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Es wird nun Zeit für den einsamen Schreiber dieser Zeilen, seinen Bericht abzuschließen – ohne Bitterkeit und ohne Resignation. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß ich eines Tages vielleicht nach Gor zurückkehren darf. Diese letzten Absätze werden in einer Wohnung in Manhattan geschrieben, im sechsten Stockwerk hoch über dem Lärm des Nachmittagsverkehrs. Die Sonne scheint, und ich weiß, daß irgendwo dahinter, als Gegenstück zu meinem Heimatplaneten, eine andere Welt existiert. Und ich frage mich, ob auf dieser Welt ein Mädchen, das jetzt eine Frau ist, an mich denkt und vielleicht an die Geheimnisse meiner Heimatwelt, von denen ich ihr berichtet habe. Mein Schicksal war erfüllt, ich hatte den Priesterkönigen gedient, eine Welt hatte sich verändert. Nicht länger benötigt, wurde ich zurückgeschickt. Vielleicht hielten mich die Priesterkönige Gors für gefährlich, vielleicht wurde ihnen klar, daß ich sie nicht anbetete, vielleicht neideten sie mir auch meine Liebe für Talena. Aufgrund meines Einspruchs wurden die besiegten Armeen Pa-Kurs sehr großzügig behandelt. Die Heimsteine der zwölf Unterworfenen Städte wurden zurückgegeben, und die Kämpfer dieser Städte durften in ihre Heimat zurückkehren. Der größte Teil der Söldner wurde ein Jahr lang als Arbeitssklaven einbehalten, die die großen Gräben und Belagerungstunnel wieder auffüllen und die Mauern Ars reparieren sollten. Die Offiziere Pa-Kurs wurden nicht aufgespießt, sondern wie einfache Soldaten behandelt. Die Angehörigen der Kaste der Attentäter mußten als Galeerensklaven arbeiten. Seltsamerweise blieb der Körper Pa-Kurs unauffindbar.

Marlenus unterwarf sich dem Rat der Hohen Kasten seiner Stadt. Zwar wurde das Todesurteil der Wissenden widerrufen, doch aus Angst vor seinem Machtdrang wurde er aus der Stadt verbannt. Mit etwa fünfzig Getreuen zog er sich in die Voltai-Berge zurück, von wo er die fernen Türme seiner Stadt überschauen kann. Dort herrscht er wohl noch heute, ein Larl unter den Menschen, ein ausgestoßener König, für seine Gefolgsleute stets ein Ubar aller Ubars.

Die Freien Städte Gors benannten meinen Schwertbruder Kazrak zum vorläufigen Administrator Ars – eine Entscheidung, die später durch den Hohen Rat bestätigt wurde.

Als Talena und ich nach Ko-ro-ba zurückkehrten, fand dort ein großes Fest zur Feier unserer Gefährtenschaft statt. Ein Feiertag wurde ausgerufen, und die ganze Stadt erstrahlte in festlichem Glanz. Zu meiner Freude riß sich sogar Torm, der alte Schriftgelehrte, von seinen Rollen los, um mein Glück zu teilen.

An diesem Tag schworen wir uns ewige Treue, Talena und ich, solange wir lebten. Ich habe versucht, dieses Versprechen zu halten, und ich weiß das gleiche von ihr. Diese herrliche Nacht war voller Blumen, Fackeln und Ka-la-na-Wein und nach den süßen Stunden der Liebe entschlummerten wir in sanfter Umarmung.

Es mochte Wochen später gewesen sein, daß ich erstarrt und kalt in den Bergen von New Hampshire wieder erwachte, nahe dem flachen Plateau, auf dem das silberne Raumschiff gelandet war. Ich trug die gleiche Ausflugskleidung, die ich damals angehabt hatte; sie kam mir nun grob und eng vor. Menschen sterben, doch nicht an gebrochenem Herzen, denn wenn es das gäbe, wäre ich längst nicht mehr am Leben. Ich zweifelte an meinem Verstand, ich hatte die entsetzliche Befürchtung, daß all die Geschehnisse nur ein schrecklicher Traum gewesen waren. Ich saß allein in den Bergen, den Kopf in den Händen. Schweren Herzens richtete ich mich auf. Aber dann sah ich es, neben meinem Stiefel im Gras – einen kleinen, runden Gegenstand. Ich ließ mich auf die Knie fallen, nahm ihn an mich, und die Tränen liefen mir über das Gesicht, und mein Herz erlebte die traurigste Freude, die ein Mensch kennen kann. In meiner Hand hielt ich den Ring aus rotem Metall, der das Siegel Cabots trug. Das Geschenk meines Vaters. Ich schnitt mir mit dem Ring in die Hand, und ich lachte vor Freude, als ich den Schmerz spürte und das Blut sah. Der Ring war Wirklichkeit, und ich war wach, und es gab eine Gegenerde – und das Mädchen Talena. Als ich wieder in die Stadt kam, stellte ich fest, daß ich sieben Monate fort gewesen war. Es bereitete mir keine Schwierigkeiten, eine Amnesie vorzutäuschen – und welchen anderen Bericht hätte ich geben können über die Zeit, die inzwischen vergangen war ?

Ich verbrachte einige Tage unter Beobachtung in einem Krankenhaus und wurde dann entlassen. Ich entschied, daß ich – zumindest vorübergehend – nach New York ziehen wollte. Mein Posten im College war natürlich inzwischen besetzt worden, außerdem verspürte ich keinen Wunsch, zurückzukehren; ich hätte zuviel erklären müssen. Ich sandte meinem Freund im College einen Scheck als Bezahlung für seine Campingausrüstung, die durch den blauen Brief vernichtet worden war. Freundlicherweise sorgte er dafür, daß mir Bücher und sonstige Besitztümer an die neue Anschrift nachgesandt wurden. Als ich auch meine Konten übertragen ließ, stellte ich zu meiner Überraschung fest, daß das Sparkonto in meiner Abwesenheit um einen hübschen Betrag angereichert worden war. Seit meiner Rückkehr von der Gegenerde habe ich also nicht arbeiten müssen. Gewiß, ich habe gelegentlich eine Stellung angenommen, doch nur Arbeiten, die mir gefielen und die ich jederzeit wieder aufgeben konnte. Zwischendurch bin ich viel gereist, lese viel und halte mich fit. Ich bin sogar einem Fechtklub beigetreten, um mein Auge wach und meinen Arm stark zu halten, obwohl die winzige Klinge im Vergleich zum goreanischen Schwert in der Hand kaum zu spüren ist.

Obwohl seit meinem Verlassen der Gegenerde inzwischen sechs Jahre vergangen sind, scheine ich äußerlich nicht zu altern. Ich habe mir darüber Gedanken gemacht und das mit dem geheimnisvollen Brief meines Vaters in Verbindung gebracht, der ein Datum aus dem siebzehnten Jahrhundert trug. Vielleicht haben die Seren der Kaste der Ärzte etwas damit zu tun, ich weiß es nicht.

Zwei- oder dreimal im Jahr kehre ich in die Berge von New Hampshire zurück, um mir den großen flachen Felsen anzuschauen und eine Nacht dort zu verbringen – und um vielleicht die silberne Scheibe am Himmel auszumachen, falls mich die Priesterkönige wieder auf ihre Welt rufen wollen. Aber wenn das geschieht, werden sie das in dem klaren Bewußtsein tun, daß ich nicht eine einfache Figur in ihrem umfassenden Spiel sein will. Wer oder was sind die Priesterkönige, daß sie das Leben anderer derart bestimmen, daß sie einen Planeten beherrschen, die Städte einer Welt terrorisieren, Menschen dem Flammentod überantworten und Liebende voneinander trennen? Wie entsetzlich ihre Macht auch sein mag – jemand muß sie herausfordern. Wenn ich jemals wieder die grünen Felder Gors erschaue, werde ich bestimmt versuchen, das Rätsel der Priesterkönige zu lösen, werde in das Sardargebirge vorstoßen und mich ihnen entgegenstellen, wer oder was sie auch sind.

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