KAPITEL VIER UNERWARTETE ERFAHRUNGEN

Die Stadt hatte früher einen anderen Namen getragen, aber niemand erinnerte sich mehr daran. In den letzten dreihundert Jahren war sie im gesamten Reich unter dem Namen Parade der Endlosen bekannt geworden, die Stadt der Arena und der Spiele. Es war keine besonders große Stadt, wenn man die Maßstäbe von Golgatha zugrunde legte, aber sie wuchs in jedem Jahr ein wenig, weil neue Bürger sich von ihr angezogen fühlten wie Fliegen von verrottendem Fleisch. Es gab dort Spielhallen und Vergnügungspaläste, künstliche Realitäten und PSI-Trips, Wunder, Schauspiele und Kuriositäten, die die Vorstellungskraft bei weitem übertrafen, aber niemand kam nur deswegen nach Parade der Endlosen. Das waren nur die Appetitanreger, die Vorspeisen, etwas, um den Gaumen anzuregen und die Sinne zu wecken, bevor man zu etwas Stärkerem überging.

Im Zentrum der Stadt, tief in ihrem blutigen, dunklen Herzen, lag die Arena: ein weites, offenes Rund aus sorgfältig geglättetem Sand, umrandet von nach außen ansteigenden Sitzreihen. Die Arena wurde durch eine Reihe von Kraftfeldern sorgfältig vom Rest der Stadt abgeschirmt. Sie wurden immer nur eines nach dem anderen gesenkt und gleich darauf wieder hochgefahren. Es war schwierig, in die Arena zu gelangen, aber noch schwieriger war es, sie wieder zu verlassen.

Wer hier lebte, verließ sie niemals. Wer hier lebte, der hatte seine eigenen Plätze in den Zellen, Kammern und verwinkelten Korridoren tief unterhalb der Arena. Die Gladiatoren schwelgten in relativem Luxus, während sie ihre Kampfkünste trainierten und von Ruhm und Ehre träumten. Trainer und Stab wohnten in einfacheren Räumlichkeiten, von wo aus sie für den glatten Ablauf der Veranstaltungen sorgten. Gefangene warteten in den dunklen Zellen des untersten Geschosses auf ihr Schicksal. Sie wußten, daß sie das Tageslicht nicht wieder erblicken würden, bis man sie stolpernd hinaus auf den blutigen Sand der Arena stieß. Gefangene gab es immer.

Menschen, Klone, Esper und Fremdrassige. Futter für den unersättlichen Appetit der Massen.

Von überall im Reich reisten die Menschen nach Parade der Endlosen, um in der Arena Blut und Leid zu sehen und wie die Karten von Leben und Tod nach den antiken Regeln der Vorväter ausgespielt wurden. Weitere Milliarden verfolgten die Spiele jede Nacht zu Hause auf ihren Holoschirmen.

Aber für die wahren Freunde der Schauspiele, die Kenner, war bloßes Sehen nicht genug. Sie mußten persönlich anwesend sein, mußten mit eigenen Augen sehen, die Atmosphäre in sich aufnehmen und die Lust auf Blut riechen, wenn die Menge ihren Lieblingen zujubelte, die Unfähigen niederschrie und einen weiteren Tod forderte. Die Massen hatten immer ihre Lieblinge, aber es war ein ehernes Gesetz, daß sie das nicht lange blieben. Das war auch der Grund, aus dem die Stadt ihren Namen hatte: Parade der Endlosen. Helden kamen und gingen, aber die Spiele überdauerten.

Die Stadt war auch in anderer Hinsicht einzigartig. Sie war die einzige Stadt auf Golgatha, die nicht von einem Clan beherrscht wurde. Die Imperatorin sorgte durch subtile Drohungen und weniger subtile Säuberungsaktionen dafür, daß die Spiele fair und unvoreingenommen blieben. Jedermann erhielt die gleiche Chance, auf dem blutgetränkten Sand der Arena zu sterben. Sonst hätte die Arena auch kein Vergnügen bereitet. Die Parade der Endlosen war auf diese Weise zu einem neutralen Gebiet geworden, einem Ort, an dem sich verfeindete Familien ehrenhaft treffen und miteinander reden konnten.

Die Clans ließen ihre Differenzen durch Stellvertreter in der Arena austragen. Man bewahrte das Gesicht, und der Ehre wurde Genüge getan. Wenn es dann für die Stellvertreter hart wurde… nun, niemanden kümmerte es. Jedenfalls niemanden, der wichtig war.

Als Gegenleistung für dieses Ventil entrichteten die Familien großzügige Beiträge zur Aufrechterhaltung des Arenabetriebes und seines Stabes. Noch mehr Geld floß allerdings in die Schatullen der Arena aufgrund der nie versiegenden Spielleidenschaft der Clans. Täglich wurden Vermögen gewonnen und verloren, wenn die Familien hohe Wetten zugunsten ihrer Gladiatoren und wegen der Ehre abschlossen. Die Kämpfer waren immer bezahlte Leute. Familienmitglieder würden nicht im Traum daran denken, in der Arena zu kämpfen. Es war eine Sache, in einem formellen Duell sein Leben zu riskieren; sich vor den Massen und zu ihrem Vergnügen zu erniedrigen, das war etwas ganz anderes. Außerdem war es nicht gut für die Moral der einfachen Bevölkerung, wenn sie ihre Aristokraten sterben sah. Es mochte sie auf dumme Ideen bringen.

Rund um die Arena lebten die Bürger der Stadt in ständig sich ausdehnenden Kreisen: die Händler, die Dienstleistungsindustrien, die, die bereits gekämpft hatten, und die, die erst noch planten, auf dem blutigen Sand zu kämpfen. Die Spiele standen allen offen. Der Appetit der Massen war grenzenlos, und es gab immer Bedarf für frisches Fleisch. Und so kamen sie herbei, aus allen Ecken des Reiches, auf der Suche nach Ruhm und Reichtum, nach Unterhaltung und Nervenkitzel, oder nur nach einem Platz, um in der Sonne zu sterben. Niemand wurde jemals abgewiesen. Der Tod ist eine sehr demokratische Angelegenheit.

Die Straßen in der näheren Umgebung der Arena waren wie immer vollgestopft mit Menschen, die kamen oder gingen oder versuchten, den Kommenden oder Gehenden etwas zu verkaufen. Das Rufen der Marktschreier übertönte das allgemeine Geschwätz wie das Gekreisch von Vögeln, die ihr Territorium abgrenzten; unmöglich zu überhören, wenn man vorbeikam. Aber selbst ihr Überschwang schien ein wenig gedämpft zu werden, wenn ein Mitglied der Familien in ihre Nähe kam. Man konnte den Weg eines Aristokraten durch das Gedränge einfach verfolgen, wenn man nur auf die relative Stille der ihn umgebenden Menschen achtete.

Valentin Wolf schlenderte lässig durch die Massen. Er nahm nicht mehr Notiz von dem respektvollen Schweigen als von der Luft, die er atmete. Groß, feingliedrig und finster bot er nicht gerade einen beeindruckenden Anblick – trotzdem wagte niemand, ihn anzurempeln oder ihm den Weg zu versperren. Jedermann kannte die maskarageschminkten Augen und das purpurne Lächeln, wie man alle Clangesichter von Bedeutung kannte. Und niemand spürte den Wunsch, etwas zu tun, das der Wolf-Clan als Beleidigung aufnehmen könnte.

Und so schlenderte Valentin Wolf unbehelligt durch die Menge, die Gedanken unter der aufgemalten Maske verborgen und die Augen verschleiert und weit, weit weg. Er umgab sich niemals mit Leibwächtern. Manche sagten, er sei zu stolz dazu, aber die Wahrheit war, daß Valentin lieber mit seinen Gedanken allein blieb und Wächter ihn nur ablenkten.

Schließlich hielt er vor eine kleinen Konditorei an, nur ein paar Schritte abseits der ausgetrampelten Pfade, und betrachtete nachdenklich die wunderbaren Konfektkreationen in der Auslage. Valentin war gelegentlichen Gaumenfreuden nicht abgeneigt, aber das war nicht der Grund, der ihn hergeführt hatte. Der Eigentümer des Ladens, der einzigartige Georgios, versorgte Valentin regelmäßig mit Naschereien und Aromen, die weit süßer schmeckten als alles, was in seiner Auslage zu finden war. Georgios war der Endpunkt eines komplizierten Systems von Drogenkanälen, für dessen Aufbau Valentin Jahre benötigt hatte. In seiner Position konnte ein Mann durch bloßes Fragen beinahe alles bekommen, was er begehrte, aber Valentin zog es vor, seine Nöte und Vorlieben verborgen zu halten. Wissen bedeutete Macht. Und nebenbei waren einige der Dinge, die er begehrte, auch für jemanden seines Ranges tabu. Was zumindest teilweise der Grund war, aus dem er danach verlangte.

In der linken Ecke des Schaufensters stand eine einzelne schwarze Rose in einer schlanken Vase, und Valentin betrachtete die Blume nachdenklich. Die Rose war ein geheimes Zeichen, durch das Georgios ihm mitteilte, daß Valentins Bestellung bereitlag. Aber die Rose stand in der linken statt in der rechten Ecke der Auslage, und damit teilte Georgios ihm mit, daß irgendwas anderes nicht stimmte. Valentin lächelte leicht und überdachte seine Möglichkeiten. Er könnte einfach davonspazieren und allen Schwierigkeiten aus dem Weg gehen, was immer es auch sein mochte. Höchstwahrscheinlich irgendeine Art Falle. Wie alle, die beim großen Spiel der Ränke und Intrigen mitmischten, hatte auch Valentin eine nicht unbeträchtliche Menge von Feinden – und noch ein paar mehr.

Doch wenn er sich einfach davonmachte, würde er nie erfahren, wer ihm die Falle gestellt hatte und wie seine Gegner von Georgios erfahren hatten. Außerdem würde es bedeuten, daß er den netten Burschen im Stich ließ, und das könnte er sich nie verzeihen. Er durfte nicht zulassen, daß andere seine Freunde und Geschäftspartner bedrohten, oder er würde am Ende allein dastehen.

Und ein guter Geschäftspartner war verdammt schwer zu ersetzen.

Er stieß die Tür auf und schlenderte lässig in den Laden, als gäbe es überhaupt keine Sorgen in der Welt. Innen war es finster. Jemand hatte die Schaufenster polarisiert, um die Sonne draußen zu halten. Valentin ließ die Tür hinter sich ins Schloß gleiten und blieb bewegungslos stehen. Er konzentrierte sich auf eine bestimmte Art und Weise, und auf seinen mentalen Befehl hin öffneten sich tief in seinem Kreislauf gehorsam Drogenspeicher und entließen ihren Inhalt in seinen Körper. Frisches, sauerstoffangereichertes Blut strömte in seine Muskeln und ließ sie leicht anschwellen, bereit zum Handeln. Seine Sinne schärften sich, und die Schatten vor ihm begannen, ihre Geheimnisse zu enthüllen. Sie waren zu zwölft. Regungslos verharrten sie im hinteren Teil des Ladens. Zwei hatten Georgios gepackt und hielten ihm den Mund zu. Valentin roch Georgios’ Furcht und die Anspannung der anderen. Er konnte die leisen, unbewußten Bewegungen der anderen hören, die sich in der Finsternis sicher fühlten. Valentins Lächeln wurde ein wenig breiter. Es gab keine Sicherheit für seine Gegner. Sie waren schon tot. Alle.

Sie wußten es nur bis jetzt noch nicht. Er räusperte sich höflich.

»Hallo? Kann vielleicht jemand das Licht einschalten? Hier ist ein Freund. Wir können uns im Dunkeln nicht unterhalten.«

»Wie kommt Ihr darauf, daß wir uns mit Euch unterhalten wollen?« fragte eine Stimme, die sich – vergeblich – um kultivierten Klang bemühte.

»Wenn Ihr Assassinen wärt«, erwiderte Valentin ruhig,

»dann hättet Ihr mich in dem Augenblick ermordet, als ich den Laden betrat. Daher nehme ich an, Ihr habt etwas mit mir zu besprechen. Fangt also an. Ich bin in Eile. Ich habe eine Verabredung.«

Plötzlich flutete Licht durch den Laden, als eine der düsteren Gestalten die Fensterpolarisation abschaltete. Die hellen Sonnenstrahlen enthüllten ein Dutzend Ganoven, die Valentin aus dem hinteren Bereich des Ladens arrogant angrinsten. Ihre Oberkörper waren nackt, damit sie ihre schwellenden Muskeln und andere Aufrüstungen besser zur Schau stellen konnten, die sie in billigen Läden der dunklen Seitengassen der Stadt erstanden hatten. Sie hatten ihr Haut alle in dem gleichen, überwältigenden elektrischen Blau gefärbt, und um zu demonstrieren, zu welcher Bande sie gehörten, war auf jeder Brust ein leuchtend silberner Totenschädel eintätowiert. Es gab ein Dutzend weniger schmerzvoller Methoden, um sich die Brust zu verzieren, aber genau der Schmerz war es, worauf es ankam – eine Art Initiierungsritual, eine Demonstration von Mut und Hingabe. Tätowierungen hielten ein ganzes Leben. Genau wie die Zugehörigkeit zu einer Bande.

Valentin erkannte sie auf der Stelle. Es war, wie er vermutet hatte. Die Dämonen. Eine der größeren Straßenbanden, die in den dunkleren Bezirken der Stadt ihr Unwesen trieb. Es gab Tausende von Burschen in Hunderten von Banden; zu jung, zu ängstlich oder zu schlau, um sich von den Verlockungen der Arena verführen zu lassen, verdienten sie sich ihren Lebensunterhalt damit, daß sie sich an jeden verkauften, der Bedarf an Schlägern hatte. Wenn man genügend zahlte, machten sie auch andere Dinge. Die Banden kämpften ständig untereinander um Territorien, Frauen oder Ehre – was auch immer sie für Ehre hielten; wie oben, so auch unten: die niedrigeren Stände äfften die Noblen nach. Sie befaßten sich auch mit Schutzgelderpressungen und Taschenspielereien, wenn die Dinge ruhig waren, aber im allgemeinen hatten sie genug Verstand, um sich nicht mit den Familien anzulegen. Woraus Valentin schloß, daß jemand ein kleines Vermögen gezahlt hatte, um ihm diesen Hinterhalt zu legen. Was, wenn es schon zu nichts anderem gut war, wenigstens den Kreis der möglichen Urheber einengte.

Valentin ließ sich Zeit, die Dämonen zu studieren. Es schien ihm unangebracht, so zu tun, als wäre er auch nur eine Spur nervös oder unsicher. Manche der Schläger schienen genetisch verändert worden zu sein. Sie hatten ihre Körper wohl skrupellosen Medizinern geliehen, die immer Versuchskaninchen für ihre Experimente gebrauchen konnten. Mißgestaltete Gesichter und Körper waren die Narben derer, die Glück gehabt hatten. Sie lebten wenigstens noch. Manche besaßen verkrüppelte Hände oder nadelspitze Zähne, andere bewegten sich zuckend und unkontrolliert, was auf hochgezüchtete Adrenalindrüsen schließen ließ. Alle trugen ihre kleinen Geheimnisse mit sich herum, aber Valentin war sich ziemlich sicher, daß keiner von ihnen Tech-Verstärkungen besaß. Sie würden sich die Energiekristalle nicht leisten können, die zum Betrieb nötig waren. Alle trugen Waffen, die meisten Schwerter, manche Messer oder Macheten, und einige hielten lange, mit Eisendornen gespickte Ketten.

Valentin grinste sie mit seinem strahlendsten Lächeln an, um sie zu verunsichern, während seine Gedanken rasten. Die Dämonen befanden sich hier in unmittelbarer Nähe der Arena, weit außerhalb ihres eigenen Territoriums. Sie hätten eigentlich gar nicht hier sein dürfen. Die lokalen Wachen hätten sie unterwegs im gleichen Augenblick entdecken müssen, in dem sie ihre blauen Gesichter ins Licht gestreckt hatten. Irgend jemand mußte eine ganze Menge Geld unter die Leute gestreut haben, damit die Dämonen unbehelligt herkommen konnten. Irgend jemand wünschte sich dieses Zusammentreffen ganz dringend, aber er wollte nicht als der Urheber erkannt werden. Und Straßenschläger einzusetzen, war so anonym, wie überhaupt nur möglich. Sie machten für Geld so gut wie alles und gaben einen Dreck darauf, woher es kam.

Inzwischen hatten sich Valentins Augen vollständig an den Lichtwechsel gewöhnt, und er erkannte an den geröteten Gesichtern und glänzenden Augen der Dämonen, daß sie außerdem mit Drogen vollgepumpt waren. Billige Kampfdrogen wahrscheinlich.

Er kicherte anerkennend. Wenigstens nahm sein unbekannter Feind ihn ernst. Gute Kampfdrogen waren außerhalb des Militärs nur schwer zu bekommen, aber Valentin kannte eine Quelle. Wie für die meisten anderen Drogen auch. Die Zahl der Leute, die davon wußten, war sehr klein. Die Identität seines Feindes wurde in jedem Augenblick deutlicher. Er konzentrierte sich auf eine bestimmte Art und Weise und atmete tief durch, als ein Katalysator die Kampfdroge aktivierte, die in seinem Kreislauf schlummerte. Blut rauschte wie kochendes Wasser durch seine Venen. Die Welt um ihn herum schien sich plötzlich langsamer zu drehen, als seine Reflexe sich beschleunigten. Er kicherte leise und nickte den Dämonen zu.

»Zeit, daß wir mit der Schau beginnen, meine Herren. Warum laßt Ihr den armen Georgios nicht einfach gehen, so daß er uns bei unserer Angelegenheit nicht im Weg ist?«

Die Banditen stießen sich gegenseitig mit den Ellbogen in die Rippen und feixten. Nach der Schokolade zu urteilen, die um ihre Münder verschmiert war, hatten sie sich bereits an Georgios’ Kreationen gütlich getan. Valentin zuckte zusammen. Das Konfekt war ganz ohne Zweifel eine große Verschwendung an diese Barbaren gewesen. Die Banditen waren mit Sicherheit außerstande, die Subtilitäten darin zu schätzen.

»Der arme Georgios geht nirgendwohin«, sagte einer der Burschen. Er trug ein purpurnes Stirnband, das ihn als Anführer kennzeichnete. »Unsere Befehle lauten: keine Zeugen.«

»Und wer hat Euch Eure Befehle gegeben?« fragte Valentin freundlich.

Der Anführer lächelte spöttisch. »Das ist nicht Eure Angelegenheit. Was zählt, ist die Nachricht, die ich für Euch habe.

Eigentlich keine Nachricht, sondern eher eine Warnung. Man sagt, Ihr seid einmal zu oft ein Ärgernis gewesen, und unsere Auftraggeber haben uns angeheuert, damit wir sicherstellen, daß das nicht wieder geschieht.«

»Oje!« sagte Valentin leichthin. »Noch eine Morddrohung.

Wie schrecklich eintönig.«

»Wir werden Euch nicht töten«, erwiderte der Anführer immer noch grinsend. »Wir sind nicht so dumm, uns auf so eine Geschichte einzulassen. Töte einen verdammten Aristo, und alle Bullen der Stadt machen Jagd auf dich. Nein. Wir werden Euch nur beide Beine brechen. Und beide Arme. Und wir tanzen ein wenig auf Euren Rippen herum, bevor wir verschwinden und Euch in Ruhe lassen. Unsere Auftraggeber möchten, daß wir Euch weh tun und Euch erniedrigen, und wir kommen ihrem Wunsch nur zu gerne nach. Ganz besonders, wenn wir dafür eine so hübsche Summe kassieren.«

»Was immer sie zahlen, ich gebe Euch das Doppelte«, versuchte Valentin zu verhandeln.

Die Banditen feixten und kicherten erneut, doch das Grinsen des Anführers erlosch. »Es geht nicht nur ums Geld. Es ist eine einmalige Gelegenheit, es einem Aristo heimzuzahlen.

Ihr habt alles, wovon wir nur zu träumen wagen, und Ihr seid immer noch nicht zufrieden. Ihr kommt hierher, wo wir unsere Existenz fristen, und lacht uns wegen unseres drolligen, malerischen Lebens aus. Ihr zertrümmert unsere Lokale, stoßt unsere Frauen in den Dreck und laßt uns um die Krümel kämpfen, die Euch herunterfallen. Wir kriegen einen Haufen Geld, um dich zusammenzuschlagen, Wolfchen, aber wir hätten es sogar umsonst getan. Wir hassen dich, Aristo. Dich und das ganze adlige Pack.«

»Wir hassen Euch nicht«, entgegnete Valentin. »Wir nehmen keine Notiz von Euch. Genausowenig wie von dem ganzen anderen Abfall, der in den Rinnsteinen liegt.«

Die Dämonen hörten auf zu lachen, und plötzlich lag wilde Spannung in der Luft. Licht funkelte auf Stahl, als die

Schläger ihre Waffen hoben. Eine lange Eisenkette rasselte leise, als sie um eine Faust gewickelt wurde. Der Anführer nickte den beiden Burschen zu, die Georgios festhielten, und sie stießen den Ladenbesitzer auf die Knie. Georgios war ein kleiner, rundlicher Mann mit kahlrasiertem Kopf. Er wirkte wie ein Kind zwischen lauter Riesen. Der Anführer zog eine lange, schmale Klinge und trat zu Georgios.

»Haltet ihn fest. Ich glaube nicht, daß unser kleiner Aristo uns ernst nimmt. Vielleicht wird das hier seine Meinung ändern.«

Mit einer einzigen, sparsamen Bewegung schlitzte er Georgios’ Kehle von einer Seite zur anderen auf. Blut spritzte über den makellos sauberen Flur. Georgios bäumte sich auf und zappelte in den Händen seiner Peiniger, aber sie hielten ihn eisern fest. Er schaffte es noch nicht einmal, seine Hände auf den zweiten, blutigen Mund in seiner Kehle zu legen. Die Kräfte verließen ihn schnell, zusammen mit dem ausströmenden Blut, und er sank vornüber. Die beiden Kerle ließen ihn los, und Georgios fiel auf den Boden, wo er reglos in seinem Blut liegen blieb. Er starb so schnell, daß es schwer war, den genauen Zeitpunkt zu erkennen, an dem alles Leben seinen Körper verlassen hatte. Nur Valentin sah zu. Die Banditen beobachteten ihn. Langsam hob Valentin seine finsteren Augen und blickte zu den Dämonen, und plötzlich lag etwas Neues in der Luft. Das purpurne Lächeln des Aristokraten zeigte keinerlei Freundlichkeit mehr, und seine geschminkten Augen waren kalt wie Stahl. Er sah anders aus, und die Dämonen benötigten einen Augenblick, um zu erkennen, was sich geändert hatte. Er sah nicht mehr wehrlos aus.

»Das war eine Schande«, sagte Valentin leise. »Niemand hat so gutes Konfekt gemacht wie der liebe Georgios. Ich schätze, ich werde Euch dafür strafen müssen. Georgios war nicht besonders wichtig, aber er gehörte mir. Niemand nimmt mir etwas weg und lebt lange genug, um damit zu prahlen. Ich schätze, ich werde Euch alle dafür töten. Ich will versuchen, es nicht zu sehr zu genießen.«

Einen langen Augenblick sagte niemand ein Wort. Die Dämonen standen wie festgefroren da. Die Spannung ließ die Luft beinahe knistern. Dann lachte der Anführer leise, und alle richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihn.

»Netter Versuch, Aristo. Aber uns machst du keine angst.

Wir sind zwölf, und du bist alleine. Es ist scheißegal, wie wichtig du bist. Packt ihn, Jungs. Laßt uns ein wenig Spaß haben.«

Die Banditen setzten sich wie ein Mann in Bewegung und verteilten sich kreisförmig um Valentin, der weder auswich noch zum Angriff überging. Er blieb reglos stehen und fixierte aus dunklen, kalten Augen den Anführer, während seine aufgeputschten Sinne die anderen belauerten. Er konnte jeden Schritt hören, jedes Rascheln ihrer Hosen. Ihre Ausdünstungen schienen dick in der Luft zu liegen. Valentin mußte nicht erst hinsehen, um zu wissen, wo jeder einzelne von ihnen sich im Augenblick befand. Sein kaltes Lächeln wurde keine Sekunde lang unsicher. Die gemeinsamen, wie einstudiert wirkenden Bewegungen der Dämonen verrieten Valentin, daß sie eine Sympatico-Droge genommen haben mußten. Sie bewegten sich auf eine synchrone, koordinierte Art, als würde jeder einzelne Bandit, ohne hinzusehen, genau wissen, wo jeder andere stand, und sie hoben alle gleichzeitig und mit der gleichen Bewegung ihre Waffen… Folgt dem Anführer. Natürlich. Wenn er zuerst den Anführer ausschaltete…

Valentin bewegte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit.

Die Kampfdrogen in seinem Körper rasten, als er sich auf einem Fuß drehte und den anderen hochriß. Er traf den Anführer mit der Stiefelspitze an der Schläfe. Die schiere Gewalt des Trittes riß den Kopf des Banditen zur Seite und brach ihm das Genick. Seine Augen verdrehten sich nach innen, und er fiel wie ein Stein zu Boden. Noch bevor er aufschlug, hatte Valentin sich bereits dem nächsten Angreifer zugewandt.

Die Kampfdrogen wirbelten in ihm und erfüllten seinen Verstand und seinen Körper mit ungeahnten Möglichkeiten.

Die Dämonen waren durch den plötzlichen Verlust ihres Anführers geschockt, doch es würde nicht lange dauern, bis die Sympatico-Droge in ihnen einen neuen Fokus gefunden hätte.

Der Bursche vor Valentin war blutjung, eine schlanke, beinahe magere Gestalt, deren Haut sich wie Pergament über den Schädel spannte. Er traf ihn am Kehlkopf, und der Kerl sank hustend in die Knie. Mit atemberaubender Geschwindigkeit drehte Valentin sich zu seinem dritten Opfer um, doch in den Augen der Banditen funkelte neues Licht. Sie hatten einen neuen Fokus gefunden, und ihr Bandenbewußtsein war wieder auf Valentin fixiert. Und diesmal würden sie sich nicht damit begnügen, ihn zusammenzuschlagen. Dämonenblut war vergossen worden. Nur Valentins Tod würde sie jetzt noch zufriedenstellen. Widerstrebend zollte Valentin ihnen seine Anerkennung. Es zeigte ihm, daß die Kerle wenigstens wußten, was Ehre bedeutete.

Ein Messer blitzte auf und flog auf Valentin zu. Es war mit mehr als der üblichen Kraft geworfen worden, trotzdem fing es Valentin mit einer fließenden, eleganten Bewegung aus der Luft und sandte es zu dem Werfer zurück. Die Klinge verschwand bis zum Heft im Auge des Banditen, und Blut schoß aus der Wunde, als er nach hinten taumelte und zusammenbrach. Ein anderer Dämon schwang seine nagelbespickte Kette, und die stacheligen Glieder zischten durch die Luft in Richtung auf Valentins Gesicht. Der Aristokrat machte einen Schritt nach vorn und hielt die Waffe mit hochgerissenem Arm auf. Die Kette wickelte sich fest um sein Handgelenk, doch die widerlichen Metalldornen drangen nicht in seine Haut ein. Sein Fleisch hatte sich verändert, war widerstandsfähiger und formbar. Es legte sich um die Dornen und hielt sie fest, als der Bandit an der Kette zerrte. Valentin riß seine Hand zurück und zog den Dämon zu sich heran, dann schlug er ihm die freie Faust ins Gesicht. Die Haut an seinen Fingern formte eine breite Masse aus Fleisch und bedeckte Mund und Nase seines Gegners. Der Bandit ließ die Kette fallen und zog verzweifelt an Valentins Arm, aber die Haut bewegte sich keinen Millimeter. Valentin war sehr zufrieden mit dem Effekt. Er hatte die neuartige Droge bisher noch nicht im Kampf ausprobieren können. Sie war eigentlich als sexuelles Stimulans gedacht, um das Fleisch für noch intimere Berührungen formbar zu machen, doch Valentin hatte nicht lange gebraucht, um andere Möglichkeiten zu entdecken.

Die Bemühungen des Dämons ließen rasch nach, als ihm die Luft ausging. Im selben Augenblick sprangen die restlichen Banditen Valentin an, und eine Weile war nichts mehr zu erkennen außer einem Gewühl pressender Körper und blitzenden Stahls. Doch so schnell sie auch waren – Valentin war schneller. Er tänzelte um die Banditen herum wie ein Geist, überall zugleich, doch nicht zu fassen, und seine Hände schossen vor und töteten und verstümmelten. Die Drogen hatten nun den Gipfel ihrer Wirksamkeit erreicht. Valentin war schnell und wütend. Seine Neuronen feuerten mit unglaublicher Geschwindigkeit, und seine Bewegungen und Entscheidungen dauerten nur Bruchteile von Sekunden. Seine Schläge waren verheerend und unaufhaltsam, und die wenigen Male, wo Dämonenstahl sein ausweichendes Ziel traf, verheilte das formbare Fleisch innerhalb weniger Augenblicke. Die Dämonen kämpften mit dem Mut zunehmender Verzweiflung, aber sie trafen sich gegenseitig häufiger als Valentin. Einer nach dem anderen fiel, während Valentin seinen Tanz tanzte und inmitten der Gegner Pirouetten von tödlicher Grazie vollführte. Seine Arme und Beine bewegten sich zu schnell für ihre Augen, und das letzte, was die Dämonen in ihren verlöschenden Leben erblickten, war das schreckliche purpurne Lächeln Valentins.

Am Ende lagen elf tote Banditen eigenartig verrenkt auf dem Boden der Konditorei verstreut, und Blutlachen breiteten sich um die leblosen Körper aus. Nur ein Dämon war noch am Leben. Er hockte zitternd an der Rückwand des Ladens und hielt seinen gebrochenen Arm, während er versuchte, so weit wie nur möglich vor Valentin zurückzuweichen. Sein Atem ging stoßweise, und seine Augen waren vom Schock und der aufsteigenden Panik geweitet, die die meisten Drogen aus seinem Körper getrieben hatte. Trotz seiner schwellenden Muskeln, spitzen Zähne und Klauenhände hätte er nicht den Hauch einer Chance gegen Valentin gehabt, und beide wußten das. Er leckte über seine aufgeplatzten Lippen und starrte mit fasziniertem Entsetzen auf die schlanke, grinsenden Gestalt vor sich, während er verzweifelt überlegte, ob er etwas wußte, das er gegen sein Leben eintauschen konnte.

Valentin Wolf wischte den Dreck von seiner Kleidung.

Beim Anblick des Blutes, mit dem sich seine Garderobe vollgesogen hatte, gab er ein angewidertes Geräusch von sich.

Wenig davon war sein eigenes. Seine wenigen Wunden waren bereits wieder verheilt. Er ließ ein universelles Gegenmittel in seinen Kreislauf strömen, und die Wirkung der Drogen versiegte. Sein Verstand blieb klar und scharf, während sein Körper sich bereits entspannte. Es ging doch nichts über eine gute Trainingsstunde, um den Kopf klar zu bekommen. Er blickte ohne Mitleid auf die toten Banditen. Sie hätten sich lieber ein anderes Opfer für ihren Klassenkampf aussuchen sollen. Natürlich hatten sie nicht wissen können, mit wem sie sich da eingelassen hatten. Niemand wußte von seinen Fähigkeiten, zumindest niemand, der noch lebte. Er war durch Schweiß und Tränen gegangen, um sein Geheimnis zu verbergen, und er hatte sogar seine Lehrer getötet. Valentin war sehr daran gelegen, daß seine Gegner ihn unterschätzten. Er ragte drohend über dem noch lebenden Dämon auf und grinste auf ihn hinunter. Der Bandit zuckte zusammen und versuchte, sich noch weiter zurückzuziehen, aber es gab keinen Platz mehr, wohin er hätte gehen können.

»Elf Mann in weniger als drei Minuten«, sagte Valentin in lockerem Konversationston. »Außerhalb der Arena gibt es nur drei Männer, die dazu imstande sind, und ich bin einer davon.

Ich weiß, das habt Ihr nicht erwartet, nicht wahr? Aber so ist das Leben. Voller Überraschungen. Ich bin wirklich sehr böse auf Euch. Der arme Georgios ist tot, mein Morgen versaut, und meine Kleider sind hinüber. Es gibt nur einen einzigen Grund, aus dem Ihr noch lebt und nicht in irgendeiner Hölle schmort. Ihr besitzt Informationen, die ich benötige. Irgend jemand hat Euch auf meine Spur gesetzt, und Ihr werdet mir sagen, wer das war. Wenn Ihr das nämlich nicht tun solltet, dann werde ich meine ganze morgendliche Frustration an Euch auslassen. Ihr würdet überrascht sein, wie groß meine Phantasie ist, wenn ich wirklich böse bin. Redet! Auf der Stelle, Kerl.«

Der Dämon spuckte einen dicken Klumpen Blut auf den Boden zwischen seinen ausgestreckten Beinen und tastete mit der Zungenspitze nach einem lockeren Zahn. Er wich Valentins Blicken aus. Sie machten ihm zuviel angst.

»Ich kenne keine Namen. Sie haben sich nicht vorgestellt, und sie haben uns so viel Geld geboten, daß wir nicht danach fragten. Wir haben ihre Gesichter nie gesehen. Sie trugen Holomasken. Ein Mann und eine Frau. Jung, reich, arrogant.

Nach ihrem Akzent zu urteilen Aristos wie Ihr selbst, Herr.

Aber sie haben uns etwas dagelassen, das Euch vielleicht interessieren könnte, Herr. In meiner Tasche, dort drüben.«

Er deutete mit einem vorsichtigen Kopfnicken in Richtung einer Hüfttasche, die verloren am Rand der Kampfszene lag.

Sie war noch geschlossen. Valentin ging hinüber und nahm sie vorsichtig mit Daumen und Zeigefinger auf. Er brachte sie zurück und warf sie dem Banditen in den Schoß. Der Dämon zuckte zusammen, und Valentin grinste ihn an.

»Macht sie auf. Und seid vorsichtig. Könnte doch sein, daß es eine Falle ist, nicht wahr?«

Der Dämon lächelte ohne Fröhlichkeit und fummelte mit zittrigen Fingern an der Tasche. Sein Gesicht war bleich, und hektische Flecken zeigten sich auf den Wangen. Offensichtlich begannen die Nachwirkungen der Drogen, ihren Tribut zu fordern. Valentin beobachtete ihn leidenschaftslos. Amateure sollten die Finger von Drogen lassen. Er wandte den Kopf und sah zur Eingangstür. Einer der Banditen hatte das im Glas eingebettete ›Geschlossen‹-Schild aktiviert. Das hatte andere abgehalten, auf der Suche nach Georgios in den Laden zu stürmen. Allerdings war der Kampf auch viel zu schnell vorbei gewesen. Die Frage war, wie lange sich Ladenbesucher durch das Schild noch abhalten ließen. Wahrscheinlich nicht mehr sehr lange. Manche Leute, ganz besonders, wenn sie Valentins Stand angehörten, würden das Schild sogar als Herausforderung betrachten. Wenn sie sich genügend ärgerten, konnten sie vielleicht sogar die Tür eintreten. Valentin hätte sich so verhalten. Und daß man ihn hier fand, umgeben von Leichen, deren Blut an seinen Kleidern klebte – das war das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Es würde ihm schwerfallen, die Situation zu erklären, und noch schwerer, seine Worte zu beweisen. Die Behörden würden eine großangelegte, teure Untersuchung einleiten, und sein Vater würde toben.

Nein, das konnte er wirklich nicht gebrauchen.

Valentin fiel auf, daß der Dämon ungewöhnlich lange brauchte, um die Tasche zu öffnen. Er machte einen ungeduldigen Schritt auf den Banditen zu und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, als der Dämon in die Tasche griff und einen Disruptor hervorzog. Valentin erstarrte das Blut in den Adern.

Sein Verstand raste. Die Energiewaffe änderte alles. Ein Freizeitganove konnte auf keinen Fall über die normalen Kanäle an einen Disruptor gelangen. Für Leute wie ihn bedeutete allein der Besitz einer solchen Waffe bereits den Tod.

Aber die Pistole in der Hand des Banditen war real. Die mysteriösen Auftraggeber waren anscheinend tatsächlich Aristokraten gewesen. Valentin ging in Gedanken die Drogen durch, die in seinen Körperreservoirs übriggeblieben waren. Die meisten der nützlichen hatte er bereits verbraucht. Er war ziemlich sicher, daß der Dämon ihn im gleichen Augenblick erschießen würde, wo er versuchte, an seine silberne Pillenschachtel zu gelangen. Er könnte den anderen zwar anspringen und darauf vertrauen, daß seine Reflexe besser waren als die des Banditen, aber er konnte dabei genausogut getötet werden. Er entschied sich, erst einmal regungslos stehenzubleiben und darauf zu warten, daß ihm etwas einfiel.

Der Dämon hielt die Waffe auf Valentin gerichtet, aber er konnte sie kaum ruhig halten. In seinen Augen war eine Wildheit, die Valentin überhaupt nicht gefiel. Trotzdem. Irgendwie kam ihm der Gedanke, daß der Dämon reichlich Zeit gehabt hätte, ihn zu erschießen, wenn das sein Plan gewesen wäre. Und wenn er bereits die ganze Zeit eine Energiewaffe bei sich geführt hatte – warum hatte er sie nicht während des Kampfes eingesetzt?

Plötzlich, während Valentin noch überlegte, richtete der Bandit die Waffe auf sich selbst. Auf seinem Gesicht spiegelten sich Überraschung und Entsetzen, als er den Lauf gegen seine Schläfe richtete und den Abzug betätigte. Sein Kopf explodierte in einer blutigen Wolke von Gehirnfetzen, die im ganzen Laden herabregneten. Valentin fluchte leise. Offensichtlich hatten seine Auftraggeber den Banditen so programmiert, daß er keine Geheimnisse verraten würde. Das war interessant. Es ließ darauf schließen, daß die geheimnisvollen Hintermänner nicht nur Zugang zu Hochtechnologie besaßen, sondern daß die Dämonen auch Dinge erfahren hatten, die auf keinen Fall ans Licht kommen durften. Auf Valentins Gesicht begann sich ein böses Grinsen abzuzeichnen, als er mit einem duftenden Taschentuch das frische Blut von seinem Gesicht wischte. Er wußte, wer die Hintermänner waren. Es gab nur diese eine Möglichkeit. Es mußte so sein.

Er ging in den hinteren Teil des Ladens, wo Georgios’ Wohnung lag, und suchte nach einem Umhang, unter dem er seine blutbefleckte Kleidung verbergen konnte. Er würde sich umziehen müssen, bevor er zu seiner Familie stieß. Er hatte keine Lust, ihre dummen Fragen zu beantworten, und außerdem haßte er es, sich unter Menschen zu bewegen, wenn er nicht zurechtgemacht war. Schließlich hatte er einen Ruf zu verteidigen. Valentin blickte sich noch einmal nach den Leichen um, die auf dem Boden im Laden verstreut lagen. Armer Georgios.

Ah, mein liebes Brüderlein und meine kleine süße Schwester! Was soll ich nur mit euch beiden machen…?

Daniel und Stephanie Wolf, die jüngeren Geschwister Valentins, warteten in der Loge der Familie am Ende der Arena ungeduldig auf Neuigkeiten. Die Loge war recht groß, wie für Logen üblich, und mit jedem Luxus ausgestattet, den Geld und Einfluß verschaffen konnten. Der Sand lag nur drei Meter unter ihnen, so daß man die zahlreichen Kämpfe auf Leben und Tod aus unmittelbarer Nähe miterleben konnte, und sie war aus dem gleichen Grund mit einem eigenen Kraftfeld ausgerüstet, für den Fall, daß die Dinge dort unten außer Kontrolle gerieten und der Loge zu nahe kamen.

Stephanie marschierte mit vor der Brust verschränkten Armen auf und ab, während Daniel in entspannter Haltung an der Brüstung stand und mit finsterem Gesicht über die Arena blickte. Nach und nach begannen sich die Ränge mit Zuschauern zu füllen. Es war noch sehr früh. Niemand, der etwas auf sich hielt, würde freiwillig so früh vor Beginn der Kämpfe hier eintreffen. Normalerweise wären auch die beiden Wolf-Geschwister noch nicht hiergewesen, aber sie mußten ungestört sein, wenn die Information, auf die sie warteten, endlich eintraf. Und sie wollten sicherstellen, daß sie die Nachricht von ihrem Vater erhielten.

Daniel war der jüngste Wolf, gerade erst zwanzig geworden. Er hatte den hünenhaften Körperbau seines Vaters, aber weder die Muskeln noch die Erscheinung, um mit ihm mitzuhalten. Er war als Kind der reinste Tolpatsch gewesen. Sein Vater hatte versucht, es aus ihm herauszuprügeln – mit dem Ergebnis, daß er selbst heute noch seine Bewegungen so knapp wie nur möglich bemaß, wodurch ihnen eine übertriebene Eleganz und Bedächtigkeit anhaftete. Sein Haar bildete eine lange Mähne bronzeschimmernder Strähnen mit silbernen Farbtupfern darin, die allerneueste Mode. Daniel trug die formelle Kleidung, die sein Vater ihm für den Auftritt der Familie in der Öffentlichkeit vorgeschrieben hatte. Der Anzug war dunkel, langweilig und streng geschnitten, und Daniel fühlte sich überhaupt nicht wohl darin. Er wünschte sich oft, den Mut zu haben, seinem Vater die Stirn zu bieten, so wie sein Bruder Valentin – andererseits wünschte Daniel sich oft Dinge, die er nicht hatte. Was der Grund war, daß er immer wieder in Schwierigkeiten geriet.

Und dann war da noch die Sache mit seiner Schwester.

Stephanie Wolf, das mittlere Kind, kam nach ihrer Mutter.

Sie war groß und schlank und besaß lange Haare, die immer zerzaust wirkten, ganz egal, was sie mit ihnen anstellte. Ihr hagerer Körper steckte voller unterdrückter Energie, die immer in den ungeeignetsten Augenblicken auszubrechen drohte. Stephanie war vierundzwanzig Jahre alt und sah gut, aber langweilig aus, ganz egal, was sie mit Kosmetika auch anstellte. Sie war mager wie ein Junge, und das zu einer Zeit, da üppige Formen in Mode waren. Stephanie hatte einige Jahre zuvor auf der Suche nach einem akzeptableren Aussehen alle kosmetischen Läden des Planeten abgegrast, doch schließlich hatte ihre angeborene Starrköpfigkeit gesiegt, und sie hatte sich mit ihrem echten Gesicht und ihrer echten Figur abgefunden. Die Aristokratie setzte Trends, aber sie lief ihnen nicht hinterher. Niemand wagte, einen Kommentar zu Stephanies Entscheidung oder ihrem Aussehen abzugeben. Erstens, weil sie eine Wolf war, und zweitens, weil Daniel sie verehrte und nur zu bereit war, sich bei jeder erkennbaren Beleidigung seiner Schwester mit dem Übeltäter zu duellieren.

Daniel und Stephanie Wolf. Bruder und Schwester. Aneinandergekettet durch Liebe, Weltanschauung und brennenden Ehrgeiz. Reich, jung, aristokratisch. Die Welt hätte zu ihren Füßen liegen können, aber so einfach war das nicht. Sie waren die jüngeren Geschwister, und sie würden wenig oder gar nichts erben, solange Valentin lebte. Und da sie pragmatische und entschlossene Kinder ihrer Zeit waren – nicht zu vergessen, Wolfs bis ins Mark –, intrigierten sie gegen ihren älteren Bruder und schmiedeten Pläne. Gelegentlich setzten sie ihre Pläne auch in die Tat um und arrangierten kleine Unfälle für Valentin. Sie hätten seinen Tod nur zu gerne in Auftrag gegeben, aber so dumm waren sie nun doch wieder nicht. Falls Valentin einen gewaltsamen oder nur irgendwie verdächtigen Tod sterben sollte, würde der Imperiale Hof sie als allererste durch einen Esper verhören lassen. Schuld wäre gleichbedeutend mit augenblicklicher Exekution, ohne Ansehen ihres Ranges und ihrer Position. Und wenn sie es versuchten und das Attentat danebenging, dann würde man sie am gesamten Hof verspotten. Sie wären bei den Familien schlichtweg unten durch. Also beschränkten sie sich auf das Arrangieren von Unfällen. Anscheinend zufällige Ereignisse, die Valentin hoffentlich weh taten und ihn vielleicht sogar verkrüppeln würden. Zumindest würden sie ihn inkompetent aussehen lassen.

Und wenn Valentin sich als unfähiger Trottel herausstellte, dann würde sein Vater ihn in der Erbfolge vielleicht zugunsten Stephanies oder Daniels übergehen. Wenn es jemals jemandem gelang, auch nur einen einzigen dieser Unfälle auf die beiden Geschwister zurückzuführen, dann würden sie schwer dafür bezahlen müssen. Nicht zuletzt durch ihren Vater. Aber ehrlich gesagt – das Risiko war schon der halbe Spaß. Es machte ja auch keinen Spaß zu spielen, wenn man sich das Verlieren leisten konnte. Daniel und Stephanie brauchten den Nervenkitzel beinahe genausosehr wie den Sturz ihres Bruders.

Selbst wenn sie mit dem Streß nicht besonders gut fertig wurden.

Mit einer bewußten Anstrengung beendete Stephanie ihre nervösen Runden und warf sich in einen der extrem komfortablen Sessel, die von den Wachen herbeigeschafft worden waren, bevor sie sich in einen diskreten Abstand zurückgezogen hatten. Stephanie und Daniel versicherten sich, daß die Wachen außer Hörweite waren, und ignorierten sie ansonsten völlig. Wachen befanden sich immer in der Nähe, ganz egal, wohin die Geschwister gingen. Das gehörte einfach dazu, wenn man Aristokrat war. Daniel wandte sich zu seiner Schwester um und lächelte schwach.

»Das wurde aber auch allmählich Zeit. Du hast mit deinem ständigen Auf- und Abgehen beinahe eine Rille in den Teppich gelaufen. Wir wollen doch nicht, daß unser lieber Papa auf die dumme Idee kommt, wir hätten einen Grund zur Nervosität, oder?«

Stephanie lächelte ihren Bruder zuckersüß an.

»Hör auf mit dem Sarkasmus, Brüderchen. Er paßt einfach nicht zu dir. Man braucht dazu unter anderem Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart, und beide Eigenschaften liegen weit jenseits deiner Fähigkeiten. Vater wird bald eintreffen und bringt hoffentlich die Nachricht von dem Mißgeschick mit, das deinem lieben Bruder zugestoßen ist. Wenn es soweit ist, dann versuch bitte, nicht zu aufgeregt zu reagieren. Man wird uns wahrscheinlich verdächtigen, aber es macht keinen Sinn, wenn wir unsere Feinde auch noch mit Munition versorgen.

Versuch auch nicht, überrascht auszusehen. Sei einfach still und überlaß das Reden mir, ja?«

»Natürlich, Stephanie. Mach’ ich das nicht immer? Aber es besteht die Hoffnung, daß Valentin tot ist. Wenn die Dinge außer Kontrolle geraten sind…?«

»Ich wüßte nicht wieso. Wir haben jede Möglichkeit in unserem Plan berücksichtigt. Jedenfalls, wenn diese Kerle sich an ihre Anweisungen gehalten haben. Und wenn Valentin tot wäre, dann hätten wir mit Sicherheit bereits etwas davon gehört. Vater wäre mit der Nachricht hereingeplatzt, oder die Leibwächter, oder ein Diener. So etwas kann man nicht geheimhalten.«

»Sei leise, Stephanie. Sicher hast du recht. Der liebe Bruder Valentin liegt im Augenblick wahrscheinlich mit lauter gebrochenen Knochen in einer dunklen Seitengasse im Dreck.«

»Ja, so wird es sein.« Stephanie atmete tief ein und stieß die Luft langsam wieder aus. »Du hast die Waffe präpariert, oder?«

»Selbstverständlich. Ich habe persönlich sämtliche Identifikationsmerkmale entfernt. Die Herkunft des Disruptors kann auf gar keinen Fall bis zu uns zurückverfolgt werden.«

»Trotzdem. Die Waffe macht mir Sorgen. Es ist ein eindeutiger Hinweis darauf, daß die Bande in fremdem Auftrag gehandelt hat.«

»Aber wir mußten sichergehen, daß niemand von ihnen überlebt und Fragen beantwortet. Die Waffe und die unterbewußte Konditionierung werden dafür sorgen.«

Stephanie entspannte sich ein wenig in ihrem Sessel. »Valentin wird nicht einmal mitbekommen haben, was mit ihm geschah. Die Medics werden ihn sicher bald wieder zusammengeflickt haben, aber der Zwischenfall wird ernsthafte Zweifel an seinen Fähigkeiten aufkommen lassen. Noch ein paar derartiger Mißgeschicke, und er wird zum Gespött der Leute. Und dann werden wir schließlich einen Weg finden, um uns den armen, schicksalsgebeutelten Valentin endgültig vom Hals zu schaffen, und nichts wird uns mehr daran hindern, die Herrschaft über die Familie anzutreten.«

»Es sei denn, Konstanze kriegt noch ein Kind.«

»Ach ja. Die liebe Stiefmutter. Wenn sie noch ein Kind bekommt, dann könnte der liebe Papa uns zugunsten des Neugeborenen enterben. Und genau aus diesem Grund habe ich unseren Vorkoster bestochen, die Kontrazeptiva zu übersehen, die ich in Konstanzes Essen mische. Sie kann genausowenig ein Kind bekommen wie der Herr Papa.« Daniel starrte seine Schwester an.

»Und was, wenn der Vorkoster plötzlich Skrupel bekommt und uns verrät?«

»Keine Sorge, das wird nicht geschehen. Er kann uns nicht verraten, ohne seinen eigenen Hals in die Schlinge zu stecken.

Er hätte in dem Augenblick zu Vater gehen sollen, als er Verdacht schöpfte. Aber das Geld, das ich ihm bot, war einfach zu verlockend. Außerdem habe ich mich natürlich vorher versichert. Die Droge in seinem eigenen Essen macht extrem abhängig, und ich bin seine einzige Quelle.« Stephanie lachte leise. »Er hat jedermanns Essen überprüft, nur nicht sein eigenes. Hör auf, dir Gedanken zu machen, Daniel. Ich habe an alles gedacht, lieber Bruder.«

Daniel blickte liebevoll zu seiner Schwester. »Du hast immer einen köstlich verschlagenen Verstand gehabt, Stephanie. Wir werden soviel Spaß haben, wenn wir die Familie erst beherrschen.«

Stephanie strahlte ihren Bruder an. »Mit meinem Gehirn und deinen Muskeln erreichen wir alles, was wir wollen. Wirklich alles.«

Beide verstummten, als laute Schritte sich näherten und die Leibwächter Haltung annahmen. Daniel und Stephanie hatten gerade noch Zeit, auf die Füße zu springen und einen gelassenen Gesichtsausdruck aufzusetzen, als Jakob Wolf in die Loge gestürmt kam, gefolgt von ihrer Stiefmutter. Jakob war sichtlich schlechter Laune. Seine schwere Stirn war in verdrießliche Falten gelegt. Seine beiden jüngsten Kinder hatten genug Sinn für Höflichkeit, um sich schweigend vor ihrem Vater zu verbeugen. Der Wolf war rot vor Wut wegen irgendeiner Sache, und die beiden hatten keine Lust, seinen Ärger in ihre Richtung zu lenken. Daniel verbeugte sich auch vor seiner Stiefmutter, doch Stephanie nickte kaum. Konstanze Wolf lächelte beiden zu.

Konstanze war siebzehn und bereits jetzt eine atemberaubende Schönheit auf einer Welt, die wegen ihrer schönen Frauen berühmt war. Sie war groß und blond und besaß vollendete Proportionen. Sie schien vor Gesundheit und guter Laune und schierer Erotik nur so zu sprühen. Allein ihr Anblick reichte aus, um die Hormondrüsen eines Mannes zu Höchstleistungen anzuspornen. Jakob hatte sie auf traditionelle Weise als seine neue Frau gewonnen, indem er einfach alle anderen Verehrer unter Druck gesetzt und die, die sich nicht beugen wollten, in Duellen getötet hatte. Jakob war ein großer Anhänger von Tradition. Konstanze schien mit dem Arrangement recht zufrieden; immerhin wurde sie auf diese Weise zu einer der mächtigsten Frauen Golgathas. Sie hatte sich schnell in ihre Rolle eingelebt und lenkte nun den Clan und ihren Mann. Die drei Wolf-Kinder hatten mit verschiedenen Graden von Besorgnis reagiert, als Konstanzes Wort zum Gesetz wurde und ihre Launenhaftigkeit immer mehr zunahm.

Jakob wußte genau, was hinter seinem Rücken vorging, aber er schwieg. Es war Sache seiner Frau und seiner Kinder, ihre eigene Hackordnung auszumachen. Solange sie in der Öffentlichkeit höflich miteinander umgingen und sich nicht in seiner Gegenwart stritten, war es ihm egal.

Unvermittelt wandte der Wolf sich zu den überraschten Kindern und seiner Frau und funkelte sie an. »Der alte Sommer-Eiland starb heute am Hof. In einem Duell mit Kid Death. Sein eigener verdammter Enkel. Es gibt keinen Familienstolz mehr.«

Daniel lächelte verkrampft. »Die Jugend muß ihre Chance bekommen, Vater. Die Alten müssen den Jungen Platz machen. So ist das Leben.«

Der alte Wolf musterte seinen jüngsten Sohn verächtlich.

»Wenn du es je wagst, eine Hand gegen mich zu heben, Junge, dann schneide ich dir den ganzen Arm ab. Oder meinst du vielleicht, du wärst fähig, diese Familie zu leiten?«

»Natürlich nicht, Vater. Noch nicht.«

»Du wirst niemals soweit sein, wenn du dich nicht ganz gewaltig ranhältst. Aber ich werde noch einen Mann aus dir machen, Junge, und wenn deine Schwester sich auf den Kopf stellt, das verspreche ich dir.«

»Das ist nicht fair!« beschwerte sich Stephanie und stellte sich schützend vor ihren Bruder. »Irgend jemand muß sich schließlich um ihn kümmern.«

»Er ist ein Wolf. Er hat verdammt noch mal alleine auf sich aufzupassen!« schnappte der alte Wolf. »Das ist es, was einen Mann ausmacht! Ich werde nicht immer da sein, um seine Rotznase abzuwischen.«

»Hört jetzt gefälligst auf zu streiten«, mischte sich Konstanze ein und zog einen hinreißenden Schmollmund, während sie dem alten Wolf eine besänftigende Hand auf den Arm legte.

»Du wirst noch mindestens hundert Jahre leben, und ich werde nicht dulden, daß du anders sprichst. Außerdem ist der Tag viel zu schön, um sich zu streiten. Wollten wir nicht ein Familientreffen veranstalten, bevor die Spiele beginnen? Warum fangen wir nicht einfach an?«

»Nicht ohne Valentin«, erwiderte der Wolf. »Ich bezweifle zwar ernsthaft, daß er etwas Sinnvolles beizutragen hat, außer der Adresse seines neuesten Drogenlieferanten, aber er ist mein Ältester und hat ein Recht darauf, anwesend zu sein.

Auch wenn er sich verspätet. Wie immer.«

»Ja«, sagte Daniel. »Ich frage mich, was ihn aufhält?«

Stephanie versteifte sich. Doch Daniel brachte ausnahmsweise genügend Geistesgegenwart auf, um ihr kein verschworenes Lächeln zuzuwerfen. Statt dessen blickte er seinen Vater mit einem Ausdruck von Besorgnis an. Stephanie gesellte sich zu ihrem Bruder. Jakob Wolf zog sich bei Familientreffen nur dann in die private Loge zurück, wenn er wirklich delikate Angelegenheiten zu besprechen hatte. Die Kombination von Öffentlichkeit und Privatsphäre machte es schwierig, eine Wanze zu verstecken, und der eingebaute ESP-Blocker verhinderte psionische Lauschangriffe. Jakob hielt viel von Gründlichkeit.

Stephanie wandte den Blick von ihrem Vater und suchte nach einer Ablenkung. Draußen in der Arena zeigte der riesige Holoschirm Nahaufnahmen und Zeitlupenwiederholungen der letzten Kämpfe. Der Schirm war für die Kenner aufgestellt worden und half den Besuchern auf den hinteren Rängen, keine Einzelheit der blutigen Schlachterei zu versäumen.

Stephanie grinste breit und genoß die Schau. Es ging doch nichts über ein Drama auf Leben und Tod, um das Blut in Wallung zu bringen. Sicher, es gab Leute – innerhalb und außerhalb der Familien –, die regelmäßig die Schließung der Arena forderten, oder zumindest ihre Entschärfung, aber sie erreichten nie etwas. Die Spiele genossen unglaubliche Popularität im gesamten Imperium und zogen große Massen überall hin, wo ein Holoschirm stand: und die Schau übertrug.

Allein der Versuch, die Schau abzusetzen, würde die Bevölkerung rebellieren lassen.

Und dann versteifte sich Stephanie erneut, als sich Schritte der Loge näherten. Ihr Herz begann zu hämmern, und sie atmete tief durch, um die verräterische Röte aus ihrem Gesicht zu vertreiben. Der Bote mit der Nachricht von Valentins Mißgeschick war endlich eingetroffen. Sie wandte sich langsam um, den Augenblick genießend, und fand sich Auge in Auge mit Valentin, der gelassen die Loge betrat, als sei nichts geschehen und alles in der Welt stünde zum Besten. Für einen Moment glaubte Stephanie, ohnmächtig werden zu müssen, doch ein schneller Blick zu Daniel, der mit offenstehendem Mund und hervorquellenden Augen dastand, brachte sie wieder zu sich. Sie mußte ruhig bleiben, kalt wie Eis. Sie mußte stark genug sein für beide, bis sie herausgefunden hatte, wie groß die Schwierigkeiten tatsächlich waren, in denen sie steckten. Stephanie brachte eine lässige Verbeugung in Richtung ihres ältesten Bruders zustande, und er nickte freundlich zurück.

»Stimmt etwas nicht, Schwesterherz?« fragte er höflich.

»Du siehst so blaß aus.«

»Nein, nein, alles in Ordnung«, erwiderte Stephanie so ruhig, wie sie nur konnte. »Du hast dich verspätet, Valentin.

Wir haben uns Sorgen gemacht, daß dir etwas zugestoßen sein könnte. Ist… ist dir auf dem Weg hierher irgend etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

»Etwas Ungewöhnliches? Nein, nicht daß ich wüßte. Warum fragst du?«

»Oh, äh… kein besonderer Grund«, stammelte Stephanie.

»Wirklich, kein besonderer Grund.«

Valentin grinste sein breites purpurnes Grinsen. Seine dunklen Augen verrieten nichts. Er schüttelte den Umhang ab und legte ihn über die Rückenlehne des nächsten Sessels. Stephanie runzelte verblüfft die Stirn. Ihr Bruder steckte in den häßlichsten, gröbsten und unmodernsten Kleidern, die sie je an ihm gesehen hatte. Ehrlich gesagt sahen sie aus wie die Kleider eines gewöhnlichen Geschäftsmannes, und sie hatten nicht einmal die passende Größe. Stephanie hätte schwören können, daß ihr Bruder lieber gestorben wäre, als mit solchen Kleidern in der Öffentlichkeit herumzulaufen.

»Ich hab’ mich verspätet, weil ich unterwegs noch in einen Laden mußte«, sagte Valentin lässig. »Ich mußte meine neue Staffage abholen. Ziemlich schneidig, findest du nicht auch?«

»Wir können uns später über deinen entsetzlichen Geschmack unterhalten«, knurrte der alte Wolf. »Wir haben Familienangelegenheiten zu besprechen. Wir haben auf dein Erscheinen gewartet, weil einiges davon dich persönlich betrifft.«

Valentin ließ sich elegant in einen Sessel sinken und fixierte seinen Vater mit einem herablassenden Blick. »Du glaubst aber nicht, daß du mir wieder eine Entziehungskur verordnen kannst, oder etwa doch, lieber Vater? Du müßtest doch inzwischen wissen, daß mein Körper nie wieder normal sein wird, nachdem ich so viele wunderbare Dinge damit angestellt habe. Du würdest wahrscheinlich einfacher meine Größe ändern können als die Chemie meines Blutes.«

»Nein«, erwiderte er alte Wolf und lächelte freudlos. »Ich habe den Versuch aufgegeben, dich ändern zu wollen, Valentin. Ich dachte mir, es wäre an der Zeit, wenn jemand anderes daran weiterarbeitet. Ich habe beschlossen, daß es für euch an der Zeit ist zu heiraten. Für euch alle.« Er funkelte seine drei Kinder der Reihe nach an, die den Blick mit unterschiedlich schwerem Schock erwiderten. Das Grinsen des alten Wolf verbreiterte sich noch. »Und deshalb, meine Lieben, habe ich für euch alle Hochzeiten mit angemessenen jungen Partnern aus guten Familien vereinbart.«

Es folgte eine lange Pause, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Jakob amüsierte sich köstlich. Valentin sah seinen Vater nachdenklich an. Stephanie und Daniel tauschten verzweifelte Blicke aus, die um gegenseitige Ideen und Hilfe flehten. Der Wolf nahm in seinem üblichen Sessel Platz und machte es sich gemütlich. Konstanze kam herbei und setzte sich neben ihren Gatten. Sie lächelte noch immer zuckersüß. Jakob tätschelte liebevoll ihren Arm.

»Eure neue Mutter und ich haben uns über die Angelegenheit unterhalten. Es wird Zeit, daß ein paar Enkelkinder auf meinem Schoß herumhüpfen, junge Pflanzen, die die Blutlinie fortführen. Ich habe mir viel Zeit gelassen, bis ich euch drei gezeugt habe, und ich werde nicht dulden, daß ihr den gleichen Fehler begeht. Ihr werdet heiraten, ob es euch paßt oder nicht.«

»Habe ich dich richtig verstanden?« fragte Valentin langsam. »Du hast unsere künftigen Partner bereits für uns ausgesucht?«

»Du hast verdammt richtig verstanden«, entgegnete der alte Wolf. »Wenn ich euch die Wahl überlassen hätte, wäre sowieso nichts Gescheites dabei herausgekommen. Ich habe junge Frauen aus den ersten Familien für dich und Daniel ausgesucht, und einen strammen jungen Burschen für dich, Stephanie. Gute Blutlinien, ganz hervorragende Abstammung. Ihr werdet sie heute nacht auf dem Imperialen Ball kennenlernen und nächsten Monat heiraten.«

»Nächsten Monat?« heulte Daniel auf. Stephanie hatte die Augen ihres Bruders noch nie so weit aus den Höhlen quellen gesehen, aber sie konnte ihm nicht helfen. Sie war zu sehr damit beschäftigt, ihre eigenen wirbelnden Gedanken unter Kontrolle zu bringen.

»Jawohl. Nächsten Monat«, erwiderte der alte Wolf. Jakob versuchte erst gar nicht, seine Befriedigung zu verbergen.

»Ich bin mir absolut sicher, daß sich jeder von euch dreien herauswinden würde, wenn ich euch mehr Zeit ließe. Also werden die Hochzeiten stattfinden, sobald die Anstandsregeln dies erlauben.«

»Vorher wirst du in der Hölle schmoren, Papa«, fauchte Stephanie. Sie hätte nicht für möglich gehalten, daß ihre Stimme so eiskalt und haßerfüllt sein könnte. Daniel nickte heftig an ihrer Seite.

»Ihr könnt sagen, was ihr wollt«, sagte der alte Wolf. »Es ändert nichts an meinem Entschluß. Ihr könnt natürlich die Zeremonie sprengen und das Jawort verweigern. In diesem Fall hätte ich keine andere Wahl, als euch zu enterben und aus dem Clan zu verstoßen. Denkt einen Augenblick in Ruhe

darüber nach, meine lieben Kinder. Könntet ihr ohne den Schutz der Familie überleben? Ohne Geld, ohne Rang, ohne Macht und ohne Zukunft? Arbeiten, um zu leben?! Welche Arbeit könntet ihr denn verrichten? Nein, meine lieben Kinder. Ihr seid zu lange im wohlbehüteten Schoß der Familie gewesen und zu lange verhätschelt worden, um in der wirklichen Welt da draußen zu überleben. Noch irgendwelche letzten Kommentare, bevor wir zum nächsten Punkt in der Geschäftsordnung übergehen?«

Er blickte mit höflich gehobener linker Augenbraue von einem Gesicht zum anderen. Daniel kämpfte darum, die Sprache wiederzufinden, während er aussah, als hätte ihm jemand in den Magen getreten. Stephanie runzelte angestrengt die Stirn und suchte anscheinend nach einem Ausweg. Valentin grinste seinen Vater plötzlich an.

»Wenn die Trauung kirchlich stattfindet, Vater – kann ich dann einen Schleier tragen? Ich sehe so vorteilhaft aus in Weiß.«

Jakob funkelte seinen ältesten Sohn böse an, ohne in den angebotenen Köder zu beißen. Er ließ seinen Blick über die Arena schweifen, obwohl dort draußen noch nicht viel passierte. Die ersten paar Gladiatoren hatten sich eben gegenseitig umgebracht, aber bisher war kaum jemand in den Logen oder auf den Rängen, der davon Notiz nahm. Die frühen Veranstaltungen waren nicht mehr als ein Vorprogramm. Unerfahrene Kämpfer, die sich erst noch einen Ruf schaffen und ein Gefühl für echte Kämpfe auf Leben und Tod bekommen mußten. Training und Simulationen waren dabei nicht sonderlich hilfreich. Es gab keinen Ersatz für den echten Kampf, für den Geruch von Schweiß und Blut oder den Anblick eines Mannes, dessen Gedärme aus der Bauchhöhle in den blutgetränkten Sand quollen. Was natürlich auch der Grund war, warum die Zuschauer immer und immer wieder zurückkamen.

Die beiden letzten Überlebenden trieben sich gegenseitig durch das Rund, aber nur wenige unter der langsam wachsenden Menge von Besuchern nahmen davon Notiz. Die meisten waren damit beschäftigt, ihre Sitzplätze zu finden, es sich bequem zu machen und sich mit Freunden und Nachbarn zu unterhalten. Ein Aufblitzen von Stahl und ein erstickter Aufschrei, und einer der beiden Gladiatoren fiel vornüber in den Sand. Er hielt sich die Seite, und zwischen seinen Fingern pulsierte hellrotes Blut hervor. Der Sieger hob sein tropfendes Schwert und blickte sich beifallheischend um. Ein paar Zuschauer klatschten träge, aber das war auch schon alles. Der Sieger senkte seine Waffe und legte sie zur Seite, dann beugte er sich herab und half seinem verletzten Kameraden auf die Beine. Niemand hatte den Kampf aufmerksam genug verfolgt, um seinen Daumen zu senken. Die Kämpfer bewegten sich langsam in Richtung der Haupttore und der unter der Arena liegenden Exerzierplätze davon.

Jakob blickte ihnen hinterher. Er glaubte zu wissen, wie sie sich fühlten. Er kämpfte im großen Spiel der Intrigen um sein und das Leben seiner Familie, und auch auf seine Bemühungen schien niemand einen verdammten Dreck zu geben. Er wandte sich wieder zu seinen Kindern und seiner Frau und versuchte, die Müdigkeit aus seinem Gesicht zu verbannen.

»Der Kontrakt für die Massenproduktion des neuen Hyperraumantriebs wird zur Zeit vorbereitet. Wer immer die Lizenz zur Fertigung dieser Maschine erhält, wird Macht und Geld jenseits jeder Vorstellungskraft ernten. Aus diesem Grund ist es von allergrößter Bedeutung, daß der Wolf-Clan den Kontrakt erhält. Zumindest müssen wir sicherstellen, daß unsere wichtigsten Feinde ihn nicht bekommen. Wenn beispielsweise der Feldglöck-Clan uns aus dem Geschäft drängt, wäre unser Frachtgeschäft über Nacht ruiniert und wir wehrlos jeder feindlichen Übernahme ausgesetzt. Die buchstäbliche Existenz der Familie steht auf dem Spiel.«

»Ich bin nur ungern pingelig«, sagte Valentin. »Aber die Feldglöcks haben weit mehr Erfahrung mit Raumschiffantrieben als unsere Familie. Sie würden ihre Aufgabe besser erledigen.«

»Was willst du damit sagen?«

Valentin zuckte die Schultern. »Ich dachte nur… vielleicht liegt es nicht im besten Interesse des Imperiums, wenn wir den Feldglöcks den Kontrakt wegschnappen.«

»Je früher du heiratest und deine eigenen Kinder aufziehen mußt, desto besser«, erwiderte der alte Wolf. »Zuerst kommt immer die Familie, merk dir das. Immer. Und außerdem – was gut ist für den Wolf-Clan, das ist auch gut für das Imperium.

Paß auf, was ich dir jetzt zu sagen habe. Der Feldglöck-Clan, die Pest über ihn, hat sich in letzter Zeit in einigen Bereichen besonders erfolgreich hervorgetan. Ich bin ziemlich sicher, daß sie einen stillen Teilhaber im Hintergrund haben. Irgend jemand weit oben, der finanziell unabhängig und politisch unsichtbar ist. Nach den Informationen meiner Quellen – die bei den Unmengen Geld, die ich ihnen in den Hals stopfe, besser zuverlässig sein sollten – hat dieser stille Teilhaber die Feldglöcks mit allen möglichen Arten neuer Hochtechnologie versorgt. Sowohl praktisch als auch theoretisch sind die Feldglöcks außerstande, die Entwicklungen in ihren eigenen Labors zu bewerkstelligen. Im ersten Augenblick habe ich gedacht, daß sich einer der niedrigeren Clans seinen Weg in die Oberschicht erkaufen will, während er sich hinter einer der mächtigen Familien verbirgt. Aber zu meinem Bedauern hat keiner meiner Leute etwas Belastendes in Erfahrung bringen können. Wer auch immer die Feldglöcks unterstützt, hat keine Kosten und Mühen gescheut, um seine Spuren sehr sorgfältig zu verwischen.«

»Könnte es jemand aus dem Untergrund sein?« fragte Stephanie stirnrunzelnd. »Zum Beispiel die Kyberratten?«

»Das wäre eine Möglichkeit«, sagte der alte Wolf anerkennend. »Anscheinend hast du doch ein Gehirn. Du mußt dich nur anstrengen, um es zu benutzen. Meine Leute durchleuchten im Augenblick die zahlreichen illegalen Organisationen, um zu sehen, ob eine von ihnen auf eigenartige Ideen gekommen ist. Aber es wird einige Zeit dauern, bis sie sich mit etwas Brauchbarem zurückmelden.«

»Vielleicht haben die Feldglöcks Kontakt mit den neuen Fremdrassen?« vermutete Daniel, der auch etwas zum Thema beitragen wollte.

Der alte Wolf blickte seinen Sohn an. »Ich vermute, das ist zumindest eine Überlegung wert. Die Feldglöcks würden nicht zögern, den Rest des Universums in die Luft zu jagen, wenn sie der Meinung wären, dabei etwas gewinnen zu können. Ich werde einige meiner Leute darauf ansetzen. Nun gut.

Valentin, hast du vielleicht auch etwas zur Diskussion beizusteuern?«

Valentin Wolf zog umständlich seine silberne Pillendose hervor, öffnete sie und nahm mit Daumen und Zeigefinger eine große Prise eines leuchtendblauen Pulvers heraus. Er verteilte das Pulver sorgsam auf dem Handrücken in zwei kleine Häufchen und sog sie mit viel Stil und Elan in seine beiden Nasenlöcher. Seine Augen weiteten sich und bildeten einen leuchtenden, glänzenden Kontrast zu seinem Lidschatten. Einen Augenblick lang schien sich sein purpurnes Lächeln unnatürlich zu verbreitern. Er erschauerte kurz, steckte die Pillenschachtel wieder ein und grinste seinen Vater an.

»Wenn wir die Feldglöcks nicht auf wirtschaftlichem oder technologischem Gebiet schlagen können, dann müssen wir sie gesellschaftlich und politisch bekämpfen. Arbeite ein paar Pläne aus, um den Feldglöck-Clan aufzuhalten, zu diskreditieren oder auch, falls nötig, zu vernichten, und mit ihnen gleich jede andere Familie, die sich zwischen uns und die Kontrakte zu stellen versucht, die wir haben wollen. Ich würde dir selbstverständlich gerne meine Hilfe anbieten. Aber ich fürchte, daß ich mich zu sehr um meine bevorstehende Hochzeit kümmern muß, um mich persönlich zu engagieren. Ich habe noch soviel zu erledigen.«

»Richtig«, sagte Daniel. »Ich auch.«

»Dann muß ich eben ohne eure zweifelsohne wertvolle Hilfe zurechtkommen«, erwiderte der alte Wolf. »Ihr werdet heiraten, und wenn ich euch in Ketten zum Altar schleppen lassen muß. Aber genug jetzt. Wir haben alles besprochen, was zu besprechen war. Eure neue Mutter ist eine große Anhängerin der Spiele, und ich habe ihr einen ungestörten Nachmittag voller Blut und Wunden versprochen.«

»Aber…«, versuchte Daniel einzuwenden, nur um unter dem eisigen Blick seines Vaters wieder zu verstummen.

»Genieß die Spiele, verdammt noch mal! Diese Loge kostet mich ein Vermögen.«

Die Spiele begannen mit dem traditionellen Rebellenschlachtfest. Zwanzig verurteilte Kapitalverbrecher, gewohnheitsmäßige Kriminelle, die nichts aus ihren früheren Aufenthalten in Gefängnissen gelernt hatten, wurden ohne Rüstung oder Waffen in den Sand der Arena hinausgeschickt, und zwanzig erfahrene Gladiatoren folgten ihnen mit Peitschen und Schwertern. Die Verbrecher rannten in alle Richtungen und schrien um Hilfe oder nach Waffen oder flehten einfach nur um eine neue Chance. Die Menge buhte sie aus, pfiff und johlte. Die Gladiatoren verfolgten ihre Beute mit kalter, professioneller Ruhe. Ein paar Verbrecher versuchten, sich ihnen entgegenzustellen, und verteidigten sich Rücken an Rücken.

Die Gladiatoren gaben ihnen die Gnade eines schnellen Todes. Sie respektierten Mut. Die restlichen Verbrecher wurden in die Enge getrieben und gequält; von knallenden Peitschen und glitzerndem Stahl durch die Arena gescheucht, bis sie aus zahleichen Wunden bluteten. Sie taumelten weiter, während das Blut aus unzähligen Wunden strömte; zu erschöpft zum Rennen und zu panisch zum Stehenbleiben. Am Ende starben sie zum großen Vergnügen der Menge einer nach dem anderen, und ihre Körper wurden aus der Arena geschleift. Die wachsende Menge von Zuschauern lachte, jubelte und applaudierte den Gladiatoren. Sie liebten komische Nummern.

In der privaten Loge der Wolfs kreischte Konstanze vor Vergnügen. Sie klatschte in ihre winzigen Hände, und Jakob lächelte seine Frau liebevoll an. Daniel saß schmollend in seinem Sessel. Stephanie dachte noch immer angestrengt über einen Ausweg nach, und Valentin beobachtete das Geschehen und applaudierte wie seine Stiefmutter. Niemand konnte sagen, was in ihm vorging.

Die Ränge füllten sich allmählich, genau wie die meisten Logen. Die Vorspiele waren vorüber, und jeden Augenblick konnte die eigentliche Schau beginnen. Die Holokameras waren bereit, alles aufzunehmen, und der Umsatz der lokalen Buchmacher stieg rapide.

Der erste richtige Kampf war ein Pulsbeschleuniger für wahre Kenner. Drei Klone aus dem Untergrund wurden, lediglich mit Schwertern bewaffnet, in die Arena geworfen. Sie sahen aus wie Drillinge: jung, schlank, dunkelhaarig, mit

großen Augen und zitternden Mündern. Wahrscheinlich Lehrer, Techniker oder Staatsbeamte, bevor sie den Fehler begangen hatten, ihre Freiheit bei der Klon-Bewegung zu suchen. Sie hatten noch nie im Leben ein Schwert gehalten oder gar ihr Leben damit verteidigen müssen, und jetzt war das Schwert alles, was zwischen ihnen und einem ganz besonders unangenehmen Tod stand. Unsicher traten sie in die Mitte der Arena, Rücken an Rücken ein gleichseitiges Dreieck bildend. Sie bewegten sich mit der beinahe telepathischen Präzision, die nur Klone erreichen konnten. Sie besaßen alle drei die gleichen Instinkte und hielten ihre Schwerter auf die gleiche Art und Weise. Wenn sie kämpften, dann wie ein Mann. Aber es war mehr als zweifelhaft, daß es ausreichen würde.

Die Menge buhte die Klone aus voller Kehle aus. Dann begann sie zu jubeln, als Fanfaren erklangen und ihr Champion am Haupttor erschien. Die Wolfs unterbrachen ihre verschiedenen Grübeleien und musterten den Neuankömmling. Die Feldglöcks hatten ihren privaten Investigator ausgeliehen, einen Mann namens Razor. Er war groß, muskulös und hatte einen ruhigen, grüblerischen Gesichtsausdruck. Seine Hautfarbe war dunkel, sein kurzgeschorenes Haar leuchtete weiß, und seine Augen glänzten in einem merkwürdigen Grün. Razor bewegte sich mit einer eigenartigen, langsamen Selbstsicherheit, die den Eindruck von etwas Unaufhaltsamem erweckte. Er trug in jeder Hand einen Krummsäbel, aber keine Rüstung. Er brauchte keine. Er war ein Investigator.

Rein technisch betrachtet hatte Razor den Titel ablegen müssen, als er aus dem Imperialen Dienst ausgeschieden war, aber niemand war dumm genug, ihm das ins Gesicht zu sagen.

Die Familien stellten häufig Investigatoren ein, wenn der Imperiale Dienst sie nicht mehr benötigte. Sie waren unbezahlbare Leibwächter und Gladiatoren – hauptsächlich aus dem einen Grund, daß es nur wenige Leute gab, die dumm genug waren, um einen Investigator zu verärgern. Unglücklicherweise lebten Investigatoren in privaten Diensten nicht allzu lange.

Das Ausscheiden aus der Imperialen Behörde wurde nämlich nur gestattet, wenn die Investigatoren alt und müde geworden waren oder Fehler zu machen begannen. Ihr Leben war der Kampf gegen die Fremdrassigen gewesen und deren Vernichtung, und sobald man ihnen diese Freude nahm, verwelkten sie rasch zu blassen Kopien ihres einstigen Selbst. Die meisten nahmen sich nach einiger Zeit das Leben oder erlaubten jemand anderem, es zu tun.

Aber solange sie durchhielten, bedeuteten sie das ultimative Statussymbol für einen Clan.

Razor bewegte sich ohne Eile auf die drei Klone zu, und sie verteilten sich um ihn wie aufgeschreckte Vögel. Ihre Schwerter blitzten auf, als sie den Investigator schweigend und synchron zu umkreisen begannen, jede Bewegung des einen von den beiden anderen reflektiert. Die Zuschauer trampelten und brüllten. Sie schrien nach dem Blut der Klone wie junge, hungrige Aaskrähen in ihren Nestern nach Nahrung. Investigator Razor beachtete seine Gegner gar nicht. Er blieb stehen, den Kopf leicht zur Seite geneigt, als lausche er, die Augen in weite Ferne gerichtet. Die drei Klone griffen gleichzeitig an.

Ihre Klingen zielten aus drei verschiedenen Richtungen auf sein Herz. Im einen Augenblick stand der Investigator noch bewegungslos da, und im nächsten schon bewegte er sich schneller, als das menschliche Auge ihm folgen konnte. Seine Krummsäbel flirrten durch die Luft, gruben sich in Fleisch und sprangen wieder zurück, um erneut zuzuschlagen. Die drei Klone taumelten von ihm weg und umklammerten ihre tödlichen Wunden, bevor sie endgültig zusammenbrachen und reglos auf dem blutgetränkten Sand liegenblieben.

Razor stieß seine Säbel in die Scheiden und verbeugte sich formell in Richtung der privaten Loge der Feldglöcks. Er wartete nicht auf Anerkennung oder Bestätigung, bevor er sich abwandte und in Richtung des Haupttors ging. Die Menge buhte ihn aus. Für ihren Geschmack war alles viel zu schnell gegangen. Sie hatten keine Gelegenheit gehabt, den Schmerz und Tod der Klone zu genießen. Nur einige wenige Kenner und ein paar Militärs, die verstanden, was sie soeben gesehen hatten, applaudierten laut. Niemand schenkte ihnen Beachtung, am wenigsten Razor. Er verließ die Arena genauso ruhig und bedächtig, wie er sie betreten hatte: ein kalter Lufthauch in einer warmen Nacht. Im einen Augenblick da, und im nächsten schon wieder gegangen. Nur ein schnelles Erschauern markierte sein Vorüberziehen. Razor war noch immer Investigator. In allen Dingen jedenfalls, die irgendwie von Bedeutung waren.

Jakob Wolf blickte dem Investigator nachdenklich hinterher. Er hatte oft daran gedacht, aber er hatte die Idee nie in die Tat umgesetzt. Und wenn der einzige Grund der war, daß er sich nicht an den Gedanken gewöhnen konnte, einen perfekten Killer in seine unmittelbare Nähe zu lassen. Man sagte zwar, daß Investigatoren unbestechlich seien, weder durch Macht noch Geld oder Ruhm, aber der alte Wolf hatte daran so seine Zweifel. Nach den Erfahrungen zu urteilen, die er in seinem Leben gesammelt hatte, hatte jeder seinen Preis – oder einen schwachen Punkt, an dem man den Hebel ansetzen konnte.

Der nächste Kampf war so richtig nach dem Geschmack der Menge. Fremdwesen gegen Fremdwesen. Die Arena besaß ihre eigene künstliche Gravitation, Temperaturregelung und Kraftfelder, um jede Art von Umwelt simulieren zu können und die Zuschauer davon abzuschirmen. Die Zuschauer murmelten in begeisterter Erwartung, als das Licht gedämpft wurde und dem düsteren Leuchten einer violetten Holosonne wich. Der Sand verschwand und wurde durch einen dichten Dschungel aus gewaltigen Bäumen ersetzt, deren große, breite Blätter in blassem Purpur leuchteten. Hier und dort war Bewegung im düsteren Zwielicht zwischen den Bäumen auszumachen, und fremdartige Schreie hallten durch die stehende Luft. Die Illusion war vollkommen. Wie immer.

Im Zentrum des Dschungels befand sich eine Lichtung von etwa zehn Metern Durchmesser. Die Zuschauer warteten atemlos darauf, daß irgendwer auf die Lichtung trat. Hinter den Hologrammen glitt ein Tor auf, und eine Kreatur wurde aus ihrem Käfig befreit. Sie zögerte, ihren Unterschlupf zu verlassen, und mußte erst mit Elektrostäben überzeugt werden, bevor sie durch die holographischen Bäume nach vorne stolperte und den tobenden Zuschauern bellend ihre Wut entgegenschleuderte. Die Kreatur brach hinaus auf die Lichtung, und der erste ungehinderte Blick auf das Wesen brachte die Menge vor Staunen zum Schweigen, als wären alle gleichzeitig betäubt worden. Vom Kopf bis zum Schwanz maß das Wesen beinahe neun Meter; ein gewaltiger, hoch aufgereckter Zweibeiner, der einem Saurier verdammt ähnlich sah. Unter seinem glitzernden Schuppenpanzer zeichneten sich mächtige Muskeln ab, und das Wesen stand unverrückbar wie ein Fels auf zwei großen, schweren Beinen. Ein langer, stacheliger Schwanz zuckte vor und zurück. Hoch oben am Leib saßen vier Greifarme, mit denen es wahrscheinlich seine Beute festhielt, während die mächtigen Kiefer sie zerrissen. Der gewaltige, keilförmige Kopf bestand beinahe nur aus einem riesigen Maul, das vor spitzen Zähnen nur so strotzte. Die Kreatur wirbelte mit einer für ein so großes Wesen beängstigenden Geschwindigkeit im Kreis herum und suchte nach den Zuschauern, die sie spüren, aber nicht sehen konnte. Das Fremdwesen brüllte ohrenbetäubend und stampfte mit den Füßen auf den getarnten Sand der Arena. Die Menge genoß das Schauspiel. Dann witterte die Kreatur plötzlich die Nähe eines anderen Wesens im holographischen Dschungel und erstarrte.

Der Ring von Augen auf dem Kopf der Kreatur schien den Wald zu durchdringen, und das Wesen gab ein leises Knurren von sich. Die Menge wartete mit angehaltenem Atem auf das zweite Fremdwesen, das von den Arenameistern als Gegner für einen so gefährlichen Feind ausgewählt worden war. Es dauerte eine Weile, bis das Publikum bemerkte, daß es schon längst da war. Das zweite Fremdwesen war ein großer Haufen verwundener Pflanzen, beinahe fünfzehn Meter hoch. Es schien größtenteils aus langen Schlingen verdrehter Reben zu bestehen, die sich um eine wuchtige Masse in der Mitte rankten. Wenn das Wesen Sinnesorgane besaß, dann blieben sie jedenfalls verborgen. Trotzdem orientierte sich die zentrale Masse irgendwie in Richtung des Sauriers. Lange Reben schossen hervor wie Tentakel und wickelten sich um die Echse, die wütend auf brüllte und die Fesseln zerriß, als wären sie aus Papier. Aber es kamen immer neue Ranken nach und wickelten sich wie Hunderte langer Arme um das Reptil. Die beiden Fremdwesen kämpften verbissen miteinander, während die Zuschauer außer Rand und Band gerieten und die Buchmacher Rekordgewinne verzeichneten. Die vermeintlich Schlauen hatten auf das Tentakelwesen gesetzt, und wenn es nur deswegen war, weil es keine lebenswichtigen Stellen zu besitzen schien, die der Saurier angreifen konnte.

»Sind sie nicht wunderbar?« seufzte Konstanze glücklich.

»Liebst du die Fremden auch so sehr? Meinst du, sie sind intelligent?«

Der alte Wolf zuckte die Schultern. »Wen kümmert das schon?«

Der Saurier war inzwischen beinahe unter den fesselnden Ranken verschwunden. Er wurde nun langsam, aber stetig in Richtung der zentralen Masse des Tentakelwesens gezogen.

Die Echse kämpfte verzweifelt, doch ihre Arme waren an die Brust gefesselt, und ihre Beine wurden von Unmassen verdrehter Ranken gehalten. Nur der zuckende Schwanz besaß noch Bewegungsfreiheit, aber noch immer schossen weitere Ranken hervor und schlugen auf den keilförmigen Kopf der Echse ein wie Peitschen. Blut floß, und die Menge tobte.

Dann plötzlich hörte die Echse auf sich zu wehren und sprang statt dessen ihren Gegner an. Die schweren, klauenbewehrten Hinterbeine gruben sich tief in die große zentrale Masse des Pflanzenwesens, und die bösartigen Zähne packten zu wie Schraubstöcke und versanken tief in dem ledrigen Panzer, der den inneren Klumpen bedeckte. Der Saurier verlagerte sein Gewicht und hob die feindliche Pflanze vom Boden. Die Ranken schlugen hysterisch in jede Richtung, aber der Saurier ignorierte sie einfach. Er schüttelte die Pflanze, wie ein Hund eine Ratte schüttelte. Grüne Fasern flogen davon und landeten zuckend auf dem Boden. Die Zähne des Sauriers gruben sich erbarmungslos immer tiefer in den Panzer seines Gegners, und der Leib platzte auf. Das Reptil riß das freigelegte Herz des Pflanzenwesens heraus, und die zuckenden Ranken lagen plötzlich still.

Die Echse richtete sich auf und brüllte ihren Triumph in die Arena hinaus, bevor sie sich von den restlichen Ranken befreite und begann, die tote Pflanze methodisch zu zerfetzen, wobei sie große Stücke der reglosen Kreatur zwischen ihren Kiefern zerbiß und hinunterschlang.

Die Zuschauer jubelten der Echse zu, auch die, die gegen die Echse gewettet hatten. Es war ein guter Kampf gewesen, und jeder liebte die Sieger. Der Saurier ignorierte das Publikum und beschäftigte sich weiter mit seiner Beute.

Dann verstummte jedes Geräusch in der Arena, als den Menschen bewußt wurde, daß die Wärter nicht erschienen waren, um das Wesen in seinen Käfig zurückzubringen, wo es auf seinen nächsten Kampf warten würde. Die Nummer war noch nicht vorüber. Erwartungsvolles Raunen ging durch die Menge, als das Haupttor geöffnet wurde und eine einzelne Gestalt in den Dschungel trat. Ein Mann mit einem Schwert.

Ohne Eile schlenderte er zwischen den hoch aufragenden Holobäumen hindurch zur Lichtung, wo der Saurier fraß. Als die Zuschauer den Investigator Razor erkannten, trat für einen Augenblick völlige Stille ein. Leises Murmeln setzte ein, als man die Chancen diskutierte. Der Saurier war riesig und wild.

Ein natürlich geborenes Monster, eine Tötungsmaschine.

Aber… Razor war Investigator.

»Das kann nicht ihr Ernst sein«, protestierte Stephanie.

»Der Investigator hat seinen täglichen Kampf bereits bestritten. Selbst frisch und ausgeruht hätte er nicht die Spur einer Chance gegen dieses Monstrum. Es wird ihn zerreißen!«

Jakob lächelte seiner Tochter liebevoll zu und tätschelte ihr tröstend den Arm. Die wachsende Aufregung in ihrer Stimme war ihm nicht entgangen. »Wenn du eine Wette abschließen willst, meine Liebe, dann kann ich dir nur empfehlen, auf den Investigator zu setzen. Das Töten von Fremdwesen war immerhin einmal sein Beruf. Die Feldglöcks müssen höllisch viel Geld ausgegeben haben, um diesen Kampf zu arrangieren. Normalerweise kalkuliert die Arenaleitung zwanzig Kämpfe oder mehr, bevor so ein Wesen stirbt. Es besitzt Potential. Ich frage mich, wer als erster auf die Idee zu diesem Kampf gekommen ist. Die Feldglöcks, um ihr Prestige weiter zu steigern und einen guten Schnitt bei den Buchmachern zu erzielen? Oder war es Razor selbst, um zu beweisen, daß er noch immer unschlagbar ist?«

»Es ist mir egal, ob er ein Investigator ist«, mischte sich Daniel ein. »Diese Echse wird ihn in der Luft zerreißen und die Einzelteile ausspucken. Niemand, der auch nur halbwegs menschlich ist, könnte einem solchen Wesen widerstehen.

Vor allem dann nicht, wenn er nur mit einem Schwert bewaffnet ist.«

»Wer hat denn gesagt, daß Razor ein Mensch ist?« fragte Valentin. »Und außerdem – das ist kein einfaches Schwert, was er da bei sich trägt.«

Draußen auf den Rängen wurde es still, als Razor unter den Bäumen hervorkam und die düstere Lichtung betrat. Ruhig musterte er den großen Saurier, der plötzlich zu fressen aufhörte und den Schädel hob. Das Wesen schnüffelte deutlich hörbar. Dann spuckte die Echse eine halb zerkaute Masse Grünzeug aus und wirbelte mit rasender Geschwindigkeit herum, während ihr langer Schwanz hin und her zuckte, um das Körpergewicht auszubalancieren. Ihre Schuppen glänzten hell im Licht der purpurnen Sonne. Ihre Zähne waren deutlich zu sehen, als sie den Kopf hob und eine Herausforderung brüllte. Razor hob sein Schwert wie als Zeichen, daß er verstanden hatte, und zum ersten Mal erkannten die Zuschauer, daß die Waffe kein einfaches Schwert war. Ein schwaches, aber deutlich sichtbares Schimmern umgab die Klinge und verriet, daß eine Monofaser in die Schneide eingearbeitet war.

Ein unvorstellbar dünner Faden, mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Was bedeutete, daß diese besondere Klinge durch alles hindurchschneiden würde, was ihr in den Weg kam, solange der Energiekristall der Waffe das Feld aufrechterhielt, das die Klinge stabilisierte. Derartige Schwerter waren höchst ungewöhnlich. Sie waren beinahe unerschwinglich teuer, die Energiekristalle hielten nicht lange vor, und zumindest die meisten Aristokraten betrachteten den Einsatz eines Monofaserschwertes als nicht besonders ehrenhaft. Es schien allerdings zweifelhaft, ob Razor sich um die Meinung anderer Leute scherte. Investigatoren waren eher praktisch veranlagt.

Der Saurier senkte den Kopf und stürzte auf Razor zu. Der Investigator bereitete sich auf den Zusammenprall mit seinem riesigen Gegner vor, und dann fuhren die riesigen Kiefer herunter und schnappten an der Stelle zusammen, wo Razor sich noch eine Sekunde zuvor befunden hatte. Der Investigator war im allerletzten Augenblick mit beinahe unglaublicher Eleganz ausgewichen und zur Seite gesprungen. Er näherte sich dem linken Hinterbein der Echse, und das schimmernde Schwert beschrieb einen flachen Bogen und durchtrennte beinahe den Oberschenkel des Fremdwesens. Blut sprudelte hervor, und der Saurier brüllte vor Schmerz und Wut. Er schwang herum, doch Razor war schon wieder weg, und das Reptil wäre beinahe über sein verstümmeltes Bein gefallen. Die Monofaser hatte im Bruchteil einer Sekunde Muskeln und Sehnen durchtrennt und eine tiefe Kerbe in den Knochen geschnitten. Das Bein trug das Gewicht des Sauriers zwar noch… noch.

Während die Kreatur sich dessen bewußt zu werden schien, schoß der Investigator erneut vor. Die Klinge bohrte sich in die schwer atmende Seite des Wesens und kam in einer wahren Fontäne von Blut wieder zum Vorschein. Razor wich dem Schwall geschickt aus und bewegte sich so, daß er stets im toten Winkel der Kreatur blieb. Das Wesen stampfte unbeholfen vor und zurück, wobei es sein verwundetes Bein zu schonen versuchte. Sein Kopf pendelte hin und her in dem verzweifelten Bemühen, seinen Peiniger zu entdecken. Die mächtigen Kiefer schnappten wild auf und zu wie ein bösartiges, stählernes Fangeisen.

Plötzlich stand Razor genau vor dem Saurier, und der große Kopf stieß erneut mit aufgerissenen Kiefern herab. Razor rannte vor und sprang geschmeidig am gesunden Bein des Sauriers hoch. Die Klinge seines Schwertes senkte sich tief in die Kehle der Echse. Blut spritzte hervor und besudelte Gesicht und Brust des Investigators, noch mehr schoß aus dem aufgerissenen Rachen. Razor ignorierte es und zog die Klinge mit zwei ökonomisch wirkenden Bewegungen nach rechts und links. Der Kopf des Fremdwesens fiel ab. Die Monofaser hatte die Nackenwirbel sauber durchtrennt.

Razor sprang vom zuckenden Bein seines Gegners und machte Raum, damit die Echse in Ruhe sterben konnte. Der Kopf lag auf der Seite im blutgetränkten Sand. Der holographische Dschungel verschwand jetzt, nachdem der Kampf vorüber war. Die mächtigen Kiefer der Kreatur öffneten und schlossen sich noch einige Male wie in Zeitlupe, doch das Leben war bereits aus den verschleierten violetten Augen gewichen. Der kopflose Körper stampfte durch die Arena, und Blutfontänen spritzten aus der klaffenden Wunde am Hals.

Razor wich mit Leichtigkeit aus. Die Greifarme hoch oben an der Brust der Kreatur zuckten ins Leere, als wollten sie den Feind packen, der ihr so große Schmerzen zugefügt hatte.

Aber schließlich sah auch der Körper ein, daß er bereits tot war, und brach unbeholfen zusammen. Die Menge raste vor Begeisterung, doch der Investigator war bereits wieder auf dem Weg aus der Arena und ignorierte die jubelnden Rufe des Publikums. Er hatte das fremde Wesen nicht für sie getötet.

In der Privatloge des Wolf-Clans herrschten gemischte Gefühle. Konstanze quiekte vor Freude und hüpfte auf ihrem Sessel hin und her. Jakob lachte laut und rief nach mehr Wein.

Daniel zog einen Schmollmund. Er hatte gegen den Rat seines Vaters viel Geld auf die Echse gesetzt. Stephanie blickte auf den Leichnam der mächtigen Kreatur unten im Sand und dann zu Jakob Wolf. Wenn sie in Gedanken eine Verbindung zwischen den beiden herstellte, dann behielt sie ihre Meinung jedenfalls für sich. Valentin schnüffelte eine weitere Prise seines blauen Pulvers, und was in seinem Kopf vorging, blieb – wie immer – rätselhaft und verborgen.

Wärter erschienen in der Arena und schoben Antigravschlitten unter den toten Saurier. Sie beeilten sich, den Kadaver wegzuschaffen, und alle zusammen verschwanden hinter den Flügeln des großen Haupttores. Die Menge grölte ihnen spöttisch hinterher. In der Welt des Imperiums hatte man keine Zeit für Verlierer. Man würde den Kopf des Wesens als Trophäe behalten, der Rest würde in die Schlachthöfe kommen und Protein für die anderen Fremdwesen liefern, die in ihren Käfigen warteten.

Mikroorganismen im Sand machten sich über das vergossene Blut her, während die Wärter noch damit beschäftigt waren, die Kampfbahn wieder zu glätten. Die Zuschauer besaßen die Neigung, mit Gegenständen zu werfen, wenn es nicht schnell genug ging, und einige zeigten dabei einen geradezu widerlichen Humor.

Schließlich nahm das Publikum zögernd wieder Platz, um zu sehen, was man als nächstes bieten würde. Hier und dort fanden noch lautstarke Unterhaltungen statt. Die Bevölkerung von Golgatha war unersättlich, wenn es um ihr Vergnügen ging, und es war gar nicht einfach, sie zu befriedigen.

Die Fanfaren ertönten aufs neue, ein Mann schlenderte in die Arena, und der ihn empfangende Lärm übertraf alles, was bisher stattgefunden hatte. Die Menge drohte überzuschnappen. Die Menschen sprangen auf die Füße, winkten und umarmten einander vor freudiger Erwartung. Keine Lautsprecherdurchsage kündigte den neuen Kämpfer an; jeder wußte, wer er war: der Maskierte Gladiator, unbesiegter Champion der Spiele, der Liebling der Massen von Golgatha. Alles, was bisher stattgefunden hatte, war nur ein Geplänkel gewesen. Er war es, den alle sehen wollten, die sich hier eingefunden hatten.

Niemand kannte seine wahre Identität. Er konnte in jedem Alter sein und aus jeder sozialen Schicht stammen. Er war groß gewachsen, von geschmeidiger Muskulösität und steckte n einem einfachen, anonymen Kettenhemd. An der Hüfte ein Schwert, das beinahe genauso berühmt war wie er selbst. Es besaß eine lange, schmale Klinge und keinerlei technische Verstärkungen. Die Waffe besaß sogar einen Namen: Morgana. Niemand wußte, warum. Der Kopf des Maskierten Gladiators war vollständig unter einem schwarzen, runden Helm verborgen. Niemand hatte ihn je ohne diesen Helm gesehen.

In den drei Jahren seiner Karriere war er während seiner zahlreichen Kämpfe niemals auch nur in die Nähe einer Niederlage oder der drohenden Demaskierung gekommen. Er hatte sich darauf spezialisiert, die unmöglich erscheinendsten Kämpfe zu gewinnen, und die Menge liebte ihn dafür. Seine Identität hingegen und seine Gründe, sie zu verbergen, blieben ein Geheimnis. Obwohl eine Menge Gerüchte kursierten.

Einige meinten, daß er unehrenhaft aus der Armee

ausgestoßen worden sei und auf diese Weise versuchte, seine Ehre wiederherzustellen. Andere meinten, er sei ein Investigator, der irgendwie die Nerven verloren hatte und in der Arena wieder zur Besinnung kommen wollte. Natürlich gab es auch Gerüchte, die von einer verlorenen oder toten Liebe sprachen und meinten, der Maskierte Gladiator suche in der Arena den Trost des Vergessens oder den Tod im Kampf. Und zumindest einige glaubten zu wissen, daß er ein Aristokrat war, der die Art von Nervenkitzel und Abenteuern suchte, die er sonst nirgendwo finden konnte.

Zumindest das letzte Gerücht wurde nur hinter vorgehaltener Hand erzählt. Wenn etwas Wahres daran war, dann bedeutete es einen größeren Skandal. Aristokraten regelten ihre Streitigkeiten durch Gladiatoren oder in formellen Duellen.

Alles andere wäre unter ihrer Würde gewesen. Die Eliten des Imperiums standen hoch über den primitiven Emotionen und Trieben der niederen Klassen. Sie waren etwas Besonderes.

Unberührbar, unerreichbar. Es war von allergrößter Bedeutung, daß die Lücke zwischen Aristokratie und niederem Volk erhalten blieb.

Aber welches Geheimnis sich auch immer hinter seinem Helm verbergen mochte, die Massen liebten ihren maskierten Helden. Sie unterstützten die Arenaleitung in dem Bemühen, seine Identität selbst vor den Sicherheitsleuten der Imperatorin geheimzuhalten. Was wahrscheinlich einen einmaligen Vorgang im gesamten Imperium darstellte. Bisher hatte die Herrscherin sich geweigert, Druck in dieser Sache auszuüben, und das hatte einer ganzen Serie neuer Gerüchte Nahrung gegeben.

Der Maskierte Gladiator kämpfte immer nur mit seinem Schwert Morgana. Er verachtete monofaserverstärkte Klingen und andere Energiewaffen. Er war ein ganz ausgezeichneter Schwertkämpfer, der Schnelligkeit mit Geschick und trainierten Reflexen verband, die unter normalen Menschen ohne biomechanische Veränderung ihresgleichen suchten. Sicher gab es Leute, die behaupteten, er sei ein Kyborg oder etwas Ähnliches, oder zumindest ein Produkt der Körperläden, aber die Arenaleitung widersprach dem, und sie mußte es ja schließlich am besten wissen.

Der Maskierte Gladiator nahm seine Position in der Mitte der Arena ein und wartete geduldig auf seinen Opponenten.

Der gigantische Holoschirm zeigte eine Nahaufnahme des runden Helms und rechts und links davon Statistiken seiner vorhergehenden Kämpfe. Die Zahlen waren wirklich beeindruckend.

Einhundertsiebenunddreißig Kämpfe, und keinen einzigen davon hatte er verloren. Zu Beginn seiner Karriere war er zweimal ernsthaft verwundet worden. Das war auch schon alles. Die gegenwärtigen Wetten standen tausend zu eins gegen seinen Herausforderer. Die Quote hielt den unbedeutenden Nachwuchs davon ab, ihn herauszufordern, aber es gab trotzdem immer wieder Kämpfer, die ihr Glück versuchten.

Der letzte in dieser langen Reihe trat in diesem Augenblick aus einem Seitentor und schlenderte voller Selbstvertrauen auf den amtierenden Champion zu. Die Menge empfing ihn mit gutgelaunten Rufen. Man bewunderte Mut, und frisches Blut war stets willkommen. Der Name des Herausforderers lautete Auric Skye, und er hatte sich als Leibwächter für den Lord des Chojiro-Clans beworben. Aber das war eine der höchstangesehenen Positionen, die es in der Leibwächterszene überhaupt zu besetzen gab. Der einzige Weg, um sich an die Spitze der Bewerberliste zu katapultieren, lag im Bestehen einer Prüfung, de viel Mut und Geschicklichkeit erforderte. Auric hatte sich entschieden, den Maskierten Gladiator herauszufordern. Er erwartete nicht notwendigerweise zu gewinnen, aber wenn er einen guten Kampf lieferte, dann würden die Zuschauer sehr wahrscheinlich ihre Daumen für ihn heben, und dann würde er einer der ganz wenigen Kämpfer sein, die gegen den Maskierten Gladiator angetreten waren und den Kampf überlebt hatten. Der Chojiro-Clan würde ihn sicher in Augenschein nehmen.

Außerdem: Vielleicht gewann er ja auch. Er hatte ein As im Ärmel, und nicht nur dort.

Skye war jung, extrem muskulös und beinahe unanständig blond und gutaussehend. Wie der Champion war auch er nur mit einem Schwert bewaffnet. Der Chojiro-Clan war ein wenig altmodisch und lehnte Klone oder Esper und andere Abweichler von der menschlichen Norm strikt ab, aber es gab keine Einwände gegen die Errungenschaften moderner Technik. Skye trug unter der Haut verborgen Stahlplatten, die alle lebenswichtigen Organe seines Körpers schützten. Der Rest, Arme, Beine, Hals, alle beweglichen Teile waren durch ein ebenfalls verborgenes Stahlgewebe abgeschirmt. Eine Art interner Rüstung, die keinerlei Schwachstellen besaß. Das Gewicht machte ihn langsam, sicher, aber er hatte so seine Mittel und Wege, das auszugleichen. Der Maskierte Gladiator hatte noch nie zuvor gegen einen solchen Gegner gekämpft.

Trotzdem gab es kaum jemanden, der gegen den Champion wettete.

Skye marschierte vor, und der Maskierte Gladiator verbeugte sich höflich in seine Richtung. Skye verfiel in einen schwerfälligen Trab, das Schwert vorgestreckt. Sein Gewicht hinterließ tiefe Abdrücke im Sand, aber seine Bewegungen waren dennoch unheimlich flüssig. Er überbrückte die Entfernung zu seinem Gegner überraschend schnell. Der Champion lächelte in seinem Helm. Welcher Körperladen Skye auch immer mit seiner internen Rüstung versorgt hatte, es war eine ausgezeichnete Arbeit. Der Maskierte Gladiator machte einen plötzlichen Schritt nach vorn und überraschte Skye mit einem weitausholenden, pfeifenden Hieb Morganas. Skye brachte sein Schwert nicht mehr rechtzeitig hoch, um den Schlag abzuwehren, und die Klinge Morganas krachte seitlich gegen seinen Hals. Der Hieb hätte jeden normalen Gegner auf der Stelle enthauptet, aber Skye stand nur da und schüttelte sich.

Er grunzte leise und stolperte einen Schritt zur Seite, doch er fand sein Gleichgewicht augenblicklich wieder. Seine freie Hand schoß vor und packte Morganas Klinge. Die nackte Hand schloß sich wie ein Schraubstock um das Schwert, und der Maskierte Gladiator mußte all seine Kraft aufwenden, um Morgana aus Skyes Griff zu befreien. Ruckartig kam die Klinge frei, als die scharfen Schneiden durch die Haut schnitten und am Stahlgewebe darunter kratzten. Skye grinste nur.

Er ignorierte den Schmerz in seiner Hand und wirbelte die eigene Waffe mit verblüffender Geschwindigkeit zu einem Hieb gegen den Bauch des Maskierten. Der Gladiator blockte den Schlag, als hätte er ihn vorausgesehen, trotzdem mußte er einen Schritt zurückweichen. Skye rückte nach, und der Maskierte Gladiator wich noch weiter zurück. Die Menge verfolgte das Geschehen mit ungläubigem Staunen.

Schnell wurde aus dem Nachgeben des Maskierten Gladiators eine kreisförmige Bewegung, und die beiden Männer belauerten sich auf der Suche nach einer Öffnung in der Deckung des anderen. Dann stürzte sich Skye erneut vor, und die Schwerter klirrten laut, als sie immer und immer wieder krachend aufeinanderprallten. Skye hatte mehr Kraft und ein

höheres Gewicht, aber der Champion machte diesen Nachteil durch seine größere Geschicklichkeit spielend wett. Immer und immer wieder lenkte er Schläge zur Seite, die unaufhaltbar schienen, doch er konnte versuchen, was er wollte – ein Gegenangriff gelang ihm nicht. Skye gab ihm keine Zeit und keinen Raum. Er griff pausenlos und scheinbar ohne jedes Zeichen von Ermüdung an. Der Champion bezweifelte, daß Skye die Wucht seiner Angriffe noch lange aufrechterhalten konnte, aber wahrscheinlich war das auch gar nicht nötig. Der Gladiator mußte nur einen einzigen Fehler begehen, und das Spiel wäre aus.

Zu Skyes Pech war der Maskierte Gladiator kein Anhänger von Fehlern. Er wartete sorgfältig einen geeigneten Augenblick ab, um sich in Skyes Schläge hineinzudrehen und einen erbitterten Gegenangriff zu beginnen. Morganas Hiebe schienen aus allen Richtungen gleichzeitig auf Skye herunterzuprasseln. Der Herausforderer blockte die meisten Schläge ab, aber einige fanden dennoch ihr Ziel. Morgana traf immer und immer wieder, aber zum Erstaunen der Menge ging Skye nicht zu Boden. Wo auch immer Morgana Fleisch durchbohrte, traf es nur auf Stahlplatten und Stahlgewebe. Es floß fast kein Blut, und Skye zuckte nicht bei einem einzigen Treffer.

Der Schmerz war während der Arbeiten an seiner internen Rüstung zu einem guten Freund geworden. Und dann war der Maskierte Gladiator nur einen Tick zu langsam, um sich vor einem Ausfall Skyes zurückzuziehen. De freie Hand des Herausforderers schloß sich mit stählernem Griff um den Arm des Champions. Muskeln wölbten sich, und Skye schleuderte den Maskierten beinahe zehn Meter durch die Arena.

Der Champion kam hart auf und rollte noch ein gutes Stück weiter, dann war er wieder auf den Beinen. Hinter seinem Helm verzog er vielleicht das Gesicht vor Schmerz oder versuchte, wieder zu Atem zu kommen, aber seine Haltung blieb aufrecht, und sein Schwertarm zitterte nicht. Skye rannte bereits wieder auf sein vermeintliches Opfer zu und baute unterwegs den Schwung eines durchgehenden Lastzuges auf.

Der Maskierte Gladiator schüttelte sich einmal, als wollte er einen klaren Kopf bekommen, dann hob er Morgana und erwartete den Ansturm seines Gegners. Die Menge wurde wild angesichts der Möglichkeit, daß der Champion am Ende seinen Meister gefunden hatte, daß er geschlagen werden, in die Knie gezwungen und vielleicht sogar getötet werden könnte.

Sie riefen den beiden Kämpfern Warnungen, Ratschläge und ermutigende Worte zu. Sie standen auf den Sitzen, um nur nichts zu verpassen, und eine Menge von Wetten in allerletzter Minute wurde abgeschlossen, als eine Reihe von Zuschauern ihre Meinungen änderte.

Der Maskierte Gladiator blieb stehen. Er hätte davonlaufen und ausweichen können, doch das war nicht sein Stil. Er hätte sich ergeben und um Gnade betteln können, aber auch das kam für ihn nicht in Frage. Er hob wütend die Waffe: Morgana, das beste Schwert, das er je gesehen hatte, das aber machtlos war gegen eine implantierte Stahlrüstung. Dann kam ihm eine Idee, und er grinste hinter seinem anonymen Helm. Skye war beinahe über ihm und holte weit mit der Waffe aus, um dem Maskierten den Todesstoß zu versetzen. Der Gladiator schoß in einem perfekten Ausfall nach vorn, und die Spitze Morganas zuckte in einer Bewegung hoch, die beinahe zu schnell war für das menschliche Auge. Sie durchbohrte Skyes rechten Augapfel und das Gehirn dahinter. Der einzige Teil seines Körpers, der nicht unverwundbar war.

Einen langen Augenblick stand Auric Skye da wie vom Blitz getroffen, und Morgana ragte aus seinem Schädel. Dann zog der Maskierte seine Waffe zurück, und Skye brach zusammen, als wäre das Schwert alles gewesen, was ihn noch auf den Beinen hielt. Er fiel schwer zu Boden und blieb regungslos liegen. Der Maskierte Gladiator salutierte mit erhobener Klinge, bevor er sich abwandte. Die Menge tobte. Sie jubelten ihrem Helden zu, bis ihre Kehlen heiser war, klatschten, bis die Hände schmerzten; selbst die, die dumm genug gewesen waren, auf Skye zu wetten, zollten dem Maskierten Champion ihre Bewunderung. Der Maskierte Gladiator stapfte zum Haupttor der Arena zurück und hob eine Hand, um sich für den Applaus zu bedanken. Und Auric Skye, der einen Teil seines Menschseins geopfert hatte, um als Leibwächter für den Chojiro-Clan zu arbeiten, lag tot und vergessen im blutgetränkten Sand.

In der privaten Loge der Wolfs wandte sich Jakob triumphierend zu seiner Familie um. »Also das ist ein wahrer Kämpfer. Finde eine schwache Stelle und nutze deinen Vorteil. Ihr alle könntet eine Menge von einem Mann wie ihm lernen.«

Die Familie murmelte eine höfliche Antwort, aber alle behielten ihre Gedanken für sich. Jeder aus dem Wolf-Clan kannte alle Tricks, um die Schwächen seiner Gegner zu finden und zu seinem Vorteil zu nutzen, während man seine eigenen Fehler verbarg. Es hielt sie von Tag zu Tag am Leben.

Daniel stellte sich vor, selbst hinter der geheimnisvollen Maske zu stecken und über eine ganze Reihe sterbender Körper zu triumphieren – nicht zuletzt über seinen Bruder Valentin und seinen Vater. Stephanie dachte über ein Gerücht nach, demzufolge sich hinter dem stählernen Helm das Gesicht einer Frau verbarg, nicht das eines Mannes. Sie lächelte bei dem Gedanken und zahlreich waren die Gesichter derer, die geschlagen zu ihren Füßen lagen. Jakob versuchte zum hundertsten Mal vergeblich, einen Plan zu entwickeln, wie er den Maskierten Gladiator mit legalen und illegalen Mitteln auf seine Seite ziehen könnte. Konstanze tätschelte liebevoll den Arm ihres Mannes, während sie Heiratspläne für ihre Stiefkinder schmiedete, damit sie endlich das Haus verließen und sie die uneingeschränkte Macht über den alten Wolf erlangen konnte. Und Valentin dachte über die vielen Tode nach, die seine Hände heute verursacht hatten. Er grinste und grinste und grinste.

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