KAPITEL DREI MODE, PARANOIA UND ELFEN

Der Imperiale Palast lag tief im verrotteten Herzen von Golgatha, der Heimatwelt des Imperiums: ein Inbegriff von Konzentration an Macht und Bestimmung. Er lag weitab und verborgen tief unter der Oberfläche, wo er seine Energie aus geothermischen Quellen zapfte; so tief, daß selbst ein Vernichtungsschlag der gesamten Flotte ihn nicht erreichen konnte.

Über dem Palast standen die zarten Türme und empfindlichen Städte der Elite, der Reichen und Edlen. Unterhalb des Palastes lag, wie eine Krebsgeschwulst in einer Rosenblüte, ein massiver Stahlbunker von zweieinhalb Kilometern Länge und einem Kilometer Breite: Das Heim und die Festung ihrer Imperialen Majestät Löwenstein XIV. Und in diesem Bunker befand sich, von allerneuester Technik überwacht und kontrolliert, ein Hof aus glänzendem Stahl und Messing, an dem sich das gesamte Imperium versammelte, um seine Regentin zu ehren.

Löwenstein XIV., die Personifizierung von Ehrenhaftigkeit und Pflichtbewußtsein, von Gesetz und Gerechtigkeit, deren Flüstern lauter erklang als selbst der Donner – und das mit Sicherheit viel weiter reichte.

Löwenstein XIV., die Vollkommene. Die Göttliche, Verehrte und Bewunderte. Auch Eiserne Hexe genannt.

Ihre Privatgemächer bildeten das Zentrum des Bunkers, umgeben von Schutzeinrichtungen und Wachen, von denen einige niemals schliefen. Die Regentin besaß viele Feinde, und das gefiel ihr so. Liebe verging, und Loyalität wandelte sich, Furcht aber blieb. Löwenstein war die jüngste aus einer langen Reihe von Herrschern, doch sie hatte keineswegs die Absicht, die letzte zu sein. Ihre Privatgemächer, der einzige Ort, an dem sie sie selbst sein konnte, quollen schier über von Seide und Blumen Hunderter verschiedener Welten in Hunderten verschiedener Farben. Die Luft war schwanger mit subtilen und prachtvollen Düften (die mindestens ebenso tödlich waren, es sei denn, man war immunisiert worden).

Inmitten all dieser Herrlichkeit saß Löwenstein vor ihrem Toilettenschrank und starrte in einen Spiegel, der die gesamte Wand bedeckte. Ihre chirurgisch manipulierten Dienstmägde bewegten sich mit schweigender Grazie wie Schmetterlinge und kleideten ihre Herrscherin in die Rüstung und die Pelze und die Pracht, die für einen formellen Auftritt am Hof unabdingbar waren. Löwenstein schnitt ihrem Spiegelbild an der Wand eine Grimasse. Sie hatte unbegrenzte Macht über so viele Dinge, aber ausgerechnet Tradition gehörte nicht dazu.

Also erduldete sie, daß ihre Mägde sie in die offiziellen Roben und Farben hüllten, und sie schlug und trat und kratzte nach den jungen Frauen, wenn sie ihr in den Weg kamen (oder wenn ihr einfach danach zumute war), und bewunderte im übrigen ihr vollkommen geschnittenes Gesicht im Spiegel.

Löwenstein XIV. war groß und schlank. Sie überragte ihre Dienstmägde um gut einen Kopf und mehr. Ihr Gesicht war blaß, wie es der augenblicklichen Mode entsprach, aber ohne die üblichen, von der gleichen Mode diktierten farbenfrohen Kleckse. Löwenstein XIV. besaß wenig Geschmack und noch weniger Urteilsvermögen, aber sie gab einen Dreck darauf.

Sie hatte weder Zeit für die wilden Farben und die noch wilderen Insignien, die die Aufmerksamkeit so vieler ihrer Höflinge und Hofdamen beanspruchten, noch für sonst irgend etwas anderes, das vom Eindruck dessen ablenken mochte, was sie darstellte. Die ausgeprägten Gesichtszüge mit dem breiten Mund und den leuchtendblauen Augen wurden von einer Masse blonden Haares umrahmt, das sich auf ihrem Kopf auftürmte. Der Rücken war gerade, die Haltung straff, der Kopf hoch erhoben, und ihr Blick konnte einen auf hundert Meter Entfernung erschauern lassen. Löwenstein XIV. war wunderschön. Alle erzählten sich das.

Ihre Mägde flatterten erregt um sie herum, legten hier eine Falte und korrigierten dort einen Saum. Ihre Hände waren ununterbrochen in Bewegung, und ihre Berührung war freundlich, aber bestimmt. Löwenstein vertraute ihnen vollkommen; sie selbst beaufsichtigte die Konditionierung jeder einzelnen, bevor sie erlaubte, daß sie zu ihren anderen Mägden gesteckt wurde. Sie sprach niemals mit ihnen, weder um sich zu unterhalten, noch um sie nach einer Meinung zu fragen. Die Mägde hatten nichts zu sagen. Löwenstein XIV. hatte ihnen die Zungen herausschneiden lassen, damit sie nicht hinter ihrem Rücken über die Imperatorin tuscheln konnten.

Sie hatte sie auch blenden lassen und ihnen das Gehör genommen. Die Mägde traten nur mit Hilfe kybernetischer Sinne mit ihrer Umwelt in Kontakt. Es schickte sich nicht und hätte eine Lücke im umfassenden Sicherheitsnetz bedeutet, wenn irgend jemand Ihre Majestät in ihren privatesten und wehrlosesten Augenblicken gehört oder gesehen hätte, und so wurden die Mägde der Imperatorin ihrer natürlichen Sinne beraubt und erhielten im Gegenzug viel vollkommenere (und leichter kontrollierbare) künstliche Systeme.

Es galt als große Ehre, der Imperatorin persönlich dienen zu dürfen, und es gab eine lange Liste von Bewerberinnen, von den Höchsten bis zu den Niedrigsten im Reich, dieser Löwenstein XIV. wollte keine von ihnen – zur insgeheimen Erleichterung der Kandidatinnen. Ihre Mägde waren allesamt ehemalige Rebellen, Schuldner oder Gesetzlose. Oder vielleicht hin und wieder auch jemand, dem sie die Gunst entzogen hatte.

Die Imperatorin ließ ihren Mägden das Gehirn ausbrennen und programmierte sie um, und wo sich einst Widerspruch gegen sie geregt hatte, da fand sie nun ihre unterwürfigsten und hingebungsvollsten Sklavinnen.

Sie hatte auch noch andere Dinge mit ihnen angestellt, aber darüber sprach nie jemand. Oder zumindest nicht dann, wenn ein unbefugtes Ohr lauschen konnte.

Löwenstein XIV. trommelte ungeduldig mit den langen Fingernägeln auf den Lehnen ihres Sessels und wartete darauf, daß die Mägde ihrer Robe den letzten Schliff gaben. Sie verharrte unbeweglich, bis die große, gezackte Krone, die man aus einem einzigen Diamanten herausgeschliffen hatte, respektvoll auf ihren Kopf gesenkt worden war, dann erhob sie sich und verscheuchte die Mägde mit einer ungeduldigen Bewegung ihrer Hand. Sie betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel, und die Reflexion nickte anerkennend zurück Der Körperpanzer paßte wie angegossen und reichte vom Hals bis zu den Füßen. Er schimmerte stumpf, wo er nicht von dicken, luxuriösen Fellen von den Inneren Welten verdeckt wurde.

Nur ihr Gesicht blieb ungeschützt, wie es die Tradition von ihr verlangte. Im Zeitalter der Klone und anderer Doppelgänger oder Duplikate wollte das Imperium sicher sein, wer genau eigentlich herrschte.

Der Körperpanzer der Imperatorin beherbergte weitere Lebensretter und Sicherheitsmaßnahmen, und sie ging schnell die Prüfliste durch, während ihr persönliches Logik-Implantat die Ergebnisse direkt in ihren Sehnerv einspeiste. Alles schien in Ordnung zu sein – nicht, daß sie den leisesten Zweifel daran gehabt hätte –, und sie gestattete sich einen letzten Blick in den Spiegel, bevor sie ihr Boudoir verließ und die Mägde hinter ihr hereilten. Schnell hatten sie aufgeholt und verteilten sich auf die übliche, abschirmende Weise mit alarmbereiten kybernetischen Systemen um die Herrscherin, bereit, auf jede Respektlosigkeit zu reagieren. Die Mägde waren genauso Leibwächter wie Dienerinnen, und sie wichen niemals von ihrer Herrin, ganz egal, ob sie wachte oder schlief.

Außerhalb des Boudoirs hatte sich eine Menschenmenge auf dem Gang versammelt, die sich verzweifelt wie immer um die Aufmerksamkeit der Imperatorin bemühte. Angestellte, Militärattachés, Lobbyisten aller Glaubensbekenntnisse und Überzeugungen, und alle wollten Antworten und Entscheidungen wegen Angelegenheiten, die nicht ohne Imperiales Nicken vonstatten gingen. Sie schwärmten aus und redeten von allen Seiten gleichzeitig auf die Imperatorin ein, während Löwenstein XIV. durch den Korridor schritt. Die Dienerinnen verhinderten, daß die Bittsteller zu nahe kamen. Ganz egal, wie verzweifelt die Antragsteller sein mochten – sie besaßen genügend Verstand, um die Dienerinnen Löwensteins nicht zu verärgern. Die Imperatorin schien den Auflauf zu ignorieren, aber hin und wieder blickte sie doch in ein Gesicht und nickte ein kurzes Ja oder Nein oder Später. Alles von wirklicher Bedeutung würde so oder so an ihr Ohr dringen, und zwar durch die dafür vorgesehenen Kanäle – auch wenn die vorgesehenen Kanäle manchmal auf die eine oder andere Weise… abgelenkt wurden, von Leuten mit genügend Geld oder Einfluß beispielsweise. Löwenstein XIV. war dennoch überzeugt, daß sie sich stets auf dem neuesten Stand der Dinge befand.

Schließlich erreichten sie und ihre Dienerinnen den Aufzug am Ende des Korridors, und die Imperatorin signalisierte der Menge, zu verschwinden. Die meisten von ihnen zogen sich sofort in sichere Entfernung zurück, und die wenigen, die nicht schnell genug reagierten, fielen bei ihrem Rückzug beinahe übereinander, als Löwensteins Dienerinnen ihre kalten Blicke auf sie richteten. Die Herrscherin funkelte die geschlossenen Aufzugstüren an, während sie darauf wartete, daß der Lift eintraf. Sie war auf dem besten Weg, sich zu ihrer eigenen Audienz zu verspäten, und das war nicht zu entschuldigen. Natürlich würde niemand wagen, etwas zu sagen; wenn sie entschieden hatte, sich zu verspäten, dann war das ihre Angelegenheit, und niemand besaß das Recht oder die Kühnheit, daran Mißfallen auszudrücken. Aber in bestimmten Kreisen würde schnell und leise das Wort umgehen, daß die Imperatorin sich möglicherweise gehenließ und zunehmend laxer wurde, und die Sorte Leute, die Assassinen auf ihrer Gehaltsliste stehen hatten, würden sich in Erwartung der kommenden Dinge die Lippen lecken.

Ein dezentes Klingeln unterbrach sie in ihren Gedankengängen. Der Lift war angekommen und die Türen glitten zur Seite. Die Dienerinnen überprüften den Fahrstuhl mit ihren geschärften künstlichen Sinnen und entschieden zögernd, daß sich niemand daran zu schaffen gemacht hatte. Dann erst erlaubten sie der Herrscherin einzutreten. Die Türen schlossen sich vor den tiefgesenkten Köpfen der zurückbleibenden Menge im Korridor, und der Aufzug setzte sich rasch aus dem Innern des Bunkers in Richtung der oberen Etagen in Bewegung, wo die Audienz abgehalten wurde. Ein schwaches Grinsen stahl sich auf das Gesicht der Imperatorin, und wenn die Höflinge es hätten sehen können, wären ihnen gewiß mancherlei dringende Gründe eingefallen, um diesen Tag woanders zu verbringen.

Die Hofgemächer von Golgatha waren nur auf einem einzigen Weg zu erreichen: Untergrundzüge, die direkt von Palastrechnern gesteuert und kontrolliert wurden. Die Züge verkehrten pünktlich, waren bequem und garantiert unfallfrei, aber noch immer fuhr niemand gerne mit ihnen. Wichtige Persönlichkeiten waren es nicht gewohnt und unglücklich über die Tatsache, daß sie die Kontrolle über ihre persönliche Sicherheit aufgeben mußten, aber in dieser Hinsicht (genau wie in vielen anderen Dingen, die die Imperatorin betrafen) blieb ihnen keine andere Wahl. Löwensteins Sicherheit kam an erster Stelle. Immer. Das Ergebnis war, daß jeder, der seinen Fuß in einen der palastkontrollierten Züge setzte, dies in dem Wissen tat, daß er sein Leben buchstäblich in die Hände der Herrscherin legte. Manchmal benutzte Löwenstein XIV. die Züge als probates Mittel, um sich derer zu entledigen, die ihr Imperiales Mißvergnügen erregt hatten. Auf ein unhörbares Kommando seitens der Rechner hin hielt der Zug an, die Türen verriegelten sich, stählerne Blenden senkten sich über die Fenster, und dann strömte ein tödliches Gas durch den gesamten Zug. Die Düsen waren noch nicht einmal besonders geschickt verborgen.

Lord Jakob Wolf starrte auf die todbringenden Öffnungen, dann wandte er den Blick ab. Sie waren nichts Neues mehr, und er hatte drängendere Sorgen. Der Ruf der Herrscherin an den Hof war unvermutet gekommen und wenig informativ gewesen, selbst für ihre Geflogenheiten. Ihm war kaum eine Stunde Zeit geblieben, um sich vorzubereiten. Und das bedeutete, daß, was auch immer der Grund für die überraschende Audienz sein mochte, es sowohl dringend als auch von Bedeutung sein mußte. Möglicherweise hatte Löwenstein einen weiteren Verräter entdeckt, jemanden, der weit genug oben in der Hierarchie stand, so daß sie die Anwesenheit des gesamten Hofes wünschte, während sie ihn verhörte und

anschließend exekutierte – als Botschaft und Warnung an alle, die vielleicht Intrigen spannen oder Ränke schmiedeten. Löwenstein XIV. war eine begeisterte Anhängerin des Statuierens von Exempeln und der Demonstration von Macht. Und

Verräter gab es immer. An manchen Tagen war der Besuch bei Hofe wie russisches Roulette, ohne daß man wußte, wie viele Kugeln noch in der Trommel des Revolvers steckten.

Aber wenn es sich wirklich um eine hochstehende Persönlichkeit handelte, dann hätte Wolf andererseits schon etwas davon hören müssen. Der Wolf besaß hervorragende Verbindungen auf allen Ebenen. Alle Lords besaßen hervorragende Verbindungen auf allen Ebenen, jedenfalls wenn sie Lords bleiben wollten.

Es war nicht unbedingt notwendig, dem Hof persönlich beizuwohnen. Man konnte jederzeit sein Holobild schicken. Die vorhandene Technologie erlaubte den Eliten vollständigen Zugriff auf alles, was geschah, ohne das Risiko eingehen zu müssen, daß ihnen selbst etwas zustoßen konnte. Allerdings wurden traditionsgemäß nur diejenigen zur Herrscherin vorgelassen und von ihr angehört, die auch persönlich erschienen waren. Wenn man wollte, daß seine Stimme zählte, dann hatte man dort zu sein. Außerdem lag ein gewisses Risiko darin, als Holo am Hof zu erscheinen. Löwenstein IV. konnte es als persönliche Beleidigung interpretieren, wenn ein Lord seiner Imperatorin nicht zutraute, für seine Sicherheit zu sorgen. Es war nicht gut, die Herrscherin auf dumme Gedanken zu bringen. Sie hatte eh schon viel zu viele davon.

Deshalb saßen der Wolf und sein Sohn Valentin auf dem Weg zum Hof allein in ihrem Abteil, unbewaffnet und ohne Leibwächter, um einer Audienz am Hof beizuwohnen und sich etwas anzuhören, das sie wahrscheinlich gar nicht hören wollten.

Jakob Wolf war ein Stier von einem Mann, mit breiten Schultern und einer faßförmigen Brust, die einem professionellen Gladiator alle Ehre gemacht hätte. Er trug die Haare kurz geschoren, hielt sein Gesicht auf dem Stand eines Mannes Mitte Vierzig und ignorierte im übrigen stur allen modischen Firlefanz. Sein Kinn ragte kühn hervor, als wollte es den Betrachter zu einem Kommentar herausfordern. Seine Augen waren dunkel und durchdringend, und es war schon beinahe eine Frage des Prinzips, daß er nie als erster den Blick senkte. Der Wolf besaß Hände wie Schraubstöcke, groß, grobschlächtig und meist zu Fäusten geballt. Seine Stimme war wie ein Gewittergrollen. Der Wolf hatte eine Menge Zeit und Überlegung in das Bild gesteckt, das er nach außen hin abgab, und er war insgeheim sehr zufrieden mit dem Resultat.

Es beseitigte bei seinen Gesprächspartnern vom ersten Augenblick an jeden Zweifel, daß er kein Mann war, mit dem man spielen konnte.

Jakob Wolf war einhundertdrei Jahre alt, aber dank der wissenschaftlichen Errungenschaften des Imperiums hätte man den jungen Mann, der neben ihm saß, leicht für seinen Bruder anstatt seinen Sohn halten können. Allerdings hätte ein Fremder auch keinerlei familiäre Ähnlichkeit zwischen den beiden feststellen können.

Valentin Wolf war groß, schlank und von der Empfindlichkeit einer Treibhausblume, die rüde aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen worden war. Sein Gesicht war lang und schmal, die Haut mehr als modisch blaß, und sein schwarzer Schopf fiel gelockt bis auf die Schultern herab. Dicke Maskara betonte seine ungewöhnlich hellen Augen, und ein aufgemaltes purpurnes Lächeln verbarg seine Gefühle vor allem und jedem. Valentin besaß die Hände eines Künstlers, mit langen, schlanken Gliedern und weit ausholender Gestik, und wenn er sich für etwas begeisterte, dann flatterten sie an seinem Mund wie aufgescheuchte Tauben in der Nacht.

Valentin Wolf war am Hof und auch außerhalb dafür bekannt, daß er jede Droge ausprobiert hatte, die der Menschheit bekannt war – und einige mehr, die er sich speziell hatte anfertigen lassen. Wenn man es rauchen oder schnüffeln konnte

– oder es sich irgendwo hineinstecken, wohin die Sonne nicht schien –, dann hatte er es erstens ausprobiert und zweitens genossen. Man erzählte sich allen Ernstes, daß Valentin noch nie auf eine Chemikalie gestoßen wäre, die er nicht gemocht hätte. Für diejenigen, die ihn kannten, erschien es wie ein Wunder, daß Valentin sein Gehirn nicht bereits vor langer Zeit geröstet hatte – aber wie durch irgendeinen dunklen, geheimnisvollen Zauber blieb sein Verstand scharf und gefährlich. Er hatte die üblichen Feinde eines Mannes in seiner Position und wirkte ganz so, als wollte er sie alle überleben. Und obwohl er sich aus sämtlichen höfischen Intrigen und Ränken heraushielt, besaß er dennoch einen subtilen, ja geradezu böswilligen Einfluß auf diejenigen, die das nicht taten. Valentin mochte eine empfindliche Treibhauspflanze sein, aber seine Dornen waren in höchstem Maße giftig.

Valentin zog eine silberne Pillenschachtel hervor, entnahm ihr ein kleines Pflaster und preßte es an seine Halsschlagader.

Das aufgemalte Grinsen verbreitete sich zu einer klaffenden purpurnen Wunde, und sein Vater räusperte sich mißbilligend.

»Muß das jetzt sein? Wir werden bald am Hof ankommen, und wir werden all unseren Verstand bitter nötig haben.«

»Nur ein kleines, harmloses Beruhigungsmittel, Vater.« Valentins Stimme klang beherrscht, freundlich und nur eine Spur zu verträumt. »Sei versichert, daß ich dir mit all meinen Fähigkeiten zur Seite stehen werde. Wenn ich noch konzentrierter wäre, würden meine Synapsen zusammenbrechen. Aus welchem Grund vermutest du, daß Ihre Imperiale Majestät, lang möge sie leben, deine Gesellschaft wünscht?«

»Wer kennt in diesen Tagen schon die Beweggründe der. Eisernen Hexe? Ich habe in dieser verdammten letzten Woche mehr Zeit als normalerweise in einem ganzen Monat damit vergeudet, in diesen verfluchten Todesfallen hin und her zu reisen. Sie verhält sich nicht wie gewöhnlich, und all meine üblichen Informationsquellen sind entweder ins buchstäbliche Nichts verschwunden oder haben unerwartete Skrupel entwickelt. Ich habe den kleinen Scheißkerlen jahrelang gutes Geld bezahlt, und genau in dem Augenblick, wo ich sie wirklich brauche, brechen sie zusammen. Wenn ich in einem Stück vom Hof zurückkomme, dann werden Köpfe rollen, mein Junge, und das meine ich nicht metaphorisch. Die Eiserne Hexe hat etwas vor, das spüre ich. Etwas, das der Versammlung der Lords nicht schmecken wird, und sie veranstaltet diese Mätzchen nur, um uns abzulenken und in Atem zu halten. Sie verschleiert etwas. Das sind alles nichts als verbale Taschenspielertricks. Aber was plant sie? Sei auf der Hut, mein Junge! Eines Tages wirst du, obwohl ich es nur ungern eingestehe, das Oberhaupt der Familie sein, und ich will nicht, daß man hinterher sagt, ich hätte nicht alles in meiner Macht Stehende getan, um dich gründlich auf diesen Tag vorzubereiten.«

»Möge noch viel Zeit bis zu jenem Tag vergehen, Vater«, erwiderte Valentin, und nur ein sehr aufmerksamer Zuhörer hätte einen sarkastischen Unterton in seiner Stimme entdecken können. »Du tust so viel für mich, und ich weiß es nie zu würdigen. Ich habe ein paar Mittelchen dabei, die den Intellekt schärfen und das Bewußtsein klären. Möchtest du vielleicht eines davon ausprobieren?«

»Nein, ganz bestimmt nicht! Ich habe noch nie Drogen benötigt, um meinen Verstand zu schärfen. Aber zeig mir, wie schlau du bist. Was meinst du, warum die Hexe uns diesmal zu sich zitiert hat?«

Valentin zog eine Blume aus dem Ärmel. Sie besaß einen langen Stiel, der vor Dornen nur so starrte, und ihre dicken, fleischigen Blütenblätter waren schwarz wie die Nacht. Er roch anerkennend an der Pflanze, bevor er eines der Blätter zwischen die Zähne nahm und es herausriß. Dann begann er langsam auf dem Blatt zu kauen und genoß sichtlich die Pflanzensäfte.

»Die Imperatorin scheint in letzter Zeit ziemlich besorgt zu sein, von dem Augenblick an, seit die Nachricht von den beiden neu entdeckten Alienrassen außerhalb des Imperiums eingetroffen ist, die technologisch zumindest auf unserer Entwicklungsstufe stehen. Eine hätte als potentielle Bedrohung schon ausgereicht, aber die Aussicht auf zwei hochentwickelte Spezies scheint die Ärmste förmlich um ihre Fassung gebracht zu haben. Dann gibt es da auch noch die Kyberratten, die ihre zerstörerischen kleinen Spielchen in unseren Rechnern spielen, die Klan-Bewegung, die ihre Botschaften überall verbreitet, wo man hinsieht, und nicht zu vergessen die kleinen Elfen mit ihren rabenschwarzen Seelen. Die Elfen sind in letzter Zeit immer überheblicher geworden, ganz zu schweigen von ihren letzten erfolgreichen Angriffen. Und dann gibt es da natürlich auch noch die endlosen Intrigen am Hof mit all ihren dunklen Verschwörungen, Ränkespielen und verschlungenen Plänen. An manchen Tages ist es gesünder, wenn man am Hof nicht hustet und sich nicht hinter dem Ohr kratzt, weil jemand es als geheimes Zeichen für den Beginn irgendeiner Gewalttat mißdeuten könnte. Aber das weißt du doch alles selbst, Vater. Dazu brauchst du mich nicht.«

Der alte Wolf lächelte schwach. Es war kein schöner Anblick. »Also hast du wenigstens aufgepaßt, Sohn. Deine Antwort ist so gut wie jede andere, aber welche würdest du dir aussuchen? Wo liegt die wahre Gefahr für die Imperatorin und für uns?«

Valentin Wolf riß ein weiteres Blütenblatt ab und kaute darauf herum. Helle Flecken erschienen auf seinem Gesicht wie schlecht aufgelegtes Rouge, und seine rätselhaften Augen sahen geheimnisvolle Dinge. »Die Fremdwesen sind zu weit von uns weg, um eine Gefahr darzustellen, die unserer geliebten Majestät bereits jetzt Sorgen bereiten könnte. Vielleicht sollten wir einfach hingehen und die beiden Rassen miteinander bekannt machen. Wir könnten uns zurücklehnen und zusehen, während sie die Sache unter sich auskämpfen. Die Kyberratten sind zu wenige und weit davon entfernt, mehr als ein Ärgernis darzustellen. Und die Klon-Bewegung hat nicht die Mittel, um als wirkliche politische Kraft aus dem Untergrund zu treten. Die Elfen waren in letzter Zeit erstaunlich ruhig.

Das ist sicher kein dauerhafter Zustand, aber ich würde sagen, sie haben zumindest in den vergangenen Tagen nichts verbrochen, was die plötzlichen Einberufungen seitens unserer geliebten Majestät begründen oder gar rechtfertigen könnte.

Nein, ich fürchte, der Anlaß ist weitaus banaler als all das.

Die liebe Löwenstein hat jemanden mit heruntergelassenen Hosen oder den Händen in der Kasse erwischt und möchte uns einschüchtern. Wir sollen kleinlaut zusehen, während sie ein sehr lehrreiches und unerfreuliches Exempel an dem armen Bösewicht statuiert. Die Schöne ohne Gnade. Unsere Dame der Schmerzen. Die Eiserne Hexe.«

Jakob Wolf nickte nachdenklich und dehnte seine gewaltigen Muskeln. »Gut. Wahrscheinlich hast du recht. Einem von uns Lords soll der Kopf abgerissen werden, und sie will, daß wir dabei zusehen und uns daran erinnern, wer das Sagen am Hof hat. Also nichts wirklich Neues, mit Ausnahme der Tatsache, daß ich zum ersten Mal nicht die leiseste Ahnung habe, wer es sein könnte. Und das erscheint mir doch ziemlich eigenartig. Normalerweise sind die Gerüchte so laut, daß meine Agenten sie gar nicht überhören können. Also nimm dich in acht, wenn wir am Hof eintreffen, Junge. Halte deinen Mund fest verschlossen und bewahre einen klaren Kopf, und laß dich von mir führen.«

»Du kannst dich auf mich verlassen, Vater.« Valentin schluckte das letzte Blütenblatt und begann auf dem Stengel zu kauen, ohne die Dornen zu beachten. Ein dünner Faden aus Speichel vermischt mit Blut rann über sein Kinn, als er lächelte. Sein Vater wandte angewidert die Augen ab.

Die Vorhalle des Imperialen Hofes war groß genug, um jeden anderen Hof in Verlegenheit zu bringen. Eine gewaltige, weitläufige Halle aus glänzendem Stahl und Messing, die sich in jede Richtung weiter erstreckte, als das Auge sehen konnte.

Hier und da wurde die Aussicht von reichverzierten Säulen aus Gold und Silber unterbrochen, die in regelmäßigen Abständen mehr wegen des Eindrucks denn als Stützen errichtet worden waren. Eine wahre Menschenmasse erfüllte dichtgedrängt die Halle von einer Wand zur anderen. Jeder, der etwas auf sich hielt oder etwas darstellte (oder das zumindest von sich dachte), erschien zur Audienz der Herrscherin bei Hofe, um die Hände derer zu schütteln, die zur Zeit in der Gunst der Imperatorin standen – oder die Nase über die zu rümpfen, die in Ungnade gefallen waren. Man verabredete Hochzeiten, besprach geschäftliche Transaktionen oder fand sich einfach nur ein, um sich vor den Myriaden draußen im Imperium auf den Holoschirmen zu zeigen. Speisen und Getränke aller Arten waren frei und wurden von livrierten Dienern gereicht, aber nur wenige griffen zu. Das Warten auf die Herrscherin und die gespannte Frage, in welcher Stimmung sie sein würde, beflügelte nicht gerade den Appetit. Außerdem besaß Löwenstein eine ziemlich scheußliche Art von Humor, die sich hin und wieder im angebotenen Essen entlud.

Alle Familien waren anwesend: die Crème de la Crème der Aristokratie, in vorsichtigem Abstand von eingeschworenen Feinden oder sorgfältig darauf bedacht, nicht in der Nähe derer mit deutlich niedrigerem Status zu stehen. Jeder Clan lag mit mindestens einem anderen Clan in blutiger Fehde, aber das wurde auch so erwartet.

Auf einer Seite standen die Hologramme, nickten sich gegenseitig freundlich zu und verrieten sich durch gelegentliches schwaches Schimmern, wenn das eine oder andere Sicherheitsfeld das Übertragungssignal für Sekundenbruchteile unterbrach. Gesetz und Brauch verboten ihnen zu sprechen oder die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und so trieben sie zwischen den prächtigen Lords und Ladies hindurch wie Geister bei einem Gelage.

Die Familien betrieben leise Konversation, während sie warteten, und suchten Unterstützung oder Vorteile oder interessierten sich einfach für das neueste Geschwätz. Wissen war Macht am Hof von Löwenstein XIV., selbst wenn es nur das rechtzeitige Wissen war, in welche Richtung man sich zu ducken hatte. Jeder verdächtigte jeden, das voraussichtliche Opfer der bevorstehenden Audienz zu werden, und verstohlene Blicke sahen hierhin und dorthin auf der Suche nach Schwäche – wie Geier, die über einem sterbenden Mann kreisten. Niemand sprach offen über das Bevorstehende – natürlich nicht. So etwas tat man nicht. Nein.

Hier und dort hatten schwerbewaffnete Wachen Posten bezogen, prunkvoll in scharlachrote Rüstungen und Visierhelme gekleidet. Niemand schenkte ihnen die leiseste Beachtung.

Die Familien wußten, daß man sie beobachtete, und die Wachposten waren nur der offensichtlichste Teil der Überwachung. Sie standen eigentlich nur herum, um sicherzustellen, daß befeindete Familien keinen Streit untereinander vom Zaun brachen. Leibwächter oder gar Waffen waren den Besuchern am Hof strengstens verboten, doch wenn die Worte hitzig wurden, folgten hin und wieder Schlägereien. Das war der Zeitpunkt, zu dem sich die Wachen einmischten und mit primitiver Lust die Ordnung wiederherstellten. Ein Niedriggeborener bekam nicht häufig die Gelegenheit, einen Lord zu

mißhandeln, und die Wachen machten stets das Beste daraus. Also standen sie reglos herum, beobachteten und warteten auf ihre Chance, und die Wolfs hielten sich von den Feldglöcks fern, und die Feldglöcks hielten sich von den Shrecks fern, und… und so weiter und so fort. Offene Gewalt war sowieso etwas Linkisches, Plumpes.

Lord Crawford Feldglöck, Oberhaupt seines Clans,

manövrierte gemächlich mit wachen Augen und breitem Lächeln zwischen den Familien hindurch wie ein Hai, der sich in einem Schwarm von Heringen bewegte. Er war unterdurchschnittlich groß, aber dafür wog er überdurchschnittlich viel und gab einen Dreck darauf. Die Feldglöcks hatten immer die Ansicht vertreten, daß die Größe eines Mannes sich in der Breite seiner Vorlieben äußerte, und Crawford Feldglöck war weithin für seine zahlreichen Schwächen bekannt. Er war bereits über hundert, doch die moderne Wissenschaft hielt sein Gesicht voll und faltenlos wie das eines Kindes. Was allerdings nichts am Intellekt des Mannes änderte, der noch immer rasiermesserscharf und gefährlich war. Die Feldglöcks standen im Augenblick in der Gunst des Hofes, nicht zuletzt weil Crawford so viele andere ans Messer geliefert hatte, die ihm im Weg gewesen waren. Natürlich konnte niemand irgend etwas beweisen. Die Gebräuche und das Protokoll waren immer eingehalten worden. Überall, wo Crawford Feldglöck vorbeikam, nickten die Leute respektvoll und machten ihm vorsichtig und weitläufig Platz. Er nahm es auf, als stünde es ihm zu. Und wenn hin und wieder einer der niedrigeren Lords hinter seinem Rücken das Gesicht verzog, gab Crawford Feldglöck einen Dreck darauf. Er konnte es sich leisten.

In seinem Kielwasser – und gelegentlich auch an seiner Seite – trieb wie ein kunterbunter Paradiesvogel Crawfords ältester Sohn und Erbe, Finlay Feldglöck, wie immer in die schrillsten Seidengewänder gehüllt und mit dem leuchtendsten Schmuck behängt, den die neueste Mode hervorgebracht hatte. Hoch aufgeschossen, elegant und modisch bis ins Detail, von den polierten Stiefeln bis hin zur samtenen Mütze glitt Finlay nach allen Seiten hin lächelnd und hier und da freundlich murmelnd zwischen den Lords und dem niedrigeren Adel hindurch und zeigte sich so vielen der Anwesenden wie nur irgend möglich. Vielleicht sah er sogar ganz ansehnlich aus unter all der Kosmetik, die seinem Gesicht eine maskenhafte Starre verlieh, aber das war unmöglich zu erkennen.

Die herrschende Mode verlangte nach fluoreszierender, silbern schimmernder Haut und nach schulterlangem, metallisch glänzendem Haar – jede einzelne Strähne mit allen möglichen Metallen eingefaßt, die augenblicklich angesagt waren. Finlay trug einen Frack, der seine bezaubernde Figur noch betonte, und einen Kneifer, den er eigentlich gar nicht benötigte (niemand benötigte heutzutage einen Kneifer). Jede Geste, jede Pose, alles an ihm war der Inbegriff von Eleganz und Stil.

Finlay Feldglöck war ein Stutzer und Geck, und obwohl er zu allen Gelegenheiten, bei denen die Mode danach verlangte, ein Schwert an seinem Gürtel trug, hatte noch niemand jemals beobachten können, daß er es im Streit gezogen hätte. Andererseits zog niemand jemals gegen ihn die Waffe – natürlich nicht. Er war immerhin ein Feldglöck, und bei den Feldglöcks wußte man nie so recht…

Sein Vater hatte den Versuch aufgegeben, seinen Sohn zu verleugnen, weil es nicht funktionierte – auf der anderen Seite machte er kein Geheimnis aus der Verachtung, die er für den launischen Poeten empfand, der irgendwie seinen männlichen Lenden entsprungen war. Trotzdem wagte es niemand, gegen Finlay zu intrigieren. Der alte Feldglöck war tödlich genug für beide, sich und seinen mißratenen Sohn, und er würde keine Beleidigung seines Familiennamens hinnehmen.

Ungezwungen bahnte sich Crawford Feldglöck den Weg durch die Menge, nickte denen zu, die in seiner oder der Gunst der Herrscherin standen, und schnitt alle anderen mit selbstgerechter Verachtung. Seine Bewegung durch die Halle mochte zufällig erscheinen, aber in Wirklichkeit durchmaß er den großen Saal mit militärischer Präzision und stellte sicher, daß er all jene traf, die von Bedeutung waren, und prägte sich ihre Gesichter und ihren Standort gründlich ein. Wissen war Macht im Dickicht der Intrigen und Täuschungen, das an

Löwensteins Hof herrschte. Der alte Feldglöck nickte anerkennend, während er darüber nachdachte. Eine gewisse vornehme Wildheit half, die Schwachen und Zaghaften auszusieben.

Sein Ausdruck hellte sich unvermittelt auf, als sein Blick auf ein bekanntes, aus der Versammlung hervorstechendes Gesicht fiel. Er beschleunigte seinen Schritt durch die Menge und ließ den Menschen vor sich gerade genug Zeit, aus dem Weg zu gehen – wenn sie schnell genug waren.

»Sommer-Eiland, mein alter Freund!« rief er schließlich, und eine ungewöhnliche Wärme bahnte sich ihren Weg an dem üblichen Grollen vorbei in seine Stimme. »Welch eine Freude, Euch hier zu treffen! Wie immer! Aber was führt Euch an den Hof?«

Lord Roderick Sommer-Eiland verbeugte sich zur Antwort förmlich. Entgegen der herrschenden Mode zeigte sich sein wirkliches Alter in den tiefen Falten seines Gesichts und der dichten weißen Mähne auf dem Kopf, obwohl sein Rücken noch immer gerade und sein Kinn hoch erhoben war. Der alte Sommer-Eiland mißbilligte den augenblicklichen Hof mindestens genausosehr, wie der augenblickliche Hof ihn mißbilligte. Er zeigte sich nur selten in der Öffentlichkeit. Sommer-Eiland kleidete sich im formellen Stil des vorhergehenden Herrschers, obwohl das nicht gestattet war, und seine Bekanntschaft war gefährlich. Niemand wagte je, etwas zu sagen. Der alte Sommer-Eiland war in früheren Tagen ein Meister des Duells gewesen, und keiner wußte mit Bestimmtheit, ob diese Tage wirklich vorüber waren. Er lächelte den Feldglöck beinahe zögernd an und schüttelte schließlich die angebotene Hand.

»Feldglöck! Wie ich sehe, lauft Ihr so schäbig wie immer durch die Gegend. Genießt Ihr noch die Gunst Ihrer Majestät?

Oh, natürlich. Was für eine dumme Frage! Es muß Jahre her sein, daß ich es als notwendig erachtete, den Hof zu besuchen, aber manche Dinge scheinen sich niemals zu ändern. Keiner achtet die Tugenden, und der Abschaum steigt noch immer bis an die Spitze auf.«

Feldglöck grinste. »Ihr habt Euch schon immer an mir gestört, mein lieber Sommer-Eiland. Ein Glück, daß wir Freunde sind, sonst hätten wir uns bereits vor Jahren gegenseitig umgebracht.«

»Oh? Das wage ich zu bezweifeln«, widersprach der alte Sommer-Eiland feierlich. »Ihr wart nie besonders gut mit dem Schwert.«

Feldglöck brach in schallendes Gelächter aus, und Leute, die sich vorsichtig näher herangeschoben hatten, um der Unterhaltung der beiden zu lauschen, zogen sich hastig wieder zurück. Viele behaupteten – und die meisten davon glaubten es wirklich –, daß der Humor des alten Feldglöck noch viel gefährlicher war als seine Wut. Feldglöck und Sommer-Eiland waren von Geburt an Rivalen gewesen, und während der langen zurückliegenden Jahre hatten sie zu ihrer nicht gelinden Überraschung feststellen müssen, daß es einfacher war, einen Feind zu mögen, den man bewunderte, als einen Verbündeten, der aus familiären Gründen unterstützt werden mußte. Der Dieb und der Ehrenmann, trotz aller Gegensätze Freunde und so fest miteinander verbunden, wie Gegensätze es nur sein konnten. Feldglöck fixierte Sommer-Eiland mit einem nachdenklichen Blick und rückte ein wenig näher heran.

»Was bringt Euch nach all diesen Jahren hierher? Ich dachte, ihr wärt zu der Erkenntnis gelangt, daß Politik etwas für niedrigere Stände wie meinesgleichen ist?«

»Meine Ansichten über diesen Hof haben sich nicht um ein Jota geändert, Feldglöck. Ihr selbst seid der lebende Beweis, mein Lieber. Wie viele bessere Leute habt Ihr unter Euren Füßen zertreten, um Eure gegenwärtige Stellung zu erreichen?«

»Ehrlich gesagt – ich habe aufgehört zu zählen. Mit der Zeit bekam ich Kopfschmerzen.«

Sommer-Eiland schüttelte bedächtig den Kopf. »Ihr verkörpert alles, was ich an diesem Hof verabscheue, und ich gehöre zu der Sorte Mensch, die Ihr während Eurer langen Laufbahn als Mörder und Doppelagent zertrampelt habt. Was haben wir gemeinsam?«

Erneut brach Feldglöck in schallendes Gelächter aus. »Tote Feinde, und das ist eigentlich schon alles. Wir haben einfach jeden überlebt, der je versucht hat, uns zu töten. Wir haben Herrscher kommen und gehen sehn, und wir waren Zeugen, wie sich das Imperium immer weiter ausdehnte. Politische Gruppierungen sind entstanden und vergangen, Geschäfte blühten und sind verwelkt, aber wir sind noch immer da, unvergleichlich und unaufhaltsam. Mit wem sonst könnten wir uns schon unterhalten, wer hat gesehen, was wir gesehen haben, gekämpft, wo wir gekämpft haben? Ich persönlich mag Euch, weil Ihr nicht auf das Gewäsch von anderen hört. Ganz besonders nicht auf mein eigenes. Und Ihr, Ihr schätzt es, die Wahrheit zu hören, selbst wenn es Euch nicht gefällt, was sie Euch verrät. Und Ihr wißt, woran Ihr mit mir seid, Roderick.«

Sommer-Eiland lächelte knapp. »Ihr habt schon immer zu viel geredet, Crawford. Was machen Eure Söhne?«

»Sind wie Schmerzen im Hintern, wie immer. Wenigstens haben inzwischen alle geheiratet und sind mit der Produktion von Enkeln beschäftigt. Ansonsten sind sie zu verdammt überhaupt nichts nutze. Ich könnte schwören, daß Finlay sich durch schieren Überfluß an Mode umzubringen versucht.

Oder vielleicht will er ein Märtyrer werden. Manchmal wünsche ich mir, daß er endlich Erfolg damit haben möge, damit ich mich nicht mehr laufend über ihn aufregen muß. Wenn er nicht mein Ältester wäre, hätte ich ihn schon längst im Schlaf erstickt. Sechs Jungen hatte ich vor ihm, alles gute, tüchtige Söhne, aber alle starben bei Duellen, durch Verrat oder irgendwelche politischen Gründe. Sie sind tot und haben mich mit Finlay als Erben zurückgelassen. Wenn der Gentest nicht eindeutig bewiesen hätte, daß er mein eigenes Fleisch und Blut ist, hätte ich schwören können, daß seine Mutter mir Hörner aufgesetzt hat. Und die anderen Söhne sind noch schlimmer, könnt Ihr Euch das vorstellen? Ich muß krank gewesen sein, als ich diese Bastarde zeugte. Wenigstens hat Finlay meinen Verstand geerbt, auch wenn er kaum davon Gebrauch macht.«

Feldglöck unterbrach seinen Redeschwall und blickte Sommer-Eiland unglücklich an. Seine Stimme senkte sich zu einem schroffen Flüstern. »Ich habe vom Tod Eures Sohnes gehört. Er hätte sich nie zu diesem Duell herausfordern lassen dürfen. Er hatte nicht die Spur einer Chance.«

»Nein, das hatte er nicht«, stimmte der alte Sommer-Eiland zu. »Aber ihm blieb keine andere Wahl. Es war eine Frage der Ehre.«

»Ihr habt meine Frage noch immer nicht beantwortet«, hakte Feldglöck nach und wechselte das Thema mit soviel Takt, wie er jemals aufzubringen imstande war. »Was hat Euch nach all den Jahren Eures selbstauferlegten Exils zurück an den Imperialen Hof geführt?«

»Ihre Majestät hat mich mit einer handgeschriebenen Einladung einbestellt. Sie schrieb, daß sie mir unbedingt jemanden vorstellen möchte. Wie hätte ich da nein sagen können?«

»Ich hätte abgelehnt. Wenn die Löwenstein erst einmal ein persönliches Interesse an einem findet, dann wird es Zeit, den Namen zu ändern und sich in Richtung auf den Rand hin zu verziehen«, brummte Feldglöck nachdenklich. »Was will die Eiserne Hexe nur von Euch?«

»Davon hat sie nichts geschrieben. Nur, daß meine Anwesenheit bei dieser Audienz erforderlich sei. Aber es spielt keine Rolle. Meine Frau ist tot, genau wie all meine Söhne. Nur mein Enkel Kit ist mir geblieben, und wir… wir verstehen uns einfach nicht. Ich bin zu alt, um mich einschüchtern zu lassen. Also, da bin ich, ein loyaler Untertan Ihrer Majestät.«

Feldglöcks neuerlicher Lachanfall ließ einige Köpfe herumfahren, doch sie wandten sich rasch wieder ab. Der freie Raum rund um ihn und Sommer-Eiland wurde größer. »Eure Loyalität hat immer dem Thron gegolten, ganz gleich, wer gerade darauf saß. Ich glaube nicht, daß Ihr passende Worte für die Löwenstein gefunden hättet, seit sie im zarten Alter von sechs Jahren ihr Kindermädchen erstochen hat.«

»Oh, das würde ich nicht sagen«, erwiderte Sommer-Eiland.

»Ich habe sehr passende Worte für die Löwenstein. Aber ich bin viel zu sehr Ehrenmann, um diese Worte zu benutzen.«

Geduldig wartete er auf das Ende von Feldglöcks Lachanfall.

»Es fiel mir bereits schwer, ihren Vater zu mögen, geschweige denn ihm zu folgen. Aber ich hatte keinen Augenblick lang Zweifel, daß er zum Wohl des Imperiums handelte. Aber die Eiserne Hexe schert sich um nichts und niemanden außer sich selbst. Sie ist ein verzogenes Balg, und das war sie schon immer. Was bei der königlichen Brut zugegebenermaßen nicht ganz unüblich ist. Wenn wenigstens eine Spur von Pflichtgefühl hinzukommt, dann ist es erträglich. Ihr und ich, Crawford, wir beide haben bereits eine Menge königlicher Hintern auf dem Thron gesehen, aber bei Löwenstein fürchte ich ernsthaft um den Bestand des Imperiums.«

»Verschwindet von hier, Roderick«, murmelte Feldglöck leise. »Was auch immer die Eiserne Hexe mitzuteilen hat –

ich denke nicht, daß einer von uns beiden es hören möchte.

Sie führt bestimmt nichts Gutes im Schilde. Verschwindet jetzt, solange Ihr noch könnt.«

»Und wohin soll ich Eurer Meinung nach gehen?« erwiderte Sommer-Eiland ruhig. »Wohin könnte ich gehen, wo mich die Bluthunde ihrer Majestät nicht früher oder später aufspüren würden? Nein. Ich bin nie vor einem Feind davongerannt, und so soll es auch bleiben. Sie hat mich herbestellt, um mich zu töten. Ich weiß es selbst. Aber ich werde meine Tage in Würde beenden, als loyaler Untertan meines Monarchen – selbst dann, wenn dieser Monarch nicht das Schwarze unter dem Nagel wert ist.«

»Sehr schön gesagt«, schnarrte Feldglöck. »Wird sich

großartig auf Eurem Grabstein machen. Warum wollt Ihr es der Eisernen Hexe so leicht machen?«

»Man nennt es Pflicht, Crawford. Ihr müßt doch schon einmal davon gehört haben, oder? Wenn die Ehre ruft, dann muß ein Mann sich stellen, wenn er ein Mann ist.«

»Ganz wie Ihr meint, Sommer-Eiland. Aber steht nicht zu dicht bei mir, wenn ihr Euch stellt, ja?«

Sie grinsten sich verstehend zu und wandten die Köpfe, als die großen Türflügel sanft aufschwangen und die massiven Stahlplatten zur Seite glitten, als wären sie gewichtslos. Eine Fanfare erklang, und das Geschnatter der Unterhaltungen verstummte augenblicklich. Helles Licht ergoß sich aus dem Audienzsaal von Löwenstein XIV. in die Vorhalle. Die Höflinge setzten sich in kleinen Gruppen in Bewegung wie Motten, die von einer Flamme angezogen wurden.

Als erstes schritt die Versammlung der Lords durch die hohen Türen, all die Oberhäupter der ersten hundert Familien des Imperiums, die nach dem Recht ihres Erbes im Namen der Herrscherin Planeten, Armeen oder große Gesellschaften leiteten. Die Höchsten der Hohen, die Edelsten und Meistgeschätzten von allen Untertanen ihrer Majestät. Theoretisch zumindest. Sie schritten erhobenen Hauptes in den großen Empfangssaal, ohne nach rechts oder links zu blicken. Insgeheim fühlten sie sich beinahe nackt ohne ihre üblichen Gefolge aus Leibwächtern, Ratgebern und Schranzen, aber ein Lord erschien nun einmal allein bei seiner Herrscherin, und selbst das Schwert an der Hüfte blieb zu Hause. Es war ein Zeichen des Vertrauens und des Respekts. Ganz zu schweigen von Imperialem Verfolgungswahn.

Nach den Lords kamen die zweihundertfünfzig Mitglieder des Imperialen Parlaments. Sie repräsentierten die wirtschaftlichen Kräfte des Reichs, die Macht und den Einfluß des Geldes. Natürlich wurde nur denjenigen erlaubt, an Abstimmungen teilzunehmen, die über genügend Einkommen verfügten.

Wenn man nicht aristokratischer Abstammung war, stellte das Parlament die einzige Möglichkeit dar, Zutritt zu den inneren Kreisen der Regierung zu erhalten. Ein Mitglied des Parlaments mochte wohl angehalten sein, den Kopf vor einem Lord zu beugen, wenn sie in den Straßen aufeinandertrafen, aber während einer Audienz bei der Herrscherin zählten ihre Stimmen gleich. Und wenn sich die Mitglieder des Parlaments einmal einig gewesen wären, dann hätten sie die Versammlung der Lords mühelos in die Knie zwingen können wie ein Rudel ungehorsamer Hunde. Aber das Parlament war in verschiedene oppositionelle Fraktionen gespalten, die in ständigem Streit lagen, und die Lords achteten sorgsam darauf, daß sich dieser Umstand nicht so rasch änderte, indem sie ihren Günstlingen heimliche Patronagen und gelegentlich auch

größere Summen an Bestechungsgeldern zukommen ließen. In der letzten Zeit hatte sich das Parlament zunehmend besorgt über eine drohende Steuererhöhung gezeigt. Sie sollte der Finanzierung einer Ausweitung der Imperialen Flotte dienen, mit der man der möglichen Bedrohung durch zwei neuentdeckte Fremdrassen begegnen wollte.

Theoretisch war die Imperatorin durch das Gesetz an die Entscheidungen des Parlaments und der Versammlung der Lords gebunden – egal, wie diese Entscheidungen auch immer zustande kommen und was sie auch immer beinhalten mochten. Theoretisch zumindest. In der Praxis sah es jedoch so aus, daß die Herrscherin die Sitzungen verfolgte, wenn sie in der Stimmung dazu war, und anschließend ihre eigene Meinung durchsetzte. Löwenstein wußte die Armee und die Flotte im Rücken, und solange das der Fall war, konnte sie niemand dazu bringen, etwas zu tun, das ihr verdammt noch mal gegen den Strich ging. Deswegen verursachte die Aussicht auf höhere Steuern und eine noch mächtigere Flotte auch eine Menge verschwitzter Hände und schlaflose Nächte unter den Parlamentariern und den Lords. Man hatte einige Abgeordnete sagen hören, daß sie die Geschichte von den neuentdeckten Fremden nicht glaubten, aber bisher hatte niemand gewagt, öffentlich an dieser Nachricht zu zweifeln, geschweige denn hier bei Hofe.

Andererseits war die Stellung Löwensteins nicht mehr so unumstritten wie früher einmal. Eine große Anzahl nachgeborener Söhne der aristokratischen Oberschicht hatte – ohne die Aussicht, eines Tages einen Titel zu erben – eine Karriere in der Armee oder der Flotte angestrebt. Und wie diese jungen Aristokraten in den Rängen emporstiegen, so wuchs auch ihr Einfluß. Armee und Flotte waren Löwenstein XIV. nicht länger so blind ergeben wie noch vor wenigen Jahren.

Im Endeffekt lief alles darauf hinaus, daß die politische Struktur am Imperialen Hof eher einem vollständigen Chaos ähnelte als einer Regierung, und über allem thronte die Eiserne Hexe mittels schierer persönlicher Macht und gerissener politischer Schachzüge.

Nach den Abgeordneten des Parlaments kam die große Masse: Familienangehörige, politischer Anhang, Geschäftsleute und Offiziere und jeder und jede, die sich durch Bestechung, Betteln oder Diebstahl eine Einladung hatten verschaffen können. Der Imperiale Hof war die politische und soziale Achse, um die sich das gesamte Reich drehte, und alle wollten dort sein – oder zumindest, daß andere sie dort sahen… Man war ein Niemand, wenn man nicht am Hof gesehen wurde.

Und schließlich, ganz zum Schluß, in abgetragenen Kleidern und mit verhärmten Gesichtern, erschienen die zehn Bürgerlichen, die die jährliche Imperiale Lotterie gewonnen hatten. Der Gewinn bestand aus einem Besuch bei Hofe, zusammen mit dem Recht, die Herrscherin persönlich um Beistand, Milde oder Gerechtigkeit anzuflehen. Selbstverständlich war es ein höchst riskantes Unterfangen, als Bürgerlicher die Stimme bei Hofe zu erheben. Bürgerliche besaßen hier keine Freunde, und manchmal war es besser, wenn die Imperatorin einen erst gar nicht bemerkte. Ihr Gerechtigkeitssinn war höchst unberechenbar, obwohl sie hin und wieder zugunsten eines Bürgerlichen entschied – aber nur, um irgendwelche Aristokraten zu brüskieren, die ihr Mißfallen erregt hatten. Im großen und ganzen tendierten die glücklichen Lotteriegewinner dahin, die Gelegenheit zu nutzen, um einfach nur am Hof zu verweilen. Manche verbrachten ein ganzes Jahr dort, ohne je ihre Bitte oder Frage zu stellen.

Die höfische Empfangshalle selbst war diesmal ein Sumpf.

Dichte Nebelbänke hingen in der feuchten Luft zwischen knorrigen, verdrehten Bäumen, und überall stand zumindest knöcheltief schwarzes Wasser. Verknotete Schlingpflanzen hingen von den ausladenden Ästen der Bäume herab und schleiften im Wasser, und die Luft schwirrte vor Fliegen und anderen Insekten. Die Höflinge stapften unbeirrt durch den Sumpf voran, während sie aufmerksam nach Krokodilen und anderen Unerfreulichkeiten Ausschau hielten, die in der undurchsichtigen schwarzen Brühe lauern konnten. Wenn der Sumpf auch nicht echt war, so hieß das noch lange nicht, daß sich keine höchst realen Gefahren darin herumtrieben.

Meist handelte es sich jedoch nur um Hologramme, die der physischen Realität eben stark genug nachempfunden waren, um den Höflingen einen Schauer über den Rücken zu jagen.

Löwenstein fand Gefallen daran, ihren Hof ›interessant‹ zu halten, und ihr Geschmack in dieser Hinsicht war sowohl hinterhältig als auch weit gefächert. In der Vergangenheit hatte sie den Hof bereits als Wüste, als arktische Einöde und als städtisches Elendsviertel erscheinen lassen. Das Elendsviertel war wirklich ziemlich gefährlich gewesen, und hinterher waren alle von Flöhen befallen gewesen. Die Wüste war die hinterhältigste Landschaft von allen: überall Sand und die Luft so heiß, daß man kaum atmen konnte. Und um die Dinge noch ein wenig spannender zu gestalten, hatte Löwenstein winzige Metallskorpione im Sand verstecken lassen; kleine, widerliche Apparate mit Neurotoxinen in ihren Stacheln. Ein geringerer Lord hatte eine Woche lang mit dem Tod gekämpft. Löwenstein mußte heute noch kichern, wenn sie an diesen köstlichen Streich dachte.

Die Höflinge schleppten sich voran und murmelten düstere Verwünschungen vor sich hin. Die Gewißheit, daß das gesamte Reich an den Fernsehern saß und ihnen zusah, trug nicht gerade zu einer besseren Laune bei. Jeder Planet, gleichgültig wie arm er auch sein mochte, hatte dank kunstvoll getarnter Holokameras Zugang zum Treiben bei Hofe. Die Lords und die Abgeordneten schworen sich jedes Jahr, endlich Schluß zu machen mit diesem überholten Brauch, aber irgendwie kam es nie dazu. Niemand konnte dem Gedanken widerstehen, daß ein so riesiges Publikum zusah.

Hin und wieder tauchten silbern schimmernde Statuen im Nebel auf und zeigten die Formen zahlreicher fremder Rassen, die in das Reich eingegliedert und über ihren Platz in der Hierarchie belehrt worden waren. Es gab eine ganze Menge davon. So viele, daß niemand die genaue Zahl kannte.

Doch niemand scherte sich einen Dreck darum. Einige der Statuen hatten länger überlebt als die Spezies, die sie

repräsentierten. Aber auch darum scherte sich kaum jemand einen Dreck. In erster Linie war das Imperium eben ein menschliches Imperium. Einige der älteren Höflinge lehnten sich für eine Verschnaufpause gegen die Statuen, allerdings erst, nachdem sie sie sorgfältig auf hinterlistige Fallen untersucht hatten.

Die Herrscherin saß gelassen auf ihrem großen Thron aus schwarzem Eisen und glitzernder Jade. Das Möbel ragte genau so weit aus dem Wasser, daß ihre Füße trocken blieben.

Löwenstein sah aus, als würde sie sich vollkommen wohl fühlen, obwohl der Thron offensichtlich für eine sehr viel größere Person entworfen worden war. Die Nebel schienen auf geheimnisvolle Weise ihren ruhigen Platz mit seinem eigenen kleinen Kreislauf kühler Luft zu vermeiden. In ihren

majestätischen Gewändern und mit der Diamantenkrone auf dem Kopf wirkte Löwenstein kalt, majestätisch und vollkommen; jeder Zoll eine wahre Imperatorin. Die wartenden Dienerinnen hockten nackt im schmutzigen Wasser am Fuß des Throns, angespannt wie ungeduldige Jagdhunde an unsichtbaren Leinen.

Nach und nach versammelten sich die Höflinge vor dem Thron, sorgsam darauf bedacht, einen respektvollen Sicherheitsabstand einzuhalten, und verneigten sich tief vor der Herrscherin. Sie blickte gelangweilt über Hunderte gesenkter Köpfe hinweg und gähnte laut. Die Höflinge verharrten erhitzt und schwitzend in ihrer Haltung und warteten geduldig, daß sie ein Zeichen gab. Einmal hatte Löwenstein sie für eine ganze Stunde so stehen lassen. Schließlich gab sie mit einem müden Winken ein Signal, und eine Fanfare erklang. Die Höflinge richteten sich erleichtert wieder auf, und hier und da rieben sich einige verstohlen den Nacken. Niemand war dumm genug, etwas zu sagen. Ein Blick auf die Imperialen Dienerinnen reichte vollkommen aus, um allein den Gedanken daran aus jedermanns Bewußtsein zu verscheuchen. Die Gesichter der nackten Frauen waren leer, seelenlos, unmenschlich, und ihre künstlichen Augen besaßen den direkten, unheimlich starren Blick von Insekten. Sie beobachteten die Höflinge mit unerschütterlicher Konzentration, und hier und da glitten einsatzbereite Metallklauen unter den Fingernägeln hervor.

Ein erstickter Schrei ertönte in der Versammlung der Lords, als Lord Gregor Shreck mit unverhülltem Entsetzen auf eine der Dienerinnen starrte. Er wollte sich nach vorne in Bewegung setzen, und die Dienerinnen spannten sich. Shrecks Familie drängte sich rasch um den Lord zusammen. Sie hielten ihn an Ort und Stelle fest, während andere beruhigend auf ihn einflüsterten. Schließlich war er wieder genügend bei Sinnen, um den Blick abzuwenden. Aber seine Hände und sein Mund bebten noch immer voll ohnmächtiger Wut und Sorge. Ein leises Murmeln lief durch die Menge, als allen klar wurde, daß die Gerüchte also doch gestimmt hatten. Die Nichte von Gregor Shreck war vor kaum einem Monat aus ihren

Gemächern verschwunden und seither nicht wieder gesehen worden. Niemand war ernsthaft überrascht. Es hatte sich zunehmend herumgesprochen, daß sie sich mit den falschen Leuten abgab. Die Gerüchte sprachen von Verrat, doch das taten sie andererseits immer. Und jetzt war sie hier, aller Erinnerungen und ihrer Persönlichkeit beraubt, so daß ihr Körper der Herrscherin dienen konnte. Der alte Shreck hatte seine Nichte wiedererkannt, aber dann hatte er doch den Mund gehalten und nichts gesagt. Was hätte er auch sagen können?

Die Imperatorin beugte sich auf ihrem Thron nach vorn, und alle Gespräche verstummten. Als sie zu sprechen begann, klang ihre Stimme ruhig, gleichmäßig und entschlossen, und sie erreichte jedes Ohr im Hof und noch weit darüber hinaus.

Die Höflinge lauschten respektvoll, während sie sich mit Seidentüchern den Schweiß abwischten, der über ihre Schläfen rann. Die Dienerinnen lauschten nicht. Sie beobachteten.

»Liebe loyale Untertanen! Willkommen an Unserem Hof.

Wir sind sicher, daß Ihr sein gegenwärtiges Aussehen interessant findet. Normalerweise würden jetzt Begrüßungszeremonien und Respektbekundungen stattfinden, aber heute werden Wir diesen Punkt überspringen. Wir haben wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Das Imperium sieht sich einer Bedrohung gegenüber, die größer ist als alles bisher Dagewesene. Nicht eine, nein, gleich zwei fremde Rassen wurden entdeckt, deren Technologie auf einer der Unseren vergleichbaren Stufe angelangt ist. Sie bedeuten eine Bedrohung für Unser Reich, die sowohl höchst real als auch imminent ist. Sie könnten uns jederzeit angreifen. Wir haben die Armee und die Flotte aus diesem Grund in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Alle Reservisten werden einberufen, und die Industrie wird für die Dauer des Notfalls auf Kriegsproduktion umgestellt. Leider ist das alles recht kostspielig, und aus diesem Grund haben Wir alle Steuern und Abgaben mit sofortiger Wirkung um sieben Prozent erhöhen lassen.«

Die Imperatorin unterbrach sich und blickte auf die Runde, als erwartete sie Widerspruch, aber niemand war dumm genug, um den Mund aufzumachen. Es würde noch mehr kommen, das konnten alle spüren. Löwenstein lächelte graziös und fuhr fort:

»Die Nachrichten des heutigen Tages sind nicht ausschließlich schlecht. Unsere Wissenschaftler haben vor kurzer Zeit einen neuen Hyperraumantrieb für Unsere Raumschiffe fertiggestellt, der stark und in einem Maße unerschöpflich ist, wie Wir das zuvor nicht für möglich gehalten haben. In Kürze wird die Massenfertigung beginnen, und Wir werden jedes Schiff der Flotte damit ausrüsten lassen.«

Sie legte eine Pause ein, aber noch immer meldete sich niemand zu Wort, obwohl sich hinter manch leidenschaftslosem Gesicht die Gedanken beinahe überschlugen. Wenn diese neue Maschine all das konnte, was die Worte der Herrscherin andeuteten, dann wären alle anderen Hyperraumantriebe mit einem Schlag veraltet. Und das bedeutete, daß die Schiffe der Imperatorin allen anderen haushoch überlegen sein würden.

Um konkurrenzfähig zu bleiben, müßten alle privaten Schiffseigner die neuen Maschinen kaufen, und das zweifellos zu exorbitanten Preisen. Das war eine weitere Form indirekter Steuern. Auf der anderen Seite würde irgend jemand die Lizenz zur Massenproduktion des Antriebs erstehen, und dieser jemand würde ein unglaubliches Vermögen verdienen…

Es dauerte einen Augenblick, bis die Höflinge bemerkten, daß die Herrscherin wieder zu sprechen begonnen hatte. »Wir bedauern, Euch darüber in Kenntnis setzen zu müssen, daß die Elfen in letzter Zeit wieder am Werk waren und Schmerz und Zerstörung über das Reich gebracht haben. Aber Unsere Ratgeber versichern Uns, daß sie keine wirkliche Gefahr darstellen. Sie sind zu wenige, und sie haben nur beschränkten oder gar keinen Zugang zu fortgeschrittener Waffentechnologie.

Wir werden sie eliminieren, nicht wahr, mein lieber Lord Dram?«

Plötzlich erschien ein Mann neben der Imperatorin, als das Holo erlosch, hinter dem er sich verborgen gehalten hatte.

Groß und finster, in schwarze Gewänder gehüllt, unter denen eine schwere Rüstung zum Vorschein kam, stand er steif da wie zum Appell. Seine Haltung war von beinahe übernatürlicher Vollkommenheit. Er schien Anfang Dreißig zu sein, aber niemand kannte sein wirkliches Alter. Lord Dram war vor einigen Jahrzehnten anscheinend aus dem Nichts aufgetaucht, und er hütete sein Geheimnis wohl. Er war beinahe gutaussehend – wenn nicht seine dunklen Augen und sein schwaches Lächeln so eiskalt gewirkt hätten. An der Hüfte trug er eine Energiewaffe und ein Schwert, und das in der Gegenwart der Imperatorin; er war der einzige Mann im gesamten Reich, der sich das erlauben durfte. Er war der Hohe Lord Dram, Oberster Krieger des Imperiums.

Einmal durch allgemeine Abstimmung in diese Position gewählt, behielt er sie für den Rest seines Lebens (obwohl Oberste Krieger in der Regel nicht besonders alt wurden). Die Herrscherin hatte ihm den Befehl über das gesamte Militär übertragen, mit allem, was damit zusammenhing, und ihn

außerdem persönlich für ihre Sicherheit verantwortlich gemacht.

Er war der edelste Kämpfer, den das Imperium je hervorgebracht hatte, erprobt in mehr als hundert größeren Schlachten, bewundert vom gemeinen Volk, verehrt vom Parlament und ganz und gar abgelehnt von den Lords wegen seiner Macht und seines Einflusses bei der Imperatorin. Man war davon überzeugt, daß die beiden etwas miteinander hatten, aber niemand wußte Genaueres. Die meisten Besucher des Hofes fanden allein die Vorstellung, daß Ihre Majestät irgend etwas mit einer so warmen, zerbrechlichen Angelegenheit wie Liebe zu tun haben könnte, einfach lächerlich. Was eine ganze Menge von Leuten nicht davon abhielt, alles zu tun, um irgendwie an Beweise für diese Geschichte zu kommen. Es konnte die eigene Position sehr stärken.

Dram war zum Obersten Krieger gewählt worden, nachdem er persönlich den Angriff auf das Hauptquartier der Elfen geleitet hatte, das sich zwischen den pastellfarbenen Türmen der schwebenden Stadt Neutrost versteckt hatte und vollkommen zerstört worden war. Dram und seine Elitetruppen waren auf Gravitationsschlitten aus der Sonne gefallen und hatten das Feuer im selben Augenblick eröffnet, als sie in Reichweite gekommen waren. Die zerbrechlichen Türme krachten und splitterten, als das Feuer durch sie hindurchschnitt, und Menschen flüchteten sich schreiend in die Straßen. Die Soldaten feuerten weiter. Die Bewohner von Neutrost hatten gewußt, worauf sie sich einließen, als sie den Elfen gestatteten, unter ihnen zu leben. Dram hatte seine Befehle, und Gefangene zu machen war keiner davon. Also stürzten die Türme ein, Menschen kamen zu Tode, und die Elfen mußten sich schließlich im offenen Kampf stellen, wenn sie nicht einfach niedergemetzelt werden wollten.

Sie hatten nicht die Spur einer Chance. Die Karten waren verteilt, und Dram hielt alle Trümpfe in der Hand. Er hatte die Männer, die Waffen und den Vorteil der Überraschung auf seiner Seite. Die meisten Elfen wurden noch im gleichen Augenblick erschossen, als sie sich zeigten, und am Ende überlebten nur die, die davongerannt waren. Dram ließ die Stadt Neutrost in Flammen aufgehen: ein brennendes Scheit, das im Himmel schwebte. Er brachte die Köpfe der toten Elfen mit zurück, so daß sie auf Pfählen ausgestellt werden konnten –

eine Lektion für die Weisen und die Rechtschaffenen. Die Bevölkerung hatte applaudiert und begeistert seinen Namen gerufen, wann immer Dram danach in der Öffentlichkeit aufgetreten war. Er war der Held der Stunde. Die Menschen konnten nichts mit Terroristen anfangen, ganz besonders dann nicht, wenn die Terroristen nicht einmal richtige Menschen waren. Sie hatten Dram zum Obersten Krieger gewählt, und die Imperatorin nahm ihn für ihre eigenen Zwecke in Beschlag.

Die Pläne und Möglichkeiten der Elfen waren mit einem Schlag um Jahrzehnte zurückgeworfen worden, und selbst heute, zwölf Monate später, waren sie immer noch dabei, ihre Kräfte neu zu sammeln. Alle warteten mit angehaltenem Atem darauf, daß die Herrscherin ihren Hund erneut auf sie hetzen würde. Dram lieferte Resultate, jeder wußte das. Was hingegen kaum jemand wußte, war seine Bereitschaft, die eigenen Leute zu opfern, wenn es zur Erfüllung seiner Aufgabe nötig war. Ein Mann konnte eine rasche Karriere machen, wenn er unter Dram diente – und lange genug am Leben blieb. Was der zweite Grund war, aus dem Dram den Spitznamen Witwenmacher trug. Obwohl niemand ihn in seiner Gegenwart so nannte. Der Hohe Lord Dram hatte allein im letzten Jahr siebzehn Duelle ausgefochten, wegen alles möglichen, von offener Beleidigung bis hin zu einer erhobenen Augenbraue zur falschen Zeit, und es hatte nie auch nur einen einzigen Augenblick lang so ausgesehen, als könne er eines dieser Duelle verlieren. Was die Leute jedoch nicht davon abhielt, weiterhin zu versuchen, ihm den Garaus zu machen.

Die Versammlung der Lords haßte ihn wie die Pest, und der Adel schien bereit, jede Summe zu bezahlen, wenn es um Drams Tod ging.

Die Preise für Informationen, die den Hohen Lord kompromittieren konnten, stiegen in schwindelerregende Höhen, allerdings beinahe ohne praktische Auswirkungen. Dram besaß keinerlei offensichtliche Laster und noch viel weniger Schwächen. Die Gelüste und Ausschweifungen am Hof schienen ihn vollkommen kalt zu lassen. Er besaß keine Freunde, und seine Feinde waren tot. Seine Stimme sprach im Namen der Herrscherin, und seine Worte waren Gesetz. Männer, Frauen und Kinder wurden offen in seinem Namen getötet, wegen Verrats und kleinerer Vergehen, um andere zu entmutigen. Sein letztes bekanntes Opfer war der letzte Lord Todtsteltzer gewesen.

Sein Tod hatte die Intrigen der Lords für beinahe eine Woche zum Erliegen gebracht.

»Zurück zum Geschäft«, sagte die Imperatorin, und jedermann lauschte ihren Worten. »Wir werden jetzt die Berichte unserer Agenten entgegennehmen.«

Auf der dem Hohen Lord Dram entgegengesetzten Seite des Throns erschien ein zweiter Mann. Wie der Oberste Krieger hatte er bereits die ganze Zeit über hinter einem tarnenden Hologramm auf sein Stichwort gewartet. Löwenstein besaß eine Vorliebe für dramatische Auftritte. Der Neuankömmling trug das silberne Abzeichen der persönlichen Esper ihrer Majestät auf der Stirn und war in bleiche, unauffällige Gewänder gekleidet. Wie die Dienerinnen besaß auch der Esper keinen eigenen Willen und kein Bewußtsein mehr. Die Geheimagenten und Spione des Imperiums stellten mit Hilfe der Kräfte des Espers telepathischen Kontakt zum Hof her, und der Esper wiederholte ihre Berichte wortgetreu. Die Agenten blieben anonym, und ihre Sicherheit blieb gewährleistet. Der Gesichtsausdruck des Espers änderte sich unvermittelt, als eine fremde Persönlichkeit eindrang. Seine ganze Körperhaltung schien sich zu entspannen, als er zu sprechen begann.

»Also gut. Passen Sie auf, weil ich mich nicht wiederholen werde. Ich bin in das Zentrum der Kyberrattenbewegung eingedrungen, so weit, so gut. Ich habe keinerlei Formen von Organisation entdecken können. Sie sind nur eine Bande von Verlierern und Einzelgängern, die sich in die Rechnermatrix hacken, wo immer sich eine Gelegenheit oder ein Zugang bietet, und sich dort so lange amüsieren, wie sie nur können, bevor man sie schnappt.

Ihre politischen Ideen sind töricht, ihre Persönlichkeiten sind unterentwickelt, aber die Gefahr, die sie darstellen, ist unglücklicherweise sehr real und weit außerhalb jeder Proportion, wenn man ihre geringe Zahl betrachtet. Sie kennen sich besser mit Lektronengehirnen aus als die Leute, die sie bauen.

Wenn wir die Bande ausradieren, werden andere ihren Platz einnehmen, bevor wir auch nur blinzeln können. Mir erscheint es sinnvoller, wenn wir die im Auge behalten, die wir bereits kennen; zumindest wissen wir dann, wo wir sie finden können, wenn wir wollen. Und vielleicht gelingt es mir, sie auf eine falsche Fährte zu locken und von allem fernzuhalten, was irgendwie empfindlich ist.

Das war’s schon, Ende meines Berichts. Und wenn mir schon alle zuhören, dann möchte ich die Gelegenheit auch nutzen und sagen, daß ich sehr dankbar wäre, wenn man mich woanders hin versetzt, und zwar so bald wie möglich. Diese Kyberratten machen mich noch verrückt. Der zuckergesättigte Dreck, den sie als Nahrung bezeichnen, bringt meinen Körper zum Ausrasten, von meinen verfaulenden Zähnen ganz zu schweigen, und der Umgang mit ihnen läßt mein Gehirn verrotten. Ohne ihre Lektronen sind diese Typen nämlich nicht besonders unterhaltsam.«

Gesichtsausdruck und Haltung des Espers wechselten erneut, als der nächste Agent Bericht erstattete. Seine Physiognomie schien plötzlich schlanker, irgendwie ästhetischer, und die Körperhaltung ähnelte einem Mann, der sich in Meditationstechniken auskannte. Noch ein klein wenig entspannter, und niemand am Hof hätte sich gewundert, wenn der Esper auf und davon geschwebt wäre.

»Agent Harmonie hier. Meine Infiltration der Klon-Bewegung geht weiter. Bisher hat niemand Verdacht geschöpft. Sie bleiben mißtrauisch und fluchtbereit, aber ich mache Fortschritte. Bisher habe ich noch keine definitiven Absichten oder kriminellen Handlungen beobachten können.

Die Untergrundpolitik ist größtenteils naiv und richtungslos, weil ihnen eine wirkliche Führungspersönlichkeit abgeht.

Gesetzt den Fall, der Untergrund kann eine solche Persönlichkeit auf seine Seite ziehen – dann wird es gefährlich. Aber wie ich die Dinge im Augenblick sehe, kann ich ruhigen Gewissens berichten, daß die Klon-Bewegung eine zu vernachlässigende Gefahr für das Imperium bedeutet.«

»Ja, aber das liegt nur daran, daß du deinen Arsch in der Dunkelheit nicht ohne eine Lampe und eine Karte finden kannst«, schnappte plötzlich eine dritte Stimme. Der Esper blickte verdrießlich drein, und seine Haltung änderte sich zu einer flegelhaften Pose. »Hier spricht Agent Rapunzel vom Stab des Hohen Lords Dram. Ich hänge jetzt seit drei Jahren hier bei der Klon-Bewegung im Untergrund, und ich kann nur sagen, daß diese unnatürlichen Bastarde die wahrscheinlich größte Gefahr darstellen, mit der das Imperium sich jemals hat auseinandersetzen müssen. Sie haben viele Anhänger, ein Ziel, jede Menge Geld und technologische Unterstützung von jemandem, der weit oben in der Hierarchie stehen muß. Und wenn ich sage weit oben, dann meine ich wirklich weit oben.

Ich habe noch keine Ahnung, wer es sein könnte, aber ich arbeite daran. Egal. Diese Leute hier fordern Bürgerrechte für Klone, und sie sind darauf vorbereitet, alles zu unternehmen, um ihr Ziel zu erreichen. Gut, sie mögen vielleicht noch keinen charismatischen Führer gefunden haben, der die Dinge vorantreibt, aber wie es im Augenblick aussieht, ist das nur eine Frage der Zeit. Ich hoffe, Ihr habt mir gut zugehört! Der Ärger kommt mit Sicherheit, und ich will lebend hier raus!«

»Wir werden uns später darüber unterhalten«, sagte Lord Dram. »Und nun gebt endlich den Esper Ihrer Majestät wieder frei.«

»Gerne«, erwiderte der Agent. »Ihr würdet nicht glauben, was der Kerl für einen Müll in seinem Kopf hat. Macht hier eigentlich nie jemand sauber?«

» Auf der Stelle, Rapunzel!«

»Niemand dankt einem all die Mühe in diesem Geschäft

…«, brummte der Agent beleidigt, und dann wurde das Gesicht des Espers wieder leer und ausdruckslos.

Der Hof hatte die Auseinandersetzung schweigend mit angehört. Zusammenstöße zwischen den privaten Agenten der Herrscherin und denen des Hohen Lords Dram waren nicht ungewöhnlich, denn beide Seiten kämpften um das Ohr der Imperatorin. Ihre Arbeitgeber ermutigten die Rivalitäten noch, um sicherzustellen, daß sie weiterhin die Dinge erfuhren, die von Bedeutung waren, ob es ihnen gefiel oder nicht. Gelegentlich kam es sogar zu Schlägereien, doch bisher hatten die beiden Lager vor gegenseitiger Sabotage stets haltgemacht.

Und das obwohl der Konflikt wegen der Ächtung Owen Todtsteltzers zu einer verdammt ernsten Auseinandersetzung geführt hatte. Die Agenten der Imperatorin hatten die ganze Angelegenheit im stillen ablaufen lassen wollen, während die Leute Drams aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen die Nachricht über die gesamte Galaxis verbreitet hatten. Der daraus resultierende Streit war noch in vollem Gang.

Agenten führten ein hektisches Leben voller Gefahr und Heimlichkeiten, wechselten ihre Identitäten und selbst ihre Persönlichkeit auf der Suche nach Informationen, während sie ihre wahren Motive sorgsam verbergen mußten, und das in einem Zeitalter, in dem nichts für lange Zeit verborgen blieb.

Agenten tendierten deswegen, zu einer gewissen Exzentrizität, und sie waren sehr schnell auf den Beinen. Niemand konnte im voraus wissen, wann eine Tarnung aufflog und man bis zum nächsten Horizont flüchten mußte, während eine blutrünstige Meute einem an den Fersen klebte. Natürlich besaßen die Lords genau wie die Abgeordneten ihre eigenen Spione.

Jeder, der es sich leisten konnte, hatte seine eigenen Spione –

einschließlich manch einem, der es sich eigentlich nicht leisten konnte, weil er keine ausreichenden Mittel besaß. Am Hof der Löwenstein war Wissen Macht, ganz besonders dann, wenn man es vor allen anderen erlangte.

Die Herrscherin blickte zu Dram, und Dram blickte zur Herrscherin, und dann sahen beide wieder auf den versammelten Hof hinab. Welche Meinungsverschiedenheiten sie privat auch haben mochten – in der Öffentlichkeit traten sie immer einstimmig auf. Eine Menge Leute hatte gewaltige Summen ausgegeben, um einen Keil zwischen die beiden zu treiben, aber ohne jedes sichtbare Ergebnis. Was die Leute jedoch nicht davon abhielt, es weiterhin zu versuchen. Die Imperatorin lächelte über den versammelten Hof hinweg, und ein ahnungsvoller Schauer lief durch die Menge. Jetzt kam die Herrscherin endlich zum Kern der Sache: dem Grund, aus dem so viele von Golgathas Machern und Führungskräften an den Hof gerufen worden waren.

»Die Probleme, die Unser Reich zu bewältigen hat, werden mit jedem weiteren Tag ernster. Neue Bedrohungen durch fremde Rassen, Rebellen im Untergrund und so vieles mehr.

Und deshalb müssen Wir heute mehr als je zuvor auf der bedingungslosen Loyalität Unserer Untertanen bestehen. Wenn das Reich zerbricht, werden Milliarden sterben. Die Kolonisten auf den äußeren Welten sind auf Nachschub aus dem Kern des Imperiums angewiesen, genau wie die inneren Welten auf Rohstoffe aus den Kolonien warten. Selbst Wir hier auf Golgatha, der Heimatwelt des Imperiums, sind von anderen abhängig geworden. Kein Mensch darf in dem Bestreben nachlassen, sein Bestes zu geben – oder das System, von dem wir alle abhängen, bricht zusammen. Uns bleibt deshalb keine andere Wahl, als bis zum Ende des Jahres eine zehnprozentige Steigerung Unserer gesamten Industrieproduktion zu verlangen.«

Ein langes Schweigen entstand. Zehn Prozent! Das war noch nie dagewesen! Das bedeutete längere Arbeitszeiten für jedermann. Die Lords und Abgeordneten würden Unsummen an Geld aufbringen müssen. Die Höflinge blickten sich an.

Jemand mußte etwas sagen. Nach einer ungemütlich langen Pause, während der die Luft von unausgesprochenen Protesten schwanger war, räusperte sich der Abgeordnete von Schattentor Nord.

»Eure Majestät! Die Zeiten sind hart für uns alle. Kredite sind rar, und unsere Reserven sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Wenn wir die Produktivität wirklich auf das Niveau anheben wollten, das Ihr vorschlagt, dann bin ich überzeugt, daß die arbeitenden Kräfte revoltieren werden. Wir würden ganz ohne Zweifel mit Bummelstreiks, Arbeitsniederlegungen und sogar Sabotage konfrontiert werden. Außer natürlich, wenn Eure Majestät Gelder aus der Imperialen Schatztruhe zur Verfügung stellt, um uns durch diese unruhigen Zeiten zu helfen. Ich fürchte…«

»Furcht!« unterbrach ihn die Herrscherin. »Er sollte Uns fürchten, Abgeordneter! Er sollte um das Schicksal Unseres Reiches fürchten, wenn Unsere Regierung versagt, und Er sollte um Sein Leben fürchten, wenn Er darin versagt, Unsere Anordnungen zu befolgen. Wenn Er seine Arbeit nicht erledigen kann, dann werden Wir Ihn einsperren und exekutieren lassen; und dann werden Wir sehen, ob Seine Stellvertreter die Sache nicht besser machen. Sie sind ganz bestimmt sehr motiviert, alles zu versuchen. Haben wir uns klar genug ausgedrückt, Abgeordneter?«

»Ganz ausnehmend klar, Eure Majestät. Ich bin mir vollkommen sicher, daß niemand von uns wünscht, Eure Majestät in irgendeiner Weise zu enttäuschen.«

»Oh? Aber einige tun genau das, Abgeordneter, genau das.

Er wäre überrascht. Verräter finden sich an den unerwartetsten Stellen. Haben Wir nicht recht, Lord Sommer-Eiland?«

Die Stille war beinahe unheimlich, als alle Köpfe sich zu dem Angesprochenen umwandten. Die Leute in seiner Nähe wichen zurück, als hätte Sommer-Eiland eine ansteckende Krankheit, und einen Augenblick später stand er vollkommen allein inmitten eines freien Raums. Sommer-Eiland blickte sich langsam um. Er schien nicht sonderlich überrascht. Der alte Mann sah zu Löwenstein und lächelte schwach. Sein Blick war direkt, das Haupt stolz erhoben, und in diesem Augenblick schien er Zoll für Zoll genau der Krieger, der er immer gewesen war.

»Des einen Verräter ist des anderen Held, Eure Majestät«, erwiderte er leichthin. »Vielleicht habt Ihr einen bestimmten Namen, an den Ihr dabei denkt?«

»Vielleicht haben Wir das«, sagte die Herrscherin. »Er hat zu oft gegen Uns gesprochen, Sommer-Eiland, und Unsere Pläne zu oft durchkreuzt.«

»Ich erinnere mich an Zeiten, als es noch kein Verbrechen war, wenn ein Mann seine Meinung vertrat. Aber es ist bereits eine ganze Weile her, daß Euer Vater herrschte. Seither haben sich viele Dinge geändert.«

Löwenstein lächelte. »Er hat Unser Mißfallen erweckt, Sommer-Eiland, weil Seine zahlreichen Worte der Kritik nicht nur auf Uns selbst, sondern auf Unser Reich gerichtet waren. Können Wir uns darauf verlassen, daß Er in Zukunft von derart verräterischer Rede Abstand nimmt?«

»Seid nicht albern, Löwenstein. Ich bin ein zu alter Hund, um noch neue Tricks zu lernen, und selbst wenn ich könnte –

ich will nicht. Ich erinnere mich an die Zeit, als Ihr ein Kind wart. Ihr stecktet so voller Freude, als Ihr jünger wart. Wenn ich gewußt hätte, was einmal aus Euch werden würde… vielleicht hätte ich Euch trotzdem am Leben gelassen. Ich war immer zu weichherzig, was Kinder angeht. Ich bin der letzte aus dem Inneren Kreis Eures Vaters. Die anderen sind alle tot.

Einige starben durch Eure Hand, andere nicht. Aber das spielt keine Rolle. Sie wären entsetzt, wenn sie sehen könnten, was Ihr mit dem Imperium macht, das zu erhalten Ihr geschworen habt. Unter Euch ist Ehre zu einem schlechten Witz verkommen, und zwielichtige Geschäfte sind an der Tagesordnung.

Gerechtigkeit gibt es nur noch für die Reichen, und der Tod droht allen, die es wagen, Euch zu widersprechen. Dreizehn Generationen Eurer Blutlinie haben dieses Reich erbaut, Löwenstein, nur um mit ansehen zu müssen, wie es unter Euren eisernen Fäusten zerfällt. Ihr seid die Krebsgeschwulst im Herzen des Imperiums, die Blattlaus auf der Rose.«

Betroffenes Schweigen breitete sich aus. Niemand wagte auch nur zu atmen. Löwenstein hatte sich wütend auf ihrem Thron nach vorn gebeugt, doch dann entspannte sie sich wieder und lehnte sich zurück, bevor sie zu einer Antwort ansetzte.

»Er hat immer zu viel geredet, alter Mann. Seine eigenen Worte verurteilen Ihn. Niemand wird sagen können, daß Wir Ihm keine faire Chance gegeben hätten…«

»Ach, hört doch auf damit«, unterbrach Sommer-Eiland.

»Ihr wollt ein Exempel an mir statuieren, um andere zum Schweigen zu bringen. Das wußte ich bereits, bevor ich herkam. Schickt Euren Henkersknecht nur her, damit wir endlich anfangen können.«

Der alte Lord starrte Dram herausfordernd an, aber der Witwenmacher erwiderte seinen Blick, ohne auch nur die Hände in die Nähe der Waffen zu bewegen. Löwenstein

lächelte zuckersüß.

»Er ist es nicht wert, gegen den Kriegerprinzen anzutreten, Sommer-Eiland. Ich habe einen… geeigneteren Henker für Ihn ausgesucht.«

Sie nickte einer ihrer Dienerinnen zu, die auf die Beine sprang und die Klauenhände über den Kopf erhob. Sie klatschte zweimal, und ein dritter Mann erschien aus dem Nichts, als ein weiteres Hologramm sich abschaltete. Er stapfte durch das schlammige Wasser und näherte sich grinsend Lord Sommer-Eiland. Eine extrem schlanke Gestalt in schwarzsilberner Rüstung, mit blassem, langem blondem Haar, eiskalten blauen Augen und dem Lächeln eines Mörders. Der Mann trug an jeder Hüfte ein Schwert und bewegte sich wie ein Raubtier. Die Menge wich bei seinem Anblick entsetzt zurück, und ein leises Flüstern ging durch den Raum:

»Kid Death… Kid Death…«

Der Angesprochene grinste und nickte den Höflingen zu, und die am nächsten Stehenden wichen zurück, als hätte er eine Giftschlange in ihre Mitte geworfen. Sie wußten, wer und was er war. Jedermann am Hof hatte von Kid Death gehört, dem lächelnden Mörder. Er schlenderte langsam herbei, und das leise plätschernde Geräusch des Wassers zu seinen Füßen klang schaurig laut in der Stille. Schließlich hielt er auf Armeslänge vor dem alten Sommer-Eiland, und die beiden standen sich Auge in Auge gegenüber: der alte Mann und der junge. Der unüberwindliche Krieger und der unbezwungene Duellist.

Kid Death zog das Schwert an seiner rechten Hüfte, faßte es an der Klinge und bot es lässig dem alten Sommer-Eiland an.

Der Lord verbeugte sich förmlich, nahm die Waffe entgegen und ging in Kampfstellung. Der jüngere Mann zog die Waffe an der linken Hüfte und ging ebenfalls in Kampfstellung.

Sommer-Eiland nickte anerkennend.

»Wenigstens war all dein Training nicht verschwendet, Kid.

Du warst der beste Schüler, den ich je hatte.«

»Danke, Großvater« Die Stimme des jüngeren Mannes klang leicht und dünn.

»Noch ein Kind, aus dem nichts rechtes geworden ist. Was zur Hölle stimmt bloß nicht mit eurer Generation? Vielleicht lag es am Wasser…?«

»Ich bin genau das, was du aus mir gemacht hast, Großvater: der geschickteste Schwertkämpfer des gesamten Imperiums. Du hast meine Klinge geschärft; hast du nie Angst gehabt, daß ich sie eines Tages gegen dich erheben könnte?«

Sommer-Eiland hob das Schwert und blickte seinem Enkel fest in die Augen. »Du hast deinen Vater und deine Mutter getötet, genau wie deine beiden Brüder. Das Gesetz konnte dir nichts anhaben, weil du dich damit gerechtfertigt hast, daß es Duelle gewesen seien. Niemand konnte deine Behauptungen widerlegen. Ich hätte dich höchstpersönlich umbringen sollen, aber ich konnte es nicht. Du und ich, wir beide sind alles, was noch von den Sommer-Eilands übriggeblieben ist, Kid. Laß es nicht hier in sinnlosem Blutvergießen enden, Junge, nur um der Eisernen Hexe eine Freude zu bereiten.«

»Ich mache das hier zu meiner eigenen Freude, Großvater.

Ist es nicht so, daß der Schüler seinen Lehrer immer zu übertreffen sucht? Und da ich der Imperatorin als Mörder diene, muß ich auch dahin gehen, wo ich morden kann, nicht wahr?

Meine Eltern waren enttäuscht, daß ich mir ein solches Leben ausgesucht habe, und sie versuchten mich aufzuhalten. Also mußte ich sie erledigen. Genau wie meine Brüder, als sie kamen und auf Rache sannen. Niemand wird sie vermissen, keinen von ihnen. Sie haben wenig gewagt und noch weniger erreicht. Aber ich, ich bin der Beste der Besten, der Tod auf zwei Beinen, der Henker Ihrer Majestät persönlich, bis auf den Namen. Aber auch den werde ich mir eines Tages holen, und dann wird es einen neuen Obersten Krieger geben.«

»Du wirst nicht lange genug leben, Kid. Die Hexe wird schon dafür sorgen. Sag mir, Junge – hast du eigentlich jemals etwas für deine Familie empfunden? Ich habe sie sehr geliebt.«

»Nein, Großvater. Nicht eine Spur. Ich empfand noch nicht einmal etwas dabei, sie zu töten. Aber genug geredet, alter Mann. Der Tanz beginnt.«

Kid Death machte einen Schritt nach vorn, und sein Schwert schnitt auf der Suche nach einer Schwachstelle in der Deckung des alten Sommer-Eiland scheinbar mühelos durch die Luft. Der alte Lord parierte die Streiche des Jüngeren und bewegte sich dabei nicht mehr, als er unbedingt mußte. Die Spitze seines Schwertes war immer genau auf das Herz seines Enkels gerichtet, und seine Augen blickten kühl und ruhig.

Einige Sekunden lang umkreisten sich beide lauernd, und dann bildeten sie ein blitzendes Knäuel aus schimmerndem Stahl und aufeinanderkrachenden Klingen. Der Zusammenprall war im Bruchteil einer Sekunde wieder vorüber, und sie kreisten erneut umeinander. Auf Kid Deaths linker Wange war ein langer, tiefer Schnitt zu sehen, und ein rotes Rinnsal lief an seinem Hals herab. Sommer-Eiland hatte das erste Blut vergossen. Sein Enkel grinste breit und stürzte sich auf den alten Mann. Das Schwert des Jüngeren schien überall zugleich zu sein, und die schiere Gewalt seines Angriffs zwang den anderen zurück, Schritt um Schritt. Aber dann verharrte der alte Mann und wich keinen Millimeter mehr, egal wie hart Kid Death ihn auch bedrängte; es war als wolle er sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Ihre Schwerter prallten aufeinander, und sie standen sich Angesicht in Angesicht gegenüber, kämpften mit aller Kraft um die Oberhand. Sommer-Eilands Atem ging schwer, und sein Gesicht war rot angelaufen. Sein Enkel atmete nicht einmal schneller. Kid Death blickte dem Großvater tief in die Augen und zückte verstohlen den kleinen Dolch, der in einer verborgenen Scheide seines Ärmels steckte. Sommer-Eiland lächelte plötzlich und nickte seinem Enkel zu, und Kid Death stieß dem alten Mann die Klinge zwischen die Rippen.

Sommer-Eiland stöhnte unterdrückt und hustete Blut. Hellrote, blubbernde Blasen liefen aus seinem Mund, und alle Kraft schien ihn zu verlassen. Das Schwert polterte zu Boden, und Kid Death stieß in einer kurzen, brutalen Bewegung erneut zu. Sommer-Eiland sank auf die Knie, und sein Blut mischte sich mit dem umgebenden Wasser. Kid Death zog seine Waffe aus dem Körper des alten Mannes und beugte sich zu ihm hinunter. Er brachte sein Gesicht ganz dicht an das von Lord Sommer-Eiland.

»Du kanntest den Trick«, sagte der junge Mann leise. »Du selbst hast ihn mich gelehrt. Du wußtest, daß er kommen würde, und du hast nichts getan, um mich aufzuhalten. Warum nicht?«

»Weil ich nicht mehr leben möchte… in einem Imperium wie dem, das die Löwenstein errichtet…« Der alte Mann verstummte und spie einen Schwall Blut ins Wasser. »Und weil du… der letzte in unserer Linie bist. Wenn ich dich getötet hätte… dann wäre unsere Familie zusammen mit mir ausgestorben… Das wollte ich nicht. Jetzt bist du der Sommer-Eiland, Junge. Vielleicht machst du deine Sache besser, als ich es getan habe.«

Sein Kopf sank langsam nach vorn, als wollte er sich vor seinem Enkel verbeugen, und dann fiel er vornüber ins schlammige Wasser und blieb reglos in einer sich immer weiter ausdehnenden Lache seines eigenen Blutes liegen. Und Kid, der neue Lord Sommer-Eiland, richtete sich auf, zuckte die Schultern und wandte sich ab. »Ich habe meinen eigenen Namen, alter Mann. Den Namen, den ich mir verdient habe.

Und er gefällt mir besser als alles, was du mir geben könntest.«

Er hob sein blutiges Schwert grüßend in Richtung der Imperatorin, und sie nickte ihrem Henker majestätisch zu.

»Entferne Er sich nicht zu weit, Lord Sommer-Eiland, Es kann durchaus sein, daß Wir Seine Dienste noch einmal benötigen. Es gibt einen weiteren Verräter unter uns, mit dem Wir uns auseinanderzusetzen haben.«

Kid Death begab sich wieder neben den Thron, schob den Imperialen Esper achtlos zur Seite und begann in lässiger Manier, seine Klingen mit einem Lappen vom Blut des Großvaters zu reinigen. Der Feldglöck stand schweigend in den vorderen Reihen der Höflinge und beobachtete, wie Wachen herbeieilten und den Leichnam des alten Sommer-Eiland wegschafften. Löwenstein nickte erneut ihrer Dienerin zu, und diese erhob sich einmal mehr und klatschte in die Hände. In den Dampfschwaden hinter dem Thron erschienen zwei Wachen, die eine große, transparente Kugel vor sich herschoben.

Sie schwebte dank ihres Antigravfeldes in Hüfthöhe über dem Boden, ohne mit dem stinkenden Wasser in Berührung zu kommen. In der Kugel saß zusammengekauert ein Mann, der vor Erschöpfung den Kopf hängen ließ. Er schien Mitte Vierzig zu sein und besaß ein straffes Gesicht und eine schlanke Figur. Die goldenen Gewänder, mit denen er bekleidet war, mochten einst eindrucksvoll gewesen sein, aber inzwischen waren sie zerrissen und befleckt, größtenteils mit seinem eigenen Blut und Erbrochenem. Er trug keine Ketten, doch die transparente Kugel hielt ihn so sicher gefangen wie ein Käfig.

Ein leises Murmeln lief durch den Saal, als die in den vordersten Reihen Stehenden den neuen Gefangenen erkannten und seinen Namen flüsternd nach hinten weitergaben. Die Wachen brachten die Kugel vor dem Thron zum Halten, so daß die Herrscherin auf ihr neues Opfer herabblicken konnte. Die Geräusche im Saal verstummten wieder, als sich die Imperatorin zuckersüß und spöttisch an die Anwesenden richtete.

»Verehrte Lords, liebe Freunde! Erlaubt Uns, Euch den ehrenwerten Richter Nikolaus Wesley vorzustellen. Einst saß er dem Obersten Gericht Unseres Reiches vor, und sein Name war ein Synonym für Recht und Gesetz. Wir waren überzeugt, daß Wir ihm von all Unseren Untertanen am meisten vertrauen konnten. Wir haben Uns getäuscht. Er dachte, sein Wort wäre das Gesetz, aber er irrte sich. Es gibt nur ein Gesetz in Unserem Reich, und das ist das Unsrige. Und nachdem er seine Pflicht vergessen hatte, warf er auch noch seine Ehre in den Dreck und verbündete sich mit der falschen Sorte Mensch. Erzähl Er Uns doch, Richter: Wie lange unterstützt Er die Klon-Bewegung denn schon?«

Im dichtgedrängten Saal hätte man eine Stecknadel fallen hören können, als die Höflinge auf die Antwort des Richters warteten. Wenn es im Reich jemals einen Menschen gegeben hatte, dem alle vertraut, den alle bewundert hatten, ja, der von allen verehrt worden war, dann Richter Wesley. Seine Urteile waren von legendärer Vernunft und Wahrhaftigkeit, und die wenigen Bücher, die er geschrieben hatte, gehörten praktisch zur Pflichtlektüre der oberen Klassen. Und nun saß dieser Mann zusammengesunken in einer Stasiskugel, blutverschmiert und gedemütigt, und vielleicht gab es im gesamten Imperium keine Gerechtigkeit mehr. Langsam hob er den Kopf, als würde selbst eine so einfache Bewegung unendlich viel Kraft kosten. Irgendwann während seiner Gefangenschaft hatte man ihn übel zugerichtet. Ein Auge war vollständig zugeschwollen, und getrocknetes Blut klebte an seinen aufgeplatzten Lippen. Aber obwohl er so unendlich tief gefallen war, besaß er noch einen Rest von Würde, und als er

schließlich zu sprechen begann, klang seine Stimme ruhig und gemessen.

»Ich habe Euch achtunddreißig Jahre lang gedient, Löwenstein. Ich sprach Recht über alle, die vor mir standen. Zumindest habe ich mir das immer gesagt. Zu meiner Schande muß ich nun gestehen, daß es viel zu lange dauerte, bis ich das

Böse in Euch und Euren Gesetzen erkannte. Mein Leben war zu einer einzigen Verhöhnung dessen geworden, an das ich glaubte. Aber am Ende erkannte ich die Wahrheit, und jetzt werde ich meinen Blick nicht abwenden, selbst wenn das Licht in meinen Augen schmerzt. Ich habe eine einfache Tatsache entdeckt: auch Klone sind Menschen.«

»Nicht, bevor Wir nicht sagen, daß es so ist«, erwiderte die Herrscherin. »Aber Er hat Unsere Frage nicht beantwortet, Richter. Wie lange schon haben Wir einen Verräter an Unserer Brust gesäugt?«

Der Richter erwiderte standhaft ihren Blick und schwieg.

Die Imperatorin lächelte.

»Versteht Er, was das für ein Apparat ist, in dem Er gefangen ist, Verräter? Es ist ein Stasisfeld. In dieser Kugel vergeht die Zeit, wie Wir das befehlen. Wir können ihren Fortgang beschleunigen oder verlangsamen, ganz wie Wir wünschen.

Ein Jahr kann in einer einzigen Sekunde vergehen, oder eine Sekunde kann ein Jahr dauern. Ein einziges Augenzwinkern, und Er hat ein ganzes Jahrzehnt Seines Lebens verloren, und Er ist ein Greis in der Zeit, die es braucht, um unsere Fragen zu beantworten. Es sei denn, Er kommt zur Vernunft. Gib Er Uns die Namen des Abschaums, mit dem Er zusammengearbeitet hat, und verrate Er Uns, wo der Pöbel seine Schlupflöcher hat, und Er ist frei. Wir geben Ihm Unser Wort als Imperatorin.«

Der Richter grinste plötzlich, und frisches Blut strömte über sein Kinn, als seine Lippen erneut aufsprangen. »Euer Wort ist wertlos, Löwenstein. Ehre und Würde sind Euch fremd. Ich habe Euch nichts zu sagen.«

Die Imperatorin lehnte sich auf ihrem Thron zurück und gestikulierte knapp zu einem der Wachposten neben der Stasiskugel. Der Posten betätigte einen kleinen Regler auf einem Kontrollfeld an seinem Handgelenk, und der Richter grunzte überrascht auf, als hätte ihn jemand geschlagen. Plötzlich begann sein Haar zu wachsen, und dichte weiße Strähnen erschienen darin. Tiefe Falten gruben sich in sein Gesicht. Seine Gestalt schrumpfte merklich, und seine Hände alterten zu Klauen. Er stöhnte vor Schmerzen, als Arthritis seine Gelenke befiel. Löwenstein hob eine Hand, und der Alterungsprozeß hörte auf. Innerhalb weniger Augenblicke waren in der Kugel vierzig Jahre vergangen.

»Sprich Er mit Uns, Nikolaus. Das ist die letzte Gelegenheit, die Wir Ihm anbieten können. Ist Er wirklich willens zu sterben, um Kreaturen zu schützen, die nicht einmal menschlich sind?«

Richter Nikolaus Wesley bedachte die Herrscherin mit einem Lächeln, in dem bereits der Totenschädel zu erahnen war. »Selbst der niedrigste aller Klone ist mehr wert als Ihr, Löwenstein.«

Die Herrscherin machte eine wütende Handbewegung, und die Zeit raste durch das Stasisfeld der Kugel wie der Sand durch ein Uhrglas. Der Richter verwandelte sich in einen gebrechlichen Greis. Sein Haar fiel aus, und seine Haut wurde fleckig. Sein Gesicht magerte zum Schädel ab, als die Knochen sich durch die zusammenschrumpfende Haut drückten.

Und noch immer hatte er nichts zu sagen. Die Zeit verging.

Der Richter starb, und sein Körper zerfiel. Schließlich war nichts mehr im Stasisfeld zu sehen bis auf seine verwitterten Gewänder und ein paar Knochen, die sich allmählich in Staub auflösten. Die Wache schaltete das Stasisfeld ab, und die Kugel löste sich auf. Die Überreste des Richters fielen in das schwarze Wasser und versanken darin.

Im Vorzimmer saßen Kapitän Schwejksam und Investigator Frost. Man hatte sie in ein Kraftfeld gesperrt und in Ketten gelegt. Das Kraftfeld schimmerte an den Rändern des Sichtfelds, wohin man den Blick auch wandte. Das Vorzimmer wirkte auf diese Weise unecht und geisterhaft. Schwejksam ließ sich dadurch nicht täuschen. Die Gefahr, in der er und Frost schwebten, war allzu real. Er hatte sein Schiff verloren und den vogelfreien Todtsteltzer entkommen lassen. Er hätte ehrenhaft auf seiner Brücke sterben sollen, als das Schiff auf den Planeten stürzte. Sein Clan hätte seinen Tod betrauert, und alles wäre vorüber gewesen. Aber Investigator Frost hatte aus ihm unerfindlichen Gründen darauf bestanden, sein Leben zu retten, und jetzt saß er hier. In Ketten gelegt. An Händen, Füßen und Kehle. In ausreichend Ketten, um ein ganzes Dutzend Männer festzuhalten. Und all das nur, um zu sehen, welch interessante und ganz besonders schmerzhafte Todesart die Imperatorin sich für ihn ausgedacht hatte.

Offiziell hatte man ihn vor ein Kriegsgericht zitiert, wo ein Ausschuß aus Peers und Offizierskameraden ein Urteil fällen sollte. Aber das Wort der Herrscherin hatte den Vorrang vor allem anderen, und wenn sie es so wollte, dann besaß sie auch das Recht, sich als erste mit ihm zu beschäftigen. Andererseits hätte er von einem Kriegsgericht bestenfalls einen schnellen Tod erwarten können. Schwejksam rüttelte an seinen Ketten und rümpfte die Nase. Minderwertige Qualität, aber trotzdem vollkommen ausreichend, um ihn auch ohne Kraftfeld festzuhalten. Er würde nirgendwohin gehen. Es gab sowieso keinen Ort, an den er gehen könnte. Keinen Ort, an dem die Imperatorin ihn nicht finden würde. Und als Gesetzloser hätte er sowieso nicht leben wollen. Andauernd auf der Flucht, andauernd den Blick über die Schulter nach hinten gerichtet, um zu sehen, ob sie bereits hinter einem her waren. Kein Frieden.

Keine Chance für Glück, geschweige denn Ehre. Schwejksam seufzte schwer, nicht zu ersten Mal, und blickte Investigator Frost an, die neben ihm saß. Die Gefangenenwärter hatten sich etwas Besonderes für Frost ausgedacht und sie mit dicken stählernen Ketten behängt, unter deren schierem Gewicht ein normaler Mensch zusammengebrochen wäre. Doch Frost ignorierte ihre Fesseln. Sie saß stolz und aufrecht auf der hölzernen Bank, als wäre es ihre eigene Idee gewesen hierherzukommen. Das Kraftfeld diente hauptsächlich dem Zweck, Frost festzuhalten. Sie war ein weiblicher Investigator. Niemand wollte etwas dem Zufall überlassen.

Vor den verriegelten Doppeltüren zum Hof hatten zwei Wachen Posten bezogen und warteten auf das Signal, die Gefangenen hineinzuführen. Die Soldaten waren groß und hart und wirkten extrem kompetent. Schweiksam hatte seine Zweifel, ob er gegen sie bestehen könnte, selbst ohne Ketten und mit einem Schwert in der einen und einer Granate in der anderen Hand. Er seufzte erneut, und seine Ketten rasselten traurig.

»Ich wünschte, Ihr könntet damit aufhören«, sagte Frost.

»Tut mir leid. Aber was soll ich sonst machen?«

»Man wird uns bald aus dem Kraftfeld entlassen.«

»Was macht das für einen Unterschied, Investigator? Wir können nirgendwohin fliehen.«

»Ihr solltet nicht resignieren, Kapitän. Es gibt immer Möglichkeiten.«

Schwejksam blickte sie an. »Ist das der Grund, aus dem Ihr mich auf der Brücke der Sturmwind gerettet habt?«

»Selbstverständlich, Kapitän.«

»Na, dann jedenfalls schönen Dank. Aber ich verzeihe Euch, Frost. Zum damaligen Zeitpunkt muß es Euch als eine gute Idee erschienen sein.«

Frost bewegte sich, und ihre Ketten rasselten. Die bewaffneten Posten blickten aufmerksam zu ihr hinüber. »Ich habe nur meine Pflicht erfüllt, Kapitän.«

»Bedeutet das vielleicht, daß Ihr nicht fliehen würdet, wenn sich eine Gelegenheit dazu ergibt?«

»Selbstverständlich würde ich fliehen, Kapitän. Ich bin loyal, aber das heißt nicht, daß ich dumm bin. Wir müssen unsere Augen offenhalten und bereit sein. Es gibt immer Möglichkeiten.«

Und dann schwangen die schweren Doppeltüren ein Stück auf, und die beiden bewaffneten Posten setzten sich in Richtung der Gefangenen in Bewegung. Einer zog seinen Disruptor und richtete ihn bedeutungsvoll auf Investigagor Frost.

Schwejksam fühlte sich irgendwie beleidigt. Der zweite Posten beschäftigte sich mit den Kontrollen an seinem Handgelenk, und das Kraftfeld verschwand. Schwejksam tauschte einen Blick mit Frost.

»Wenn Ihr einen Vorschlag oder eine Idee habt, dann wäre jetzt ein wirklich verdammt guter Zeitpunkt, um mich einzuweihen.«

»Wir könnten unsere Ketten benutzen und jeden totschlagen, der uns zu nahe kommt.«

»Gute Idee. Dann werden sie uns wenigstens schnell töten.

Überlegt weiter, Investigator.«

Die Wachen bedeuteten Frost und Schwejksam, durchs

geöffnete Portal vor den wartenden Hof zu treten. Sie hielten sich in sicherem Abstand von den Gefangenen, und beide hatten ihre Disruptoren auf Frost gerichtet. Schwejksam nahm seine Ketten auf und erhob sich unbeholfen. Er benötigte einen Augenblick, um sein Gleichgewicht wiederzufinden, als sich die schwere Last verlagerte; dann stolperte er in Richtung der Doppeltür. Er bezweifelte, daß er überhaupt einen Schritt hätte gehen können, wenn er keine Erfahrungen auf Planeten mit hoher Gravitation gesammelt hätte. Die Wachen würden sich köstlich amüsiert haben. Sie suchten nur nach einer Ausrede, um ihn erneut windelweich zu prügeln. Schwejksam biß die Zähne zusammen und blieb in Bewegung. Frost stapfte neben ihm her, mit geradem Rücken und hocherhobenem Kopf. Sie ignorierte ihre Ketten, als wären sie nur einer der vielen Partyscherze, die heutzutage so beliebt waren. Trotzdem war sie höflich genug, neben Schwejksam zu bleiben.

Und das machte alles irgendwie noch schlimmer.

Sie passierten das offenstehende Portal und befanden sich unvermittelt in knöcheltiefem dreckigem Wasser. Schwejksam war nicht in der Verfassung, daß es ihn noch gekümmert hätte. Nur eine weitere Demütigung, mehr nicht. Er platschte durch den Morast und kämpfte darum, den Kopf oben zu halten. Der Hof war gerammelt voll. Man schien eine wirklich äußerst unangenehme Exekution zu erwarten. Vor ihm bildete sich eine schmale Gasse, als Menschen sich zurückzogen, damit man sie nicht durch bloße Nähe mit ihm oder Frost in Verbindung bringen konnte. Schwejksam scherte sich nicht darum. Wenigstens schrien oder spuckten sie ihn nicht an und bewarfen ihn nicht mit Gegenständen. Obwohl er es bei näherer Betrachtung vorgezogen hätte, ein wenig angeschrien zu werden. Die drückende Stille begann allmählich an seinen Nerven zu zerren. Er stolperte weiter, Frost an seiner Seite, die Wachen in respektvollem Abstand dahinter. Schwejksam mußte sich anstrengen, um über die versammelten Höflinge zu blicken, und sie erwiderten seinen Blick mit einem erwartungsvollen Ausdruck. Schwejksam kam der Gedanke, daß die Eiserne Hexe bestimmt nicht so viele wichtige Leute an den Hof bestellt hatte, nur damit sie Zeugen des Todes von Frost und ihm wurden. Sie mußten sich aus einem anderen, wichtigeren Grund hier versammelt haben. Was darauf schließen ließ, daß es vielleicht wirklich noch Möglichkeiten für ihn geben mochte.

Schließlich kamen Schwejksam und Frost vor dem Thron der Imperatorin zum Halten. Schwejksam hatte ein Gefühl, als müßte er jeden Augenblick umfallen, doch er zwang sich dazu, trotz der Ketten aufrecht zu stehen. Er war sicher, daß jetzt wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt war, um Schwäche zu zeigen. Frost stand neben ihm. Sie wirkte ruhig und gefaßt wie immer. Im tieferen Wasser, nicht allzu weit von den beiden Gefangenen entfernt, rührte sich etwas. Schwejksam überlegte kurz, ob unter der undurchsichtigen Oberfläche etwas Lebendes lauerte. Etwas Hungriges. Die Eiserne Hexe war vollkommen vernarrt in diese Art von kleinen Scherzen.

Es spielte eigentlich keine Rolle. Nicht wirklich. Wenn es zu nahe kam, würde Frost sich schon darum kümmern.

Schwejksam erwiderte Löwensteins Blick, und sie lächelte ihn kalt an. Er verbeugte sich, so gut er konnte. Sie war trotz allem seine Herrscherin. Frost blieb aufrecht stehen. Eine der Wachen machte mit erhobener Waffe einen Schritt nach vorn, um sie auf die Knie zu prügeln. Das war ein Fehler. Frost spannte sich und trat mit steifem Bein aus. Ihre Stiefelspitze erwischte den Wächter in den Eingeweiden, und er hatte gerade genug Zeit für ein überraschtes Grunzen, bevor er in die hinter ihm wartende Menge flog. Gemeinsam fielen sie in das schmutzige Wasser, und laute Flüche erklangen durch das spritzende Geräusch hindurch. Der Wächter kam nicht wieder auf die Beine, ebenso wie einige der Höflinge, die er bei seinem Aufprall mit sich gerissen hatte. Schwejksam mußte unwillkürlich grinsen. Man konnte sich darauf verlassen, daß Frost Eindruck machte, wo sie auch auftrat. Für kurze Zeit erhob sich lautes Protestgeschrei in der umgebenden Menge, aber als die Herrscherin ihre Höflinge schweigend anfunkelte, wurde es rasch wieder still. Dann wandte sie den Blick zu Frost und Schwejksam, und der ehemalige Kapitän der Dunkelwind sah überrascht, daß die Eiserne Hexe noch immer lächelte. Es dauerte einen Augenblick, bis er bemerkte, daß ihm das Lächeln überhaupt nicht gefiel.

»Laß Sie Unsere Wachen in Frieden, Investigator. Tu Sie Uns den Gefallen. Es ist entsetzlich kostspielig, sie zu ersetzen. Laß Sie sich versichert sein, daß Sie sich nicht in Gefahr befindet. Die Ketten sind eine reine Formalität.«

»Eine recht schwere Formalität, Eure Majestät«, sagte Schwejksam. »Dürfte ich erfahren, aus welchem Grund wir hier sind?«

»Wir haben eine Verwendung für Ihn, Kapitän Schwejksam.

Wir sind sehr verärgert über Ihn und Investigator Frost. Ihr habt ein ganz vorzügliches Sternenschiff verloren und darin versagt, den Kopf des elenden Verräters Owen Todtsteltzer herbeizuschaffen. Wir wünschen Uns seinen Kopf, koste es, was es wolle. Wir werden ihn auf einen Pfahl spießen, genau hier am Hof, damit jedermann sehen kann, was mit denen geschieht, die es wagen, sich Uns zu widersetzen, ganz gleich, welches Ansehen sie genießen. Wir hatten geplant, Euch einen langsamen, qualvollen Tod zu bescheren, als Warnung für die, die Uns durch ihr Versagen zu enttäuschen wagen, aber

… Wir haben Unsere Meinung geändert. Wir haben Verwendung für Euch.«

Jetzt kommt’s, dachte Schwejksam. Am liebsten hätte er sich geduckt.

»Er hat Uns sehr erfreut mit der Art und Weise, wie Er die Bedrohung der Fremdrassigen auf Unseeli gehandhabt hat, sowohl damals, vor zehn Jahren, als auch vor erst kurzer Zeit.

Der Aufstand war eine Bedrohung für die Stabilität des Imperiums, aber Er hat dem Einhalt geboten, und den Fremdrassigen gleich mit. Und Er hat außerdem das fremde Raumschiff entdeckt, das kürzlich abstürzte, und Sich mit seinem Insassen beschäftigt, bevor dieser Kontakt mit seinesgleichen aufnehmen und sie vor Unserer Existenz warnen konnte. Dafür, und für andere Dienste, die Er Uns erwiesen hat, sei Er Unserer Dankbarkeit und der Vergebung all Seiner Verbrechen versichert.«

Die Menge spendierte mehr oder weniger spontanen Beifall, als der verbliebene Wächter die Kontrollen an seinem Handgelenk aktivierte und die Vorhängeschlösser eins nach dem anderen aufsprangen, wie eine Reihe von Knallfröschen, und die Ketten von Schwejksam und Frost abfielen. Sie fielen in das schlammige Wasser und waren verschwunden, als hätten sie nie existiert. Schwejksam rieb behutsam seine tauben Handgelenke, während sein Verstand raste. Löwenstein hatte genausoviel verschwiegen, wie sie gesagt hatte. Kein Wort von dem neuartigen Hyperraumantrieb im Wrack des fremden Raumschiffs. Sicher hatte sie jede Menge guter Gründe dafür.

Erstens war es nicht gut, wenn der Hof in Erfahrung brachte, daß die Fremden eine Technologie besaßen, die – zumindest in einigen Bereichen – der des Imperiums überlegen war. Und zweitens: Solange der Hof der Meinung war, daß die Wissenschaftler der Imperatorin die Produktion des neuen Antriebs kontrollierten, würde niemand es wagen, sich ihren Wünschen zu widersetzen, aus Furcht, keinen Zugang zur neuen Technologie zu erhalten. Beides waren für sich allein genommen sehr gute Gründe, Frost und ihn zum Schweigen zu bringen. Etwas braute sich über ihnen zusammen, das spürte er ganz deutlich.

Gleich würde es kommen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

»Hiermit setzen Wir Euch wieder in Euren Rang ein, Kapitän Schwejksam und Investigator Frost«, fuhr die Herrscherin beinahe nebensächlich fort. »Wir werden Euch ein neues Schiff geben, das mit dem neuen Hyperraumantrieb ausgerüstet ist, die Unerschrocken. Er wird sich gemeinsam mit Investigator Frost zum Planeten Grendel begeben und die Gewölbe der Schläfer öffnen.«

Ein erschrecktes Keuchen ging durch die versammelten Höflinge. Jeder erinnerte sich nur zu gut daran, was geschehen war, als man den Planeten entdeckt hatte. Grendel hatte unbewohnt ausgesehen, wie geschaffen zur Besiedelung. Aber tief unter der Oberfläche war eine Gruppe von Investigatoren auf die lange verlassenen Überreste einer großen Stadt

gestoßen, die von extraterrestrischen Wesen errichtet worden war, und man hatte massive stählerne Gewölbe entdeckt, die älter waren als alles, was man sich denken konnte. Die Investigatoren hatten eines der Gewölbe geöffnet, und die Schläfer waren erwacht.

Grauenhafte Kreaturen, Fleisch und Blut gewordene Alpträume mit Panzern aus Silizium, die irgendwie angewachsen zu sein schienen. Sie waren groß und bewegten sich mit unglaublicher Geschwindigkeit, und sie besaßen metallene Klauen und Kiefer. Innerhalb von Minuten hatten sie die gesamte Gruppe von Investigatoren ausgelöscht. Das Imperium entsandte erfahrene Landetruppen auf den Planeten, Kampfesper und sogar Wampyre. Sie starben alle. Zum Glück besaßen die Fremden keine eigenen Raumschiffe, und so steckten sie auf dem Planeten fest. Die Flotte zog sich über Grendel zusammen und verbrannte den Planeten aus dem Orbit heraus. Seither stand Grendel unter Quarantäne und wurde von einem halben Dutzend Imperialer Sternenkreuzer bewacht. Es gab noch weitere Gewölbe und weitere Schläfer, und das Imperium verspürte nicht den Wunsch, sie durch irgend jemanden wecken zu lassen.

Offensichtlich hatte sich das nun geändert. Bestürzt schüttelte Schweijksam den Kopf. Grendel. Fast hätte er sich lieber exekutieren lassen.

»Darf ich erfahren, warum wir diese Büchse der Pandora wieder öffnen sollen, Eure Majestät?«

»Selbstverständlich, Kapitän. Er wird die Gewölbe von Grendel eines nach dem anderen öffnen und erforschen – mit allen Mitteln, die Ihm angemessen erscheinen –, wie die Schläfer gezähmt und dressiert werden können. Ihm werden dazu unbeschränkte Mittel, Waffen und Männer zur Verfügung gestellt. Setz Er ein, was auch immer Ihm als notwendig erscheint, um Seine Aufgabe zu erfüllen. Wir beabsichtigen, die Schläfer in Unserem bevorstehenden Konflikt mit den neu entdeckten Fremdrassen als Stoßtruppe einzusetzen. Hat Er noch weitere Fragen?«

»Bleibt mir genügend Zeit, um vor der Abreise ein Testament aufzusetzen?« fragte Frost.

Die Herrscherin lachte auf und winkte mit einer lässigen Handbewegung weitere Wachen herbei. »Eskortiert den Kapitän und Investigator Frost zu ihrem neuen Schiff. Achtet darauf, daß sie auf dem langen Weg nicht verlorengehen.«

Schwejksam verbeugte sich, und er und Frost verließen den Hof hocherhobenen Hauptes, wobei sie ihr Bestes gaben, das Dutzend schwerbewaffneter Wachen zu ignorieren, das sie eskortierte. Schwejksam schüttelte reumütig den Kopf, als er draußen war. Nicht nur, daß die Eiserne Hexe ihn vor eine beinahe unlösbare Aufgabe gestellt hatte, bei der Investigator Frost und er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Leben verlieren würden, nein, sie hatte auch sichergestellt, daß er keine Gelegenheit haben würde, vorher den Mund über die Herkunft des neuen Hyperraumantriebs zu öffnen. Löwenstein fehlte es nicht an Schläue und Gerissenheit, was zumindest teilweise der Grund war, warum sie noch immer herrschte.

Löwenstein wartete, bis Frost und Schwejksam gegangen waren, dann wandte sie sich wieder lächelnd an ihre Höflinge.

»Wir hoffen, es ist nun jedermann klar, welch schwere Anstrengungen Wir unternehmen, um das Reich zu schützen?

Gut. Wir werden das Imperium gegen alle Feinde verteidigen, ob von außen oder von innen. Macht keine Fehler, höchst verehrte Lords und Ladies und liebe Freunde. Der neue Raumschiffantrieb gibt Unserer Imperialen Flotte unschlagbare Vorteile gegenüber jedem, der sich Uns entgegenzustellen wagt. Unsere Feinde werden fallen. Es gibt keinen Ort in der gesamten Galaxis, an dem sie sich vor Uns verbergen können.

Wir werden ihnen überallhin folgen und sie stellen. Unser Wille wird geschehen.

Haben Wir noch weitere Fragen zu klären?«

Plötzlich explodierte die Decke hoch über der Halle, und Trümmer regneten durch den wabernden Dunst herab. Die Dienerinnen sprangen auf und schützten den Leib der Imperatorin mit ihren eigenen Körpern. Scharfkantige Bruchstücke schnitten in ihr blasses Fleisch, und Blut floß, doch die Dienerinnen zuckten nicht einmal. Die Höflinge wurden von Panik erfaßt, und alles lief und rannte voller Furcht und Verwirrung hierhin und dorthin. Der Hohe Lord Dram zog Schwert und Disruptor und blickte sich suchend nach Feinden um. Aus dem Rauch und Nebel über dem Thron fiel ein Dutzend Seile, an denen in Ketten und Leder gekleidete Männer und Frauen herabrutschten. Sie erreichten das Wasser am Boden und wichen rasch zur Seite, um anderen Platz zu machen, die ihnen folgten. Dram blickte in die Läufe von einem Dutzend Pistolen, die seiner eigenen gegenüberstanden; trotzdem blieb er ruhig. Die Neuankömmlinge bedeuteten ihm durch Gesten, seine Waffen niederzulegen, und er folgte der Aufforderung.

Mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete er, wie Schwert und Pistole im schwarzen Wasser versanken und verschwanden.

Kid Sommer-Eiland ließ sein Schwert sinken, bevor er dazu aufgefordert werden konnte. Die Dienerinnen rückten ein wenig von Löwenstein weg und formten einen defensiven Kreis um ihre Herrin. Sie beobachteten die Eindringlinge aus kalten Insektenaugen. Die Höflinge schrien und redeten wild durcheinander, und ein Wort war deutlich über dem ganzen Durcheinander zu hören.

Elfen… die Elfen haben uns gefunden…

»Lang lebe die Esper-Liberations-Front!« rief einer der Eindringlinge, eine junge Frau in abgewetzter Lederkleidung und mit viel zu vielen Ketten um den Hals. Sie war klein und kräftig, und auf ihren nackten Oberarmen zeigten sich schwellende Muskeln. In ihr langes schwarzes Haar waren Dutzende von Bändern geknotet. Wenn nicht das Feuer des wahren Fanatikers in ihren Augen gebrannt hätte, dann mochte man sie durchaus als attraktiv bezeichnet haben. Andere Elfen versammelten sich um sie. Die eine Hälfte hielt ihre Waffen auf die Höflinge gerichtet, die andere zielte auf den Thron. Löwenstein beobachtete die Szene schweigend von ihrem Platz hinter den Dienerinnen. Ihre Augen funkelten in nackter Wut, aber weder sie noch Dram noch sonst irgend jemand am Hof war dumm genug, um angesichts der Energiewaffen der Elfen Widerstand zu leisten.

Die Esper-Terroristen sahen hart und mitgenommen aus, aber die Ketten, die ihre Lederkleidung zusammenhielten, waren frisch poliert, und sie trugen helle Farben auf den Gesichtern und im Haar. Die meisten waren noch sehr jung, manche kaum zwanzig, aber alle zeigten Narben auf der nackten Haut. Die Herrscherin sprang sehr hart mit ihren Espern um. Deshalb starben so viele oder verschwanden im Untergrund. Die meisten starben. Es gab nur sehr wenige alte Esper. Die Elfe mit den vielen Bändern im Haar trat vor und verbeugte sich spöttisch vor dem versammelten Hof.

»Verzeiht bitte die Unordnung, aber ein guter Auftakt ist so entsetzlich wichtig. Und jetzt: Seid bitte brave Jungen und Mädchen und tut, was man euch gesagt hat. Dann kommt ihr mit intakten Organen und all euren Gliedern wieder nach Hause. Wenn ihr uns ärgert, denken wir uns wirklich spaßige Dinge aus, die wir mir euch veranstalten. Und einige von uns haben einen ziemlich ekelhaften Sinn für Humor. Das kommt davon, wenn man als Vogelfreier leben muß.«

Sie wandte sich um und blickte zu Löwenstein. »Nur ruhig, meine Liebe. Wir haben nicht vor, dir etwas anzutun. Wir sind wegen einem der unseren gekommen. Steigst du freiwillig von deinem Thron, oder soll ich dir lieber in deinen kaiserlichen Arsch treten?«

Löwenstein erhob sich und stieg mit eisiger Würde ins Wasser hinab. Die Dienerinnen bewegten sich auf der Stelle, um ihre Herrin wieder abzuschirmen. Die Elfe ignorierte sie und kniete neben dem Thron nieder. Sie ließ ihre Hände tastend über das schwarze, jadegeschmückte Eisen gleiten.

»Hat Sie einen Namen, Verräterin?« wollte die Eiserne Hexe wissen.

»Stevie Blue. Höchst unerfreut, dich kennenzulernen.«

»Unsere Wachen werden jeden Augenblick eintreffen. Sie kann nicht entkommen.«

»Deine Wachen werden im Augenblick von unseren Kameraden hinters Licht geführt. Deine einzigen Beschützer sind diese armen geistlosen Kreaturen, die du als Dienerinnen bezeichnest, und der ESP-Blocker, der in deinem Thron eingebaut ist. Ah, da ist er ja schon.«

Sie schob ein Paneel zur Seite, und eine Nische kam zum Vorschein. Vorsichtig entnahm sie einen transparenten Würfel von der Größe ihres Kopfes. ESP-Blocker waren ziemlich einfache Geräte: Das lebende Gehirn eines Espers, vom Körper abgetrennt und in einer Nährlösung gehalten. Die Stirnlappen wurden konstant durch Schwachstrom stimuliert und hielten das Gehirn wach und bei Bewußtsein. Es benutzte sein ESP zu dem einzigen Zweck, andere Esper in der Umgebung zu blockieren. Nur eine weitere Hölle, die die Eiserne Hexe sich ausgedacht hatte, und die einzige wirksame Verteidigung gegen einen abtrünnigen Esper. Oder einen Elf.

Stevie Blue hob den Würfel hoch über den Kopf und schmetterte ihn mit brutaler Kraft gegen eine Armlehne des Throns. Der fragile Behälter zersplitterte, und das Gewebe des darin gefangenen Gehirns zerfiel. Die grauen Klumpen rutschten an der Seite des Throns herab und tropften ins Wasser.

»Ruhe in Frieden, mein Freund«, sagte Stevie leise. »Der Kampf geht weiter.« Sie richtete ihren Blick wieder auf Löwenstein. »Eine Seele weniger in der Hölle, die du geschaffen hast.«

Löwenstein grinste. »Kein Problem. Es gibt noch mehr davon. Spender sind reichlich vorhanden.«

Sie brach ab, als die Elfe einen Schritt auf sie zu machte.

Stevie Blue blickte die Imperatorin kalt an. »Ich könnte dich jetzt töten, Hexe. Jeder von uns könnte das. Wir sehnen uns so nach deinem Tod, daß wir ihn kaum erwarten können. In der Nacht träumen wir davon und erwachen mit neuen Plänen, wie wir es anstellen sollen. Eines Tages werden wir dein kostbares Imperium Stein für Stein auseinandernehmen, bis es keinen Ort mehr gibt, an dem du dich verkriechen kannst, und dann werden wir dich holen. Aber wenn wir dich jetzt und hier töten würden, während du schwach und hilflos bist, dann würde dich jemand anderes aus deiner korrupten Blutlinie ersetzen und massive Vergeltung an der Gemeinschaft der Esper üben. Tausende würden sterben, und Millionen würden leiden. Aber wir werden nicht gehen, ohne ein Zeichen unserer Gefühle für dich zurückzulassen. Deshalb haben wir ein kleines Geschenk mitgebracht.«

Die Elfe streckte die Hand aus, und jemand reichte ihr eine große Sahnetorte. Stevie Blue mußte grinsen, als sie das schockierte Gesicht der Imperatorin bemerkte. Dann nahm sie Maß und warf die Torte mit einer spielerischen Bewegung mitten ins Gesicht der Eisernen Hexe. Die Imperatorin schwankte einen Schritt zurück und riß die Hände hoch.

Stevie lachte. »Jeder würde verstehen, wenn du eine Belohnung auf uns aussetzt, weil wir versucht haben, dich zu ermorden. Aber wegen einer Torte in der kaiserlichen Fresse?

Steht dir übrigens verdammt gut. Du solltest eigentlich immer so rumlaufen. Mach’s gut, Löwenstein. War uns kein Vergnügen.«

Löwensteins Augen funkelten hinter dicken Sahneschichten, als sie mit dem Finger auf die Elfen deutete. »Tötet sie! Tötet alle!«

Die Dienerinnen sprangen gehorsam auf und stürzten vor.

Stählerne Klauen schossen unter ihren Fingernägeln hervor.

Die Elfen rückten in Erwartung des Angriffs zusammen und setzten ihre Fähigkeiten ein. Stevie Blue hüllte sich in Feuer, lebende Flammen alles versengender Hitze, aber die Dienerinnen stürzten sich dennoch auf sie. Sie waren unempfindlich gegen Schwächen wie Furcht oder Schmerz. Stevie verschwand unter den Krallen der Angreiferinnen, und die anderen Elfen stürzten herbei, um ihr zu helfen. Die Dienerinnen teilten sich auf, um sie zu empfangen. Sie fielen über die ersten beiden Elfen her und zerrissen sie förmlich mit ihren unnatürlichen Kräften. Blut spritzte in hohem Bogen durch die Luft, während die Elfen schrien und starben. Einer der Esper gestikulierte verzweifelt, und plötzlich hielten die Dienerinnen inne, als wären sie gegen eine unsichtbare Wand geprallt.

Doch dann schien die Wand zusammenzubrechen, und sie stürzten wieder vor. Stevie Blues Flammen flackerten auf und verloschen. Löwenstein lachte laut und nahm wieder auf ihrem Thron Platz.

»Ihr habt doch nicht wirklich geglaubt, Wir würden Unsere Sicherheit nur diesem einen einzigen ESP-Blocker anvertrauen, oder etwa doch?«

Die letzten Worte mußte sie brüllen, um die kreischenden Schreie der Elfen zu übertönen, als die Dienerinnen unter ihnen zu wüten begannen. Disruptoren feuerten, aber die Leibwächterinnen der Eisernen Hexe bewegten sich zu schnell, um getroffen zu werden, und als sie mitten unter den Elfen waren, wurde es zu gefährlich, die Energiewaffen einzusetzen. Die Dienerinnen stürzten sich auf die Elfen wie Wölfe auf eine Schafherde. Große Stücke wehrlosen Fleisches wurden von klauenbewehrten Händen aus den Leibern ihrer zuckenden Opfer gerissen und verschwanden in gierigen Mündern. Die Dienerinnen waren hungrig. Ein Esper steckte seine Waffe in den Mund einer Dienerin und feuerte. Ihr Kopf explodierte, und blutige Splitter und Gewebestücke flogen durch die Gegend. Hinter dem Esper erschien eine weitere Dienerin und schlang ihre Arme um seinen Leib. Die Rippen des Espers brachen und wurden nach innen gepreßt, wo sie sein Herz und seine Lungen durchbohrten. Die überlebenden Elfen versuchten zu fliehen, doch ihre Verfolgerinnen schienen überall zu sein. Ein Elf nach dem anderen fiel, bis am Ende nur noch ein Mann übrig war. Er rannte in Richtung des Throns und versuchte, seinen Disruptor abzufeuern, aber der Energiekristall war noch nicht wieder aufgeladen. Er warf die nutzlose Waffe weg und zog sein Schwert, als eine Dienerin ihn ansprang und ins Wasser hinunterzog. Sie tauchte ihn unter und beobachtete teilnahmslos, wie er ertrank. Der Elf kämpfte und sträubte sich, und plötzlich schoß sein Schwert aus dem Wasser und schlitzte den Bauch der Dienerin auf. Die Gewalt des Hiebs warf sie zurück, und der Esper schoß prustend aus dem Wasser. Er heftete seinen Blick auf Löwenstein und hob erneut sein Schwert. Der Terrorist setzte sich eben in Bewegung, als die tödlich verletzte Dienerin ihn von hinten ansprang. Sie konzentrierte sich auf das, was man ihr beigebracht hatte, und die Splitterbombe in ihrer Bauchhöhle wurde ausgelöst. Die Macht der Explosion zerfetzte die beiden Leiber, und regneten Knochensplitter und Blut durch die Halle.

Langsam senkte sich eine unheimliche Stille auf den Hof herab, nur durchbrochen vom Geräusch der vier überlebenden Dienerinnen, die sich gierig auf die Leichen der Elfen gestürzt hatten und fraßen. Löwenstein winkte ihnen, und sie scharten sich mit blutigen Klauen und Gesichtern um den Thron wie Hunde, die von ihrer Beute zurückgerufen worden waren. Die Herrscherin blickte von ihrem Thron herab auf Stevie Blue, die geschlagen und blutend am Fuß des Throns im Wasser kauerte. Die Elfe schaffte es, ihr Schwert zu ziehen, aber ihre Hand zitterte vor Schmerzen. Sie stolperte entschlossen und mit zusammengepreßten Lippen vorwärts. Dram trat hinter sie und durchbohrte sie mit seinem Schwert.

Stevie Blue sank auf die Knie. Sie wimmerte, und Blut trat auf ihre Lippen. Dram zog sein Schwert aus ihrem Leib, und sie schüttelte sich, als wäre ihr plötzlich kalt geworden. Löwenstein erhob sich von ihrem Thron und stieg zu Stevie Blue hinunter. Sie kniete vor der Elfe nieder, einen verzierten silbernen Dolch in der Rechten, und beugte sich hinunter, bis ihr Gesicht ganz dicht vor dem der Elfe war.

»Hat Sie Uns nichts mehr zu sagen, Elfe? Wie schwach Wir doch sind, oder wie schlau Sie ist? Keine letzte Erklärung mehr für Ihre Sache?«

Stevie erschauerte aufs neue. Blut lief an ihrem Kinn herab.

Als sie schließlich sprach, konnte nur die Imperatorin ihre Worte hören.

»Ich werde wiederkommen. Es gibt viele wie mich. Eine wird dich kriegen. Du sollst in der Hölle schmoren, Hexe.«

Löwenstein stieß ihre Klinge mit einer geschickten Bewegung ins Herz der Elfe und nahm den Todeshauch der anderen genießerisch wie eine Feinschmeckerin in ihrem Mund auf.

Sie zog den Dolch zurück, legte die Fingerspitzen auf die Brust ihrs Opfers und gab ihr einen beinahe sanften Stoß. Stevie Blue fiel nach hinten ins schwarze Wasser und lag still.

Löwenstein richtete sich auf und ließ den Dolch in ihren Ärmel zurückgleiten. Sie erlaubte Dram, ihr auf den Thron zu helfen.

»Elfen reden nie«, sagte Dram leichthin. »Sie programmieren ihr Bewußtsein auf Selbstzerstörung, bevor sie ihre Geheimnisse verraten können. Ihr habt ihr einen leichten Tod geschenkt.«

»Er ist ein Spielverderber, Lord Dram. Sie starb voller Verzweiflung. Das reicht Uns. Im Augenblick interessiert Uns viel mehr, wie viele Esper Seine Sicherheitsabschirmung überwinden konnten.«

»Eine gute Frage«, entgegnete Dram. »Ich werde sie meinem Stab vorlegen, sobald diese Audienz vorüber ist, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Ich kann nur annehmen, daß irgendwo in meiner Organisation ein Verräter sitzt.«

»Wir dachten, das wäre unmöglich?«

»Genau wie ich. Wenn es einen Verräter gibt, dann werde ich ihn finden. Verlaßt Euch darauf.«

»Ich will hoffen, daß Er recht hat, Lord Dram«, sagte die Imperatorin. »Wenn Wir nicht darauf vertrauen können, daß Er uns beschützt, wozu ist Er dann nütze?«

Dram grinste und tauchte vorsichtig einen Finger in die Reste von Sahne, die sich noch immer auf ihrem Gesicht befanden. Nachdenklich leckte er den Finger ab.

»Cognac-Sahnetorte! Mein Lieblingskuchen. Wenn schon nichts anderes, dann haben die Elfen wenigstens einen guten Geschmack.«

»Natürlich«, erwiderte Löwenstein kühl. »Unsere Dienerinnen werden das sicher bestätigen.«

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