16.

Neun Uhr am Morgen darauf.

Max Fane trat mit ausdruckslosem Gesicht auf den Richtertisch zu.

„Euer Ehren, ich schäme mich, Ihnen berichten zu müssen, daß der Beklagte, Leonard Kellogg, dem Gericht nicht vorgeführt werden kann. Er ist tot; er hat vergangene Nacht in seiner Zelle Selbstmord verübt. Die Verantwortung dafür trifft mich“, fügte er bitter hinzu.

„Wie konnte das geschehen, Marshal?“ fragte Oberrichter Pendarvis.

„Der Gefangene befand sich in seiner Einzelzelle, die mit einem Fernsehauge ausgestattet war. Einer meiner Mitarbeiter hat ihn am Bildschirm beobachtet.“ Fanes Stimme klang wie die eines Roboters. „Um zweiundzwanzig Uhr dreißig ging der Gefangene zu Bett. Er war mit seinem Hemd bekleidet. Er zog sich die Decken über den Kopf. Der Beamte, der ihn beobachtete, dachte sich nichts dabei.

Als heute morgen ein Wächter ihn wecken wollte, fand er das Bett unter der Decke mit Blut getränkt. Kellogg hatte den Reißverschluß seines Hemdes hin-und hergezogen, bis er die Schlagader durchsägt hatte. Er war tot.“

„Großer Gott, Marshal!“ Pendarvis war erschüttert.

„Ich glaube nicht, daß man Ihnen einen Vorwurf machen kann, weil Sie nicht mit so etwas gerechnet haben. Daran hätte niemand gedacht.“

Marshal Fane verbeugte sich wortlos und trat zur Seite.

Leslie Coombes, den es sichtlich Mühe kostete, ein gebührend schockiertes und betrübtes Gesicht zu machen, erhob sich.

„Euer Ehren, ich stelle fest, daß ich keinen Mandanten mehr habe“, sagte er. „Genau genommen, habe ich hier überhaupt nichts mehr verloren; die Anklage gegen Mr. Holloway ist natürlich automatisch hinfällig. Er hat einen Mann erschossen, der versuchte, ihn zu töten. Das ist alles. Ich bitte Euer Ehren deshalb, die Anklage gegen ihn fallen zu lassen und ihn aus der Untersuchungshaft zu entlassen.“

Der Richter schüttelte den Kopf. „Nein, das werde ich nicht tun“, sagte er. „Mr. Holloway ist unter Anklage des Mordes verhaftet worden. Wenn er nicht schuldig ist, steht ihm zumindest die Genugtuung eines Freispruchs zu. Ich fürchte, Mr. Coombes, daß Sie fortfahren müssen, die Anklage gegen ihn zu vertreten.“

Der Hammer klopfte. Little Fuzzy kletterte auf Jack Holloways Schoß. Nach fünf Tagen vor Gericht hatten sie alle gelernt, was dieses Geräusch bedeutete. Alle Fuzzys — und auch alle anderen Leute, mußten sich ruhig verhalten.

Der Saal sah jetzt wieder wie ein Gerichtssaal aus. Die Tische standen in einer Reihe vor dem Richtertisch, und der Zeugenstuhl und die Geschworenenbank befanden sich ebenfalls an ihrer angestammten Stelle. Nur eines war ungewöhnlich. Jetzt saß ein vierter Mann am Richtertisch, ein Mann in der schwarzen Uniform der Raumnavy. Er bewahrte einen kleinen Abstand zu den Richtern und bemühte sich auszusehen, als wäre er überhaupt nicht vorhanden — Raumkommodore Alex Napier.

Richter Pendarvis legte seinen Hammer auf den Tisch.

„Meine Damen und Herren, sind Sie jetzt bereit, über das Ergebnis Ihrer Diskussion zu berichten?“ fragte er.

Leutnant Ybarra, der Marinepsychologe, erhob sich. Vor ihm befand sich ein Lesegerät, das er jetzt einschaltete.

„Euer Ehren“, begann er, „es bestehen immer noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten in Detailfragen, aber wir sind uns in allen wichtigen Punkten einig. Der Bericht ist recht umfangreich und bereits zu Protokoll gegeben worden. Darf ich um die Genehmigung des Gerichtes bitten, nur ein Resümee daraus zu geben?“

Pendarvis stimmte zu. Ybarra sah auf seinen Bildschirm und fuhr fort:

„Es ist unsere Ansicht“, erklärte er, „daß man die Intelligenz im Gegensatz zur Nichtintelligenz so definieren kann, daß sie durch das bewußte Denken charakterisiert wird, durch die Fähigkeit, in logischer Folge und in Begriffen — im Gegensatz zu bloßen Sinneseindrücken — zu denken. Wir — damit meine ich jeden Angehörigen einer jeden vernunftbegabten Rasse — denken bewußt und wissen, was wir denken.

Ybarra trank einen Schluck aus seinem Wasserglas und drehte mit der anderen Hand den Film in seinem Lesegerät weiter.

„Das vernunftbegabte Wesen“, fuhr er fort, „kann noch etwas tun. Dabei handelt es sich um eine Kombination der drei bereits aufgezählten Fähigkeiten, aber diese Kombination schafft etwas Größeres als die bloße Summe von Teilen. Das vernunftbegabte Wesen ist der Vorstellung fähig. Es kann sich etwas vorstellen, das in der Welt der Realität überhaupt nicht existiert und kann daran arbeiten und planen, um eine Realität daraus zu machen. Es ist also nicht nur der Vorstellung fähig, sondern kann auch schaffen, schöpferisch tätig sein.“

Er hielt inne. „Und zu dieser Definition der Vernunft sind wir gelangt: wenn wir ein beliebiges Wesen antreffen, dessen geistige Prozesse diese Charakteristiken einschließen, werden wir in ihm ein vernunftbegabtes Bruderwesen erkennen. Die Meinung von uns allen hier ist, daß die als Fuzzys bezeichneten Wesen solche Wesen sind.“

Jack drückte den kleinen Fuzzy an sich, und Little Fuzzy blickte auf und murmelte:

„He inta?“

„Du hast's geschafft, Kleiner“, flüsterte Jack.

Und Ybarra sagte: „Sie denken bewußt und zusammenhängend. Ich brauche nur an die verschiedenen logischen Schritte zu erinnern, die für die Erfindung, den Entwurf und die Herstellung ihrer Waffen für die Garnelentöter nötig waren.

Aber sie sind nicht nur in der Lage, neue Geräte zu ersinnen, sondern sich auch eine neue Art zu leben vorzustellen. Das sehen wir an dem ersten menschlichen Kontakt mit der Rasse, die, wie ich vorschlage, den Namen Fuzzy sapiens bekommen sollte. Little Fuzzy fand einen wunderbaren Platz im Wald, einen Platz, der ganz anders war als alles, was er je gesehen hatte und einen Platz, an dem ein mächtiges Wesen lebte. Er stellte sich vor, selbst an diesem Platz zu wohnen und sich der Freundschaft und des Schutzes dieses mysteriösen Wesens zu erfreuen. Und so freundete er sich mit Jack Holloway an und lebte mit ihm. Und dann stellte er sich vor, wie es wäre, wenn seine Familie diese Bequemlichkeiten und diesen Schutz mit ihm genießen könnte, und er ging und holte sie zu sich. Wie so viele andere vernunftbegabte Wesen hat Little Fuzzy einen herrlichen Traum geträumt, und es war ihm gelungen, aus diesem Traum Wirklichkeit zu machen.“

Der Oberrichter ließ den Applaus ein paar Minuten gewähren, ehe er ihn mit seinem Hammer zum Verstummen brachte.

„Es ist der einstimmige Beschluß des Gerichts, den Bericht von Leutnant Ybarra zu Protokoll zu nehmen und ihm und allen, die mit ihm zusammengearbeitet haben, zu danken.

Dieses Gericht beschließt nun, daß die Spezies, die als Fuzzy, Fuzzy Holloway, Zarathustra, bekannt ist, in der Tat eine Rasse vernunftbegabter Wesen ist und den Respekt aller anderen vernunftbegabten Wesen und den vollen Schutz der Gesetze der terranischen Föderation genießen soll.“ Er betätigte erneut seinen Hammer.

Raumkommodore Napier beugte sich zu ihm und flüsterte ihm etwas zu. Dann nickten alle drei Richter zustimmend. Der Offizier erhob sich.

„Leutnant Ybarra, ich möchte Ihnen in Vertretung der Marinebehörden und der Föderation, Ihnen und allen, die mit Ihnen an diesem Bericht gearbeitet haben, für Ihre klaren und verständlichen Ausführungen danken. Die Arbeit, die Sie geleistet haben, gereicht allen Beteiligten zur Ehre.“

Ich hoffe, der Junge kriegt einen Streifen dazu, dachte Jack, aber Pendarvis hämmerte erneut auf die Bank.

„Beinahe hätte ich es vergessen; das ist ja ein Kriminalprozeß“, gestand er. „Dieses Gericht beschließt, daß der Beklagte Jack Holloway im Sinne der Anklage unschuldig ist. Er wird hiermit aus der Untersuchungshaft entlassen. Wenn er oder sein Anwalt vortreten will, wird die Kautionssumme zurückerstattet.“ Pendarvis erstaunte Little Fuzzy aufs höchste, als er erneut mit dem Hammer auf den Tisch schlug, um damit die Sitzung zu beenden.

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