KAPITEL SECHS UNTER DER ASCHE DIE STADT

Johan Schwejksam, durch Gnade und Vergnügen Ihrer Majestät, der Imperatorin Löwenstein XIV., aufs neue Kommandant eines Sternenkreuzers der Imperialen Flotte, saß steif in seinem Kommandositz auf der Brücke der Unerschrocken und versuchte vergeblich, eine bequeme Haltung einzunehmen.

Nicht, daß mit dem Sitz etwas nicht gestimmt hätte – er war einfach noch zu neu, wie alles andere an Bord auch. Er gab noch nicht an den richtigen Stellen nach, und er erlaubte Schwejksam nicht seine gewohnten Gesten, wie der Sitz an Bord der guten alten Sturmwind. Er war wie der Rest des Schiffs vergangen, verglüht beim Absturz in die Atmosphäre des Planeten Virimonde. Die Sturmwind war viele Jahre lang sein Schiff gewesen, und zwar ein verdammt gutes. Schwejksam seufzte leise. Hier saß er nun, mit einem neuen Schiff unter seinem Kommando und einer zweiten Chance, auf die er keinen Anspruch gehabt und die er nicht erwartet hatte, und er hatte nichts anderes im Sinn, als zu nörgeln. Nun, dachte Schwejksam, wie ich immer sage; jeder soll tun, was er am besten kann.

Aber trotz allem mußte er zugeben, daß die Unerschrocken ein ganz besonderes Schiff war. Selbst wenn sie frisch aus der Werft kam, überall funkelte und blitzte und noch vollkommen unerprobt war. Wenn sie auch nur die Hälfte von dem hielt, was die Ingenieure versprochen hatten, dann wäre sie mit Abstand das schnellste und am besten bewaffnete Schiff der gesamten Imperialen Flotte und ein wahres Wunder der Galaxis.

Die Unerschrocken war mit dem neuen Hyperraumantrieb ausgerüstet, trug mehr Disruptorkanonen als jedes andere Schiff und war mit Schutzschilden ausgestattet, die selbst das atomare Feuer von Sonnenprotuberanzen überstehen konnten.

Die Unerschrocken wog für sich allein genommen soviel wie eine ganze verdammte Flotte, und Schwejksam war nicht blind gegenüber dem Vertrauen, das Ihre Majestät Löwenstein XIV. in ihn gesetzt hatte, als sie ihm das Kommando übergab.

Jeder andere Kommandant wäre vielleicht in Versuchung geraten, das Schiff zu nehmen und über den innergalaktischen Rand zu verschwinden, um auf der anderen Seite sein eigenes kleines Imperium zu gründen. Er wäre sicher gewesen in dem Wissen, daß Jahre vergehen würden, bevor ähnliche Schiffe die Verfolgung hätten antreten können. Aber Löwenstein hatte gewußt, daß er, Johan Schwejksam, das nicht tun würde.

Sie hatte ihm das Leben und ein neues Kommando geschenkt, obwohl sie das nicht nötig gehabt hatte. Weil sie ihm vertraute. Und jetzt war er ihr Mann. Mit Leib und Seele. Bis beide tot und zu Staub zerfallen wären.

Aber bis zu diesem Zeitpunkt war er, Johan Schwejksam, der neue Kapitän eines brandneuen Schiffs, auf dem er nichts vertrauen durfte, bis es nicht sorgfältig erprobt und getestet und für zuverlässig befunden worden war. Hochtrabende Behauptungen waren gut und schön, aber Schwejksam behielt sich sein eigenes Urteil vor. Ingenieure hatten die Neigung zu überschwenglichem Enthusiasmus, ganz besonders dann, wenn es nicht ihr eigener Hintern war, der hinterher im Feuer stand. Außerdem wußte Schwejksam auch, woher der neue Antrieb stammte. Die Ingenieure hatten ihn nach dem Muster kopiert, das aus dem fremden Schiff geborgen worden war, welches er auf Unseeli vor knapp einem Jahr entdeckt hatte.

Schwejksam vermutete, es sei durchaus möglich, daß die Werften inzwischen das Prinzip der fremden Maschine voll verstanden hatten, aber trotzdem machte er es sich zur Gewohnheit, zu jedem gegebenen Zeitpunkt über die Position der nächstgelegenen Rettungskapsel Bescheid zu wissen. Das war die Kehrseite seiner Ernennung zum Kommandanten eines nagelneuen Schiffs. Wenn an Bord der Unerschrocken etwas schiefging, dann war er für die Imperatorin vollkommen entbehrlich.

Schwejksam verdrängte den unerfreulichen Gedanken und konzentrierte sich auf den großen Schirm an der Frontseite der Brücke. Die Unerschrocken war zwei Stunden zuvor aus dem Hyperraum gefallen und in einen Orbit um den Planeten Grendel eingeschwenkt, und die brandneuen Sensoren lieferten noch immer keine aussagekräftigen Daten. Die Informationen, die die Sensoren ausspuckten, waren bestenfalls fragwürdig, wenn nicht sogar unverständlich. Und sie nutzten ihm verdammt noch mal überhaupt nichts. Praktisch jede Frage, die Schwejksam seinen Lektronen gestellt hatte, waren mit

›ungenügende Datenbasis‹ beantwortet worden, und jetzt schmollte die KI der Unerschrocken, weil er die Nerven verloren und sie angebrüllt hatte. Aber er konnte die Landung auf dem Planeten nicht guten Gewissens noch länger

hinauszögern. Die Befehle der Imperatorin in dieser Hinsicht waren ziemlich unmißverständlich gewesen. Seine Aufgabe war die Lokalisierung der verbliebenen Gewölbe der Schläfer. Er hatte sie zu öffnen und alle Kreaturen zu unterwerfen oder zu vernichten, die er darin fand. Soweit nichts Neues; es war die Standardverhaltensweise des Imperiums gegenüber fremden Rassen. Aber die Wesen auf Grendel – besser gesagt, tief unter Grendels Oberfläche – waren etwas anderes. Bösartige, unnatürliche Tötungsmaschinen. Sie hatten das Imperiale Forschungsteam förmlich geschlachtet, das sie entdeckt hatte.

Irgend so ein Dummkopf hatte eines der Gewölbe geöffnet, und schon war es geschehen. Schwejksam hoffte, die Dinge würden diesmal anders laufen. Erstens wußte er, was ihn erwartete. Und zweitens hatte er eine volle Kompanie von fünfzig Marineinfanteristen, zehn Kampfesper und zwanzig Wampyre als Rückendeckung bei sich.

Was ihm zumindest einen leichten Vorteil verschaffen sollte.

Ehrlich gesagt war Schwejksam ziemlich überrascht, daß die Flotte tatsächlich noch zwanzig Wampyre in ihren Diensten hatte. Ihre Einsatzmöglichkeiten waren begrenzt, sie waren kostspielig im Unterhalt, und sie ängstigten jeden zu Tode, der mit ihnen zusammenarbeiten mußte… und inzwischen wußte mit Sicherheit auch der letzte an Bord, was es mit Plasmakindern auf sich hatte. Das hatte ihm an Bord eines neuen Schiffs mit einer neuen Mannschaft noch gefehlt: eine suchterzeugende Droge, die seine Leute in Versuchung führte.

Wahrscheinlich waren sie sowieso schon längst dabei, ihre illegalen Destillen aufzubauen und in ihren versteckten Labors neue Kampfdrogen zu synthetisieren, nur um herauszufinden, ob ihr neuer Kapitän das tolerieren würde. Was wahrscheinlich auch der Grund war, warum die Imperatorin darauf bestanden hatte, ihm einen verdammten Sicherheitsoffizier zur Seite zu stellen. K. Stelmach lautete sein Name. Einfach K. Er hatte seinen Vornamen nicht preisgegeben, und Schwejksam hatte nicht nachgefragt, für den Fall, daß er ihm peinlich war (Kurt, Konrad…. Kamillo!). Groß, breitschultrig, mit breitem Mund und bar jeden Humors. Der Sicherheitsoffizier war nie weit von Schwejksam oder Investigator Forst entfernt und hatte ein wachsames Auge auf beide. Nur eine Gedächtnisstütze, daß die beiden noch unter Bewährung standen. Schwejksam gab sein Bestes, um sich nichts anmerken zu lassen.

Er sah zu Frost, die unverrückbar und gelassen wie ein Fels in der Brandung schräg hinter seinem Kommandantensitz stand und den Planeten auf dem Hauptschirm mit entschlossenen Blicken musterte. Schwejksam hatte nicht viel Gelegenheit gehabt, mit Frost zu reden, seit Löwenstein sie beide begnadigt hatte. Es war viel zuviel zu tun gewesen, um das Schiff auf die Abreise vorzubereiten, und ihre Aufgaben hatten sie an verschiedenen Orten festgehalten… außerdem hätte er sowieso nicht gewußt, worüber er mit Frost reden sollte.

Investigator Frost hatte ihm das Leben gerettet, aber er wußte nicht, warum. Bei jedem anderen hätte er ein paar wohlbegründete Vermutungen anstellen können, aber nicht bei Frost.

Investigatoren besaßen keine menschlichen Emotionen. Ihre Ausbildung sorgte dafür. Manche behaupteten, Investigatoren wären genauso unmenschlich wie die fremden Rassen, die sie studierten, und in ihren Köpfen wäre kein Platz für etwas anderes als kühler, berechnender Mord.

In diesem Fall würde Frost sich auf Grendel wahrscheinlich wie zu Hause fühlen.

Schwejksam seufzte ein weiteres Mal leise vor sich hin und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Sichtschirm. Grendel füllte die Fläche aus, eine graue konturlose Aschenkugel, die ihre Geheimnisse vor ihnen verbarg. Der Planet hatte einst eine bewohnbare Oberfläche besessen, zusammen mit den Ruinen einer versunkenen fremden Kultur und unbekannten Maschinen und Technologien, aber das war Vergangenheit; verloren oder zerstört, als die Imperiale Flotte den Planeten aus dem Orbit herab sengte, um sicherzugehen, daß keine der schrecklichen Kreaturen überleben konnte, die aus dem Gewölbe der Schläfer entkommen war.

Seither war eine undurchdringliche Quarantäne über den Planeten verhängt worden. Sechs Imperiale Sternenkreuzer hingen permanent im Orbit und stellten sicher, daß niemand zum Planeten hinunter und erst recht niemand wieder von ihm wegkam. Schwejksam hatte die Maßnahme im ersten Augenblick als Überreaktion empfunden, doch das war gewesen, bevor er die verbliebenen Aufzeichnungen des ersten Kontaktteams gesehen hatte – und wie sie gestorben waren.

Jetzt empfand er sogar so etwas wie Dankbarkeit für die Blockade. Nicht, daß die Schiffe ihm Rückendeckung gegeben hätten – selbst dann nicht, wenn die Dinge ein zweites Mal in einer Katastrophe enden sollten –, aber sie würden sicherstellen, daß keine der fremdartigen Kreaturen jemals den Planeten verlassen könnte, ganz gleich, was dort unten geschah. Selbst, wenn sie Grendel erneut würden sengen müssen. Schwejksam erschauerte kurz und verdrängte auch diesen Gedanken wieder. Die wichtigen Dinge zuerst: Überprüfung, ob die Quarantäne noch aufrechterhalten wird, für den Bericht. Er ließ das Flaggschiff der Quarantäneflotte durch seinen Komm-Offizier rufen, und die kalten, bedächtigen Gesichtszüge von Kapitän Bartek an Bord der Herausforderung füllten den Schirm. Bartek, der Schlächter. Er hatte das Kommando beim Sengen von drei Planeten geführt – und bei der Niederschlagung von einem Dutzend Rebellionen, wobei ihm jedes Mittel recht gewesen war. Ein persönlicher Liebling der Eisernen Hexe und genau der richtige Mann, um eine Quarantäne wie diese durchzusetzen. Versuch nur, Bartek zu bestechen, und du kannst deine Eier im All suchen.

Schwejksam nickte dem anderen höflich zu.

»Letzter Kontakt, bevor wir zur Landung ansetzen, Kapitän Bartek. Ich möchte nur sichergehen, daß alles in Ordnung ist.

Für den Bericht.«

Bartek rümpfte die Nase und fixierte Schwejksam mit kaltem, unbeirrbarem Blick. »Also gut, für Euren Bericht, Kapitän: Die Quarantäne besteht noch immer. Keine Verstöße.

Kein Schiff hat seit Beginn dieser Operation einen Landeversuch überlebt, und auf dem Planeten selbst gab es keinerlei Hinweise auf Aktivitäten seitens fremder Lebensformen.

Meine Befehle lauten, mich bereit zu halten und zu beobachten, wie Eure Leute in den Pinassen nach unten gehen. Sie werden unten von Bord gehen, und die Pinassen kehren augenblicklich zur Unerschrocken zurück, wo sie von meinen Leuten einer gründlichen Inspektion unterzogen werden. Also, wenn Ihr oder Eure Leute dort unten etwas auslöst, das Ihr nicht unter Kontrolle halten könnt, Kapitän Schwejksam, dann hat es keinen Sinn, von der Oberfläche fliehen zu wollen.

Versteht mich richtig, Kapitän Schwejksam. Ihr seid mitsamt all Euren Leuten vollkommen entbehrlich. Man hat mir ausdrücklich den Befehl erteilt, daß ich Euch unter gar keinen Umständen in irgendeiner Weise zu Hilfe kommen darf, wenn Ihr erst auf Grendel gelandet seid. Was auch immer dort unten geschehen mag – wenn Ihr erst gelandet seid, seid Ihr auf Euch allein gestellt. Und für den schlimmsten aller denkbaren Fälle bin ich angewiesen, die Unerschrocken ohne Zögern zu zerstören, wenn auch nur das leiseste Risiko einer Kontamination besteht. Habe ich mich klar ausgedrückt, Kapitän Schwejksam?«

»Äußerst klar, Kapitän Bartek«, erwiderte Schwejksam gelassen. »Ich habe die Aufzeichnungen der ersten Kontaktgruppe gesehen. Geht keinerlei Risiko ein, Bartek. Johan Schwejksam Ende.«

Er spürte mehr als er hörte, wie Frost sich hinter ihm rührte, während Barteks Gesicht vom Bildschirm verschwand und dem Anblick von Grendels enigmatischer Oberfläche wich.

Schwejksam drehte den Kopf und blickte den Investigator an.

»Gibt es ein Problem, Investigator?«

Frost schnaubte. »Ich denke, er ist zu heiß. Er hat noch nie etwas anderes getan, als aus sicherem Abstand Befehle zu erteilen. Er hat noch nie in seinem Leben selbst an einem Kampf teilgenommen. Er hat noch nie einen Gegner mit den eigenen Händen getötet. Liebling der Akademie, aber ohne Saft und Kraft. Wirklich.«

»Nichts, um das Ihr Euch sorgen müßtet, Investigator. Wir waren schon häufiger in brenzligen Situationen und hatten keinerlei Rückendeckung.«

»Aber da mußten wir uns wenigstens keine Gedanken machen, von unseren eigenen Leuten in den Rücken geschossen zu werden.« Sie warf einen schnellen, mißbilligenden Blick zu dem Sicherheitsoffizier, der an der Sensorkonsole stand und schweigend die jüngsten Analysen der Fernsensoren studierte. »Selbst auf unserem eigenen Schiff sind wir nicht sicher. K. Stelmach. Ich frage mich, wofür das K. steht. Kalfaktor? Kain? Kehricht?… Kolporteur?«

»Wahrscheinlich alles zusammen«, erwiderte Schwejksam leise. »Außerdem könntet Ihr jederzeit in der Schiffsdatenbank nachsehen.«

»Hab ich bereits versucht. Er hat es mit einem persönlichen Sicherheitscode geschützt. Muß ja wirklich ziemlich peinlich sein.«

»Ignoriert ihn einfach, Frost. Wir erledigen unsere Aufgaben genau wie immer. Ich hoffe nur, daß wir diesmal mehr Glück haben. Grendel sieht ganz danach aus, als könnte der Planet uns eine verdammt unangenehme Überraschung bereiten. Eine Schande, daß es keine Überlebenden des ersten Kontaktteams gibt. Ich hätte zu gerne ein paar Eindrücke aus erster Hand, was uns dort unten erwartet.«

»Es gab einen Überlebenden«, erwiderte Frost. »Den Investigator. Sie hat in ihrer Aufgabe versagt, die Gefahren rechtzeitig zu erkennen.«

»Hätte ich wissen müssen, daß ein Investigator überlebt, wenn überhaupt jemand. Was geschah mit ihr?«

»Sie wurde auf eine Höllenweit verbannt.«

»Wo sie verdammt niemandem nützt. Wirklich typisch.

Trotzdem. Ich bin überrascht, daß man sie nicht exekutiert hat.«

»Die Höllenwelt wird das besorgen.«

Schwejksam entschied, das Thema nicht weiterzuverfolgen.

Frost war eindeutig empfindlich, was ihre Kollegin anging.

Sie waren angeblich alle vollkommen, verläßlich, unüberwindlich. Jedenfalls stand das in der Beschreibung ihres Berufsbildes. Genau wie ein Schiffskommandant immer wissen mußte, was das beste für Schiff und Mannschaft war…

Schwejksam grinste sarkastisch und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Zeit, daß die Schau begann. Zuerst würde er aus sicherer Entfernung einen genauen Blick auf den Landeplatz werfen. Die Entscheidung, wo sie landen würden, war bereits gefallen, und ferngesteuerte Einheiten waren damit beschäftigt, sichere Landeplattformen zu errichten. Schwejksam brachte die entsprechende Ansicht auf seinen kleinen Schirm und betrachtete nachdenklich das Bild. Grendel besaß keine festen Landmassen mehr. Nur Asche. Schwejksam hatte diesen Platz ausgesucht, weil eines der wenigen Dinge, die seine Sensoren ihm übereinstimmend verraten hatten, ein darunter liegendes Gewölbe in einer Tiefe von etwas mehr als eineinhalb Kilometern war. Es schien ihm der einfachste Weg, um dorthin zu gelangen. Ferngesteuerte Ausgrabungsmaschinen waren bereits dabei, einen Tunnel durch die Asche nach unten zu graben.

Doch das Gewölbe war nicht das einzige, was die Sensoren dort unten gefunden hatten. Es war kilometerweit in alle Richtungen von einer riesigen Stadt umgeben, beziehungsweise von ihren Überresten. An der Oberfläche war keine Spur der verlassenen Städte mehr zu finden. Das Sengen hatte nichts als einen einzigen, endlosen Ozean aus Asche zurückgelassen, der sich von Pol zu Pol erstreckte. Aber unter der Asche, wie durch ein Wunder von all der Zerstörung vollkommen unberührt, lagen die Überreste einer fremden Zivilisation. Auch das erste Kontaktteam war durch eine unterirdische Stadt gekommen, um zu seinem Gewölbe zu gelangen. Die Erfahrung hätte sie fast alle in den Wahnsinn getrieben. Die Stadt hatte etwas an sich gehabt, das der menschliche Verstand kaum ertragen konnte.

Die Sensoren verrieten nicht viel über die Stadt unter der Erde, außer daß es sie gab und daß sie vollkommen verlassen war. Und genau in der Mitte der ausgedehnten Fläche lag der Eingang zum Gewölbe der Schläfer. Das Gewölbe: ein gewaltiges, stählernes Grab von der Größe eines Berges. Nur daß das, was in diesem Grab schlief, sehr leicht aufwachte.

Schwejksam hatte die Aufzeichnungen der ersten Kontaktgruppe über ihre Stadt sehr genau studiert, aber sie ergaben nicht viel Sinn. Erstens waren sie weit davon entfernt, auch nur ein annähernd vollständiges Bild zu liefern, und zweitens war das, was er zu sehen bekam, ganz bestimmt kein erbaulicher Anblick. Die Einzelheiten waren einfach zu fremdartig.

Zu unähnlich allem, was Menschen je hervorgebracht hatten.

Zu unähnlich auch allem, das Schwejksam früher gesehen hatte.

Selbst Frost gestand, daß der Anblick sie beunruhigte, und sie hatte mehr Erfahrungen mit fremden Rassen als alle anderen an Bord der Unerschrocken zusammengenommen – obwohl es schon einige ziemlich seltsame Vögel an Bord des Schiffs gab. Schwejksam verzog bei dem Gedanken kurz das Gesicht. Allmählich wurde es Zeit, daß er sich mit seinem Kontaktteam in Verbindung setzte. Die Landeoperarion stand kurz bevor. Er stellte auf seinem privaten Kanal eine Verbindung zu Marinesergeant Angelo Null her und nickte dem breiten, leicht mürrisch dreinblickenden Gesicht freundlich zu.

»Wie kommen Eure Leute voran, Sergeant? Gibt es Probleme?«

»Nichts, womit ich nicht klarkäme, Sir. Sie wurden genau über alles informiert, was der letzten Kontaktgruppe zustieß.

Sie sind nicht besonders glücklich über ihre Aufgabe, aber sie wissen zumindest, was auf sie zukommt. Der dreifache Einsatzlohn hat ihre Laune erheblich steigen lassen, und die neuen Kampfdrogen tun ein übriges. Das Zeug, das man uns gegeben hat, würde sogar eine Nonne zu einem Killer machen, Sir. Aber ich denke, wir sparen uns das für den Notfall.

Chemisch erzeugter Mut ist gut und schön, aber ich bevorzuge das Echte. Persönlich halte ich mehr von der Bewaffnung, mit der man uns ausgerüstet hat. Das Neueste vom Neuesten.

Sehr geschmackvoll, Sir. Die Nachladezeit beträgt zwar immer noch zwei Minuten, aber wenn man Durchschlagskraft und Zerstörungspotential betrachtet, dann habe ich noch nie etwas Besseres als diese neuen Waffen gesehen. Ich fühle mich schon warm, sicher und geborgen, wenn ich die Dinger nur ansehe.«

»Ich bin froh, das zu hören, Sergeant. Aber ich denke, ich sollte Euch daran erinnern, daß auch die erste Kontaktgruppe bis an die Zähne bewaffnet war, und es scheint ihnen nicht geholfen zu haben. Ich möchte, daß Ihr all Eure Männer zusätzlich zu den Disruptoren mit Schrapnellgranaten, Splitterbomben, Brandbomben und persönlichen Schutzschirmen ausrüstet. Macht Euch um die Kosten keine Gedanken, ich kümmere mich darum. Ihr setzt Eure Leute mit soviel Waffen und Munition unten ab, wie sie nur tragen können, ohne in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu sein. Ich autorisiere außerdem die Benutzung von zwei transportablen Disruptorkanonen und einem transportablen Schirmgenerator. Seht zu, daß Ihr Eure Leute einsatzbereit macht, Sergeant. Wir werden von jetzt an in genau einer Stunde mit der Landoperation beginnen.«

»Verstanden, Kapitän.« Der Sergeant zögerte einen Augenblick. »Sir? Wir haben schon früher mit Kampfespern zusammengearbeitet, aber… Wampyre? Kommen wirklich Wampyre mit runter, Sir?«

»Das ist richtig, Sergeant. Habt Ihr ein Problem mit Wampyren? Würde es Euch gefallen, wenn ich an Euch und Eure Leute eine Sonderration Knoblauch und ein paar Kruzifixe austeilen lasse?«

»Nein, Sir. Keine Probleme, Sir.«

»Das freut mich zu hören, Sergeant.«

Schwejksam unterbrach die Verbindung, und das besorgte Gesicht des Unteroffiziers verschwand vom Schirm. Obwohl der Marinesergeant nicht deutlich geworden war, hatte Schwejksam verstanden, was er meinte. Die Wampyre waren keine echten Kampftruppen wie die Marineinfanteristen oder die Esper. Sie waren eher wie eine Waffe: Man richtete sie auf ein Ziel, sprang in Deckung und ließ sie los. Auch die Kampfesper waren nicht ganz leicht zu kontrollieren; sie waren schon halbe Psychopathen, oder sie wären nicht imstande gewesen, an einer Kampfhandlung teilzunehmen. Man umgab sie mit ESPB lockern, bis man sie benötigte, dann ließ man sie los und hoffte auf das Beste. Esper konnten weitaus

zerstörerischer sein als eine ganze Batterie von Disruptorkanonen, doch man durfte nicht darauf vertrauen, daß sie haltmachten, wenn man es wünschte oder das Ziel erreicht war. Offiziell hatte man die Esper außer Dienst gestellt, aber die Tatsache, daß die Imperatorin persönlich darauf bestanden hatte, die letzten Exemplare für diese Mission einzusetzen, sagte eine Menge darüber aus, was sie aller Wahrscheinlichkeit nach hier erwarten würde. Schwejksam hatte sich bereits ganz zu Beginn der Operation dafür entschieden, die Esper bis unmittelbar vor der Ausschiffung in Stasisfelder einzuschließen. Es war sicherer für den Rest der Besatzung. Er wünschte nur, er hätte dasselbe mit den Wampyren machen können.

Schwejksam runzelte sorgenvoll die Stirn. Offiziell waren die Wampyre Stelmachs Haustierchen. Sie unterstanden dem direkten Kommando des Sicherheitsoffiziers, und sonst niemandem. Es war ihre letzte Chance, ihre Nützlichkeit zu beweisen. Wenn sie sich bei dieser Mission nicht bewährten, würde man das Wampyr-Projekt einstellen. Das sollte sie bewegen, ihren Befehlen nachzukommen und nicht so viele Schwierigkeiten zu machen – doch Schwejksam glaubte nicht so recht daran. Wampyre gaben exzellente Einzelkämpfer ab, schnell, stark, furchtlos und beinahe unverwundbar, aber sie taugten überhaupt nichts, wenn es darauf ankam, mit anderen Truppen zusammenzuarbeiten. Ihr nie versiegender Blutdurst machte sie zu gefürchteten Kämpfern, aber auch anfällig für Ablenkungen. Schwejksam seufzte. Er hatte es vor sich her geschoben, so lange er konnte, doch er mußte mit ihnen reden.

Er schaltete eine Verbindung zu ihrem Quartier und wartete geduldig. Sie hatten ihr eigenes Territorium unten im Schiff, wo sie von den anderen Besatzungsmitgliedern getrennt leben konnten – zur Erleichterung aller Verantwortlichen.

Das Gesicht eines Toten erschien auf dem Schirm. Seine Haut war blaß und blutleer, und sein Ausdruck kalt und nichtssagend. Er schien geistesabwesend, beinahe als würde er ein Lied hören, das kein Ohr eines Sterblichen je wahrnehmen konnte. Das Quartier hinter dem Gesicht des Wampyrs war stockdunkel. Wampyre bevorzugten die Dunkelheit.

Schwejksam räusperte sich und bereute es im gleichen Augenblick. Es ließ eine Schwäche erkennen.

»Hier spricht der Kapitän. Wir werden innerhalb der nächsten Stunde landen. Sind Eure Leute in ihre Aufgaben eingeweiht und fertig?«

»Ja, Kapitän. Wir freuen uns darauf, anzufangen.« Die Wampyre hatten ihren eigenen Anführer, der das Bindeglied zu Stelmach darstellte. Es schien etwas mit Alpha-Dominanz zu tun zu haben. Noch so etwas, das die Menschen nicht verstanden an der Rasse, die sie selbst geschaffen hatten. Nach den Aufzeichnungen zu urteilen, hörte der Wampyr hier auf den Namen Ciannan Budd. Er war einst ein ganz gewöhnlicher, lebendiger Mensch gewesen, mit Hoffnungen und Träumen und menschlichen Emotionen. Dann hatte man ihn getötet und seine Adern mit synthetischem Blut gefüllt – und welche Gefühle er jetzt auch immer haben mochte, kein Mensch würde sie je als menschlich erkennen. Schwejksams Mund war beinahe schmerzhaft trocken, aber er zwang sich dazu, den Augenkontakt mit dem Wampyr aufrechtzuerhalten.

»Gab es Probleme mit dem Blutersatz, den wir bereitgestellt haben?«

»Er ernährt uns, aber er ist nicht besonders schmackhaft. Er ist nicht echt. Er befriedigt uns nicht.«

Ein eigenartiger Unterton in der tonlosen, leiernden Stimme jagte eine Gänsehaut über Schwejksams Arme, doch der Kapitän ließ sich nichts anmerken. »Haltet Euch bereit. Ich werde Euch rechtzeitig Bescheid geben, wenn es losgeht.«

Der Wampyr nickte und unterbrach die Verbindung, bevor Schwejksam dies von sich aus tun konnte. Der Kapitän der Unerschrocken seufzte resignierend und entspannte sich langsam in seinem Sitz. Es hätte auch schlimmer kommen können, sagte er sich. Es hätten Hadenmänner sein können.

»Wir können ihnen nicht vertrauen«, meldete sich Frost hinter ihm. »Sie sind nicht menschlich.«

»Genau das gleiche sagen andere bereits seit vielen Jahren über die Investigatoren«, erwiderte Schwejksam ruhig.

»Wampyre sind in bestimmten Situationen nützliche Werkzeuge, und sie tun aus den gleichen Gründen ihre Pflicht wie Ihr oder ich, Investigator Frost: nur hundertprozentiges Engagement wird uns lebendig wieder von Grendel wegbringen.

Überlaßt mir die Sorge um die Wampyre. Ich möchte, daß Ihr Euch ganz auf die Schläfer konzentriert, Frost.«

Frost zuckte die Schultern. »Zeigt mir einen, und ich konzentriere mich auf ihn. Ihr sagt dauernd wir. Seid Ihr noch immer fest entschlossen, mit uns zu landen?«

»Ja. Wenn wir das Gewölbe aufbrechen, werden rasche Entscheidungen vonnöten sein, und ich plane nicht, sie Stelmach zu überlassen.«

»Ihr sprecht schon wieder von mir?« mischte sich Stelmach ein. Er war lautlos auf der anderen Seite des Kommandositzes, gegenüber Frost, aufgetaucht. Schwejksam riß sich zusammen. Er würde Stelmach nicht die Befriedigung geben, sich seinen Schreck anmerken zu lassen.

»Ich habe eben gesagt, daß wir vielleicht besser einen letzten Blick auf die Aufzeichnungen der ersten Kontaktgruppe werfen. Ein ekelerregender Anblick, aber notwendig. Auch die kleinste Kleinigkeit, die wir von ihnen erfahren, könnte am Ende über Leben und Tod entscheiden. Es besteht immer die Chance, daß uns etwas Neues auffällt. Etwas, das uns nützen könnte.«

Stelmach nickte ausdruckslos, und zu dritt blickten sie auf die Bilder, die auf dem kleinen Schirm vor Schwejksams Kommandantensitz erschienen, nachdem der Kapitän seinen Zugangscode eingegeben hatte. Die meisten Aufnahmen hatten sich bei der Auswertung als unbrauchbar erwiesen. Alles war scheinbar in Ordnung, bis die Gruppe in die unterirdische Stadt eingedrungen war. Allein die Nähe der fremden Technologien schien die Kameras empfindlich in ihrer Funktion gestört zu haben. Sie hatten begonnen, sich scheinbar willkürlich ein- und auszuschalten, so daß später nur noch eine sich ständig ändernde Montage von Menschen, Szenen und Ereignissen auf dem Film zu erkennen gewesen war. Und selbst davon war noch das meiste verschwommen oder unscharf gewesen – als wäre alles so schnell gegangen, daß die Kameras keine Zeit mehr gehabt hätten zu fokussieren. Die rechnergestützte Nachbearbeitung mit Hilfe der Lektronen hatte daran nicht viel ändern können. Der größte Teil dessen, was die Filme zeigten, war so fremdartig, so unbegreiflich, so anders, daß die Lektronen keinerlei Daten in ihren Speichern gefunden hatten, anhand derer sie Vergleiche hätten anstellen können. Schwejksam konnte sich nicht entschließen, deswegen traurig zu sein. Er hatte das unbestimmte Gefühl, daß das gesamte Filmmaterial, intakt und ausreichend scharf rekonstruiert, ausgereicht hätte, ihm graue Haare wachsen zu lassen.

Die Aufzeichnungen bestanden größtenteils aus kurzen Eindrücken und Momentaufnahmen. Es begann mit schnellen Einstellungen, die die fremdartige Umgebung zeigten, dunkel und beunruhigend. Die großen Strukturen waren nicht beleuchtet, und fremdartige Schatten bewegten sich über ihre glatten Oberflächen wie treibende Gedanken, während die Kontaktgruppe sich vorantastete. Die Strukturen schienen nicht einfach nur Gebäude zu sein. Alle möglichen Arten fremdartiger Maschinerie umhüllten sie wie schlafende Schlangen, ragten aus fensterähnlichen Öffnungen oder aus den Wänden wie Tumorgeschwüre. Wahre Alpträume aus verdrehten, schimmernden Materialien, die beinahe aussahen, als wären sie lebendig. Es gab Maschinen, die zu atmen schienen, und spiralförmige Röhren, die vor Schweiß glitzerten. Merkwürdige, reglose Figuren mit blicklosen Augen und Dinge, die sich zu bewegen schienen, bis man näher kam. Die Kontaktgruppe bewegte sich zwischen den massiven Bauwerken hindurch wie eine Horde Ratten, die man in einem Labyrinth ausgesetzt hatte, aus dem es kein Entrinnen gab, und ihre Unterhaltungen klangen immer abgehackter und hysterischer aus den Lautsprechern.

Die Scheinwerfer der Landetruppe glitten über die sich stetig ändernde Szenerie wie die Blitze eines schweren Gewitters, bis sie schließlich zu den gewaltigen stählernen Toren des Gewölbes der Schläfer kamen. Nach den Rekonstruktionen der Lektronen waren die Tore beinahe acht Meter hoch und vier breit; große, glatte Platten aus einem schimmernden Material ohne irgendeine Spur eines Schließmechanismus.

Die Kontaktgruppe versuchte eine Weile erfolglos, die schweren Portale zu öffnen, bevor der Anführer am Ende die Geduld verlor und sie einfach mit einer schweren, tragbaren Disruptorkanone in die Luft jagen ließ. Die Tore flogen zurück, Licht flammte im Innern des Gewölbes auf, und die Schläfer strömten hinaus.

Überall flammte Disruptorfeuer auf, doch die Fremden schienen von allen Seiten zugleich zu kommen, gewaltige Kreaturen, drei Meter groß, in silbern schimmernde Panzer gehüllt, die irgendwie ein Teil ihres Körpers zu sein schienen.

Mäuler, die vor stählernen Zähnen blitzten, weit aufgerissen, scheinbar grinsend. Blut spritzte und tropfte von ihren Kiefern.

Die Marineinfanteristen wehrten sich verzweifelt. Disruptorstrahlen flammten auf. Schwerter wirbelten. Schreie, Rufe.

Die Fremden wüteten mitten unter ihnen, trotz ihrer enormen Größe beinahe zu schnell, um mit dem bloßen Augen gesehen zu werden.

Eine klauenbewehrte Hand fetzte einen menschlichen Kopf von seinem Rumpf, der noch einige Schritte weiterrannte, bevor er zusammenbrach. Ein anderes Ungeheuer riß einem Soldaten durch seinen Kampfpanzer hindurch die Eingeweide aus dem Bauch und steckte seinen Kopf in die so entstandene Höhle. Blut spritzte durch die Luft, zuckende Lichter von Disruptor-Entladungen, Schreie des Entsetzens und des Schmerzes.

Ein Gesicht füllte den Schirm, bettelnd, flehend, und wurde weggerissen. Eine der Kreaturen posierte für einen Augenblick vor der Kamera, eingewickelt in menschliche Eingeweide. Ein Soldat schob einem der Fremden seinen Disruptor in den Mund und feuerte. Der Kopf des Wesens explodierte.

Eine zweite Kreatur stieß ihre klauenbewehrte Hand von hinten in den Rücken des Soldaten, und sie kam aus seiner Brust wieder hervor. Der gepanzerte Fremde wedelte mit dem sterbenden Körper wie mit einer Trophäe. Die Kreaturen liefen an den Wänden entlang und über die Decke wie ein riesiger Schwarm unmöglich großer Insekten.

Die letzten Soldaten starben. Die Kreaturen stampften an den zerfetzten Leichnamen vorbei und verschwanden in Richtung der Planetenoberfläche. Der Schirm zeigte, wie das Licht langsam verlosch, und dann sah man nur noch Dunkelheit.

Die Aufzeichnung endete.

Schwejksam betrachtete den leeren Schirm für einen Augenblick, dann beugte er sich vor und schaltete ab. Die Aufzeichnungen verloren nichts von ihrer beklemmenden Atmosphäre, egal wie oft er sie betrachtete. Die Männer, die die Aufnahmen gemacht hatten, waren alle tot. Das Filmmaterial war von den Schiffslektronen gespeichert worden. Schwejksam konnte es noch immer kaum glauben, daß diese Fremden das Kontaktteam so mühelos abgeschlachtet hatten. Aber er hatte gesehen, wie Schwerter an den Panzern der Fremden zersplitterten, wie Disruptorstrahlen abprallten und scheinbar keinerlei Schäden anrichteten. Allmählich begann er sich zu fragen, ob irgend etwas die Fremden aufhalten könnte. Außer einem weiteren Sengen.

Und ausgerechnet diese Kreaturen wollte die Imperatorin zu ihren neuen Stoßtruppen machen, und er, Johan Schwejksam, sollte sie zu diesem Zweck einfangen.

»Ich denke nicht, daß wir den Truppen diese Aufnahmen zeigen sollten«, sagte Stelmach. »Es würde sie nur nervös machen.«

»Sie haben sie bereits gesehen«, erwiderte Schwejksam.

»Nach meiner Erfahrung halten informierte Soldaten länger durch.«

»Dann werde ich mit Eurer Erlaubnis alles für die Landeoperation vorbereiten, Kapitän«, sagte Stelmach. »Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen.«

»Tut, was immer Ihr tun müßt«, erwiderte Schwejksam.

»Wir gehen pünktlich runter. Wenn Ihr bis dahin nicht fertig seid, müßt Ihr zu Fuß hinterherkommen.«

Stelmach nickte knapp und verließ die Brücke. Frost rümpfte die Nase. »Der Mann braucht mehr Ballaststoffe in seiner Ernährung. Gibt es wirklich keine weiteren Filmaufnahmen vom ersten Kontakt?«

»Das ist alles, was zu sehen ist. Außerdem schätze ich, daß ich nicht viel mehr ertragen könnte. Ich glaube nicht, daß ich schon jemals so bösartige und tödliche Kreaturen gesehen habe.«

»Da habt Ihr verdammt recht«, stimmte ihm Frost zu. Sie grinste breit. »Ich kann es kaum abwarten, ihnen gegenüberzutreten. Muß Jahre her sein, daß ich richtig herausgefordert worden bin.«

Das Schlimme daran ist, dachte Schwejksam trocken, daß sie das ernst meint.

Die Oberfläche Grendels sah in Wirklichkeit noch viel deprimierender aus als auf den Schirmen aus dem Orbit herab. Ein einziges riesiges Aschenmeer erstreckte sich in alle Richtungen bis zum Horizont, geschwungen, eben, tot. In der Luft trieb Asche und trübte das Licht der purpurnen Sonne. Es schien, als würde der Himmel selbst bluten. Die fünf Pinassen der Unerschrocken landeten eine nach der anderen auf den eigens dazu errichteten stählernen Plattformen, die über der Asche schwebten. Sie blieben gerade lange genug, um die Mannschaft der Kontaktgruppe und ihre Ausrüstung zu entladen, bevor sie wieder abhoben und verschwanden. Kapitän Johan Schwejksam warf einen Blick in die Umgebung und versuchte zugleich, ein Gespür für die veränderte Gravitation zu entwickeln. Er fühlte sich ein wenig schwerer als gewöhnlich, aber es war auszuhalten. Der Atemregenerator in seinem Uniformkragen umgab seinen Kopf mit einer Blase aus frischer Luft. Selbst wenn das übelkeitserregende Gemisch von Grendels Atmosphäre atembar gewesen wäre, hätte die darin schwebende Asche ihn innerhalb von Sekunden geblendet und seine Lungen verätzt. Er blickte den startenden Pinassen mit gemischten Gefühlen durch den blutigen Himmel hinterher.

Jetzt war er wirklich ganz auf sich allein gestellt.

Schwejksam drehte sich um und musterte seine Leute. Sie hatten sich bereits jetzt in drei Abteilungen aufgespalten: Esper, Marineinfanteristen und Wampyre. Alle hatten ihre Augen auf den Kapitän gerichtet und erwarteten seine Befehle. Als wüßte er besser als sie, was als nächstes zu tun sei.

Wenn du Zweifel hast, dann gib dir wenigstens einen zuversichtlichen Anschein.

»Also gut, alles herhören! Die Minenroboter haben einen Aufzug konstruiert, der uns in die verschüttete Stadt unter den Landeplattformen bringt. Die schlechte Nachricht ist, daß nicht mehr als fünfzehn Leute gleichzeitig hineinpassen. Deshalb werden die Marineinfanteristen als erste hinuntergehen und die Situation begutachten. Sobald wir hier oben die Nachricht erhalten, daß alles in Ordnung ist, werden Investigator Frost und ich mit den Espern hinterherfahren. Anschließend folgen Sicherheitsoffizier Stelmach und seine Wampyre. Die Waffen sind schußbereit, meine Damen und Herren! Wenn sich etwas bewegt, das nicht zu uns gehört, wird sofort geschossen. Ihr müßt nicht auf meine Erlaubnis warten. Und haltet Euch unter Kontrolle, sobald wir unten sind. Die Technologie der Fremden hat einen eigenartig beunruhigenden Einfluß auf das menschliche Bewußtsein. Konzentriert Euch allein auf Eure Aufgabe, und alles sollte glattgehen. Fragen?«

»Wollt Ihr zuerst die schlechten Nachrichten oder die wirklich schlechten Nachrichten hören?« fragte Frost.

»Redet nicht um den heißen Brei«, erwiderte Schwejksam schwer. »Was ist jetzt schon wieder schiefgelaufen?«

»Erstens haben wir jeglichen Kontakt mit der Unerschrocken verloren. Irgend etwas unten in der Stadt stört unsere Kommunikationssysteme. Das ist eine neue Entwicklung, seit unser erstes Team auf diesem Planeten war. Und es bedeutet, daß wir hier feststecken, wenn irgendwas passiert. Wir können keinerlei Verstärkungen anfordern, und wir können uns nicht evakuieren lassen. Wir sitzen fest, bis die Pinassen zur vorher vereinbarten Zeit wiederkommen. Und das ist erst in vier Stunden. Vielleicht interessiert Euch in diesem Zusammenhang, daß die erste Mannschaft insgesamt zwei Stunden und siebzehn Minuten überlebt hat.«

»Und die wirklich schlechte Nachricht?« fragte Schwejksam nach einer kurzen Pause.

»Die Minenausrüstung hat aufgehört zu funktionieren. Der Aufzug arbeitet noch, aber der Schacht führt nur bis zum Rand der unterirdischen Stadt. Wir werden mindestens eine Stunde marschieren müssen, bis wir das Gewölbe erreicht haben.«

Großartig, dachte Schwejksam. Einfach großartig. Er hatte fest darauf gezählt, daß er die fremdartige Technologie der Stadt und ihre Auswirkungen auf das menschliche Bewußtsein würde vermeiden können. Außerdem würde jetzt weitaus weniger Zeit bleiben, um sich mit dem auseinanderzusetzen, was auch immer aus dem Gewölbe zum Vorschein kommen mochte. Schwejksam dachte angestrengt nach.

»Gibt es einen Verdacht, warum die Minenausrüstung versagt hat?«

»Nein. Die Telemetrie ist zusammen mit den Kommunikationssystemen ausgefallen. Die einzig halbwegs positive Nachricht ist, daß die Aufzüge noch arbeiten. Jedenfalls im Augenblick.«

»Also gibt es keinerlei Garantie, daß sie noch funktionieren, wenn wir aus der Stadt zurückkehren wollen?«

»Richtig.«

»Wunderbar. Also gut. Wir machen weiter wie geplant. Im Gegensatz zum ersten Kontaktteam haben wir Kampfesper und ESP-Blocker bei uns. Ich hoffe doch, daß entweder die einen oder die anderen uns einen gewissen Schutz vor dem schädlichen Einfluß der Stadt bieten können. Und wenn nicht, dann werden wir sehr schnell herausfinden, wie hart unsere Truppe wirklich ist. Setzt die Marineinfanterie in Bewegung, Investigator. Die Zeit läuft gegen uns.«

Die Fahrt im Aufzug war ziemlich ernüchternd. Es war eng, drückend und ganz entschieden nichts für Klaustrophobiker, aber jeder war in seinen Gedanken bei dem bevorstehenden Horror, der in der Stadt auf sie zukommen würde, und niemand nahm wirklich Notiz von der bedrückenden Enge. Da die Kommunikationssysteme ausgefallen waren, machte es auch keinen Sinn, auf das Signal der Infanteristen zu warten, und so hofften Schwejksam und Frost auf das Beste, als sie mit der ersten Abteilung Kampfesper in den Schacht einfuhren.

Die Stadt selbst schien still und friedlich, doch Schwejksam kam es vor wie die Stille eines Friedhofs. Die Marineinfanteristen hatten bereits einen Sicherungskordon gebildet, und helle Scheinwerfer drängten die Dunkelheit in alle Richtungen zurück. Die Soldaten hielten ihre Waffen feuerbereit und sahen mehr als entschlossen aus, sie beim geringsten Anlaß auch zu benutzen. Frost summte irgend etwas Aufmunterndes und setzte sich in Bewegung, um den Sicherungskordon zu inspizieren, während Schwejksam die Esper auf einer Seite in Stellung gehen ließ. Im Augenblick arbeiteten alle drei ESP-Blocker, und der Kapitän hoffte, daß ihr Feld stark genug sein würde, um die gesamte Mannschaft zu schützen. Trotzdem instruierte er die Esper, einen starken psionischen Schirm aufrechtzuerhalten – für den Notfall. Sie folgten seiner Aufforderung ohne Zögern, die Augen in unbestimmte Fernen gerichtet. Schwejksam machte ihnen keinen Vorwurf. Auch er hatte Mühe, seine Augen von der Dunkelheit dort draußen abzuwenden. Alles konnte dort auf sie lauern. Wirklich alles.

Die Wampyre warteten geduldig auf Befehle. Stelmach starrte mit offenstehendem Mund in die Runde. Es war eine Sache, die Stadt auf einem Bildschirm aus relativ sicherer Entfernung zu betrachten, und eine völlig andere, mitten drin zu stehen und alles aus erster Hand zu erleben. Er bemerkte, daß Schwejksam ihn beobachtete, und schloß mit einem schnappenden Geräusch den Mund. Dann bellte er seine Befehle, und die Wampyre bildeten ohne besondere Eile einen Ring um ihn. Was auch immer geschehen mochte – Stelmach war anscheinend fest entschlossen, unter allen Umständen zu überleben, um Bericht erstatten zu können. Schwejksam grinste schief. Keine schlechte Idee, sich mit einem Kordon aus Wampyren zu umgeben. Er wünschte nur, er hätte als erster daran gedacht. Frost kehrte von ihrer Inspektion zurück, und Schwejksam setzte sein ruhigstes und zuversichtlichstes Gesicht auf. Obwohl er nicht wußte, wozu es gut sein sollte. Er hatte Frost noch nie über seinen Gemütszustand hinwegtäuschen können. Sie nickte ihm lässig zu und trat dicht an ihn heran. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Murmeln.

»Im Augenblick scheint alles sicher zu sein. Die Bewegungsmelder schweigen, aber die Fernsensoren sind ausgefallen. Wir sollten uns allmählich mit dem Gedanken vertraut machen, daß der Einfluß der Stadt möglicherweise unsere gesamte Technologie außer Betrieb setzt. Keine Disruptoren, keine Schutzschilde, nichts. Am Ende stehen wir Mann gegen Mann den Schläfern gegenüber und halten nichts in den Händen außer unseren Schwertern und unseren bösen Absichten.

Ich will gar nicht daran denken, was geschieht, wenn die Atemgeräte ausfallen. Sicher, wir hätten noch immer die Wampyre. Sie sind auch unbewaffnet ziemlich tödlich, und ihre Stärke und Schnelligkeit beruhen nicht auf Technologie.

Vielleicht wußten unsere Vorgesetzten ja doch, was sie taten, als sie darauf bestanden, daß wir Wampyre in unser Team aufnehmen. Wie halten sich die Esper?«

»Schwer zu sagen. Sie reagieren ziemlich unterschiedlich, aber das scheint völlig normal zu sein. Ich vertraue darauf, daß die ESP-Blocker das Schlimmste abhalten. Wir wollen die Truppe in Bewegung setzen, Investigator. Je weniger Zeit wir hier unten verbringen, desto besser.«

»Ihr seid ein Spielverderber, Kapitän«, erwiderte Frost. »Ihr gönnt einem auch nicht das kleinste Vergnügen.«

Die Marineinfanteristen übernahmen die Spitze, die Waffen feuerbereit, die Helmscheinwerfer eingeschaltet. Die Kameras auf ihren Schultern arbeiteten noch, obwohl sie ihre Bilder nicht zur Unerschrocken übertragen konnten. Die einzige Möglichkeit, daß eine Aufzeichnung dieser Expedition überleben würde, bestand darin, daß jemand mit ihnen an die Oberfläche zurückkehrte. Frost hielt sich mit leuchtenden Augen vorn bei den Infanteristen auf, als wartete sie nur darauf, daß jemand dumm genug sein könnte, einen Angriff zu starten. Als nächste Gruppe folgte Schwejksam mit den Espern, wenn auch nur deshalb, weil er sie im Auge behalten wollte.

Die Esper ignorierten ihre Umgebung völlig und trotteten mit hängenden Köpfen hinter der ersten Gruppe her. Schwejksam konnte nicht sagen, ob es an der bedrohlichen Atmosphäre der Stadt selbst oder am Einfluß der ESP-Blocker lag. Den Schluß bildete Stelmach mit seinen Wampyren. Die Stadt schien ihnen überhaupt nichts anhaben zu können, doch wahrscheinlich lag es daran, daß sie bereits einmal gestorben und wieder zum Leben erweckt worden waren. Ihnen konnte so schnell nichts und niemand Angst einflößen. Zwei der Wampyre schleppten ein großes Ausrüstungsteil mit sich, über dessen Natur man Schwejksam im unklaren gelassen hatte. Auf seine Nachfrage hin hatte man ihm nur einen kalten Blick geschenkt und erwidert, daß es ihn nichts anginge. Offensichtlich handelte es sich um eine Art Geheimwaffe, die Stelmach ausprobieren sollte, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot. Nur ein weiteres Geheimnis, das man Schwejksam vorenthielt. Er grinste schief. Das verdammte Ding würde hier unten wahrscheinlich sowieso nicht mehr funktionieren.

Sie marschierten tiefer in die Stadt hinein, und es wurde schlimmer. Die großen Bauwerke schienen sie förmlich zu erdrücken, aber auch andere Konstruktionen, die auf den ersten Blick nicht so bedrohlich wirkten, trugen zu der feindlichen, klaustrophobischen Atmosphäre bei. Hin und wieder entstanden scheinbar aus dem Nichts enigmatische Projektionen und versperrten ihnen den Weg, und sie mußten entweder darüber hinweg klettern oder einen Umweg einschlagen. Die Oberflächen fühlten sich bei Berührung glatt und ungesund an. Die sich bewegenden Scheinwerfer der Soldaten ließen genausoviel in den tiefen Schatten verschwinden, wie sie enthüllten, und Schwejksam war dafür beinahe dankbar. Was er sah, erschreckte ihn auch so schon genug.

Die Stadt entpuppte sich immer mehr als ein einziger Alptraum aus Stahl und Fleisch; eine unnatürliche Kombination aus atmendem Metall und silbern verdrahtetem Gewebe. Abgerundete Zylinder pulsierten wie leuchtende Eingeweide, und Pumpen mit großen, sich bewegenden Ventilklappen schlugen wie lebende Herzen. Dinge, die anscheinend einst lebendige Kreaturen gewesen waren, waren zu Bestandteilen funktionierender Maschinen gemacht worden. Es gab komplexe Apparate, die Eingeweide und sogar Augen zu besitzen schienen, und lange metallene Gliedmaßen, die ins Nichts baumelten. Dinge bewegten sich ohne offensichtlichen Grund und kamen genauso wieder zur Ruhe, und sie schienen sich den Eindringlingen zuzudrehen oder ihnen hinterherzusehen, als die Truppe sich näherte oder vorbeiging. Es gab große, schwere Maschinen, die aussahen, als wären sie mindestens genauso sehr natürlich gewachsen wie erbaut worden, und kleine, metallene, klappernde Apparate mit hellen Augen, die sich in den Schatten verbargen. Bis jetzt hatten die Soldaten der Versuchung widerstanden, das Feuer auf sie zu eröffnen, aber ihre Geduld wurde arg strapaziert. Ein beinahe spürbarer Druck hatte sich wie eine schwarze Wolke auf die gesamte Mannschaft gelegt. Jedermann spürte, daß er irgendwie beobachtet wurde, und etwas Unbegreifliches schien jedem Geräusch zu lauschen, das sie verursachten. Alle Maschinen befanden sich anscheinend in einwandfreiem Zustand, arbeiteten und funktionierten, als wären ihre Konstrukteure nur eben für einen Augenblick nach draußen gegangen, um Luft zu schnappen, und würden jede Sekunde zurückkehren, Schwejksam beschleunigte seinen Schritt und hielt sich neben Frost.

»Erinnert Euch das hier an etwas?« fragte er leise.

»Ja. Das fremde Schiff und die Basis, die es auf Unseeli errichtet hat. Biomechanik. Eine Kreuzung zwischen lebendem organischen Material und Technologie. Steht weit über allem, was wir bisher erreicht haben.«

»Könnte eine Verbindung bestehen zwischen dem Fremden von Unseeli und den Wesen, die diese Stadt hier erbaut haben?«

»Möglich wär’s. Aber das Schiff auf Unseeli ist erst in jüngster Zeit notgelandet, und diese Ruinen hier sind uralt.

Nach den Sensorauswertungen der Unerschrocken muß diese Stadt hier schon länger existieren als die gesamte Menschheit… Bringt einen ganz schön ins Grübeln, meint Ihr nicht?«

Es wurde immer schlimmer, je weiter sie sich dem Gewölbe näherten. Die unheimlichen Konstruktionen rückten immer enger zusammen und rührten an tiefverborgene Urängste.

Schließlich standen die Gebilde so dicht beieinander, daß die Leute hintereinander gehen mußten. Die Formen und Gebilde schienen einen unterschwelligen Hinweis auf ihre Funktion oder Bedeutung zu enthalten, aber niemals deutlich genug, um einen Sinn zu ergeben. Die Winkel und Proportionen stimmten auf eigenartige Weise nicht – fast, als würden sie mehr verbergen, als sie dem bloßen Auge enthüllten. Die Soldaten wurden immer nervöser und streitsüchtiger. Einige feuerten ihre Waffen in die Dunkelheit ab, doch hinterher konnte niemand sagen, auf wen oder was er geschossen hatte; vielleicht wollte es auch keiner. Die persönlichen Schutzschilde stellten ohne ersichtlichen Grund ihre Arbeit ein. Schwejksam machte einen Versuch, die ESP-Blocker abzuschalten. Er wollte herausfinden, ob seine Kampfesper die Truppe im Ernstfall würden schützen können, aber die Telepathen wurden sofort derart hysterisch, daß er die Blocker wieder einschalten mußte, um zu verhindern, daß seine Leute verrückt wurden. Selbst die Wampyre zeigten mittlerweile eine Reaktion. Sie hielten sich dicht beieinander, und ihre kalten, toten Gesichter blickten angespannt in die Runde. Stelmach schien ein einziges Nervenbündel zu sein; seine Augen waren weit aufgerissen, und sein Mund bebte. Schwejksam spürte einen zunehmenden Schmerz zwischen den Schulterblättern, als seine Muskeln sich verkrampften, und bald hatte er auch das Gefühl, daß seine Gedanken nicht mehr so klar und logisch waren wie noch kurze Zeit zuvor. Manchmal verlor er einfach den Faden und mußte sich stark konzentrieren, um ihn wiederaufzunehmen. Selbst Frost hatte mit ihrem unbekümmerten Summen aufgehört. Sie waren seit einer Dreiviertelstunde unterwegs und tief in die Eingeweide der fremden Stadt vorgedrungen, als es plötzlich geschah. Sie verloren ihren ersten Mann.

Eine Falltür öffnete sich unter den Füßen des vorausgehenden Soldaten, und plötzlich war er einfach verschwunden. Er hatte eben noch genug Zeit, um zu einem Schrei anzusetzen, bevor er in der Finsternis verschwand und der Schrei sich entfernte. Schwejksam und Frost schoben sich an den anderen vorbei und blieben am Rand des Lochs stehen. Sie konnten den Schrei noch immer hören, aber er wurde rasch leiser und verstummte ganz, während sie auch den Helmscheinwerfer der fallenden Gestalt aus den Augen verloren. Die Soldaten drängten sich um das Loch und richteten ihre Scheinwerfer nach unten, doch das Licht schien irgendwie verschluckt zu werden, und sie sahen nichts außer Schwärze.

»Habt Ihr eine Idee, wie rief es ist?« fragte Schwejksam schließlich. »Können wir eine Leine hinablassen und ihn zurückholen?«

»Die Sensoren sind ausgefallen«, erwiderte Frost leidenschaftslos. »Auf den Bewegungsmeldern ist nichts zu erkennen. Nach allem, was wir bisher gesehen haben, kann es durchaus bodenlos sein.«

»Wir gehen weiter«, entschied Schwejksam und richtete sich auf. Ein Soldat funkelte ihn wütend an.

»Wir lassen unsere Kameraden nicht einfach zurück, Kapitän.«

»Diesmal schon, Soldat. Wir haben keine Möglichkeit, ihn da wieder herauszuholen, falls er überhaupt noch lebt – was ich für unwahrscheinlich halte. Wir werden mit ziemlicher Sicherheit noch weitere Verluste haben, bevor wir wieder an die Oberfläche kommen. Gewöhnt Euch besser an diesen Gedanken. Und jetzt setzt Euch in Bewegung, Soldat. Da Ihr so eifrig seid, macht es Euch sicherlich nichts aus, die Spitze zu übernehmen.«

Der Infanterist starrte ihn mit mühsam beherrschter Wut an, aber er sagte nichts mehr. Brüsk machte er auf dem Absatz kehrt und stapfte durch den engen Korridor voran. Schwejksam winkte den anderen Infanteristen, ihm zu folgen. »Alles bleibt dicht beisammen und hält die Augen offen. Mit Sicherheit warten hier unten noch mehr Fallen auf uns.« Er blickte über das Loch hinweg zu Frost. »Haben wir keine Instrumente mehr, die derartige Fallen vorher entdecken können?«

»Nein«, erwiderte sie leise. »Die Stadt scheint sie irgendwie… zu verwirren. Es ist alles zu fremd. Zu verschieden.«

Die Kontaktmannschaft marschierte weiter. Sie waren jetzt vorsichtiger. Die Erinnerung an das, was mit dem ersten Team geschehen war, lag allen wieder frisch im Gedächtnis. Damals hatte es noch keine Fallen gegeben. Es schien, als hätten die Städte gelernt, sich gegen die Eindringlinge zu verteidigen.

Mit einem Mal lauerten auf allen Seiten Fallen. Plötzlich und unerwartet schlugen sie zu. Spitze Metalldornen schossen aus einer scheinbar glatten Wand und durchbohrten einen vorbeigehenden Soldaten. Er hing für einen Augenblick an den Dornen wie ein aufgespießter Schmetterling, dann fuhren sie wieder in die Wand zurück, und sein Leichnam fiel zu Boden. Das Metall gab ein leises, saugendes Geräusch von sich, als es aus dem Körper zurückgezogen wurde; ein schrecklicher Laut in der bedrückenden Stille. Die Mannschaft rückte argwöhnisch weiter vor und ließ die leblose Gestalt zurück. Man würde die Leiche auf dem Rückweg nach oben bergen. Wenn alles gutging.

Dann fanden unerwartete Ausbrüche von Hitze oder Kälte statt, beides extrem genug, um nacktes Fleisch zu verbrennen oder zu erfrieren. Einmal folgte ihnen ein unheimliches Heulen durch einen engen Gang nach unten. Das Geräusch kreischte zuerst schrill in ihren Ohren, dann sank der Ton so tief, daß sie ihn nur noch in ihren Eingeweiden spüren konnten. Das Geräusch schien ihnen nichts anhaben zu können, also ignorierten sie es. In den Wänden öffneten sich verborgene Nischen voller Geheimnisse und Fremdartigkeit, und gleitende Paneele fuhren auf und schlugen zu wie hungrige Mäuler. Die Gravitation änderte sich sprunghaft von Beinaheschwerelosigkeit zu einem erdrückenden Gewicht, das jedes Fortkommen fast unmöglich machte. Einer der Esper blieb ohne ersichtlichen Grund stehen und begann zu kichern. Er lachte immer lauter und lauter und hatte ganz offensichtlich den Verstand verloren. Ein Infanterist hatte Mitleid – vielleicht war er auch nur durch das unheimliche Lachen völlig entnervt – und schoß ihm in den Kopf. Die Kontaktgruppe setzte ihren Weg fort. Eine Stunde verging, und sie verloren während dieser Zeit sieben Infanteristen, einen Esper und einen Wampyr, der nicht aufgepaßt hatte, wo er hintrat.

Schwejksam warf Frost einen zweifelnden Blick zu. »Seid Ihr sicher, daß diese Stadt verlassen ist?«

Investigator Frost zuckte die Schultern. »Soweit unsere Instrumente an Bord der Unerschrocken funktionierten, konnten sie keinerlei Anzeichen für Leben auf dem Planeten entdecken. Jedenfalls fanden sie nichts, das sie als Leben erkannt hätten. Natürlich waren sie nicht imstande, die Gewölbe zu durchdringen. Vielleicht ist ja die Stadt selbst ein lebender Organismus…?«

»Und hungrig.«

»Nicht unbedingt. Es ist grundverkehrt, menschliche Motive in die Handlungsweise fremder Rassen zu projizieren. Diese Zwischenfälle könnten genausogut ihre Methode sein, mit uns in Kontakt zu treten.«

»Dann möchte ich wirklich nicht wissen, was sie uns sagen wollen. Obwohl ich denke, wir können getrost davon ausgehen, daß es nichts Freundliches ist.«

»Vielleicht ist es eine Warnung?« überlegte Frost laut.

»Vielleicht will irgend jemand uns sagen, daß wir umkehren sollen, bevor wir zum Gewölbe kommen und dem begegnen, was darin auf uns wartet?«

»Ihr seid stets voll erbaulicher Information, Investigator, nicht wahr?« brummte Schwejksam. Er warf einen Blick auf die hinter ihm ziehende Mannschaft. »Stelmach, schafft Eure Wamypre herbei. Ich möchte, daß sie von nun an die Führung übernehmen, da wir so dicht beim Gewölbe sind.«

»Warum?« wollte Stelmach wissen.

»Nun, erstens, weil ich hier der Kapitän bin und das Kommando habe, und zweitens, weil sie nicht so einfach zu töten sind. Also macht schon.«

»Ihre Reaktionsgeschwindigkeit ist der unseren weit überlegen, und sie können eine ganze Menge mehr einstecken«, sagte Stelmach. »Aber die Wampyre sind viel zu kostbar, um sie unnötigen Risiken auszusetzen.«

»Mein lieber Stelmach, schickt die Wampyre nach vorn.

Noch ein weiteres Wort des Widerspruchs, und Ihr geht selbst voraus. Habt Ihr mich verstanden?«

Der Sicherheitsoffizier dachte einen Augenblick über die Angelegenheit nach, bevor er zögernd nickte. Langsam ging es weiter, und die Wampyre bildeten die Vorhut. Die Marineinfanteristen murrten unzufrieden. Sie waren nicht sicher, ob sie erleichtert oder beleidigt reagieren sollten. Langsam zog die Stadt an ihnen vorbei, dunkel und glitzernd und sich vielleicht der Eindringlinge bewußt.

Endlich, nach einer Stunde und siebzehn Minuten, erreichten sie das Gewölbe.

Es war groß. Monolithisch. Seine schimmernden Stahlwände erstreckten sich in jede Richtung, so weit die Scheinwerfer die Finsternis durchdrangen. Die Ausrüstung spielte verrückt, selbst die Apparate, die bis jetzt klaglos funktioniert hatten.

Die Wampyre und die Infanteristen ließen sich ein wenig zurückfallen, als würden sie zögern, sich dem Gewölbe weiter zu nähern, jetzt, da sie vor ihm standen. Es war zu groß. Zu gewaltig, um einfach in einen menschlichen Verstand zu passen. Schwejksam ging voran, Frost an seiner Seite. Er streckte die Hand aus, um den schimmernden Stahl zu berühren, doch im letzten Augenblick zögerte er. Es war, als würde ein eiskalter Wind von den Mauern ausgehen. Schwejksam konnte ihn auf seinem Gesicht spüren. Sein Spiegelbild auf der Oberfläche des glatten Stahls blickte unsicher, verwirrt, beinahe wie ein Geist; vielleicht eine Vorahnung, die auf ihn zurückfiel, um ihn zu warnen.

»Baut den Schutzschild auf«, befahl er barsch und wandte sich von der Wand ab. »Sobald wir dieses Ding geöffnet haben, darf nichts mehr an uns vorbei in die Stadt entkommen.«

Die Infanteristen kamen nach vorn und arbeiteten hektisch daran, den Feldgenerator zusammenzusetzen und in Betrieb zu nehmen. Sie waren froh, etwas tun zu können, das sie verstanden. Es war kein besonders großer oder leistungsfähiger Generator, dessen Bestandteile sie in ihrem Marschgepäck mitgeführt hatten; aber das von ihm erzeugte Kraftfeld würde ausreichen, um jedes Loch abzuschirmen, das sie möglicherweise in die stählerne Wand zu sprengen hoffen konnten. Der letzte Infanterist setzte das letzte Einzelteil in den Generator ein und drückte den Aktivierungsschalter. Ein leuchtendes Kraftfeld bildete sich und riegelte das Kontaktteam und einen Teil der Gewölbewand vom Rest der Stadt ab. Sie fanden kaum genug Zeit, sich ein wenig zu entspannen und ein paar ermutigende Blicke zu wechseln, als der Generator plötzlich aussetzte und das Kraftfeld in sich zusammenfiel. Rauch stieg aus dem Apparat, und ein paar mutigere Soldaten wedelten ihn zur Seite, um das Gerät einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Frost und Schwejksam tauschten besorgte Blicke.

»Großartiger Anfang.«

»Könnt Ihr es reparieren?« fragte Schwejksam die Soldaten.

»Es sieht nicht so aus, als wäre etwas defekt«, erwiderte eine leise, gespannte Stimme. »Ich schätze, allein die Nähe zum Gewölbe der Schläfer ist daran schuld. All meine Instrumente spielen plötzlich verrückt. Die Werte ergeben überhaupt keinen Sinn mehr. Den Schild könnt Ihr jedenfalls vergessen, Kapitän. Wir haben keinerlei Möglichkeit, ihn hier unten zum Funktionieren zu bringen.«

»Was ist mit dem Schockfeld? Es benötigt ein gutes Stück weniger Energie.«

Die Marineinfanteristen, die neben dem Generator gestanden hatten, machten plötzlich einen Satz zur Seite. Das solide Gehäuse begann zu schmelzen. Zähe Ströme von Plaststahl flossen wie Wachs davon. Schwejksam blickte wie betäubt auf den Apparat. Das Material besaß einen Schmelzpunkt von weit über tausend Grad Celsius! Jede Wärmeentwicklung, die ausreichte, um es zum Schmelzen zu bringen, hätte mehr als ausreichen müssen, um den gesamten Trupp zu Asche zu verbrennen. Frost machte einen Schritt nach vorn und steckte die Spitze ihres Schwertes in den flüssigen Plaststahl. Die Spitze dampfte, aber sie schmolz nicht.

»Interessant«, sagte sie schließlich.

»Sonst noch etwas, das Ihr zum besten geben wollt?« fragte Schwejksam.

»Im Augenblick nicht«, erwiderte Frost. »Ich muß erst in Ruhe darüber nachdenken.« Sie zog sich zurück. Ihre Stirn war in grübelnde Falten gelegt.

»Macht das«, grollte Schwejksam. Er wandte sich zu den Soldaten um. »Macht die Disruptorkanonen fertig. Stellt sicher, daß Ihr freies Schußfeld für Eure Waffen habt. Jetzt ist es wichtiger als je zuvor, daß nichts und niemand an uns vorbeikommt.«

Die Marineinfanteristen machten sich erneut an die Arbeit und setzten die beiden Kanonen zusammen. Stelmach kam herbei und stellte sich zu Schwejksam.

»Meint Ihr wirklich, sie würden besser funktionieren als der Schildgenerator?«

Schwejksam zuckte die Schultern. »Ich will verdammt sein, wenn ich das wüßte. Aber sie sollten besser funktionieren, sonst haben wir den ganzen Weg umsonst gemacht. Nach den Aufzeichnungen der ersten Kontaktgruppe sind beide Kanonen notwendig, um ein Loch in diese Wand zu schießen.«

»Wir haben keine Ahnung, warum manche Geräte funktionieren und manche nicht«, sagte Frost, die wieder zurückgekommen war. »Alles könnte jederzeit ausfallen. Unsere Waffen, unsere Scheinwerfer…«

Stelmach erschauerte plötzlich. »Stellt Euch nur vor: Hier unten ohne Licht gefangen…«

Frost zuckte die Schultern. »Na und? Es würde mich nicht weiter stören.«

Nein, dachte Schwejksam entschieden. Das kaufe ich ihr nicht ab. Vielleicht ohne Licht, aber selbst ein Investigator muß atmen… »Wir sollten nicht unnötig in Panik verfallen.

Das erste Team hatte seine Schwierigkeiten, aber nicht das Versagen der Technik war schuld am Tod der Leute. Das waren die Schläfer. Und wir haben wenigstens noch unsere Kampf es per und die Wampyre. Ihre Kräfte sind nicht von Technologie abhängig. Wenn wir schon davon sprechen: Esper, hier herüber, zu mir!«

Die Esper kamen zögernd herbei, lustlos und mit gesenkten Köpfen. Schwejksam musterte sie streng. »Ich werde jetzt die ESP-Blocker abschalten. In eurem augenblicklichen Zustand seid ihr zu nichts nutze. Schirmt euch ab, so gut ihr könnt, aber wenn wir diese Wand aufgebrochen haben, dann möchte ich, daß ihr alles, was ihr an Kräften besitzt, auf das richtet, was dahinter zum Vorschein kommt. Habt ihr mich verstanden?«

Die Esper starrten ihn an wie Kinder, die eine Strafe erwarten. Einer von ihnen trat vor und fuhr Schwejksam wütend an.

»Ihr hättet uns niemals hierherbringen dürfen, Kapitän. Wir gehören nicht hierher. Keiner von uns. Das hier ist kein Ort für Menschen. Es gibt keine menschlichen Beschränkungen.

Dort draußen in der Dunkelheit lauern Dinge, die keiner von uns anzusehen wagt. Wenn Ihr uns dazu zwingt, werden wir sterben.«

»Wenn ihr nicht augenblicklich aufhört zu winseln und endlich vernünftig zusammenarbeitet, werdet ihr ebenfalls sterben«, schnappte Schwejksam zurück. »Ihr seid Kampfesper, verdammt! Ihr solltet dank Eurer Ausbildung mit Situationen wie dieser umgehen können! Und jetzt reißt euch endlich zusammen!«

Schwejksam bedeutete den Infanteristen mit einer herrischen Geste, die ESP-Blocker abzuschalten, und eine Sekunde lang geschah nichts. Dann atmete der Esper, der gesprochen hatte, tief ein und trat einen Schritt zurück – und sein Kopf explodierte.

Schwejksam schrie voller Entsetzen auf und erschauerte, als Blut und Knochensplitter seine Uniform trafen.

Ein weiterer Esper begann abgehackte Sätze in einer Sprache hervorzustoßen, die keiner verstand. Die verbliebenen Telepathen drängten sich wie verängstigte Kinder zusammen, schlossen die Augen und konzentrierten all die Macht ihrer übernatürlichen Sinne darauf, sich zu schützen. Schwejksam spürte, wie Schuldgefühle in ihm hochsteigen wollten, aber er schob den Gedanken energisch zur Seite. Dazu war keine Zeit.

»Sind die Herrschaften jetzt stabil? Können wir mit unserem Auftrag fortfahren?«

Langsam nickten die Esper. Einer von ihnen starrte wütend auf Schwejksam. »Fahrt fort. Fahrt fort, solange Ihr noch könnt. Es weiß, daß wir hier sind.«

Schwejksam wandte sich an die Infanteristen, die die beiden Disruptorkanonen bemannten. Die schimmernde Festigkeit der Waffen stärkte sein Selbstvertrauen. Sie besaßen

genügend Feuerkraft, um ein Loch in die Hülle eines Sternenkreuzers zu blasen.

»Alles bereithalten. Auf meinen Befehl hin beide Kanonen abfeuern – JETZT!«

Die Disruptorkanonen feuerten. Ihre gleißenden Strahlen vertrieben für einen Augenblick beinahe die allgegenwärtige Finsternis. Knisternde Energie tanzte über die stählerne Wand des Gewölbes, ohne ihm einen sichtbaren Schaden zufügen zu können. Und dann öffnete sich plötzlich zögernd eine verborgene Tür in der Wand, sechs Meter hoch und vier breit, als hätte die bloße Gewalt der Waffen sie eingedrückt. Die Kanonen stellten das Feuer ein, und alles starrte mit angehaltenem Atem auf den finsteren Spalt hinter der Tür.

Schwejksams Hand verkrampfte sich um den Kolben seiner Pistole, bis die Knöchel weiß hervortraten. Er wappnete sich auf den Ansturm von Schläfern, die wie Berserker auf die Eindringlinge eindrangen; aber da war nichts. Überhaupt nichts. Und jetzt, nachdem die beiden Kanonen das Feuer eingestellt hatten, war es auf einmal sehr still. Das einzige Geräusch war das angespannte, erwartungsvolle Atmen der Mitglieder des Kontaktteams. Dann sprang ein einzelner Schläfer aus der Tür, und Blut spritzte durch die Luft, als er sich mit irrer Wut mitten unter die wartenden Soldaten stürzte.

Das Wesen war groß und furchterregend. Schwejksam konnte außer einem glitzernden Schuppenpanzer und blitzenden Stahlzähnen nichts erkennen. Es bewegte sich schneller unter den Männern, als sie denken konnten, und riß und fetzte sich mit Klauen und Zähnen seinen Weg durch die Soldaten, packte sie und warf sie durch die Luft, als wögen sie nicht mehr als ein Blatt im Wind. Die Infanteristen feuerten ihre Disruptoren, aber das Wesen war nie dort, wo sie hinzielten.

Es war riesig, es war schnell, es war tödlich, und es war anscheinend überall zugleich. Disruptorstrahlen fuhren durch das Getümmel, und zwei Infanteristen und ein Wampyr brachen von freundlichem Feuer getroffen zusammen.

Endlich griffen die Kampfesper ein und überschütteten die Kreatur mit einer gewaltigen Woge psychokinetischer Energie. Sie hielten das Wesen durch die bloße Macht ihrer Gedanken an Ort und Stelle fest. Es sah aus wie ein Alptraum aus spitzem, blutbesudeltem Panzer, mit entfernt

menschenähnlicher Gestalt, aber einem herzförmigen Kopf, der vollkommen fremdartig und ausdruckslos schien.

Einen Augenblick lang hielten alle wie erstarrt inne, dann stürzten sich die Wampyre auf das Wesen und versuchten, es mit ihren überlegenen Kräften zu Fall zu bringen. Aber die Kraft der Esper erlahmte bereits. Ohne die schützenden ESP-Blocker war die Stadt für ihren sensiblen Verstand einfach unerträglich. Die Kreatur drehte ihren unmenschlichen Kopf, und aus ihren Augen und ihrem Mund fuhren Strahlen knisternder Energie und zerrissen die angreifenden Soldaten in heftigen, blutigen Explosionen. Der Schläfer machte eine ruckhafte Bewegung, und neue Stacheln wuchsen aus seinem Panzer und durchbohrten die sich an ihm festklammernden Wampyre. Schwarzes Blut strömte aus ihren Mündern, aber sie schrien nicht und lockerten nicht den Griff. Dann explodierten die Stacheln wie Splittergranaten und zerfetzten einen Teil der Wampyre, die wie blutige Nadelkissen durch die Gegend flogen.

»Verbrennt seinen Verstand!« kreischte Schwejksam, doch die Esper konnten ihn nicht hören. Aus ihren Nasen, ihren Augen und Ohren trat Blut und rann an ihren Gesichtern herab wie purpurne Tränen… und plötzlich brachen die Fesseln zusammen, mit denen sie die fremde Kreatur gehalten hatten.

Das Wesen schüttelte die verbliebenen Wampyre ab, als wären sie nichts. Frost trat vor und zielte sorgfältig, dann schoß sie der Kreatur aus allernächster Nähe in den Kopf. Der Energiestrahl prallte wirkungslos vom glänzenden Schuppenpanzer des Wesens ab und zischte in die Dunkelheit davon. Der Schläfer packte den letzten überlebenden Wampyr mit beiden Händen, riß seinen Kopf ab und warf ihn weg, dann biß er in den blutigen Hals des Leichnams und saugte das schwarze Blut heraus wie ein Kind, dem man einen Leckerbissen gegeben hatte. Anschließend wandte es sich langsam um und blickte mit blutigem Lächeln auf Frost und Schwejksam wie ein Dämon aus irgendeiner kybernetischen Hölle.

Schwejksam sah gehetzt in die Runde. Die Wampyre waren tot. Stelmach schien in einen Schock gefallen zu sein. Nur zwei der Esper und sieben Infanteristen standen noch auf den Beinen. Schwejksam wurde übel. Es schien unmöglich, daß so viele der besten Kämpfer des Imperiums so schnell sterben konnten. Frost steckte die Pistole weg und zog eine Brandgranate aus ihrem Gürtel. Schwejksam legte eine Hand auf ihren Arm.

»Wenn Ihr diese Granate auf so kurze Distanz benutzt, dann werden wir alle dabei sterben. Außerdem, wer sagt uns, daß sie ausreicht? Dieser ekelhafte Bastard hat selbst Energiestrahlen abgeschüttelt, als seien sie Wasser.«

Frost grinste ihn an. »Ich wollte sie ihm zu fressen geben.«

»Keine schlechte Idee«, erwiderte Schwejksam. »Aber wir haben noch einen letzten Trumpf, den wir ausspielen können.

Stelmach! Es wird Zeit, daß Ihr Eure geheime Waffe einsetzt!«

Der Sicherheitsoffizier starrte den Kapitän mit leeren Augen an. Er stand noch immer unter Schock. Schwejksam fluchte heftig und trat ein paar Schritte in Stelmachs Richtung. Die Kreatur warf den Leichnam des Wampyrs achtlos beiseite und setzte sich langsam, beinahe lässig auf Schwejksam zu in Bewegung. Sie schien zu wissen, daß er nirgendwohin fliehen konnte. Schwejksam feuerte seinen Disruptor. Er zielte zwischen die unheimlichen Augen des Wesens, aber einmal mehr verpuffte der Energiestrahl wirkungslos. Frost packte ihre Granate und schoß vor. Das Wesen wischte sie mit einem lockeren Schlag zur Seite. Sie krachte mit voller Wucht gegen die stählerne Wand des Gewölbes und sank benommen zu Boden. Die Granate rollte unaktiviert aus ihrer plötzlich kraftlosen Hand.

Schwejksam hob entschlossen das Schwert. Das Grinsen der Kreatur schien noch breiter und blutiger zu werden.

Dann aktivierte Stelmach seine Geheimwaffe, und alles schien sich plötzlich wie in Zeitlupe zu bewegen. Ein leuchtend goldenes Feld hüllte das fremde Wesen ein. Es erstarrte wie versteinert. Sein Maul war noch immer zu einem purpurnen Grinsen aufgerissen. Eine unheimliche Kälte schien durch Schwejksams Knochen zu strömen, und er benötigte all seine Kraft, um zurückzutreten. Sein Verstand schien langsam und wirr wie Sirup, als er Frost am Arm packte und sie aus dem Einflußbereich des Strahlungsfelds zog. Nach einem Augenblick reagierte sie, und gemeinsam stolperten sie zurück zu Stelmach und seiner leise summenden Maschine. Rasch erholten sie sich, und Schwejksam nickte seinem Sicherheitsoffizier zu.

»Ich bin froh, daß ich Euch am Ende doch mitgenommen habe. Was zur Hölle ist das für ein Apparat?«

»Ein Stasisprojektor. Es setzt alles und jedes aus beinahe jeder Entfernung in Stasis. Das Ding verbraucht eine irrsinnige Energie, aber zum Glück nicht auf eine derartig kurze Distanz.«

»Korrigiert mich, wenn ich mich irre«, unterbrach Frost Stelmachs euphorische Ausführungen. Ihre Stimme klang noch ein wenig unsicher. »Aber ich dachte, daß man ein Stasisfeld nicht projizieren kann? Man errichtet es an Ort und Stelle und schaltet es entweder ein oder aus?«

»Das war früher einmal so«, erwiderte Stelmach.

»Und wie kommt es«, fragte Schwejksam leicht verärgert,

»daß dieser Projektor arbeitet, während alle anderen Apparate versagen?«

»Dieses kleine Spielzeug basiert auf einer anderen Technologie«, erklärte Stelmach. »Der gleichen Technologie übrigens, die den reuen Hyperraumantrieb hervorgebracht hat.

Muß ich noch mehr sagen? Nein, ich denke nicht. Ganz offensichtlich ist diese Technologie ein gut Teil unempfindlicher als unsere eigene. Vielleicht ist sie sogar mit der hier gefundenen verwandt… Trotzdem, ich empfehle, daß wir den Extraterrestrier so schnell wie möglich nach oben schaffen und in Fesseln legen. Nur für den Fall.«

»Moment mal!« sagte Schwejksam. »Warum habt Ihr das verdammte Ding nicht bereits in dem Augenblick eingesetzt, als das Ungeheuer aus der Tür gestürmt kam? Warum mußtet Ihr warten, bis die meisten von uns tot sind?«

»Richtig. Warum?« stimmte Frost dem Kapitän gefährlich leise zu.

»Ah«, erklärte Stelmach. »Die Techniker, die mir dieses nette kleine Spielzeug in die Hand gaben, waren sich nicht ganz sicher, ob es auch funktionieren würde. Tatsächlich dachten sie, es bestünde eine kleine, aber nicht zu vernachlässigende Chance, daß das Ding ziemlich heftig in die Luft fliegen könnte, wenn man es einschaltet. Deshalb setzte ich es erst ein, als es nicht mehr anders ging.«

»Kein Wunder, daß mir niemand verraten wollte, was das für ein Apparat ist«, brummte Schwejksam. »Wenn ich es gewußt hätte, wäre der Kasten niemals an Bord meines Schiffs gekommen. Ach, zur Hölle! Die Kreatur gehört Euch, Stelmach. Schafft sie mir aus den Augen.«

Stelmach hantierte an den Kontrollen des Stasisprojektors, und das Wesen begann, gefangen in dem umgebenden Stasisfeld, wenige Zentimeter über dem Boden voranzuschweben.

Der Sicherheitsoffizier folgte in vorsichtigem Abstand und steuerte seine Fracht in die Dunkelheit. Die beiden verschwanden auf dem Weg, der zurück an die Oberfläche führte.

Schwejksam bedeutete vier Infanteristen, Stelmach und seiner Beute zu folgen, dann blickte er sich um und sah nach, wie viele seiner Leute den Angriff der Kreatur überlebt hatten. Traurig, aber nicht überrascht erkannte er, daß nur noch zwei Soldaten und ein Esper lebten. Alle anderen waren tot und teilweise bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Blutige Leichenteile lagen überall vor dem Eingang zum Gewölbe verstreut. Langsam schüttelt Schwejksam den Kopf. So viele Tote, nur um einen einzigen der Schläfer gefangenzunehmen… plötzlich kam ihm ein erschreckender Gedanke, und er machte einen Schritt auf den Eingang des Gewölbes zu.

Diesmal packte Frost seinen Arm.

»Einen Augenblick, Kapitän. Jetzt, da das Gewölbe offen ist – wo bleiben all die anderen Schläfer? Im ersten Gewölbe lauerten Tausende von ihnen. Ich glaube kaum, daß es eine gute Idee ist, wenn Ihr einfach hineinstapft und Euch darin umseht.«

»Also gut«, stimmte ihr Schwejksam zu. »Was schlagt Ihr vor?«

»Wir haben noch einen Esper. Er soll gefälligst für sein Geld arbeiten.«

Schwejksam und Frost blickten zu dem einzigen überlebenden Kampfesper, und dieser blickte mit bitterer Resignation zurück. Er war ein großer, hagerer Mann mit müden, erschöpften Gesichtszügen, blaßblondem Haar, blauen Augen und einem überraschend energischen Mund. Schwejksam mußte sich in Erinnerung rufen, daß dieser Esper überlebt hatte, obwohl all seine Kameraden gefallen waren.

»Ihr müßt es nicht tun«, sagte er leise. »Ihr habt Eure Pflicht mehr als erfüllt, und ich werde Euch lobend in meinem Bericht erwähnen. Aber wir müssen einfach wissen, was in diesem Gewölbe vorgeht, und Ihr seid alles, was wir noch haben.«

»Ich weiß«, erwiderte der Esper mit einer Stimme, die zu müde klang, um noch wütend oder ärgerlich zu wirken. »Am Ende bleibt immer alles an mir und meinesgleichen hängen, oder?«

Er setzte sich in Richtung des Gewölbes in Bewegung, ohne auf eine Antwort zu warten, und blieb im Eingang stehen.

Sein Rücken straffte sich ruckartig, und ein erschrecktes Keuchen kam von seinen Lippen. Schwejksam starrte ihn an, aber der Esper winkte ab, ohne sich nach dem Kapitän umzusehen.

»Mir fehlt nichts. Ich war nur nicht auf das hier vorbereitet, als ich mein Bewußtsein öffnete. Ich sehe nichts als leeren Raum, der sich in alle Richtungen erstreckt. Kein Leben. Keine Spur von Leben. Wir sind zu spät. Was auch immer hier geschah, es ist vorbei.«

»Und was geschah?« fragte Schwejksam.

»Es ist zu groß«, erwiderte der Esper. »Ich fühle mich wie eine Fliege in einer Kathedrale, die die Funktion des Bauwerks zu verstehen sucht.«

»Was immer hier geschehen ist, es muß doch irgendwelche Eindrücke hinterlassen haben«, sagte Frost. »Geht tiefer. Wir müssen es erfahren. Was ist mit den anderen Schläfern geschehen?«

Der Esper stöhnte laut, und die Muskelstränge zeichneten sich deutlich an seinem Hals ab. »Gewalt… all diese Gewalt.

Tod, Kampf. Die Wände sind voll davon. Es gab Tausende von Schläfern, zu viele, um sie zu zählen. Sie waren zusammengepfercht wie Ameisen in ihrem Bau. Schlafend. Wartend. Dann brach jemand ein und weckte sie auf. Geistkrieger

Schwejksam und Frost sahen sich an. Geistkrieger waren von Computerimplantaten gesteuerte menschliche Körper, die von den abtrünnigen KIs von Shub kontrolliert und als Waffen eingesetzt wurden. »Das Gewölbe war voll von ihnen. Sie setzten fremdartige Waffen ein, die ich nicht beschreiben kann, und bekämpften die Schläfer. Am Ende siegten sie durch ihre bloße Zahl und verschleppten die Kreaturen. Sie nahmen auch ihre beschädigten oder zerstörten Kameraden wieder mit, um sie später zu recyclen oder zu reparieren. Die Geistkrieger wurden nicht durch die Stadt beeinflußt, weil sie nicht wirklich hier waren. Der sie kontrollierende Verstand befand sich auf Shub in Sicherheit. Vielleicht hätte die verdammte Stadt sie selbst hier nicht beeinflussen können. Die KIs denken nicht wie Menschen.«

Der Esper verstummte. Nach einer Weile räusperte sich Schwejksam. »Warum haben sie den einen Schläfer zurückgelassen?«

»Als kleine Überraschung für diejenigen, die nach ihnen kommen und das Gewölbe öffnen würden. Die KIs wollten, daß wir erfahren, was hier geschah. Sie planen die Schläfer zu Geistkriegern umzufunktionieren und auf das Imperium zu hetzen. Gebt mir Euren Disruptor, Kapitän!«

Schwejksam runzelte die Stirn. »Warum? Ist noch jemand da drin?«

»Gebt mir einfach Eure Waffe, Sir.«

Schwejksam trat ein paar Schritte vor, und der Esper wandte sich ohne Eile um und nahm die Waffe entgegen. Schwejksam erhaschte einen Blick auf das Innere des Gewölbes und drehte den Kopf zur Seite, als er wieder zurücktrat. Der Esper hatte recht. Es war einfach zu gewaltig.

Der Esper wog den Disruptor in der Hand, als überraschte ihn sein Gewicht. Vielleicht überraschte es ihn wirklich.

Esper trugen normalerweise keine Waffen. Gelassen blickte er sich zu Schwejksam um.

»Ich habe gesehen, was Shub mit dem Imperium vorhat. Es ist schrecklich. Ich habe nicht den Wunsch, es zu erleben, Kapitän. Es war in höchstem Maße… interessant. Lebt wohl, Kapitän. Ich würde Euch und das Imperium zur Hölle wünschen, aber die Hölle ist bereits unterwegs zu Euch.«

Er legte die Waffe an seine Schläfe und drückte ab.

Schwejksam fluchte laut, als der kopflose Leichnam zu Boden stürzte. Er trat zu dem Körper und wand die Waffe aus der verkrampften Hand. »Verdammt! Das wird sich in meinem Bericht überhaupt nicht gut machen! Ich hätte es wirklich besser wissen sollen! Warum mußte ich ihm auch die Waffe geben!«

Frost zuckte die Schultern. »Esper. Schwächlinge. Sie sind alle gleich.«

Schwejksam richtete sich wieder auf und schob die Waffe ins Holster. »Schläfer als Geistkrieger? Sie wären unüberwindlich. Aber warum sind sie hergekommen? Planen sie eine neue Offensive? Und wenn, wann und wo? Wir sehen besser zu, daß wir zum Schiff zurückkommen. Wir müssen das Imperium informieren.«

»Da ist noch etwas, über das Ihr nachdenken solltet, Kapitän«, sagte Frost. »Wie sind die Geistkrieger durch unsere Blockade gebrochen? Der Kommandant der Herausforderung hat definitiv festgestellt, daß niemand an seinen Schiffen vorbeigekommen ist, geschweige denn auf Grendel landen, die Gewölbe aufbrechen und die Schläfer entführen konnte. Die abtrünnigen KIs von Shub müssen eine neuartige Tarneinrichtung entwickelt haben, die in der Lage ist, all unsere Ortungsgeräte und Sensoren zu täuschen. Es ist die einzige Möglichkeit. Und das sind wirklich schlechte Nachrichten. Es bedeutet, daß ihre Geistkrieger überall und zu jeder Zeit zuschlagen können, und wir erfahren es erst in dem Augenblick, in dem ihre Schiffe damit beginnen, unsere Städte zu zerstören. Wir könnten uns noch nicht einmal verteidigen; unsere Waffen sind nutzlos, wenn die Ortungsgeräte kein Ziel finden, auf das sie die Kanonen richten können.«

»Wenn Ihr endlich fertig seid, unsere Moral noch weiter zu senken, dann habe ich eine Information, die Euch ebenfalls den Tag verderben wird«, brummte Schwejksam. »Wir werden zurückkehren und ein Gewölbe nach dem anderen öffnen und uns davon überzeugen, ob sie von den Geistkriegern geöffnet und ausgeplündert wurden oder nicht. Und Ihr habt gesehen, was uns allein dieses eine Gewölbe hier gekostet hat.«

»Kommt zur Flotte und besucht das Universum, hieß es immer. Ihr habt Echt, wir müssen sichergehen, Kapitän. Aber wir haben ja jetzt Stelmachs Maschine.«

»Zumindest so lange, wie sie unter diesen Umständen funktioniert. Wir können uns hier unten auf nichts verlassen. Auf rein gar nichts.«

Wieder zurück auf der Brücke der Unerschrocken, saß Schwejksam zusammengesunken in seinem Kommandantensitz und kämpfte verzweifelt gegen den Schlaf, der ihn zu übermannen drohte. Er hatte ein Mittel eingenommen, das ihn wachhalten würde, aber es dauerte ziemlich lange, bis die Wirkung einsetzte. Frost stand wie immer neben ihm, und wie immer wirkte sie kühl und gefaßt – und frisch, als wäre sie eben erst zum Dienst angetreten. Aber auch das war eigentlich wie immer. Es lag an der Ausbildung der Investigatoren. Der Rest seiner Mannschaft war ein einziges Chaos. Die wenigen Überlebenden des Kontaktteams schliefen unter dem Einfluß von Betäubungsmitteln in der Med-Abteilung, wo sie sich von dem Schock, der Erschöpfung und den Auswirkungen der extraterrestrischen Stadt erholten. Schwejksam wäre ihrem Beispiel nur allzugern gefolgt, doch dringende Arbeit wartete auf ihn. Er hatte noch einhundertzwanzig Marineinfanteristen an Bord, aber er war nicht bereit, ihr Leben dort unten vor den Gewölben aufs Spiel zu setzen, wenn ihm nicht ein Weg einfiel, sie zu schützen. Die Kampfesper und die Wampyre waren tot. Ihr Tod machte ihm nichts aus. Jedenfalls nicht halb soviel wie der Tod seiner Soldaten. Unwillig schüttelte er den Kopf. Es gab Wichtigeres, über das er nachdenken mußte.

Zum Beispiel, wie Stelmach unten im Forschungslabor mit seinen Untersuchungen des gefangenen Schläfers vorankam.

Er stellte eine Verbindung zu seinem Sicherheitsoffizier her.

Stelmachs müdes, geistesabwesendes Gesicht erschien auf dem kleinen Schirm vor dem Kommandantensitz.

»Habt Ihr inzwischen etwas herausgefunden?« »Nein, noch nicht. Der Schläfer ist so anders als jede uns bisher bekannte Lebensform, daß die Hälfte meiner Instrumente nutzlos ist.

Aber meine wenigen bisher gesammelten Informationen reichen auch so völlig aus, um Euch graue Haare wachsen zu lassen. Eines kristallisiert sich jedenfalls immer deutlicher heraus: Die Kreatur ist das Produkt einer genetischen Manipulation. Sie ist eine lebende Mordmaschine, ein perfekter Krieger. Auf physischer Ebene fast buchstäblich unschlagbar. Wir konnten sie nur durch Hinterlist überwältigen.«

»Aber die Geistkrieger haben sie doch geschlagen.«

»Ja, aber nach dem, was der Esper berichtete, waren sie mit überlegenen Waffen ausgerüstet und weit zahlreicher als wir. Shub war uns in technologischer Hinsicht immer mindestens zwanzig Jahre voraus, wenn nicht mehr. Ich melde mich später wieder bei Euch, Kapitän. Sobald ich etwas Neues herausgefunden habe. Stelmach Ende.«

Das Bild des Sicherheitsoffiziers war noch nicht richtig verblaßt, als plötzlich das harte Gesicht des Imperialen Komm-Offiziers von Golgatha auf dem Schirm vor Schwejksam erschien. Der Kapitän der Unerschrocken fuhr hoch und versuchte, sich einen Anschein von Aufmerksamkeit zu geben.

»Kapitän Schwejksam, ich habe neue Befehle für Euch. Sie haben Priorität über alle vorhergehenden Aufträge. Ihr werdet Sicherheitsoffizier Stelmach und seinen Gefangenen auf der Herausforderung zurücklassen und augenblicklich Kurs auf den Planeten Shandrakor setzen. Der Verräter Owen Todtsteltzer befindet sich zusammen mit anderen Feinden des Imperiums auf dem Weg dorthin. In seiner Begleitung befindet sich auch der berüchtigte Jakob Ohnesorg. Ein Spion, den wir in ihre Gruppe eingeschleust haben, konnte uns die Koordinaten Shandrakors durchgeben. Ihr habt Befehl, Kapitän, diese Leute lebend gefangenzunehmen. Sie kennen das Versteck des Dunkelwüsten-Projektor s. Ihr werdet hiermit autorisiert, alle notwendigen Maßnahmen durchzuführen, um den Dunkelwüsten-Projektor aufzuspüren und dem Imperium wiederzubeschaffen. Nachdem Ihr den Projektor habt, seid Ihr ermächtigt, die Gesetzlosen zu exekutieren. Diese Information ist streng geheim und nur für Eure Augen bestimmt. Ende der Nachricht.«

Das Gesicht verschwand genauso abrupt vom Schirm, wie es erschienen war. Schwejksam blickte zu Frost. »Offiziell habt Ihr nichts gehört und gesehen.«

»Selbstverständlich nicht, Kapitän. Eine Schande, daß wir Grendel genau in dem Augenblick verlassen, wo es interessant wird. Aber Todtsteltzer, Ohnesorg und der Dunkelwüsten-Projektor… das nenne ich einen Auftrag!«

»Der Dunkelwüsten-Projektor«, sagte Schwejksam. »Ich kann nicht glauben, daß dieser Alptraum nach all den Jahren plötzlich wieder aufgetaucht sein soll.«

»Wir sollten lieber hoffen, daß es stimmt«, entgegnete Frost. »Es ist die einzige Waffe, die wir den KIs von Shub entgegenzusetzen haben, wenn es ihnen wirklich gelungen ist, die Schläfer in Geistkrieger umzuwandeln. Und Jakob Ohnesorg und Owen Todtsteltzer… wie ich mich darauf freue, sie zu töten!«

»Ich dachte mir schon, daß Euch dieser Teil des Auftrags besonders gefallen würde«, sagte Schwejksam trocken. »Vergeßt nur nicht, daß wir zuerst den Dunkelwüsten-Projektor finden müssen. Tote Männer verraten keine Geheimnisse.

Also – Shandrakor, wir kommen! Ich dachte mein ganzes Leben, dieser Planet sei nur ein Mythos aus der Vergangenheit, eine Legende wie die Wolflingswelt. Es wird sich zeigen.«

»Was?«

»Wie bitte?«

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Schwejksam. »Irgendwas.«

»Was wird sich zeigen?«

»Sehr geistreich«, sagte Frost. »Also gut. Hier ist noch etwas, über das Ihr Euch den Kopf zerbrechen könnt: Stelmach scheint ziemlich sicher zu sein, daß die Schläfer genetisch manipulierte Lebewesen sind. Daraus folgt zwingend, daß man sie mit einer besonderen Absicht geschaffen hat. Oder zumindest als Waffe gegen einen bestimmten Feind. Was könnte Eurer Meinung nach so gefährlich, so tödlich sein, daß Wesen wie die Schläfer erschaffen werden mußten, um dagegen zu kämpfen? Und weiter: Wartet dieser Feind noch irgendwo dort draußen darauf, daß wir über ihn stolpern?«

Schwejksam musterte sie für einen Augenblick. »Ich weiß wirklich nicht, warum ich Euch noch immer mit mir herumschleppe, Investigator. Ihr könnt richtig deprimierend sein, wenn Ihr es Euch in den Kopf setzt.«

Frost nickte ruhig. »Eines meiner größten Talente.«

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