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Ich bestieg meinen Tarn, jenen wilden, herrlichen Vogel. Schild und Speer waren an den Sattel geschnallt; das Schwert trug ich über der Schulter. An der rechten Seite des Sattels hing eine Armbrust mit einem Köcher voller Geschosse, und auf der linken Seite ein Bogen mit einem zweiten Köcher. Die Satteltaschen enthielten die leichte Ausrüstung, die ein Tarnsmann gewöhnlich bei sich trägt – insbesondere Rationen, Kompaß, Landkarten, Schnur und Ersatzsehnen für den Bogen. Im Sattel vor mir saß ein Mädchen. Sie war gefesselt und trug eine Sklavenhaube über dem Kopf; es war Sana, die Turmsklavin, die ich an meinem ersten Tag auf Gor gesehen hatte.

Ich winkte dem Älteren Tarl und meinem Vater zum Abschied zu, zog den ersten Zügel und war im nächsten Augenblick in der Luft. Der Turm und die winzigen Gestalten darauf blieben unter mir zurück. Ich ließ den vierten Zügel los und zog die sechste Leine, wodurch ich den Kurs nach Ar bestimmte. Als ich den Zylinder passierte, in dem Torm seine Schriftrollen aufbewahrte, glaubte ich den kleinen Schriftgelehrten an seinem erweiterten Fenster stehen zu sehen. Er hob winkend den blauen Arm. Er machte einen ziemlich traurigen Eindruck. Ich erwiderte seinen Gruß und kehrte Ko-ro-ba den Rücken. Von der Erregung, die ich bei meinem ersten Flug verspürt hatte, war wenig übriggeblieben.

Ich war besorgt und ärgerlich über die unschönen Einzelheiten der Mission, die vor mir lag. Ich dachte an das unschuldige Mädchen, das besinnungslos vor mir saß.

Wie überrascht ich gewesen war, als sie in dem kleinen Nebenraum des Ratssaales erschien! Sie war vor meinem Vater niedergekniet, der mir den Plan des Rates erläuterte.

Die Macht Marlenus – oder jedenfalls ein Großteil seiner Macht – lag in dem Siegesmythos begründet, der ihn wie einen Zaubermantel umgab und der die Soldaten und Bewohner seiner Stadt magisch anzuziehen schien. Im Kampfe noch nie besiegt, hatte er als Ubar aller Ubars die Rückgabe seines Titels kühn verweigert. Das war vor etwa zwölf Jahren gewesen, nach Beendigung eines kleineren Talkrieges. Seine Männer hatten ihm weiter Gehorsam geschworen, hatten ihn dem normalen Schicksal eines zu ehrgeizigen Ubars nicht ausgeliefert. Die Soldaten und der Rat seiner Stadt hatten seinen Drohungen und Versprechungen nachgegeben; er wollte Ar Macht und Reichtum bringen. Es schien fast, als hätten sie ihr Vertrauen auf den richtigen Mann gesetzt. Heute war Ar keine einzelne belagerte Stadt, deren es in Gor viele gab, sondern sie war eine Metropole, in der die Heimsteine zahlreicher bisher freier Städte aufbewahrt wurden. Es existierte ein Imperium von Ar, eine widerstandsfähige, arrogante, kriegsgeübte Macht, die nur zu offensichtlich bestrebt war, ihre Feinde aufzureiben und ihre politische Hegemonie immer weiter über die Ebenen, Berge und Wüsten Gors auszudehnen.

Es konnte nicht mehr lange dauern, bis auch Ko-ro-ba seine relativ kleine Streitmacht an Tarnkämpfern gegen das Imperium Ar schicken mußte. Mein Vater hatte in seinem Amt als Administrator Ko-ro-bas eine Allianz gegen Ar schmieden wollen, doch die Freien Städte hatten sich diesem voller Stolz und Mißtrauen widersetzt; sie fürchteten um den Bestand ihres eigenen Einflußgebietes. Sie hatten die Abgesandten meines Vaters sogar mit Sklavenpeitschen aus ihren Ratssälen getrieben – eine Beleidigung, die normalerweise zum Krieg geführt hätte. Aber mein Vater wußte, daß ein Streit zwischen den Freien Städten genau das war, was Marlenus jetzt brauchte; da war es schon besser, wenn Ko-ro-ba als Stadt voller Feiglinge angesehen wurde. Doch wenn nun der Heimstein Ars, das Symbol und das Kernstück des Imperiums, gestohlen wurde, mochte der Zauberbann Marlenus gebrochen werden. Er würde zum Gespött aller Leute werden, seinen eigenen Leuten verdächtig, ein Führer, der seinen Heimstein verloren hatte. Er konnte von Glück sagen, wenn er nicht öffentlich aufgespießt wurde.

Das Mädchen im Sattel vor mir rührte sich; die Wirkung der Droge ließ nach. Sie stöhnte leise und lehnte sich zurück. Schon beim Start hatte ich ihre Hand- und Fußfesseln gelöst und nur den breiten Gurt unberührt gelassen, der sie auf dem Rücken des Tarn festhielt. Ich gedachte den Plan des Rates nicht bis in die letzten Einzelheiten auszuführen -jedenfalls nicht, soweit er dieses Mädchen betraf, obwohl sie ihre Rolle übernommen hatte und wußte, daß sie nicht mit dem Leben davonkommen konnte. Ich kannte kaum mehr als ihren Namen – Sana -und die Tatsache, daß sie eine Sklavin aus der Stadt Thentis war. Der Ältere Tarl hatte mir erzählt, daß Thentis für seine Tarnschwärme bekannt war und daß sich der Name von den Thentis -Bergen herleitete, in denen sie liegt. Krieger aus Ar hatten eines Tages die Tarnschwärme und die äußeren Türme von Thentis überfallen und dabei das Mädchen gefangengenommen. Sie war am Tage des Liebesfestes in Ar verkauft worden und war an einen Agenten meines Vaters gefallen. Dieser Mann hatte den Auftrag, gemäß dem Plan des Rates ein Mädchen zu erstehen, das für die Rache an Ar ihr Leben geben würde. Ich hatte Mitleid mit ihr. Sie hatte viel durchgemacht und war zweifellos nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die Mädchen in der Taverne; ihr wäre ein Leben in Sklaverei bestimmt nicht leichtgefallen. Ich hatte irgendwie das Gefühl, daß sie trotz ihres Sklavenkragens ein freier Mensch war – schon seit dem Augenblick, da mein Vater ihr befohlen hatte, sich mir zu unterwerfen und mich als ihren neuen Herrn zu akzeptieren. Sie war aufgestanden, war auf nackten Füßen quer durch den Raum auf mich zugekommen und war vor mir niedergekniet, wobei sie den Kopf senkte und mir mit gekreuzten Unterarmen die Hände reichte. Die rituelle Bedeutung dieser Geste entging mir nicht; sie bot mir ihre Handgelenke dar, als sollte ich sie fesseln. Ihre Rolle in dem Plan war einfach, aber tödlich.

Der Heimstein Ars wurde wie in den meisten Zylinderstädten auf dem höchsten Turm der Stadt aufbewahrt, frei auf dem Dach liegend, wie zur Herausforderung für die Tarnkrieger rivalisierender Städte. Natürlich wurde das Heiligtum gut bewacht und beim ersten Anzeichen von Gefahr sofort in Sicherheit gebracht. Jeder Angriff auf den Heimstein galt bei den Bürgern einer Stadt als schreckliches Sakrileg und wurde unweigerlich mit dem Tode bestraft; paradoxerweise war es die größte Ruhmestat überhaupt, mit dem Heimstein einer anderen Stadt nach Hause zu kommen, und einem Krieger, dem dieses gelang, wurden die höchsten Ehrungen zuteil, und er wurde als ein Mann angesehen, dem die Priesterkönige wohlgesinnt waren.

Der Heimstein einer Stadt ist Mittelpunkt verschiedener Rituale. Das nächste war das Pflanzfest des Korns Sa-Tarna, der Lebenstochter, das jedes Frühjahr gefeiert wurde, um eine gute Ernte zu gewährleisten. Es ist ein kompliziertes Fest, das in den meisten goreanischen Städten bekannt ist, und zerfällt in zahlreiche diffizile Rituale. Sie werden meistens von den Wissenden einer Stadt arrangiert und ausgeführt. Gewisse Momente der Zeremonie sind jedoch oft Mitgliedern der anderen Hohen Kasten vorbehalten.

In Ar geht zum Beispiel früh am Morgen ein Mitglied der Hausbauer auf das Dach, auf dem der Heimstein aufbewahrt wird, und setzt ein primitives Symbol seines Berufs, ein metallenes Rechteck, vor dem Stein ab und betet zu den Priesterkönigen um das Wohlergehen seiner Kaste im kommenden Jahr; später legt ein Krieger seine Waffen vor dem Stein nieder, gefolgt von Vertretern der anderen Kasten. Wichtig dabei ist, daß sich die Wächter des Heimsteins in das Innere des Zylinders zurückziehen, während diese Vertreter der Hohen Kasten ihre Rituale verrichten. Der jeweilige Bittsteller soll mit den Priesterkönigen allein sein, so wird gesagt.

Als Höhepunkt des Pflanzfestes in Ar – sehr wichtig für den Plan des Rates von Ko-ro-ba – betritt ein Mitglied der Familie des Ubars das Dach bei Nacht, unter den drei vollen Monden, mit denen das Fest zu tun hat. Es wirft Korn auf den Stein und sprengt einige Tropfen eines roten weinähnlichen Getränks darüber, das aus der Frucht des Ka-la-na-Baums gewonnen wird. Das Mitglied der Ubar-Familie betet dann zu den Priestergöttern und erbittet eine reiche Ernte. Dann kehrt es in das Innere des Zylinders zurück, woraufhin die Wächter des Heimsteins ihren Dienst wieder aufnehmen.

In diesem Jahr fiel die Ehre des Kornopfers der Tochter des Ubar zu. Ich wußte nichts über sie – nur daß sie Talena hieß und als eine der Schönheiten von Ar galt und daß ich sie töten sollte.

Nach dem Plan des Rates von Ko-ro-ba sollte ich im Augenblick des Opfers, um die zwanzigste goreanische Stunde – die unserer Mitternacht entspricht – auf dem Dach des höchsten Zylinders in Ar landen, die Tochter des Ubar umbringen und ihren Körper und den Heimstein davontragen. Das Mädchen hätte ich im Sumpfland nördlich von Ar abzuwerfen und den Stein nach Ko-ro-ba zu bringen. Das Mädchen Sana, das im Sattel vor mir saß, müßte die schweren Roben und Schleier der Toten anlegen und an ihrer Stelle in das Innere des Zylinders zurückkehren. Es würde vermutlich einige Minuten dauern, bis ihre Identität entdeckt war, und dann sollte sie das Gift nehmen, das ihr der Rat zur Verfügung gestellt hatte.

Zwei Mädchen sollten in dieser Nacht sterben, nur damit ich mit dem Heimstein entfliehen konnte, ehe es Alarm gab. Ich wußte, daß ich diesen Plan nicht ausführen würde. Abrupt änderte ich den Kurs und lenkte meinen Tarn auf die blaue, schimmernde Bergkette zu. Das Mädchen vor mir stöhnte und schüttelte sich, und ihre Hände fuhren unsicher an die Sklavenhaube, die ihren Kopf bedeckte.

Ich half ihr beim Lösen der Haube und war entzückt, als ihr langes blondes Haar im Winde flatternd an meiner Wange entlangstrich. Ich steckte die Haube in die Satteltasche und betrachtete sie bewundernd – nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch wegen ihrer offensichtlichen Furchtlosigkeit. Jedes normale Mädchen hätte Grund zur Angst gehabt – die Höhe, in der sie sich befand, das wilde Tier, auf dem sie ritt, die Aussicht auf ein schreckliches Schicksal, das sie am Ende dieses Fluges erwartete. Aber sie war ein Mädchen aus dem gebirgigen Thentis; dort ängstigten sich die Mädchen nicht so schnell.

Sie sah sich nicht um, sondern betrachtete ihre Handgelenke und rieb sie vorsichtig.

»Du hast mich losgebunden«, sagte sie. »Und du hast mir die Haube abgenommen – warum?«

»Ich dachte, es wäre bequemer für dich«, erwiderte ich.

»Du behandelst eine Sklavin mit ungewöhnlicher Rücksicht«, sagte sie.

»Danke.«

»Du hast keine... Angst?« fragte ich. »Ich meine – wegen des Tarn? Du bist doch sicher schon auf einem Tarn geritten. Ich hatte beim erstenmal große Angst.«

Das Mädchen wandte verblüfft den Kopf. »Frauen dürfen selten auf dem Rücken von Tarns reiten«, sagte sie. »Im Tragkorb schon, aber nicht wie ein Krieger.« Sie hielt inne. »Du hast gesagt, du hättest Angst gehabt«, sagte sie.

»Das stimmt auch«, lachte ich und erinnerte mich an die Aufregung und an das seltsame Kribbeln der Gefahr.

»Warum sagst du einer Sklavin, daß du Angst hattest?« fragte sie.

»Weiß ich nicht«, erwiderte ich. »Jedenfalls hatte ich Angst.«

Sie blickte wieder nach vorn. »Ich bin schon einmal auf dem Rücken eines Tarn geritten«, sagte sie bitter. »Im Sattel gefesselt, auf dem Wege nach Ko-ro-ba, wo ich verkauft wurde.«

Sie betrachtete den Horizont und erstarrte plötzlich. »Das ist nicht der Kurs nach Ar«, rief sie aus.

»Ich weiß«, sagte ich.

»Was tust du?« Sie wandte sich zu mir um und starrte mich mit aufgerissenen Augen an. »Wohin fliegst du, Herr?«

Das Wort ›Herr‹ verwirrte mich, auch wenn es zu Recht von einem Mädchen benutzt wurde, das tatsächlich mein Eigentum war.

»Nenn mich nicht »Herr«, sagte ich.

»Aber du bist mein Herr«, sagte sie.

Ich zog den Schlüssel zu Sanas Kragen aus meiner Tunika. Ich öffnete das Schloß des Stahlbandes, zerrte das Gebilde von ihrem Hals und warf es in die Tiefe.

»Du bist frei«, sagte ich. »Wir fliegen nach Thentis.«

Sie saß erstarrt vor mir, und ihre Hände betasteten ungläubig den nackten Hals. »Warum?« fragte sie. »Warum?«

Was konnte ich ihr sagen? Daß ich aus einer anderen Welt kam, daß ich entschlossen war, nicht alles anzuerkennen, was in Gor selbstverständlich war, daß sie mir in ihrer Hilflosigkeit nicht gleichgültig gewesen war, daß ich sie einfach nicht als Instrument des Rates sehen konnte, sondern nur als Mädchen, jung, voller Leben, ein Mädchen, das nicht in einem politischen Spiel geopfert werden durfte ...?

»Ich habe meine Gründe«, sagte ich, »aber ich bin nicht sicher, daß du sie verstehen würdest.«

»Mein Vater und meine Brüder werden dich belohnen.«

»Nein«, sagte ich.

»Wenn du wünschst, müssen sie mich dir überlassen, ohne Brautgeld.«

»Der Ritt nach Thentis ist lang«, sagte ich. Sie erwiderte stolz: »Mein Brautpreis wären hundert Tarns.« Ich pfiff leise vor mich hin – meine ehemalige Sklavin hätte einen hohen Preis erbracht. Mit dem Gehalt eines Kriegers hätte ich sie mir nicht leisten können.

»Wenn du landen willst«, sagte Sana, die mich offensichtlich auf irgendeine Weise entschädigen wollte, »bin ich dir gern gefällig.«

»Möchtest du den Wert des Geschenkes herabsetzen, das ich dir mache?« fragte ich.

Sie überlegte einen Augenblick und küßte mich dann sanft auf die Lippen. »Nein, Tarl Cabot von Ko-ro-ba«, sagte sie, »aber du weißt, dass du mir am Herzen liegst.«

Ich machte mir klar, daß sie mich als freie Frau angesprochen hatte, indem sie meinen Namen benutzte. Ich legte die Arme um sie und versuchte sie vor dem kühlen Hauch des Windes zu schützen.

Auf einem Turm in Thentis ließ ich sie zurück, küßte sie noch einmal und entfernte ihre Arme von meinem Hals. Sie weinte. Ich zog den Tarn in die Luft und winkte der kleinen Gestalt zu, die noch immer den gestreiften Umhang einer Sklavin trug. Sie hatte den weißen Arm gehoben, und ihr blondes Haar wehte hinter ihr im Wind, der über das nackte Dach fegte. Ich schlug die Richtung nach Ar ein.

Als ich den Vosk, jenen mächtigen, vierzig Pasang breiten Fluß überquerte, der die Grenze Ars bildet und sich in den Tambergolf ergießt, machte ich mir klar, daß ich nun endlich das Imperium Ars erreicht hatte. Sana hatte mir die Giftkapsel aufdrängen wollen, die ihr der Rat zum eigenen Gebrauch überlassen hatte. Doch ich hatte die Tablette fortgeworfen. Sie war eine Versuchung, der ich nicht erliegen wollte. Wenn der Tod so leicht fiel, lag mir vielleicht nicht mehr so viel am Leben. Es mochte der Augenblick kommen, da ich diese Entscheidung bedauerte.

Es dauerte drei Tage, ehe ich die Stadt Ar erreichte. Kurz nachdem ich den Vosk überquert hatte, war ich niedergegangen und hatte mein Lager aufgeschlagen. Von nun an reiste ich nur noch bei Nacht. Während des Tages ließ ich meinen Tarn frei, der sich nach Belieben ernähren konnte.

Während des ersten Tages ruhte ich im Schatten eines kleinen Baumhains, von denen es hier im Grenzland Ars viele gab, schlief, aß von meinen Rationen und übte mit meinen Waffen und versuchte meine Muskeln geschmeidig zu halten – trotz der Anstrengung der langen Tarnritte. Aber ich langweilte mich. Zuerst war sogar die Landschaft deprimierend, denn die Bewohner Ars hatten zur Kennzeichnung ihrer Grenze ein Gebiet von etwa dreihundert Pasang verwüstet; sie hatten Fruchtbäume gefällt, Brunnen zugeschüttet und die fruchtbaren Gebiete versalzen. Aus praktischen Erwägungen hatte sich Ar mit einer unsichtbaren Mauer umgeben, einem trockengebleichten Gürtel, der für Fußvolk fast unpassierbar war.

Am zweiten Tag hatte ich mehr Glück; ich schlug mein Lager in einer grasbestandenen Ebene auf, die hier und dort mit Ka -la -na-Bäumen bestanden war. In der Nacht war ich über Kornfelder dahingeflogen, die silbriggelb im Licht der drei Monde schimmerten. Ich richtete mich während meines Fluges nach der schimmernden Nadel des Gor-Kompasses, die stets auf das Sardargebirge gerichtet war, die Festung der Priesterkönige. Manchmal lenkte ich meinen Tarn auch nach den Sternen – die gleichen Fixsterne, die ich schon aus anderem Winkel von den Bergen in New Hampshire aus gesehen hatte. Am dritten Tag lagerte ich in dem Sumpfwald, der die Stadt Ar im Norden begrenzt. Ich hatte mir diese Gegend ausgesucht, weil sie in unmittelbarer Nähe Ars am wenigstens bewohnt ist. In der letzten Nacht hatte ich zu viele Dorffeuer gesehen, und zweimal waren die Tarnpfeifen naher Patrouillen zu hören gewesen, die jeweils aus drei Kriegern bestanden. Ich dachte daran, das Projekt überhaupt aufzugeben, mich als Deserteur aus der Gesellschaft selbst auszustoßen. Ich wollte diesem wahnsinnigen Plan entfliehen.

Aber eine Stunde vor Mitternacht des Tages, an dem das Pflanzfest der Sa-Tarna gefeiert wurde, stieg ich wieder in den Sattel meines Tarn, zog den ersten Zügel und stieg über die dichtbelaubten Bäume des Sumpfwaldes auf. Im gleichen Augenblick hörte ich den heiseren Schrei eines Patrouillenführers: »Da ist er! Wir haben ihn!« Sie hatten meinen Tarn bei seinem Nahrungsflug verfolgt. Drei Krieger aus Ar näherten sich nun aus verschiedenen Richtungen. Sie hatten offensichtlich nicht die Absicht, mich gefangen-

zunehmen, denn eine Sekunde nach dem Schrei zischte ein Armbrustbolzen über meinen Kopf dahin. Ehe ich mich sammeln konnte, materialisierte sich ein dunkler geflügelter Schatten vor mir, und im Licht der drei Monde erblickte ich einen Krieger auf einem Tarn, der mit einem Speer nach mir hieb.

Er hätte sein Ziel sicher gefunden, wenn mein Tarn in diesem Augenblick nicht heftig nach links ausgewichen wäre, wobei er fast mit einem zweiten Tarn und seinem Reiter zusammenstieß. Dieser feuerte einen Bolzen ab, der mit lautem Geräusch in meine Satteltasche klatschte. Der dritte Krieger näherte sich von hinten. Ich wandte mich um, hob den Tarnstab, der um mein Handgelenk geschnallt war, und versuchte seine Klinge abzuwehren. Schwert und Tarnstab trafen klirrend aufeinander, und ein Schauer gelber Funken sprühte in alle Richtungen. Irgendwie mußte ich den Stab eingeschaltet haben. Mein Tarn und der des Angreifers wichen instinktiv vor dem Blitz zurück, und ich hatte mir unbeabsichtigt eine kleine Atempause verschafft. Hastig löste ich meinen Bogen aus der Schlinge, setzte einen Pfeil auf und riß meinen Tarn in eine plötzliche Wende. Der erste meiner Verfolger hatte mit diesem Manöver vermutlich nicht gerechnet, sondern sich auf eine Jagd eingestellt. Als ich ihn passierte, sah ich seine aufgerissenen Augen in dem ›Y‹ seines Helms, als er erkannte, daß ich auf diese kurze Entfernung mein Ziel unmöglich verfehlen konnte. Ich sah, wie er plötzlich im Sattel erstarrte, und bekam noch mit, daß sein Tarn kreischend davonflatterte.

Jetzt warteten die beiden anderen Männer der Patrouille auf eine Gelegenheit zum Angriff. Sie schwebten heran, etwa fünf Meter voneinander entfernt, und versuchten mich in die Zange zu nehmen. Sie gedachten die Flügel meines Tarn in die Höhe zu heben und den Augenblick meiner Hilflosigkeit auszunutzen. Mir blieb keine Zeit zum Überlegen, doch plötzlich merkte ich, daß ich das Schwert gezogen und den Tarnstab in den Gürtel geschoben hatte. Als wir in der Luft zusammenstießen, zog ich heftig am ersten Zügel und brachte die stahlbewehrte n Krallen meines Kampftarn ins Spiel. Und bis zum heutigen Tage bin ich den Tarnzüchtern von Ko-ro-ba dankbar für das sorgfältige Training meines großen Vogels. Vielleicht sollte ich auch den Kampfgeist des gefiederten Riesen loben, meines Kampftarn, den der Ältere Tarl den Tarn aller Tarns genannt hatte. Schnabel und

Krallen zuckten vor, und mit ohrenbetäubendem Kreischen stürzte sich mein Tarn auf die beiden anderen Vögel.

Ich kreuzte die Klinge mit dem nächsten der beiden Krieger; der Kampf konnte nur wenige Sekunden gedauert haben. Ich merkte plötzlich wie aus weiter Ferne, daß einer der feindlichen Tarns, heftig mit den Flügeln schlagend, zu Boden ging. Der andere Krieger zog seinen Tarn herum, als wollte er einen neuen Angriff beginnen, doch dann schien ihm plötzlich bewußt zu werden, daß es jetzt seine Pflicht war, Alarm zu geben. Er stieß einen wütenden Schrei aus, wendete sein Tier erneut und raste auf die Lichter der Stadt zu.

Er glaubte sicher, daß er mir entkommen konnte, aber ich kannte meinen Tarn. Ich gab ihm die Zügel frei und feuerte ihn an. Als wir uns dem fliehenden Krieger näherten, legte ich einen zweiten Pfeil auf die Sehne. Ich wollte den Mann nicht umbringen, sondern zielte auf den Flügel seines Tarn. Der Vogel fuhr herum und begann sich um den verletzten Flügel zu kümmern. Der Krieger vermochte das Tier nicht mehr zu lenken, und ich sah, wie der Tarn mit ungeschickten Bewegungen langsam zu Boden kreiselte.

Ich zog wieder am ersten Zügel, und als wir eine ausreichende Höhe erreicht hatten, schlugen wir wieder die Richtung nach Ar ein. Ich wollte über die gewöhnlichen Patrouillen hinwegfliegen. Als ich mich der Stadt näherte, beugte ich mich über den Hals des Tarns und hoffte, daß mein Tier für einen wilden Tarn gehalten wurde, der hoch über der Stadt dahinflog.

Die Stadt Ar mußte aus über hunderttausend Zylindern bestehen, die mit den Lichtern des Pflanzfestes geschmückt waren. Ich gestand mir gern ein, daß Ar die größte Stadt des bekannten Gor war. Sie war großartig und schön, ein würdiger Rahmen für das Juwel des Imperiums – ein Juwel, das dem Ubar, dem siegreichen Marlenus, zur Versuchung geworden war. Und irgendwo dort unten in der gewaltigen Helligkeit lag ein unscheinbarer Stein, der Heimstein dieser großen Stadt, und ich mußte ihn an mich bringen.

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