5 Der Hohe Senat – und eine Strafe wird vollstreckt

Eine Zeitlang lag ich in absoluter Dunkelheit und lauschte in die Stille hinein, die fast noch schrecklicher war, dann schlief ich ein. Ich wurde von einem schwachen, kratzenden Geräusch geweckt. Etwas, das wie ein Tier roch, hatte mich in den Fuß gebissen. Schnell schlug ich zu. Etwas quiekte erschrocken und angstvoll auf. Ich schlug immer wieder zu, bis das Quieken aufhörte, dann fanden meine tastenden Hände einen leblosen Körper. Ich aß ihn, um meine Kräfte und das verlorene Blut aus der Bißwunde zu erneuern.

Die Ketten ließen mir nur wenig Bewegungsspielraum, trotzdem konnte ich bis an das Rinnsal in der Ecke herankommen. Damit stillte ich meinen quälenden Durst, dann wusch ich die Bißwunde aus.

Einige Zeit später ertönte ein lauter Schrei. Ich erkannte Comirs Stimme und rief ihr zu, daß sie nicht alleine sei, und daß sie daran denken solle, daß sie eine Kriegerin sei. Ihre schwache Antwort konnte ich kaum vernehmen, dann herrschte wieder Stille.

Sechsmal lockte ich in der Dunkelheit Tiere an, um etwas zu essen zu haben, dann ertönten Schritte vor der Tür. Metall glitt beiseite, dann öffnete sich die Tür. Ich bedeckte schnell meine Augen, um sie vor dem Schein der Fackel zu schützen. Ich wurde emporgerissen, die Ketten wurden gelöst, aber nur, um anderen Ketten Platz zu machen, mit der meine Arme auf dem Rücken gefesselt wurden. Eine andere Kette wurde um meinen Hals gelegt, dann führte man mich hinaus. Draußen erkannte ich im Schein der Fackel meine Gefährtinnen. Wir wurden aneinandergekettet und nach oben geführt. Das Tageslicht blendete meine Augen. Wir wurden über einen langen Gang geführt, vorbei an Männern und Frauen, die sich angewidert von uns abwandten, vermutlich wegen des Gestanks, den wir verbreiteten.

Nach kurzer Zeit kamen wir zu einem hohen, offenen Torbogen, der von zwei Bewaffneten bewacht wurde. Diese führten uns in den darunterliegenden Raum, der größer war als alle, die ich zuvor gesehen hatte. Mindestens vierzig Schritt mal vierzig Schritte mag er gemessen haben. Seine Wände waren von blauen Tüchern bedeckt, die in Falten herunterhingen. Die Männer, an denen wir vorbeigingen, sahen uns merkwürdig an. Das war aber auch kein Wunder, so, wie wir aussahen, schmutzig und umgekämmt. Aber wir gingen mit stolz erhobenen Köpfen, denn wir waren Kriegerinnen vom Stamm der Hosta.

Vor der Rückwand dieses Raumes führten fünf Stufen nach oben, wo ein großer Sitz stand, ähnlich dem, wie ihn Rilas, die Oberste Hüterin des Horts, hat. Darin saß ein unglaublich dicker Mann. Sein Haar war weiß und er trug ein Gewand, das ihm bis zu den Zehen reichte. An seinen Fingern und um den Hals trug er glitzernde Steine. Neben ihm kniete eine Sklavin, die eine Schüssel mit Fleisch und frischen Früchten hielt, von denen er ab und zu aß. Eine Sklavin auf seiner anderen Seite reichte ihm hin und wieder etwas zu trinken. Vor diesen Mann wurden wir geführt und mußten uns in einer Reihe aufstellen. Es dauerte einige Zeit, ehe er uns überhaupt bemerkte. Dann nahm er ein Tuch aus seinem Schoß, wischte sich den Mund damit ab und warf es einer der Sklavinnen zu. Als er seine Augen auf uns richtete, wurden wir von den Wächtern gezwungen, niederzuknien.

»Sie beugen nicht freiwillig die Köpfe«, sagte der Mann oben auf den Stufen, mit einer Stimme, die viel tiefer war, als man es erwartet hätte. »Obwohl sie hier vor dem Richter knien, beugen sie nicht die Köpfe. Sind das diejenigen, die dem Hohen Senat seinen Anteil vorenthalten wollten?« »Jawohl, Euer Ehren«, entgegnete eine Stimme. Sie kam von Pileth, der zwei Stufen über uns zur Linken stand. »Außerdem haben sie drei unserer Wächter getötet. Ich verlange respektvollst, daß sie sofort hingerichtet werden.« »Hingerichtet?« sagte der, der oben saß. Er lachte und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, mein guter Hauptmann, sie werden nicht hingerichtet. Ihre Edelsteine wurden beschlagnahmt, doch die Juwelen, die sie selber darstellen, sollen nicht nutzlos beiseite geworfen werden. Sie sollen auf dem Markt zu einem Preis verkauft werden, der die Abgabe deckt, die sie dem Hohen Senat vorenthalten wollten.«

»Euer Ehren«, sagte Pileth, und seine Stimme klang irgendwie angestrengt, »ich gebe zu bedenken, daß diese Weiber Wilde sind, die bereits drei Männer getötet haben. Sie könnten eine Gefahr für die Sicherheit des Hohen Senats bedeuten, wenn man ihrem Leben nicht ein Ende setzt.« »Wie albern, Hauptmann«, entgegnete der Dicke. »Wilde oder nicht, sie sind nur Weiber, und der Hohe Senat fürchtet keine Weiber.« Dann sagte er, an mich gewandt: »Hat der Hohe Senat sich vor einer Sklavin wie dir zu fürchten?« »Männer brauchen sich nie vor Sklavinnen zu fürchten«, antwortete ich. »Aber ich bin keine Sklavin und werde es nie sein. Schlafe ruhig, du Narr, mein Dolch wird dich schon erreichen.«

Großer Lärm erhob sich unter den Männern im Saal. Nur Pileth schien sich zu freuen, während der auf dem Sitz keinesfalls erfreut war über meine Antwort. »Tatsächlich eine Wilde«, sagte er. »Gebt ihr zwanzig Peitschenhiebe, damit sie begreift, wie man sich vor einem Vertreter des Hohen Senates zu benehmen hat, dann schafft sie alle auf den öffentlichen Sklavenmarkt.«

Dann wurde wir gewaltsam hinausgeschafft. Pileth hatte mich traurig angesehen, dann blickte er weg. Wir wurden durch viele Gänge geführt, bis wir wieder in einen großen Raum kamen, in dem sich viele Männer und Frauen befanden, alle in Ketten. Zwischen ihnen liefen andere ungefesselt auf und ab. Am Eingang wurden wir von einem Mann und einer Frau, die sich über unsere Ankunft zu freuen schienen, in Empfang genommen. Der Mann war groß und kräftig. Sein Haar war so angegraut wie das von Maranu. Die Frau war kaum kleiner als Fayan, mit pechschwarzem Haar, ähnlich meinem. Ihre Augen musterten uns sorgfältig, dann schaute sie die Männer an, die uns hergebracht hatten.

»Jede soll für vierzig Silberstücke verkauft werden«, sagte der, der unsere Kette hielt, und übergab sie dem anderen Mann. »Sie müssen aber bewacht werden wie Männer, und die Schwarzhaarige dort bekommt zwanzig Hiebe.« Die Frau hob erstaunt die Augenbrauen und musterte mich erneut. »So viele«, sagte sie überrascht. »Wofür?« »Sie weiß sich vor Gericht nicht zu benehmen«, entgegnete der Wächter. »Nimm dich vor ihnen in acht, Karil, denn sie sind wild und ungebrochen.«

»Ich verstehe«, sagte die Frau, »der Richter ist erzürnt. Für den hohen Preis von vierzig Silberstücken wird es aber nicht einfach sein, sie zu verkaufen. Richte dem Hohen Senat aus, daß wir unser Bestes tun werden.«

Unsere Wächter entfernten sich wieder und wir wurden in eine Ecke des Raumes geführt, in der Ketten und Ringe an der Wand hingen. »Kette sie gut an, Bariose«, sagte die Frau, »und wasch ihnen den Kerkergestank ab. Dann werden wir weitersehen.«

»Ein vortrefflicher Gedanke, Karil«, entgegnete der Mann, der uns mit Abscheu ansah. »Niemand soll sich über ihren Gestank aufregen.«

»Ich bin an so etwas nicht gewöhnt«, sagte Karil. »Normalerweise sind es deine Sklaven, die so ankommen, nicht die Sklavinnen, die ich zu verkaufen habe. Wir werden in diesem Fall zusammenarbeiten müssen.«

»Da sehe ich keine Schwierigkeit«, erwiderte der Mann. »Ich werde für ihre Gefangenhaltung und Bestrafung sorgen, du für ihre Zurschaustellung und den Verkauf. Ganz einfach.« Die Frau sah mich mit besorgten Augen an. »Müssen es wirklich zwanzig Hiebe sein?« fragte sie. »Sie ist noch so jung, Bariose. Ich habe noch niemals ein so junges Mädchen so hart bestraft gesehen.«

»Die Entscheidungen des Gerichtes müssen befolgt werden«, sagte der Mann. »Sie wird keinen Hieb weniger bekommen,aber ich werde nicht so hart zuschlagen, daß Narben bleiben. Ich will ihren Verkauf nicht noch schwieriger machen.« »Du bist ein guter Mensch, Bariose«, sagte die Frau. »Zusammen werden wir einen Meister für sie finden, der so freundlich ist wie du. Ich werde einen Käfig für sie vorbereiten.« Die Frau ging auf ein metallenes Behältnis zu, das sich an der anderen Wand des Raumes befand, während der Mann uns in eine gegenüberliegende Ecke zog. Viele Augen waren auf uns gerichtet, insbesondere die der Männer, die dort angekettet waren. Viele von ihnen wären eine Freude in den Zelten der Hosta gewesen, stellte ich fest.

In der Ecke kettete der Mann uns an die Mauer. Binat sah mich an, als er sie beruhte, aber ich schüttelte den Kopf. Es war nicht der richtige Augenblick, um einem Mann zu zeigen, was ihm blühte, wenn er eine Kriegerin der Midanna ungebeten berührte.

Wir standen mit dem Gesicht zur Wand. Ich wußte nicht, ob es draußen hell oder dunkel war, denn es gab keine Fenster, ich wußte nicht, wo wir uns befanden. Ich wußte nur eins: Ich würde wieder frei sein, oder bei dem Versuch sterben. Nach einiger Zeit hörten wir Schritte hinter uns. Große hölzerne Gefäße mit Wasser wurden über uns ausgeleert. Ich schloß die Augen und fühlte mich so erfrischt, als ob ich unter einem Wasserfall gestanden hätte. Auch meine Kriegerinnen seufzten zufrieden bei der Berührung von Midas gesegneter Nässe. Dreimal wurden wir so behandelt, aber das letztemal gefiel mir nicht mehr, denn man hatte das Wasser mit einem Duft verdorben, ähnlich dem im Weiberzelt auf dem Jahrmarkt. So schlecht hatten die Hosta ihre Gefangenen nie behandelt.

Wir mußten längere Zeit warten, bis wir wieder Schritte hinter uns hörten. »Ihre Kleidung ist trocken, Bariose«, sagte die Frau, die Karil genannt wurde, »aber, ihr Haar ist noch naß, so lang und schwer, wie es ist. Es wird noch einige Zeit zum Trocknen benötigen, aber ich glaube, ich lasse es bereits kämmen, dann kannst du sie einsperren.«

»Wie du willst, Karil«, entgegnete der Mann, der Bariose genannt wurde. »Schicke deine Sklavin, wenn du fertig bist.« Einen Moment später hörten wir einen behenden Schritt hinter uns, und eine Sklavin begann, Binat zu kämmen. Als sie fertig war, legte sie ihr wieder das Lederband um den Kopf. Ich schmunzelte, denn es handelte sich um unser Kriegsband. Danach behandelte sie jede von uns in der gleichen Weise, nur für Fayan mußte sie ein anderes Band suchen. Ich erinnerte mich daran, daß Fayans Band schon verschwunden war, als uns Pileth und seine Männer gefangennahmen, und wunderte mich darüber, was mit ihr geschehen war. Sie hatte nicht darüber gesprochen, wozu auch kaum eine Gelegenheit gewesen war, aber offensichtlich zog sie es vor, überhaupt nicht darüber zu sprechen, was mich irgendwie beunruhigte. Als die Sklavin verschwunden war, hörten wir wieder Schritte. Drei Männer erschienen, die uns losketteten. Einer nahm mich beiseite, während die beiden anderen meine Kriegerinnen auf die andere Seite führten. Ich mochte es gar nicht, von ihnen getrennt zu werden.

Man brachte mich zu Bariose, der eine Lederpeitsche in der Hand hielt, die er nervös gegen sein Bein schlug. Man befestigte mich an zwei Ringen an der Wand, die so hoch angebracht waren, daß ich mich auf die Zehen stellen mußte. Einer der Männer verknotete meine langen Haare unter meinem Kinn, dann entfernten sie sich.

»Du bekommst jetzt deine erste Bestrafung, Sklavin«, sagte Bariose. »Denke gut über den Grund hierfür nach, dann wird es in Zukunft vielleicht nicht mehr nötig sein, dich zu bestrafen. Eine Sklavin muß unter allen Umständen gehorchen, sonst wird sie gezüchtigt.«

Dann schlug er mit einer solchen Macht zu, daß ich gegen die Wand geschleudert wurde. Der Hieb brannte wie Feuer. Vergeblich versuchten meine Hände, sich hilfesuchend in die Wand zu krallen, aber sie fanden keinen Halt. Dann kam der zweite Hieb, der sein Feuer zu der Flamme hinzufügte, die mich bereits zu verzehren drohte, ein dritter und ein vierter. Mein Körper schüttelte sich vor Schmerz, doch ich war Jalav, die Anführerin der Hosta. Kein Laut kam von meinen Lippen. Ich weiß nicht, wann die Pein aufhörte. Als die Männer mich aus den Ringen lösten, sackte ich zusammen. Man zog mich hoch, fesselte erneut meine Arme auf dem Rücken und schleppte mich über den Boden fort.

Unbewußt bemerkte ich die Stille im Raum. Alle Augen, das sah ich wie durch einen Schleier, waren auf mich gerichtet. Ich versuchte mich aufzurichten, um wie eine Kriegerin zu schreiten, aber ich konnte nicht. Die Männer brachten mich zu einem der Käfige, in dem meine Kriegerinnen standen. In ihren Augen brannte der Haß, aber sie konnten nichts tun. Die Männer öffneten die Tür des Käfigs und stießen mich hinein. Ich stürzte auf den Boden. Meine Kriegerinnen hoben mich auf und versuchten mich zu trösten. Dann umfing mich eine wohltuende Finsternis.

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