Die Niederlage

Wie jede wahre Geschichte, so klang auch Rohans Erzählung merkwürdig und ungereimt. Warum hatte die Wolke weder ihn noch Jarg angegriffen? Warum hatte sie Terner nicht angerührt, bevor er das Amphibienfahrzeug verließ?

Warum war Jarg erst geflohen und dann zurückgekommen?

Diese Frage war verhältnismäßig leicht zu beantworten.

Er war sicherlich umgekehrt, als die panische Angst von ihm gewichen war und ihm bewußt wurde, daß er ungefähr fünfzig Kilometer vom Raumschiff entfernt war und es mit dem vorhandenen Sauerstoffvorrat zu Fuß nicht erreichen würde.

Die anderen Fragen blieben Rätsel, deren Lösung für alle Leben oder Tod bedeuten konnte. Aber überlegungen und Hypothesen mußten zurücktreten vor der Notwendigkeit zu handeln.

Horpach erfuhr nach Mitternacht von der Katastrophe der Rohan-Gruppe; eine halbe Stunde später startete er.

Einen Raumkreuzer an eine nur zweihundert Kilometer entfernte Stelle zu fliegen ist eine undankbare Aufgabe.

Das Schiff muß die ganze Zeit hindurch senkrecht über dem Antriebsfeuer mit verhältnismäßig geringer Geschwindigkeit gesteuert werden und verbraucht so übermäßig viel Treibstoff. Da die Triebwerke hierfür nicht eingerichtet waren, mußten ständig Elektroautomaten eingesetzt werden; trotzdem schwebte der Stahlkoloß leicht schaukelnd durch die Nacht, wie von sanft wogenden Wellen getragen.

Für einen Beobachter auf der Regis ihr wäre das sicherlich ein ungewöhnlicher Anblick gewesen: diese im Schein der ausgestoßenen Flammen kaum sichtbare Silhouette, die sich wie auf einer Feuersäule durch die Finsternis schob.

Kurs zu halten war auch keine Kleinigkeit. Man mußte über die Atmosphäre steigen und dann wieder mit dem Heck voran in sie eintauchen.

All das beanspruchte die volle Aufmerksamkeit des Astrogators, zumal da der gesuchte Krater unter einem dünnen Wolkenschleier verborgen lag. Schließlich setzte der „Unbesiegbare“ noch vor Tagesanbruch im Krater auf, zwei Kilometer von Regnars alter Station entfernt. Superkopter, Maschinen und Baracken wurden sofort im Kraftfeldbereich des Kreuzers aufgestellt, und ein gutausgerüsteter Bergungstrupp hatte gegen Mittag alle Überlebenden von Rohans Gruppe eingeholt. Sie waren zwar gesund, aber geistesabwesend. Zwei Räume mußten zusätzlich als Lazarett eingerichtet werden, weil im eigentlichen Bordlazarett kein Platz mehr frei war. Nun erst machten sich die Wissenschaftler daran, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen, dem Rohan seine Rettung zu verdanken hatte und das — wäre nicht der tragische Zwischenfall mit dem Werfer in der Hand eines Wahnsinnigen gewesen — auch Jarg gerettet hätte.

Es war unbegreiflich, denn beide hatten sich weder in Ausrüstung und Kleidung noch im Aussehen von den anderen unterschieden. Und daß sie mit Terner zu dritt in dem kleinen Geländefahrzeug gewesen waren, durfte wohl ebensowenig von Bedeutung gewesen sein.

Gleichzeitig stand Horpach vor der unangenehmen Entscheidung, was weiter zu tun sei. Eins war klar: Er konnte mit Tatsachen zur Flottenbasis zurückkehren, die die Heimkehr rechtfertigten und das tragische Ende des „Kondors“

aufhellten. Was die Wissenschaftler am meisten beschäftigte — die metallenen Pseudoinsekten, ihre Symbiose mit den „Maschinenpflanzen“, die auf dem Gestein wucherten, und schließlich die Frage nach dem „Psychismus“ der Wolke (es war ja nicht einmal bekannt, ob nur eine oder mehrere Wolken existierten und ob sich alle kleineren Wolken zu einem geschlossenen System verbinden konnten) —, all das zusammen hätte ihn nicht bewegt, auch nur eine Stunde länger auf Regis in zu bleiben, wenn nicht noch immer vier Männer von Regnars Gruppe, unter ihnen Regnar selbst, gefehlt hätten.

Die Spuren der Vermißten hatten Rohans Gruppe in die Schlucht geführt. Zweifellos würden die Wehrlosen dort umkommen, selbst wenn die leblosen Bewohner der Regis sie unbehelligt lassen sollten. Deshalb mußte die ganze Umgebung abgesucht werden, weil die Verunglückten jeder Fähigkeit vernunftgelenkten Handelns beraubt und allein auf die Hilfe des „Unbesiegbaren“ angewiesen waren.

Das einzige, was einigermaßen feststand, war der Umkreis, auf den sich die Suchaktion erstrecken mußte, weil sich die Männer auf ihren Irrwegen durch die Grotten und Schluchten nicht mehr als einige Dutzend Kilometer von dem Krater hatten entfernen können. Sie hatten nur noch wenig Sauerstoff in den Apparaten, doch die Ärzte versicherten, es sei nicht lebensgefährlich, die Atmosphäre des Planeten zu atmen, und bei dem Zustand der Leute hatte eine Benommenheit, die durch im Blut gelöstes Methan hervorgerufen wurde, natürlich keine ernste Bedeutung.

Das Gelände, das für die Suchaktion in Frage kam, war nicht allzu ausgedehnt, aber ausgesprochen schwierig und unübersichtlich. Alle Winkel und Spalten, Grotten und Höhlen durchzukämmen würde selbst unter günstigen Voraussetzungen Wochen dauern. Unter den Felsschichten der gewundenen Schluchten und der Täler lag, nur an manchen Stellen mit ihnen verbunden, ein zweites System unterirdischer, vom Wasser ausgespülter Gänge und Grotten verborgen.

Es war durchaus möglich, daß die Verschollenen sich in einem dieser Verstecke aufhielten, außerdem war kaum damit zu rechnen, sie alle an einem Ort zu finden. Des Gedächtnisses beraubt, waren sie hilfloser als Kinder, denn die wären zumindest zusammengeblieben. Obendrein war diese Gegend als Niststelle der schwarzen Wolke bekannt. Die riesigen Anlagen des „Unbesiegbaren“ und seine technische Ausrüstung waren bei der Suchaktion nicht recht zu gebrauchen.

Der sicherste Schutz, das Kraftfeld, ließ sich in den unterirdischen Gewölben des Planeten überhaupt nicht einsetzen.

Also gab es nur die Wahl zwischen sofortiger Umkehr — das wäre gleichbedeutend gewesen mit dem Todesurteil für die Verschollenen — und Aufnahme der riskanten Suchaktion. Eine echte Chance lag dabei auch nur in den nächsten Tagen, bestenfalls der nächsten Woche. Horpach war sich bewußt, daß die Männer später nicht mehr lebend geborgen werden konnten.

Tags darauf rief der Astrogator in aller Frühe die Spezialisten zusammen, erläuterte ihnen die Lage und erklärte, er zähle auf ihre Hilfe. Sie waren im Besitz einer Handvoll jener „Metallinsekten“, die Rohan in der Jackentasche mitgebracht hatte. Fast vierundzwanzig Stunden hatte man damit zugebracht, sie zu untersuchen. Horpach wollte wissen, ob es möglich sei, diese Gebilde unschädlich zu machen.

Überdies tauchte wieder die Frage auf, weshalb Jarg und Rohan von dem Zugriff der „Wolke“ verschont geblieben waren.

Die „Kriegsgefangenen“ nahmen während der Beratung einen Ehrenplatz ein: in einem geschlossenen Glasgefäß mitten auf dem Tisch. Es waren nur noch etwa zwanzig Stück, die anderen waren bei den Untersuchungen zerstört worden. Diese Gebilde von genau symmetrischer Dreiteilung erinnerten in der Form an den Buchstaben Y. Sie hatten drei spitz auslaufende, in einer zentralen Verdickung verankerte Flügel. Bei direkter Beleuchtung sahen sie kohlschwarz aus, bei reflektiertem Licht aber schillerten sie bläulich und olivgrün wie der Hinterleib mancher irdischer Insekten, der sich wie der Rosettenschliff eines Brillanten aus winzigen Flächen zusammensetzt. Ihr Inneres wies immer dieselbe, allerdings mikroskopisch kleine Struktur auf. Ihre Elemente, hundertmal kleiner als ein Sandkörnchen, bildeten eine Art autonomes Nervensystem, in dem voneinander teilweise unabhängige Stränge zu unterscheiden waren.

Der kleinere, die Arme des Buchstaben Y bildende Teil stellte ein Steuersystem für die Bewegung des „Insekts“

dar, das in der mikrokristallinen Struktur der Arme eine Art universellen Akkumulator und zugleich Energieumwandler besaß. Je nachdem, wie die Mikrokristalle zusammengepreßt wurden, erzeugten sie ein elektrisches oder ein magnetisches Feld oder aber veränderliche Kraftfelder, die den Mittelteil auf eine verhältnismäßig hohe Temperatur bringen konnten, so daß die gespeicherte Wärme in einer Richtung nach außen strömte. Die schubähnliche Luftbewegung, die dadurch hervorgerufen wurde, ermöglichte es ihnen, beliebig aufzusteigen, wobei die einzelnen winzigen Kristalle mehr flatterten als flogen und — zumindest bei den Versuchen im Labor — unfähig waren, ihren Flug genau zu steuern. Verbanden sie sich hingegen durch Verkettung der Flügelenden miteinander, so entstanden Aggregate mit um so besseren aerodynamischen Eigenschaften, je größer die Anzahl war.

Jeder Kristall verband sich mit drei anderen; außerdem konnte sich sein Arm mit dem Mittelteil eines anderen verbinden und so einen vielschichtigen Bau der sich auf diese Weise vergrößernden Systeme ermöglichen. Die einzelnen Kristalle brauchten sich dabei nicht zu berühren, eine Annäherung der Flügelspitzen genügte, durch das erzeugte Magnetfeld das ganze Gebilde im Gleichgewicht zu halten.

Ballte sich eine bestimmte Menge von „Insekten“ zusammen, so wies das Aggregat zahlreiche Gesetzmäßigkeiten auf. Wenn es durch äußere Reize „aufgestachelt“ wurde, dann konnte es seine Bewegungsrichtung, seine Form und Gestalt und die Häufigkeit der inneren Impulse ändern, und nach dieser Änderung kehrten sich die Vorzeichen des Feldes um, so daß sich die Metallkristalle nicht mehr anzogen, sondern trennten und einem individuellen Zerfall unterlagen.

Außer dem Steuersystem für diese Bewegung trug jeder schwarze Kristall ein zweites Verbindungssystem in sich oder, besser gesagt, ein Bruchstück davon, anscheinend den Teil eines größeren Ganzen. Dieses übergeordnete Ganze, das wohl erst bei der Vereinigung einer riesigen Menge von Elementen entstand, war der eigentliche Antriebsmotor für die Aktionen der Wolke. Hier waren die Wissenschaftler mit ihrer Weisheit allerdings am Ende. Sie wußten nichts über die Wachstumsmöglichkeiten dieser Leitsysteme, und das Problem ihres „Intellekts“ blieb völlig im dunkeln.

Kronotos nahm an, daß sich um so mehr Elemente zu einer großen Einheit zusammenschlossen, je schwieriger die Aufgabe war, die sie zu lösen hatten. Das klang ziemlich einleuchtend, aber weder den Kybernetikern noch den Spezialisten für Informationstheorie war eine damit vergleichbare Konstruktion bekannt, das heißt ein beliebig wucherndes „Gehirn“, das seine Ausmaße dem Umfang seiner Absichten anpaßt.

Einige der Gebilde, die Rohan mitgebracht hatte, waren beschädigt. Andere jedoch zeigten typische Reaktionen. Der einzelne Kristall konnte herumflattern, aufsteigen und fast unbewegt in der Luft stehenbleiben, herabfallen, sich der Reizquelle nähern oder sie meiden. Zudem war er völlig ungefährlich, selbst bei Vernichtungsgefahr — die Forscher versuchten sie mit chemischen Mitteln, durch Kraftfelder, Hitze— und Strahleneinwirkung zu vernichten — sandte er keinerlei Energie aus, und man konnte ihn wie den jämmerlichsten Erdenkäfer zerquetschen, allerdings mit dem Unterschied, daß der kristalline Metallpanzer nicht so leicht zu knacken war. Aber sobald sich die „Insekten“ zu einem verhältnismäßig kleinen Aggregat zusammenschlossen, erzeugten sie, wenn man sie der Wirkung eines Magnetfeldes aussetzte, ein Gegenfeld, das das andere aufhob. Bei Erhitzung versuchten sie, die Wärme durch Infrarotstrahlung abzuschütteln. Weitere Versuche waren nicht möglich, da die Wissenschaftler nur über eine Handvoll Kristalle verfügten.

Im Namen des Chefs antwortete Kronotos dem Astrogator auf seine Frage. Die Wissenschaftler verlangten Zeit für weitere Untersuchungen, vor allem aber wünschten sie eine größere Menge von Kristallen. Sie schlugen deshalb eine Expedition in das Innere der Schlucht vor, die nach den Verschollenen forschen und gleichzeitig einige Zehntausend Pseudoinsekten mitbringen sollte.

Horpach willigte ein. Er war jedoch der Ansicht, daß kein Menschenleben mehr gefährdet werden durfte. Er ordnete an, eine Maschine in die Schlucht zu schicken, die bisher nicht an Aktionen teilgenommen hatte. Es war ein achtzig Tonnen schweres, automatisches Spezialfahrzeug, das sonst nur bei starker radioaktiver Verseuchung, hohem Druck und hohen Temperaturen eingesetzt wurde. Dieses Gerät, das allgemein Zyklop genannt wurde, war tief unten, auf dem Grunde des Raumkreuzers, an den Trägern der Ladeluke befestigt. Normalerweise wurden solche Geräte auf Planeten nie benutzt, auch der „Unbesiegbare“

hatte seinen Zyklopen bisher nie gebraucht. Die Situationen, die diesen äußersten Schritt erforderlich gemacht hatten, waren in der gesamten Raumflotte an den Fingern abzuzählen. Den Zyklopen nach etwas aussenden hieß bei den Raumfahrern soviel wie dem Teufel eine Aufgabe übertragen. Von der Niederlage eines Zyklopen hatte bisher keiner gehört. Das Fahrzeug wurde mit Kränen aus dem Schiffsleib gehoben und auf der Rampe abgesetzt, wo sich Techniker und Programmierer seiner annahmen. Es besaß außer dem üblichen System der Diracs für die Erzeugung des Kraftfeldes einen Kugelantimateriewerfer, konnte daher in beliebiger Richtung oder nach allen Seiten zugleich Antiprotonen abschießen. Ein in die Panzerwanne eingebauter Auswerfer ermöglichte es dem Zyklopen sogar, sich dank der Interferenz der Kraftfelder einige Meter über die Bodenoberfläche zu erheben; er war also weder vom Bodenrelief abhängig noch auf Räder oder Raupenketten angewiesen.

Vorn hatte er einen gepanzerten Rüssel, und aus dessen Üffnung schob sich ein Inhaustor, eine Art Teleskophand, die an Ort und Stelle Bohrungen vornehmen, Mineralproben aus der Umgebung hereinholen und andere Arbeiten verrichten konnte. Der Zyklop war zwar mit einer starken Funk— und Fernsehanlage ausgestattet, aber er war auch dank einem Elektronengehirn, das ihn steuerte, für selbständige Aktionen eingerichtet. Die Techniker im Operativstab des Ingenieurs Petersen hatten diesem Gehirn ein vorbereitetes Programm eingegeben, denn der Astrogator rechnete damit, daß er die Verbindung mit der Maschine verlor, sobald sie in der Schlucht sein würde.

Das Programm sah als erstes vor, die Vermißten aufzufinden und aufzunehmen; der Zyklop sollte zunächst sie und sich selbst mit einem zweiten, von seinem Feld aus gesehen äußeren Kraftfeld umgeben und erst unter dessen Schutz den Zugang zu dem inneren Kraftfeld öffnen, das ihn selbst deckte. Dann sollte das Gerät eine möglichst große Anzahl der angreifenden Kristalle mitbringen. Der Antimateriewerfer sollte nur im äußersten Notfalle, wenn das Kraftfeld eingedrückt zu werden drohte, angewandt werden, weil die Annihilationsrekation zwangsweise zu einer Strahlenverseuchung des Geländes führen würde. Das konnte für die Vermißten, die sich vielleicht in der Nähe der Kampfstätte aufhielten, Lebensgefahr bedeuten.

Der Zyklop war acht Meter lang und entsprechend „breit in den Schultern“ — der Durchmesser seines Gehäuses betrug mehr als vier Meter. Sollte sich ein Felsspalt für ihn als unzugänglich erweisen, so konnte er die üffnung dadurch erweitern, daß er entweder seine stählerne Teleskophand gebrauchte oder das Gestein beiseite fegte und mit dem Kraftfeld zermalmte. Aber ihm konnte auch nichts geschehen, wenn das Feld ausgeschaltet wurde, denn sein Keramik— Vanadium-Panzer war hart wie Diamant.

Im Innern des Zyklopen war ein Automat installiert, der sich der Männer annehmen sollte, wenn sie gefunden waren; auch Betten standen für sie bereit. Als alle Einrichtungen überprüft waren, glitt der Panzerkoloß schließlich sonderbar leicht die Rampe hinunter, passierte, wie von einer unsichtbaren Kraft getragen — er wirbelte, selbst wenn er schnell fuhr, keinen Staub auf —, die mit blauem Licht markierten Durchgänge im Kraftfeld des „Unbesiegbaren“

und geriet den am Heck versammelten Männern bald aus den Augen.

Etwa eine Stunde lang funktionierte die Funk— und Fernsehverbindung zwischen dem Zyklopen und der Steuerzentrale einwandfrei. An dem großen Obelisken, der aussah wie ein umgekippter Kirchturm und der teilweise die Sicht auf die Felswände versperrte, erkannte Rohan den Eingang der Schlucht wieder, wo der Angriff stattgefunden hatte.

Auf der ersten, mit großen Gesteinsbrocken übersäten Geröllhalde verringerte sich die Geschwindigkeit ein wenig.

Die Männer an den Bildschirmen hörten sogar den Bach plätschern, der unter den Felstrümmern verborgen war — so lautlos arbeitete der Atomantrieb des Zyklopen.

Die Nachrichtenleute konnten bis zwei Uhr vierzig Bild und Ton aufrechterhalten, dann hatte der Zyklop den flachen und gangbaren Teil der Schlucht durchquert und war im Labyrinth des rostigen Gestrüpps angelangt. Dank den Anstrengungen der Funktechniker gelang es, noch vier Meldungen durchzugeben und zu empfangen, aber bereits die fünfte war derart verstümmelt, daß sie sich den Inhalt zusammenreimen mußten: Das Elektronengehirn des Zyklopen teilte mit, daß er einwandfrei vorankomme.

Da startete Horpach vom „Unbesiegbaren“ aus genau nach Plan eine mit einem Fernsehrelais ausgerüstete Flugsonde.

Sie stieg steil zum Himmel auf und war in wenigen Sekunden verschwunden. Dafür empfing die Zentrale ihre Signale. Gleichzeitig tauchte, aus einer Meile Höhe gesehen, eine malerische Landschaft auf: lauter zerklüftete Felsen, mit rostroten und schwarzen Buschstreifen überzogen.

Minuten später entdeckten sie in der Tiefe mühelos den Zyklopen, der sich auf dem Grunde der großen Schlucht vorwärtsschob und wie eine stählerne Faust glänzte. Horpach, Rohan und die Leiter der Spezialistengruppen standen an den Bildschirmen in der Steuerzentrale. Der Empfang war gut, aber sie hatten im voraus einkalkuliert, daß er sich verschlechterte oder unterbrochen wurde, deshalb waren weitere Sonden startklar, die als Übertragungsstationen dienen sollten. Der Chefingenieur war fest überzeugt, daß die Verbindung mit dem Zyklopen im Falle eines Angriffs abreißen würde, und mit Hilfe der Sonden würden sie wenigstens seine Operationen beobachten können.

Die vor den Bildschirmen versammelten Männer beonerkten in dem weiten Blickfeld, das sich dank dem hohen Flug der Telesonde vor ihnen auftat, daß die Maschine nur noch einige hundert Meter von den Transportern im Felsentor entfernt war, die den weiteren Weg versperrten — die Elektronenaugen des Zyklopen konnten das nicht sehen. Nach Lösung seiner Aufgaben sollte der Zyklop auf dem Rückweg zwei Raupenfahrzeuge abschleppen, die infolge eines Zusammenpralls ineinander verklemmt waren.

Die verlassenen Transporter sahen von oben wie kleine, grünliche Schachteln aus. Neben einem war eine zum Teil verkohlte Gestalt zu erkennen — der Leichnam des Mannes, den Rohan mit dem Werfer getroffen hatte.

Genau vor der Wegkehre, hinter der die Säulen des Felsentores aufragten, hielt der Zyklop an und näherte sich einer fast bis auf die Talsohle hinunterreichenden Matte aus Metallgestrüpp. Gespannt beobachteten sie seine Bewegungen.

Er öffnete vorn das Kraftfeld, um durch die Lücke den Inhaustor ausfahren zu können, der sich wie ein verlängerter Geschützlauf mit einer Greifhand aus der Hülse schob, ein paar Strauchbüschel packte und sie anscheinend mühelos aus dem felsigen Untergrund riß; danach setzte das Fahrzeug ein Stück zurück und kroch rückwärts in die Schlucht hinunter.

Die Operation war glatt verlaufen. Mit Hilfe der Telesonde, die über der Schlucht schwebte, wurde der Funkkontakt mit dem Gehirn des Zyklopen aufgenommen. Er meldete, daß eine von schwarzen „Insekten“ wimmelnde Probe im Container untergebracht sei.

Der Zyklop hatte sich der Unglücksstelle bis auf hundert Meter genähert. Dort stand, mit dem gepanzerten Heck gegen den Fels gelehnt, Rohans zweiter Energoboter, mitten in dem Felsgang staken die beiden ineinander verklemmten Transporter, und ein Stück weiter entfernt war der vordere Energoboter. Ein feines Zittern der Luft bewies, daß er noch immer ein Kraftfeld erzeugte, so wie er es getan hatte, als Rohan ihn nach der Katastrophe seiner Gruppe zurückgelassen hatte. Der Zyklop schaltete erst über Fernsteuerung die Diracs des Energoboters aus, schwebte dann, nachdem er den Schub verstärkt und sich in die Luft erhoben hatte, geschickt über die schräg aufragenden Rücken der Transporter hinweg und setzte, nun bereits oberhalb des Engpasses, wieder auf den Felsbrocken auf. Da stieß einer der Beobachter in der Steuerzentrale des „Unbesiegbaren“, der 6o Kilometer von der Schlucht entfernt war, einen Warnruf aus. Das geschah in dem Augenblick, in dem der schwarze Pelz an den Hängen zu rauchen begann, in großen Wellen heftig über das irdische Fahrzeug herfiel und es im ersten Moment völlig unter sich begrub, als wäre ein Mantel aus pechähnlichem Rauch darübergeworfen worden.

Doch gleich durchfuhr ein weitverästelter Blitz die ganze Breite der angreifenden Wolke. Der Zyklop hatte seine Teufelswaffe nicht benutzt, es waren nur die von der Wolke erzeugten Energiefelder, die auf sein Kraftfeld gestoßen waren. jetzt schien diese Hülle, die mit einer dicken Schicht wallender Schwärze behaftet war, lebendig geworden zu sein; bald schwoll sie an wie eine riesige Lavablase, bald zog sie sich zusammen, und dieses seltsame Spiel dauerte eine ganze Zeit. Die Männer hatten den Eindruck, als versuchte das ihren Blicken verborgene Fahrzeug die Myriaden von Angreifern zu teilen, die immer zahlreicher wurden, denn immer neue Wolkenlawinen wälzten sich in die Schlucht hinab. Der Lichtschein der Schutzsphäre war nicht mehr zu sehen, und nur der unheimliche Kampf zweier lebloser, aber gewaltiger Kräfte dauerte an in der dumpfen Stille. Schließlich seufzte einer der Männer vor dem Bildschirm auf: Die zuckende, schwarze Blase war in einem dunklen Trichter verschwunden, die Wolke hatte sich in eine Art riesigen, über die höchsten Felsgipfel hinausreichenden Strudel verwandelt; mit dem unteren Ende war sie an den unsichtbaren Gegner gekrallt, und ihre Spitze rotierte in bläulich schillernden, irrsinnigen Umdrehungen als kilometerlanger Mahlstrom. Keiner sagte ein Wort, aber alle hatten begriffen, daß die Wolke auf diese Weise versuchte, die Energieblase, in der das Fahrzeug stak wie der Kern in der Schale, zu zerquetschen.

Rohan sah undeutlich, daß der Astrogator schon den Mund öffnete, um den Chefingenieur neben sich zu fragen, ob das Feld standhalten werde. Doch er sagte nichts, er kam nicht dazu.

Der schwarze Strudel, die Wände der Schlucht, das Gestrüpp — all das war im Bruchteil einer Sekunde verschwunden.

Es war ein Anblick, als hätte sich in der Tiefe der Klamm ein feuerspeiender Vulkan aufgetan: eine Fontäne aus Rauch, kochender Lava, Felsbrocken, und schließlich eine große Wolke, die eine Schleppe aus Dampfschleiern hinter sich herzog und immer höher hinaufjagte, bis der Dampf, der sicherlich vom siedenden Wasser des Baches stammte, die anderthalb Kilometer Höhe erreichte, wo die Telesonde flog. Der Zyklop hatte den Antimateriewerfer eingesetzt.

Keiner in der Steuerzentrale rührte sich, keiner gab einen Laut von sich, aber alle empfanden eine schadenfrohe Genugtuung; daß dieses Gefühl nicht verstandesbedingt war, tat seiner Intensität keinen Abbruch. Man hätte meinen können, die Wolke habe endlich einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Im Augenblick des Angriffs war jede Verbindung mit dem Zyklopen unterbrochen, und seitdem sahen die Männer nur, was die Ultrakurzwellenstrahlen der Flugsonde über siebzig Kilometer vibrierender Atmosphäre hinweg sendeten. Von dem Kampf, der im Kessel der Schlucht entbrannt war, hatten auch die Leute außerhalb der Steuerzentrale erfahren. Der Teil der Besatzung, der damit beschäftigt gewesen war, die Aluminiumbaracke aufzubauen, ließ die Arbeit liegen. Am Horizont im Nordosten wurde es hell, als wollte dort eine zweite Sonne aufgehen, gewaltiger als jene, die jetzt im Zenit stand. Dann legte sich über diesen Lichtschein eine Rauchsäule und ballte sich zu einem massigen Pilz.

Die Techniker, die die Arbeit der Telesonde zu überwachen hatten, mußten sie aus dem Kampfgetümmel abziehen und auf vier Kilometer Höhe bringen. So war sie der Zone heftiger, durch die dauernden Explosionen erzeugter Luftströmungen entronnen. Weder die Felsen, die die Schlucht säumten, noch die zottigen Hänge, ja nicht einmal die aus ihnen hervorgekrochene schwarze Wolke waren zu sehen. Brodelnde Feuerzipfel und Rauchfetzen, von den parabelförmigen Bahnen glühender Trümmer durchkreuzt, füllten die Bildschirme. Die Phonometer der Sonde übertrugen anhaltendes, mal schwächeres, mal stärkeres Donnergrollen, als würde ein beträchtlicher Teil des Kontinents von einem Erdbeben geschüttelt.

Daß der unheimliche Kampf nicht zu Ende ging, war erstaunlich. In einigen Sekunden würde der Grund der Schlucht und die ganze Umgebung des Zyklopen den Schmelzpunkt erreicht haben, die Felsen würden sich senken, zusammenstürzen und sich in Lava verwandeln, und da war tatsächlich schon der glutrot glänzende Strom zu sehen, der sich einen Weg zu dem einige Kilometer entfernten Ausgang der Schlucht bahnte.

Hornach überlegte einen Augenblick, ob sich die Elektronenschalter des Werfers vielleicht verklemmt hatten, weil es schier unmöglich schien, daß die Wolke ihren Angriff auf einen Gegner fortsetzte, der solche vernichtenden Schläge gegen sie führte; aber als die Sonde auf einen neuen Befehl noch höher gestiegen war und die Grenzen der Troposphäre erreicht hatte, bewies ihm der Bildschirm, daß er sich irrte.

Jetzt umfaßte das Blickfeld bereits rund vierzig Quadratkilometer.

Das zerklüftete Gelände war erstaunlich in Bewegung geraten. Langsam, wie in Zeitlupe — allerdings rief nur die Entfernung, aus der sie die Vorgänge beobachteten, diesen Eindruck hervor —, quollen von dunkelgefleckten Felshängen, aus Spalten und Höhlen im Gestein immer neue schwarze Knäuel hervor, stiegen auf, verbanden und verdichteten sich im Fluge und strebten dem Kampfplatz zu. Minutenlang sah es aus, als würden die unaufhörlich in den Kampf geworfenen dunklen Lawinen das Atomfeuer erdrücken, allein durch ihre Masse ersticken und auslöschen, aber Hornach kannte die Energiereserven des von Menschenhand geschaffenen Ungetüms.

Ein ohrenbetäubendes Donnern, das nun nicht mehr verstummte, drang aus den Lautsprechern und füllte die Steuerzentrale; zugleich bohrten sich drei Kilometer hohe Flammen in die unförmige Masse der angreifenden Wolke, rotierten langsam und bildeten eine Art Feuermühle. Die Luft vibrierte in ganzen Schichten und bog sich von der Glut, deren Zentrum sich gleichzeitig verschob.

Der Zyklop fuhr aus unerklärlichen Gründen rückwärts und wich, ohne auch nur eine Sekunde den Kampf einzustellen, allmählich zum Ausgang der Schlucht zurück. Vielleicht rechnete sein Elektronengehirn damit, daß die Felshänge infolge der Atomexplosionen barsten und auf ihn stürzten. Obwohl er auch das unversehrt überstanden hätte, konnte es doch seine Manövrierfähigkeit beeinträchtigen.

Genug, der kämpfende Zyklop bemühte sich, in offenes Gelände zu gelangen, und in dem brodelnden Durcheinander war nicht mehr zu erkennen, was Feuer aus seinen Werfern, was Qualm, was Wolkenfetzen und was Trümmer herabstürzender Felsnadeln waren.

Die Naturkatastrophe schien ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Im nächsten Augenblick aber geschah etwas Unglaubliches.

Das Bild flammte auf, erhellte sich zu einem furchtbar grellen, die Augen blendenden Weiß und bedeckte sich mit einem Gewimmel unzähliger Explosionen. In einem neuerlichen Zustrom von Antimaterie wurde alles, was unter dem Zyklopen lag, vernichtet. Luft, Trümmer, Dampf, Rauch und Gase — all das spaltete, in härteste Strahlung verwandelt, die Schlucht in zwei Teile, schloß die Wolke im Umkreis von einem Kilometer in den Bereich der Annihilation ein und flog hoch, wie durch eine Katastrophe im Planeteninnern emporgeschleudert.

Der „Unbesiegbare“, der siebzig Kilometer vom Epizentrum des entsetzlichen Schlages entfernt war, schwankte, seismische Wellen pflanzten sich über die Wüste fort, die Transporter und die Energoboter unter der Rampe rutschten zur Seite, und wenige Minuten später fegte vom Gebirge her ein scharfer, heulender Sturm heran, versengte mit glühendem Atem die Gesichter der Männer, die hinter den Maschinen Schutz suchten, peitschte wirbelnde Sandwände hoch und jagte weiter über die große Wüste.

Ein Splitter hatte offenbar die Fernsehsonde getroffen, obwohl sie zu dieser Zeit bereits dreizehn Kilometer vom Ort der Katastrophe entfernt war. Die Verbindung brach nicht ab, doch das Bild, über und über mit Störungen bedeckt, verschlechterte sich erheblich. Eine weitere Minute verging, und als sich die Rauchschwaden ein wenig verzogen hatten, bekam Rohan, der angestrengt auf den Bildschirm starrte, die nächste Etappe des Kampfes zu sehen.

Der Kampf war noch nicht zu Ende, wie er kurz zuvor geglaubt hatte. Wären lebende Wesen die Angreifer gewesen, so hätte das Massaker, dem sie anheimfielen, die folgenden Reihen wohl zur Umkehr bewegt oder sie zumindest gezwungen, vor der lodernden Hölle haltzumachen. Hier aber kämpfte Totes gegen Totes; das Atomfeuer erlosch nicht, sondern änderte nur Gestalt und Richtung des Hauptangriffs.

Da begriff Rohan zum erstenmal oder ahnte vielmehr, wie die Kämpfe ausgesehen haben mochten, die einst auf der öden Oberfläche der Regis in getobt hatten, als sich die Roboter untereinander zermalmt und vernichtet hatten, welcher Formen der Selektion sich die tote Evolution bedient und was Lauda mit den Worten gemeint hatte, die Pseudoinsekten hätten gesiegt, weil sie am besten angepaßt waren. Zugleich durchzuckte ihn der Gedanke, daß hier schon einmal etwas Ähnliches geschehen war, daß das tote, unzerstörbare, durch die Sonnenenergie in winzigen Kristallen festgehaltene Gedächtnis der Billionenwolke Kenntnisse solcher Zusammenstöße enthielt, daß die leblosen Teilchen — ein Nichts im Vergleich mit den alles vernichtenden Flammen, den felsenfressenden Entladungen — vor Jahrtausenden mit ebensolchen versprengten Einzelgängern, schwer gepanzerten Riesen und Atommammuten aus dem Geschlecht der Roboter hatten fertig werden müssen. Was ihr Überdauern ermöglicht und was bewirkt hatte, daß die Metallwände dieser Riesenungeheuer wie verrostete Lappen zerfetzt und zusammen mit den nun vom Sand verschütteten Skeletten der einstmals verläßlichen Elektronenmechanismen durch die große Wüste geschleift worden waren, das stellte eine unglaubliche, unbeschreibliche Kühnheit dar, wenn man eine solche Bezeichnung bei den winzigen Kristallen der gigantischen Wolke überhaupt anwenden konnte.

Aber wie anders sollte man es nennen? Und er konnte sich eines unwillkürlichen Gefühls der Bewunderung beim Anblick ihrer weiteren Aktionen nicht erwehren.

Denn ungeachtet der bisherigen Hekatombe setzte die Wolke ihren Angriff fort. Jetzt ragten aus der Wolkendecke, die über das ganze, aus der Höhe überschaubare Gelände gebreitet war, nur noch vereinzelt die höchsten Berggipfel heraus. Alles andere, der ganze Schluchtengürtel, verschwand unter einer Flut schwarzer Wellen, die konzentrisch vom Horizont heranjagten und in den Feuertrichter hinabgerissen wurden, dessen Mittelpunkt der Zyklop bildete, der unter der flimmernden Glut nicht zu sehen war.

Dieser mit ungeheuren, scheinbar sinnlosen Opfern erkaufte Vorstoß war jedoch nicht ohne Aussicht auf Erfolg.

Das wußten Rohan und die Männer, die machtlos dem Schauspiel zusahen, das ihnen der Bildschirm in der Steuerzentrale bot. Die Energiereserven des Zyklopen waren praktisch unerschöpflich, aber je länger das Annihilationsfeuer dauerte, desto heißer mußte es in der Maschine werden, da sich trotz der mächtigen Schutzvorrichtungen, trotz der Antistrahlenreflektoren den Werfern immerhin ein Bruchteil der Sterntemperaturen mitteilte und an den Ausgangspunkt zurückkehrte. Deshalb wurde der Angriff mit solcher Verbissenheit fortgesetzt, deshalb von allen Seiten zugleich vorgetragen. Je dichter an den Panzerplatten die Antimaterieteilchen mit dem todgeweihten Kristallhagel zusammenprallten, um so stärker erhitzten sich alle Apparaturen.

Längst hätte es kein Mensch mehr im Innern des Zyklopen ausgehalten, vielleicht war der Keramikpanzer schon rotglühend, aber unter der Kuppel der Rauchschwaden sahen sie nur die pulsierende, hellblaue Feuerblase, die langsam, Schritt für Schritt, dem Ausgang der Schlucht zukroch, so daß die Stelle, an der die Wolke erstmals angegriffen hatte, bereits drei Kilometer weiter nördlich auftauchte und die gräßliche, verbrannte, schlacke— und lavabedeckte Bodenkruste zu erkennen war. Von geborstenen Felsen hingen Überreste des zu Asche gewordenen Gestrüpps herab, in denen Metallklümpchen klebten: von der Kernexplosion getroffene, geschmolzene Kristalle.

Horpach befahl, die Lautsprecher auszuschalten, die in der Steuerzentrale ohrenbetäubenden Lärm verursachten, und fragte Jazon, was geschehen würde, wenn die Temperatur im Innern des Zyklopen die Hitzebeständigkeit des Elektronengehirns überstiege.

Der Wissenschaftler antwortete, ohne zu zögern: „Der Werfer schaltet sich aus.“

„Und das Kraftfeld?“

„Das nicht.“

Das Kampfgebiet hatte sich mittlerweile in die Ebene vor den Ausgang der Schlucht verlagert. Das tintenfarbene Flammenmeer kochte, blähte sich, strudelte und stürzte mit höllischen Sprüngen in den feurigen Schlund.

„Aber das wird wohl gleich geschehen“, sagte Kronotos in die Stille hinein, die von dem nun stummen, sich wild aufbäumenden Bild ausging. Wieder verstrich eine Minute.

Plötzlich wurde der Lichtschein des feurigen Trichters merklich schwächer. Die Wolke hatte ihn verdeckt.

„Sechzig Kilometer von uns entfernt“, antwortete der Nachrichtentechniker auf Horpachs Frage.

Der Astrogator gab Alarm. Die Besatzung ging an die Plätze. Der „Unbesiegbare“ zog die Rampe und den Personenlift ein und schloß die Luken. Auf dem Bildschirm war von neuem ein Flackern zu sehen. Wieder war der Feuertrichter da. Diesmal griff die Wolke nicht an. Nur ein paar Fetzen von ihr leuchteten, vom Feuer erfaßt, hell auf, ihr ganzer übriger Teil wich in Richtung der Schluchten zurück, drang in das Labyrinth ein, über dem dichte Schatten lagen, und vor den Augen der Männer tauchte der Zyklop auf, anscheinend unversehrt. Noch immer schob er sich sehr langsam rückwärts und vernichtete mit Dauerbeschuß seine ganze Umgebung — Felsen, Sand und Dünen.

„Warum schaltet er den Werfer nicht aus?“ rief einer.

Als hätte die Maschine die Worte gehört, stellte sie das Feuer ein, wendete und rollte mit wachsender Geschwindigkeit der Wüste zu. Hoch über ihr folgte die Flugsonde. Mit einemmal sahen die Männer etwas wie einen dünnen Feuerfaden unglaublich schnell auf sie zurasen. Ehe sie begriffen, daß der Werfer des Zyklopen auf die Sonde geschossen hatte und das, was sie sahen, ein Streifen annihilierter Luftteilchen auf der Schußbahn war, schraken sie unwillkürlich zurück, als fürchteten sie, daß die Entladung aus dem Leuchtschirm sprang und in der Steuerzentrale explodierte.

Gleich darauf verschwand das Bild, und nur der leere, weiße Schirm starrte sie an.

„Er hat die Sonde zertrümmert, Astrogator!“ schrie der Techniker am Steuerpult. Horpach befahl, eine zweite Sonde zu starten. Der Zyklop hatte sich inzwischen dem „Unbesiegbaren“ so sehr genähert, daß sie ihn gleich erblickten, als die Sonde Höhe gewonnen hatte. Eine neue, fadendünne Leuchtspur — und die zweite Sonde war zerstört.

Bevor das Bild verschwand, konnten sie noch das eigene Raumschiff erkennen. Der Zyklop war nicht weiter als zehn Kilometer entfernt.

„Der ist wohl verrückt geworden“, sagte der zweite Techniker an der Apparatur, und seine Stimme zitterte vor Erregung. Bei diesen Worten fiel es Rohan wie Schuppen von den Augen. Er blickte den Kommandanten an und begriff, daß dieser das gleiche dachte wie er. Ihm war, als senkte sich ihm ein sinnloser, bleierner Schlaf in die Glieder, den Kopf, den ganzen Körper. Aber die Befehle waren gegeben: Der Kommandant hatte angeordnet, eine vierte und eine fünfte Sonde abzuschießen. Der Zyklop vernichtete sie alle. Wie ein Meisterschütze, der sich mit Zielschießen vergnügt, holte er sie herunter.

„Ich brauche volle Kraft“, sagte Horpach, ohne den Bildschirm aus den Augen zu lassen.

Wie ein Pianist griff der Chefingenieur mit beiden Händen in die Tasten des Verteilerpults.

„Volle Startkraft in sechs Minuten“, antwortete er.

„Ich brauche volle Kraft“, wiederholte Horpach in gleichem Ton, und in der Steuerzentrale wurde es so still, daß man das Summen der Relais hinter den Emaillewänden hören konnte. Es klang, als wäre dort ein Bienenschwarm erwacht.

„Das Reaktorgehäuse ist zu kalt“, wollte der Chefingenieur einwenden, doch da drehte Horpach sich zu ihm um und sagte zum drittenmal mit unveränderter Stimme: „Ich brauche volle Kraft!“

Der Ingenieur griff wortlos zum Hauptschalter. In der Tiefe des Raumschiffes blökten kurz die Alarmsirenen, und wie entfernter Trommelwirbel folgten die Schritte der Männer, die auf die Kampfposten eilten. Wieder sah Horpach zu dem Bildschirm hin. Keiner sagte etwas, aber jetzt hatten alle verstanden, daß das Unmögliche geschehen war: Der Astrogator rüstete zum Kampf gegen den eigenen Zyklopen.

Zitternd richteten sich die Zeiger an den Geräten aus wie Soldaten. In den Leuchtrahmen des Leistungsanzeigers erschienen fünfstellige, dann sechsstellige Zahlen. Irgendwo sprühten Funken aus der Leitung. Ozongeruch breitete sich aus. Im hinteren Teil der Steuerzentrale verständigten sich die Techniker durch Handzeichen, welches Kontrollsystem einzuschalten sei. Die nächste Sonde zeigte vor ihrer Vernichtung den länglichen Schädel des Zyklopen, und man sah, wie er sich zwischen den Felswänden hindurchzwängte.

Dann war das Bild wieder leer und stach mit seinem silbrigen Weiß in die Augen. Jeden Moment mußte die Maschine bereits in Direktübertragung auftauchen. Der Bootsmann am Radarschirm war bereit, eine Außenbugfernsehkamera über die Spitze des Raumschiffes auszufahren, durch die das Blickfeld vergrößert wurde. Der Nachrichtentechniker schoß die nächste Sonde ab. Der Zyklop schien sich nicht geradenwegs auf den „Unbesiegbaren“ zuzubewegen, der ihn in voller Kampfbereitschaft unter der Wölbung des Kraftfeldes erwartete. In gleichmäßigen Abständen stoben Fernsehsonden aus seinem Bug.

Rohan wußte, daß der „Unbesiegbare“ eine Ladung Antimaterie aufhalten konnte, aber die Stoßenergie abzufangen, mußte Verluste der Energiereserven verursachen.

In dieser Situation hielt er es für das vernünftigste umzukehren, das heißt, sich auf eine stationäre Umlaufbahn zu begeben. Jede Minute rechnete er mit dem Befehl, aber Horpach schwieg unbegreiflich, als glaubte er, das Elektro— nengehirn der Maschine würde zur Besinnung kommen.

Tatsächlich fragte er, mit schwerem Blick den Bewegungen der dunklen Gestalt folgend, die lautlos zwischen den Dünen dahinglitt: „Sie rufen ihn doch?“

„Jawohl. Keine Verbindung.“

„Sendet: Sofort stop!“

Die Techniker machten sich an den Pulten zu schaffen.

Zwei-, drei-, viermal zuckten Lichtstreifen unter ihren Händen auf.

„Keine Antwort, Astrogator.“

Warum startet er nicht? Rohan konnte es nicht fassen.

Will er sich die Niederlage nicht eingestehen? Was für ein Blödsinn! Horpach! Er hat sich bewegt… jetzt… jetzt. befiehlt er… Aber der Astrogator trat nur einen Schritt zurück.

„Kronotos?“

Der Kybernetiker näherte sich ihm. „Hier.“

„Was können sie mit ihm gemacht haben?“

Rohan war betroffen. Horpach hatte „sie“ gesagt, als hätte er es wirklich mit denkenden Gegnern zu tun.

„Die autonomen Stromkreise sind auf Kriotronen“, begann Kronotos, und es war zu spüren, daß er nur Vermutungen aussprechen würde. „Die Temperatur ist angestiegen, sie haben die Supraleitfähigkeit verloren…“

„Wissen Sie das, Doktor, oder rätseln Sie herum?“

fragte der Astrogator.

Es war ein sonderbares Gespräch. Alle starrten den Bildschirm an, auf dem der Zyklop jetzt ohne Übertragung durch die Sonde zu sehen war und mit flüssigen und doch etwas unsicheren Bewegungen vorwärtskroch — er wich mitunter vom Kurs ab, als wäre er noch im Zweifel, welchem Ziel er eigentlich zustrebte. Er schoß ein paarmal auf die nun überflüssige Telesonde, ehe er sie traf. Sie sahen sie wie eine grelle Leuchtkugel fallen.

„Das einzige, was ich mir vorstellen kann, ist eine Resonanz“, sagte der Kybernetiker nach kurzem Zögern. „Wenn sich ihr Feld mit der Selbstwecktendenz des Hirns gedeckt hat…“

„Und das Kraftfeld?“

„Ein Kraftfeld schirmt ein magnetisches Feld nicht ab.“

„Schade“, bemerkte der Astrogator trocken.

Allmählich ließ die Spannung nach, weil der Zyklop nun offensichtlich nicht mehr auf das Mutterschiff zusteuerte.

Die Entfernung zwischen ihnen, die eine Minute zuvor sehr klein gewesen war, wurde wieder größer. Das Fahrzeug, das der menschlichen Kontrolle entzogen war, wandte sich hinaus in die Weiten der nördlichen Wüste.

„Der Chefingenieur wird mich vertreten“, sagte Horpach. „Die anderen Herren bitte ich nach unten.“

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