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Hartmann gab Net mit der Rechten ein Zeichen, zurückzubleiben. Mit der anderen Hand entsicherte er sein Gewehr und schaltete gleichzeitig die Zielautomatik ein, während er sich auf Knien und Ellbogen vorwärtsschob. Sein Herz schlug schwer, aber sehr ruhig, und seine Hände hatten aufgehört zu zittern; eigentlich zum ersten Mal, seit sie in der Dunkelheit des Transmitterraumes aufgewacht waren und mit der Erkundung dieser unheimlichen Welt begonnen hatten. Hartmann kannte diese unheimliche Ruhe. Sie überkam ihn stets, wenn er sich in einer gefährlichen Situation befand. Kaum fünf Meter von ihm stand eine Ameise und hatte ihm den Rücken zugewandt. Sie hatte sich in den endlosen Minuten, die Net, Kyle und Hartmann sie beobachtet hatten, nicht ein einziges Mal gerührt. Hartmann betete, daß sie es auch in den nächsten zehn oder fünfzehn Sekunden nicht tun würde. So lange würde er brauchen, um das freie Stück zu überwinden und in der Deckung des Maschinenblocks auf der anderen Seite des Ganges zu verschwinden.

Die Ameise war der erste Moroni, den sie zu Gesicht bekamen, seit sie die Halle und den Aufzugschacht verlassen hatten. Aber sie war nur die einzige, die sie sahen. In der gewaltigen Halle, in die sie der Gang geführt hatte, mußten sich noch Hunderte der Insektenkreaturen aufhalten. Das Zirren und Pfeifen ihrer beinahe ultraschallhohen Stimmen erfüllte die Luft, und Hartmann hatte schon auf der anderen Seite der Tür jenen typischen, scharfen Geruch wahrgenommen, der den Moroni zu eigen war. Zunächst hatte er umkehren wollen. Doch wo sollten sie hin? Der Gang, durch den sie gekommen waren, hatte in diese gewaltige, auf zwei Ebenen angelegte Felsenhalle geführt, und es hatte weder eine Abzweigung noch eine Tür gegeben. Und die Kraft, sich den ganzen Weg zurückzuschleppen, an dem Drahtseil wieder in die Tiefe zu klettern, hatte keiner von ihnen mehr.

Die Halle war auf zwei unterschiedlich hohen Ebenen angelegt. Die meisten Ameisen schienen sich auf der unteren, größeren Ebene aufzuhalten. Sie hatten nur diesen einen Moroni gesehen, der offensichtlich als Wächter zurückgeblieben war, denn er hielt in zwei seiner vier Arme ein Strahlengewehr. Aber entweder war es nicht seine Aufgabe, den Gang zu bewachen, durch den sie gekommen waren, oder selbst diese insektenhaften Geschöpfe waren nicht ganz frei von Neugier, denn statt die Tür im Auge zu behalten, hatte er sich herumgedreht und blickte mit offenkundigem Interesse auf das hinab, was in der Halle unter ihm geschah.

Hartmann interessierte das Geschehen dort unten ebenso wie die Ameisen-Wache, und er hatte sich auch entschlossen, das Risiko einzugehen und sich der Ebene zu nähern, um einen Blick in die Tiefe zu werfen.

Er hatte zwei Drittel des Weges zurückgelegt, als sich die Ameise plötzlich bewegte. Hartmann erstarrte. Unwillkürlich näherte sich sein Finger dem Feuerknopf seines Gewehres. Er hoffte inständig, daß Net nicht noch nervöser war als er, denn sie saß hinter ihm im Schatten der Tür und hatte auf den Moroni angelegt, um ihn niederzuschießen, sollte er Hartmann entdecken.

Aber er hatte Glück. Der Moroni erstarrte sofort wieder und er rettete damit nicht nur sich selbst, sondern vermutlich auch Hartmann und den beiden anderen das Leben.

Hartmann atmete auf, kroch weiter und erhob sich vorsichtig, als er die Deckung des Metallblocks erreicht hatte. Plötzlich begannen seine Hände zu zittern, und sein Herz raste. Aber es dauerte nur einige Sekunden, dann hatte sich Hartmann wieder in der Gewalt. Aufatmend lehnte er sich gegen den Metallklotz - und fuhr überrascht zusammen.

Das Metall war warm. Es vibrierte ganz sacht, und als er es berührte, hatte er das unheimliche Gefühl, einen hohen, singenden Ton in seinem Kopf zu hören. Automatisch streckte er die Hand aus, wagte es dann aber doch nicht, den Block noch einmal zu berühren.

Hartmann verspürte ein unangenehmes Prickeln zwischen den Schulterblättern, als er weiterschlich; ein Gefühl, das wohl jeder Soldat kennt, der schon einmal durch feindliches Gebiet geschlichen war und einen bewaffneten Gegner in seinem Rücken wußte. Auch der Gedanke, daß Net den Moroni vermutlich immer noch im Fadenkreuz ihrer Laserwaffe hatte, half nicht sehr viel.

Hartmann benötigte einige Minuten, um das Labyrinth von Maschinen und seltsamen Metallblöcken zu durchqueren und den Rand der Ebene zu erreichen. Vorsichtig schob er sich auf dem Bauch liegend vor, warf noch einen sichernden Blick nach rechts und links und blickte dann in die Tiefe.

Obwohl er auf den Anblick vorbereitet gewesen war, stockte ihm für einen Moment der Atem. Unter ihm breitete sich eine mindestens fünf- oder sechshundert Meter messende Halle aus, deren Boden mit schwarzen, bizarr geformten Moroni-Maschinen vollgestopft war. Zahllose Ameisen hasteten zwischen diesen Maschinen hin und her, schleppten Kisten, hantierten an Schaltern oder taten andere Dinge, deren Sinn Hartmann verschlossen blieb. Seine größte Aufmerksamkeit galt dem gewaltigen Block aus stumpfen, schwarzen Metall, der sich in der Mitte der Halle erhob - und dem über dreißig Meter durchmessenden, silberfarbenen Ring, der schwerelos darüber in der Luft schwebte!

Ein zweiter Sternentransmitter! dachte er entsetzt. Diese riesige unterirdische Halle mit ihren Maschinen war nichts anderes als eine beinahe perfekte Kopie der Schwarzen Festung am Nordpol, die sie angegriffen hatten. Es war alles umsonst gewesen, dachte er. Das Tor zu den Sternen war keineswegs verschlossen.

Erst dann begriff er, daß auch dieser Transmitter nicht mehr arbeitete. Er spie kein blaues Feuer wie sein Gegenstück in der Schwarzen Festung, aber das wesenlose Wogen und Gleiten in seinem Inneren war ebenso erloschen. Zumindest im Moment war er nichts weiter als ein riesiger, nutzloser Ring aus silberfarbenem Metall.

Unmittelbar vor dem monolithischen Block, über dem der Transmitter schwebte, lag das Wrack eines Moroni-Gleiters. Im allerersten Moment glaubte Hartmann, daß es aus dem Transmitter herausgekommen und abgestürzt sein mußte und dabei beschädigt worden war, aber dann erkannte er, daß mit diesem Schiff weit mehr nicht stimmte. Es war kein flacher Diskus mehr, sondern wirkte auf seltsame Weise verformt, als hätte jemand ein Teil aus seiner Hülle herausgeschnitten und so geschickt wieder zusammengefügt, daß keine Nahtstelle zu sehen war.

Dutzende von Ameisen machten sich an oder in dem Schiff zu schaffen. Es lag auf der Seite, weil der Pilot offensichtlich keine Zeit mehr gefunden hatte, die Landebeine auszufahren. Die große Bodenschleuse stand offen, und ein ununterbrochener Strom von Moroni bewegte sich in das Schiff hinein oder wieder heraus. Hartmann sah, daß viele von ihnen kleine, kompliziert aussehende Instrumente trugen. Einige waren mit Helmen ausgerüstet, an denen kurze Antennen befestigt waren; offensichtlich, um untereinander oder mit jemandem in größerer Entfernung Kontakt halten zu können. Anscheinend waren doch nicht alle technischen Gerätschaften dieser unterirdischen Basis ausgefallen.

Langsam schob Hartmann sich wieder zurück und schlich geduckt zum Gang. Net winkte ihm flüchtig zu und machte eine beruhigende Geste, und Hartmann kroch mit klopfendem Herzen keine fünf Meter hinter dem Ameisenwächter über das freie Stück. Der Moroni regte sich auch jetzt nicht. Offensichtlich faszinierte ihn das Geschehen in der Halle ebenso, wie es Hartmann verwirrt hatte. Vielleicht erschreckte es ihn auch.

Die letzten Meter legte Hartmann im Laufschritt zurück. Net wollte eine Frage stellen, aber er bedeutete ihr mit einer hastigen Geste, still zu sein, wies in den Gang hinein und lief weiter.

Sie hatten Kyle wieder ein Stück den Weg zurückgetragen, den sie gekommen waren, so daß er sicher vor jeder Entdeckung hinter der nächsten Gangbiegung lag. Er hatte das Bewußtsein wiedererlangt und sah ihnen fragend entgegen. Net war es dann, die als erste das Schweigen brach.

»Also?« fragte sie ungeduldig. »Was hast du entdeckt?«

»Eine Menge«, antwortete Hartmann. »Aber es wird dir nicht gefallen. Die Halle wimmelt von Ameisen.« Er schüttelte entschieden den Kopf. »Keine Chance, da durchzukommen.«

»Was tun sie?« fragte Kyle.

Hartmann zuckte mit den Schultern, dann berichtete er mit knappen Worten, was er entdeckt hatte. Er hielt Kyle scharf im Auge, als er von dem auf so unheimliche Weise veränderten Scheibenschiff erzählte, und er glaubte, ein leises Zusammenzucken des Megamannes zu registrieren.

»Ich vermute, es ist im gleichen Moment angekommen wie wir«, schloß er. »Einen winzigen Moment, bevor der Transmitter endgültig ausfiel. Anders kann ich mir diese ...« Er suchte krampfhaft nach Worten und konnte ein Schaudern nicht ganz unterdrücken, als er weitersprach. »... Veränderung nicht erklären.«

Kyle überging die Frage, die sich hinter Hartmanns Worten verbarg. »Ein zweiter Transmitter?« fragte er.

»Keine Sorge«, sagte Hartmann. »Er funktioniert nicht. Jedenfalls im Moment nicht.«

»Aber er ist nicht außer Kontrolle geraten wie der auf der Erde?« vergewisserte sich Kyle.

»Nein«, antwortete Hartmann und zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls glaube ich es nicht. Sie haben gesehen, was das Ding auf der Erde angerichtet hat, als es anfing, durchzudrehen. In der Halle sind keinerlei Beschädigungen zu entdecken.«

»Wenn sie es schaffen, ihn wieder in Betrieb zu nehmen, dann war alles umsonst«, sagte Kyle.

»Dann müssen wir es verhindern«, sagte Net.

»Ganz so einfach wird das nicht sein, fürchte ich«, antwortete Hartmann. Er sah die Wasteländerin ernst an, aber alles, was er in ihren Augen las, war ein Ausdruck tiefer Entschlossenheit.

»Ihr würdet es wahrscheinlich nicht überleben«, sagte Kyle.

Net nickte. »Ich weiß. Aber dasselbe galt auch für das, was wir auf der Erde getan haben, oder?« Ihre Stimme wurde leiser. »Wenn es wirklich einen zweiten Sternentransmitter gibt und sie ihn in Betrieb nehmen, dann sind nicht nur Charity und Skudder vergeblich gestorben, sondern auch alle anderen.«

»Ich habe nicht gesagt, daß sie tot sind«, sagte Kyle.

»Nein«, antwortete Net voll bitterem Spott. »Sie werden einfach die Köpfe eingezogen und sich in irgendein Loch verkrochen haben, als diese verdammte Bombe hochging, nicht wahr?« Sie machte eine fast herrische Handbewegung, als Kyle widersprechen wollte, und fuhr in schärferem Tonfall fort: »Wir kommen hier sowieso nicht mehr heraus. Wenn sie uns schon erwischen, dann will ich wenigstens noch soviel Schaden anrichten, wie ich kann.«

Hartmann sah sie alarmiert an. In Nets Stimme war plötzlich etwas, das ihn aufhorchen ließ und das ihm nicht gefiel. Er kannte diesen Ton. Er hatte ihn oft genug in den Stimmen von Soldaten gehört, die kurz davor standen, die Beherrschung zu verlieren. »Red nicht so einen Unsinn, Net«, sagte er beinahe sanft. »Bis jetzt haben sie nicht einmal bemerkt, daß es uns gibt.«

»Aber das werden sie«, antwortete Net. »Nicht wahr?« Sie deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Wir können nicht zurück. Was hast du vor? Hier sitzen, bis wir verhungert oder verdurstet sind?«

»Natürlich nicht«, antwortete Hartmann gereizt. »Aber ich frage mich, was du vorhast. Willst du hinausgehen und mit Steinen nach dem Transmitter werfen?«

»Immerhin haben wir noch unsere Waffen.« Net schlug herausfordernd mit der flachen Hand auf den Lauf ihres Gewehres, aber Hartmann lachte nur.

»Du glaubst doch nicht im Ernst, daß du dieses Ding mit einem Gewehr zerstören kannst?«

»Er hat recht, Net«, fügte Kyle hinzu. »Du könntest es nicht einmal leicht beschädigen.«

»Aber irgend etwas müssen wir tun!« widersprach Net.

»Das werden wir auch«, sagte Hartmann beruhigend. »Aber nicht sofort. Und vor allem nicht, ohne einen Plan zu haben.« Er zögerte einen Moment, dann wandte er sich an den Megamann.

»Diese Transmitter müssen eine schwache Stelle haben«, sagte er.

»Ja«, antwortete Kyle lakonisch. »Ich schätze, daß eine 2-Megatonnen-Bombe ausreichen würde, um den Ring ernsthaft zu beschädigen.«

Hartmann schluckte die ärgerliche Antwort, die ihm auf der Zunge lag, herunter. Er gab Net ein Handzeichen, still zu sein, und wandte sich mit erzwungener Ruhe wieder an den Megamann.

»Es muß eine Möglichkeit geben, dieses Ding unschädlich zu machen«, sagte er. Er deutete auf Net. »Sie hat recht; wenn es ihnen gelingt, ihn irgendwie zu aktivieren, dann war alles umsonst.«

Kyle sah ihn eine Weile schweigend und mit undeutbarem Ausdruck an, aber Hartmann glaubte trotzdem zu wissen, was hinter der Stirn des Megakriegers vor sich ging. Schließlich nickte Kyle.

»Vielleicht gibt es wirklich eine Möglichkeit«, sagte er. »Hören Sie zu ...«

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