H. Beam Piper Der kleine Fuzzy

1.

Jack Holloway stellte fest, daß die orangerote Sonne ihn blendete. Er hob die Hand, um sich den Hut in die Stirn zu schieben und griff dann an den Schalter, um die Schwingungsphase der Kontragrav-Feldgeneratoren zu verändern, damit der Manipulator um weitere hundert Fuß steigen konnte.

„Das wird reichen“, sagte er zu sich selbst nach der Art von Menschen, die lange Zeit allein sind. „Bin neugierig, wie die Ladung hochgeht.“

Das war er immer. Er konnte sich gut an tausend Sprengungen erinnern, die er im Laufe der Jahre ausgelöst hatte — und das auf mehr Planeten, als er im Augenblick aufzählen konnte. Aber jede einzelne Sprengung war anders, und es rentierte sich, jedesmal zuzusehen, selbst bei einer kleinen wie der hier. Er legte den Schalter um, sein Daumen fand den Auslöseknopf, und dann verschwand der rote Fetzen, den er zur Markierung angebracht hatte, in einer Fontäne von Rauch und Staub, die sich aus der kleinen Felsspalte hochtürmte und kupferne Farbe annahm, als das Licht der Sonne darauffiel.

Er wartete, bis sein Manipulator wieder gleichmäßig schwebte und steuerte ihn dann zu der Klippe hinunter, wo seine Sprengladung eine tiefe Spalte geschaffen hatte. Die Detonation hatte eine Menge Sandstein aufgerissen, die Feuersteinader angekratzt und das Zeug nicht zu weit umhergeworfen. Eine Menge großer Brocken hatte sich gelockert. Er fuhr die vorderen Greifzangen aus, zog und zerrte und benutzte dann den unteren Greifer, um einen Brocken hochzuheben und ihn auf das flache Land zwischen der Klippe und dem Fluß fallen zu lassen. Dann ließ er einen zweiten Brocken darauf plumpsen, wodurch beide brachen und dann noch einen und wieder einen, bis er sich genügend Arbeit für den Rest des Nachmittags geschaffen hatte. Dann landete er, holte seinen Werkzeugkasten und den Kontragravheber und kletterte ins Freie, wo er den Werkzeugkasten öffnete, die Handschuhe anzog und sich mit einem Mikrostrahltaster und einem Vibrohammer an die Arbeit machte.

Vor vielleicht fünfzig Millionen Jahren, als der Planet, den man Zarathustra genannt hatte, noch jung war, hatte es dort ein quallenähnliches Lebewesen gegeben. Wenn diese „Quallen“ starben, sanken sie in den Schleim am Meeresboden; Sand hatte diesen Schleim bedeckt und einen immer größeren Druck darauf ausgeübt, bis glasiger Kiesel daraus geworden war, in dem die eingeschlossenen Quallen wie bohnengroße Ablagerungen eines noch härteren Gesteins verblieben. Einige dieser versteinerten Quallen wiesen durch irgendeine Laune der Biochemie eine besonders intensive Thermofluoreszenz auf; trug man sie als Schmucksteine, so reichte die Körpertemperatur aus, sie zum Glühen zu bringen.

Auf Terra, Baldur, Freya oder Ishtar war ein einziger polierter Sonnenstein ein kleines Vermögen wert. Selbst hier konnte man damit bei den Edelsteinaufkäufern der Zarathustragesellschaft gute Preise erzielen.

Holloway holte sich einen kleineren Vibrohammer aus seinem Werkzeugkasten und begann vorsichtig um den Fremdkörper herum zu klopfen, bis der Kiesel aufsprang und sein Geheimnis freigab — ein glattes gelbes Ellipsoid, etwa einen halben Zoll lang.

Eine vorsichtige Berührung mit dem Hammer hier und noch eine da, und die gelbe „Bohne“ löste sich aus dem Kiesel. Er hob sie auf und rieb sie mit den behandschuhten Fingern. „Glaube, das ist eine Niete.“ Noch einmal rieb er und hielt den Stein dann an den heißen Kopf seiner Pfeife. Keine Reaktion. Er ließ ihn fallen. „Wieder eine Qualle, die falsch gelebt hat.“

Hinter ihm. bewegte sich etwas im Busch. Er ließ den rechten Handschuh fallen, drehte sich um und griff zur Waffe. Dann sah er, was das Geräusch verursacht hatte — ein etwa einen Fuß langes Krustentier mit zwölf Beinen, langen Antennen und zwei klauenbewehrten Scheren. Er bückte sich und hob einen Steinbrocken auf, den er fluchend in Richtung des Tieres warf. Wieder eine von diesen verdammten Landgarnelen.

Er konnte Landgarnelen nicht leiden. Es waren scheußliche Dinger — wofür sie freilich nichts konnten. Genauer gesagt, sie richteten viel Unheil an. Im Lager hatten sie die häßliche Eigenschaft, überall hineinzukommen und alles zu fressen. Sie krochen in Maschinen und fanden dort vielleicht die Schmierung nach ihrem Geschmack — und das verursachte Pannen zu einem Zeitpunkt, wo man sie am wenigsten gebrauchen konnte. Oder sie knabberten an der Isolierung. Er selbst hatte schon erlebt, daß sie sich in seinen Schlafsack verkrochen und ihn nachts auf recht schmerzhafte Weise geweckt hatten.

Während das Biest sich nach dem Stein umwandte, zog er den Strahler aus dem Halfter und schoß. Das Krustentier löste sich auf. Er nickte zufrieden.

„Der alte Holloway trifft immer noch, worauf er schießt.“

Vor nicht allzu langer Zeit hatte er das noch als Selbstverständlichkeit betrachtet. Aber jetzt wurde er langsam alt und mußte seine Geschicklichkeit manchmal unter Beweis stellen. Er schob den Sicherungsflügel wieder vor und steckte die Waffe ins Halfter, dann hob er den Handschuh auf und streifte ihn sich wieder über.

Er hatte noch nie soviel von diesen verdammten Biestern gesehen wie diesen Sommer. Freilich, es hatte sie auch letztes Jahr gegeben, aber bei weitem nicht soviel. Jemand hatte einmal behauptet, daß Landgarnelen keine natürlichen Feinde hätten, aber daran zweifelte er.

Irgend etwas brachte sie um. Er hatte schon eine ganze Menge eingeschlagener Garnelenpanzer gesehen, ein paar sogar dicht bei seinem Lager. Vielleicht waren irgendwelche Huftiere daraufgetreten, und Insekten hatten die Kadaver dann leergenagt. Er würde Ben Rainsford fragen müssen; Ben sollte das eigentlich wissen.

Eine halbe Stunde darauf war auf dem Taster wieder ein Unterbrechungsmuster zu sehen. Er legte das Gerät beiseite und holte sich wieder den kleinen Vibrohammer. Diesmal war es eine große „Bohne“ von hellrosa Farbe. Er löste sie aus dem Kieselgestein und rieb sie. Sie begann sofort zu glühen.

„Ahhh! So ist's schon besser!“

Er rieb noch einmal und erwärmte den Stein dann an seiner Pfeife. Diesmal blitzte er geradezu. Mehr als tausend Sol wert, dachte er. Und auch eine gute Farbe. Er zog die Handschuhe aus und holte den kleinen Lederbeutel unter dem Hemd hervor. In dem Beutel lag ein knappes Dutzend Steine, und alle glühten so hell wie Kohlen im Feuer. Er sah sie sich einen Augenblick an und ließ dann den neuen Stein befriedigt grinsend hineinfallen.


Victor Grego lauschte seiner eigenen Stimme im Wiedergabemikrophon seines Bandgerätes und strich dann geistesabwesend mit der rechten Hand über den Sonnenstein, den er am linken Ringfinger trug. Der Stein glühte auf. Er stellte fest, daß seine Stimme etwas überheblich klang — das war ganz und gar nicht der gefühllose, bestenfalls beflissene Ton, den man bei einem Bericht erwartete. Nun, wenn jemand sich darüber wunderte, wenn sie das Band in sechs Monaten in Johannesburg auf Terra abspielten, brauchten sie sich ja nur die Frachtbunker des Schiffes anzusehen, das das Band fünfhundert Lichtjahre weit durch den Weltraum gebracht hatte. Barren von Gold, Platin und Gadolinium. Pelze, Chemikalien und Branntwein. Parfüms von so erlesener Qualität, daß eine Synthese unmöglich war; Harthölzer, die kein Kunststoff ersetzen konnte. Gewürze. Und die Stahlkassette voll Sonnensteine. Beinahe ausschließlich Luxuswaren, die einzig verläßlichen Werte im interstellaren Handel.

Vor fünfzehn Jahren, als die Zarathustragesellschaft ihn hierhergeschickt hatte, hatten ihn ziemlich genau an der Stelle, wo jetzt dieser Wolkenkratzer stand, eine Ansammlung von Blockhäusern und vorfabrizierten Hütten neben einem improvisierten Landefeld erwartet. Heute war Mallorys Port eine Stadt von siebzigtausend Einwohnern; insgesamt besaß der Planet eine Bevölkerung von beinahe einer Million, die immer noch im Wachsen begriffen war. Während er noch über seine Leistungen nachdachte, summte sein Bildsprecher.

„Dr. Kellogg möchte Sie sprechen, Mr. Grego“, sagte das Mädchen in seinem Vorzimmer.

Er nickte. Er sah noch ihre Handbewegung, dann verschwand ihr Gesicht in einem wirren Muster von Farben; als der Bildschirm sich wieder klärte, blickte ihm an ihrer Stelle der Leiter der Abteilung „Wissenschaftliche Studien und Forschung“ entgegen. Kellogg hob kaum merklich die Augen, um auf dem kleinen Monitorschirm über seinem eigenen Gerät zu prüfen, ob sein warmes und einnehmendes Lächeln auch richtig „saß“ und sagte dann:

„Hallo, Leonard. Alles in Ordnung?“

„Tag, Victor.“ Er sprach den Vornamen mit genau der richtigen Portion Ehrfurcht aus — ein wichtiger Mann zu einem noch wichtigeren.

„Hat Nick Emmert heute schon mit Ihnen über das Big Blackwater-Projekt gesprochen?“

Nick war Generalresident der Föderation; praktisch betrachtet war er auf Zarathustra die terranische Föderationsregierung. Nebenbei war er auch noch Großaktionär der Zarathustragesellschaft.

„Nein, will er das?“

„Nun, das weiß ich nicht, Victor. Ich habe gerade mit ihm gesprochen. Er sagt, es hätte Gerede gegeben wegen der Regenfälle im Piedmont, auf dem Beta-Kontinent. Er machte sich Sorgen darüber. Die Regenfälle sind seit letztem Jahr um zehn Prozent zurückgegangen, und gegenüber dem vorletzten Jahr sind es sogar fünfzehn. Jetzt hat er Angst, daß die ganze Geschichte auf Terra irgendeinem Bürohengst in die falsche Kehle kommt und man uns vorwirft, wir hätten das ökonomische Gleichgewicht gestört und dadurch die Trockenheit verursacht.“

„Woher hat Emmert denn diesen Unsinn?“ wollte Grego wissen. „Von Ihren Leuten?“

„Nein, absolut nicht, Victor. Dieser Rainsford hat alles aufgebracht.“

„Rainsford?“

„Dr. Bennett Rainsford, der Naturforscher vom Institut für Xeno-Wissenschaften. Ich habe diesen Burschen noch nie über den Weg getraut. Sie stecken immer ihre Nase in Dinge, die sie nichts angehen und schreiben dann blöde Berichte an die Kolonialbehörden. Nick Emmert glaubt, daß Rainsford ein Geheimagent der Föderation sei.“

Darüber mußte Grego lachen. Natürlich gab es Geheimagenten auf Zarathustra. Hunderte sogar. Die Gesellschaft hatte Leute hier, die ihn bespitzelten; das wußte er, und damit fand er sich ab. Auch die großen Aktionäre wie Interstellar Explorations, das Bankenkartell und die Terra-Baldur-Marduk Spacelines hatten ihre Spitzel. Nick Emmert hatte genauso seinen Spionagering, und dann gab es noch die Leute, die die Terra-Föderation auf ihn und Emmert angesetzt hatte. Aber bei der Big Blackwater-Geschichte an Spitzel zu denken, war wirklich lächerlich. Nick Emmert hatte zuviel Dreck am Stecken, und in solchen Dingen kam eben sein schlechtes Gewissen zum Vorschein.

„Und wenn er schon einer ist, Leonard, was könnte er denn über uns melden? Wir haben eine ausgezeichnete juristische Abteilung, die dafür sorgt, daß wir unsere Satzungen nicht übertreten. Zarathustra ist ein unbewohnter Planet der Klasse III; er gehört mit Haut und Haaren der Gesellschaft. Wir können tun, was uns paßt, solange wir nicht das Kolonialgesetz oder die Verfassung der Föderation verletzen, und solange wir das nicht tun, braucht Nick Emmert sich keine grauen Haare wachsen zu lassen.“

Kelloggs Gesicht hatte sich aufgehellt, und nach ein paar nichtssagenden Phrasen verabschiedete sich der Mann. Victor schaltete den Bildsprecher ab, lehnte sich in seinen Sessel zurück und fing zu lachen an. Im nächsten Augenblick summte der Bildschirm erneut. Als er einschaltete, meldete seine Sekretärin:

„Mr. Henry Stenson möchte Sie sprechen, Mr. Grego.“

„Nur her damit.“ Beinahe hätte er noch hinzugefügt: „Endlich ein Mann mit Verstand.“ Aber er ließ es bleiben.

Das Gesicht, das auf seinem Bildschirm auftauchte, war faltig und schmal; der Mann hatte zusammengepreßte, schmale Lippen und eine Unzahl winziger Fältchen um die Augen.

„So, Mr. Stenson. Nett, daß Sie anrufen. Wie geht's denn immer?“

„Sehr gut, vielen Dank. Und Ihnen?“ Als Grego höflich gemurmelt hatte, daß er sich ausgezeichneter Gesundheit erfreue, fuhr der Anrufer fort: „Was macht der Globus? Läuft er immer noch synchron?“

Victor sah auf sein wertvollstes Stück, den großen Globus von Zarathustra, den Henry Stenson für ihn gebaut hatte und der sich frei schwebend in seinem eigenen Kontragravfeld sechs Fuß über dem Boden drehte. Ein orangerotes Licht deutete die KO-Sonne an und die beiden Satelliten, die langsam um den Planeten kreisten.

„Der Globus selbst stimmt auf die Sekunde, und Darius auch. Xerxes geht ein paar Sekunden vor.“

Stenson verabschiedete sich. Grego blickte stolz auf seinen Globus. Der Alphakontinent war langsam nach rechts gewandert, und der kleine Flecken, der Mallorys Port darstellte, glitzerte in dem orangeroten Licht der Sonne. Darius, der innere Mond, wo die Terra-Baldur-Marduk Spacelines ihren Raumhafen unterhielten, stand beinahe direkt darüber, und der äußere Mond, Xerxes, tauchte hinter dem Horizont auf. Xerxes war das einzige an Zarathustra, was nicht der Gesellschaft gehörte. Die Terraföderation hatte den Mond als Marinestützpunkt ausgebaut. Das war der einzige Hinweis darauf, daß es noch etwas Größeres und Mächtigeres als die Gesellschaft gab.

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