagerfrauen und Sklaven. Fasziniert klammerte sich Talena an meinem Arm fest. Wir beobachteten in einem Zelt einen bronzehäutigen Riesen, der Feuerbälle zu verschlucken schien; im nächsten Zelt bot ein Seidenhändler seine Stoffe an, und im dritten drehten sich Sklavenmädchen und tanzten, während ihr Herr den Mietpreis hinausschrie.

»Ich möchte den Markt sehen«, sagte Talena eifrig, und ich wußte, welchen Markt sie meinte. Widerstrebend führte ich sie zu dem großen Zelt aus blauer und gelber Seide. Wir drängten uns zwischen den heißen, stinkenden Körpern der Käufer hindurch, bis wir schließlich ziemlich weit vorn standen. Aufgeregt sah Talena zu, wie dort oben ein Mädchen nach dem anderen auf einen großen runden Holzblock geführt und verkauft wurde.

»Sie ist schön«, sagte Talena, wenn der Auktionär die Schleife des einfachen Umhangs eines Mädchens öffnete und das Kleidungsstück zu Boden fiel. Bei einem anderen Mädchen schnaubte sie verächtlich. Sie kannte einige der Sklavinnen aus der Karawane und schien ihre Freundinnen und Feindinnen zu haben.

Zu meiner Überraschung freuten sich die Mädchen über ihren Verkauf und stellten kühn ihre Reize zur Schau, wobei sie ihre Vorgängerin noch zu überbieten versuchten. Natürlich war es viel angenehmer, zu einem hohen Preis verkauft zu werden und die Gewißheit zu haben, daß der künftige Herr wohlbestallt war. Entsprechend gaben die Mädchen ihr Bestes, um das Interesse der Käufer zu wecken. Talena – wie die anderen Zuschauer – schien nicht das Gefühl zu haben, daß diesem Handel etwas verwerfliches anhaftete. Die Sklaverei war ein selbstverständlicher Teil des goreanischen Lebens. Ich bemerkte im Publikum eine große, düstere Gestalt, die allein auf einem hohen Holzthron saß, von Tarnkämpfern umg eben. Der Mann trug den schwarzen Helm der Kaste der Attentäter. Ich nahm Talena beim Ellenbogen und drängte sie gegen ihren Widerstand durch die Menge ins Freie.

Wir erstanden eine Flasche Ka-la -na-Wein und tranken daraus, während wir durch die Straßen schritten. Sie erbat sich eine Zehntelmünze. Wie ein Kind ging sie zu einem der Stände, während ich mich umdrehen mußte. Nach wenigen Minuten kehrte sie zurück, ein kleines Paket in der Hand. Sie gab mir das Wechselgeld zurück, lehnte sich an meine Schulter und sagte, sie wäre müde. Wir kehrten in unser Zelt zurück. Kazrak war nicht da, und ich nahm an, daß er heute nicht zurückkehren würde.

Talena zog sich hinter ihren Seidenvorhang zurück, und ich entzündete das Feuer in der Mitte des Zeltes. Ich war noch nicht müde. Ich vermochte den Mann auf dem Thron nicht zu vergessen, den Mann mit dem schwarzen Helm, und ich befürchtete fast, daß er mich bemerkt und seine Maßnahmen bereits getroffen hatte. Ich saß auf dem weichen Teppich und stocherte vorsichtig in dem Feuer unserer Kochstelle herum. Aus einem Nachbarzelt war Flötenmusik zu hören, dazu leises Trommeln und das rhythmische Klingeln einer Zimbel. Ich war in Gedanken versunken, als Talena hinter dem Seidenvorhang hervortrat. Ich hatte angenommen, sie hätte sich schlafen gelegt. Statt dessen hatte sie ein durchsichtiges Seidentanzkleid angezogen und ihre Lippen gerötet. Mir wurde schwindlig von dem kräftigen Duft eines Parfüms. An ihren olivefarbenen Fußgelenken hingen winzige Tanzglocken. An Daumen und Zeigefinger jeder Hand waren winzige Fingerzimbeln befestigt. Sie ging ein wenig in die Knie und hob anmutig die Hände über den Kopf. Ihre Fingerzimbeln klangen auf, und dann begann Talena, die Tochter des Ubar von Ar, für mich zu tanzen.

Sie bewegte sich langsam vor mir und fragte leise: »Gefalle ich dir, Herr?« In ihrer Stimme schwang keine Verachtung, keine Ironie.

»Ja«, sagte ich, ohne auf den Titel einzugehen, mit dem sie mich angeredet hatte.

Sie hielt einen Augenblick inne und trat zur Seite. Sie schien zu zögern.

Dann nahm sie mit schneller Bewegung die Sklavenpeitsche und eine Sklavenkette auf. Sie kniete vor mir nieder, die Knie nicht in der Stellung einer Turmsklavin, sondern in der einer Freudensklavin.

»Wenn du möchtest«, sagte sie, »tanze ich den Peitschentanz für dich.«

Ich warf Peitsche und Kette zur Seite. »Nein«, sagte ich aufgebracht.

»Dann zeige ich dir einen Liebestanz«, sagte sie glücklich. »Ich habe ihn in den Hohen Gärten Ars gelernt.«

»Das würde mir gefallen«, sagte ich, und Talena zeigte mir Ars herrlichen Tanz der Leidenschaft.

Mehrere Minuten lang tanzte sie vor mir, und ihr rotes Gewand schimmerte im Schein der Flammen, und ihre bloßen Füße huschten sanft über den Teppich. Mit einem letzten Klirren ihrer Fingerzimbeln fiel sie vor mir zu Boden, ihr Atem ging schnell, und in ihren Augen stand Verlangen. Da lag ich auch schon neben ihr und nahm sie in die Arme.

Ihr Herz schlug heftig gegen meine Brust. Sie schaute mir in die Augen, ihre Lippen zitterten.

»Laß das Eisen kommen«, sagte sie. »Ich will dein sein, Herr.«

»Nein, Talena«, sagte ich und küßte sie.

»Ich möchte dein Eigentum sein«, wimmerte sie. »Ich möchte dir ganz gehören, auf jede mögliche Art. Ich möchte dein Brandzeichen, Tarl of Bristol, verstehst du nicht? Ich möchte deine Sklavin sein.«

Ich griff nach ihrem Sklavenkragen, schloß ihn auf, warf ihn zur Seite. »Du bist frei, mein Liebling«, flüsterte ich. »Immer frei!« Sie schüttelte schluchzend den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Ich bin deine Sklavin.« Sie preßte sich erregt an mich. »Ich bin dein«, hauchte sie. »Nimm mich.«

Plötzlicher Lärm ließ mich auffahren. Tarnkämpfer drangen in das Zelt ein. Einen Sekundenbruchteil lang sah ich noch einen Speerschaft, der auf mein Gesicht zuraste. Ich hörte Talena schreien. Etwas blitzte auf, d ann herrschte Dunkelheit.

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