Die Wolke

Sie gewöhnten sich bereits an den Planeten, an sein stets gleichbleibendes Wüstengesicht mit den verschwindend kleinen Schatten der unnatürlich hellen Wolken, die immer auseinanderzufließen schienen, und zwischen denen auch tagsüber die lichtstarken Sterne hindurchschimmerten, an den knirschenden Sand, der unter den Rädern und den Fußsohlen auswich, an die träge, rote Sonne, deren Strahlen den Körper unvergleichlich zarter berühren als die der irdischen, so daß man, wenn man ihr den Rücken zuwandte, statt der Wärme nur ihre stumme Anwesenheit spürte.

Morgens zogen die Arbeitsgruppen aus, jede in ihre Richtung, die Energoboter verschwanden, wie plumpe Kähne schaukelnd, zwischen den Dünen; die Staubwolke legte sich, und die beim „Unbesiegbaren“ zurückbleibenden Männer rätselten, was es wohl zu essen geben werde, unterhielten sich über das, was der Bootsmann, der Radarbeobachter zu seinem Kollegen von den Nachrichtentechnikern gesagt hatte, oder versuchten, sich an den Namen des Kurspiloten zu erinnern, der sechs Jahre zuvor bei einem Unfall auf dem Navigationssatelliten Terra 5 ein Bein verloren hatte. So schwatzend, vertrieben sie sich die Zeit, saßen auf leeren Kanistern unter der Rakete, deren Schatten wie der Zeiger einer gigantischen Sonnenuhr kreiste und zugleich immer länger wurde, bis er an den Ring der Energoboter stieß. Da erhoben sie sich und hielten Ausschau nach den anderen.

Diese kehrten erschöpft und hungrig zurück, und mit einemmal erlosch die Spannkraft, die die Arbeit in den Metalltrümmern der „Stadt“ ihnen verliehen hatte, ja selbst die „Kondorgruppe“ brachte schon nach einer Woche keine sensationellen Neuigkeiten mehr mit, die darin bestanden hatten, daß sie eine der geborgenen Leichen hatte identifizieren können. Und die Funde, die in den ersten Tagen noch Wahrzeichen des Grauens gewesen waren, wurden sorgsam verpackt — wie sollte man die gewissenhafte Einlagerung aller unversehrten menschlichen Überreste in hermetisch verschlossenen Behältern, die ins tiefste Innere des Raumschiffes wanderten, sonst bezeichnen? — und verschwanden.

Da bemächtigte sich der Männer, die noch immer den Sand rings um das Heck des „Kondors“ absuchten und die Innenräume durchstöberten, an Stelle der Erleichterung, die man vielleicht hätte erwarten können, eine solche Langeweile, daß sie sich, als hätten sie vergessen, was der ehemaligen Besatzung zugestoßen war, auf das Sammeln von allerlei lächerlichem Kram verlegten, der seine nicht mehr feststellbaren Eigentümer überlebt hatte. So brachten sie keine Dokumente, die das Geheimnis hätten lüften können, aber nicht zu finden waren, sondern eine alte Mundharmonika oder ein chinesisches Geschicklichkeitsspiel mit, und diese Gegenstände kamen, des schaurigen Dunkels ihrer Herkunft bereits entledigt, in Umlauf und wurden gemeinsames Eigentum der Besatzung.

Rohan hätte es niemals für möglich gehalten, doch er benahm sich bereits nach einer Woche ebenso wie die anderen.

Und nur manchmal, wenn er allein war, fragte er sich, wozu er eigentlich hier sei, und dann spürte er, daß ihre ganze Arbeit, die emsige Geschäftigkeit, der komplizierte Ablauf der Forschungsarbeiten, Durchleuchtungen, Probeentnahmen, Gesteinsbohrungen, erschwert durch die dritte Alarmstufe, durch das öffnen und Schließen der Kraftfelder, durch die Laserwaffen mit ihren genau berechneten Feuerbereichen, durch die dauernde optische Kontrolle, die ständigen Berechnungen und die Mehrkanalverbindung — daß all das ein einziger, großer Selbstbetrug war, daß sie im Grunde nur auf ein neues Ereignis, ein neues Unglück warteten und lediglich taten, als wäre es nicht so.

Anfangs drängten sich die Leute morgens vor dem Lazarett des „Unbesiegbaren“, um Neues über Kertelen zu erfahren.

Er schien ihnen nicht so sehr das Opfer eines geheimnisvollen Überfalls, als vielmehr ein menschenunähnliches Wesen, ein Ungeheuer, das sich von ihnen allen unterschied, gerade als glaubten sie an phantastische Märchen und wären überzeugt, unbekannte, feindliche Mächte des Planeten hätten einen Menschen, einen von ihnen, in ein Monstrum zu verwandeln vermocht. In Wirklichkeit war er jedoch nur ein Krüppel. Im übrigen stellte sich heraus, daß sein Verstand, unbenutzt wie der eines Neugeborenen und ebenso leer, die Kenntnisse, die ihm die Ärzte vermittelten, aufnahm, und allmählich lernte er sprechen, genau wie ein kleines Kind. Aus dem Lazarett drang nun nicht mehr jenes jeglichem menschlichen Laut unähnliche Winseln, dieses sinnlose Säuglingsgreinen, das so furchtbar gewesen war, weil die Kehle eines erwachsenen Mannes es ausgestoßen hatte. Eine Woche später formte Kertelen die ersten Silben und erkannte bereits die Ärzte, obwohl er ihre Namen nicht aussprechen konnte.

Mit Beginn der zweiten Woche ließ das Interesse an ihm merklich nach, vor allem, als die Ärzte erklärten, er werde über die Umstände des Unfalls nichts sagen können, selbst dann nicht, wenn er in den Normalzustand zurückkehren oder vielmehr seine sonderbare, aber notwendige Geisteserziehung erfolgreich beenden sollte.

Die Arbeiten wurden indes fortgeführt. „Stadtpläne“ und Details über die Konstruktion der „Strauchpyramiden“ häuften sich, obwohl ihre Bestimmung nach wie vor dunkel blieb. Da der Astrogator der Ansicht war, weitere Untersuchungen des „Kondors“ brächten nichts ein, wurden sie abgebrochen. Das Raumschiff selbst mußte aufgegeben werden, weil die Reparatur der Außenhaut die Möglichkeite.“ der Ingenieure überstieg, zumal da viel dringlichere Arbeiten zu erledigen waren. So schafften sie nur eine große Anzahl Energoboter, Transporter, Geländefahrzeuge und Apparaturen zum „Unbesiegbaren“, das Wrack hingegen, das das Schiff nach einer so gründlichen Räumung geworden war, machten sie dicht und trösteten sich damit, daß sie selbst oder eine der nächsten Expeditionen den Kreuzer auf jeden Fall in seinen Mutterhafen zurückbringen würden.

Darauf setzte Horpach die „Kondorgruppe“ im Norden ein. Unter dem Kommando Regnars schloß sie sich Gallaghers Gruppe an. Rohan selbst war jetzt Hauptkoordinator aller Forschungsarbeiten und verließ die nähere Umgebung des „Unbesiegbaren“ jeweils nur kurze Zeit, und auch das nicht jeden Tag.

In einem von unterirdischen Quellen unterspülten Schluchtensystem machten die beiden Gruppen eigenartige 'Funde. Die Tonablagerungen waren schichtweise von einer rötlich-schwarzen Substanz durchzogen, die weder geologischen noch planetaren Ursprungs war. Die Spezialisten konnten nicht viel dazu sagen. Es sah aus, als hätten sich an der Oberfläche der alten Basaltplatte, der Bodenschicht der Rinde, Jahrmillionen zuvor eine Unmenge Metallteilchen, möglicherweise einfach metallähnliche Splitter, abgelagert — die Hypothese tauchte auf, in der Atmosphäre der Regis sei ein riesiger Eisen-Nickel-Meteor explodiert und habe sich mit Feuerkatarakten in das uralte Gestein eingeschmolzen, die einer allmählichen Oxydation unterlegen, chemische Verbindungen eingegangen waren und sich schließlich in die schwarzbraunen, stellenweise purpurroten Ablagerungen verwandelt hatten.

Diese Schürfarbeiten waren bisher lediglich in einen Teil der Gesteinsschichten vorgedrungen, deren komplizierte geologische Struktur sogar einen erfahrenen Planetologen verwirren konnte. Als man Schächte bis hinunter auf den mehr als eine Milliarde Jahre alten Basaltgrund getrieben hatte, stellte sich heraus, daß das darüberliegende Gestein trotz der weit fortgeschrittenen Rekristallisation Kohle organischen Ursprungs enthielt. Anfangs glaubten die Wissenschaftler, das sei einstmals der Meeresboden gewesen. Doch dann entdeckten sie in den echten Steinkohleschichten Abdrücke zahlreicher Pflanzenarten, die nur auf dem Festland existiert haben konnten. Allmählich gewannen sie einen genaueren Überblick über die damals lebenden Kontinentalformen des Planeten. Nun war bekannt, daß dreihundert Millionen Jahre zuvor primitive Reptilien seine Urwälder bewohnt hatten. Triumphierend brachten sie die Reste der Wirbelsäule und der Hornkiefer eines solchen Tieres mit.

Die Besatzung war weniger begeistert. Die Evolution an Land hatte sich, wie es schien, zweimal vollzogen. Der erste Untergang der lebenden Welt fiel in eine ungefähr hundert Millionen Jahre zurückliegende Epoche. Damals war es zu einem Massensterben von Pflanzen und Tieren gekommen, dessen Ursache wahrscheinlich eine nahe Nova-Explosion gewesen war. Das Leben war nach diesem Niedergang jedoch wiedererstanden und in neuen Formen erblüht. Allerdings ließen weder Anzahl noch Zustand der geborgenen Überreste eine genauere Klassifizierung zu. Der Planet hatte niemals säugetierähnliche Formen hervorgebracht.

Nach weiteren neunzig Millionen Jahren hatte abermals, doch diesmal weit von ihm entfernt, eine Sterneruption stattgefunden. Ihre Spuren waren in Gestalt von Isotopen festzustellen. Den berechneten Näherungswerten nach war die Intensität der harten Strahlung an der Oberfläche nicht stark genug gewesen, so gewaltige Verluste hervorzurufen.

Um so weniger war zu begreifen, daß von da an Pflanzenund Tierreste in den jüngeren Gesteinsschichten immer seltener wurden. Dafür fanden sie jenen gepreßten „Ton“, Antimonsulfide, Molybdän- und Eisenoxyde, Nickel-, Kobalt- und Titansalze in immer größeren Mengen.

Die sechs bis acht Millionen Jahre alten und verhältnismäßig flach liegenden, metallhaltigen Schichten hatten stellenweise starke Zentren, aber diese Radioaktivität war, an dem Bestehen des Planeten gemessen, recht kurzlebig. Irgend etwas schien in jener Zeit eine Reihe heftiger, aber nur örtlicher Kernreaktionen ausgelöst zu haben, deren Produkte sich in den „metallhaltigen Tonschichten“ abgelagert hatten.

Neben der Hypothese vom „radioaktiven Eisenmeteor“ wurden andere, höchst phantastische Vermutungen geäußert, die die seltsamen Zentren „radioaktiver Hitze“ mit dem Untergang des Planetensystems der Leier und der Vernichtung seiner Zivilisation in Verbindung brachten.

Man nahm daher an, daß während der Besiedlungsversuche der Regis iii atomare Auseinandersetzungen zwischen den aus dem bedrohten System entsandten Raumschiffen stattgefunden hatten. Aber das erklärte wieder nicht die Ausmaße der merkwürdigen, metallhaltigen Schichten, die man bei Probebohrungen auch in anderen, weiter entfernten Gebieten entdeckt hatte. Immerhin drängte sich mit aller Macht ein ebenso rätselhaftes wie einleuchtendes Bild auf: Das Leben auf dem Festland des Planeten war in demselben Jahrmillionen umfassenden Zeitraum ausgestorben, in dem die metallhaltigen Ablagerungen entstanden waren.

Die Radioaktivität konnte nicht die Ursache für die Vernichtung der lebenden Formen gewesen sein: Man hatte die allgemeine Strahlungsmenge in Kernexplosionsäquivalente umgerechnet. Sie betrug zwanzig bis dreißig Megatonnen; auf Hunderte von Jahrtausenden verteilt, vermochten solche Explosionen — wenn es überhaupt Atomexplosionen und nicht andere Kernreaktionen waren — die Evolution biologischer Formen natürlich nicht ernstlich zu gefährden.

Da die Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen jenen Ablagerungen und den Ruinen der „Stadt“ vermuteten, bestanden sie darauf, die Forschungsarbeiten fortzuführen.

Das war mit mannigfaltigen Schwierigkeiten verbunden, denn das, Schürfen erforderte erhebliche Abraumarbeiten.

Der einzige Ausweg waren unterirdische Stollen, allerdings genossen die Leute unter Tage dann nicht mehr den Schutz der Kraftfelder. Da wurden in einer Tiefe von gut zwanzig Metern in einer mit Eisenoxyden stark angereicherten Schicht verrostete Metallteile von höchst eigenartiger Gestalt entdeckt, die aussahen wie Überbleibsel von korrodierten, verrotteten Elementen mikroskopisch kleiner Mechanismen — das gab den Ausschlag, daß trotz allem weitergearbeitet wurde.

Am neunzehnten Tag nach der Landung ballten sich über der Gegend, in der die Förderungsgruppen arbeiteten, dicke, dunkle Wolkenmassen, wie man sie auf dem Planeten bis dahin nicht gesehen hatte. Gegen Mittag ging ein Gewitter nieder, das an Stärke der elektrischen Entladungen jedes Gewitter auf der Erde übertraf. Himmel und Felsen verschmolzen im Durcheinander unablässig zuckender Blitze.

Die Bäche schwollen an, stürzten die gewundenen Felsschluchten hinunter und überfluteten die Abraumstrecken.

Die Männer mußten sie schleunigst verlassen, sie fanden mit den Automaten unter der Kuppel des großen Kraftfeldes Schutz, in das kilometerlange Blitze einschlugen. Das Gewitter zog allmählich nach Westen und bedeckte als schwarze, blitzdurchfurchte Wand den ganzen Horizont über dem Ozean. Auf dem Rückweg zum „Unbesiegbaren“ entdeckten die Schürfgruppen im Sand eine beträchtliche Menge winziger schwarzer Metalltropfen. Sie hielten sie für die berüchtigten „Fliegen“, lasen sie sorgfältig auf und nahmen sie mit ins Raumschiff, wo sie das Interesse der Wissenschaftler erregten; aber davon, daß sie Überreste von Insekten seien, konnte nicht die Rede sein. Wieder fand eine Beratung von Spezialisten statt, die mehrmals in hitzige Kontroversen überging. Zu guter Letzt beschlossen sie, eine Expedition nach Nordosten zu schicken, über das Gebiet des Schluchtlabyrinths und der Eisenoxydlagerstätten hinaus, denn an den Raupenketten der „Kondor“-Fahrzeuge waren geringe Spuren interessanter Minerale festgestellt worden, wie man sie auf dem bislang untersuchten Gelände nicht gefunden hatte.

Am anderen Tage stiegen 22 Männer in die Fahrzeuge, und als die Vorräte an Sauerstoff, Lebensmitteln und Kerntreibstoff verstaut waren, setzte sich die mit Energobotern, dem Schreitwerfer vom „Kondor“, mit Transportern und Robotern, darunter zwölf Arctanen, mit automatischen Baggern und Bohrmaschinen vorzüglich ausgerüstete Kolonne unter Regnars Kommando in Bewegung. Die Funkund Fernsehverbindung mit dieser Gruppe bestand bis zu dem Augenblick, da die gewölbte Oberfläche des Planeten die Anwendung der Ultrakurzwellen ausschloß. Da schoß der „Unbesiegbare“ eine automatische Fernsehsonde auf eine stationäre Umlaufbahn, die den Empfang ermöglichte.

Den ganzen Tag war die Kolonne unterwegs, in der Nacht umgab sie sich, sobald sie die kreisförmige Wehrstellung eingenommen hatte, mit dem Kraftfeld und setzte tags darauf ihren Weg fort. Gegen Mittag teilte Regnar Rohan mit, er wolle am Fuße fast völlig versandeter Ruinen in einem kleinen, flachen Krater haltmachen, um sie näher zu untersuchen.

Eine Stunde später verschlechterte sich der Funkempfang infolge starker statischer Störungen. Die Nachrichtentechniker wechselten auf eine andere Wellenlänge über, die besser zu empfangen war. Bald darauf, als die Donnerschläge des nach Osten, also in Fahrtrichtung der Expedition abziehenden Gewitters leiser wurden, brach der Empfang plötzlich ab. Dem Verlust der Verbindung waren einige immer stärkere Fadings vorausgegangen. Das son derbarste aber war, daß sich zugleich der Fernsehempfang verschlechterte, der doch vom Zustand der Ionosphäre unabhängig war, da er von einem Satelliten außerhalb der Atmosphäre getragen wurde. Um ein Uhr blieb die Verbindung ganz aus. Kein Techniker, ja nicht einmal die zu Hilfe gerufenen Physiker konnten sich diese Erscheinung erklären. Es war, als hätte sich irgendwo in der Wüste eine Metallwand herabgesenkt, die die 170 Kilometer entfernte Gruppe vom „Unbesiegbaren“ abschnitt.

Rohan war die ganze Zeit hindurch dem Astrogator nicht von der Seite gewichen und bemerkte dessen Unruhe.

Er selbst hielt sie anfangs für unbegründet. Er meinte, die Gewitterfront, die doch genau in Richtung der Expedition abgezogen war, habe vielleicht bestimmte Abschirmungseigenschaften.

Die Physiker jedoch bezweifelten, daß eine so dicke Schicht ionisierter Luft entstehen könnte. Als das Gewitter vorüber war und es nicht gelang, die Verbindung wiederherzustellen, entsandte Horpach, der auf seine pausenlosen Rufzeichen keine Antwort erhielt, gegen sechs Uhr zwei Aufklärungsflugzeuge vom Typ fliegender Untertassen.

Das eine flog etliche hundert Meter hoch über der Wüste, das andere stieg bis zu einer Höhe von vier Kilometern auf und diente dem ersten als Fernsehübertragungsstation. Rohan, der Astrogator, Gralew und ein Dutzend andere — unter ihnen Ballmin und Sax — standen vor dem großen Bildschirm in der Steuerzentrale und verfolgten unmittelbar, was im Gesichtsfeld des Piloten der ersten Maschine geschah. Hinter dem Schluchtlabyrinth, über dem tiefer Schatten lag, dehnte sich die Wüste mit ihren endlosen Dünenketten, jetzt von schwarzen Streifen überzogen, denn es war kurz vor Sonnenuntergang. In dieses schräge Licht getaucht, das der Landschaft ein besonderes, trauriges Aussehen verlieh, glitten unter der in geringer Höhe fliegenden Maschine dann und wann kleine, bis an den Rand mit Sand gefüllte Krater vorbei. Manche waren nur dank dem zentralen Kegel eines seit Jahrhunderten erloschenen Vulkans sichtbar. Das Gelände stieg allmählich an und wurde immer abwechslungsreicher. Unter den Sandhügeln traten hohe Felsgürtel zutage, die ein ganzes System sonderbar gezackter Gebirgsketten bildeten. Einsame Felsnadeln erinnerten an die Rümpfe zerschmetterter Raumschiffe oder an riesenhafte Gestalten. Klüfte, von kegelförmig zulaufenden Geröllhalden ausgefüllt, zerschnitten in scharfen Linien die Hänge. Schließlich verschwand der Sand vollends und machte einer Wildnis aus schroff abfallenden Felsen und Schutthalden Platz. Da und dort wanden sich tektonische Risse in der Planetenrinde, die von fern wie Flüsse wirkten.

Die Landschaft wurde mondähnlich, zugleich verschlechterte sich erstmals der Fernsehempfang; das äußerte sich in Schwankungen und in unterbrochener Bildsynchronisation.

Auch die Anweisung, die Emissionsstärke zu erhöhen, nützte auf die Dauer nichts.

Die bisher weißliche Färbung der Felsen ging in immer dunklere Schattierungen über. Die hochaufgetürmten Felsgrate, die aus dem Gesichtsfeld rückten, waren bräunlich und von metallisch giftigem Glanz. Hier und da waren samtschwarze Flecken zu bemerken, als wucherte dort auf dem nackten Gestein dichtes, aber totes Gestrüpp. Da meldete sich die Sprechanlage der ersten Maschine, die bis dahin geschwiegen hatte. Der Pilot schrie, er höre die automatischen Positionssender, mit denen das Spitzenfahrzeug der Expedition ausgerüstet war. Die in der Steuerzentrale versammelten Männer vernahmen jedoch nur die schwache und gewissermaßen schwindende Stimme, mit der er Regnars Gruppe rief. Die Sonne stand schon ganz tief. In ihrem blutroten Licht tauchte vor der Maschine eine schwarze Wand auf. Wolkenähnlich übereinandergeschichtet, reichte sie von der Felsoberfläche tausend Meter hoch.

Alles, was sich hinter ihr befand, war unsichtbar. Hätte diese knäuelförmige, teils tintenblau gefärbte, teils in violettem Rot metallisch schimmernde, schwarze Zusammenballung nicht langsam und rhythmisch auf und ab gewogt, so hätte man sie für eine ungewöhnliche Gebirgsformation halten können. Unter den horizontal auftreffenden Sonnenstrahlen öffneten sich darin Höhlen, in denen es plötzlich unbegreiflich aufblitzte, als wirbelten in wütendem Tanz Schwärme glitzernder, schwarzer Eisenkristalle durcheinander. Im ersten Moment glaubten die Männer vor dem großen Bildschirm, die Wolke schöbe sich auf die ihr entgegenfliegende Maschine zu, aber das war eine Täuschung.

Lediglich die fliegende Untertasse näherte sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit dem sonderbaren Hindernis.

„FU-4 an Bodenstation. Soll ich über die Wolke gehen?

Bitte kommen“, ertönte die gedämpfte Stimme des Piloten.

Den Bruchteil einer Sekunde später antwortete der Astrogator: „Erster Kommandant an FU-4. Vor Wolke stop!“

„FU-4 an Bodenstation. Ich stoppe“, bestätigte der Pilot sofort, und Rohan schien es, daß seine Stimme erleichtert geklungen hatte. Nur noch wenige hundert Meter trennten die Maschine von dem ungewöhnlichen Gebilde, das nach beiden Seiten zurückwich und auseinanderging, als reichte es bis an den Horizont. Jetzt füllte die Fläche des gigantischen, wie aus Kohle entstandenen, undenkbaren, weil vertikalen Meeres fast den ganzen Bildschirm aus. Die Maschine bewegte sich nicht mehr darauf zu. Doch plötzlich, ehe überhaupt jemand eines Wortes fähig war, schossen aus der schwerfällig wogenden Masse lange, auseinanderlaufende Blitze und verdunkelten das Bild, das gleich darauf in sich zusammenfiel, noch einmal aufflackerte, von den Linien schwacher Entladungen zerrissen wurde und verschwand.

„FU-4, FU-4“, rief der Funker.

„Hier FU-8“, meldete sich plötzlich der Pilot der zweiten Maschine, der bisher der ersten nur als Übertragungsstation gedient hatte.

„FU-8 an Bodenstation. Soll ich auf Bild schalten? Bitte kommen!“

„Bodenstation an FU-8. Sendet Bild!“

Der Leuchtschirm bedeckte sich mit wild durcheinanderwirbelnden, schwarzen Strömungen. Es war dasselbe Bild, aber aus vier Kilometer Höhe aufgenommen. Da war zu sehen, daß die Wolke als durchgehende, lange Bank an dem aufragenden Berggürtel ruhte, als wollte sie den Zugang dorthin verwehren. Ihre Oberfläche bewegte sich träge wie ein starrer, steifer Brei, und von der ersten Maschine, die die Substanz wenig zuvor verschlungen hatte, konnten sie nicht die Spur entdecken.

„Bodenstation an FU-8. Hören Sie FU-4? Bitte kommen.

„FU-8 an Bodenstation. Höre nichts. Gehe auf Interferenzwellen.

Achtung, FU-4, hier FU-8, bitte melden, FU-4, FU-4!“ vernahmen sie die Stimme des Piloten.

„FU-4 antwortet nicht. Gehe auf Infrarotwellen. Achtung, FU-4! Hier FU-8, bitte melden! FU-4 antwortet nicht.

Versuche die Wolke mit Radar zu sondieren.“

In der verdunkelten Steuerzentrale war nicht einmal das Atmen der Männer zu hören. Alle waren starr vor Erwartung.

Das Bild auf dem Schirm, das jetzt keiner beachtete, veränderte sich nicht. Über der schwarzen Wolke ragte der Felsenkamm auf, eine Insel in einem Tintenmeer. Hoch am Himmel erloschen goldgetränkte Federwolken. Die Sonnenscheibe berührte bereits den Horizont. In wenigen Minuten würde die Dämmerung hereinbrechen.

„FU-8 an Bodenstation“, ertönte die Stimme des Piloten, die sich in den paar Sekunden seit der letzten Meldung völlig verwandelt zu haben schien. „Radar zeigt rein metallenes Hindernis an. Bitte kommen!“

„Bodenstation an FU-8. Radarbild auf Telebild umschalten!

Bitte kommen!“

Der Bildschirm wurde dunkel, erlosch, glomm kurz auf in fahlblauem Licht, färbte sich dann grün und war von unzähligen funkensprühenden Entladungen übersät.

„Die Wolke ist aus Eisen“, sagte oder vielmehr seufzte einer hinter Rohan.

„Jazon!“ schrie der Astrogator. „Ist Jazon hier?“

„Jawohl.“ Der Kernphysiker schob sich zwischen den Männern hindurch.

„Kann ich das erhitzen?“ fragte der Astrogator ruhig und zeigte auf den Bildschirm. Alle hatten ihn verstanden.

Jazon zögerte. „FU-4 müßte gewarnt werden, damit er die Schutzhülle maximal ausdehnt.“

„Unsinn, Jazon! Ich habe keine Verbindung.“

„Bis 4000 Grad… Ohne großes Risiko.“

„Danke! Blaar, das Mikrofon! Erster Kommandant an FU-8! Laser fertigmachen! Ziel Wolke! Kleine Kraft, bis zu einem Billierg im Epizentrum! Dauerfeuer längs des Azimuts!“

„FU-8. Dauerfeuer bis zu einem Billierg“, antwortete sofort die Stimme des Piloten. Eine Sekunde lang geschah nichts. Dann blitzte etwas auf, und die zentrale, den unteren Teil des Bildschirms ausfüllende Wolke änderte ihre Farbe. Anfangs sah es aus, als wollte sie zerfließen, dann wurde sie rot und begann zu sieden. Eine Art Trichter mit glühenden Wänden entstand, in den alle angrenzenden Wolkenfetzen, wie von einem Sog angezogen, hineingerissen wurden. Diese Bewegung brach plötzlich ab. Die Wolke bildete einen riesigen Ring und gab durch diese Öffnung den Blick auf wirre Felsgruppen frei. Nur in der Luft flog noch feiner, schwarzer, ascheähnlicher Staub.

„Erster Kommandant an FU-8. Auf maximale Feuerkraft heruntergehen!“

Der Pilot wiederholte den Befehl. Die Wolke versuchte, das entstandene Loch zu stopfen, und umgab es mit einem unruhig züngelnden Wall. Doch wenn ihre vortastenden Arme von der flammenden Glut erfaßt wurden, dann zog sie sie jedesmal wieder ein. All das dauerte einige Minuten.

Die Situation wurde immer brenzliger. Der Astrogator wagte nicht, die Wolke mit voller Kraft des Strahlenwerfers zu beschießen, weil irgendwo in ihr das zweite Flugzeug war. Rohan ahnte, worauf Horpach rechnete: Er hoffte, die Maschine würde durch die freigelegte Lücke herausgelangen.

Aber nach wie vor war nichts von ihr zu sehen.

FU-8 schwebte jetzt fast reglos und durchbohrte mit blendenden Laserbündeln die brodelnden Ränder des schwarzen Ringes. Der Himmel war noch ziemlich hell, doch über die Felsen unten krochen immer dichtere Schatten.

Die Sonne ging unter.

Mit einemmal zuckte die zunehmende Dunkelheit im Tal in unheimlichem Lichtschein auf. Schmutzigrot, wie ein Vulkanschlund unter einer Explosionswolke, deckte sie mit bebendem Mantel das ganze Bild zu.

Jetzt waren nur, noch dunkle Schatten zu sehen, die miteinander verschmolzen und in deren Mitte das Feuer brodelte und fauchte. Die Wolkensubstanz, woraus sie auch immer bestehen mochte, war zum Angriff auf das vermißte Flugzeug übergegangen und verbrannte in fürchterlicher Glut an seiner Schutzhülle.

Rohan blickte den Astrogator an, auf dessen erstarrtem, ausdruckslosem Gesicht sich der schwankende Widerschein der Feuerlohe spiegelte. Das schwarze Brodeln und das darin tobende, nur zeitweilig in Flammenbündeln zusammengeraffte Feuer nahmen die Mitte des Bildschirms ein. In der Ferne hob sich ein Bergriese ab, ganz in dem kalten Purpur der in diesem Augenblick unsagbar irdisch wirkenden letzten Sonnenstrahlen. Um so weniger glaubhaft war das Schauspiel, das sich in der Wolke abspielte.

Rohan wartete. Die Miene des Astrogators sagte nichts, aber er mußte eine Entscheidung treffen: entweder der oberen Maschine befehlen, der anderen zu Hilfe zu eilen, oder sie ihrem Schicksal überlassen und den Aufklärer beauftragen, nach Nordosten weiterzufliegen.

Plötzlich geschah etwas Unerhörtes. Entweder hatte der Pilot der unteren, von der Wolke eingeschlossenen Maschine den Kopf verloren, oder an Bord war eine Havarie eingetreten — jedenfalls durchfuhr ein Blitz das schwarze Gebrodel, die Einschlagstelle leuchtete blendendhell auf, und ringsum stoben lange Streifen der von der Explosion zerfetzten Wolke davon. Die Druckwelle war so heftig, daß das ganze Bild schwankte und die Sprünge mitmachte, die der Luftwirbel der FU-8 aufzwang. Dann kehrte das Schwarz zurück und wurde immer dichter. Nur dieses Schwarz war da, sonst nichts.

Der Astrogator beugte sich vor und sagte etwas zu dem Funker am Mikrofon: Er sprach so leise, daß Rohan seine Worte nicht verstand. Aber der Funker wiederholte sie augenblicklich. Er schrie beinahe.

„Antiprotonen fertigmachen! Volle Kraft! Ziel Wolke! Dauerfeuer!“

Der Pilot wiederholte den Befehl. Da rief einer der Techniker, die den Seitenschirm beobachteten, auf dem alles, was hinter der Maschine vorging, zu sehen war: „Achtung, FU-8! Höher! Höher! Höher!“

Aus dem bisher freien Raum im Westen raste mit Orkangeschwindigkeit eine schwarze Wirbelwolke heran. Eben war sie noch Seitenfront der Wolkenwand gewesen, hatte sich nun aber von ihr getrennt und stieg steil nach oben, Ausläufer hinter sich herziehend, die durch die heftige Bewegung abgespalten waren. Der Pilot, der diese Erscheinung den Bruchteil einer Sekunde vor der Warnung bemerkt hatte, riß die Maschine senkrecht hoch, doch die Wolke verfolgte ihn und spie schwarze Säulen in den Himmel.

Er nahm eine nach der anderen unter Beschuß. Ein schwarzes Knäuel in der Nähe wurde frontal getroffen, teilte sich und wurde dunkler. Plötzlich bebte das ganze Bild.

Als ein Teil der Wolkenwand bereits in die Zone der Radiowellen geraten war und die Verbindung zwischen Maschine und Bodenstation schlechter wurde, gebrauchte der Pilot wahrscheinlich zum erstenmal den Antimateriewerfer.

Schlagartig verwandelte sich die ganze Atmosphäre des Planeten in ein einziges Feuermeer. Der Purpurschein der untergegangenen Sonne war wie weggeblasen, durch die gezackten Störungslinien schimmerte noch einige Augenblicke die Wolke mit ihren aufsteigenden Rauchsäulen, die auseinanderquollen und sich weiß färbten, als eine zweite Explosion von noch furchtbareren Ausmaßen ihre glühenden Feuerstürze über das in Gas— und Rauchschwaden versinkende Felsenchaos ergoß. Aber das war das letzte, was sie zu sehen bekamen, denn schon in der nächsten Sekunde löste sich das Bild, von Entladungsfunken übersprüht, auf und verschwand. Nur der leere, helle Bildschirm flimmerte noch und beleuchtete die leichenblassen Gesichter der ringsum versammelten Männer.

Horpach beauftragte die Funker, die beiden Maschinen zu rufen, und ging mit Rohan, Jazon und den anderen in die angrenzende Navigationskajüte.

Was ist Ihrer Ansicht nach diese Wolke?“ fragte er ohne Einleitung.

„Sie besteht aus Metallteilchen. Eine Art ferngesteuerte Emulsion mit einem einheitlichen Zentrum“, antwortete Jazon.

„Gaarb?“

„Ich bin derselben Meinung.“

„Haben Sie Vorschläge? Nicht? Um so besser. Welcher Superkopter ist in besserem Zustand, unserer oder der vom,Kondor‹, Chefingenieur?“

„Beide sind in Ordnung, Astrogator. Aber ich würde unseren vorziehen.“

„Ausgezeichnet. Rohan, Sie wollten, wenn ich mich nicht irre, außerhalb des Schutzschirms arbeiten. Sie werden Gelegenheit dazu haben. Sie bekommen achtzehn Leute, doppelte Automatenbestückung, Schwingungskreislaser und Antiprotone. Haben wir sonst noch was?“

Keiner antwortete.

„Nun ja, vorläufig hat man nichts Vollkommeneres erfunden als die Antimaterie… Sie starten 4 Uhr 31, das heißt bei Sonnenaufgang, und versuchen, den Krater im Nordosten aufzufinden, den Regnar in seiner letzten Meldung erwähnt hat. Dort landen Sie bei offenem Kraftfeld.

Unterwegs beschießen Sie bitte alles auf maximale Distanz.

Halten Sie sich nicht mit Warten, Beobachten und Experimentieren auf! Und sparen Sie nicht mit Schußenergie.

Sollten Sie die Verbindung mit mir verlieren, dann machen Sie ruhig weiter. Wenn Sie den Krater gefunden haben, landen Sie, aber vorsichtig, damit Sie nicht über den Leuten niedergehen. Ich nehme an, sie sind irgendwo in dieser Gegend…“ Er zeigte auf die Geländekarte, die die ganze Wand bedeckte. „Hier, in dem rotgestrichelten Gebiet. Das ist nur eine Skizze, aber etwas Besseres habe ich nicht.“

„Was soll ich nach der Landung tun, Astrogator? Soll ich sie suchen?“

„Das überlasse ich Ihnen. Nur eins beachten Sie, bitte: In So Kilometer Entfernung von dieser Stelle dürfen Sie keinerlei Ziele mehr beschießen, weil dort vielleicht unsere Leute sind.“

„Keine Bodenziele?“

„Überhaupt keine. Bis hierhin“ — der Astrogator unterteilte mit einer Handbewegung das Gebiet auf der Karte — „dürfen Sie Ihre Vernichtungsmittel im Angriff einsetzen.

Hinter dieser Linie dürfen Sie sich nur mit dem Kraftfeld verteidigen. Jazon, wieviel hält das Feld eines Superkopters aus?“

„Ein paar Millionen Atmosphären je Quadratzentimeter.“

„Was heißt ein paar? Was soll ich damit anfangen? Wieviel, habe ich gefragt. Fünf Millionen? Zwanzig?“

Horpach sagte all das völlig gelassen, und gerade diese Gelassenheit des Kommandanten war an Bord am meisten gefürchtet.

Jazon räusperte sich. „Das Feld ist mit zweieinhalb getestet worden.“

„Das hört sich schon anders an. Haben Sie das mitbekommen, Rohan? Wenn die Wolkenwand Sie bis an diese Grenze drückt, dann rücken Sie aus. Am besten nach oben.

Im übrigen kann ich Ihnen ohnehin nicht alles vorweg sagen…“ Er blickte auf die Uhr. „Acht Stunden nach dem Start lasse ich Sie über alle Wellenbereiche rufen. Sollte das erfolglos sein, dann versuchen wir, entweder über trojanische Satelliten oder optisch Verbindung aufzunehmen. Wir lasern im Morsealphabet. Ich habe noch nicht gehört, daß das nicht geklappt hätte. Aber wir müssen mehr einkalkulieren, als wir bisher gehört haben. Wenn auch die Laser nicht ausreichen, dann starten Sie drei Stunden später und kommen zurück. Wenn ich nicht da bin…“

„Sie wollen starten?“

„Unterbrechen Sie mich nicht, Rohan! Nein, das habe ich nicht vor, aber es hängt ja nicht alles von uns ab. Sollte ich nicht mehr hier sein, so begeben Sie sich bitte auf Planetenumlaufbahn.

Haben Sie das mit einem Superkopter schon mal gemacht?“

„Jawohl. Zweimal im Delta der Leier.“

„Gut. Sie wissen also, daß es ein bißchen kompliziert, aber durchaus möglich ist. Die Umlaufbahn muß stationär sein.

Die genauen Daten gibt Ihnen Strom vor dem Start. Auf der Umlaufbahn warten Sie 36 Stunden auf mich. Melde ich mich in dieser Zeit nicht, so kehren Sie auf den Planeten zurück.

Sie fliegen zum ›Kondor‹ und versuchen, ihn in Betrieb zu setzen. Ich weiß, wie das klingt, aber Ihnen wird nichts anderes übrigbleiben. Wenn Sie dieses Kunststück fertiggebracht haben, kehren Sie mit dem ›Kondor‹ auf die Erde zurück und erstatten dort Bericht. Noch Fragen?“

„Ja. Darf ich Kontakt mit diesen… mit dem Zentrum aufnehmen, das die Wolke steuert, wenn es mir gelingt, es ausfindig zu machen?“

„Auch das überlasse ich Ihnen. Jedenfalls muß das Risiko in vernünftigen Grenzen bleiben. Ich weiß natürlich gar nichts, aber ich glaube, dieses Dispositionszentrum ist nicht auf der Oberfläche des Planeten. Im übrigen scheint es mir fraglich, daß es existiert. “

„Wie meinen Sie das?“

„Wir hören doch über Funk das ganze elektromagnetische Spektrum ab. Wenn jemand diese Wolke mit Hilfe von Strahlen steuerte, so würden wir entsprechende Signale registrieren.“

„Das Zentrum kann in der Wolke gesteckt haben.“

„Mag sein. Ich weiß es nicht. Jazon, ist es möglich, daß es eine Art von Fernverbindung gibt, die unabhängig ist von elektromagnetischen Wellen?“

„Nein, das gibt es nicht — wenn Sie nach meiner Meinung fragen.“

„Wonach sollte ich sonst fragen?“

„Was ich weiß, das ist nicht gleichbedeutend mit dem, was existiert oder existieren könnte. Wir kennen keine solche Art. Das ist alles.“

„Telepathie…“, bemerkte einer im Hintergrund.

„Dazu habe ich nichts zu sagen“, entgegnete Jazon trokken.

„Jedenfalls ist im erforschten Teil des Kosmos nichts dergleichen entdeckt worden.“

„Meine Herren, wir können unsere Zeit nicht mit nutzlosen Diskussionen vergeuden. Holen Sie Ihre Leute zusammen, Rohan, und bereiten Sie den Superkopter vor.

Die ekliptischen Bahnangaben erhalten Sie in einer Stunde von Strom. Kollege Strom, bitte, berechnen Sie eine konstante Umlaufbahn mit Sooo Apogäum.“

„Jawohl, Astrogator.“

Der Astrogator öffnete einen Spalt breit die Tür der Steuerzentrale.

„Wie steht's, Terner? Nichts?“

„Nichts, Astrogator. Das heißt Knackgeräusche. Eine Menge statischer Störungen, sonst nichts.“

„Keine Spur von Emissionsspektrum?“

„Keine Spur.“

Das bedeutet, daß keine der beiden Maschinen noch Waffen benutzt, daß sie aufgehört haben zu kämpfen, dachte Rohan. Wenn sie die Aktion mit Laserfeuer oder auch nur mit Induktionswerfern fortsetzten, dann würden die Meßgeräte des „Unbesiegbaren“ das auf eine Entfernung von etlichen hundert Kilometern feststellen.

Rohan war zu sehr von der dramatischen Situation gefesselt, als daß ihn der Auftrag des Astrogators beunruhigt hätte. Im übrigen hätte er gar keine Zeit dazu gehabt. In dieser Nacht tat er kein Auge zu. Alle Einrichtungen des Superkopters waren zu überprüfen, zusätzliche Tonnen Treibstoff mußten getankt, Vorräte und Waffen mußten verladen werden, so daß sie mit Mühe und Not zur festgesetzten Stunde fertig wurden. Und die siebzig Tonnen schwere, zweistöckige Maschine hob sich, Sandwolken aufwirbelnd, in die Luft und flog pfeilgerade nach Nordosten, als der Rand der roten Sonnenscheibe eben am Horizont auftauchte. Gleich nach dem Start stieg Rohan auf fünfzehn Kilometer Höhe. Im Bereich der Stratosphäre konnte er Höchstgeschwindigkeit entwickeln, außerdem war er dort weniger in Gefahr, der schwarzen Wolke zu begegnen.

Das nahm er zumindest an.

Vielleicht hatte er recht, vielleicht war es aber auch nur ein glücklicher Zufall — jedenfalls setzten sie eine knappe Stunde später in der schrägen Sonne über einem versandeten Krater, dessen Boden noch im Morgendämmer lag, zur Landung an. Bevor die nach unten ausbrechenden, heißen Gassäulen Sandfontänen hochschleuderten, alarmierten die Bildoperateure die Navigationskabine mit der Meldung, etwas Verdächtiges im nördlichen Kraterteil entdeckt zu haben. Die schwere Flugmaschine hielt an, leicht zitternd wie auf einer unsichtbaren, gespannten Feder, und aus fünfhundert Meter Höhe wurde die Stelle einer eingehenden Betrachtung unterzogen.

Der Bildschirm des Vergrößerers zeigte auf graubraunem Hintergrund winzige Rechtecke, die sich in geometrischer Anordnung um ein größeres, stahlgraues Rechteck gruppierten.

Rohan erkannte gleichzeitig mit Gaarb und Ballmin, die neben ihm am Steuer saßen, die Fahrzeuge von Regnars Expedition.

Ohne zu zögern und unter Beachtung aller Vorsichtsmaßregeln landeten sie nicht weit davon entfernt. Die Teleskopbeine des Superkopters arbeiteten noch und knickten gleichmäßig ein, als das Fallreep bereits hinabgelassen wurde und zwei mit einem beweglichen Kraftfeld abgeschirmte Aufklärungsmaschinen ausgesandt wurden. Das Kraterinnere ähnelte einer flachen Schüssel mit schartigen Rändern. Eine schwarzbraune Lavakruste bedeckte den zentralen Vulkankegel.

Um die anderthalb Kilometer zurückzulegen — so viel betrug ungefähr die Entfernung —, brauchten die Aufklärungsfahrzeuge wenige Minuten. Die Funkverbindung war ausgezeichnet. Rohan sprach mit Gaarb, der in dem ersten Transporter war.

„Die Steigung hört auf, gleich werden wir sie sehen“, sagte Gaarb einige Male, und plötzlich schrie er: „Da sind sie! Ich sehe sie!“ Ruhiger fügte er hinzu: „Anscheinend alles in Ordnung. Eins, zwei, drei, vier — alle Maschinen sind da. Aber warum stehen sie in der Sonne?“

„Und die Leute? Sehen Sie die Leute?“ erkundigte sich Rohan, der mit zusammengekniffenen Augen vor dem Mikrofon saß.

„Ja. Etwas bewegt sich dort… zwei Männer. Da, noch einer… und einer liegt im Schatten… Ich sehe sie, Rohan!“

Seine Stimme entfernte sich. Rohan hörte ihn etwas zu seinem Fahrer sagen. Dann ertönte ein dumpfes Echo vom Abschuß einer Rauchrakete. Gaarbs Stimme war wieder da.

„Das war zur Begrüßung. Der Rauch wurde ein bißchen in ihre Richtung geweht. Gleich wird er sich verteilen. Jarg, was ist dort? Was ist los? He, ihr da!“

Sein Schrei füllte auf einmal die ganze Kabine und brach ab. Rohan vernahm Motorengeräusch, das immer schwächer wurde und bald darauf verstummte, dann waren Laufschritte zu hören, undeutliche, durch die Entfernung gedämpfte Rufe, ein Aufschrei, ein zweiter, schließlich trat Stille ein.

„Hallo, Gaarb! Gaarb!“ wiederholte er mit starren Lippen.

Die Schritte im Sand näherten sich, der Lautsprecher knarrte.

„Rohan!“ Gaarbs Stimme klang fremd, er keuchte. „Rohan!

Dasselbe wie bei Kertelen! Sie sind nicht bei Sinnen, sie erkennen uns nicht, sie sprechen nicht… Rohan, hören Sie mich?“

„Ich höre. Sind alle so?“

„Es sieht so aus. Ich weiß es noch nicht. Jarg und Terner gehen von einem zum andern…“

„Was denn, und das Feld?“

„Das Feld ist ausgeschaltet. Es ist nicht da. Ich weiß nicht. Offenbar haben sie es ausgeschaltet.“

„Kampfspuren?“

„Nein, nichts. Die Fahrzeuge stehen da, alle heil, unbeschädigt.

Und die Männer liegen oder sitzen herum, man kann sie rütteln, soviel man… Was? Was ist dort los?“

An Rohans Ohr schlug ein verzerrter Laut, der von gedehntem Winseln unterbrochen wurde. Er biß die Zähne zusammen, aber er vermochte ein Gefühl der Übelkeit, das ihm in die Eingeweide schnitt, nicht zu überwinden.

„Allmächtiger Himmel, das ist Gralew!“ schrie Gaarb entsetzt auf. „Gralew! Mensch! Erkennen Sie mich nicht?“

Sein Atem füllte, verstärkt, die ganze Kabine.

„Er auch. “, stieß er keuchend hervor. Dann schwieg er einen Augenblick, als wollte er Kräfte sammeln.

„Rohan, ich weiß nicht, ob wir allein damit fertig werden… Die müssen alle hier weg. Schicken Sie uns mehr Leute her.“

„Söfort.“

Eine Stunde später hielt der grauenvolle Zug unter dem Metallrumpf des Superkopters. Von den zweiundzwanzig Leuten, die mit der Expedition aufgebrochen waren, hatten sie nur achtzehn gefunden. Das Schicksal der übrigen vier war unbekannt. Die meisten hatten sich gutwillig, ohne Widerstand zu leisten, wegführen lassen. Aber bei fünf hatte man Gewalt anwenden müssen, weil sie nicht von der Stelle weichen wollten. Fünf Tragen kamen in ein improvisiertes Lazarett auf dem Unterdeck des Superkopters, und die dreizehn Männer, die mit ihren maskenhaft starren Gesichtern einen furchtbaren Anblick boten, wurden in einen gesonderten Raum gebracht, wo sie sich widerspruchslos in die Kojen betten ließen. Man mußte ihnen Kleider und Schuhe ausziehen, denn sie waren hilflos wie Neugeborene.

Rohan stand als stummer Augenzeuge im Gang zwischen den Bettreihen und stellte fest, daß die meisten ihre passive Ruhe beibehielten, jene aber, die mit Gewalt hergeführt werden mußten, mit unheimlicher Stimme jammerten und greinten.

Er ließ alle unter der Obhut des Arztes und schickte den gesamten verfügbaren Maschinenpark auf die Suche nach den Verschollenen. Er hatte jetzt viele Wagen, weil er die verlassenen Maschinen in Gang gebracht und mit eigenen Leuten besetzt hatte. Eben hatte er die letzte Gruppe abgefertigt, da rief ihn der Informator in die Kabine: Sie hatten Verbindung mit dem „Unbesiegbaren“.

Er wunderte sich nicht einmal, daß es geglückt war. Er war überhaupt nicht mehr in der Lage, sich über etwas zu wundern. Mit knappen Worten berichtete er Horpach.

„Wer fehlt?“ wollte der Astrogator wissen.

„Regnar selbst, Bennigsen, Korotko und Mead. Was ist mit den Flugzeugen?“ fragte Rohan seinerseits.

„Ich habe keine Nachricht.“

„Und die Wolke?“

„Ich habe heute morgen eine Dreierpatrouille ausgesandt.

Vor einer Stunde ist sie zurückgekommen. Dort ist keine Spur von der Wolke zu sehen.“

„Nichts? Gar nichts?“

„Nichts.“

„Auch nicht die Flugzeuge?“

„Nichts.“

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