9

»Ein elender Ort, mein Bruder«, bemerkte Raistlin leise, als er steif von seinem Pferd stieg.

»Wir waren an schlimmeren«, entgegnete Caramon, der Crysania von ihrem Pferd half. »Innen ist es warm und trocken, also hundertmal besser als draußen. Außerdem«, fügte er mit einem Blick auf seinen Bruder hinzu, der an der Seite seines Pferdes zusammenbrach, »kann keiner von uns ohne Pause weiterreiten. Ich kümmere mich um die Pferde. Ihr beide könnt schon hineingehen.«

Crysania stand in ihrem durchnäßten Umhang im Schlamm und starrte teilnahmslos auf das Wirtshaus. Es war, wie Raistlin sagte, ein elender Ort.

Den Namen wußte niemand, denn über der Tür hing kein Schild. Das einzige Kennzeichen, daß es sich um ein Wirtshaus handelte, war eine Tafel, die an der Tür befestigt und mit »Wandersmann, willkommen!« beschriftet war.

Raistlin war vorausgegangen. Nun stand er in der geöffneten Tür und sah zu Crysania zurück. Von innen kam Licht, und der Geruch von brennendem Holz versprach ein Feuer. Mit einem Seufzer watete Crysania durch den Schlamm und erreichte die Tür.

»Willkommen, Herr. Willkommen, die Dame.«

Crysania zuckte bei der Stimme zusammen, die neben ihr ertönte. Sie hatte niemanden gesehen. Die Tür schlug zu, und als sie sich umsah, erblickte sie einen häßlichen Mann, der im Schatten hinter der Tür kauerte.

»Ein rauher Tag, Herr«, sagte der Mann und rieb sich unterwürfig die Hände. Diese Geste, ein fettverschmierter Kittel und ein zerrissener Lappen über seinem Arm kennzeichneten ihn als den Gastwirt. Als sich Crysania in dem schmutzigen, schäbigen Gasthaus umblickte, dachte sie, daß es genügte. Der Mann kam auf sie zu, immer noch seine Hände reibend, bis er so dicht bei Crysania stand, daß sie den üblen Biergeruch seines Atems riechen konnte. Ihr Gesicht mit dem Umhang bedeckend, trat sie von ihm zurück. Er schien darüber zu grinsen; es war ein betrunkenes Grinsen, das dümmlich gewirkt hätte, wäre da nicht der listige Ausdruck in seinen Augen gewesen.

Als Crysania ihn betrachtete, verspürte sie den Wunsch, lieber wieder in den Sturm hinaus zu gehen. Aber Raistlin, der dem Gastwirt einen durchdringenden Blick zuwarf, sagte kalt: »Einen Tisch am Feuer.«

»Natürlich, Herr, natürlich. Einen Tisch am Feuer, natürlich. Kommt, mein Herr, meine Dame, hier entlang.« Mit schmeichlerischen Verbeugungen, die dem Ausdruck in seinen Augen widersprachen, schlufte der Mann über den Boden, niemals seinen Blick von ihnen abwendend, und führte sie zu einem schmutzigen Tisch.

»Ein Zauberer seid Ihr, Herr?« fragte der Gastwirt und streckte die Hand aus, um Raistlins schwarze Roben zu berühren, zog sie aber bei dem stechenden Blick des Magiers zurück. »Auch noch einer von den Schwarzen. Es ist schon eine Weile her, daß wir so einen gesehen haben«, fuhr er fort.

Raistlin gab keine Antwort. Von einem Hustenanfall übermannt, stützte er sich schwer auf seinen Stab. Crysania half ihm auf einen Stuhl in der Nähe des Feuers. Er sank darauf nieder und kauerte sich dankbar der Wärme entgegen.

»Heißes Wasser«, befahl Crysania und öffnete ihren nassen Umhang.

»Was ist mit ihm los?« fragte der Gastwirt argwöhnisch und wich zurück. »Doch nicht Gelbfieber, oder? Wenn ja, dann kann er nämlich gehen...«

»Nein!« rief Crysania und warf den Umhang von sich. »Seine Krankheit schadet keinem.« Sie warf dem Gastwirt einen befehlenden Blick zu. »Ich habe heißes Wasser bestellt«, sagte sie.

»Natürlich.« Seine Lippen kräuselten sich. Er rieb sich nicht länger die Hände, sondern schob sie unter die fettige Schürze, bevor er wegschlurfte.

Ihr Ekel verlor sich in ihrer Sorge um Raistlin, und Crysania vergaß den Gastwirt, als sie versuchte, es dem Magier bequemer zu machen. Sie öffnete seinen Reiseumhang und half ihm beim Ausziehen, dann legte sie den Umhang zum Trocknen vor den Kamin. Als sie sich im Gasthaus umsah, entdeckte sie mehrere Stuhlkissen. Sie holte einige und steckte sie hinter Raistlins Rücken, damit er sich bequemer zurücklehnen und leichter atmen konnte.

Sie kniete sich vor ihn und half ihm beim Ausziehen seiner nassen Stiefel, als sie seine Hand spürte, die ihr Haar berührte.

»Ich danke dir«, flüsterte Raistlin, als sie aufsah.

Crysania errötete vor Freude. Seine braunen Augen schienen wärmer als das Feuer zu sein, und seine Hand strich sanft das nasse Haar aus ihrem Gesicht. Sie konnte weder sprechen noch sich bewegen, sondern blieb vor ihm knien, von seinem Blick gefangengehalten.

»Bist du seine Frau?«

Die rauhe Stimme des Gastwirts, die hinter ihr ertönte, ließ Crysania aufschrecken. Sie hatte ihn weder gesehen noch seine schlurfenden Schritte gehört. Sie erhob sich, unfähig, Raistlin anzusehen, wandte ihr Gesicht zum Feuer und schwieg.

»Sie ist eine Dame aus einem fürstlichen Hause von Palanthas«, erklärte eine tiefe Stimme, die von der Tür kam. »Und ich wäre dir sehr dankbar, wenn du sie mit Respekt behandelst, Gastwirt.«

»Natürlich, Herr, natürlich«, murmelte der Gastwirt, scheinbar eingeschüchtert von Caramon, als dieser eintrat. »Sicherlich habe ich keine Respektlosigkeit beabsichtigt, und hoffentlich wurde das auch nicht so aufgefaßt.«

Crysania sagte mit gedämpfter Stimme: »Stell das Wasser auf den Tisch.«

Als Caramon die Tür schloß und sich zu ihnen gesellte, zog Raistlin den Beutel mit der Kräutermischung für seinen Trank hervor. Er warf ihn auf den Tisch und befahl Crysania mit einer Handbewegung, sein Getränk zu bereiten. Dann sank er in die Kissen zurück und starrte mit pfeifendem Atem ins Feuer. Caramons besorgten Blick spürend, hielt Crysania ihre Augen auf die Kräuter gerichtet.

»Die Pferde sind versorgt. Wir haben sie nicht überanstrengt und können also in einer Stunde weiterreiten. Ich will Solantus vor Einbruch der Nacht erreichen«, sagte Caramon nach einem Augenblick unbehaglichen Schweigens. Er breitete seinen Umhang vor dem Kamin aus. »Hast du etwas zu essen bestellt?« fragte er Crysania.

»Nein, nur heißes Wasser«, murmelte sie und reichte Raistlin seinen Trank.

»Gastwirt, Wein für die Dame und den Magier, Wasser für mich und etwas zu essen, egal, was du hast«, sagte Caramon und setzte sich ans Feuer, seinem Bruder gegenüber. Nach wochenlanger Reise durch dieses verödete Land hatten sie gelernt, das zu essen, was in den Wirtshäusern zur Verfügung stand.

»Das ist nur der Anfang der Herbststürme«, sagte Caramon gelassen zu seinem Bruder, als der Gastwirt wieder aus dem Raum schlurfte. »Sie werden schlimmer werden, je südlicher wir reisen. Willst du trotzdem deinen Plan durchführen? Es könnte dein Tod sein.«

»Wie meinst du das?« Raistlins Stimme klang erregt.

»Beruhige dich, Raistlin«, antwortete Caramon, der vor dem stechenden Blick seines Bruders zurückwich. »Nur, dein Husten wird bei dieser Feuchtigkeit immer schlimmer.«

Nachdem Raistlin seinen Bruder gemustert und erkannt hatte, daß er offenbar wirklich nichts anderes gemeint hatte, lehnte er sich wieder in seine Kissen zurück. »Ja, ich bin immer noch dazu entschlossen. Ich würde dir das Gleiche empfehlen, mein Bruder. Denn für dich ist es die einzige Möglichkeit, dein Zuhause wiederzusehen.«

»Es würde mir sehr gut tun, wenn du unterwegs sterben würdest«, knurrte Caramon.

Crysania sah Caramon entsetzt an, aber Raistlin lächelte nur bitter. »Deine Sorge rührt mich tief, Bruder. Aber fürchte nicht für meine Gesundheit. Meine Kraft wird ausreichen, um ans Ziel zu kommen, falls ich mich in der Zwischenzeit nicht übermäßig anstrenge.«

»Offenbar hast du jemand, der Sorge trägt, daß das nicht eintritt«, erwiderte Caramon ernst mit einem Blick auf Crysania.

Sie errötete wieder und wollte gerade etwas erwidern, als der Gastwirt zurückkam.

Er trat zu ihnen, einen dampfenden Kessel in einer Hand und einen Krug in der anderen, und musterte sie mißtrauisch. »Entschuldigt meine Bitte, meine Herren«, winselte er, »aber ich will erst Euer Geld sehen. Die Zeiten sind so...«

»Hier«, sagte Caramon, nahm eine Münze aus seiner Geldbörse und warf sie auf den Tisch. »Reicht das?«

»Natürlich, meine Herren, natürlich.« Der Gastwirt stellte Kessel und Krug ab, verschüttete dabei den Eintopf auf dem Tisch, ergriff gierig die Münze und beäugte dann den Magier, als ob er befürchtete, er könnte sie verschwinden lassen.

Die Münze in seine Tasche werfend, schlufte der Gastwirt hinter die Theke und kehrte mit drei Schüsseln, drei Hornlöffeln und drei Bechern zurück. Diese stellte er auf den Tisch, dann trat er zurück und rieb sich wieder die Hände. Crysania nahm die Schüsseln, starrte sie voller Ekel an und wusch sie sofort mit dem Rest des heißen Wasssers ab.

»Habt Ihr weitere Wünsche, meine Herren, meine Dame?« fragte der Gastwirt in derart schmeichlerischem Ton, daß Caramon eine Grimasse zog.

»Hast du Brot und Käse?«

»Ja, Herr.«

»Dann pack es in einen Korb.«

»Ihr wollt... Weiterreisen?« fragte der Gastwirt.

Crysania, die die Schüsseln auf den Tisch zurückstellte, sah auf, nahm eine leichte Veränderung in der Stimme des Mannes wahr. Sie blickte zu Caramon hin, ob er auch etwas bemerkt hatte, aber der große Mann rührte hungrig den Eintopf um. Raistlin, der nichts gehört zu haben schien, starrte ins Feuer, seine Hände hielten den leeren Becher fest.

»Wir werden hier sicherlich nicht die Nacht verbringen«, sagte Caramon, während er den Eintopf in die Schüsseln schöpfte.

»Ihr werdet keine besseren Unterkünfte in... Was habt Ihr gesagt, wohin Ihr wollt?« fragte der Gastwirt.

»Das geht dich nichts an«, erwiderte Crysania kühl. Sie nahm eine Schüssel Eintopf und reichte sie Raistlin. Aber der Magier winkte nach einem Blick auf das fettüberzogene Essen ab. Trotz ihres Hungers konnte Crysania nur wenige Löffel hinunterwürgen. Sie schob die Schüssel beiseite, zog den immer noch feuchten Umhang über, schloß die Augen und versuchte nicht daran zu denken, daß sie in einer Stunde wieder auf ihrem Pferd sitzen und durch das düstere, sturmgepeitschte Land reiten würde.

Raistlin war bereits eingeschlafen. Die einzigen Geräusche kamen von Caramon, der seinen Eintopf aß, und vom Gastwirt, der in die Küche zurückging, um den bestellten Lebensmittelkorb zu packen.

Nach einer Stunde holte Caramon die Pferde aus dem Stall, drei Reitpferde und ein schwerbeladenes Packpferd. Er half seinem Bruder und Crysania beim Aufsteigen, und als sie beide in ihren Sätteln saßen, bestieg Caramon sein eigenes riesiges Pferd. Der Gastwirt stand mit dem Korb barhäuptig im Regen.

Er überreichte ihn Caramon, grinste und verbeugte sich, während der Regen seine Kleidung durchnäßte.

Caramon bedankte sich knapp und warf dem Gastwirt eine Münze zu, dann ergriff er die Zügel des Packpferdes und ritt los. Crysania und Raistlin, gegen den Regenguß schwer in ihre Umhänge eingemummt, folgten.

Der Gastwirt, der offenbar den Regen vergessen hatte, hob die Münze auf und beobachtete die Drei beim Wegreiten. Plötzlich tauchten zwei Gestalten hinter den Ställen auf und traten zu ihm.

Die Münze in die Luft werfend, sah der Gastwirt sie an. »Sagt ihnen Bescheid – sie reisen auf der Straße nach Solantus.«

Dem Hinterhalt fielen sie mühelos zum Opfer.

Im schwindenden Licht des trostlosen Tages unter Bäumen reitend, von deren Zweigen Regen tropfte, war jeder in seine düsteren Gedanken verloren. Sie hörten erst das Galoppieren der Hufe und das Rasseln von hellem Stahl, als es zu spät war.

Bevor sie wußten, was geschah, stürzten dunkle Gestalten herbei. Der Überfall verlief routiniert.

Einer schlug den Magier ohnmächtig, bevor er sich umdrehen konnte. Ein anderer stürzte sich auf Crysania, schlug die Hand über ihren Mund und hielt die Spitze seines Dolches an ihre Kehle. Aber drei waren nötig, um Caramon von seinem Pferd zu ziehen und den großen Mann auf dem Boden zu überwältigen, und als der Kampf endlich vorbei war, kam einer der Räuber nicht mehr auf die Füße. Er lag reglos im Schlamm.

Caramons Arme wurden mit Bogensehnen zusammengebunden. Er blutete aus einer Kopfwunde.

Der Anführer, der seine Muskeln bemerkte, die sich unter den Bogensehnen spannten, schüttelte vor Bewunderung den Kopf.

Zwanzig bis dreißig schwerbewaffnete Männer hatten die Reisenden umzingelt. Als Caramon zu dem Anführer aufsah, fluchte er leise. Er hatte noch nie einen so großen Mann gesehen!

Seine Gedanken kehrten sofort zu Raag und der Gladiotorenarena in Istar zurück. »Ein halber Oger«, sagte er sich und spuckte einen Zahn aus, der ihm im Kampf locker geschlagen worden war. Sich lebhaft an den riesigen Oger erinnernd, der Arak bei der Ausbildung der Gladiatoren geholfen hatte, sah Caramon, daß dieser Mann, der auf dem ersten Blick ein Mensch zu sein schien, eine gelbliche, für Oger typische Hautfärbung hatte und die gleiche flache Nase. Auch war er größer als die meisten Menschen und hatte Arme wie Baumstämme. Aber seine Gangart war merkwürdig, und er trug einen langen Umhang, der am Boden schleifte und seine Füße verborgen hielt.

Da er in der Arena gelernt hatte, einen Feind abzuschätzen und nach jeder Schwäche zu suchen, beobachtete Caramon den Mann gründlich. Als der Wind den dicken Fellumhang zur Seite blies, sah Caramon erstaunt, daß der Mann nur ein Bein hatte. Das andere war ein künstliches Eisenbein.

Als der Halboger Caramons Blick bemerkte, grinste er breit und trat einen Schritt näher zu dem großen Mann. Er streckte eine Riesenhand aus und tätschelte Caramon leicht an der Wange.

»Ich bewundere Männer, die einen guten Kampf liefern«, sagte er mit sanfter Stimme. Dann ballte er mit überraschender Schnelligkeit seine Hand zur Faust und schlug Caramon an den Kiefer. Die Wucht des Schlages stieß den großen Krieger nach hinten und rieß beinahe seine Wächter mit ihm zusammen um. »Aber du wirst für den Tod meines Mannes bezahlen.«

Der Halboger raffte seinen langen Fellumhang zusammen und stapfte zu Crysania, die von einem Räuber festgehalten wurde. Dieser hielt immer noch seine Hand über ihren Mund, aber obgleich ihr Gesicht blaß war, waren ihre Augen dunkel und zornerfüllt.

»Ist das nicht nett?« sagte der Halboger sanft. »Ein Geschenk, und es ist noch nicht der Heilige Abend.« Sein Gelächter dröhnte durch die Bäume. Er ergriff ihren Umhang und riß ihn am Hals auf. Sein Blick überflog die Wölbungen ihres Körpers, die gut sichtbar wurden, als der Regen sich in ihre weißen Roben sog. Sein Lächeln verstärkte sich, und seine Augen glitzerten. Er streckte seine Riesenhand aus.

Crysania schrak vor ihm zurück, aber der Halboger bekam sie mühelos zu fassen und lachte. »Nun, nun, was trägst du denn da für einen Klunker, Süße?« fragte er, als sein Blick auf das Medaillon von Paladin fiel, das sie um ihren schlanken Hals trug. »Ich finde es... unkleidsam. Reines Platin!« Er stieß einen Pfiff aus. »Am besten, ich bewahre es für dich auf, meine Liebe. Es könnte nämlich in den Freuden unserer Leidenschaft verlorengehen...«

Caramon hatte sich inzwischen soweit erholt, daß er sehen konnte, wie der Halboger das Medaillon in seiner Hand hielt. In Crysanias Augen funkelte ein grimmiges Vergnügen auf, obgleich sie vor der Berührung des Mannes sichtlich erbebte. Ein Blitz reinen weißen Lichtes zischte durch den stürmischen Regen. Der Halboger ließ mit einem Knurren Crysania los.

Unter den Männern, die den Vorfall beobachtet hatten, erhob sich ein Gemurmel. Der Räuber, der Crysania festgehalten hatte, lockerte seinen Griff, und sie riß sich los, funkelte ihn wütend an und zog ihren Umhang wieder über.

Der Halboger hob seine Hand, sein Gesicht war zornverzerrt. Caramon fürchtete, daß er Crysania schlagen würde, als ein Mann aufschrie.

»Der Zauberer, er kommt wieder zu sich!«

Die Augen des Halbogers waren noch auf Crysania gerichtet, aber er senkte seine Hand. Dann lächelte er. »Nun, Hexe, die erste Runde hast du anscheinend gewonnen.« Er blickte zu Caramon zurück. »Ich genieße Wettkämpfe, sowohl in der Schlacht als auch in der Liebe. Dies verspricht für alle eine vergnügliche Nacht zu werden.« Mit einer Handbewegung befahl er dem Mann, der Crysania losgelassen hatte, diese wieder zu packen, und ging zu Raistlin, der vor Schmerzen stöhnend auf dem Boden lag. »Der Zauberer ist am gefährlichsten. Bindet seine Hände hinter dem Rücken zusammen und knebelt ihn«, befahl der Anführer. »Falls er auch nur einen Ton von sich gibt, schneidet seine Zunge ab. Das wird seine Zauberkraft für immer zerstören.«

»Warum töten wir ihn nicht?« knurrte einer der Männer.

»Dann mach es, Brack«, erwiderte der Halboger vergnügt. »Nimm dein Messer und schlitz ihm die Kehle auf.«

»Ich tue das nicht«, brummte der Mann und trat einen Schritt zurück.

»Nein? Wäre es dir lieber, wenn ich derjenige wäre, der für den Mord an einer Schwarzen Robe verflucht wird?« fuhr der Anführer fort. »Würdest du es genießen, wenn meine Schwerthand verkümmern und abfallen würde?«

»Das habe ich natürlich nicht gemeint, Stahlfuß. Ich habe nicht gedacht, das ist alles.«

»Dann fang mal an zu denken. Er kann uns jetzt nichts anhaben. Sieh ihn dir an.« Stahlfuß zeigte auf Raistlin.

Der Magier lag auf dem Rücken, seine Hände waren über seiner Brust gefesselt. Ein Knebel war um seinen Mund gebunden. Aber seine Augen funkelten aus dem Schatten seiner Kapuze in einem bösartigen Zorn, und seine Hände ballten sich in solcher Wut zusammen, daß mehr als einer der Räuber sich unbehaglich fragte, ob diese Maßnahmen ausreichten.

Vielleicht hatte Stahlfuß das gleiche Gefühl, als er zu Raistlin hinkte, der ihn voll Haß anstarrte. Als er neben dem Magier stehen blieb, erschien ein Lächeln in dem gelblichen Gesicht des Halbogers, und plötzlich stieß er sein Eisenbein gegen Raistlins Kopf. Der Magier erschlaffte. Crysania schrie auf, aber ihr Bewacher hielt sie fest. Caramon war verblüfft, als ein stechender Schmerz sein Herz zusammenzog, weil er die Gestalt seines Bruders im Schlamm liegen sah.

»Das wird ihn eine Weile ruhig halten. Wenn wir unser Lager erreichen, werden wir seine Augen verbinden und ihn zu einem Spaziergang auf den Berg mitnehmen. Wenn er ausrutscht und über den Abhang stürzt, nun, das ist der Lauf der Dinge, nicht wahr, Männer?«

Vereinzeltes Gelächter erhob sich, aber Caramon sah, daß viele nervöse Blicke austauschten und die Köpfe schüttelten.

Stahlfuß wandte sich von Raistlin ab, um mit glänzenden Augen das schwerbeladene Packpferd zu untersuchen. »Wir haben heute einen guten Fang gemacht, Männer«, stellte er zufrieden fest. Er stapfte zurück und hielt bei Crysania an.

»In der Tat ein guter Fang«, murmelte er. Seine Riesenhand packte grob Crysanias Kinn. Er beugte sich zu ihr und preßte seine Lippen auf die ihren. In den Armen ihres Bewachers gefangen, konnte Crysania sich nicht wehren. Sie sträubte sich auch nicht; vielleicht sagte ihr ein inneres Gefühl, daß genau das den Erwartungen des Mannes entsprechen würde. Sie stand mit steifem Körper aufrecht da. Aber Caramon sah ihre Hände sich zusammenballen.

»Ihr kennt meine Vorgehensweise, Männer«, sagte Stahlfuß und streichelte grob über ihr Haar. »Die Beute teilen wir unter uns auf – natürlich nachdem ich meinen Anteil erhalten habe.«

Über diese Bemerkung wurde gelacht, und hier und dort gab es vereinzelten Jubel. Caramon hatte keinen Zweifel an der Bedeutung dieser Erklärung, und es war vermutlich nicht das erste Mal, daß »Beute aufgeteilt« wurde.

Aber einige junge Gesichter verdüsterten sich, sahen einander beunruhigt an und schüttelten den Kopf. Und es gab auch einige Bemerkungen, wie: »Mit einer Hexe will ich nichts zu schaffen haben!« und: »Ich würde eher mit dem Zauberer ins Bett gehen!«

Hexe! Verschwommene Erinnerungen regten sich in Caramon – Erinnerungen aus der Zeit, als er und Raistlin mit Flint, dem Zwergenschmied, gereist waren, in der Zeit vor der Rückkehr der wahren Götter. Caramon erbebte. Plötzlich fiel ihm mit lebhafter Deutlichkeit ein, daß sie einmal in einer Stadt gewesen waren, in der eine alte Frau wegen Hexerei verbrannt werden sollte. Er erinnerte sich, wie sein Bruder und Sturm, der immer ehrenhafte Ritter, ihr Leben riskiert hatten, um das alte Weib zu retten. Er schauderte, dann zwang er sich, mit kalter Logik zu denken. Verbrennen war ein furchtbarer Tod, aber es war ein schnellerer als...

»Bringt mir die Hexe.« Stahlfuß humpelte zu dem Pfad, wo einer der Männer sein Pferd hielt. Er stieg auf und machte eine Handbewegung. »Dann folgt mit den anderen.«

Crysanias Bewacher zog sie zu Stahlfuß. Dieser griff nach unten, bekam sie unter den Armen zu fassen und hob sie vor sich aufs Pferd. Crysania saß da und starrte geradeaus, ihr Gesicht war kalt und ausdruckslos.

Weiß sie Bescheid? fragte sich Caramon, der hilflos zusah, wie Stahlfuß an ihm vorbeiritt. Das gelbliche Gesicht des Mannes hatte sich zu einem anzüglichen Grinsen verzerrt. Sie war immer behütet gewesen, vor derartigen Dingen beschützt. Vielleicht war ihr gar nicht bewußt, zu welch furchtbaren Dingen diese Männer in der Lage waren.

Und dann warf Crysania Caramon einen Blick zu. Ihr Gesicht war ruhig und blaß, aber in ihren Augen lag ein Ausdruck, der so viel Entsetzen, Angst und Flehen enthielt, daß er es nicht ertragen konnte und den Kopf neigte. Sie weiß Bescheid... Mögen die Götter ihr beistehen. Sie weiß Bescheid, dachte er.

Jemand stieß Caramon von hinten an. Einige Männer ergriffen ihn und warfen ihn auf den Sattel seines Pferdes. Über den Sattel hängend, seine starken Arme mit Bogensehnen gefesselt, die in sein Fleisch schnitten, sah Caramon, wie Männer den schlaffen Körper seines Bruders aufhoben und ihn über den Sattel seines Pferdes warfen. Dann bestiegen die Banditen ihre Pferde und führten ihre Gefangenen tief in den Wald.

Der Regen ergoß sich über Caramons bloßen Kopf, als das Pferd durch den Schlamm stapfte und ihn grob durchschüttelte. Während des ganzen Ritts konnte er vor seinem geistigen Auge nur diese dunklen, von Entsetzen erfüllten Augen sehen, die ihn hilfesuchend anflehten.

Aber Caramon wußte, daß es keine Hilfe geben würde.

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