Der „Unbesiegbare“

Die ersten beiden Geländefahrzeuge rollten vor Tagesanbruch die Rampe hinunter. Noch waren die Dünenhänge auf der Sonnenseite schwarz, von nächtlicher Finsternis überschattet. Das Kraftfeld tat sich auf, gab den Maschinen den' Weg frei und schloß sich wieder unter blauem Lichterfunkeln.

Auf dem hinteren Trittbrett des dritten Wagens, gleich unter dem Heck des Raumkreuzers, saß Rohan, im Skaphander, ohne Helm und Schutzbrille, nur die kleine Maske des Sauerstoffgeräts vor dem Mund. Er hielt die Knie mit den Händen umspannt, weil er so bequemer den hüpfenden Sekundenzeiger beobachten konnte.

In der linken Brusttasche seines Schutzanzuges trug er vier Ampullen, in der rechten dünn gepreßte Nährkonzentrattabletten, und die Taschen der Knieschützer bargen kleine Instrumente: einen Strahlungsmesser, eine kleine Magnetuhr, einen Kompaß und eine Mikrophotogramm— Geländekarte, nicht größer als eine Postkarte. Man mußte sie durch eine starke Lupe betrachten. Er war mit einer sechsfachen Rolle aus feinstem Plastseil gegürtet, von seiner Kleidung waren alle Metallteile entfernt worden. Das Drahtgeflecht im Haar merkte er überhaupt nicht, es sei denn, er verzog absichtlich die Kopfhaut. Er spürte auch nicht den kreisenden Strom darin, aber er konnte den im Kragen eingenähten Mikrosender kontrollieren, wenn er den Finger an diese Stelle legte. Der kleine, harte Zylinder tickte gleichmäßig, und sein Puls war bei Berührung deutlich zu fühlen.

Im Osten hing ein roter Streifen am Himmel, auch war Wind aufgekommen. Er peitschte die Sandgipfel der Dünen.

Die niedrigen Kraterzacken am Horizont schienen allmählich in einer Flut von Rot zu zerfließen. Rohan hob den Kopf. Zwischen ihm und dem Raumschiff sollte keine zweiseitige Verbindung eingerichtet werden, weil ein Sender sofort Rohans Anwesenheit verraten hätte. Aber in seinem Ohr klemmte ein winziger Empfangsapparat, nicht größer als ein Obstkern. Der „Unbesiegbare“ konnte ihm — zumindest eine Zeitlang — seine Signale senden. Jetzt begann es im Apparat gerade zu sprechen, und es war beinahe, als vernähme er eine Stimme in seinem Kopf.

„Achtung, Rohan. Hier Horpach. Die Buguhren vermerken ein Ansteigen der magnetischen Aktivität. Wahrscheinlich sind die Geländewagen schon unter der Wolke… Ida schicke eine Sonde los.“

Rohan hob den Blick zu dem aufklarenden Himmel. Er sah nicht den Start der Rakete, die plötzlich senkrecht wie eine Leuchtkugel aufstieg. Sie zog einen dünnen weißen Rauchstreifen hinter sich her, mit dem sie die Spitze des Schiffes einnebelte, und stob mit rasender Geschwindigkeit nordostwärts davon. Minuten verstrichen. Nun saß schon die halbe Scheibe der gedunsenen, alten Sonne rittlings auf dem Kraterwall.

„Eine kleine Wolke greift den ersten Wagen an“, sagte die Stimme in Rohans Kopf. „Der zweite kommt bisher ungehindert voran. Der erste nähert sich dem Felsentor.

Achtung! Jetzt haben wir die Kontrolle über den ersten verloren. Auch die optische — die Wolke hat ihn zugedeckt.

Der zweite nähert sich der Biegung bei der sechsten Wegverengung.

Er wird nicht angegriffen. Vorbei! Wir haben die Kontrolle über den zweiten verloren. Sie haben ihn schon umzingelt… Rohan! Achtung! Dein Wagen fährt in fünfzehn Sekunden ab. Von nun an handelst du nach eigenem Ermessen. Ich schalte den Startautomaten ein. Viel Glück.“

Horpachs Stimme entfernte sich plötzlich. An ihre Stelle trat ein mechanisches, die Sekunden zählendes Ticken.

Rohan setzte sich bequemer, stemmte sich mit den Beinen fest und schob den Arm durch die elastische Schlinge, die am Wagengeländer befestigt war. Die leichte Maschine erzitterte und fuhr federnd an.

Horpach hatte alle Männer im Schiff zurückgehalten.

Rohan war ihm dafür beinahe dankbar, denn Abschiedsszenen hätte er nicht ertragen. So sah er, an das auf— und abhüpfende Trittbrett des Wagens geschmiegt, nur die riesige Säule des „Unbesiegbaren“, die allmählich kleiner wurde.

Der blaue Lichtschein, der eine Weile über die Dünenhänge flackerte, sagte ihm, daß die Maschine gerade die Grenze des Kraftfeldes überquerte. Doch gleich darauf wuchs die Geschwindigkeit, und die rote Staubwolke, die die Ballonreifen aufwarfen, nahm ihm die Sicht. Nur undeutlich sah er darüber den grauen Himmel. Das war keine sehr glückliche Lösung — er konnte angegriffen werden, ohne zu wissen, wann. Statt also, wie vorgesehen, sitzen zu bleiben, drehte er sich um, richtete sich auf und stand dann, sich am Geländer festhaltend, auf dem Trittbrett. Nun konnte er über den flachen Rücken der unbemannten Maschine hinweg den Blick auf die ihm entgegeneilende Wüste richten. Der Wagen fuhr mit Höchstgeschwindigkeit holpernd und schlingernd, so daß Rohan sich bisweilen mit ganzer Kraft gegen die Karosserie pressen mußte. Den Motor hörte er fast gar nicht, nur der Wind pfiff ihm um die Ohren, die feinen Sandkörnchen bissen in die Augen, und beiderseits des Fahrzeugs spritzten Sandfontänen hoch und bildeten eine undurchdringliche Wand, so daß er nicht einmal bemerkte, wann er das Kraterrund verließ. Offenbar hatte sich das Fahrzeug durch eine Sandkerbe im Nordrand hinausgeschlängelt.

Plötzlich hörte Rohan ein singendes Signal, das sich näherte.

Das war der eingeschaltete Sender der Fernsehsonde.

Er konnte sie nicht am Himmel entdecken, obgleich er an— gestrengt nach ihr Ausschau hielt. Sie war wohl sehr hoch aufgestiegen, um nicht die Aufmerksamkeit der Wolke auf sich zu ziehen, zugleich aber war sie unerläßlich, sonst hätte das Schiff den Wagen nicht steuern können. An der Rückwand war eigens ein Kilometerzähler angebracht worden, um ihm die Orientierung zu erleichtern. Bisher hatte er neunzehn Kilometer zurückgelegt, jeden Augenblick würden die ersten Felsen sichtbar werden. Aber die niedrig stehende Sonnenscheibe, die er bislang zur Rechten gehabt hatte und die rötlich durch den hochgeschleuderten Sand schimmerte, schob sich nun ein wenig hinter ihn. Dann bog der Wagen links ab. Rohan suchte vergebens herauszufinden, ob der Winkel mit dem festgelegten Kurs übereinstimmte oder ob er größer war; das hätte bedeutet, daß man in der Steuerzentrale ein unvorhergesehenes Manöver der Wolke bemerkt hatte und ihn aus ihrer Reichweite entfernen wollte. Die Sonne verschwand bald darauf hinter dem ersten langgestreckten Felsrücken, dann tauchte sie wieder auf. In dem schrägen Licht bot die Landschaft einen wilden Anblick und sah anders aus, als er sie von seiner letzten Expedition her in Erinnerung hatte. Doch damals hatte er sie aus größerer Höhe, vom Turm des Transporters aus betrachtet. Der Wagen wurde plötzlich so fürchterlich hin und her geworfen, daß Rohan ein paarmal schmerzhaft mit der Brust gegen die Panzerung prallte. Jetzt mußte er alle Kräfte anspannen, damit ihn die heftigen, wütenden Stöße, die nicht einmal von den Ballonreifen wirksam abgefangen wurden, nicht von dem schmalen Trittbrett warfen.

Die Räder tanzten über die Gesteinsbrocken und schleuderten den Kies hoch in die Luft; polternd flog er den Abhang hinunter. Manchmal blieben sie stecken und drehten sich wie rasend auf der Stelle. Rohan meinte, diese höllische Fahrt müsse im Umkreis von mehreren Kilometern zu hören sein, und er überlegte ernsthaft, ob er die Maschine nicht anhalten und abspringen sollte — dicht unter der Schulter fühlte er den herausragenden Griff der bewußt außen angebrachten Bremse. Aber dann hätte er einen kilometerlangen Fußmarsch vor sich gehabt, und die ohnehin geringe Aussicht, rasch ans Ziel zu gelangen, wäre weiter geschwunden.

Mit zusammengebissenen Zähnen, die Hände krampfhaft um die Griffe gekrallt, die ihm jetzt gar nicht mehr ein so sicherer Halt zu sein schienen, sah er also nur blinzelnd über den flachen Schädel des Fahrzeugs hinweg den Hang hinauf. Das Singen der Radiosonde wurde bisweilen leiser, aber sie war zweifellos noch immer über ihm, denn der Geländewagen manövrierte geschickt und wich den übereinandergetürmten Felstrümmern auf der Schutthalde aus.

Manchmal neigte er sich zur Seite und fuhr langsamer, doch gleich darauf jagte er wieder mit voller Kraft bergan.

Der Kilometerzähler stand auf 27 — soviel hatte er bisher zurückgelegt. Auf der Geländekarte betrug der aufgezeichnete Weg 6o Kilometer, aber er mußte in Wirklichkeit schon wegen der Höhenunterschiede und der dauernden Schleifen länger sein. Hier gab es nicht die Spur Sand mehr. Schwer und bedrohlich hing die Sonne am Himmel, riesig und fast kalt. Ihre Scheibe berührte noch immer die Felszacken. Wie von Fieberschauern geschüttelt, bahnte sich die Maschine verbissen einen Weg durch das Geröll. Manchmal rutschte sie, wenn sich unter ihr knirschend das Gestein löste. Die Reifen rieben sich kraftlos an den Steinen und heulten pfeifend.

Die Steigung wurde steiler. 29 Kilometer — außer dem singenden Signal der Sonde hörte er nichts. Der „Unbesiegbare“ schwieg. Warum? In der Steilwand, die sich in schwärzlichen Linien unterhalb der Sonne undeutlich abzeichnete, vermutete Rohan den oberen Rand der Schlucht, die er hinuntersteigen sollte — aber nicht hier, sondern bedeutend weiter im Norden. 3o Kilometer. Immerhin war von der schwarzen Wolke nichts zu sehen. Sie hatte wohl schon die beiden anderen Maschinen kaltgestellt. Oder hatte sie sie einfach aufgegeben und sich damit begnügt, sie durch Blockieren der Funkverbindung vom Raumschiff abzuschneiden?

Der ganze Wagen warf sich hin und her wie ein verzweifeltes Tier. Bisweilen drang Rohan das Dröhnen des auf vollen Touren laufenden Motors bis in die Kehle.

Die Geschwindigkeit sank ständig, doch er kam wider Erwarten gut voran. Vielleicht hätte er ein Luftkissenfahrzeug nehmen sollen? Aber es wäre zu groß und zu schwer gewesen, außerdem lohnte es nicht, jetzt noch einen Gedanken daran zu verschwenden, da ohnehin nichts zu ändern war.

Er wollte auf die Uhr blicken, aber es gelang ihm nicht, die Hand auch nur eine Sekunde lang vor die Augen zu halten. Mit gebeugten Knien versuchte er, die entsetzlichen Stöße, die ihm die Eingeweide ordentlich durcheinanderrüttelten, abzufangen. Mit einemmal ging die Maschine vorn hoch und stürzte seitlich in die Tiefe. Die Bremsen kreischten, aber schon rutschte von allen Seiten Geröll nach und prasselte klirrend auf die dünnen Panzerplatten. Der Wagen wendete krampfhaft, schleuderte und glitt eine Weile auf der Seite durch das Steinmeer, dann hörte diese Bewegung auf.

Langsam richtete sich die Maschine auf und kroch wieder hartnäckig hangaufwärts. Jetzt sah Rohan bereits die Schlucht. Er erkannte sie an den schwärzlichen, an Krummholz erinnernden, gräßlichen Gestrüppflecken, die die stehlen Felsen überzogen. Etwa eine halbe Meile trennte ihn vom Rande der Schlucht. 34 Kilometer…

Der Hang, den er noch zu überqueren hatte, sah aus wie ein einziges Meer aus chaotisch übereinandergeworfenen Felstrümmern. Es schien unmöglich, daß die Maschine sich dort einen Weg würde bahnen können. Er hatte es bereits aufgegeben, nach passierbaren Stellen zu suchen, da es ohnehin nicht bei ihm lag, den Wagen zu steuern. So bemühte er sich vielmehr, die beiderseits des Talkessels aufragenden Felswände nicht aus den Augen zu lassen. Jede Sekunde konnte die schwarze Wolke daraus hervorquellen.

„Rohan… Rohan…“, hörte er plötzlich. Das Herz schlug ihm höher. Er erkannte Horpachs Stimme.

„Der Wagen wird dich wahrscheinlich nicht ans Ziel bringen. Wir können von hier aus die Neigung des Hanges nicht genau überblicken, aber du hast vielleicht nur noch fünf oder sechs Kilometer Fahrt vor dir. Wenn der Wagen steckenbleibt, mußt du zu Fuß weiter. Ich wiederhole…“

Höchstens 42 oder 43 Kilometer… Also bleiben mir ungefähr 17. In diesem Gelände sind das wenigstens vier Stunden, wenn nicht mehr, rechnete Rohan blitzschnell. Aber vielleicht täuschen sie sich und der Wagen kommt durch.

Die Stimme verstummte, und wieder war nur das rhythmische Singen der Sonde zu vernehmen. Rohan biß fester auf das Mundstück der Sauerstoffmaske. Es hatte ihm bei den heftigen Stößen die Lippen aufgerieben. Die Sonne berührte nun nicht mehr den nahen Bergkamm, aber sie war auch nicht höher gestiegen. Vor den Augen hatte er große und kleine Gesteinsbrocken und Felsplatten, manchmal griff ihr kalter Schatten nach ihm. Der Wagen fuhr jetzt viel langsamer. Als Rohan den Blick hob, sah er winzige Federwolken über den Himmel segeln. Ein paar Sterne glitzerten. Plötzlich geschah etwas Sonderbares mit dem Fahrzeug: Das Heck sackte ab, das Vorderteil hob sich steil.

Der Wagen bäumte sich auf wie ein scheuendes Pferd. Eine Sekunde, und er wäre in die Tiefe gestürzt und hätte Rohan unter sich begraben, wenn er nicht mit einem Satz abgesprungen wäre. Er fiel auf Knie und Hände. Durch die dicken Schutzhandschuhe und die Schienbeinschützer fühlte er den harten Aufprall, er schlitterte etwa zwei Meter über das Geröll, ehe er Halt fand. Die Räder stöhnten noch einmal auf, dann stand die Maschine.

„Achtung, Rohan! Das ist Kilometer 39… Der Wagen kommt nicht weiter. Du mußt zu Fuß gehen.. Orientiere dich nach der Karte. Das Fahrzeug bleibt dort, für den Fall, daß du nicht anders zurück kannst. Du bist jetzt am Schnittpunkt der Koordinaten 46 und…“

Rohan richtete sich langsam auf. Jeder Muskel schmerzte.

Aber nur die ersten Schritte fielen ihm schwer. Er lief sich ein. Er wollte so rasch wie möglich von dem zwischen zwei Felsschwellungen eingeklemmten Wagen fort. Unter einem großen Gesteinsobelisken setzte er sich nieder, zog die Karte aus der Tasche und versuchte, sie einzurichten. Das war nicht einfach. Endlich hatte er seinen Standort bestimmt.

Vom oberen Rand der Schlucht trennte ihn etwa ein Kilometer in Luftlinie, aber an dieser Stelle war an einen Abstieg nicht zu denken. Eine einzige Schicht aus Metallgestrüpp bedeckte die Hänge. Er ging also bergan und fragte sich die ganze Zeit, ob er den Abstieg auf den Grund der Schlucht an einer näher gelegenen, nicht an der, vorgesehenen Stelle wagen sollte. Denn dorthin würde er wenigstens vier Stunden brauchen. Selbst wenn es gelänge, mit dem Wagen zurückzufahren, mußte er für den Rückweg weitere fünf Stunden rechnen, und wieviel Zeit würde allein der Abstieg in die Schlucht beanspruchen, von der Suche ganz zu schweigen. Mit einemmal schien ihm der ganze Plan kein Gran gesunden Menschenverstandes zu enthalten. Es war einfach eine ebenso eitle wie heroische Geste, mit der Horpach ihn geopfert hatte, um das eigene Gewissen zu beschwichtigen.

Eine Weile war er so wütend — er hatte sich wie ein kleiner Schuljunge hinters Licht führen lassen, denn der Astrogator hatte alles im vorhinein festgelegt —, daß er seine Umgebung kaum wahrnahm. Allmählich faßte er sich. Es gibt kein Zurück, hämmerte er sich ein, ich werde es versuchen.

Wenn mir der Abstieg nicht gelingt, wenn ich bis drei Uhr niemanden gefunden habe, dann kehre ich um. Es war Viertel nach sieben. Er bemühte sich, mit langen, gleichmäßigen, aber nicht zu raschen Schritten voranzukommen, weil der Sauerstoffverbrauch bei jeder Anstrengung ruckhaft anstieg. Am rechten Handgelenk befestigte er den Kompaß, um nicht von der einmal gewählten Richtung abzuweichen.

Einige Male mußte er jedoch Klüfte mit abschüssigen Wänden umgehen. Die Schwerkraft war auf der Regis bedeutend geringer als auf der Erde, das ließ ihm wenigstens selbst in diesem schwierigen Gelände verhältnismäßig viel Bewegungsfreiheit. Die Sonne war höher gestiegen.

Sein Gehör, das die ständige Begleitung all der Laute gewohnt war, mit denen ihn auf den bisherigen Expeditionen die Maschinen wie mit einer schützenden Barriere umringt hatten, war nun wie bloßgelegt und besonders reizempfindlich.

Dann und wann vernahm er nur, jetzt viel schwächer als zuvor, das rhythmische Singen der Sonde.

Dafür erregte jeder Windstoß, der um die Felszacken fauchte, seine Aufmerksamkeit, da er darin das wohlbekannte feine Summen zu hören glaubte, an das er sich so gut erinnerte. Allmählich hatte er sich an den Marschschritt gewöhnt und konnte nun, mechanisch von Stein zu Stein stapfend, ungehindert nachdenken. Er trug einen Schrittzähler in der Tasche. Er wollte nicht zu früh nach dem Zeiger sehen und entschloß sich, das erst nach einer Stunde zu tun. Doch er hielt es nicht aus und zog das uhrähnliche, kleine Gerät hervor, bevor die Stunde vorüber war. Aber er war schmerzlich enttäuscht. Keine drei Kilometer hatte er zurückgelegt. Große Höhenunterschiede hatte er überwinden müssen, das hatte ihn aufgehalten. Also nicht drei, auch nicht vier Stunden, sondern wenigstens noch sechs, dachte Rohan. Er zog die Karte hervor und richtete sie kniend von neuem ein. 700 bis 800 Meter weiter östlich war der Kämm der Schlucht zu sehen. Die ganze Zeit war er ungefähr parallel dazu marschiert. An einer Stelle wurde das schwarze Gesträuch an den Hängen von einer fadendünnen, gewundenen Lücke geteilt; wahrscheinlich war das ein ausgetrocknetes Bachbett. Er bemühte sich, es genauer zu erkennen. Auf den Knien, in dem Wind, der ihm um die Ohren pfiff, durchlebte er Augenblicke der Unentschlossenheit.

Als wüßte er selbst nicht genau, was er tat, erhob er sich, steckte mechanisch die Karte ein, bog rechtwinklig von seiner bisherigen Richtung ab und strebte der Steilwand der Schlucht zu.

Er näherte sich den stummen, zerklüfteten Felsen, als könnte sich jeden Augenblick der Boden unter ihm auftun.

Entsetzliche Angst krampfte ihm das Herz zusammen.

Doch er ging weiter, noch immer mit den Händen ausholend, die ihm furchtbar leer schienen. Mit einem Ruck blieb er stehen und schaute ins Tal, auf die Wüste hinunter, wo der „Unbesiegbare“ war. Er konnte das Raumschiff nicht sehen, es war hinter dem Horizont. Das wußte er, doch er blickte in diesen rötlichen Himmel, der sich langsam mit bauschigen Wolken füllte. Das Singen der Sondensignale wurde so schwach, daß er nicht sicher war, ob er es sich vielleicht nur noch einbildete. Warum schwieg der „Unbesiegbare“?

Weil er dir nichts mehr zu sagen hat, antwortete er sich selbst. Die oberen, an groteske, verwitterte Statuen erinnernden Felsbrocken waren in Reichweite. Die Schlucht tat sich vor ihm auf wie ein riesiger Graben voller Finsternis.

Die Sonnenstrahlen reichten noch nicht bis zur Mitte der schwarzbedeckten Wände hinab. Hier und da ragten aus dem borstigen Dickicht kalksteinähnliche, weiße Felsnadeln auf. Mit einem Blick umfaßte er den ganzen, riesigen Raum bis zu dem steinigen Grund der Schlucht, der anderthalb Kilometer tief unter ihm lag.

Da fühlte er sich so sehr allen Mächten ausgeliefert, so wehrlos, daß er sich unwillkürlich niederhockte und an die Steine schmiegte, als wollte er selbst ein Felsbrocken werden.

Das war sinnlos, denn er war nicht in Gefahr, entdeckt zu werden. Was er fürchten mußte, das hatte keine Augen. Er streckte sich auf einer schwach erwärmten Felsplatte aus und sah in die Tiefe. Die Aussagen der photogrammetrischen Karte waren völlig unbrauchbar, denn sie zeigte das Gelände aus der Vogelperspektive und daher vertikal erschreckend verkürzt. Er konnte nicht daran denken, über die enge, kahle Rinne zwischen den beiden mit schwarzen Sträuchern bewachsenen Flächen den Abstieg zu wagen. Nicht 25, sondern wenigstens 100 Meter Seil hätte er dafür haben müssen; außerdem hätte er ein paar Haken und einen Hammer gebraucht, aber er hatte nichts dergleichen.

Er war nicht für Kletterpartien ausgerüstet.

Die schmale Furche führte zunächst ziemlich sanft abwärts, brach dann plötzlich ab, verschwand hinter einem überhängenden Buckel in der Felswand und war erst tief drunten durch einen bläulichen Dunstschleier wieder zu sehen. Ein verrückter Gedanke ging ihm durch den Sinn: Einen Fallschirm müßte ich haben…

Sorgsam prüfte er die Hänge zu beiden Seiten der Stelle, an der er ausgestreckt unter einem großen, pilzförmigen Gesteinsbrocken lag. Jetzt erst spürte er, daß aus der großen Leere, die sich unter ihm auftat, ein milder, warmer Lufthauch heraufzog. Und wirklich, die Umrisse der Hänge gegenüber zitterten leicht. Das Dickicht speicherte die Sonnenstrahlen.

Er ließ den Blick weiter schweifen und erkannte im Südwesten die Spitzen der Felsnadeln, deren Sockel das Felsentor bildeten, den Ort der Katastrophe.

Sie wären ihm nicht aufgefallen, wenn sie nicht im Gegensatz zu allen anderen Felsen pechschwarz und wie mit einer dicken, glänzenden Glasur überzogen gewesen wären — ihre oberen Schichten hatten wohl während des Kampfes zwischen dem Zyklopen und der Wolke gekocht… Aber von seinem Platz aus konnte er auf der Talsohle weder die Transporter noch eine Spur der Atomexplosion entdecken.

Als er so dort lag, packte ihn plötzlich Verzweiflung: Er mußte hinunter in die Tiefe, und es gab keinen Weg. Doch statt daß er erleichtert war, nun zurückkehren und dem Astrogator sagen zu können, er habe sein möglichstes getan, reifte ein Entschluß in ihm.

Er stand auf. Eine Bewegung im Schluchtinnern, die er mit dem Augenwinkel erfaßte, hieß ihn sich abermals unwillkürlich ans Gestein presssen, doch er richtete sich gleich wieder auf. Wenn ich mich jede Minute langlege, kann ich nicht viel ausrichten, dachte er. Er ging jetzt den Grat entlang und suchte nach einer passierbaren Stelle. Alle paar hundert Meter beugte er sich über die Leere hinaus und sah immer das gleiche Bild: Wo der Hang sich sanft neigte, dort haftete schwarzes Gestrüpp, und wo kein Gestrüpp saß, dort ging es schroff in die Tiefe.

Einmal brachte sein Fuß einen Stein ins Rollen, er kollerte in den Abgrund, und andere folgten ihm. Eine kleine Lawine schlug polternd und tosend etwa hundert Meter unter ihm in die zottige Wand ein. Ein Licht auffunkelnder Rauchstreifen kroch daraus hervor, entfaltete sich in der Luft, blieb einen Augenblick reglos hängen, als hielte es Ausschau — er erstarrte am ganzen Leib. Doch eine reichliche Minute später wurde der Rauch lichter und versickerte lautlos in dem glitzernden Gesträuch.

Kurz vor neun Uhr entdeckte er, als er abermals hinter einem Stein hervorlugte, unten auf der Talsohle — der Talkessel war hier bedeutend breiter — einen kleinen hellen Fleck, der sich bewegte. Mit zitternden Händen zog er das zusammenlegbare Fernglas aus der Tasche und richtete es dorthin…

Ein Mensch! Die Vergrößerung war zu gering, als daß er das Gesicht hätte erkennen können, aber er sah deutlich die gleichmäßigen Beinbewegungen. Der Mann ging langsam, leicht hinkend, als schleppte er ein verletztes Bein nach. Sollte er ihn anrufen? Er wagte es nicht. In Wirklichkeit versuchte er es, aber der Laut blieb ihm in der Kehle stecken. Er haßte sich selbst wegen dieser verfluchten Angst.

Nur eins wußte er: daß er nun ganz gewiß nicht aufgeben würde. Er hatte sich gut gemerkt, in welche Richtung der andere gegangen war — das Tal hinauf, das immer breiter wurde, den weißlichen Kegeln der Geröllhalden zu —, und er lief in dieselbe Richtung, den Kamm entlang, über Felsbrocken und gähnende Spalten hinwegspringend, bis ihn der pfeifende Atem im Mundstück zu ersticken drohte und sein Herz wild hämmerte. Das ist Wahnsinn, das darf ich nicht, dachte er hilflos. Er lief langsamer, und plötzlich öffnete sich eine breite Felsrinne einladend vor ihm, die weiter unten beiderseits von schwarzem Gestrüpp gesäumt war. Das Gefälle wurde stärker — vielleicht war dort ein Überhang?

Die Uhrzeit entschied, es war bald halb zehn. Er begann den Abstieg, anfangs wandte er das Gesicht dem Abgrund zu, dann drehte er sich um. Die Wand wurde zu steil. Er kletterte Schritt für Schritt abwärts, nahm die Hände zu Hilfe. Schon war er dicht vor dem schwarzen Dickicht, das ihn mit starrer, schweigender Hitze zu versengen schien.

Es dröhnte ihm in den Schläfen. Er verschnaufte auf einem schrägen, schmalen Felsensims, stemmte den linken Schuh in einen Spalt und sah hinunter. Etwa vierzig Meter tiefer erblickte er einen breiten Absatz, von dem aus deutlich erkennbar ein kahler Felsbuckel abwärts führte, der sich über die aufragenden, leblosen Pinsel der schwarzen Sträucher erhob. Aber von diesem rettenden Absatz war er durch die Luft getrennt. Er sah in die Höhe. Er hatte gut Zoo Meter, vielleicht sogar mehr zurückgelegt. Das heftige Hämmern seines Herzens schien die Luft zu erschüttern. Ein paarmal kniff er die Augen zusammen. Langsam, mit blinden Bewegungen, rollte er das Seil auf. Du wirst doch nicht so verrückt sein, sagte eine innere Stimme zu ihm. Er schob sich seitwärts nach unten und gelangte zu einem Strauch in der Nähe. Die scharfen Triebe waren mit einem Rostbelag bedeckt, der bei Berührung stäubte. Auf wer weiß was gefaßt, griff Rohan zu. Aber nichts geschah. Er hörte nur ein trokkenes Knistern. Er riß stärker, der Strauch saß fest. Um den unteren Teil schlang er das Seil, zog noch einmal daran… Und in einer plötzlichen Anwandlung von Mut umwickelte er einen zweiten und einen dritten Strauch, stemmte sich gegen den Fels und zerrte mit aller Kraft an dem Seil. Die Sträucher hielten, in das geborstene Gestein gekrallt.

Langsam ließ er sich hinab; anfangs konnte er durch die Reibung der Schuhsohlen noch einen Teil seines Körpergewichts auf den Felsen übertragen, doch bald rutschte er und hing in der Luft. Immer schneller ließ er das Seil unter dem Knie hindurchgleiten, bremste seine Geschwindigkeit mit der rechten Schulter ab, sah aufmerksam nach unten und landete schließlich auf dem Absatz. Nun versuchte er, das Seil zu lösen, indem er an einem Ende zog. Doch die Sträucher gaben es nicht frei, obwohl er mehrmals zog. Es hatte sich verklemmt. Da setzte er sich rittlings auf die Felsplatte und riß aus Leibeskräften. Plötzlich schnellte es mit giftigem Pfeifen durch die Luft und klatschte ihm in den Nacken. Wie vom Donner gerührt, schrak er zusammen.

Danach blieb er einige Minuten sitzen, weil ihm die Knie zu sehr schlotterten, als daß er den weiteren Abstieg hätte wagen können. Dafür sah er wieder die Gestalt dort unten dahinwandern. Sie wirkte schon ein wenig größer. Er wunderte sich, daß sie so hell war, auch die Kopfform oder vielmehr die Kopfbedeckung jenes Mannes war recht eigenartig.

Er hätte geirrt, wenn er geglaubt hätte, das Schlimmste hinter sich zu haben. Aber das glaubte er gar nicht. Dennoch sollte er enttäuscht werden. Der weitere Weg war zwar technisch wesentlich einfacher, aber die rostknirschenden toten Sträucher wichen einer fettigen, glänzenden, schwarzen Masse. Ihre Drahtknäuel waren wie mit kleinen Beeren mit jenen Verdickungen besetzt, die er sofort erkannte.

Hin und wieder schwärmten leise summende Rauchwölkchen daraus hervor und kreisten in der Luft — dann erstarrte er jedesmal, aber nicht lange, sonst hätte er nie die Talsohle erreicht. Eine Weile schob er sich rittlings weiter.

Dann wurde der Felsrücken breiter und weniger steil, so daß er absteigen konnte, allerdings nicht mühelos und nicht, ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen. Aber ihm wurde gar nicht bewußt, wie weit er bei dem langen Abstieg schon vorangekommen war, weil seine Aufmerksamkeit geteilt, auf beide Seiten zugleich gerichtet war. Bisweilen mußte er so dicht an den stäubenden Büschen vorbei, daß ihre pinselähnlichen Drähte die Falten seines Schutzanzuges streiften.

Doch nicht ein einziges Mal näherten sich ihm die über ihm dahinsegelnden, im Sonnenlicht funkelnden Wölkchen. Als er endlich auf der Geröllhalde stand, nur wenige Meter von dem mit knochenharten, weißen Steinen besäten Grund der Schlucht entfernt, war es kurz vor zwölf Uhr. Er war bereits unterhalb der Sträucherzone. Den Hang, den er hinabgestiegen war, beleuchtete zur Hälfte die hohe Sonne. Jetzt hätte er die bisherige Wegstrecke überblicken können, aber er wandte sich nicht um. Er lief bergab, versuchte das Körpergewicht von einem Bein auf das andere zu verlagern, sprang von Stein zu Stein, so schnell er nur konnte, aber das bröckelige Geröll der Halde folgte ihm rasselnd und polternd, und plötzlich, ganz in der Nähe des ausgetrockneten Baches, rutschte es unter ihm weg, und er stürzte so heftig zu Boden, daß sich die Sauerstoffmaske verschob und er einige Dutzend Meter den Hang hinunterrollte. Schon hatte er sich wieder hochgerissen, um trotz seiner Verletzungen weiterzulaufen, weil er fürchtete, den Mann, den er von oben gesehen hatte, aus den Augen zu verlieren — beide Hänge, besonders aber der Hang gegenüber, waren voll dunkler Grotteneingänge —, als ihn etwas warnte. Und ehe er begriffen hatte, fiel er wieder auf die scharfkantigen Steine und blieb mit ausgebreiteten Armen liegen. Ein leichter Schatten senkte sich von oben auf ihn herunter, und mit einem monotonen, anwachsenden, vom Pfeifen bis zum Baßgedröhn alle Register umfassenden Brausen zog ein formloses, schwarzes Wolkenknäuel heran und hüllte ihn ein. Er hätte vielleicht die Augen schließen sollen; aber er tat es nicht. Er dachte noch, der kleine, in den Schutzanzug eingenähte Apparat möge durch den heftigen Sturz nicht gelitten haben; dann versank er in Reglosigkeit, die er sich selbst gebot. Er bewegte nicht einmal die Augäpfel, und doch sah er, daß die kribbelnde Wolke über ihm stehenblieb und einen träge züngelnden Arm ausstreckte. Das Ende dieses Arms konnte er von nahem betrachten, es sah aus wie die Öffnung eines tintenschwarzen Strudels.

Auf der Kopfhaut, auf den Wangen, auf dem ganzen Gesicht spürte er einen tausendfachen, warmen Lufthauch wie einen aus Millionen winziger Teilchen bestehenden Atem.

Etwas streifte in Brusthöhe seinen Schutzanzug. Fast völlige Finsternis umfing ihn. Mit einemmal wich der Arm, der sich wie eine kleine Lufttrombe krümmte, in die Wolke zurück.

Das Summen wurde schrill. Die Zähne taten ihm weh davon, er spürte es mitten im Kopf. Da ließ es nach. Die Wolke stieg fast senkrecht hoch, wurde ein schwarzer Nebel, der sich von einem Hang zum anderen ausbreitete, zerfiel in einzelne, konzentrisch schwirrende Knäuel, kroch in den steifen Gestrüppelz und verschwand. Lange Zeit nodi lag er reglos und wie tot. Ihn durchfuhr der Gedanke, nun sei es vielleicht schon soweit. Nun wisse er nicht mehr, wer er sei, wie er hierhergekommen sei und was er hier zu suchen habe. Und bei diesem Gedanken übermannte ihn eine solche Angst, daß er sich mit einem Ruck aufsetzte. Plötzlich mußte er lachen. Wenn er das denken konnte, so hieß das doch, daß er verschont geblieben war, daß ihm die Wolke nichts angetan, daß er sie überlistet hatte. Er bemühte sich, dieses kitzelnde, idiotische Lachen zu unterdrücken, das ihm in die Kehle gestiegen war und nun seinen ganzen Körper schüttelte. Das ist reine Hysterie, dachte er und erhob sich.

Er hatte sich schon beinahe wieder gefaßt, so schien es ihm zumindest, rückte die Sauerstoffmaske zurecht und schaute sich um. Der Mann war nicht mehr da. Aber er hatte seine Schritte gehört. Er war sicherlich bereits an der Stelle vorbeigekommen und hinter einem bis in die Mitte der Schlucht vorgeschobenen, querliegenden Felsen verschwunden. Er lief ihm hinterher. Das Echo der Schritte näherte sich immer mehr und war merkwürdig laut, als stapfte der andere in Eisenschuhen dahin. Rohan rannte und fühlte einen stechenden Schmerz im Schienbein vom Knöchel bis zum Knie.

Gewiß habe ich mir das Bein verstaucht, dachte er und ruderte verzweifelt mit den Armen. Wieder bekam er nicht genügend Luft und drohte fast zu ersticken, da erblickte er ihn. Er machte mechanisch riesige Schritte und setzte die Füße von Stein zu Stein. Die nahen Felswände warfen das Stampfen klatschend zurück. Und plötzlich glaubte Rohan, die Welt sollte einstürzen: Es war ein Roboter, kein Mensch!

Einer der Arctane. Er hatte mit keiner Silbe an deren Geschick gedacht, daran, was aus ihnen nach der Katastrophe geworden sein mochte. Sie waren in dem mittleren Transporter gewesen, als die Wolke angriff. Da sah er, daß der linke Arm des Roboters fühllos herunterhing und zertrümmert war, sein einstmals glänzender, gewölbter Panzer war zerbeult und von Rissen zerfurcht. Die Enttäuschung war groß, und doch fühlte sich Rohan bald wohler bei dem Gedanken, daß er bei der weiteren Suche zumindest solch einen Gefährten zur Seite haben würde. Er wollte den Roboter heranrufen, aber etwas hielt ihn davon ab. Er lief nur schneller, an ihm vorbei, stellte sich ihm in den Weg und wartete.

Aber der Zweieinhalbmeterriese schien ihn nicht zu bemerken.

Das schüsselähnliche Ohr seiner Radarantenne war teilweise zerstört — Rohan stellte das jetzt von nahem fest —, und dort, wo früher das Objektiv des linken Auges gewesen war, gähnte ein Loch mit schartigem Rand. Er hielt sich aber völlig sicher auf den mächtigen Füßen und zog nur das linke Bein nach. Als der Abstand zwischen ihnen auf ein paar Schritt zusammengeschrumpft war, rief Rohan ihn an, aber der Arctan schob sich wie blind geradenwegs auf ihn zu, und er mußte in letzter Sekunde ausweichen. Dann lief er zum zweitenmal zu dem Roboter hin und wollte ihn an der Metallpfote packen, aber der Roboter entriß sie ihm mit weit ausholender, gleichgültiger Bewegung und setzte seinen Weg fort. Rohan begriff, daß auch der Arctan ein Opfer des Angriffs geworden war und er nicht auf ihn zählen konnte. Aber es fiel ihm schwer, die hilflose Maschine ohne weiteres ihrem Schicksal zu überlassen. Überdies erwachte die Neugier in ihm, wohin dieser Roboter eigentlich strebte, denn er wählte einen möglichst ebenen Weg, als hätte er ein bestimmtes Ziel. Nach kurzem Überlegen — der Arctan hatte sich inzwischen ein paar Dutzend Meter entfernt — folgte er ihm schließlich. Der Roboter langte bald an einer Geröllhalde an und stieg hinauf, ohne sich im geringsten um die Trümmerbäche zu kümmern, die unter seinen breiten Füßen hinabrannen. So hatte er das Schuttfeld ungefähr zur Hälfte erklommen, da stürzte er plötzlich und rutschte abwärts. Fallend strampelte er heftig mit den Beinen, so daß ein Beobachter unter anderen Umständen vielleicht so— gar hätte lachen müssen. Dann stand er auf und begann von neuem, den.Hang zu erklettern.

Rohan machte rasch kehrt und ging davon. Doch noch lange vernahm er das Getöse auf der Geröllhalde und das wiederkehrende, schwerfällige metallene Schlurfen, das die Felswände einander als vielfaches Echo zuwarfen. Er kam jetzt flink voran, weil der Weg über die flachen Steine im Bachbett ziemlich eben war und sanft abfiel. Von der Wolke war nichts zu sehen, nur manchmal ließ ein Zittern der Luft über den Hängen das Brodeln im schwarzen Dickicht ahnen.

So langte er an der breitesten Stelle der Schlucht an, die hier in einen von felsigen Höhen gerahmten Talkessel mündete.

Rund zwei Kilometer entfernt lag das Felsentor, der Ort der Katastrophe. Jetzt erst wurde ihm bewußt, wie sehr ihm der Olfaktometer fehlen würde. Er hätte ihm behilflich sein können, menschliche Spuren aufzufinden, doch das Gerät wäre für einen Fußgänger zu schwer gewesen. Er mußte also ohne ihn auskommen. Er blieb stehen und musterte die Felsen. Daß jemand in dem Metallgestrüpp Zuflucht gesucht hatte, war ausgeschlossen. Blieben nur die Grotten, Höhlen und Felsmulden — von seinem Standort aus zählte er vier. Hohe Felsschwellen mit senkrechten Wänden, die nicht alltägliche Ersteigungsschwierigkeiten verhießen, entzogen deren Inneres seinem Blick. Daher entschloß er sich, als erstes der Reihe nach die Grotten zu untersuchen.

Schon vorher, an Bord des Raumkreuzers, hatte er zusammen mit den Ärzten und den Psychologen überlegt, wo die Verschollenen zu suchen seien, das heißt, wo sie sich versteckt haben könnten. Aber im Grunde hatte ihm diese Beratung nicht viel genützt, weil das Verhalten eines Amnesiegelähmten unberechenbar ist. Daß sich die Vermißten zu viert von Regnars übrigen Leuten entfernt hatten, deutete auf eine Aktivität hin, die sie von den anderen unterschied.

Und in gewisser Hinsicht ließ auch die Tatsache, daß die Spuren der vier bis zu dieser Stelle auf dem abgesuchten Gelände nicht auseinandergeführt hatten, darauf hoffen, sie alle zusammen zu finden — natürlich nur, wenn sie überhaupt noch am Leben waren und sich nicht oberhalb des Felsentores in verschiedene Richtungen gewandt hatten.

Rohan suchte nacheinander zwei kleine und vier größere Grotten ab, in die er verhältnismäßig leicht gelangte — er brauchte nur ein paar große, schräge Felsplatten zu überklettern.

Das war ungefährlich und dauerte nur wenige Minuten.

In der letzten Grotte stieß er auf zum Teil überschwemmte Metalltrümmer, die er anfangs für das Skelett des zweiten Arctans hielt; aber sie waren uralt und erinnerten nicht an eine ihm bekannte Konstruktion. In einem flachen Tümpel, der sichtbar war, weil die glatte, wie polierte Gewölbedecke spärliches Tageslicht widerspiegelte, lag eine merkwürdige, längliche Form, die ein wenig einem fünf Meter langen Kreuz ähnelte. Das Blech, das sie von außen umgeben haben mochte, war längst zerfallen, hatte sich auf dem Grunde mit Schlamm vermischt und eine rostrot gefärbte Masse gebildet. Rohan konnte sich nicht erlauben, diesen ungewöhnlichen Fund, vielleicht das Wrack eines jener Makroautomaten, die durch die Siegerin der toten Evolution, die Wolke, ausgerottet worden waren, genauer zu untersuchen. Er prägte sich nur das Bild ein: verschwommene Umrisse von Bändern und Stangen, die wohl mehr zum Fliegen als zum Gehen gedient hatten. Die Uhr gebot immer größere Eile, und unverzüglich machte er sich daran, die nächsten Höhlen abzusuchen. Doch sie waren so zahlreich — von der Talsohle aus waren sie bisweilen als schwarz gähnende Fenster in den steilen Felswänden zu sehen gewesen —, und die häufig wassergefüllten, unterirdischen Gänge, die hier und da zu senkrecht abfallenden Schächten und Gräben mit eiskalten, gurgelnden Rinnsalen führten, hatten so viele Windungen, daß er nicht wagte, weit in sie vorzu— stoßen. Außerdem besaß er nur eine kleine Handlampe, die verhältnismäßig schwaches Licht gab und besonders in den weitläufigen Grotten mit ihren hohen Deckengewölben und den unzähligen Galerien, auf die er einigemal stieß, machtlos war. Schließlich, als er vor Erschöpfung beinahe zusammenbrach, ließ er sich auf einem riesigen, von den Sonnenstrahlen erwärmten, flachen Stein am Ausgang einer eben durchsuchten Höhle nieder, kaute einige Riegel des Preßkonzentrats und spülte die trockenen Bissen mit Wasser aus dem Wildbach hinunter. Mehrmals glaubte er das Rauschen der heranziehenden Wolke zu hören, aber es war wohl nur das Echo der Sisyphusarbeit jenes Arctans, das von den oberen Talregionen herüberhallte. Als er seine schmalen Vorräte verzehrt hatte, war ihm bedeutend wohler.

Am meisten wunderte ihn, daß ihn die gefährliche Nachbarschaft immer weniger kümmerte: das schwarze Dickicht, das sich die Hänge hinaufschob, wohin er auch blickte.

Er kletterte den Felsvorsprung vor der Höhle hinunter, auf dem er gerastet hatte, und gewahrte eine Art dünnen, rostigen Streifens, der sich über die trockenen Steine auf der anderen Talseite zog. Als er dort eintraf, erkannte er Blutspuren.

Sie waren völlig eingetrocknet und hatten sich verfärbt, und wäre nicht das ausnehmend helle Weiß des Felsengesteins gewesen, das an Kalkstein erinnerte, so wären sie ihm gewiß entgangen. Er versuchte herauszubekommen, welche Richtung der Verletzte eingeschlagen hatte, aber es gelang ihm nicht. So marschierte er denn aufs Geratewohl talaufwärts, von dem Gedanken beflügelt, daß es sich vielleicht um einen Mann handelte, der bei dem Kampf zwischen dem Zyklopen und der Wolke verwundet worden war und die Kampfstätte hatte verlassen wollen. Die Spuren kreuzten sich, an manchen Stellen brachen sie ab, doch schließlich führten sie ihn in die Nähe einer Höhle, die er als eine der ersten abgesucht hatte. Um so größer war seine Oberraschung, als sich herausstellte, daß sich neben dem Eingang ein senkrechter, schachtähnlicher, enger Spalt auftat, den er zuvor nicht bemerkt hatte. Dort endete die Blutspur.

Rohan ließ sich auf die Knie nieder und beugte sich über das halbdunkle Loch. Obwohl er auf das Schlimmste gefaßt war, vermochte er einen gepreßten Aufschrei nicht zu unterdrücken, denn er erblickte Benningsens Kopf, der ihm mit leeren Augenhöhlen und gebleckten Zähnen entgegenstarrte.

Er erkannte ihn am Goldrand der Brille, deren Gläser wie durch eine Ironie des Schicksals heil geblieben waren und im Widerschein des Lichtes, das von der über diesen Felsensarg geneigten Kalksteinplatte einfiel, in reinem Glanz funkelten. Der Geologe war eingeklemmt zwischen Gesteinsbrocken, deshalb war sein Körper, mit den Schultern in die natürliche Verkleidung des Steinschachtes eingekeilt, senkrecht stehengeblieben. Rohan wollte die Überreste des Mannes nicht so zurücklassen, aber als er sich ein Herz faßte und den Leichnam anzuheben versuchte, da spürte er durch den dicken Stoff des Schutzanzuges hindurch, daß er sich unter seinem Griff auflöste. Durch die Einwirkung der Sonnenstrahlen beschleunigt, die jeden Tag hier hereindrangen, hatte die Verwesung bereits ihr Werk getan. Rohan öffnete nur den Reißverschluß an der Brusttasche des Anzuges und entnahm ihr die Erkennungsmarke des Wissenschaftlers. Bevor er seinen Weg fortsetzte, wälzte er mit letzter Kraft eine der zunächst liegenden Felsplatten heran und deckte die Felsengruft damit zu.

Der erste war gefunden. Als Rohan sich ein ganzes Stück von jener Stelle entfernt hatte, fiel ihm ein, daß er eigentlich den Leichnam auf Radioaktivität hätte prüfen müssen, denn ihr Grad konnte in gewissem Sinne das Schicksal Benningsens und auch der anderen aufklären. Eine hohe Strahlungskonzentration wäre nämlich der Beweis gewesen, daß sich der Tote in der Nähe des Atomkampfortes aufgehalten hatte. Aber er hatte es vergessen, und nichts hätte ihn jetzt bewogen, den Stein wieder wegzuschieben. Gleichzeitig wurde Rohan sich bewußt, welch große Rolle bei seiner Suche der Zufall spielte, denn er hatte doch zweifellos vorher rund um diese Stelle alles sehr gründlich abgesucht.

Von einem neuen Gedanken beseelt, folgte er jetzt hastig der Blutspur, um ihren Anfang zu finden. Sie führte in beinahe gerader Linie ins Tal hinunter, als strebte sie dem atomaren Schlachtfeld zu. Aber bereits ein paar hundert Schritte weiter bog sie plötzlich ab. Der Geologe hatte sehr viel Blut verloren, desto erstaunlicher war es, daß er so weit gekommen sein sollte. Die Steine, die seit der Katastrophe nicht ein einziger Regentropfen genetzt hatte, waren stark mit Blut befleckt. Rohan erklomm ein paar wackelige, große Blöcke und war nun in einer weitläufigen, beckenähnlichen Mulde unterhalb einer kahlen Felsrippe. Das erste, was er sah, war die unnatürlich große, metallene Fußsohle eines Roboters. Er lag auf der Seite und war offensichtlich durch eine Weyr-Serie mittendurch gespalten. Etwas weiter entfernt lehnte an einem Stein in halb sitzender Stellung, fast in zwei Hälften zusammengeklappt, ein Mann mit einem Helm, dessen Wölbung rußgeschwärzt war. Der Mann war tot. Der Werfer hing noch an der schlaffen Hand und berührte mit dem blitzenden Lauf den Boden. Rohan wagte nicht gleich, den Mann anzufassen, sondern kniete nur bei ihm nieder und versuchte, ihm ins Gesicht zu blikken, aber es war genauso von der Verwesung verunstaltet wie Benningsens Gesicht. Da entdeckte er die breite, flache Geologentasche, die über der anscheinend geschrumpften Schulter des Mannes hing. Es war Regnar selbst, der Leiter der Expedition, — die im Krater überfallen worden war. Die Radioaktivitätsmessungen ergaben, daß der Arctan mit einer Weyr-Ladung zertrümmert worden war: der Indika tor registrierte die — charakteristischen Isotope seltener Erden.

Rohan wollte auch Regnar die Erkennungsmarke abnehmen, doch diesmal konnte er sich nicht dazu durchringen.

Er schnallte nur die Tasche ab, weil er so den Leichnam nicht zu berühren brauchte. Aber sie war bis obenhin mit Mineralbrocken vollgestopft. Nach kurzem überlegen brach er also mit dem Messer nur das am Leder befestigte Monogramm des Geologen ab, steckte es ein und versuchte, von einem hohen Stein aus die leblose Szene noch einmal überüberblickend, zu begreifen, was hier eigentlich geschehen war. Es sah aus, als hätte Regnar auf den Roboter geschossen.

Hatte der vielleicht ihn oder Benningsen angegriffen?

Konnte schließlich ein amnesiegelähmter Mensch überhaupt einen Angriff abwehren? Er sah, daß er des Rätsels Lösung nicht finden würde, er mußte weitersuchen. Wieder blickte er auf die Uhr: Es war kurz vor fünf. Wenn er nur auf den eigenen Sauerstoffvorrat angewiesen sein sollte, dann mußte er sich bereits auf den Rückweg machen. Da fiel ihm plötzlich ein, daß er doch die Sauerstoffbehälter aus Regnars Gerät ausschrauben könnte. Er hob also dem Toten den ganzen Apparat von den Schultern und stellte fest, daß ein Behälter noch voll war. Er tauschte ihn mit seinem geleerten aus und ging daran, rings um den Leichnam Steine aufzuhäufen.

Das nahm fast eine Stunde in Anspruch, aber er war der Ansicht, der Tote habe es ihm ohnehin überreichlich dadurch gelohnt, daß er ihm seinen Sauerstoffvorrat abgetreten hatte. Als der kleine Hügel fertig war, dachte Rohan, es wäre eigentlich gut gewesen, sich mit einer Waffe zu versehen, wie der gewiß noch geladene kleine Weyr-Werfer eine war. Aber wieder dachte er zu spät daran und mußte mit leeren Händen abziehen.

Es war kurz vor sechs. Er war so müde, daß er kaum noch die Füße heben konnte. Er besaß noch vier Tabletten eines stimulierenden Mittels. Eine davon nahm er und stand eine Minute später, als er spürte, daß die Kräfte zurückkehrten, vom Boden auf. Da er nicht die leiseste Ahnung hatte, wo er nun noch suchen sollte, lief er einfach geradenwegs auf das Felsentor zu. Als er noch etwa einen Kilometer davon entfernt war, warnte der Indikator vor zunehmender radioaktiver Verseuchung. Zunächst war sie noch ziemlich gering, und er schritt aus und beobachtete dabei das Gelände ringsum. Da die Schlucht viele Windungen hatte, wiesen nur manche Felsen an ihrer Oberfläche Spuren des Schmelzprozesses auf. Je weiter er kam, desto häufiger traf er jene charakteristische, rissige Glasur an, bis er schließlich ganze, zu riesigen Blasen erstarrte Felsbrocken erblickte, deren Oberfläche unter den Schlägen der thermischen Entladungen gekocht hatte. Er hatte hier eigentlich nichts mehr zu schaffen, dennoch ging er weiter. Die Meßuhr an seinem Handgelenk ließ jetzt ein leichtes, immer schnelleres Ticken hören, der Zeiger tanzte wie wild über die Skala, sprang von einem Teilstrich zum anderen. Endlich erkannte er in der Ferne die Reste des Felsentores, die in einen muldenähnlichen Kessel gestürzt waren. Er sah aus wie ein kleiner See, dessen Wasser durch einen gewaltigen Einschlag über die Ufer gespritzt und auf unheimliche Weise erstarrt war. Der Felssockel hatte sich in eine dicke Lavakruste verwandelt, und der einst schwarze Pelz des Metallgestrüpps war nun ein einziger Asche gewordener Fetzen. Im Innern der Schlucht schimmerten zwischen den Felswänden riesige Schründe von hellerer Färbung. Rohan machte eilends kehrt.

Und wieder kam ihm der Zufall zu Hilfe. Als er bereits an einem zweiten, bedeutend breiteren Felsentor hinter dem Kampfplatz anlangte, sah er in der Nähe, an einer Stelle, an der er schon einmal gewesen war, einen Metallgegenstand funkeln. Es war der Aluminiumreduktor eines Sauerstoffgerätes.

In einem flachen Spalt zwischen dem Felsen und dem ausgetrockneten Bachbett dunkelte ein Rücken in rauchgeschwärztem Schutzanzug. Die Leiche war ohne Kopf. Der fürchterliche Luftdruck hatte den Mann über einen Steinhaufen getragen und gegen den Felsen geschmettert.

Ein wenig abseits lag unbeschädigt die Waffentasche, darin stak fest der Weyr-Werfer und blitzte, als wäre er erst vor kurzem gereinigt worden. Rohan nahm ihn an sich.

Er wollte den Toten identifizieren, aber es war unmöglich.

Er marschierte weiter schluchtaufwärts. Das Licht auf dem Osthang färbte sich bereits rot und glitt wie ein flammender Vorhang immer höher, je tiefer die Sonne hinter den Bergrücken sank. Es war ein Viertel vor sieben. Rohan stand vor einem echten Dilemma. Bisher hatte er, zumindest in gewisser Beziehung, Glück gehabt: Er hatte seinen Auftrag erfüllt, war heil davongekommen und konnte zum Raumkreuzer zurückkehren. Daß der vierte Mann nicht mehr am Leben war, unterlag — davon war er überzeugt — keinem Zweifel, aber das hatte man schließlich schon an Bord des „Unbesiegbaren“ für sehr wahrscheinlich gehalten.

Er war hier, um sich Gewißheit zu holen. Hatte er also das Recht umzukehren? Die Sauerstoffreserve, die er Regnars Gerät verdankte, reichte für weitere sechs Stunden. Er hatte jedoch die ganze Nacht vor sich, in der er nichts unternehmen konnte, nicht nur wegen der Wolke, sondern allein, weil er fast völlig erschöpft war. Er schluckte eine zweite Tablette und versuchte, während er auf ihre Wirkung wartete, einen einigermaßen vernünftigen Plan für das weitere Vorgehen zu entwerfen.

Der blutrote Schein der untergehenden Sonne übergoß jetzt in immer satteren Tönen das schwarze Dickicht auf den Felsgraten hoch über ihm, die Zacken der Sträucher funkelten und schillerten in tiefem Violett.

Rohan vermochte sich noch immer nicht zu entschließen.

Als er so unter einem riesigen Felsblock saß, hörte er in der Ferne das volltönende Summen der heranziehenden Wolke.

Und seltsam — er erschrak nicht. Im Laufe dieses einen Tages hatte sich sein Verhältnis zu ihr merkwürdig gewandelt.

Er wußte, oder er glaubte zumindest zu wissen, wie weit er gehen durfte, wie ein Bergsteiger, den der Tod, der in den Gletscherwänden lauert, nicht schrecken kann. Allerdings war er sich dieser inneren Wandlung selbst nicht recht bewußt, denn er hatte nicht in seinem Gedächtnis den Augenblick registriert, da ihm zum erstenmal, als das schwarze Gestrüpp auf den Felsen in allen violetten Tönungen schillerte, dessen düstere Schönheit aufgegangen war. Aber jetzt, als er die schwarzen Wolken bereits gesichtet hatte — zwei Wolken schwärmten von den Hängen gegenüber auf und näherten sich —, rührte er sich überhaupt nicht, suchte auch nicht mehr mit gegen die Steine gepreßtem Gesicht Schutz. Schließlich war es ganz und gar gleichgültig, was er tat, wenn nur der verborgene, kleine Apparat funktionierte.

Er tastete durch den Stoff des Schutzanzugs hindurch nach dem münzenrunden Deckel und fühlte mit den Fingerspitzen ein zartes Vibrieren. Er wollte die Gefahr nicht herausfordern, deshalb setzte er sich nur bequemer hin, um nicht unnötig die Körperlage zu verändern. Die Wolken nahmen jetzt beide Seiten der Schlucht ein. Durch ihre schwarzen Knäuel schien eine Art ordnender Strom zu fließen, denn sie verdichteten sich an den Rändern, und ihre Innenflächen wölbten sich immer mehr und strebten einander zu. Es war gerade so, als formte sie ein riesiger Bildhauer mit ungemein raschen, unsichtbaren Handgriffen. Einige kurze Entladungen durchzuckten die Luft zwischen den am engsten benachbarten Punkten der beiden Wolken. Sie schienen aufeinander zuzurasen, und doch blieb jede auf ihrer Seite, und nur ihre mittleren Knäuel flatterten in heftigerem Rhythmus.

Der Lichtschein dieser Blitze war sonderbar dunkel. Beide Wolken flammten sekundenlang darin auf wie Milliarden im Flug erstarrter silbrigschwarzer Kristalle. Sobald dann die Felsen schwach und dumpf, als hätte plötzlich ein schalldämpfender Stoff sie überzogen, das Echo der Donnerschläge mehrmals zurückgeworfen hatten, vereinigten sich beide Seiten des schwarzen Meeres bebend und bis zum letzten angespannt und flossen ineinander. Die Luft darunter verfinsterte sich, als wäre die Sonne untergegangen, und zugleich tauchten unbegreifliche, jagende Linien darin auf, und Rohan begriff erst nach einer geraumen Weile, daß er das grotesk verzerrte Spiegelbild der Talsohle vor sich hatte.

Unterdessen wogten die Luftspiegel unter der Wolkendecke und dehnten sich, bis er mit einemmal eine riesenhafte, mit dem Kopf in die Finsternis hineinragende menschliche Gestalt erblickte, die ihn reglos anstarrte, obwohl das Bild selbst unablässig bebte und tanzte, als flammte es auf und erlöschte wieder in einem fortwährenden, geheimnisvollen Rhythmus. Und abermals vergingen Sekunden, bevor er darin das eigene, in dem leeren Raum zwischen den seitlichen Lappen der beiden Wolken schwebende Spiegelbild erkannte. Er war so erstaunt, so gelähmt von dem unbegreiflichen Tun der Wolke, daß er alles vergaß. Er dachte, daß die Wolke vielleicht von ihm, von der mikroskopischen Anwesenheit des letzten, lebenden Menschen inmitten des Gesteins wisse, aber auch dieser Gedanke schreckte ihn nicht.

Keineswegs, weil er zu unwahrscheinlich gewesen wäre — er hielt nichts mehr für unmöglich —, es drängte ihn einfach, an diesem düsteren Mysterium teilzuhaben, dessen Bedeutung er — da war er ganz sicher — niemals begreifen würde.

Sein gigantisches Spiegelbild, durch das die fernen Felshänge schwach hindurchschimmerten, zerfloß in den oberen Talpartien, die der Schatten der Wolke nicht erreichte. Zugleich schoben sich aus der Wolke unzählige Arme hervor.

Wenn sie einige aufgesaugt hatte, dann erschienen an ihrer Statt andere. Ein schwarzer Regen fiel, der immer dichter wurde. Winzige Kristalle stoben auf Rohan herab, streiften seinen Kopf, glitten am— Schutzanzug hinunter, sammelten sich in den Falten. Der schwarze Regen hielt an, und die Stimme der Wolke, dieses Tosen, das nicht nur das Tal, sondern offenbar die ganze Atmosphäre des Planeten erfaßt hatte, schwoll an. Einzelne Strudel bildeten sich in der Wolke, Fenster, durch die der Himmel zu sehen war. Der schwarze Mantel zerriß in der Mitte, zwei Wolkenberge segelten schwerfällig und gelangweilt auf das Gestrüpp zu und versanken und verschwanden schließlich in seiner reglosen Starre.

Rohan rührte sich noch immer nicht. Er war sich nicht im klaren, ob er die Kristalle, mit denen er übersät war, abschütteln durfte. Sie lagen überall auf den Steinen, das ganze Bachbett, das bisher schneeweiß geleuchtet hatte, sah aus wie mit Tinte bespritzt. Vorsichtig nahm er ein dreieckiges Kristall zwischen die Finger, doch da schien es plötzlich lebendig zu werden, streifte seine Hand mit leichtem Wärmehauch und erhob sich in die Luft, als Rohan instinktiv die Faust öffnete. Mit einemmal, wie auf ein vereinbartes Zeichen, wimmelte die ganze Umgebung wie ein Ameisenhaufen.

Diese Bewegung war nur in der ersten Sekunde chaotisch, dann bildeten schwarze Punkte eine Art Qualm— Schicht, die über dem Boden lagerte, verdichteten sich, ballten sich und stiegen als Säulen hoch. Es sah aus, als wären die Felsen selbst riesige, rauchende Opferfackeln ohne Flamme und Feuerschein geworden. Und jetzt erst geschah etwas Unbegreifliches: Als der aufsteigende Schwarm fast wie ein Wolkenball genau über dem mittleren Teil des Tals hing, tauchten vor dem Hintergrund des allmählich dunkleren Himmels wie riesenhafte, schwarze Ballons jene Wolken wieder aus dem Dickicht und stürzten sich mit rasender Geschwindigkeit darauf. Rohan meinte das merkwürdige Knirschen zusammenstoßender Luftmassen zu hören, aber das war wohl eine Täuschung. Er glaubte schon, er wohnte einem Kampf bei, und jene Wolken hätten die toten Insekten, die sie los sein wollten, ausgestoßen und auf den Grund der Schlucht geworfen, da erwies sich alles als ein Trugschluß.

Die Wolken teilten sich, und von der bauschigen Kugel blieb nichts übrig. Sie hatten sie verschluckt. Gleich darauf bluteten wieder nur die Felsgipfel in den letzten Sonnenstrahlen, und der weite Talkessel lag still und verlassen.

Da erhob sich Rohan, und er stand etwas wackelig auf den Beinen. Er kam sich plötzlich lächerlich vor mit dem Weyr-Werfer, den er dem Toten so eilfertig abgenommen hatte, mehr noch, er fühlte sich überflüssig in diesem Reich des vollendeten Todes, in dem nur tote Formen siegreich hatten überdauern können, um geheimnisvolle Vorgänge zu vollziehen, die nie ein lebendes Wesen erblicken sollte.

Nicht entsetzt, sondern benommen und voller Bewunderung hatte er das miterlebt, was kurz zuvor geschehen war.

Er wußte, daß kein Wissenschaftler fähig sein würde, seine Empfindungen zu teilen, aber er wollte jetzt nicht mehr nur zurückkehren, um Kunde vom Tode ihrer Gefährten zu bringen, sondern um zu fordern, daß der Planet unangetastet blieb. Nicht überall ist alles für uns bestimmt, dachte er, als er gemächlich abwärts stieg. Der Himmel war noch licht, und er gelangte bald auf den Kampfplatz. Dort erst mußte er sich beeilen, weil die Strahlung der glasigen Felsen, die in der sinkenden Dämmerung wie schaurige Silhouetten vorbeihuschten, immer stärker wurde. Schließlich lief er sogar. Die Felswände griffen den Widerhall seiner Schritte auf und gaben ihn weiter, und in diesem unaufhörlichen Echo, das seine Hast ins Riesenhafte steigerte, sprang er mit letzter Kraftanstrengung von Stein zu Stein, kam an bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzenen Maschinenresten vorbei und erreichte einen gewundenen Abhang, aber auch hier glühte die Skala des Strahlungsmessers rubinrot.

Er durfte nicht stehenbleiben, obwohl er Atembeschwerden hatte, und so drehte er, fast ohne langsamer zu werden, den Reduktor der Flasche bis zum Anschlag auf. Selbst wenn der Sauerstoff am Ende der Schlucht verbraucht sein sollte und er die Luft des Planeten würde atmen müssen, so war das gewiß immer noch besser, als länger hier zu verweilen, wo jeder Quadratzentimeter des Gesteins tödliche Strahlen von sich schleuderte. Der Sauerstoff schlug ihm in einer kalten Welle in den Mund. Es lief sich gut, weil die Oberfläche des erstarrten Lavastroms, den der zurückweichende Zyklop auf der Strecke seiner Niederlage hinterlassen hatte, glatt war, stellenweise wie Glas. Zum Glück hatte er gut haftende Profilsohlen an den Schuhen, er rutschte also nicht. Inzwischen war es so dunkel geworden, daß nur die hier und da unter der glasigen Schicht hervorschimmernden, hellen Steine den Weg nach unten zeigten. Unaufhörlich nach unten. Er wußte, daß er wenigstens noch drei Kilometer solcher Wegstrecke vor sich hatte. Es war unmöglich, bei dieser wilden Jagd Berechnungen anzustellen, aber dann und wann warf er doch einen Blick auf die rot pulsierende Scheibe des Strahlungsmessers. Etwa eine Stunde durfte er sich noch hier aufhalten zwischen den von der Annihilation verbogenen und geborstenen Felsen, dann würde die Dosis zweihundert Röntgen nicht überschreiten.

Fünf Viertelstunden mochten auch noch angehen, aber wenn er dann nicht den Rand der Wüste erreicht hatte, brauchte er sich nicht mehr zu beeilen.

Nach ungefähr zwanzig Minuten trat die Krise ein. Er empfand das Herz als ein grausames, unüberwindliches Etwas, das ihm von innen die Brust auseinanderstieß und wieder zusammenpreßte, der Sauerstoff brannte in Mund und Kehle wie lebendiges Feuer, Fünkchen tanzten ihm vor den Augen, das schlimmste aber war, daß er jetzt immer öfter stolperte. Die Strahlung war zwar etwas geringer geworden, der Indikator glomm in der Finsternis schwach wie ein verlöschendes Kohlestückchen, aber er wußte, daß er trotzdem laufen mußte, immer weiterlaufen, und die Beine versagten ihm bereits den Dienst. jede Faser seines Körpers hatte genug, alles in ihm schrie, anzuhalten, sich auf die scheinbar kühlen, unschädlichen gesprungenen Glasplatten zu werfen.

Als er zu den Sternen aufschauen wollte, strauchelte er und stürzte nach vorn auf die ausgestreckten Hände. Schluchzend schnappte er nach Luft. Er rappelte sich hoch, stand auf, lief taumelnd ein paar Schritte weiter, dann kehrte der Rhythmus zurück und trug ihn mit sich fort. Er hatte bereits jedes Zeitgefühl verloren. Wie fand er sich überhaupt in diesem dumpfen Schwarz zurecht? Er hatte alle Toten vergessen, das knöcherne Lächeln Benningsens, den unter den Steinen neben dem zertrümmerten Arctan ruhenden Regnar, den Mann ohne Kopf, den er nicht hatte identifizieren können, ja er hatte sogar die Wolke vergessen. Er war ganz und gar zusammengekrümmt von dieser Finsternis, sie hatte ihm das Blut in die Augengetrieben, mit denen er vergebens nach dem großen Sternenhimmel über der Wüste Ausschau hielt — die sandige ödnis schien ihm eine Erlösung.

Er lief blind drauflos, die Lider feucht von salzigem Schweiß, von einer Kraft getragen, über deren stetes Vorhandensein er sich mitunter noch wundern konnte. Es war, als wollten dieser Lauf und diese Nacht niemals enden.

Er sah eigentlich nichts mehr, als seine Füße plötzlich nur noch mühsam vorankamen, einsanken. In einem letzten Anfall der Verzweiflung hob er den Kopf und begriff mit einemmal, daß er in der Wüste war. Er erblickte die Sterne am Horizont, und als dann die Beine von selbst unter ihm nachgaben, suchte er mit den Augen die Scheibe des Strahlungsmessers, aber er konnte sie nicht sehen: Sie war dunkel, sie schwieg, er hatte den unsichtbaren Tod hinter sich in dem erkalteten Lavabett gelassen. Das war sein letzter Gedanke, denn als er den rauhen, kühlen Sand am Gesicht spürte, fiel er nicht in Schlaf, sondern in eine Starre, in der sein ganzer Körper noch verzweifelt arbeitete. Die Rippen zuckten, das Herz raste. Doch aus dem Dämmer völliger Erschöpfung glitt er in einen anderen, tieferen Dämmerzustand und verlor schließlich das Bewußtsein.

Plötzlich schrak er hoch und wußte nicht, wo er sich befand.

Er bewegte die Hände, fühlte den kalten Sand, der ihm durch die Finger rann, setzte sich auf und stöhnte unwillkürlich.

Ihm war heiß. Langsam kam er zu sich. Der Leuchtzeiger des Manometers stand auf Null. In der zweiten Flasche waren noch 18 Atmosphären. Er öffnete den Verschluß und stand auf. Es war ein Uhr. Die Sterne hoben sich scharf von dem schwarzen Himmel ab. Mit Hilfe des Kompasses fand er die Richtung, die er einschlagen mußte, und brach auf. Um drei Uhr nahm er das letzte Dragee zu sich. Kurz vor vier war der Sauerstoff aufgebraucht. Da warf er das Gerät weg, ging weiter und atmete anfangs nur zögernd. Aber als ihm die frische Luft des nahen Morgens die Lungen füllte, schritt er rascher aus und bemühte sich, an nichts anderes als an diesen Marsch durch die Sanddünen zu denken, in die er mitunter bis an die Knie einsank. Er war wie ein bißchen trunken, aber er wußte nicht, ob das die Gase der Atmosphäre bewirkten oder einfach die Übermüdung.

Wenn er vier Kilometer in der Stunde schaffte, würde er gegen elf Uhr den Raumkreuzer erreichen, hatte er sich ausgerechnet.

Er versuchte, das Tempo mit dem Schrittmesser zu kontrollieren, aber es gelang ihm nicht. Wie ein riesiger, weißlicher Streifen trennte die Milchstraße das Himmelsgewölbe in zwei ungleiche Teile. Er hatte sich schon so sehr an das spärliche Licht der Sterne gewöhnt, daß er die größten Dünen zu umgehen vermochte. Er stapfte und watete, und auf einmal bemerkte er am Horizont einen sonderbar gleichmäßigen Fleck ohne Sterne, eine kantige Silhouette.

Ohne zu wissen, was es war, strebte er dorthin, rannte, sank immer tiefer in den Sand ein, aber er spürte es überhaupt nicht. Da schlug er wie ein Blinder mit ausgestreckten Händen gegen hartes Metall. Es war ein Geländefahrzeug, leer und verlassen. Vielleicht eins von denen, die Horpach am Morgen zuvor ausgesandt hatte, vielleicht auch ein anderes, eins von Regnars Gruppe. Er dachte nicht darüber nach, stand einfach da, keuchte und umfaßte mit beiden Armen die Maschine. Die Müdigkeit zog ihn zu Boden. Neben dem Fahrzeug in den Sand fallen, einschlafen und bei Sonnenaufgang weitergehen…

Langsam hangelte er sich auf den gepanzerten Rücken hinauf, ertastete den Klappengriff und öffnete das Luk. Die Lämpchen flammten auf. Er rutschte auf den Sitz hinunter.

Ja, jetzt war ihm endgültig klar, daß er in einem Rausch war, bestimmt von dem Gas vergiftet, denn er konnte die Schalter nicht finden. Er erinnerte sich nicht, wo sie angebracht waren, er wußte nichts mehr… Schließlich stieß die Hand von selbst auf den abgegriffenen Knopf und schob ihn zur Seite. Der Motor maunzte leise und sprang an. Rohan klappte den Deckel des Kreiselkompasses auf. Nur diese eine Zahl kannte er noch ganz genau, den Kurs für die Rückkehr.

Eine Zeitlang rollte das Fahrzeug im Dunkeln dahin, Rohan hatte vergessen, daß es Scheinwerfer gab.

Um fünf war es noch finster. Da erblickte er vor sich in der Ferne zwischen den weißen und den bläulichen Sternen einen rubinroten Stern ganz niedrig über dem Horizont.

Rohan zwinkerte benommen. Ein roter Stern? Undenkbar… Ihm schien, daß jemand neben ihm saß, bestimmt Jarg, und er wollte ihn fragen, was das für ein Stern sein könnte. Plötzlich schrak er hoch, wie vom Schlag gerührt.

Es war das Buglicht des Raumkreuzers. Er fuhr geradenwegs auf dieses rubinrote Tröpfchen in der Finsternis zu. Es stieg allmählich höher und wurde schließlich eine helle Kugel, in deren Widerschein der Mantel des Raumschiffes schimmerte.

Das rote Auge zwischen den Uhren blitzte auf, der Summer meldete sich und zeigte die Nähe eines Kraftfeldes an. Rohan schaltete den Motor ab. Das Fahrzeug glitt einen Dünenhang hinunter und blieb stehen. Er war nicht sicher, ob er noch einmal die Kraft haben würde, in das Fahrzeug zu steigen, wenn er es einmal verlassen hatte. Er griff also in das Gerätefach und zog eine Leuchtpistole hervor, und weil ihm die Hand zitterte, stützte er den Ellbogen auf das Steuer, hielt die Hand mit der anderen fest und drückte auf den Abzug. Ein orangeroter Streifen stieß in die Dunkelheit.

Der kurze Flug der Leuchtkugel endete plötzlich in einem Sternenregen — sie war auf die Wand des Kraftfeldes getroffen wie auf unsichtbares Glas. Er schoß immer wieder, bis das Magazin trocken rasselte. Die Munition war aufgebraucht.

Aber man hatte ihn ohnehin bemerkt. Als erste hatten wohl die Wachhabenden in der Steuerzentrale Alarm geschlagen, denn fast gleichzeitig flammten unter der Spitze des Raumkreuzers zwei große Jupiterlampen auf, die mit weißen Zungen den Sand leckten und sich über dem Fahrzeug kreuzten. Zugleich erstrahlte die Rampe in hellem Licht, und wie eine kalte Flamme glühte der ganze Schacht des Personenaufzugs im Schein der Leuchtröhren. Die Fallreeps wimmelten in Sekundenschnelle von Leuten, schon leuchteten auf den Dünen um das Heck die Scheinwerfer auf, drehten sich und warfen schaukelnde Lichtgarben aus, und dann blitzte das Spalier der blauen Leuchtfeuer auf und zeigte an, daß der Weg durch das Kraftfeld frei war.

Die Leuchtpistole war Rohan aus der Hand gefallen, und er wußte nicht, wann er über den Seitenflügel des Fahrzeugs hinuntergeglitten war. Mit schwankenden, übertrieben großen Schritten, unnatürlich straff aufgerichtet, mit geballten Fäusten, um das unerträgliche Zittern der Finger zu unter— drücken, ging er geradenwegs auf das zwanzigstöckige Raumschiff zu, das in seiner Lichterflut vor dem verblassenden Himmel stand, so majestätisch in seiner reglosen Größe, als wäre es wirklich unbesiegbar.

Загрузка...