4 Der Palast des Hohen Senats – und seine Kerker

Als ich erwachte, war Pileth bereits gegangen. Er war verärgert gewesen, was ich aufrichtig bedauerte, denn er hatte mir viel Spaß bereitet. Die Gegenwart meines Dolches hatte jedoch dafür gesorgt, daß die Anführerin der Hosta nicht von einem Mann empfing. Ich war sicher, daß auch er seinen Spaß gehabt hatte. Trotzdem hatte er sich ziemlich schnell wieder entfernt. Er saß noch draußen in dem größeren Raum mit den anderen zusammen. Auch Larid und Binat befanden sich bei ihnen. Der Jäger, der bei Larid saß, brüllte gerade: »Mehr Renth! Und Renth für jeden! Ich besitze jetzt soviel, daß ich in Renth baden kann.«

Alle lachten über seine Worte, nur Pileth stand auf und sagte mit eiskalten Augen: »Mich würde interessieren, woher dein plötzlicher Reichtum stammt. Auch der Hohe Senat könnte daran interessiert sein.«

»Keine Angst«, lallte der Jäger. »Was ich hier habe, ist genug für mich und den Hohen Senat zusammen.« Damit öffnete er seine Faust. In ihr lagen zwei der Steine, die die Midanna den Männern geben, um ihnen die Schmach, daß sie von ihnen genommen wurden, etwas zu versüßen. Larid mußte sehr zufrieden mit dem Mann gewesen sein, daß sie ihm sogar zwei Steine gegeben hatte. Ich trug selbst auch einige dieser Steine unter meiner Stammesbekleidung verborgen und bedauerte, daß ich nicht auch Pileth einen oder zwei davon gegeben hatte. »Mehr als genug, das stimmt«, sagte Pileth. »Aber ich habe noch nicht vernommen, von wem du die Steine bekommen hast.«»Von diesem lieblichen Kind hier«, sagte der Mann und schlang seinen Arm um Larid. »Ich habe schon oft behauptet, daß die Frauen mich eigentlich bezahlen müßten, weil ich so gut bin. Diese hier hat es endlich eingesehen.« Alle lachten über seine Bemerkung, nur Pileth und seine Leute nicht. Er sah mich kalt an, dann sagte er: »Davon habt ihr nichts gesagt, als ihr heute morgen das Tor passiertet. Ich war selbst dabei zugegen.«

»Ich habe nicht gewußt, daß du so wild auf einen dieser Steine bist«, entgegnete ich, »sonst hätte ich dir gern einen gegeben, denn du warst es wert.«

Pileths Lippen bildeten nur noch einen schmalen Strich. Alle schwiegen betroffen. Der Jäger neben Larid sprang auf und schrie: »Davon hatte ich keine Ahnung, Hauptmann. Und bestimmt hatten sie auch keine Ahnung davon. Laß sie die Edelsteine nachträglich angeben.«

Ein zustimmendes Gemurmel erhob sich unter den anderen Jägern, aber Pileth lächelte kalt und sagte mit ausdrucksloser Stimme: »Als Hauptmann der Wache des Hohen Senats befehle ich, euch wegen Schmuggels und versuchter Bestechung eines Offiziers der Wachmannschaft zu verhaften. Wachen! Holt auch die anderen Dirnen herbei!« Ich hatte zwar von alledem kein Wort verstanden, aber seine Gesten waren unmißverständlich. Als einer seiner Männer die Hand nach meinem Schwert ausstreckte, fand er es bereits gezogen. Mit einem Fluch sprang er wieder zurück, zog seine eigene Klinge und drang wieder auf mich ein. Es gab einen großen Aufruhr. Larid und Binat waren aufgesprungen und kamen mir zur Hilfe. Zwei der Wächter griffen mich an. Der linke unterschätzte mich, und bevor er sich versah, war sein Leben mit einem Stich in sein linkes Auge beendet. Der rechte verlor kurz darauf seinen Kopf. Nun stand nur noch Pileth vor mir.

Er wurde blaß, als ich zum Angriff überging. Ich war Jalav, die Anführerin der Hosta. Im Kampf gab es für mich weder Gnade noch Schonung, das konnte er in meinen Augen lesen. Ich hieb auf ihn ein - als mich ein Schlag von hinten auf den Kopf traf. Benommen sank ich in die Knie, sprang aber mit einem Kriegsschrei wieder auf, denn ich wollte aufrecht sterben, so wie es die Ehre der Anführerin der Hosta gebot, aber das war mir nicht vergönnt. Erneut traf mich ein Schlag am Hinterkopf und Dunkelheit hüllte mich ein.

Mühsam öffnete ich die Augen. Sorgfältig gefesselt lag ich auf dem Boden. Meine Waffen waren fort. Nicht weit von mir lag Larid, zusammengesunken, und neben ihr einer von Pileths Männern in seinem Blut. Binat stand noch aufrecht und kämpfte, aber da schlich sich einer von Pileths Männern von hinten an sie heran und schlug ihr mit seinem Schwertknauf über den Kopf. Binat stolperte, versuchte vergeblich, sich auf den Füßen zu halten. Der Mann schlug erneut zu, und sie sank um, wie Larid und ich zuvor.

Pileths Männer schoben ihre Waffen wieder in die Scheiden. Einen Augenblick später waren Larid und Binat ebenfalls gefesselt. Pileth verschwand mit seinen Männern durch die Türe im Hintergrund. Die Jäger und zwei der Sklavinnen standen zitternd und schweigend an den Wänden. Mein Kopf schmerzte, meine Glieder wurden taub von den Fesseln. Vergeblich versuchte ich, mich zu befreien, als Pileth und seine Männer zurückkamen. Einer von ihnen trug Comir auf den Schultern, die noch immer ganz benommen von dem Renth war, auch sie sorgfältig gefesselt. Pileth und der andere Wächter führten Fayan zwischen sich. Ihr langes goldenes Haar hing ihr unordentlich ins Gesicht, ihr Schurz schien hastig übergezogen zu sein, und ihre Hände waren gleichfalls gefesselt.

Die Männer nahmen zwei große Behälter mit Wasser und leerten sie über Larid und Binat aus, die keuchend und hustend wieder zur Besinnung kamen. Die Männer sprachen kein Wort, während sie einen Strick um Fayans Kehle banden. Dann stellten sie mich gewaltsam hinter ihr auf und legten den Strick gleichfalls um meine Kehle. In der gleichen Weise verfuhren sie mit Larid und Binat. Comir hatten zwei heftige Güsse Wasser nicht zur Besinnung bringen können. Ein Mann nahm sie wieder über die Schulter, dann verließen wir den Raum, drei tote Wächter zurücklassend.

Schweigend wurden wir durch die dunklen Straßen der Stadt geführt. Als Fayan einmal auf den unebenen Steinen stolperte, wäre ich fast erwürgt worden. Unter den Tritten der Männer kam sie wieder auf die Beine.

Endlich erreichten wir das große Gebäude und wurden durch einen Hintereingang hineingeführt. Wir gingen einen langen Gang entlang, dann über eine Reihe von Stufen hinab in die Erde. Der Gang war feucht und wurde von Fackeln nur schwach erleuchtet. Ich roch die Ausdünstung von menschlichen Körpern und den Gestank von Exkrementen und fühlte mich wie erschlagen.

Wir hielten vor einer großen, metallenen Türe und wurden durch eine kleine Öffnung von zwei Wächtern sorgfältig betrachtet. Dann öffnete sich die Tür mit gewaltigem Lärm und wir wurden vorwärtsgestoßen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber hinter der Tür nahm der widerliche Gestank noch zu. Merkwürdige Laute waren zu hören, die kaum noch Ähnlichkeit mit menschlichen hatten. Ich machte einen Versuch, diesen schrecklichen Ort zu verlassen, wurde aber von dem Strick an meiner Kehle vorwärtsgezogen. Als ich meine Füße gegen den Boden stemmte, hieb mir einer der Wächter mit großer Gewalt seine Peitsche über den Rücken. Dann wurde ich wieder vorwärtsgestoßen.

Es gab kein Licht in diesem Königreich der Finsternis. Einer der Wächter leuchtete uns mit einer Fackel. Wir kamen an Reihen metallener Türen vorbei, bis wir schließlich vor einer hielten. Der Wächter mit der Fackel öffnete sie und trat beiseite, so daß derjenige, der Comir auf der Schulter trug, hindurchgehen konnte. Die Tür wurde geschlossen und ein großer Balken querüber gelegt. Dann gingen wir zur nächsten Tür. Hier nahm man Fayan den Strick von der Kehle und schob sie durch die Tür.

Im Licht der Fackel sah ich, wie Pileth mich beobachtete. Er hielt den Strick zu meiner Kehle in der Hand. Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck, den ich nicht zu deuten vermochte. Er sagte nichts, schien aber auf ein Wort von mir zu warten. Als ich schwieg, wandte er sich um und zog mich heftig an dem Strick vorwärts. Vor einer weiteren geöffneten Türe band er mich los und stieß mich hinein.

Drinnen konnte ich ein fensterloses Gemach erkennen, etwa drei mal drei Schritte groß, mit einem Bündel schmutzigem Stroh auf dem Boden. In der linken Ecke lief ein Rinnsal Wasser. An der hinteren Wand waren schwere metallene Ketten befestigt, zu denen man mich zog. Eine der Ketten wurde mit einem metallenen Band an meinem Hals befestigt, die anderen an meinen Hand- und Fußgelenken. Ich versuchte vergeblich, mich zu wehren. Der Gedanke, hier lebendig begraben zu sein, machte mich fast wahnsinnig. Lieber wäre ich tausendmal den Tod in offener Schlacht gestorben. Als die Männer, die mich hineingebracht hatten, den Raum verließen, trat Pileth ein. »Ich wollte dir die Freilassung anbieten, Jalav«, sagte er leise, mit traurigen Augen, »wenn du mich um Gnade gebeten hättest. Nun begreife ich, daß du niemals um Gnade bitten wirst. Ich bedauere, daß ich dich nicht getötet habe. Das wäre besser für dich gewesen als dies hier.« Er wandte sich schnell um und verließ den Raum. Die Tür schloß sich hinter ihm. Die Dunkelheit umfing mich. Nicht ein Schimmer Licht gab es. Ich wimmerte wie ein Hadat in der Falle des Jägers und sank auf das schmutzige Stroh. Aus welchem Grund man mich hier eingesperrt hatte, wußte ich nicht, aber benötigten die Männer aus den Städten einen Grund für das, was sie taten?

Ich dachte an Mida, wagte aber nicht, sie anzurufen, aus Angst, ein anderer würde es an ihrer Statt hören. Aber ich wußte, daß ich an diesem Ort nicht sterben durfte, denn sonst wäre meine Seele für immer verloren, obwohl ich noch mein Amulett trug. Noch war ich die Anführerin der Hosta. Erhobenen Hauptes wartete ich auf das, was da kommen würde.

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