8.

Das war nicht das erste Mal, daß Jack Holloway gegen Kaution freigelassen wurde, aber noch nie war die Kautionssumme so hoch gewesen. Aber wenn er daran dachte, wie Leslie Coombes' Augen sich geweitet hatten und Mohammed Ali O'Brien den Mund aufgerissen hatte, als er den Beutel mit den Sonnensteinen auf George Lunts Tisch geknallt und George aufgefordert hatte, sich daraus den Gegenwert von fünfundzwanzigtausend Sols herauszuholen, mußte er sagen, daß das Ganze den Spaß wert gewesen war. Besonders nach dem großen Auftritt, den Coombes daraus gemacht hatte, Kelloggs Kaution mit einem dieser berühmten vorbeglaubigten Blankoschecks der Gesellschaft zu bezahlen.

Er sah die Whiskyflasche an, die er in der Hand hielt und griff dann nach einer anderen im Schrank. Eine für Gus Brannhard und eine für den Rest seiner Gäste. Der Ruf, der Gus Brannhard und seinen Fähigkeiten im Vertilgen von Whisky vorausging, war bis zu ihm gedrungen.

Im Augenblick saß Gus in dem größten Stuhl, den Jack Holloway in seinem Wohnzimmer anzubieten hatte, und dieser Stuhl war keineswegs zu groß für ihn. Gus war ein Hüne von einem Mann mit lockigem graubraunem Haar und einem breiten Gesicht unter einem dicht wuchernden Bart. Er trug eine verschossene, schmierige Buschjacke mit Patronenstreifen an der Brust und ein zerrissenes Unterhemd. Baby Fuzzy saß auf seinem Kopf und Mama Fuzzy auf seinem Schoß. Mike und Mitzi hatten sich seine beiden Knie ausgesucht. Die Fuzzys hatten sofort an Gus Gefallen gefunden. Wahrscheinlich hielten sie ihn für einen großen Fuzzy.

„Ich würd's nicht gar zu leicht nehmen, Jack“, sagte Rainsford. „Du hast ja bei dem Verhör gesehen, wen wir alles gegen uns haben.“

Leslie Coombes, der Spitzenanwalt der Gesellschaft, war von Mallorys Port eigens herübergekommen. Seine Privatjacht leistete mindestens Mach 6, und er hatte sie bestimmt auf dem Flug nicht geschont. Mit ihm, geradezu an der Leine, war Mohammed Ali O'Brien gekommen, der Generalstaatsanwalt der Kolonie. Sie hatten beide versucht, den ganzen Fall für nichtig erklären zu lassen — Notwehr seitens Holloway und Tötung eines ungeschützten wilden Tieres seitens Kellogg. Als sie damit nicht durchgekommen waren, hatten sie sich verzweifelt bemüht, die Zulassung eines jeden Beweisstückes, das sich auf die Fuzzys bezog, zu verhindern. Schließlich war das Ganze nur ein Klagegericht; Leutnant Lunt als Polizeichef hatte nur äußerst beschränkte Vollmachten.

„Du hast ja gesehen, wie weit sie gekommen sind, oder?“

„Trotzdem, mir ist nicht ganz wohl in meiner Haut“, brummte Rainsford.

„Was meinst du, Ben?“ fragte Brannhard. „Was glaubst du, daß sie tun werden?“

„Ich weiß nicht. Das beunruhigt mich ja so. Wir stellen uns gegen die Zarathustragesellschaft, und die Gesellschaft mag es nicht, wenn man sich gegen sie stellt“, antwortete Rainsford. „Die versuchen jetzt bestimmt, Jack irgend etwas anzuhängen.“

„Und der Lügendetektor? Das ist doch lächerlich, Ben.“

„Glaubt ihr, wir können beweisen, daß die Fuzzys intelligent sind?“ fragte Gerd van Riebeek.

„Wer soll die Intelligenz definieren? Und wie?“ fragte Rainsford. „Coombes und O'Brien können festlegen, daß nur die Sprache- und Feuer-Regel gilt.“

„Das laßt nur meine Sorge sein“, warf Brannhard ein. „Wenn ich beweisen will, daß Jack Holloway im Recht war, als er Kurt Borch niederschoß, muß ich zuerst beweisen, daß Kurt Borch nicht im Recht war, als er Jack mit der Pistole bedrohte. Und um das tun zu können, muß ich wiederum den Beweis liefern, daß Kellogg im Unrecht war, als er auf dem Fuzzy herumtrampelte. Und das ist er nur dann, wenn Fuzzys intelligenzbehaftete Wesen sind. Folglich muß ich meine ganze Verteidigung darauf aufbauen.“

„Das wird nicht leicht sein“, wandte Rainsford ein. „Wir brauchen dazu die Aussage von Psychologen, und ihr wißt ja vermutlich, daß die einzigen Psychologen auf diesem Planeten Angestellte der Zarathustragesellschaft sind.“ Er leerte sein Glas und blickte wehmütig auf die Reste von Eiswürfeln auf dem Boden des Glases und schenkte sich dann nach. „Ich hätte genauso gehandelt wie du, Jack aber trotzdem wäre mir lieber, wenn das alles nicht passiert wäre.

„Hah!“

Mama Fuzzy fuhr erschreckt zusammen, als sie Brannhards Ausruf hörte.

„Was glaubt ihr, was Victor Grego sich im Augenblick wünscht?“


Victor Grego legte gerade den Hörer auf die Gabel. „Das war Leslie auf der Jacht“, sagte er.

„Sie kommen jetzt herein. Sie machen am Krankenhaus Station, um Kellogg abzuliefern, dann kommen sie hierher.“

Nick Emmert knabberte an einem Sandwich. Er hatte rötliches Haar, wäßrige Augen und ein weichliches Gesicht.

„Holloway muß ihn ziemlich zugerichtet haben“, sagte er.

„Ich wollte, er hätte ihn umgebracht!“ stieß Grego hervor. Der Generalresident zuckte zusammen.

„Das ist doch nicht Ihr Ernst, Victor!“

„Den Teufel ist es!“ Er deutete auf das Bandgerät, wo soeben die Aufnahme des Verhörs abgelaufen war.

„Das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was bei der Verhandlung herauskommen wird. Wissen Sie, was auf dem Grabstein der Gesellschaft stehen wird? ‚Zu Tode getrampelt, zusammen mit einem Fuzzy, von Leonard Kellogg!‘

„Aber, Victor, sie werden Leonard doch nicht wegen Mordes verurteilen“, sagte Emmert. „Nicht, weil er eines von diesen kleinen Viechern umgebracht hat.“

„Unter Mord ist die vorsätzliche und ungerechtfertigte Tötung eines vernunftbegabten Wesens einer jeden Rasse zu verstehen“, zitierte Grego. „So lautet das Gesetz. Wenn sie vor Gericht beweisen können, daß die Fuzzys vernunftbegabte Wesen sind…“

— dann würden eines Tages zwei Gerichtsbeamte Leonard Kellogg in den Gefängnishof führen und ihm eine Kugel durch den Kopf schießen, spann er den Gedankenfaden weiter. Das für sich allein betrachtet wäre kein großer Verlust. Das Unangenehme daran würde nur sein, daß sie gleichzeitig mit ihm auch dem Vertrag der Zarathustragesellschaft ein Ende bereiten würden. Vielleicht konnte man verhindern, daß Kellogg vor Gericht auftreten mußte. Es kam oft genug vor, daß auf ein startendes Raumschiff in letzter Minute ein betrunkener Raummatrose geschmuggelt wurde, und wenn man überlegte, wie Holloway Kellogg zugerichtet haben mußte, würde es gar nicht schwer sein, ihn als betrunkenen Raumfahrer zu deklarieren. Die fünfundzwanzigtausend Sol Kaution mußten dann eben abgeschrieben werden — für die Gesellschaft war das ein Pappenstiel. Nein, dann galt es ja immer noch den Hollowayprozeß durchzustehen.

„Wollen Sie, daß ich mit dabei bin, wenn die anderen kommen, Victor?“ fragte Emmert und griff nach einem neuen Sandwich.

„Aber selbstverständlich. Das wird die letzte Gelegenheit sein, gemeinsam über die Sache zu sprechen; nachher müssen wir alles vermeiden, das nach Beeinflussung aussieht.“

„Aber mit Vergnügen, ich helfe doch gern, das wissen Sie ja, Victor“, sagte Emmert.

Ja, das wußte Grego. Wenn es zum Schlimmsten kam und der Vertrag der Gesellschaft gekündigt wurde, konnte er immer noch hierbleiben und sich irgendwie über Wasser halten und vielleicht sogar aus dem Zusammenbruch der Gesellschaftsbürokratie seinen Nutzen schlagen. Nick dagegen würde erledigt sein. Sein Titel, seine gesellschaftliche Stellung, seine Schmiergelder, seine Privilegien — erledigt.

Die Sprechanlage auf dem Schreibtisch gab einen leisen Summton von sich. Dann teilte eine Frauenstimme mit, daß Mr. Coombes und seine Begleiter eingetroffen seien.

„Okay, führen Sie sie herein.“

Coombes trat als erster ein, eine hochgewachsene, elegante Gestalt mit einem glatten, zufriedenen Gesicht. Den gleichen Gesichtsausdruck würde er inmitten eines Bombardements oder eines Erdbebens zeigen. Grego hatte Coombes als Anwalt gewählt — der Gedanke daran verlieh ihm Auftrieb. Mohammed Ali O'Brien war weder hochgewachsen noch elegant noch ruhig. Seine Haut war beinahe schwarz — er war auf Agni geboren, unter einer heißen B3-Sonne. Sein kahler Schädel glänzte, und eine große Nase stach über einem mächtigen weißen Schnurrbart hervor. Und hinter ihnen drängte sich der Rest der Expedition zum Beta-Kontinent herein — Ernst Mallin, Juan Jimenez und Ruth Ortheris. Mallin sagte gerade: „Wie schade, daß Dr. Kellogg nicht hier ist.“

„Das bezweifle ich. Und bitte setzen Sie sich. Wir haben leider eine ganze Menge zu besprechen.“


Oberrichter Frederic Pendarvis schob den Aschenbecher ein paar Zoll nach rechts und gleich darauf die schlanke Vase mit den Sternblumen ein paar Zoll nach links. Dann stellte er die gerahmte Fotografie der weißhaarigen Frau direkt vor sich. Jetzt fiel ihm keine andere aufschiebende Taktik mehr ein, und er zog die beiden dicken Bücher näher an sich heran und schlug das rote, das mit den Kriminalakten, auf.

Der erste Fall war ein Mord. Ein Bericht vom Beta-Kontinent, Konstabler fünfzehn, Leutnant George Lunt. Jack Holloway — der alte Jack hatte also wieder einmal eine Kerbe in seine Pistole geschnitten — Cold Creek-Tal, Föderationsbürger, Rasse Terra — menschlich; Tötung eines vernunftbegabten Wesens, Kurt Borch, Mallorys Port, Föderationsbürger, Rasse Terra — menschlich. Ankläger Leonard Kellogg, dito. Verteidiger des Beklagten Gustavus Adolphus Brannhard.

Der zweite Bericht betraf ebenfalls einen Mord und stammte auch von Konstablerleutnant George Lunt. Er las den Bericht und blinzelte dann. Leonard Kellogg, Tötung eines vernunftbegabten Wesens, Name unbekannt, genannt Goldlöckchen, Eingeborene, Rasse Fuzzy — Zarathustra, Ankläger Jack Holloway, Anwalt des Beklagten Leslie Coombes — Pendarvis lachte laut auf. Offenbar ein Versuch, Kelloggs Anklage lächerlich zu machen. Gut, daß es Leute wie Gus Brannhard gab, um die trockene Routine des Gerichts manchmal etwas aufzulockern. Rasse Fuzzy — Zarathustra!


In dem Glas war nicht genug Eis, und so warf Leonard Kellogg noch einen Würfel hinein. Dann waren es zu viele, und er goß Brandy nach. Er hätte nicht so früh mit dem Trinken anfangen sollen. Wenn er so weitermachte, würde er bis zum Abend betrunken sein, aber was blieb ihm sonst übrig? Er konnte so, wie sein Gesicht aussah, ja nicht hinausgehen. Und außerdem war er nicht sicher, ob er Lust dazu verspürt hätte.

Sie hatten ihn alle im Stich gelassen. Ernst Mallin, Ruth Ortheris, ja, sogar Juan Jimenez. Auf der Polizeistation hatten Coombes und O'Brien ihn wie ein schwachsinniges Kind behandelt, bei dem man aufpassen muß, daß es nicht zuviel sagt. Und auf dem Rückflug nach Mallorys Port hatten sie ihn überhaupt ignoriert.

Der Bildsprecher im Nebenzimmer summte. Vielleicht war das Victor. Er kippte den Inhalt des Glases hinunter und eilte an das Gerät.

Es war Leslie Coombes. Sein Gesicht war wie üblich bar eines jeden Ausdrucks.

„Oh, hallo Leslie.“

„Guten Tag, Dr. Kellogg.“ Die formelle Anrede ließ die Zurechtweisung deutlich spüren. „Der Anklagevertreter hat mich gerade angerufen; Richter Pendarvis hat den Antrag auf Niederschlagung des Prozesses, den er in Ihrem Falle eingereicht hat, abgewiesen und angeordnet, daß beide Fälle vor Gericht ausgetragen werden.“

„Sie meinen, das Gericht nimmt das wirklich ernst?“

„Es ist Ernst. Wenn Sie verurteilt werden, wird die Charta der Gesellschaft beinahe automatisch ungültig werden. Und — das ist zwar nur für Sie persönlich wichtig — es könnte leicht sein, daß man Sie zum Tode durch Erschießen verurteilt.“ Er tat das mit einem Achselzucken ab und fuhr fort: „Jetzt möchte ich mit Ihnen über Ihre Verteidigung sprechen, für die ich verantwortlich bin. Sagen wir, zehn Uhr dreißig morgen in meinem Büro. Bis dahin werde ich wahrscheinlich wissen, welches Beweismaterial gegen Sie vorgebracht werden kann. Ich erwarte Sie also, Dr. Kellogg.“

Er mußte noch mehr gesagt haben, aber das war alles, was bei Leonard haften blieb. Es wurde ihm auch nicht bewußt, wie er wieder ins Nebenzimmer ging, bis er bemerkte, daß er in seinem Lehnstuhl saß und das Glas erneut mit Brandy füllte. Er hatte nur noch wenig Eis, aber das störte ihn nicht.


Als Leslie Coombes Victor Grego in dessen Büro aufsuchte, fand er Nick Emmert dort vor. Die beiden Männer erhoben sich, um ihn zu begrüßen, und Grego sagte: „Haben Sie's gehört?“

„Ja. O'Brien hat mich sofort angerufen. Ich habe meinen Mandanten angerufen und es ihm gesagt. Ich fürchte, für ihn war das ein ziemlicher Schock.“

„Pendarvis wird die Verhandlung selbst leiten“, sagte Emmert. „Ich hielt ihn immer für einen vernünftigen Mann, aber was bezweckt er eigentlich damit? Will er der Gesellschaft eins auswischen?“

„Er ist nicht gegen die Gesellschaft. Er ist auch nicht für die Gesellschaft. Er ist einfach für die Gesetze. Das Gesetz sagt, daß ein Planet mit vernunftbegabten Eingeborenen die Klasse IV besitzt und eine Kolonialregierung der Klasse IV haben muß. Wenn Zarathustra ein Klasse-IV-Planet ist, will er, daß diese Regierung errichtet wird. Wenn es ein Klasse-IV-Planet ist, besteht der Vertrag der Zarathustra-Gesellschaft zu Unrecht. Es ist seine Aufgabe, für die Beseitigung eines jeden Unrechts zu sorgen. Frederic Pendarvis' Religion ist das Gesetz, und er ist sein höchster Priester. Man kann nie mit einem Priester über Religion streiten.“

„Dann kann man nur hoffen, daß diese Fuzzys nicht vor Gericht aufstehen, ein Freudenfeuer anzünden und eine Rede in terranischer Sprache halten“, meinte Grego.

Nick Emmert schrie erschreckt auf:

„Jetzt glauben Sie selbst, daß sie intelligent sind!“

„Natürlich. Sie nicht?“

Grego lachte. „Nick glaubt, man muß eine Sache glauben, um sie beweisen zu können. Das hilft zwar, es ist aber nicht notwendig. Aber klar werden sollten wir uns natürlich schon, wo wir stehen. Am besten wäre es, wir hätten selbst ein paar Fuzzys zum Studieren.“

„Schade, daß wir die von Holloway nicht kriegen können“, sagte Emmert. „Das heißt, vielleicht ginge das, wenn er sie in seinem Lager alleinläßt.“

„Nein, das können wir nicht riskieren.“ Grego dachte einen Augenblick nach. „Einen Augenblick mal. Ich glaube, wir schaffen es doch. Und sogar auf legalem Wege.“

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